W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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VIII

Jaschek blieb allein im Garten zurück.

Er konnte nicht mehr ruhig liegen, die mannigfaltigsten Gedanken und Vermutungen hatten dermassen von seiner Seele Besitz ergriffen, dass er sich auf seinem Lager hin und her drehte. Der Plan seiner Mutter hatte ihn so geblendet und war ihm so verlockend erschienen, dass er am liebsten zur selben Stunde noch hätte alles liegen lassen mögen und in die grosse Welt hinausziehen. Wenn er nur von diesem furchtbaren Gedanken loskam, der ihn unaufhörlich verfolgte, dass er ins Gefängnis wird zurück müssen, um seine Zeit abzusitzen ... Oh, er wusste es nur gar zu gut, dass sie ihn früher oder später auffinden und fortschleppen würden. Es war ihm manchmal ganz seltsam vorgekommen, dass er schon sechs Wochen hier bei seiner Mutter lag und niemand nach ihm fragte.

Dann blieb er wieder eine Weile ganz still auf seinem Lager liegen, sah in den Himmel hinein, der zwischen den Blütenzweigen des Apfelbaums blaute, und horchte auf die Stimmen, die vom Dorf herüberschallten...

Wie sehnte sich seine Seele nach der breiten von Häusern umsäumten Dorfstrasse, nach den Feldern, die er nur ganz undeutlich durch das dichte Geflecht der Weidenumzäunung, welche den Obstgarten umschloss, sehen könnte, nach den alten Bekannten, nach der Dorfkirche und den Weideplätzen am Bach, auf denen er so viele glückliche Sommer als Viehhütejunge verlebt hatte, nach der Tanzmusik in der Schenke und nach seiner Nastka ... diesen Namen suchte er gewaltsam aus seinem Gedächtnis zu entfernen, sein Gesicht verdüsterte sich und seine Augen richteten sich mit einemmal starr auf das üppige Grün der Brennesseln, die wie eine dichte Hecke den Zaun verdeckten – und nachdem er seiner inneren Erregung wieder Herr geworden war, horchte er vor sich hin und stellte sich vor, dass er mitten durch die Dorfstrasse ginge, dass die Leute stehen blieben, um ihn zu begrüssen, dass man die Fenster aufsperrte und Frauenköpfe sich hier und da hinauslehnten, während um die Häuserecken die roten Mädchengesichter lugten ... und alle luden sie ihn ein, einzutreten ... schoben die Bänke vors Haus zum Niedersitzen, bewirteten ihn ... fragten nach allem aus ... und waren froh, dass er zurückgekehrt und dass er wieder gesund sei ... und alle fluchten sie auf den Verwalter, um dessentwillen er hatte sitzen müssen ... Nein, er geht nirgends hinein ... wird sich nur die Leute ansehen ... ein bisschen mit jedem von ihnen reden, ... nach diesem und jenem fragen ... und ladet dann die Burschen oder vielleicht auch die Hofbauern in die Schenke zur Bewirtung ein ... Um die Wiederkehr zu feiern ... Die Musikanten hole ich her ... Die Mädchen kommen herbeigerannt ... nun kann das Tanzen losgehen ... wird das eine Freude und ein Vergnügen sein! ... sie sitzen alle versammelt wie während einer Kirchweih ...

Er lächelte diesen frohen Bildern zu, durchlebte sie alle nacheinander, trank die Lust in vollen Zügen ... doch es kam ihm mit einemmal in Erinnerung, was ihm die Mutter über die Warnung des Schultheissen wiederholt hatte.

»Sie würden mich ausliefern!« stöhnte er leise auf und wurde bei diesem Gedanken totenbleich: – Würden sie es tun? – stellte er sich die ängstliche Frage, – versteht sich, dass sie es tun würden ... versteht sich ... »Ich werd' es euch schon heimzahlen, dass selbst noch eure Kinder daran denken sollen ...« flüsterte er drohend.

Da er jedoch müde geworden war durch dieses Nachdenken, griff er nach dem Gebetbuch, schlug es auf an der Seite, die durch einen Rosenkranz bezeichnet war, und begann, mit dem Finger von einem Buchstaben zum anderen deutend, um besser sehen zu können, halblaut die Vespergebete zu lesen.

