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Wolfsjagd

Der Fürstin Tola Meschtscherski nacherzählt

Ein großes, halb europäisch, halb orientalisch möbliertes Zimmer. Brokat und Felle allerorten. Ein hoher holländischer Fayenceofen mit feinen Malereien. Auf dem Tisch summt der Samowar, im Kreis um ihn stehen schweres Silber und böhmisches Kristall. An der Wand ein Teppichdiwan, überhäuft mit Kissen. Ob dem Diwan ein riesiges Ölbild: Kavaliere und Amazonen hinter der Meute.

Zwei Männer sitzen da und eine Frau.

Der eine von den Herren ist schon ergraut, doch seine Brauen wölben sich immer noch tiefschwarz über den schwarzen Augen. Er trägt eine Samtmütze und weiche Stiefel, liegt im Sessel und blättert in der Zeitung.

Der andre ein Leutnant in kommoder Uniform, mit aufgeknöpftem Rock. Er wandert im Zimmer auf und ab, mit festen, taktmäßigen Schritten, gefällt sich in seinem scharlachroten Seidenhemd und lächelt.

Die Frau ist jung und zart, flachsblond. Sie hat sich auf den Diwan hingestreckt und raucht. Ihre Augen blinzeln immerzu und lachen keck, erweitern und verengern sich wie Katzenaugen. Dabei ein eigenwilliger Mund. Merkwürdig – dieses Geschöpf, gemischt aus Trägheit und Härte, Fieber und Sorglosigkeit.

Vor den Fenstern strahlt eine Nacht von metallischer Weißglut; der Rauhreif hat unirdische Blumen auf die Fensterscheiben gemalt – ihre Rippen irisieren auf dem Glas.

Im Zimmer lauer, berauschender Duft von Tee, Tabak und den gegerbten Fellen. Die junge Frau gähnt und nippt hie und da an ihrem Tee.

Der Offizier nähert sich ihr; ein Leuchten huscht über seine Augen. Er setzt sich zu ihren Füßen. Sie antwortet auf seinen weichen, fröhlichen Blick mit einem koketten Schmollen.

»Was machen wir morgen?« Sie schnurrt es mehr, als sie's sagt, und kreuzt die Arme unter dem Kopf. »Was für Pläne haben Sie, Fürst?« Dabei blickt sie auf den Leser im Sessel.

»Man wird es von den Eichen aus versuchen müssen,« antwortet er. »Die Bauern am See beklagen sich: ein Pferd vorgestern; gestern eine Kuh. Kann man's glauben? Sie war noch warm, als man sie am Weg fand. Im Morgengrauen erwürgt. Verdammte Wölfe!«

»Dann auf zur Hetzjagd?«

»Ja. Die Rüden sind in Form, die großen weißen Windhunde gut abgeführt. Sie schreien förmlich danach, ihre Zähne an Wolfsknochen zu wetzen.«

»Aber der Mond hat einen Hof,« sagt der Offizier. »Arge Kälte für Morgen.«

»Oh, ich fürchte mich nicht. Reitkleid, Fellmütze, Fischotterhandschuhe – so trotzt man jedem Frost. Um Gotteswillen – nur den Champagner nicht vergessen, Fürst!«

»Seien Sie ohne Sorge, Gnädigste,« antwortet der Hausherr, »alles wird nach Ihrem Wunsch getan.«

Eine Weile ist es still. Plötzlich ruft Frau Novar: »Hört, ich habe einen Einfall!« Mit einem Sprung ist sie auf, zitternd, im Nu verwandelt. Ihr Haarknoten hat sich gelöst, sie wirft die Flechten zurück – die Augen öffnen sich grün und lüstern.

»Was? Was haben Sie?« fragt der Leutnant; eine naive Bewunderung strahlt aus seinem Gesicht.

»Ich will, ich will durchaus, daß wir sofort, auf der Stelle eine Jagd veranstalten – eine wirkliche Jagd im Schlitten – in der Trojka. Vorwärts, Fürst! Rufen Sie! Befehlen Sie! Oh, die himmlische Nacht! Der Schnee, das Licht, das Leben! Lassen Sie anspannen – ich laufe, mich umzukleiden.«

»Liebe, gnädige Frau«, sagt zögernd der Fürst, »ich täte es mit dem größten Vergnügen, wenn …«

»Was für ein Wenn …? Wir sind doch nicht auf der Welt, um Ihren Tee zu trinken und Murmeltier zu spielen? Sehen Sie doch!« Sie läuft ans Fenster und zerrt mit einem Ruck die schweren Vorhänge auseinander. »Das ist eine Apotheose des Lichts. Kann man daheimbleiben, wenn draußen eine solche Nacht Feste feiert?«

