W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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Entwurzelt

»Wawschon! steh doch auf, hast dich vollgesoffen und wirst hier wie ein Gnädiger herumschlafen, und ich weiss mir schon gar keinen Rat mehr vor lauter Arbeit. Raphael soll doch gleich vorfahren, jeden Augenblick kann er hier sein, na!«

Sie begann den Mann, der in der Stubenecke auf einem Haufen Stroh lag, das man aus den Bettstellen herausgezerrt hatte, derb zu schütteln.

»Geh weg, Frau, das sag' ich dir,« knurrte Wawschon zornig und drehte sein Gesicht der Wand zu.

»Man muss doch noch alles vors Haus tragen, dann wird es später leichter sein, die Sachen auf den Wagen zu laden. Das Korn ist noch nicht in den Sack geschaufelt, die Kartoffeln muss man aus dem Schuppen rausholen, soviel Arbeit, dass Gott erbarm', mir fallen schon fast die Füsse ab, und der Kerl schläft hier herum, anstatt einem zu helfen. Wawschon! ...« schrie sie, wütend auf den Liegenden zuspringend, »stehst du nicht gleich auf, so hau' ich dir eine runter, dass du's gewahr wirst!«

»Frau, ich sag' es dir im guten, geh da weg,« entgegnete er weich, legte sich auf den Bauch, streckte den Kopf ins Stroh und blieb so unbeweglich liegen, ohne auf die Klagen und das Geschrei der Frau zu achten.

»O du mein Gott, ich arme Waise, ich Arme! Soviel Gutes habe ich mit dem Mann erlebt, dass ich jetzt aufs Kätnerleben angewiesen bin, wie gewöhnliches Bettelvolk, bei diesem Wetter, wo es einem selbst leid tut, einen Hund aus der Stube zu jagen! Eine Hofbauerntochter soll zu den Leuten auf Taglohn gehen, wie Lumpenpack oder Herumstreicher! Du lieber Gott!« klagte die Wawschonowa weiter und nahm dabei die Heiligenbilder von den Wänden, bedeckte ein jedes mit einer Beiderwandschürze und trug sie so vors Haus hinaus unter den Dachvorsprung. Sie blieb auf der Schwelle stehen und blickte auf die vor Regenpfützen gleissende, aufgeweichte Fahrstrasse, die quer durch den neuen Waldhau führte, welcher sich im weiten Umkreis um die Hütte dehnte, um die Reisighaufen und mächtige Holzstösse aufgestapelt lagen. Sie sah hinaus, ob Raphael nicht käme, der ihre Habseligkeiten ins Dorf hinüberschaffen sollte; aber auf dem Weg war nichts zu sehen ausser den bläulichen, tief herabhängenden Nebelschwaden und den grossen Regenpfützen. Ein feiner, kalter, durchdringender Regen rieselte ununterbrochen vom Himmel herab. Sie seufzte schwer auf, schneuzte sich laut, liess einen wehmutsvollen Blick durch die Behausung gehen, aus der sie gezwungen waren alsbald auszuziehen, und ging auf die andere Hausseite, um nach der Kuh zu sehen, die mitten im Stall stand, denn man hatte schon die Krippe und die Raufe vors Haus getragen, wo auch eine alte gelbe, mit feuerroten Blumen bemalte Schatulle stand mit blau angestrichenen, hinter Scheiben sichtbaren Borten, neben ihr bildeten Bänke, Holzstühle, ein kleines Tischchen mit einem schwarzen, von einem Rosenkranz ganz umwundenen Kruzifix ein wirres Durcheinander; Holzeimer, gefüllte Kartoffelsäcke, mit einem Strick verschnürte Heubündel lagen umher; zwei Bettstellen, ein Bort und eine Menge anderen Gerümpels türmten sich zu einem bunt zusammengewürfelten Haufen auf. Eine grosse, borstige, gefleckte Muttersau lag auf dem Boden, mit einem Hinterbein an einen jungen Eichbaum gebunden, der dem Fenster gerade gegenüberstand; sie grunzte schwer, denn die rosigen Ferkel sogen an ihren Zitzen und stiessen dabei auf sie ein.