Die Sonne wärmte ehrlich und recht; durch den rosigen Blütenflor strömte goldiges, seltsam beseligendes, zerstäubendes Licht und zuckte in gelben Sonnenflecken über das junge Gras, und dann ganz sacht über Jascheks Gesicht und seine hellen Augen. Eine grenzenlose Stille breitete sich über den Apfelbäumen in den Lüften aus, wo auf hellblauem Himmelsgrund die Schwalben einander jagten und Züge ziehender Wildenten ab und zu zu sehen waren.

Unter dem Strohdach des Hauses schirpten die Spatzen und kleine, mit grauem Flaum bewachsene Gösseln wanderten einher unter der Führung zweier Gänse und eines Gänserichs, der hin und wieder ein drohendes Zischen ausstiess, die Hühner vor sich herjagte und kampflustig selbst auf ein Mutterschwein losging, das mit seinen Ferkeln unter einem Apfelbaum stand und sich so kräftig gegen den Baumstamm scheuerte, dass Blütenblätter wie ein rosiger Schneewirbel ins Gras niedersanken.

Der Bach floss dicht hinter dem Zaun vorüber und trennte, eintönig glucksend, ihr Haus vom übrigen Dorf.

Es war so still und warm und so wohlig in diesem Garten zu liegen ...

Jaschek hörte auf zu beten und lag in die süsse Seligkeit dieses Maitages versunken da. Er liess durch die leicht hin und her bewegten Zweige seine Blicke weit hinaus in die blauen Himmelsweiten schweifen, liess seine Augen wandern und hatte dabei die ganze Welt vergessen. Ein weiches, liebkosendes, schmeichelndes Lüftchen strich ihm über die Wangen, wiegte die blütendurchwirkten Zweige, liess die grünen Unkrautstauden sich über ihn neigen, ihm aber weitete sich die Brust in tiefer Freude, in reiner, heller Lebensseligkeit, und die berauschten, wie von einer süssen Träumerei halb verschleierten Augen, von einem Blau gleich jenem dort oben, waren voll eines stillen Dankes und unaussprechlicher Wonne.

Er fühlte unbewusst, dass durch seinen Körper eine wundersüsse Flut jener Lichter und Farben, jener Himmelsbläue, jenes Sonnensegens, Felderraunens und stummen Seligkeit floss, die der Lebensodem der Erde waren.

»Es benimmt mich was! im Kopf ist es mir schwindlig! ...« versuchte er ab und zu sich zu vergegenwärtigen und merkte nicht und sah nicht, dass die Nastka über den Zaun von der Bachseite herübergeklettert war und nur einige Schritte von ihm entfernt stand und auf ihn schaute – sie war blass wie Linnen, wie die Apfelblüten, unter deren Fülle sie ihr Haupt tief gebeugt hielt.

»Jaschek!« murmelte sie kaum hörbar und schaute ihn an mit Augen voll Angst, Erwartung und Liebe.

Er hörte nicht und sah sie nicht.

»Jaschek!« – Ach wie bange hatte ihr Herz zu klopfen begonnen, so bange! ...

Er zuckte zusammen, liess seine Blicke über den Rasenplatz, über die Baumstämme, über ihre gegen einen Apfelbaum gelehnte und von überhängenden Blütenzweigen halb verdeckte Gestalt schweifen und gewahrte sie nicht; die Stimme schien ihm eine Täuschung zu sein.

Nein, länger konnte sie nicht an sich halten, nein – sie kniete neben ihm nieder und seine Hände mit den Fingern berührend, murmelte sie unter Tränen:

»Jaschu! Jaschu!« mehr konnte sie vor Rührung nicht herausbringen.

Er richtete sich auf seinem Lager auf, Staunen stand in seinen weitgeöffneten Augen, er fasste nach ihrer Hand, berührte ihre Wangen, ihr Haar und sank in die Kissen zurück.

»Fort ... scher dich von hier ... du ...«

Er wusste nicht einmal, wie ihm diese Beleidigung über die Lippen gekommen war.

»Mein Jaschek – ich bin es doch! ... bin doch zu dir gekommen ... Jaschek ... Gott!...« Tränen perlten aus ihren Augen, sie war nur noch ein einziges Beben, wie jene Apfelblüten, die der Wind auf sie niederwehte, es war ihr, als müsste sie sterben ...

»Mein Armes, mein Kleines, mein Liebes ... mein Jaschenku!« stotterte sie unter Tränen, ein Schmerz würgte sie an der Kehle, und da sie sich nicht länger beherrschen konnte, stürzte sie sich über ihn, umschlang seine Füsse mit ihren Händen und brach in ein furchtbares Schluchzen aus ...