»Liebe, gnädige Frau,« antwortet der Fürst ein ganz klein wenig mißgestimmt, »ja, die Launen einer schönen Frau sind Befehle. Ich habe mich ihnen auch mein Leben lang unterworfen. Doch es ist meine Pflicht, Sie aufmerksam zu machen, daß ich meiner Pferde nicht sicher bin. Und eine Jagd im Schlitten – da hängt unser aller Heil von der Klugheit und Erfahrung der Pferde ab. Wenn sie durchgehen und uns umwerfen, kann keine Macht der Erde uns aus den Reißern der Wölfe retten. Mein Stangenpferd ist vorzüglich, ein alter Traber, sehr schnell – er wird nicht weichen. Aber die Beispannpferde? Zu jung, gnädige Frau, zu jung. Sind erst im Frühjahr vom Don gekommen, kaum eingefahren. Temperamentvolle Tiere. Sie waren auf der Jagd, gewiß. Auf der Hetzjagd, das ist nicht dasselbe. Und dann: bei Tage. Nachts – jetzt, bei den starken Frösten, kommen die Wölfe rudelweis und sind nicht furchtsam. Gnädigste, glauben Sie einem alten Jäger: schlagen Sie sich's aus dem Kopf.«

»Sie scherzen, mein Lieber,« entgegnet Frau Novar mit trockenem Lachen. »Oder sind Sie … vorsichtig geworden? Nehmen Sie sich in acht – ich könnte glauben, daß Sie altern.«

Der Fürst beantwortete die Herausforderung, indem er schellte. Ein kleiner Diener in Kosakentracht erschien.

»Sag Timofej, er möge Faust in die Mitte spannen und Arabi und Ares beispannen an den großen Jagdschlitten. Andreas möge die Flinten und das Schwein bereitlegen; in einer halben Stunde fahren wir.«

Der kleine Kosak verschwand; der Fürst erhob sich, um ihm zu folgen.

Der Leutnant näherte sich Frau Novar. Er hatte gerührte Augen, ein zögerndes Lächeln huschte über seine Lippen.

»Liebe, gnädige Frau,« sagte er leise, »ich glaube weder alt, noch feige zu sein … Die Partie ist gewiß verlockend für eine Frau Ihrer Art – man darf aber doch den Gastgeber und seine Diener nicht einer solchen Gefahr aussetzen.« Seine Stimme wurde weich und weicher, sie ging in ein Flehen über. »Sie hören, die Pferde sind unsicher und die Wölfe um diese Jahreszeit wild und zahlreich. Unsre moralische Verantwortlichkeit …«

Frau Novar brach in Gelächter aus. »Schämen Sie sich, Serge! Je mehr Gefahr, umso glücklicher bin ich, umso intensiver fühle ich mich leben.«

»Sie ja. Aber die andern?«

– – – Vor der Rampe hält ein großer, bootähnlicher Schlitten; die Pferde sind an den Bug gespannt, der Kutscher thront an der Stelle des Steuers; der Schatten des Gespanns zeichnet schwarz ein riesengroßes Zerrbild auf den Schnee.

In der Gabeldeichsel steht ein mürrischer, figuranter Braun mit ellenlangen Schultern, steilem Widerrist und Rammsnase. Er hat die Ohren lang und spitz aufgerichtet, die Augen blicken unbeweglich vorwärts. Er steht zwischen zwei ukrainischen Rennern, einem Eisenschimmel rechts und einem Fuchs links, beide mager und muskulös, mit wehenden Mähnen und Schweifen. Oben der Kutscher Timofej, ein breiter, knochiger Mann mit buschigem Bart.

Schweigend zieht er seine Mütze vor dem Fürsten. Frau Novar, blond, zierlich, lachend, in einen langen Fischotterpelz gehüllt, schreitet die Stufen herab. Ihre Augen funkeln unter dem Schleier. Ein leichter Karabiner hängt an ihrer Schulter.

Der Leutnant folgt ihr mit dem dicken Andreas, dem zweiten Kutscher des Fürsten. Andreas trägt ein halb Dutzend Reserveflinten. Alles ist in eine köstliche, durch« sichtige Klarheit getaucht. An der Beschirrung, an den Waffen blitzen elektrische Funken auf, die Augen der Pferde leuchten.

Frau Novar springt in den Schlitten – die Männer folgen ihr. Da hört man aus den Pelzen ein seltsames Quieken und Kreischen. Andreas stürzt sich darauf, um es zu ersticken. Die Pferde gehen an.

