W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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Der Tod

Vater! hä, Vater! dass Ihr mir aufsteht, hört Ihr's? – Na, hebt Euch was, wird's bald!«

»O Gott! Maria! – äh!« stöhnte der rücksichtslos hin und her Geschüttelte. Aus dem Schafspelz tauchte sein Gesicht, ein eingefallenes, zerknülltes und tiefzerfurchtes Gesicht auf, das so grau war wie die Erde, die er so lange Jahre bearbeitet hatte, ein Kopf mit weissem Haar bewachsen, grau wie die Brachäcker des Spätherbstes. Seine Augen waren geschlossen, nur aus dem halboffenen bläulichen Munde mit den zerplatzten Lippen liess er keuchend die Zunge heraushängen.

»Aufstehen! Na!« schrie die Tochter.

»Grossväterchen!« wimmerte ein kleines Mädchen im Hemd, nur mit einer Beiderwandschürze bekleidet, die sie auf der Brust zusammengebunden hatte, und reckte sich auf den Zehenspitzen, um dem Alten ins Gesicht zu schauen.

»Grossväterchen!« sie hatte Tränen in den blauen Augen und Kummer in dem schmutzigen Gesichtchen. »Grossväterchen!« liess sie sich nochmals vernehmen und zupfte am Bettkissen.

»Wirst du hier fortkommen!« schrie die Mutter, griff ihr ins Genick und stiess sie gegen den Ofen.

»Verdammtes Hundevieh, raus!« brüllte sie, nachdem sie gegen die alte, halb erblindete Hündin gestolpert war, die das Bett beroch. »Raus mit dir! willst du mal schnell machen, du Aas!« und sie stiess das Tier mit solcher Gewalt mit ihrer Holzpantine, dass es umfiel und winselnd nach der geschlossenen Tür hinkroch. Die Kleine schluchzte am Ofen und rieb sich dabei in einem fort Nase und Augen mit den zusammengeballten Fäustchen.

»Vater, steht auf, solange ich es im guten sage!«

Der Kranke schwieg, sein Kopf war zur Seite gesunken, er röchelte immer mühsamer. Nicht viel Zeit blieb ihm zum Leben übrig.

»Steht auf, was denkt Ihr Euch, bei mir wollt Ihr hier verrecken? Dass Ihr das nicht erlebt. Geh zu Julina, du alter Hund, du! Ihr habt Julina den Boden gegeben, dann lasst sie Euch aushalten ... Na, wird's bald ... solange ich noch bitte ...«

»Oh, liebes Jesuskind! O Maria! ...«

Das von Schweiss und Qual nasse Gesicht verzog ein plötzlicher Krampf. Die Tochter riss mit jähem Ruck das Federbett von ihm herunter und warf ihn, nachdem sie den Alten um den Leib gefasst hatte, wütend halb aus dem Bett heraus, so dass er nur mit dem Kopf und mit dem Rücken auf dem Bett liegen blieb, bewegungslos wie ein Stück Holz und wie ein Stück Holz steif und dürr.

»Priester! ... Hochwürden! ...« murmelte er mitten aus dem Geröchel heraus.

»Ich geb' Euch was ... Euren Priester! Im Schweinestall sollst du verrecken, du Unrechttuer, wie ein Hund!« sie griff ihm stark unter die Arme, aber im selben Augenblick liess sie ihn wieder fallen und bedeckte ihn ganz mit dem Federbett, denn ein Schatten war am Fenster vorübergehuscht. Irgend einer kam auf das Haus zu.

Sie hatte kaum Zeit, die Füsse des Alten ins Bett zurückzustossen. Blau vor Wut begann sie grimmig das Federbett zurechtzuklopfen und das Bett zu ordnen.

Die Dyziakbäuerin betrat die Stube.

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit! ...« knurrte die andere zurück und schielte misstrauisch nach der Besucherin.

»Grüss' Gott, wie geht es Euch? Seid Ihr gesund? ...«

»Gott bezahl's ... es geht ...«

»Was macht der Alte? ist er gesund?«

Sie stampfte mit den Füssen an der Schwelle, um den Schnee von den Pantinen abzuklopfen.

»Eh! wie soll er gesund sein, der kann schon kaum den Atem von sich geben.«

»Gevatter! Na, er wird doch ... Gevatter!« sie beugte sich dicht über den Alten.

»Priester!« stöhnte der Kranke.

»Seht mal an, du liebe Not! Der hat mich nicht erkannt. Den Priester will der Arme. Der stirbt wohl schon, der Alte, ganz gewiss, das ist sicher, der macht es zu Ende ... Ihr lieben Leute ... du liebe Zeit! ... Na, wie denn, habt Ihr nach dem geistlichen Vater geschickt?«

»Hab' ich denn wen hinschicken?«

»Ihr werdet doch nicht die Christenseele ohne heilige Hilfe abscheiden lassen?«

»Allein kann ich ihn nicht dalassen und losrennen, und vielleicht wird er auch noch besser.«

»Hat sich was – hoho – hört doch, wie es dem Armen in der Brust klemmt? Das ist weiter nichts, als dass ihm die Eingeweide pfeifen – oder vielleicht die Gebärmutter sich zusammenzieht. Im vergangenen Jahr ist es gewesen, wie mein Walek so krank war ...«

»Meine Liebe ... lauft mal lieber nach dem Pfarrer, aber rasch, seht bloss ...«

»Ist schon recht, ist schon recht, der Arme sieht aus wie in seinem Letzten, man muss laufen, ich lauf schon, –« und sie zog die Schürze fester um den Kopf zusammen.

»Gott befohlen, Antkowa!«

»Geht mit Gott!«

Die Dyziakbäuerin ging hinaus, während die andere sich daran machte, die Stube in Ordnung zu bringen, sie kratzte den Schmutz von den Dielen, fegte ihn zusammen, streute die Stube mit Asche aus und begann die Töpfe zu waschen und in Reih' und Glied aufzustellen. Immer wieder umfasste sie mit einem gehässigen Blick das Bett, spuckte dabei aus, ballte die Fäuste und griff sich in verzweifelter Hilflosigkeit an den Kopf.

