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Wie die Bauern einen Mönch verheirateten

Dem Ritter Wuk von Wertschewitsch nacherzählt

Zu Ljubomir, im Sprengel des Kadis von Trebinje, lebte eine alte Familie Sotowitsch, berühmt als Wiege zahlloser ausgezeichneter Popen und Mönche. Sogar zwei Bischöfe waren ihr entsprossen, die im alten Kloster Twerdosch residierten, eine Stunde westlich von Trebinje. Die ganze Herzegowina gehörte zu ihrer Eparchie. Das Kloster ist jetzt aber längst verlassen und zerstört.

Zuletzt blieb nur ein einziger Sotowitsch übrig, mit Namen Milosch – Gespan oder Gaugraf, wie man will. Ein überaus frommer Mann. Er hatte fünf Töchter, doch keinen Sohn und flehte früh und spät Gott um männliche Erben an: wer wird ihn rächen, wenn er ermordet würde – wer seine Gedächtniskerze anzünden, für sein Seelenheil beten?

Da geschah es, daß Milosch Sotowitschs Frau noch in reifen Jahren Zwillingsknaben gebar. Nun konnte man sich nicht genugtun, die alten Bräuche zu wahren, um diesen Segen vor Schaden zu behüten. Die Hebamme sprang auf die Hofmauer und schrie in alle Winde: »Höre, Stamm und Volk! Die Wölfin hat zwei Welpen geheckt. Der Welt zur Kenntnis, den Welpen zur Gesundheit.« Der alte Milosch brannte vor dem Haustor einen Schuß aus der Büchse ab und einen aus der Pistole. Rings aus den Gehöften antwortete lebhaftes Geknatter, und Frauen und Mädchen eilten auf Kindbettbesuch mit Körben voll Butter, Eiern, Schnaps und Granatäpfeln.

Dann war große, feierliche Taufe. Die Knaben erhielten die Namen Dimitar und Jowan. Ehe man sie aber nach der Kirche schickte, bezeichnete die Mutter sie unterhalb des rechten Ohrs und auf der Stirn mit schwarzen Kreuzen, damit niemand sie beschreie; und um sie auch gegen Zauber zu schützen, nahm man dem Popen und dem Paten fürchterliche Eide ab: ja keinem Menschen die Namen der Zwillinge zu verraten, auch nur zu sagen, daß es zwei Knaben sind; sondern: es sei ein Knabe und ein Mädchen – Nikola und Anastasia. So nannte man die Kinder denn auch, bis sie ein Jahr alt waren, und niemand außer dem Hausgesinde wußte es anders.

Gerade ein Jahr nach der Geburt der Kleinen fuhr der Gaugraf Milosch aus einem Angsttraum; weckte seine Frau und rief ihr zu: »Steh auf – Gott wird dir die Stunde Wachens anrechnen. Lauf ins Kloster, grüß mir den alten Abt und sag ihm, er möchte sofort zu mir eilen – mit Gebetbuch, Stola und dem heiligen Abendmahl!«

Erstaunt wollte die Frau den Mund auftun … – Milosch schloß ihr ihn:

»Jetzt ist nicht Zeit zu fragen und zu sagen. Ehe die Sonne aufgeht, wenn der Abt hier ist, werde ich alles erklären.«

Sprach's, kleidete sich an, wusch sich und entzündete mit vielen Verbeugungen und Gebeten das Lämpchen vor dem Familienpatron.

Als der Abt gekommen war und das Haus von der Schwelle aus gesegnet hatte, führte der alte Milosch ihn hinaus auf die Tenne, wo sie unbelauscht blieben, entblößte den Kopf und sprach: »Nun segne noch mich besonders, geistlicher Hirt, und sprich mich frei von meinen vielen Sünden!«

Das tat der Abt. Und nun erzählte Milosch:

»In der vorigen Nacht hat mir geträumt, wir alle Bauern hätten uns erhoben mit Kirchenfahnen und Kreuzen und wallten über Feld; der Pope sprach die stärksten Gebete, und das Volk sang ihm Antwort: Gospode pomiluj. So kamen wir auf unserm Bittgang bis vor mein Haus – und es war, als sollten wir da ein wenig ausruhen. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel wie um Mitternacht, der Regen schüttete in Bächen nieder. Alles Volk rannte mir ins Haus; die einen zitterten vor Furcht und Klagen, die andern heulten Litaneien. Da ließ Gott die Sonne aufleuchten – ein Strahl drang in mein Haus, auf den Kopf meines Sohnes Dimitar; und auf den andern, Jowan, fiel ein Tropfen Blut. Als sich das Volk aber verlaufen hatte, kam irgend ein Wesen geflogen in weißem Gewand und hauchte Dimitar an und sprach zu ihm: Gottes Liebe über dich! – Da erwachte ich. – Nun sag mir, Abt, bei deinem ewigen Haus, was dieser Traum vermeinen wollte.«