»Grauchen! Meine Siwula!« murmelte die Frau, indem sie der Kuh liebkosend über den haarigen Hals strich. Die Siwula streckte den Kopf vor und begann ihr mit der scharfen Zunge über die bis an die Schultern nackten Arme zu lecken. Tränen umflorten die Augen der Wawschonowa, sie riss sich von der Kuh los und trat auf den Hausflur.

»Kutzusch! Ku–tzu, Ku–tzu!« begann sie die Hühner zu locken, die in einer Reihe auf dem Zaun sassen, warf ihnen eine Handvoll Korn als Lockfutter zu, griff sie dann nacheinander, band ihnen die Flügel zusammen und setzte sie in einen Kober nebeneinander. Sie sah wieder hinaus. Auf einem Fusspfad, von dem in der Ferne liegenden Dorf, das man durch den Nebeldunst und Regenflor kaum sehen konnte, kam eine Frauengestalt auf den Hau zu.

»Maryscha! beeil' dich!« schrie sie dem Mädchen entgegen und drohte der sich eilig Nähernden mit der Hand.

Maryscha kam barfuss, ganz in ihre Beiderwandschürze eingemummt, dass man nur ein Stückchen des vor Kälte blauen Gesichts sehen konnte, hereingerannt und holte unter dem Rock eine Flasche Schnaps, drei Reihen Semmeln und ein ansehnliches Stück einer roten Wurst hervor.

»Wo hast du so lange gesteckt! In den Häusern hast du herumgetrödelt, du ...«

»Hat sich was, lange gesteckt ... lange gesteckt ... So ein Stück Wegs, dass ich mich wie ein Hund abgejagt habe, und die Mutter sagen, dass es ihr zu lange gewesen. Hätte sie selber gehen sollen, oder der Vater vielleicht,« – verteidigte sich das Mädchen mit kläglicher Stimme, rieb dabei einen Fuss gegen den anderen und hauchte auf die vor Kälte blauen Hände.

»Hale! wirst mir hier noch deine Weisheiten bellen, du Weichselzopf!« sie versetzte dem Mädchen einen Faustschlag in den Rücken.

Maryscha hockte sich vor dem Herd nieder, auf welchem die Reste des Feuers glimmten, und fing an zu weinen, während sie sich ununterbrochen die Hände über den Kohlen wärmte. Die Mutter trug indessen den Rest des Geräts vors Haus, sah immer wieder auf die menschenleere Fahrstrasse hinaus, knallte mit den Türen oder versetzte ganz verärgert dem alten, grauen, wolfähnlichen Hund einen Fusstritt, welcher in einem fort alle Winkel beschnüffelte und sich mit herabhängendem Schwanz missmutig überall in der Stube zu schaffen machte, ohne einen richtigen Platz finden zu können.

Eine völlige Stille nahm von der Stube Besitz, nur der Regen trommelte gegen die kleinen Fensterscheiben und vom Hau her drangen die schwachen, halb verwehten Axtschläge der Holzfäller herüber. Eine trübe, graugelbe Dämmerung überflutete den von allem Hausrat entblössten Raum und floss mit dem schmutzigen Grau der russgeschwärzten Decke ineinander. Die Wände, von denen ein schwärzlicher Kalk abblätterte, erschienen noch grauer dabei.

Auf dem von ausgegossenem Spülwasser durchweichten Lehmfussboden, der eher einem glitschigen Morast glich, wateten zwei Enten, eifrig mit den Schnäbeln nach Nahrung schnappernd, herum. Durch die zerschlagenen Scheiben an der Firstseite des Hauses wehte ein regenfeuchter Wind in die Stube, wirbelte das herumliegende Stroh auf und liess die ausgebuchteten und gezackten roten Streifen Glanzpapiers, die in langen Fransen von den Deckenbalken herabhingen, hin und her flattern.