»Fünfzehn Morgen Land, die Schweine, drei Kühe, Hausgerät, Kleidung – die Hälfte davon – ganz gewiss – an die sechstausend wären es sicher! Herr du mein Gott!«

Und als hätte sie die Erinnerung an eine so grosse Summe Geldes aufgestachelt, scheuerte sie mit solcher Wut ihr Kochgeschirr, dass es in der ganzen Stube davon widerhallte; sie stellte darauf die Schüsseln mit lautem Gepolter nebeneinander auf ein Bord.

»Dass dich! ... dass dich! ...« und sie zählte laut weiter auf: »Die Hühner, die Gänse, die Kälber, so viel Hab und Gut! Und alles hat er dieser Metze verschrieben! Dass dich das letzte Elend, dass dich die Aaswürmer fressen hinterm Zaun für das an mir begangene Unrecht, für mein Waisentum!«

Sie sprang an das Bett heran, in höchster Wut und mit lautem Geschrei.

»Aufstehen!« und als sie sah, dass der Alte sich nicht rührte, fing sie an über ihm mit den Fäusten zu drohen und auf ihn einzukreischen.

»Zum Verrecken, da seid Ihr hier zu mir hergekommen, soll ich Euch noch vielleicht ein Begräbnis richten? einen neuen Kapottrock kaufen? So was denkt er. Kannst lange lauern! Das werdet Ihr nicht erleben. Wenn die Julina so eine Gute ist, dann mach' er, dass er zu ihr hinkommt. War ich das vielleicht, die Euch das Gnadenbrot geben sollte? Sie ist die Bessere – wenn Ihr schon einmal so ...«

Sie kam nicht zu Ende, denn die Schelle erklang und der Priester trat mit den heiligen Sakramenten in die Stube.

Die Antkowa neigte sich ihm zu Füssen, indem sie sich die Tränen der Wut aus den Augen wischte, und nachdem sie in einem abgestossenen Teller das Weihwasser zurechtgesetzt und den Weihwedel zurechtgelegt hatte, ging sie auf den Flur hinaus, wo schon einige Leute dastanden, die mit dem Priester gekommen waren.

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit ...«

»Was ist denn?«

»Ach nichts, verrecken ist er gekommen zu der Benachteiligten und will nicht verrecken! Oh, ich Arme, ich Arme!« sie fing an zu weinen.

»Das ist schon wahr, mit ihm geht's ans Faulen und Ihr habt noch zu leben,« entgegneten sie einstimmig und nickten mit den Köpfen.

»Macht das ein eigener Vater? ...« fing sie wieder an. »Haben wir, der Antek und ich, für ihn vielleicht weniger gesorgt, gearbeitet und geschuftet? Nicht ein einziges Ei habe ich verkauft, nicht ein Halbquart Butter, nur ihm in einem fort alles zugesteckt, das bisschen Milch noch habe ich der Kleinen vom Mund weggerissen und sie ihm gegeben, ist doch ein alter Mann und der Vater – und er hat dem Tomek alles verschrieben! Fünfzehn Morgen Land, das Haus, die Kühe, die Schweine, das Kalb und die Leiterwagen, und den ganzen Hausrat, ist das nichts! Oh, ich Unglückselige! Es gibt schon gar keine Gerechtigkeit mehr in der Welt, gar keine – Oh! Oh! ...«

Sie lehnte gegen die Wand und weinte laut vor sich hin.

»Weint nicht, Gevatterin, weint nicht. Der liebe Gott ist voll Erbarmen, aber nicht immer mit den Armen; er wird Euch noch einmal dafür belohnen,« sagte eins der Weiber.

»So eine Dumme, was hast du da unnütz herumzubellen. Was Unrecht ist, bleibt Unrecht. Der Alte wird sterben und das Elend wird bleiben,« wendete der Mann ein.

»Es ist schwer den Ochsen zu führen, wenn er nicht will die Beine rühren!« warf ein anderer nachdenklich hin.

»Ih ... wenn sich einer dran gewöhnt, dann hat er es selbst in der Hölle nicht so schlecht!« murmelte noch einer und spie bedächtig durch die Zähne aus.

Es wurde still in dem Menschenhäuflein. Der Wind rüttelte an der Tür und blies durch die Ritzen Schnee auf den Flur. Die Bauern standen nachdenklich da mit entblössten Köpfen und stampften vor Kälte mit den Füssen. Die Weiber, zu einer kleinen Gruppe zusammengedrängt, mit den Händen unter den Beiderwandschürzen, blickten geduldig-ergeben nach der Stubentür, hinter der man ab und zu die Stimme des Priesters und das leise keuchende Gemurmel des Kranken hörte.

Schliesslich gab der Priester das Klingelzeichen – sie traten, einer den anderen beiseite drängend, ein. Der Kranke lag auf dem Rücken mit dem Kopf tief in den Kissen; unter dem aufklaffenden Hemd sah man die gelbe mit weissem Haar bewachsene Brust. Der Priester neigte sich über ihn und legte die Oblate auf die herausgestreckte Zunge. Sie knieten alle nieder, sich kräftig auf die Brust schlagend, die Augen zur Decke emporgerichtet, dabei laut aufseufzend und schnaufend. Die Weiber neigten sich tief zu Boden und leierten vor sich hin: »Lamm Gottes, das die Sünden der Menschen ...«

Der Hund, durch das ständige Schellengeläut beunruhigt, knurrte drohend aus der Stubenecke.

Endlich war der Priester mit der Zeremonie der letzten Ölung fertig geworden und winkte die Tochter heran.

»Wo ist der Eurige, Antoniowa?«

»Wo sollte er sein, geistlicher Vater, wenn nicht auf Taglohn.«

Der Priester blieb eine Weile schweigend stehen, überlegte unschlüssig, sah die Versammelten an, hüllte sich fester in seinen eleganten Pelz, aber es wollte ihm nichts Passendes in den Sinn kommen, so nickte er denn nur mit dem Kopf einen Gruss und ging hinaus, indem er seine weisse, zarte Herrenhand den sich seinen Knien zuneigenden Bauern zum Kuss darreichte.

Sie gingen auch gleich allzusammen auseinander. Der kurze Dezembertag neigte sich schon seinem Ende zu. Es hatte aufgehört zu stürmen, aber dafür sank der Schnee in dichten, grossen Flocken nieder.

Ein abendliches Dämmergrau legte, sich über die Stube. Antkowa sass vor dem Herd, brach achtlos immer neue Zweige Reisig und warf sie nacheinander ins Feuer ...