Schellen und Glöckchen sind entfernt worden, die Fahrt ist stumm. Man hört die Hufe kaum im weichen Schnee. Hin und wieder pfeift Timofej – es klingt wie Vogelgezwitscher.

Sie fahren über die wellige Steppe, die sich wie eine unendliche Matratze ausbreitet von silbernem Flaum; sie wecken einen magern Hund im Dorf; kommen auf eine Buchenschonung, dann in einen majestätischen Fichtenwald und verlieren sich in grenzenloses Dunkel.

Auf einer Wegkreuzung hält Timofej an. Die Fichten ächzen und dröhnen im Wind. Die Pferde schnauben – leises Grunzen tönt aus dem Innern des Schlittens.

»Wir sind da, Exzellenz,« sagt Timofej.

»Noch weit vom See?«

»Ungefähr zehn Werst, Exzellenz. Dieser Weg führt gradaus hin, dann rund um den See in die Steppe und nach der Poststation.«

»Und der vom Heuler bezeichnete Platz liegt noch vor dem See?« fragt der Fürst. – Der Heuler ist ein Flurwächter, der den Schrei der Wölfe so gut nachzuahmen versteht, daß er ihre Wachsamkeit täuscht; er weiß auf diese Art bis in die Moräste vorzudringen und das Lager der Wölfe zu entdecken.

»Laß das Schwein schreien!« befiehlt Frau Novar.

»Besser wäre, zu warten,« antwortet Andreas. »Der Weg hat hier viele Biegungen, und die Gräben sind unsre Feinde; vorausgesetzt, daß wir ohne Unfall den See erreichen …«

»Narr!« ruft Frau Novar. »Tu, was man dir befiehlt!«

Im Augenblick erhebt sich im Schlitten ein schreckliches Konzert – verzweifeltes Grunzen, wie nur ein Schwein es ausstoßen kann. Ob man es absticht oder nur ins Ohr kneift – sein Wortschatz ist der gleiche.

Frau Novar lacht trillernd. Der Leutnant sieht sie an – dann wendet er den Blick und zuckt die Achseln.

Das mißtönige Geschrei zerreißt die Luft. Andreas sucht es abzuschwächen, indem er ein Schaffell über das Tier wirft.

Dann horchen alle.

In der Stille, die plötzlich eingetreten ist, hört man einen leichten Galopp auf dem weichen Schnee; er kommt aus den Tiefen des Waldes und nähert sich. Die dürren Zweige knacken. Die Jäger richten sich auf, die Pferde zittern. Bald unterscheidet man heimliche, lauernde Schritte – zahllos. Man sieht es schleichen und springen durch Busch und Unterholz – eckige, hurtige Bestien. Die Beispannpferde schütteln sich und steigen. Faust stemmt sich gegen, um sie festzuhalten – man kann seine Kaltblütigkeit und Kraft bewundern. Am Waldsaum entzünden sich grüne, irrende Lichter die Phosphorpupillen der Wölfe, die bald aufleuchten, bald erlöschen und sich dann ganz nah auf den Schlitten richten, in erschreckender Beständigkeit.

Timofej gibt die Zügel nach – das Stangenpferd in seiner großen, ruhigen, mächtigen Art trabt an und hält seine schweißbedeckten, zitternden Gefährten zurück, die zum erstenmal die Ausdünstung der wilden Tiere gerochen haben.

Die Wölfe sehen ihre Beute entfliehen – sie stürzen sich auf die Spur. Es sind ungefähr zwölf, doch das Rudel wächst auf jeder Lichtung. Die Jäger können sie zählen: die Wölfe folgen in großen Sprüngen, zu zwei und dreien, halten sich aber noch recht weit weg – sie zeigen eher Neugierde als Blutdurst.

Frau Novar klammert in kaltblütiger Freude die Hände um den Karabiner und erwartet das Zeichen zum Feuern; der Fürst steht im Schlitten, stramm auf seinen langen Beinen, und beobachtet unlustig das Treiben hinten.

Nun galoppieren die Wölfe in gedrängten Reihen, fünfzehn oder zwanzig Schritte von den Jägern.

Timofej verstärkt das Tempo; die Beispannpferde ziehen, als wollten sie die Stränge reißen.

Da stolpert der Schimmel und fällt. Schon ist er mit einem herrlichen Satz wieder aufgesprungen und wiehert laut. Der kleine Aufenthalt aber hat genügt, die Wölfe herankommen zu lassen. Ihrer fünf, sechs haben den Schlitten überholt. Sie halten an, um das scheugewordene Gespann abzuwarten.