In seinem Herzen schmolz die Verstocktheit, ihre Tränen hatten sie auftauen lassen und nur noch der krampfhafte Ernst und ein Ausdruck der Furcht lag über seinen Zügen, er liess seine Hand auf ihr Haupt sinken und flüsterte finster: »Nastka!«

Das Mädchen erhob sich und begann die Augen zu trocknen ...

»Du hast dich mit dem Verwalter verabredet, um mich zu verraten, wie?«

Sie taumelte zurück, als hätte ihr einer einen Faustschlag gegen die Brust versetzt.

»Bei der Gnädigen dien' ich ... bei der Gnädigen ... dien' ich ...«

»Und du wohnst nicht mit ihm zusammen! ...«

»Jesus Maria! Auf die allerheiligste Mutter Gottes! ... auf das liebe Jesuskind schwör' ich dir ...« rief sie, nach dem Rosenkranz auf seinem Gebetbuch fassend. »Jaschek, was redest du nur, Jaschek!«

Ein solcher, Schmerz hatte ihr Herz gepackt, dass sie totenbleich wurde, sie konnte nicht sprechen, nur die Tränen quollen unaufhörlich aus ihren entsetzten Augen.

Mit einemmal hatte er ihr Glauben geschenkt, ihr Schrei durchzuckte sein Herz mit einer solchen plötzlichen Freude, dass er sich zu ihr beugte und leise murmelte:

»Nastusch! Meine Nastusch!«

Das Mädchen warf sich an seine Brust, schlang die Arme um ihn und beide versanken, die Augen voll Tränen des Glücks, in eine leidenschaftliche Umarmung ...

Der Wind hatte plötzlich wieder die Bäume bewegt und überschüttete sie mit zahllosen Apfelblüten – und es entstand um sie herum ein Schweigen und füllte ihre Seelen mit solchem Glück, dass sie auf dem Rasenplatz beieinander, sich an den Händen festhaltend, unbeweglich sitzen blieben, und ihre Blicke tauchten bis auf den Grund ihrer überquellenden Herzen ...

»... Um deinetwillen bin ich da weggelaufen ...... um deinetwillen ...« begann er mit abgerissener Stimme zu erzählen.

»O Jesus!«

»Ich hatte solche Sehnsucht ... solche Sehnsucht ...«

»Was hab' ich mir um dich die Augen ausgeweint... was hab' ich geweint! ...«

»Nastusch! Nastusch!«

»Mein Jaschenku!«

»So lange Jahre ...«

»Du gehst aber nicht mehr fort, ich lass' dich nicht mehr weg von mir ...«

Und wieder sassen sie ins abgrundtiefe Schweigen ihrer Herzen versunken, wie in eine selige Bewusstlosigkeit.

Die Spatzen schirpten schläfrig unter den Strohdächern und im Klostergarten auf dem Hügel liessen sich hier und da abwechselnd Nachtigallen und Amseln vernehmen. Die Hitze war gewichen, ein mit Feuchtigkeit, jungem Duft grüner Getreidefelder und dem Wohlgeruch blühender Gärten geschwängertes Abendlüftchen durchstrich den Obstgarten.

Die Bäume standen ringsum unbeweglich und versonnen da in dem grossen Schweigen des Abends, die Gräser und die Getreidefelder beugten sich tiefer zu Boden – und alles war wie in das Anhören des fernen Störchegeklappers, des jähen Jauchzens der Schwalben und der mächtigen, hellen Glockenstimmen des Avegeläuts versunken, das sich vom Kirchenhügel über das Dorf ergoss.

Nastka kniete fromm nieder, nahm Jascheks Buch auf und begann mit tränenerstickter, bebender Stimme zu lesen:

»Und der Engel des Herrn verkündete der Jungfrau Maria ...«

Jaschek hatte sich auf seinem Lager aufgerichtet, faltete die Hände zusammen und betete aus der Tiefe seines glaubensstarken Herzens ihr nach:

»Gegrüsst seist du, Maria, du bist voller Gnaden ...«

Und die Abendglocke rief noch lange mit ihrer erzenen Stimme und liess ihr Abendpreislied, ihr betendes Singen, ihren Feierabendsegen über das still gewordene Dorf, über die Wälder, die wie mächtige Kriegerhaufen vorgebeugt das Tal rings einschlossen, über die jungen, unbeweglichen Saatenfelder, über die Bäche und Gewässer fluten, die wie silberne Schnüre und Spiegel aus dem Grün auffunkelten.