Sie schien etwas zu überlegen, denn immer wieder blickte sie nach dem Fenster und aufs Bett. Der Kranke lag schon eine Weile ganz still da. Sie war sehr ungeduldig, sprang von ihrem Sitz auf und blieb, gespannt horchend und spähend, aufrecht stehen ... worauf sie sich wieder setzte.

Die Nacht senkte sich rasch über das Land. In der Stube war es fast dunkel.

Die Kleine schlummerte zusammengekauert am Ofen. Das Feuer flackerte schwach, mit seinem blassroten Schein die Knie der Dasitzenden und ein Stück des Fussbodens beleuchtend.

Der Hund begann aufzuwinseln und an der Haustür zu kratzen. Die Hühner auf der Leiter gackerten leise und langgezogen.

Es herrschte lautlose Stille in der Stube, eine feuchte Kälte stieg vom nassen Fussboden auf.

Die Antkowa erhob sich jäh von ihrem Platz, um durch das Fenster die Dorfstrasse abzuspähen; sie war menschenleer. Der Schnee fiel dicht, man konnte kaum ein paar Schritte etwas sehen. Sie blieb wie unschlüssig vor dem Bett stehen – dieses dauerte aber nur einen Augenblick, denn mit einemmal zog sie rauh und energisch das Federbett des Kranken fort und warf es aufs andere Bettgestell, ihm selbst griff sie aber unter die Arme und hob ihn hoch.

»Magda! Mach' die Tür auf.«

Magda sprang erschrocken auf, die Tür zu öffnen.

»Komm hierher – fass' bei den Füssen an.«

Magda umklammerte Grossvaters Füsse mit ihren kleinen Händchen und stand erwartungsvoll da.

»Na, vorwärts! hilf tragen! Glotz' nicht herum, hier wird getragen!« befahl sie noch einmal streng.

Der Alte war schwer, völlig bewegungslos und wie bewusstlos, er schien nicht zu begreifen, was mit ihm geschah. Sie hielt ihn fest und trug, oder besser gesagt, schleifte ihn mit sich, denn die Kleine war über die Türschwelle gestolpert und hätte dabei die Füsse des Alten fallen lassen, die nun im Schnee zwei tiefe Furchen nach sich zogen.

Die durchdringende Kälte musste den Kranken zur Besinnung gebracht haben, denn er begann schon auf dem Hof zu wimmern und abgerissene Worte vor sich hinzulallen:

»Ju-li-scha – oh – Gott – Iih ...«

»Schrei du noch, schrei – und wenn du dir dein Maul zerreissen solltest, es kommt doch niemand hierher.«

Sie hatte ihn durch den Hof geschleift, und nachdem sie mit dem Fuss den Schweinestall geöffnet hatte, schleppte sie ihn hinein und liess ihn neben der Türschwelle an der Wand fallen.

Die im Stall eingesperrte Sau mit ihren Ferkeln erhob sich und kam grunzend auf die Eintretende zu.

»Maluscha! Malu, malu, malu!«

Die Schweine kamen aus dem Stall heraus. Sie warf die Tür zu, kehrte aber gleich wieder in den Schweinestall zurück, schob dem Alten das Hemd auf der Brust auseinander, riss das Skapulier herunter und nahm es an sich.

»Verrecke, Pestiger!«

Sie stiess mit dem Holzschuh nach dem quer über ihrem Weg liegenden nackten Bein und trat hinaus.

Vom Flur aus sah sie sich nach den Schweinen um, die sich auf dem Hof tummelten.

»Maluscha, malu, malu, malu!«

Die Schweine rannten quiekend auf sie zu – sie brachte ihnen ein Mass Kartoffeln und schüttete sie ihnen hin. Die Muttersau machte sich gierig ans Fressen und die Ferkel reckten sich und begannen eifrig mit ihren blassrosa Rüsselchen nach der Mutterbrust zu suchen, indem sie mit den Köpfen auf die Sau einstiessen und an ihren Zitzen zerrten, bis zuletzt nur ihr schmatzendes Saugen hörbar wurde.

Die Antkowa zündete ein kleines Lämpchen über dem Herd an und riss, den Rücken gegen das Fenster gekehrt, das Skapulier auf. In ihre Augen kam ein jähes Leuchten, als eine Anzahl Banknoten und zwei Silbermünzen aus dem Säcklein zum Vorschein kamen.

»Er hat nicht umsonst geredet, dass er für das Begräbnis Geld hätte,« das Geld in einen Lappen wickelnd, steckte sie es in die Lade.

»Dieser Judas! Dass dich die ewige Blindheit trifft!«

Sie ging ans Aufstellen der Kochtöpfe und versuchte das Feuer anzufachen, das nur noch eben glimmte.

»Dass dich! nicht einen Tropfen Wasser hat der Lumpenbengel geholt,« sie trat vors Haus und begann zu rufen:

»Ignatz! He, Ignatz!«

In einer guten halben Stunde hörte man den Schnee draussen knirschen, eine geduckte Gestalt huschte am Fenster vorbei. Die Antkowa griff nach einem Holzstück und stellte sich an die Tür, die mit lautem Gepolter aufgerissen wurde; es kam ein kleiner, vielleicht neunjähriger Junge zum Vorschein.

»Du verpesteter Tagedieb, du! wirst hier im Dorf herumrennen und im Hause ist kein Tropfen Wasser!« sie griff ihn mit einer Hand und mit der anderen schlug sie auf das laut schreiende Kind ein.

»Mütterchen, ich werd' nicht mehr! Mütterchen, lasst los ... Muttärr ...«

Sie prügelte ihn lange und liess die ganze Wut an ihm aus, die sich im Laufe dieses Tages in ihr angesammelt hatte.

»Mutter! O jej! Du Heiliger! Hilfe! Sie schlägt mich tot!«

»Du Hund, du wirst mir hier herumlaufen und Wässer bringst du nicht, und Holz sammelst du auch keines, soll ich dich umsonst ernähren und mich mit dir herumsekkieren!« Sie prügelte immer heftiger.

Schliesslich riss er sich los, entkam durchs Fenster und schrie ihr mit tränenverquollener Stimme wütend zu:

»Dass dir deine Pfoten bis an die Ellbogen abfallen, du Hundemutter! Dass du verreckst, du Sau! ... Da soll erst der Kot ein Vogel werden, bis ich Euch Wasser holen werde,« und er rannte ins Dorf zurück.

In der Stube war es seltsam leer. Das Lämpchen über dem Kamin flackerte schwach. Die Kleine weinte vor sich hin.