Der Abt antwortete nach langem Besinnen: »Mein Freund, es gibt Geheimnisse, die für den menschlichen Verstand nicht zu enträtseln sind. Wenn man Träumen auch nur im geringsten glauben darf, muß dein Traum etwas Großes, Wichtiges bedeuten, Doch ich möchte dir keinen Rat erteilen: ihn zu befolgen, fiele dir schwer – und ihn zu mißachten, belüde dich mit Sünde. Man kann mit Gott nicht streiten.«

»Sags frei heraus, Vater! Ich weiß, daß aus deinem heiligen Mund nichts als Gottes Willen spricht.«

»Wenn es so ist,« erwiderte der Abt, »dann glaube mir, daß dein Traum ein Befehl des Himmels ist: den einen von beiden Zwillingen, Dimitar, Gott zu widmen, der dich mit zwei Knaben beglückt hat. Sowie dein Sohn erst erwachsen ist, schick ihn mir ins Kloster; er soll das Evangelium lernen und zur rechten Zeit die Weihen empfangen. Dann bleibt dir noch von Gott ein anvertrautes Pfand: dein zweiter Sohn Jowan, damit er dich im Alter nähre und deines Sterbetags gedenke, im Himmelreich einen Platz für dich bereite. – Tu, was du willst – gehorche mir oder nicht – es steht bei dir.«

An diesem Morgen gelobte Milosch Sotowitsch, seinen Sohn Dimitar zum Mönch weihen zu lassen.

Er sandte ihn als Knaben schon ins Kloster. Mit zweiundzwanzig Jahren erhielt der Junge dort die Ordination und den Klosternamen Dionysius. – Jowan aber sollte heiraten. Der Vater freite für ihn ein Mädchen, bestellte die Hochzeit, die Paten und Brautführer versammelten sich und holten bei ungeheuerm Jubelgeschrei und Lustbarkeiten die Braut ein. Dionysius in härener Kutte, mit dem Mönchshut auf dem Kopf, wird den Ehebund einsegnen.

Das Schicksal wollt es ganz anders:

Als nämlich die Hochzeitsgäste die Braut ans Kirchentor geleitet hatten und nun die beiden Boten nach dem Bräutigam gingen – als er daherschritt, geschmückt, stramm, im Glanz der Waffen und im schönsten Staat – da grüßte er zum Abschied Vater und Familie durch einen Freudenschuß aus der Büchse. Die Boten feuerten mit. Einem von ihnen fiel dabei die Pistole aus dem Gürtel, schlug auf einen Stein – und die Kugel traf den Bräutigam zwei Finger unterhalb der linken Brustwarze. Er fiel rücklings auf die Umfassungsmauer und konnte nur noch drei Sätze stammeln.

Zuerst sagte er: »Oh, meine Mutter!«

Zum zweiten: »Ich vergebe mein Blut.« (Das heißt: es sollte keine Rache für ihn geübt werden.)

Zum dritten: »Gott sei mir gnädig!«

Entsetztes Wehgeschrei der Eltern, der Schwestern, des Hausgesindes. Alle stürzen sich auf den Leichnam.

Das Geschrei dringt bis an die Kirche, zu den Leuten der Braut. Als sie erfahren, was sich da ereignet hat, stehen sie wie versteinert. Der Pate setzt sich verzweifelt auf die Schwelle nieder und verfällt in tiefes Nachsinnen. Bruder Dionysius – auch ihm hat man die Schreckenskunde in die Sakristei gebracht – er legt eilends sein Ornat ab und will aus der Kirche zum toten Bruder stürmen.

Da hält ihn am Tor der Pate fest: »Wohin, Dionysius?«

»Ja, weißt du denn nicht, daß mein Bruder erschossen ist – mein einziger Bruder?«

Darauf der Brautpate: »Ihr Leute, ich beschwöre euch bei Schmach und Ungemach – laßt ihn nicht gehen!«

Alle springen den Mönch an und umringen ihn. – Der Alte weiter:

»Wir haben das Mädchen hergebracht – wie sollen unsre Seelen es vor Gott verantworten und unsre Ehre vor der Welt, daß die geschmückte Braut wieder ins Elternhaus zurückgehe, nicht Frau, nicht Witwe? Und bedenkt, daß es jetzt keine Sotowitsch mehr geben wird. Das Haus unsres Gaugrafen soll aussterben und er hinübergehen ohne Nachkommen. Hand aufs Herz und ein jeder denke sich in seinen Fall, wie es ihm zumute wäre. Leute! Ich nehme die Hälfte der Schuld auf mein Gewissen – und ihr nehmt die andre Hälfte auf euch: stand es Jowan nicht geschrieben, daß er die Braut umarme, so ziehe man ihm die Mönchskleider an und schenke ihn Gott. Diesen Mönch Dionysius aber werden wir mit der Braut trauen. Ich sage euch: das ist Gottes hoher Wille.«