Sie hatten das Ave beendigt und schwiegen, ihre Herzen sprachen, ihre leuchtenden Augen und ihre verzückten Seelen; manchmal bewegten sich die Lippen wie in einem Traum.

»Sie nehmen dich nicht wieder fort, nein.«

»Hab' keine Angst, Nastuscha, nein.«

»Ich würd' dich in Gold und Silber ... mein armes Lieb!«

»Du kennst mich noch nicht, Nastuscha. Wenn wir uns verheiraten, dann wirst du es schon sehen – ich rühr' dich nicht an, niemals sag' ich dir ein böses Wort und dich abarbeiten, das wirst du bei mir nicht brauchen, ganz gewiss nicht... Eine Dienstmagd wollen wir uns halten, dass du es leichter hast ...«

»Nein, Jaschek, nein, ich werd' schon selbst arbeiten, ich kann alles in der Wirtschaft ... Du wirst es sehen, wie ich mich an die Arbeit halten kann, und Ordnung wird im Hause sein, dass auch deine Mutter es nicht besser machen kann. Auch die Schweine und die Kühe weiss ich zu versorgen.«

»Meine liebe Hofbäuerin, du!« er streichelte ihr verliebt die Wangen.

»Es ist schon wahr ... nur dass ich eine arme Waise bin und du bist der Hofbauer, ja ...« begann sie verlegen.

»Ach was, Dumme, willst du mich denn auch nehmen, wie?«

»Ich sollte dich nicht nehmen wollen, Jaschek, ich?« Sie warf sich ihm an die Brust.

Und dann begann sie mit einer tiefen, vor Erregung immer wieder stockenden Stimme zu reden:

»Die Gnädige haben gesagt, dass sie mir dafür, dass ich ihr treu diene, wenn ich mal heiraten soll, eine Kuh mit einem Kalb schenken werden und eine Sau und sechs Gänse und etwas Hausgerät und ein Kleid für die Trauung ...«

»Hat dir das die Gutsherrin gesagt, Nastuscha?«

»Versteht sich, und nicht einmal nur; noch vor zwei Wochen hat sie davon gesprochen, wie die Schaffnerin dabei gewesen ist.«

»Das ist für deine Ehrlichkeit, Nastusch! siehst du, Nastusch, für deine Ehrlichkeit! ... Du wirst schon eine bessere Hofbäuerin sein, als diese Schlampen im Dorf ... das wirst du sicher, du wirst es sehen, Nastusch ... Und vor meiner Mutter brauchst du auch schon keine Angst mehr zu haben!«

»Hale! Auch die eigene Mutter würd' ich nicht mehr lieben! aber sie ist so, dass selbst die Gnädige gesagt hat, dass die Winciorek eine Herrin sein könnte, weil sie so klug ist wie keine andere Frau im Dorf ...«

»Hat sie das gesagt, Nastusch, so? ... Der Herr Jesus soll ihr alles beste geben!«

»Sie hat es gesagt, Jaschu, selbst zu dem Verwalter ... wie er ...« sie brach plötzlich ab, denn dieses unachtsame Wort hatte eine tiefe Falte auf der Stirn des jungen Burschen hervorgelockt, sein Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an und er fragte schüchtern, sie dabei scharf beobachtend:

»Hat er dir keine Ruhe gelassen ... wie?« seine Augen funkelten voll Hass auf.

» Versteht sich ... ich hab' mich bei der Gnädigen beklagen müssen ... Die Gnädige hat ihn auf die Zimmer rufen lassen ... Da ist er dann so böse fortgegangen wie ein bissiger Hund ... und was er dann geflucht hat ... auf mich ...« redete sie leise, als müsste sie sich über alles Erlittene bei ihm beklagen.

»Ich werd' ihn schon zurechtkriegen ... warte bloss ... der soll es noch heimgezahlt bekommen für mich und für dich – er wird noch an mich zurückdenken ...« zischte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und ein solcher Fieberkampf von Hass schüttelte ihn, dass er dabei ganz blau im Gesicht wurde.

»Nimm dich in acht, Jaschek ... er ist mit den Behörden bekannt ... und wenn sie dich noch einmal nehmen sollten, dann würde ich Arme in den Brunnen springen ...«

»Und wenn ich im Zuchthaus verfaulen sollte, mein Unrecht schenk' ich dem nicht ...«

»Halt dein Mass, Jaschek! sei still,« bat sie flehentlich, vor Angst bebend.