»Warum heulst du?«

»Mütterchen ... oh ... oh ... der Grossvater ...« schluchzend schmiegte sie sich an die Knie der Mutter.

»Heule nicht, Dummes!«

Sie nahm sie auf den Schoss, und das Kind an sich drückend, begann sie es zu lausen. Die Kleine jammerte unverständliche Laute vor sich hin, ihr Gesichtchen glühte fieberhaft, sie rieb die Augen mit den kleinen Fäusten und schlief zuletzt, ab und zu noch aufschluchzend, ein.

Bald darauf kam der Bauer heim. Er war ein gewaltiger Kerl, in einen Schafspelz angetan und mit einem den Kopf dicht umschliessenden Baschlik, sein Gesicht war von der Kälte blau angelaufen, der reifbedeckte Schnurrbart gesträubt wie ein Besen. Er klopfte sich den Schnee von den Stiefeln, nahm den Baschlik zugleich mit der Mütze ab, stäubte den Schnee vom Pelz, schlug mit verfrorenen Händen gegen die Arme und liess sich, nachdem er die Bank ans Feuer gerückt hatte, schwer darauf nieder.

Die Antkowa nahm einen Tiegel mit Kohl von der Herdplatte und stellte ihn vor dem Mann auf den Tisch, und nachdem sie eine Schnitte Brot abgeschnitten hatte, reichte sie ihm diese mit dem Löffel zugleich. Der Bauer ass schweigend, als er aber seinen Kohl aufgegessen hatte, knöpfte er den Schafspelz auf, streckte die Beine von sich und sagte:

»Hast noch was zu essen?«

Sie reichte ihm den Rest der Grütze vom Mittagessen; er löffelte sie aus, nachdem er sich noch ein zweites Stück Brot hinzugeschnitten hatte, dann holte er aus der Tasche Tabak, drehte sich eine Zigarette, zündete sie an, warf Reisig aufs Herdfeuer und rückte näher heran; nach einer Weile erst sah er sich in der Stube um.

»Wo ist der Alte?«

»Wo soll er sein? Im Schweinestall ist er ...«

Er sah fragend nach ihr hin.

»Versteht sich, wird mir hier noch das Bett verliegen und das Bettzeug beschmutzen. Wenn er schon verrecken soll, dann lass ihn da um so schneller verrecken ... Hat er mir denn was gegeben, was brauchte er dann hierherzukommen! Soll ich noch sein Begräbnis bezahlen und ihm zu fressen geben. Wenn er jetzt nicht verreckt, und hart ist er wie 'n Hund, dann wird er fressen, dass Gott erbarm´! Nun, wenn er der Julina alles gegeben hat, dann lass sie an ihn denken, – das geht mich gar nichts an!«

»Ist nicht mein Vater und betrogen hat er uns, da lass ihn ... sieh mal so 'n Spekulant ...« Er zog den Zigarettenrauch ein, spuckte in die Mitte der Stube und verstummte.

»Wenn er uns nicht betrogen hätte, dann hätten wir ... wart' einmal ... fünf haben wir, und siebenundeinhalb ... macht ... fünf ... sieben ...«

»Zwölfundeinhalb. Das habe ich schon längst ausgerechnet, wir hätten ein Pferd halten können und drei Kühe ... Ah, Hundeschweiss ... so 'n Aas!« Er spuckte wütend aus.

Die Frau stand auf, legte die Kleine aufs Bett, nahm aus der Lade das Lappenbündelchen und steckte es dem Mann zu.

»Was ist das?«

»Sieh nach.«

Er entfaltete den Leinenlappen. Über sein Gesicht huschte ein Ausdruck von Gier, er beugte sich zum Feuerherd, verdeckte das Geld mit seiner ganzen Gestalt und zählte es einmal und noch einmal durch.

»Wieviel ist es?«

Sie kannte das Geld nicht.

»Vierundfünfzig Rubel.«

»Herrgott! so viel ...« ihre Augen leuchteten freudig auf, sie streckte die Hand aus und betastete liebkosend die Geldstücke.

»Woher hast du es?«

»Ha, na – woher? denkst du nicht daran, wie mir der Alte schon voriges Jahr davon geredet hat, dass er genug fürs Begräbnis hatte.«

»Das ist schon recht – darüber hat er geredet.«

»Im Skapulier hatte er es eingenäht, ich hab' es ihm abgenommen, was sollen sich heilige Sachen im Schweinestall herumtreiben, eine Sünde wär' das, und durch den Stoff habe ich gleich das Silbergeld herausgefühlt, da hab' ich denn das losgerissen und mitgenommen. Das gehört uns doch, hat er uns vielleicht nicht benachteiligt?«

»Das ist die richtige Wahrheit. Das gehört uns, wenigstens dieses Bisschen ist uns zurückgekommen. Leg' es zu dem anderen Geld, das kommt uns gerade zupass. Der Smoletz hat mir erst gestern darüber geredet, dass er sich tausend Gulden borgen möchte, er wollte uns dafür als Prozent seine vier Morgen Ackerland am Wald zur Bewirtschaftung hergeben.«

»Reicht es denn jetzt?«

»Es wird gewiss reichen.«

»Wenn der Winter vorüber ist, würdest du dann säen? ...«

»Würd' ich – und sollte es nicht reichen, dann wird man das Mutterschwein verkaufen, vielleicht auch mit den Ferkeln zusammen, aber borgen muss man ihm das Geld. Und dann,« fügte er hinzu, »zurückgeben wird er es nicht können, das weiss man doch. Einen Kontrakt beim Notar muss man machen, dass, wenn er in fünf Jahren nicht bezahlt, der Grund und Boden mein ist.«

»Kann das so sein?«

»Versteht sich. Hat der Dumin vielleicht auf andere Weise dem Dyziak seinen Acker abgekauft? ... Steck' es weg und das Silbergeld kannst du dir nehmen, kaufst dir was dafür. Wo ist denn der Ignatz?«

»Der ist wieder irgendwo hingelaufen. Ha, no, kein Wasser ist nicht da, alles sackt weg ...«

Der Bauer stand schweigend auf, machte sich beim Vieh zu schaffen, ging aus und ein, trug Holz in die Stube.

Unterdessen kochte auf dem Herd das Abendessen, Ignatz schlich behutsam in die Stube, niemand sprach mit ihm. Sie schwiegen alle und fühlten sich seltsam beunruhigt. Von dem Alten wurde nicht geredet, als hätte er niemals gelebt.