Die Frau wandte sich schwerfälligen Schritts dem kleinen, leeren Wirtschaftshof zu, welcher über und über mit den faulenden Blättern der am Zaun entlang wachsenden Kirschbäume bedeckt war; sie kamen wie ein blutiger Flockenfall auf einen grossen Misthaufen und das alte, windschiefe Lattendach des baufälligen Schweinestalls geflogen. Hinter einem kleinen Scheunenschuppen, welcher etwas abseits inmitten eines aufgewühlten Kartoffelackers stand, auf dem noch das dürre Kraut und faulende Kartoffeln lagen, blieb sie zögernd stehen, wischte sich die unaufhaltsam rinnenden Tränen vom Gesicht und sah lange umher, dann ging sie still zurück, nachdem sie hier und da ein paar noch grüner Unkrautstauden für die Kuh ausgerissen hatte. Vor der Hausschwelle angelangt, liess sie ein kurzes, schmerzliches Weinen hören, griff nach ihrem Kopf und versenkte ihren stumpfen, trüben Blick in die graue Ferne.

»Gott! Mein Gott!« stöhnte sie, leise klagend, vor sich hin und machte sich mit fieberhaftem Eifer an das Hinaustragen und Zurechtstellen des elenden Wirtschaftsgeräts. Ihr Herz klopfte vor Unruhe und Qual bei dem Gedanken an die Trennung von dieser Waldhütte, in der sie so viele Jahre gehaust hatten, und der Schmerz packte sie für Augenblicke wie ein Krampf, dass sie sich auf der Schwelle niedersetzen und den Tränen freien Lauf lassen musste, leise aus tiefstem Herzen vor sich hinstöhnend.

Der Wawschon lag noch immer auf dem Bettstroh, wälzte sich hin und wieder von einer Seite auf die andere, rieb sich die geröteten Augen und seufzte so heftig, dass sich der Hund, Burek, näher an ihn heranschlich, leise winselte, mit der Pfote an seinem Schafspelz scharrte und mit dem Schwanz wedelte, als er aber merkte, dass der Hausherr auf ihn nicht achtete, begab er sich nach dem Herdplatz, setzte sich neben Maryscha und begann vor sich hinzuträumen, dabei wie sie mit schlaftrunkenen Augen in die verlöschende Glut starrend.

Endlich, ganz tief am Abend schon, kam der Raphael mit einem Gespann magerer Mähren vorgefahren, die einen Leiterwagen zogen.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte er, mit der Peitsche in der Hand die Stube betretend.

»In Ewigkeit, Amen!« antwortete Wawschon, sich von seinem Strohlager plötzlich erhebend. »Schönen Gruss, Gevatter, und Gott bezahlt Euch, dass Ihr uns nicht vergessen habt.«

»Ih ... das wär' noch nicht das Schlimmste, aber der Regen klatscht so runter, dass er einem die Augen ganz mit Wasser füllt, auch von wegen dem Schmutz, der reicht einem auf der Landstrasse schon bis an die Wagenachsen, und nasskalt ist es, dass es dem Menschen schlimmer zusetzt, als bei Frostwetter.«

»Na, dann wollen wir aufladen, damit wir noch vor Nacht ins Dorf kommen.«

»Versteht sich,« entgegnete Raphael, stellte den Peitschenstock in die Ecke, wärmte sich etwas die Hände über der Herdplatte, und nachdem er mit seinen dicken Pranken ein noch glühendes Kohlenstückchen herausgenommen und es in seine ausgegangene Pfeife gesteckt hatte, setzte er sich auf eine noch nicht herausgeschaffte Lade am Fenster und paffte seinen Rauch in die Stube.

Die Wawschonowa setzte jetzt den Schnaps, die Wurst und die Semmeln aufs Fensterbrett.

»Wawschon! trink dem Raphael zu.«

»Oh! ... wozu wollt ihr euch Schaden machen!« versuchte sich der Bauer zu zieren, schnupperte aber gierig nach dem Knoblauchduft, den die Wurst ausströmte, welche die Frau soeben mit dem Taschenmesser des Mannes zu zerschneiden begonnen hatte.