Er gab keine Antwort, so schwiegen sie denn.

Die Dämmerung begann sie schon zu umhüllen, sie sassen noch nebeneinander, aber ihre Seelen waren weit voneinander fort, wie aufgescheuchte Vögel hatten sie der Hass und die Angst auseinandergetrieben.

Die wundersame Wolke des Glücks war verweht und zerronnen im Grau der Nacht, die sich über die Erde zu senken begann. Das Leben hatte wieder seine gierige Hand auf ihr Schicksal gelegt ...

Sie blieben noch lange so, ohne sich beruhigen zu können.

Plötzlich kam die Winciorek hereingelaufen und eilte sofort zwischen den Bäumen auf sie zu.

Sie fuhren erschrocken auf.

»Die Bauern haben dich schon verraten! sie haben dich schon verraten!« murmelte sie; »ich bin im Dorf gewesen ... dann bin ich in der Schenke gewesen ... ganz voll Menschen, wie gewöhnlich am Sonntag ... sie tranken miteinander ... auch die Gendarmen sassen dabei ... Der Banach hat mich gleich gemerkt, und weil er schon betrunken war ... hat er gleich seine Zunge losgelassen und dann hat er gesagt: ›Na, Winciorkowa, ist der Jaschek schon gesund, es wird bald Zeit, dass er nach seinem Stadthaus ... in die feinen Stuben zurückkehrt.‹ Die Gendarmen haben aufmerksam zugehört ... das hab' ich gemerkt ... und dieser Saufjan redet in einem fort, dass jetzt alle Räuber, Totschläger ruhig in der Welt herumlaufen können, wenn sie nur dem Schultheissen Geld bezahlen ... da haben die Gendarmen im stillen die Leute ausgefragt ... und den anderen Bauern war das gerade recht ... sie haben über dich alles gesagt ... Ich bin ganz starr gewesen vor lauter Entsetzen ... aber der Schultheiss hat mich, da es schon dunkel war, beiseite gezogen und gesagt, dass eine Revision kommen kann! ... dass ...« sie schwieg erschöpft.

»Welche Bauern waren es?« fragte er mit leiser Stimme.

»Na, der Banach, der Kubik vom Ende des Dorfes, der Sikora aus der Mitte, der einäugige Wojcik auch und alle, alle ...«

»Banach, Kubik, Sikora und Wojcik! ...« wiederholte er langsam, ganz besonders langsam, indem er diese Namen seinem Gedächtnis einprägte, aber mit einemmal überkam ihn eine solche wilde Wut, dass er aufsprang, nach einem Stecken griff und zu schreien anfing:

»Lass sie allesamt hierher kommen, lass sie versuchen, mich zu greifen, her mit ihnen!...« er wurde plötzlich schwach, so dass seine Füsse zu zittern begannen und er sich, um nicht zu fallen, gegen den Apfelbaum stützen musste.

»Still, mein Junge ... still ... man muss einen Rat finden.«

»Man muss ihn von hier wegführen!« murmelte Nastuscha, vom ersten Entsetzen wieder zu sich kommend.

»Das ist wahr, so wird es am besten sein, wenn sie ihn nicht finden, dann nehmen sie ihn auch nicht, aber wohin nur? ...«

»Wohin? dann schon gleich in die Gruben hinter dem Kloster auf dem Berg ... die sind jetzt leer.«

»Gut, versteht sich, aber man müsste bloss noch ein paar Vaterunser abwarten, bis es ganz dunkel wird ... es könnte sonst noch einer sehen.«

Sie machten sich um Jaschek zu schaffen, denn er war ganz ausser Kräften gekommen, solch ein heftiger Husten hatte ihn gepackt.

»Nastuscha, geh mal vors Haus nachsehen, ob nicht einer kommt ...«

Es kamen jetzt die endlos langen Minuten des Wartens auf das Kommen der Nacht.

Die Alte bewachte aus einem Versteck hinterm Zaun die Brücke, aber sie konnte nichts Verdächtiges entdecken und kehrte immer wieder zu Jaschek zurück, der zusammengeduckt und wie erstarrt auf seinem Federbett sitzen geblieben war.

Die Nacht senkte sich rasch über die Erde, eine tiefe Stille breitete sich ringsum aus, nur von der Schenke kamen noch der Widerhall eines trunkenen Singens, das Summen der Geigen und Bauernstimmen her; von den Wiesen schrillten ab und zu Kiebitzrufe nach den Feldern hinüber und Schwaden kriechender, weisser Nebel hoben sich über den Weideplätzen.