Antek dachte an seine fünf Morgen, die er schon ganz sicher als sein Eigentum betrachtete, dabei kam ihm auf Augenblicke der Alte in Erinnerung, dann wieder die Sau, die er die Absicht gehabt hatte abzuschlachten, wenn sie die Ferkel grossgesäugt hätte – und immer wieder spie er aus, wenn seine Augen das leere Bett streiften, als müsste er ein unfreundliches Bild verscheuchen. Es quälte ihn etwas, das Abendbrot konnte er kaum zu Ende essen und gleich darauf legte er sich schlafen. Er warf sich unruhig im Bett hin und her, die Kartoffeln mit dem Kohl, die Grütze, das Brot lagen ihm schwer im Magen, aber er überwand alles und schlief ein.

Die Antkowa öffnete, nachdem schon alle eingeschlafen waren, leise die Tür zur Kammer und holte unter den dort liegenden Flachsbündeln ein in einen Leinenlappen eingewickeltes Bündel Papiergeld heraus, um das neue hinzuzutun. Lange legte sie die Scheine zurecht, faltete sie auseinander, glättete und besah sie, bis sie sich an dem Anblick ihres Geldes gesättigt hatte, das Licht auspustete und zu ihrem Manne ins Bett kroch.

Der Alte war indessen gestorben. Der Schweinestall, ein elender, mit Reisig gedeckter Schuppen, der aus Latten und Holzknütteln nachlässig zusammengezimmert war, liess durch alle Ritzen Wind und Wetter eindringen.

Niemand hörte es, wie der Alte mit einer von tiefster Verzweiflung durchzitterten Stimme in seiner Hilflosigkeit um Rettung flehte. Niemand sah es, wie er bis an die verschlossene Tür gekrochen war und unter furchtbarster Anstrengung sich aufzurichten versuchte, um sie zu öffnen. Er fühlte in sich den Tod, spürte, wie er an ihm von den Fersen aus hochkroch und die Brust wie in einen eisernen Reif presste, um sie mit furchtbaren Krämpfen zusammenzuschnüren, seine Kiefer verbissen sich immer fester ineinander, bis er nicht mehr imstande war, sie aufzutun, um einen Schrei hervorzustossen. Seine Adern wurden hart und starr wie Eisendrähte.

Er bäumte sich nur noch schwach auf, bis er zuletzt mit Schaum auf den Lippen und mit dem Ausdruck von Entsetzen in den verglasten Augen und einem wie zu einem Schrei durch die Qual des Erfrierens verzerrten Gesicht an der Türschwelle zusammenbrach. So blieb er liegen.

Am nächsten Morgen, ehe es noch Tag zu werden begonnen hatte, standen Antek und seine Frau auf. Sein erster Gedanke war – nachzusehen, was mit dem Alten geschehen war.

Er ging hin, doch die Tür zum Schweinestall wollte sich nicht öffnen. Der Leichnam lag quer davor und versperrte sie von innen wie ein vorgelegter Holzklotz; mit Mühe schob Antek schliesslich die Tür so weit zurück, dass er ins Innere schlüpfen konnte, aber sofort kehrte er angsterfüllt wieder um. Er wusste nicht, wie rasch er den kleinen Hof durchquert hatte, um ganz verwirrt und vor Entsetzen fast besinnungslos ins Haus zu flüchten. Er begriff nicht, was mit ihm geschehen war: sein ganzer Körper bebte wie im starken Fieber und schwer atmend blieb er an der Türe stehen, ohne auch nur ein Wort hervorpressen zu können.

Die Frau betete gerade mit der kleinen Magda. Sie wandte ihren Kopf dem Manne zu mit einer Frage in den Augen.

»Dein Wille geschehe ...« betete sie gedankenlos vor sich hin.

»Dein Wille ...«

»... geschehe ...«

»... geschehe ...« wiederholte das kniende Kind wie ein Echo.

»Na, ist er tot?« warf sie darauf dem schweigenden Mann hin.

»... wie im Himmel ...« fuhr sie fort.

»... wie im Himmel ...«

»Versteht sich, er liegt quer vor der Tür,« gab er leise zurück.

»... so auf Erden.«

»... so auf Erden.«

»Er kann doch aber nicht da liegen bleiben, die Leute könnten sagen, dass wir ihn mit Absicht haben erfrieren lassen, das wäre noch ...«

»Was willst du mit ihm machen?«

» Was soll ich wissen! irgendwas müsste man schon ... wenigstens vielleicht herüberbringen? ...«

»Sieh einer, hierher diesen ... Lass ihn verfaulen, wenn ...«

»Dumm bist du, man muss ihn doch beerdigen.«

»Und noch für ein Begräbnis zahlen? ...«

»Und erlöse uns vom Bösen ... was hast du denn da mit deinen Glotzen zu blinzeln! ... bete weiter ...«

»... erlöse ... uns ... vom Bösen ...«

»An das Zahlen denk' ich nicht, denn der Gerechtigkeit nach muss Tomek alles bezahlen.«

»... Amin! ...«

»... Amin ...«

Sie bekreuzigte die Kleine, wischte ihr die Nase mit der Hand und trat auf den Mann zu.

»Man muss ihn hinüberbringen,« flüsterte er.

»Ins Haus! Hierher?«

»Wo denn sonst?«

»Auf die andere Seite, man führt das Kalb hinaus und legt ihn auf die Bank, lass ihn dort Parade liegen – wenn er so einer gewesen ist.«

»Monika!«

»He?«

»Man müsste ihn halt hinüberbringen ...«

»Dann hol' ihn.« »Versteht sich ... aber ...«

»Hast wohl Angst?«

»Dumme! ... hundsverdammt ...«

»Was denn sonst?«

»Drin ist es dunkel und dann ...«

»Wenn es Tag wird, könnte es noch einer merken.«

»Gehen wir beide.«

»Geh, wenn du Lust hast.«

»Gehst du, du Hundeaas, oder nicht?« schrie er auf sie ein. »Dein Vater ist es doch,« fügte er hinzu und ging hinaus.

Die Frau folgte ihm schweigend.