Die jungen Pferde, voll Schreck über diese Erscheinung, beherrschen sich nicht mehr.

Vier Schüsse krachen. Vier Wölfe roulieren und strecken die Läufe empor – ihre Gefährten stürzen sich auf sie und wälzen sich auf den rauchenden Äsern.

Sie reißen ihnen die Bäuche auf, in den dampfenden Mäulern hängen die Fetzen der Gekröse – und schon ist die ganze gedrängte Schar wieder mit Winseln und Läuten dem raschen Schlitten nach. Sie erreichen ihn, sich überstürzend. Sie sind raublustig und furchtlos geworden – jetzt, wo duftiges, süßes Blut in ihnen den Trieb zum Metzeln erweckt hat.

Die Jäger knattern in die kompakte Masse, die in ihrer Wut in die Hölzer der Schlittensohle beißt. Ein einziger Wolf fällt – mit so gräßlichem Heulen, daß die Beispannpferde sich der eisernen Hand des Kutschers entwinden. Das Stangenpferd, selbst ein erfahrener Jäger, ist erschöpft; es vermag die Gefährten nicht mehr zu leiten, am Ende seiner Kraft.

Der Schlitten stößt an eine Wurzel, schwankt an der Wegbiegung halb auf die Seite – nur die Jäger, indem sie sich gewaltsam auswärts beugen, halten ihn im Gleichgewicht; sie krampfen sich an die Seitenlehnen, um nicht hinausgeschleudert zu werden.

Der Fürst ist erbleicht und redet heiser auf den Kutscher ein. Die Flinten liegen auf dem Boden, in den Fellen es rüttelt und schüttelt so arg, daß man nicht laden kann. Frau Novar kehrt den Wölfen den Rücken zu und sieht groß nach den Pferden. »Herrlich, herrlich, das alte Pferd! Wie heißt es, Fürst?«

»Faust,« antwortet er mit rauher Stimme. »Sie scheinen nicht zu wissen, daß wir in größter Gefahr sind?«

»Ich weiß, ich weiß. Wenn wir umwerfen, bleibt von uns nichts übrig als die Läufe unsrer Flinten und die Westenknöpfe. Ich habe aber Vertrauen zu Faust. Ist dieses Tier bewundernswert!«

»Exzellenz,« sagt Timofej leise, »wenn Gott will, werden wir den See erreichen. Dort – ich weiß nicht, was dort werden wird … Die Ufer sind steil und glatt.«

»Nimm das,« antwortet der Fürst und zieht das Weidmesser. »Sollten wir umwerfen – ich will nicht lebend unter die Tiere.«

»Ich verstehe,« brummt Timofej.

Frau Novar ist etwas blaß. Sie lächelt den Leutnant an. »Nun, Serge! Fürchten Sie sich?«

Er blickt ihr grade ins Gesicht. »Ein nutzloser Tod scheint mir lächerlich. Solche Launen einer Frau sind ein Verbrechen.«

Frau Novar zuckt zusammen. »So sprechen Sie zu mir?«

»Ja, zu Ihnen, Martha!« Er hat sie zum erstenmal beim Vornamen genannt.

Sie fühlt unbestimmt, daß der Faden entzwei ist, an dem sie ihren Harlekin tanzen ließ. Der Gedanke verzehnfacht ihr die Schrecken der Gefahr. – Was für einer Gefahr! Die Pferde ohne Zügel, toll, mit vorgestreckten Hälsen, gehen ventre à terre ins Ungewisse durch, und die Wölfe ihnen auf den Fersen, rasend, erbittert durch die Kasteiung überlanger Gier.

Timofej keucht: »Der See!«

Der Wald vor ihnen öffnet sich – eine ungeheure, baumlose Ebene weicht in die Breite, und der Weg, kaum sichtbar, führt in einen Schlund, mit Eis gepflastert, senkrecht. Ein Fehltritt, und Menschen wie Pferde werden den Abgrund hinabsausen, ein Fraß der verhungerten Horden.

»Allmächtiger Gott,« murmelt der Fürst. »Eine Beute des Wahnsinns!« Und mit seinen langen, feinen Händen drückt er, der elegante Genießer, seine Mütze fester auf den Kopf, wendet sich von Frau Novar ab und setzt sich ganz nah zu seinem Kutscher. Des Kutschers Halsadern sind zum Bersten – so verzweifelt stemmt er sich in die Zügel.

»Laß sie fahren, es ist aus,« sagt der Fürst.

»Heilige Jungfrau – vermaledeites Zeug, wenn wir nur durch wären!« stöhnt Timofej.

Wie eine Windsbraut sind die Wölfe hinterher.

