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Große Straßen schneiden das Tal

Es geht bei dem Charakter eines Landstrichs wie bei den Charakteren der Menschen: beide zeichnen sich am schärfsten in einer Reihe von Widersprüchen. Wer aber dem Charakter auf den Grund sieht, der findet doch immer zuletzt, daß diese Widersprüche nur scheinbar sind. Zum weiteren Nachdenken werfe ich ein halbes Dutzend solcher Widersprüche hin, in welchen sich mir der Charakter des Taubergebiets besonders zu spiegeln scheint.

Daniel in seiner Geographie von Deutschland nennt den Taubergrund »einen Garten Gottes an Fruchtbarkeit und Schöne«, und das Tauberland ist, wenn man vorwärts schaut, wohlhäbig und aufblühend; aber es ist zugleich arm und zurückgegangen, wenn man rückwärts blickt in seine Geschichte. Und doch ist diese Geschichte, niederdrückend für die Gegenwart, zugleich auch wieder ein stolzer, unzerstörbarer Reichtum des Landes.

Das Taubertal ist äußerst belebt und verkehrsreich, dennoch ist es auch wieder gar stille, einsam und abgelegen; denn sein Verkehr ist fast durchaus Lokalverkehr, es ist der enge, freundnachbarliche Verkehr der Landwirtschaft und des Gewerbes, nicht der weite, weltoffene des Handels und der Industrie.

Das Taubertal ist literarisch sehr fleißig bearbeitet – sprunghaft und in Bruchstücken, und trotzdem literarisch kaum bearbeitet – im Zusammenhang und im ganzen. Wer über die Tauber auch nur flüchtige Studien machen will, der muß sich einen ganzen Stoß Bücher zusammentragen, eben weil von der Tauber schon so viel und über die Tauber noch so wenig geschrieben ist. Denn wo die Landesgrenze das Tal durchschneidet, da hört für die offizielle Topographie (wie für unsere bayrischen Generalstabskarten) die Welt auf.

siehe Bildunterschrift

Lauda von der Morgenseite. Aquarell von J. Hammerschmiedt, um 1831

Das Tauberland ist von Natur kein Grenzland, und dennoch war und ist es ein so vielfach durchgrenztes Land. Ja man kann nicht einmal unbestritten sagen, in welches Herren Lande die Quelle des Flusses liegt. Die Tauber entspringt in Bayern und Württemberg – wie man will; denn die Bayern sagen, sie entspringe hüben, die Württemberger, sie entspringe drüben. Jedenfalls entspringt sie an der Grenze. Das Taubertal ist endlich höchst wegsam, liegt aber doch überall aus dem Wege. Dies will ich noch etwas näher erläutern.

An der Talstraße der Tauber liegen neun Städte: Rothenburg, Creglingen, Röttingen, Weikersheim, Mergentheim, Königshofen, Lauda, Bischofsheim, Wertheim, auf siebenundzwanzig Stunden Wegs, es kommt also auf je drei Stunden eine Stadt und wohl auf jede Stunde eine Ortschaft überhaupt. Dazu ist das Tal die natürlichste Verbindungslinie zwischen der sogenannten europäischen Wasserscheide, der Frankenhöhe, und dem Untermain; es ist offen, bequem wegsam, hat größtenteils nur sehr mäßiges Gefälle und bloß eine größere, leicht abzuschneidende Kurve. Man sollte meinen: ein solches Tal müsse seit ältester Zeit eine natürliche Hauptstraße gebildet haben. Und doch war dies niemals der Fall und wird es auch nach vollendeter Eisenbahn nicht werden. Wie die Tauber seit dem Mittelalter von Grenzen durchschnitten ist, so ist sie auch von Hauptstraßen quer durchkreuzt, von Hauptstraßen berührt, aber keine Hauptstraße folgt dem Flusse. Der Grund dafür lag und liegt in der uralten überwiegenden Bedeutung Würzburgs, welches den Verkehr aus Süden und Westen seitab zu sich herüberzog, und in den störenden Schlangenlinien des Mainvierecks, die den Verkehr von Osten nach Westen vorwärts über den Spessart drängten.

Die mittelalterliche Hauptstraße von Augsburg nach Würzburg berührte die Tauber nur bei Rothenburg, die alte Straße vom Neckar zum Main zielte gleichfalls auf Würzburg und kreuzte die Tauber bei Mergentheim, die neue Eisenbahn von Heidelberg nach Würzburg wird das Tal bei Tauberbischofsheim kreuzen, die Talbahn selbst aber wird nur lokale Bedeutung haben. So führten die großen Straßen von alters her das Tal zwar in die Welt hinaus, aber sie führten die Welt nicht durch das Tal.

Als Kaiser Ludwig der Bayer in seinen Kämpfen mit Friedrich dem Schönen von den Rothenburgern so kräftig unterstützt worden war, gab er ihnen (1331) zum Dank, neben mancherlei Rechten und Freiheiten, auch das Versprechen, daß die große Straße von Augsburg nach Würzburg durch Rothenburg gehen solle. So geschah es denn auch, und so blieb es durch Jahrhunderte, und die Rothenburger meinen: diesen Zug aus der bayrischen Geschichte hätte man in München nicht vergessen und wenigstens die Ansbach-Würzburger Linie über ihre Stadt führen sollen statt über das nur zwei Stunden seitab gelegene, historisch völlig unbedeutende Steinach. Man sieht, an der Tauber spielt die Geschichte überall herein, selbst in die Eisenbahnfragen. Allein unsere Ingenieure schlagen nicht die Chronik nach, wenn sie eine neue Bahnlinie entwerfen.


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