Als sie in den Schweinestall getreten waren, hauchte sie ein Entsetzen wie der Odem des Leichnams an. Der Alte lag kalt wie Eis und ganz steif da; die eine Körperhälfte war an den Boden festgefroren, sie mussten ihn mit Gewalt losreissen, ehe sie ihn über die Schwelle auf den Hof hinausschleppen konnten.

Die Antkowa begann am ganzen Leibe vor Grauen zu beben, so furchtbar sah der Alte im Dämmer des grauen Frühlichts auf der weissen Schneedecke aus mit seinem qualverzerrten Gesicht, seinen weit aufgerissenen Augen, der heraushängenden Zunge und den fest zusammengebissenen Zähnen. Er war ganz blau angelaufen und über und über mit Mist beschmutzt, der an ihm festgefroren war. Das Hemd reichte ihm nur bis an die Knie und entblösste seine langen, dürren, schwarz angelaufenen Beine. Er machte einen grauenhaft widerwärtigen Eindruck.

»Fass' an,« murmelte der Mann und beugte sich über den Toten. »Ist das kalt.«

Ein eisiger Wind, wie er nur vor Sonnenaufgang zu wehen pflegt, blies ihnen ins Gesicht und fegte den Schnee von den Baumästen, die mit trockenem Knistern ihre Zweige schaukelten. Hier und da funkelten noch die Sterne auf dem bleiernen Himmelsgrund. Vom Dorf her klang das Knarren der Ziehbrunnen zu ihnen herüber und die Hähne krähten, als sollte es Witterungswechsel geben.

Antkowa schloss die Augen und griff durch die Schürze nach den Füssen des Alten – sie konnten ihn kaum hinübertragen, so schwer war er. Kaum dass sie ihn auf der Bank zurechtgelegt hatten, flüchtete sie in die Wohnstube und warf einen Leinenlappen zum Bedecken des Leichnams zur Türe hinaus.

Die Kinder waren mit dem Schaben der Kartoffeln beschäftigt. Sie wartete ungeduldig an der Tür auf ihren Mann.

»Komm doch endlich – Herrgott, so lange ...«

»Man muss einen besorgen, der ihn abwäscht,« meinte sie, das Frühstück zurechtmachend, nachdem er wieder zurückgekehrt war.

»Ich werde den Taubstummen rufen.«

»Geh heute nicht zur Arbeit.«

»Gehen? ... nee, versteht sich ...«

Sie redeten nicht mehr miteinander. Sie frühstückten ohne besondere Esslust, obgleich sie gewöhnlich einen vier Liter grossen Eisentopf leer assen.

Über den Flur schlichen sie nur mit eiligen Schritten, ohne nach der anderen Hausseite hinüberzublicken.

Etwas bedrängte sie, aber was es war, das wussten sie nicht; es war keine Reue, eher vielleicht die Angst vor dem Leichnam, vor dem Tode, die sie schüttelte und ihnen den Mund verschloss.

Als es richtig Tag geworden war, holte Antek den Dorftaubstummen herbei, welcher den Toten abwusch, ankleidete und ihm zu Häupten eine Totenkerze ansteckte.

Antek machte sich darauf auf den Weg, den Pfarrer und den Schulzen zu benachrichtigen, dass der Vater gestorben sei und er selbst, da er kein Geld hätte, das Begräbnis nicht auf sich nehmen könnte. »Lass den Tomek ihn auch beerdigen, wenn er alles genommen hat.«

Im Dorf verbreitete sich in einem Nu die Nachricht von dem Tode des Alten. Die Leute fanden sich alsbald in kleinen Häufchen ein, die Leiche zu sehen, ein Totengebet zu murmeln, die Köpfe zu schütteln und schliesslich fortzugehen, um den anderen die Neuigkeit zu berichten.

Gegen Abend erst erklärte sich Tomek, der andere Schwiegersohn des Verstorbenen, unter dem Druck der öffentlichen Meinung bereit, das Begräbnis auf sich zu nehmen.

Am dritten Tage, kurz vor der Beerdigung, erschien Tomeks Frau bei den Anteks.

Im Flur stiess sie Nase auf Nase auf die Schwester, die gerade dabei war, in einem kleinen Zuber Drank für die Kühe hinauszutragen.

»Gelobt sei Jesus Christus!« murmelte sie als erste, und fasste eilig nach dem Türgriff.

»Sieh mal einer die an! Judasseele!« die Antkowa setzte rasch den Zuber hin: »ist hier zum Spionieren hergekommen. Hast du den Alten so laufen lassen dürfen, was? Hat er euch nicht alles verschrieben? Du Metze, du! wagst noch hierherzukommen? willst vielleicht noch den Rest der Lumpen wegtragen, die er zurückgelassen hat, was?«

»Einen neuen Kapottrock hab' ich ihm zu Pfingsten gekauft, den kann er, versteht sich, anbehalten – aber wegen dem Schafspelz, den nehme ich wieder an mich, weil er mir für meinen blutigen Arbeitsschweiss zukommt,« entgegnete die Tomkowa ganz ruhig.

»Du wirst ihn nehmen? du räudiges Aas! nehmen!« schrie die Antkowa. »Ich geb' dir gleich was, gleich sollst du was haben ...« und sie sah sich um, als suchte sie nach einem Gegenstand, mit dem sie auf die andere einschlagen könnte.

»Nehmen willst du? Sieh mal an ... Geschmeichelt habt ihr ihm, um den Bart gestrichen habt ihr ihm, dass er völlig dumm geworden ist, zu meinem Schaden hat er euch alles verschrieben und dann ...«

»Alle wissen doch, dass wir das Land gekauft haben, es ist bei Zeugen aufgeschrieben worden ...«

»Gekauft habt ihr! Sieh mal an, gekauft! Und du bist nicht bange, Gott in die lebendigen Augen hinein zu lügen? Gekauft habt ihr! Betrüger seid ihr, Diebe, Hundevolk! Habt ihm das Geld gestohlen, und dann was? hat er nicht aus dem Trog fressen müssen? hat es Adam vielleicht nicht mitangesehen, wie der Alte die Kartoffeln aus dem Trog fressen musste, ha? Im Kuhstall habt ihr ihn nächtigen lassen, weil er euch stank, weil er euch das Fressen verleidete! Für fünfzehn Morgen Land habt ihr ihm ein solches Altenteil gegeben! Für so viel Hab und Gut, ha? Und hast du ihn nicht noch dazu geschlagen, du Schwein, du Affe!«

»Halt das Maul, sonst geb' ich dir eins darauf, dass du was merken sollst, du Sau, du Metze!«

»Schlag zu, schlag zu, du Bettelweib!«

»Ich, Bettelweib?...«

»Ja, du! du! Am Zaun hättest du verrecken können wie eine Hündin, die Läuse hätten dich aufgefressen, wenn der Tomek dich nicht geheiratet hätte.«

»Ich, Bettelweib! Oh, du verfluchtes Aas!«

Sie sprangen aufeinander zu, griffen sich nach den Haaren und zerrten einander hin und her auf dem engen Flur, wobei sie mit vor Wut ganz heiseren Stimmen aufeinander einkreischten.