»In Eure Hände, Raphael!«

»Wohl bekomm's.«

Er trank aus, spie nach der Seite, wischte sich den Mund mit dem Ärmel und goss abermals ein.

»Jagna, hier hast du auch was. Ach was, trink mal ein bisschen. Wird dir gut tun.«

Die Wawschonowa drehte sich etwas beiseite und schlürfte langsam den Schnaps, die Männer brachen indessen die harten Semmeln und assen davon, ab und zu in die Wurst hineinbeissend.

»Na, noch einen, damit wir glücklich fahren.«

»Trinkt mit Gott.«

»Der Gutsherr hat den Wald für Schimpanjerwein verkauft, dann wollen wir doch bei diesem Spass wenigstens Schnaps trinken! – Dass man dir, pestiges Aasluder, in der Hölle mit dem Pech nicht spart!« murmelte er hasserfüllt und warf dabei einen furchtbaren Blick durchs Fenster auf die bläulichen, kaum sichtbaren Umrisse des Herrenhofes.

»Das ist schon wahr, jetzt wird man selbst seinen Peitschenstiel oder seine Pflugscharre in der Stadt kaufen müssen,« seufzte der andere mürrisch vor sich hin. »Wie noch der Wald dagewesen ist, hat sich der Mensch, wenn einen auch etwas die Angst dabei ankam, weil ihr ihn nicht schlecht gehütet habt, immerhin etwas Dürrholz, eine junge Buche oder eine Kiefer zum Ausbessern herlangen können, auch mal einen Zaunpfahl, etwas Pilze konnte der Mensch essen, die Kinder durften Beeren für eine Barschtschsuppe sammeln, und ab und zu drehte man so nebenher einem Häslein das Genick um oder auch einem anderen artigen Vöglein, und jetzt was! ... Schlecht ist das, scheint mir, ganz schlecht!«

»Na, noch ein Glas Gevatter, jetzt aber noch eins, das letzte! Hier hast du, Burek, fällt auch ein Stück Wurst für dich ab, kannst dich auch was freuen, wenn dein Herr nach zwanzig Jahren Arbeit in die Welt ziehen muss aufs Kätnerleben. Hier hast du was, armes Luder!« Der Hund winselte dumpf auf, als hätte er die Worte seines Herrn verstanden, und Jagna brach in ein wildes Weinen aus; sie lehnte ihren Kopf gegen den Rauchfang des Herdes und schluchzte krampfhaft.

»Ih ... einmal muss die Ziege doch sterben. Vom fremden Wagen musst du herunter, und wär's mitten ins Wasser,« sagte Raphael langsam, klopfte die Asche bedächtig aus, steckte die Pfeife hinter den Gurt und ging hinaus.

Sie fingen gleich darauf eiligst an, die Sachen aufzuladen, so kam nach und nach ihr ganzes Hab und Gut zusammen, doch nicht ohne dass sie jedesmal ein Gefühl bitteren Grams von neuem packte, wenn sie die Hausschwelle überschritten. Sie schauten dabei nicht rechts noch links und redeten kein Wort mehr miteinander. Als schon alles fertig geworden war und Raphael nur noch seine Strohseile quer über den Leiterwagen spannte, damit nichts von den Sachen herunterfiele, führte Wawschon die Kuh hinaus und legte ihr ein neues Tau um die Hörner.

»Hier, Marysch, führe sie!« Das Mädchen hüllte sich in ihre Beiderwandschürze und wandte sich zum Gehen, sie musste aber stark am Tau zerren, denn die Kuh widersetzte sich und drehte immer wieder ihren grossen Kopf brüllend nach dem Hause um, als ahnte sie, dass man sie von der Heimatstätte wegführen wollte.

»Na, so, dann fahren wir also!« rief Raphael.