»Hab' keine Angst, Jaschek! ich geh' dich nicht heraus, du mein Einziger, sei unbesorgt,« beruhigte ihn die Mutter.

Sie zog ihm mit Nastuschas Hilfe den Schafspelz über, dann nahmen die Frauen das Federbett und ein Plantuch mit, und nachdem sie dem Burschen fest unter die Arme gegriffen hatten, denn er ging nur mit Mühe und torkelte hin und her, kamen sie aus dem Garten in den Hof und von dort auf einen Fusspfad, der am Hügel entlang lief, auf welchem das Kloster lag.

Sie bewegten sich sehr leise und langsam vorwärts, denn Jaschek wurde schnell matt und musste immer wieder ausruhen, ab und zu legte sich auch die alte Winciorek auf den Boden nieder, um mit dem Ohr dicht über den Stoppeln zu horchen.

»Vor dem Haus ist noch keiner zu hören!«

»Das macht nichts, wir müssen schneller gehen,« flüsterte Nastuscha ungeduldig.

»Ich kann nicht mehr ...ich kann nicht ... o Jesus!« murmelte Jaschek und sank immer schwerer gegen Nastuscha, die ihn schon fast tragen musste.

»Still, Jaschek, still! Wir sind gleich da,« antwortete das Mädchen.

Sie schleppten ihn auf diese Weise bis nach den grossen Kartoffelgruben, die sich an einem Hügelabhang von der Waldseite befanden. Die Alte suchte eine besonders gut erhaltene aus, und nachdem sie ein Bündel halbfaulen Strohs aufgestöbert hatte, liess sie sich ins Innere der Grube gleiten, wo sie ein Lager bereitete und es mit dem Federbett bedeckte. Sie fassten Jaschek an den Schultern und Hessen ihn langsam mit den Füssen nach unten in die Grube hinab.

»Brauchst dich nicht zu fürchten, Jaschek! ... hier werden sie dich nicht, finden ... und wenn es dir bange sein sollte, dass du im Dunkeln sitzen musst, dann bete ein bisschen. Morgen früh komme ich, und bringe dir was zu essen. Nun gehe ich schon, lieber Junge, denn ich muss zu Hause sein, wenn diese Hunde kommen, damit sie nichts merken ... Nastka muss auch laufen, dass die Leute auf dem Herrenhof nicht über sie unnützes Zeug schwatzen.«

»Gebt mich nicht heraus, Mutter ... o Mutter! ...« rief er mit tränenerstickter Stimme und schlang seine Arme um ihren Hals wie ein Kind; diese dunkle Grube und die Nacht ringsum erfüllten ihn mit Grauen.

Er beruhigte sich dennoch recht bald, denn die Müdigkeit hatte ihn völlig übermannt.

»Nastuscha! gehst du auch schon?«

»Ich geh', Jaschu ... aber wenn die Herrschaft schlafen gegangen ist, komme ich wieder und bleib' bei dir.«

Er sagte nichts mehr, aber die Mutter merkte, als sie ihm zum Abschied über das Gesicht streicheln wollte, dass ihm Tränen über die Wangen rollten.

Sie gingen eiligen Schritts heimwärts und als sie schon unweit des Hauses waren, am Scheideweg der beiden Fusspfade, von denen einer nach dem Gehöft der Winciorek führte, während der andere den Hügel hinanstieg und dann zu den Wirtschaftsgebäuden des Herrenhofs abfiel, sagte die Alte:

»Und wenn du ihn verrätst, Nastka, dann soll dir das der Herr Jesus selbst heimzahlen ...«

»Ich sollte Jaschek verraten, ich? Ich würd' doch ins Feuer für ihn gehen, ins Wasser würde ich mich von dem grössten Berg hinabstürzen ...« sie weinte laut auf.

»Na, sei ruhig, ... sei ruhig ... ich glaub' dir schon ... Und sieh bald zu ihm ein.«

Als einzige Antwort umfasste das Mädchen ihre Füsse.

»Ich gehör' Euch doch so zu, wie ein Hund.«

Die Alte umschlang ihren Kopf, und so verbanden sie sich einander auf Tod und Leben, indem sie ihre Tränen, ihr Fühlen und ihr Lieben vermengten.

»Lass' er sie denn heiraten, das Mädchen taugt was,« sann die Alte, während sie auf ihr Haus zueilte.


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