»Du Soldatendirne! Du Herumtreiber! Da hast du eins! Da hast du's! Das ist für meine fünfzehn Morgen, für all das Unrecht, das du mir angetan hast, du Schmutzlappen!«

»Um Gottes willen, Frauen! lasst nach, das ist die reine Sünde und Schande,« riefen die anderen Frauen.

»Lass mich los, du Pestige, lässt du mich los!«

»Ich werd' dich zu Tode schlagen, ich reiss' dich in Stücke, du Dreckaas!«

Sie stürzten zu Boden, schlugen wild kreischend und aufheulend aufeinander ein, wohin sie trafen, und wälzten sich in dem Spülwasser, das aus dem umgestossenen Zuber floss. Die Wut benahm ihnen die Rede, sie röchelten schliesslich nur und schlugen aufeinander ein.« Kaum dass die Männer sie voneinander abbringen konnten. Sie sahen rot, zerkratzt, mit Schmutz besudelt und zerzaust wie Hexen aus, ihre Wut kannte keine Grenzen mehr. Sie fluchten, sprangen aufeinander zu, bespien sich und schrien zusammenhanglose Worte. Man trennte sie abermals, denn sie wollten einander noch einmal zu Kopfe steigen.

Die Antkowa begann vor lauter Zorn und Erschöpfung krampfhaft zu schluchzen, raufte sich das Haar und klagte laut.

»Oh, Jesus! Du mein liebes Jesulein! Oh, Maria! Dass dich Pestige ... Oh, mein Gott! Diese Heiden, diese Gottverfluchten! ... Oh! Oh! ...« sie brüllte dieses laut, an der Wand kauernd.

Die Tomkowa schimpfte und fluchte indessen vor dem Haus und stiess dabei mit den Stiefelabsätzen gegen die Haustür.

Die Leute hatten sich in Häufchen geteilt und berieten sich unterdessen, im Schnee herumstehend und vor Kälte von einem Fuss auf den anderen tretend. Die Frauen drückten sich wie rote Flecke gegen die Hauswand und pressten die Knie fest zusammen, denn ein durchdringender, kalter Wind blies auf sie ein. Sie unterhielten sich halblaut und sahen ab und zu auf die Dorfstrasse, die zur Kirche führte, deren Türme sich klar durch die nackten Äste abzeichneten.

Immer wieder trat einer zum Verstorbenen ein, oder es kam irgendwer heraus. Durch die angelehnte Haustür blitzten die Flämmlein der gelben Kerzen, die der Luftzug sich länger recken liess, und ab und zu wurde blitzartig das scharfe Profil des im Sarge Ruhenden sichtbar.

Der Duft von Wacholder, mit den Worten der Totengebete und dem Grunzen des Taubstummen vermengt, drang bis auf den Hof hinaus.

Endlich erschien der Priester mit dem Organisten.

Man trug den weissen Kiefernsarg hinaus und hob ihn auf den Wagen. Die Weiber stimmten ihre übliche Totenklage an und der ganze Zug setzte sich unter Singen durch die langgereckte Dorfstrasse auf den Friedhof zu in Bewegung.

Der Priester hatte die ersten Worte des Totenliedes zu singen begonnen und schritt an der Spitze eilig aus mit seinem schwarzen Barett auf dem Kopf; über das weisse Chorhemd, dessen Seidenbänder im Winde knisterten, hatte er einen dicken Pelz geworfen ... Ab und zu nur streute er die gedämpften, wie eingefrorenen Worte des lateinischen Liedes aus und liess seine gelangweilten, ungeduldigen Blicke in die Ferne schweifen.

Der Wind riss an der schwarzen Fahne, und die darauf gemalten Himmel und Hölle schwankten hin und her, nach allen Seiten flatternd, als blickten sie nach den Bauernhäusern zuseiten des Weges, vor denen ein Haufen Weiber in roten Tüchern auf dem Kopf und Bauern barhäuptig standen.

Alle verneigten sich andachtsvoll und schlugen sich auf die Brust, nachdem sie sich bekreuzigt hatten.

Die Hunde kläfften wütend hinterdrein aus den Heckenwegen und einzelne sprangen auf die Steinmauern und heulten langgezogen.

Durch die Fensterscheiben guckten neugierig kleine, schmutzige Kinder und zahnlose, verrunzelte, wie Brachfelder im Herbst verbrauchte Greisengesichter. Ein Häuflein Jungen in Leinwandhosen und dunkelblauen Jacken mit Messingknöpfen, die blossen Füsse in Holzklumpen, ging, das Bild der Hölle auf der Fahne anstarrend, neben dem Priester her und wiederholte mit leisen, fröstelnden Stimmchen den Grundakkord des Gesanges: a! o! ... und sie hielten ihn, solange der Organist nicht in eine andere Tonart überging.

Ignatz schritt ganz an der Spitze des Zuges stolz aus, hielt mit einer Hand die Fahnenstange und sang am lautesten von allen. Er war ganz rot vor Anstrengung und Kälte geworden, liess aber nicht nach, als müsste er zeigen, dass er allein das Recht dazu hatte, denn er brachte doch den Grossvater zu Grabe.

Sie kamen aus dem Dorf hinaus. Der Wind warf sich Antek entgegen, dessen Riesengestalt alle überragte, sein Haar flatterte auf, er merkte es aber nicht, so sehr war er mit den Pferden und dem Halten des Sarges beschäftigt, der bei jedem ausgefahrenen Loch der Landstrasse bedrohlich zu wackeln begann.

Dicht hinter dem Wagen gingen die beiden Schwestern, Gebete vor sich hinmurmelnd und einander mit funkelnden Blicken messend.

»Tsutsu! Willst du machen, dass du nach Hause kommst! Marsch nach Hause, du Hundeaas!« einer aus dem Trauergefolge bückte sich, als wollte er nach einem Stein greifen.