Die Hochzeitsgäste alle: »Recht so, Alter! So wollen wir's machen: den Toten begraben wir – und dann ist fröhliche Hochzeit.«

Erschrocken rief der Mönch: »Seid ihr von Sinnen? Bei Gott und dem heiligen Jowan – wer darf ein geweihtes Haupt verunglimpfen? Den Kranz des Priesters mit Füßen treten? Wer den Mönchshut und meinen Bart berühren – außer dem Bischof? Und nicht einmal der Bischof kann mir nach Kirchenrecht die Priesterweihe nehmen ohne gesetzlichen Grund. Laßt mich in Frieden, Leute – ladet nicht Gottes Zorn auf euch und Schuld und Greuel auf mich!«

Da stieß aber der alte Pate den Stab heftig auf den Stein und schrie:

»Wir wissen nicht, mein lieber Dionysius, was deine Bücher lehren – aber in der Klemme wählen wir von zwei Übeln das kleinere. Wir wollen nicht ohne unsre Gaugrafen bleiben, damit am Ende, weiß Gott, wer über uns regiere. Und haben wir die Braut aus dem Haus geführt, so bringen wir sie nicht zu Spott und Schanden der Eltern als ledige wieder. Wir laden auch nicht zwei Dörfer zum Fest, um sie nüchtern heimzuschicken. Wozu wir uns hier versammelt haben, was wir uns vorgenommen, wird auch geschehen, mit Gottes Willen. Not kennt kein Gebot. Zieh deine Kutte aus, Mönch – zieh sie in Gutem aus – oder wir werden dich dazu zwingen. Ihr Marschälle und Paten bahrt den toten Jowan in der Kirche auf! Und du, Mönch, tritt als Bräutigam vor den Altar!«

Vergebens wehrte sich der Mönch: er werde sich bei lebendigem Leibe nie und nimmer trauen lassen – ohne des Bischofs Erlaubnis und Dispens.

Die Bauern fielen zornig über ihn her: »Was du redest, ob du es duldest oder nicht – uns ist es einerlei. Heute sind wir Bauern hier Bischof und Patriarch. Wir werden dich mit Gottes Dispens zurückweihen – und verheiraten auf unsre Verantwortung vor dieser und jener Welt. Dann mag dein Bischof tun, was ihm gefällt. Wenn's mal geschehen ist, werden hundert Bischöfe es nicht ungeschehen machen.«

Man brachte den Leichnam, beweinte ihn nach Herkommen und begrub ihn in der Kutte. Und Jowans Hochzeitsstaat legte man dem Mönch an. Sie seiften dem Mönch den Bart, und das Schermesser ging von Hand zu Hand unter den Hochzeitsgästen; jeder rasierte ein Stückchen Bart, damit die Sünde brüderlich unter alle geteilt sei.

Der alte Pate rief: »Du bist auf Dimitar getauft, und später haben sie dir den Namen Dionysius gegeben. Als dich der Bischof so umbenannte, hat er keinen von uns gefragt. So setzen wir dich wieder in den Taufnamen ein, der dir vor Gott zuerkannt ist.«

Eben kam auch der Pope aus dem nächsten Dorf. Er bekreuzigte sich hundertmal vor dem Wunder, das da zu schauen war dem rasierten Mönch in seinen prächtigen Gewändern. Als ihm aber die Bauern alles erzählt hatten und es so ungestüm verlangten, da konnte er nicht anders und trat an den Altar.

Er fragte: »Willst du, Dimitar, die hier stehende Jungfrau Militza zu deiner angetrauten Gattin nehmen?«

Da antwortete Dimitar: »Ich will es, wenn auch nicht gern. Jede Gewalttat bringt Fluch. Möge diese Heil bringen mit Gottes Hilfe.«

Der Pope fragte wiederum: »Und du, Jungfrau, nimmst du zum Mann diesen deinen Genossen Dimitar, den du hier zu deiner Rechten siehst?«

Militza erwiderte: »Ich glaube, ich muß wohl, Pope. Dazu haben mich Paten und Marschälle hergeführt, und ich folgte ihnen ohne Zwang, aus freien Stücken. Beeile dich nur, damit wir getraut sind, bevor der Bischof es erfährt – sonst nimmt man mir am Ende auch diesen Bräutigam.«

– – – So haben die Bauern von Ljubomir für den Bestand ihrer dörflichen Dynastie gesorgt. Dimitar hatte später drei Söhne und eine Tochter. Solange der alte Gaugraf lebte, schickte er dem Kloster Duga jährlich eine Oka Wachs, eine Oka Weihrauch und einen Schlauch Öl. Als er starb, hinterließ er seinem Sohn und den Enkeln feierlich die gleiche Verpflichtung.


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