Frau Novar hat ihre kleinen Zähne in die Lippen gebissen. Der Leutnant lädt stumm, mühsam, unverdrossen die Gewehre.

Faust sieht plötzlich das Morastloch unter sich – er hebt den Kopf hoch, seine Augen erweitern sich unwahrscheinlich, die Nüstern schnauben Feuer; er mißt die Gefahr – er ahnt, klug wie der Klügste, was ihm bevorsteht, wenn es seinen unsinnigen Gefährten gelingen sollte, ihm ins Geschirr zu fallen. Er wölbt den Rücken auf, die Hufe hämmern den Boden, mit aller Wucht drückt er auf die Gabeldeichseln. Das Gespann schießt in die Tiefe. Ein Wirbel von Kälte und Schnee.

Die Wölfe wittern instinktiv die nahe Beute. Sie lassen nicht nach. Man hört das Klappern ihrer Kinnbacken. Der beizende Geruch ihrer Hitze dringt bis zu den Jägern.

Unten im Schnee springt der Hohlweg spitzwinklig ab, die Trojka hat kaum Platz, zu wenden. Faust sammelt sich. Er hält die ganze Last, die ihm auf den Hacken folgt und ihn zerdrücken will. Mächtig wirft er sich auf die Seite, drängt das Handpferd rechts an die Böschung und zwingt es, den schmalen Weg dem See entlang zu gehen. Doch der Fuchs fühlt sich frei in den Strängen, fliegt nach links das Ufer hinunter und stürzt auf dem Eis. Faust steigt, und sein heftiger Stoß macht den Schimmel in die Knie fallen. Röhrend hält Faust mit seinem Kreuz den Fall des andern auf. Der Fuchs überschlägt sich – er hängt im Geschirr – die vier Eisen in der Luft. Ein einziger Schrei tönt aus den Kehlen der entsetzten Menschen. Die Wölfe drängen heran und schnappen, leidenschaftlich im Jähhunger und Haß. Die bestürzten Jäger knallen in den Haufen.

Da kriecht Timofej, im Vertrauen auf seinen Stangengaul, vorsichtig bis an den Sattel vor. Daran hält er sich bewundernswert mit einer Hand – mit der andern zerschneidet er ritz-ratz die Stränge des gefallenen Pferdes. Der Fuchs rollt mit einem Todeswiehern ab und verschwindet im Schwarm der Wölfe. Ihr garstiges Geheul bricht im Chor aus.

Man hört es noch nachhallen, als der Schlitten längst in stürmischer Fahrt am See dahinflitzt – hinaus, hinaus auf die freie, die freie Steppe.

Fast zwei Werst haben die Pferde still wie Phantome durch die weiße Einsamkeit gejagt, bei untergehendem Mond. Die Jäger schweigen. Da glimmt ein Licht in der Ferne auf: das Postgebäude inmitten der Steppe. Timofej richtet das schäumende Gespann dahin. Der Schimmel hat seinen Galopp verdoppelt. Faust wirft die Hufe regelmäßig in seinem raumgreifenden Trab – so weht die Trojka stürmisch in den Hof und hält an der Freitreppe.

Ein Augenblick. Und das Stangenpferd atmet tief auf, wiehert ehern, der Rumpf bebt – Faust sinkt, um sich nicht mehr zu erheben. Vorhin, als er mit übernatürlicher Anstrengung den Fall des Beispannpferdes bremste, ist ihm eine Ader geplatzt – er hat sich innerlich verblutet; nur die Schneid seiner Rasse hatte ihn bis zum Ende aufrecht erhalten.

Ergriffen umstehen die Jäger das edle Tier, dessen überlegener Mut sie aus einer Gefahr errettet hat, schrecklicher als hundert Tode.

Timofej weint wie ein Kind. Der Fürst nimmt grimmig seine Mütze ab und tut einen letzten Blick auf sein liebes Pferd, das die Beine von sich streckt, steif und steifer, das Maul blutet, die Mähne liegt aufgelöst auf dem Schnee. Dann verschwindet der Fürst wortlos im Postgebäude.

»Gerettet!« ruft Frau Novar. »Gerettet! Diesmal hing es nur an einem Haar, mein lieber Leutnant!« Sie streckt ihm die Hand hin.

Er verneigt sich.

»Erinnern Sie sich, mein lieber Leutnant, daß Sie mich Martha gerufen haben in der schrecklichen Stunde?«

»Ja, gnädige Frau. Zum ersten- und letztenmal.«

Er verbeugt sich wieder und läßt sie stehen. Sie sieht ihm entgeistert nach.


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