Der Hund, der vom Totenhaus her dem Wagen folgte, winselte auf, klemmte den Schwanz zwischen die Beine und flüchtete eiligst hinter einen Steinhaufen am Wege, und als der Zug schon etwas weiter war, holte er ihn, einen Halbbogen beschreibend, ein und schlängelte sich an die Pferde heran, um sich ängstlich den Dahinziehenden wieder anzuschliessen.

Die lateinischen Gesänge waren verstummt. Die Weiber stimmten mit schrillen Stimmen die Worte des alten Kirchenliedes an:

»... Wer treu sich in den Schutz des Herrn begibt!...«

Das Singen breitete sich nur zaghaft aus: der Wind und der Schnee, der wild durcheinanderzuwirbeln begonnen hatte, wollten ihn nicht aufkommen lassen. Es dunkelte rasch.

Von den weissen, wie eine Steppe unübersehbaren Feldern her, die ab und zu durch kahle Baumgerippe gekennzeichnet waren, fegte der Wind ganze Schneewolken heran und peitschte mit ihnen auf das Häuflein Menschen ein.

»... Und ihn mit ganzem Herzen ehrt und liebt ...« zwängten sich durch den Schneesturm hindurch die Worte des Liedes, übertönt vom Pfeifen der Windsbraut und einem öfteren, kräftigen Zuruf Anteks, dem die Kälte stark zusetzte:

»Wjoh! wjoh! Vorwärts, Kleine!«

Auf der Landstrasse begannen sich schon stellenweise von den Steinhaufen und Baumstämmen aus lange Querwehen in der Art riesiger Keile zu bilden.

Das Lied riss immer wieder ab, denn die Leute schauten sich ängstlich um und versuchten mit prüfenden Blicken den endlosen, weissen Raum zu durchdringen, der mit einem dumpfen Knistern, und immer wieder unter den Streichen des Sturmes aufheulend, hin und her wogte, sich zu gewaltigen Wällen türmte, wie eine anprallende Woge zerstob, oder wie eine Brandung herangerollt kam, sich überstürzte und auf die Gesichter des Trauergefolges mit tausenden und abertausenden spitzen Nadeln wütend einstach.

Der grösste Teil der hinter dem Sarge Gehenden kehrte in der Befürchtung eines noch stärkeren Schneesturms auf halbem Wege um, der Rest aber erreichte in höchster Eile, fast schon laufend, den Friedhof. Sie erledigten ihre Sache rasch, die Grube wartete schon, sie sangen noch etwas, der Priester besprengte den Sarg mit Weihwasser, hartgefrorene Erdklumpen mit Schnee polterten über den Sargdeckel und die Leute eilten hinweg.

Tomek lud die Teilnehmer zu sich ein: »denn der geistliche Vater hat gesagt, dass die Sache ganz gewiss sonst nicht ohne Gotteslästerung in der Schenke ihr Ende finden würde.«

Antek liess als Antwort auf diese Aufforderung einen Fluch durch die Zähne fahren, dann wandten sie sich zu vieren, denn sie hatten den Smoletzbauer und ihren Ignatz mitgenommen, der Schenke zu.

Sie tranken fünf Quart Schnaps mit Fettigkeit, assen drei Pfund Wurst dazu und beredeten sich über die Anleihe.

Die Wärme und der Schnaps hatten Antek schon ganz umnebelt, als er die Schenke verliess; er torkelte recht bedrohlich. Die Frau griff ihm fest unter den Arm: so gingen sie heimwärts.

Der Smoletzbauer war zurückgeblieben, um auf die in Aussicht stehende Anleihe hin noch einen zu trinken. Der Ignatz aber rannte eiligst voraus, weil es ihn grimmig fror.

»Siehst du, Mutter, – die fünf Morgen sind mein! aha! mein sind sie, siehst du! und im nächsten Herbst werde ich darauf Weizen und Gerste säen und zum Frühjahr Kartoffeln pflanzen ... sie sind mein.«

»Und sagst zu deinem Gott, du bist mein Trutz!« begann er plötzlich drauflos zu singen.

Der Schneesturm war ein einziges Heulen und wütendes Rasen.

»Still, sei doch still! Du fällst noch um, das wird das Ganze sein! ...«

»... Von seinem Engel lässt er dich betreuen ...« er verstummte plötzlich mitten im Singen. Die Wurst machte ihn aufstossen. Es wurde stockfinster, der Schneesturm hatte einen solchen Grad von Raserei erreicht, dass auf zwei Schritt nichts mehr zu sehen war. Ein ins Riesenhafte angewachsenes Sausen und Pfeifen gellte um sie herum und ganze Berge Schnee rasten auf sie ein.

Aus der Behausung der Tomeks schlugen Totenfeiergesänge und lautes Stimmengewirr an ihr Ohr, als sie vorüberkamen.

»Diese Heiden! diese Diebe! wartet nur! ich werd' euch meine fünf Morgen eintränken; und dann werd' ich zehn haben, nichts könnt ihr mir tun! Hundegesindel! aha, seht ihr? Arbeiten werde ich, schuften werde ich, aber kriegen tue ich sie, ich werde sie haben; wir schaffen es, Mutter, nicht wahr?« er hämmerte mit der Faust gegen seine Brust und liess die schnapstrüben Augen rollen.

So redete er noch eine Weile weiter, kaum aber hatten sie das Haus betreten, als ihn die Frau nach dem Bett schleppte, wo er wie tot niederfiel, aber er schlief noch immer nicht, denn mit einemmal begann er zu gröhlen:

»Ignatz!«

Der Junge trat heran, jedoch mit Vorsicht, damit ihn nicht zufällig der väterliche Fuss erreichen konnte.

»Ignatz! du Hundeaas, Ignatz! Ein Hofbauer wirst du sein, kein Lump, kein Professiant!« schrie er und schlug mit der Faust gegen das Bett.

»Die fünf Morgen sind mein, mein! aha! Deutsche Schlauköpfe!»Deutsche Schlauköpfe«, der polnische Bauer gebraucht das Wort »Deutscher« – »Niemiec« (»Niemiec«) als Bezeichnung für Ausländer und Ketzer überhaupt, zugleich aber auch als Verkörperung der Schlauheit und Gerissenheit. Hunde ... hundsver ...«

Er war eingeschlafen.


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