»Gleich, gleich!« sagte Wawschon und betrat zum letztenmal die Stube, hinter ihm schob sich die Frau hinein; sie sahen sich traurig um, gingen von einer Ecke in die andere, stocherten im Stroh, betrachteten die Wände, aber zum Hinausgehen schienen sie nicht viel Lust zu haben; unbewusst verlängerten sie die letzten Augenblicke des Abschiednehmens mit diesen Wänden.

»Wir fahren los, Wawschon, es wird schon dunkel,« rief Raphael durchs Fenster.

»Komm, Jagna, komm schon. Ach was, der Herr Jesus wird uns nicht verlassen.«

Er führte die Frau hinaus und schmiss die Tür hinter sich ins Schloss.

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! ... gehen wir! ...« sagte er düster, zog den Gurt über dem Schafspelz enger an, biss die Zähne aufeinander und setzte sich in Bewegung. Jagna führte das Mutterschwein am Seil und heulte laut vor sich hin. Wawschon ging am Ende des Zuges und sah düster auf die Haufen der ihrer Rinde entblössten Baumstämme, die wie nackte Leichname auf einem Schlachtfelde sich zu Haufen türmten, auf Stösse vergilbter Äste, auf tausende von Baumstümpfen, die wie Sockel gestürzter Säulen zu tausenden im Abendgrauen weisslich beiderseits des Weges schimmerten, auf die tiefen Erdlöcher voll Wasser und Kiefernnadeln und die jetzt allüberall sichtbaren Waldstege, die sich nach jeder Richtung hinschlängelten und auf denen mächtige umgestürzte Bäume lagen. Er kannte das alles nur allzugut, kannte jeden Graben, jeden Samenbaum, wusste, wo die grössten Waldriesen gestanden hatten, wie die Waldschneisen liefen, die den Wald in verschiedenen Richtungen wie Gassen durchschnitten. Zwanzig Jahre war er Waldheger in diesem Wald gewesen. Hier hatte er als Junge das Vieh gehütet, hier immer gelebt, er war mit diesen Bäumen eng verwachsen und rechnete sie zu seiner eigenen Sippe. Und jetzt lagen sie tot da, ohne Wipfel, ohne Äste und ohne Leben wie traurige Rümpfe, auf denen man mit Füssen treten durfte. Die Stürme hatten den Wald nicht überwunden, auch die Blitze nicht, die manches Mal auf ihn niedergezuckt waren, und auch die Fröste nicht, die ihm manchen Baumstamm gespalten hatten. Da kam die Axt, und der Wald sank tot nieder. Was sollte er hier noch tun? Bei den Juden als Knecht dienen, zum Bewachen ihrer Holzstösse. Nein, zu so was sollten sie ihn nicht bereit finden, dann schon lieber hinaus in die Welt, Arbeit suchen, anstatt dieses alles mit eigenen Augen täglich sehen zu müssen. Mit heissen Blicken umfasste er das ganze Haugelände, auf dem sich hier und da Menschenhäuflein mit Sägen und Äxten hin und her bewegten; mit Klötzen vollgeladene Wagen daherrollten und von dem ein undeutliches, von der Ferne und dem Nebel des Regentages schon halb verschlungenes Stimmengewirr, Wagengerassel, Aufschlagen von Äxten und Pferdegewieher kam.

Er stapfte langsam durch den Strassendreck, stützte zuweilen den Wagen, wenn ein ausgefahrenes Loch in der Landstrasse sich störend bemerkbar machte, oder schob hin und wieder den Hund, der sich an ihn zu schmiegen versuchte, mit dem Fuss beiseite. Seine finsteren Blicke wanderten unstet umher. In der Brust brannte es ihn, als hätte er sich an einem Glas Sprit verschluckt. Das Krachen der auseinandergetriebenen Holzklötze ging ihm nach, die dumpf niederpolternden Äxte, die sein Ohr vernahm, schlugen wie auf ihn selbst ein und hackten ihm Stück für Stück von der eigenen Seele herunter. Er verbiss seine Zähne immer fester, denn am liebsten hätte er sich zu Boden geworfen und vor lauter grenzenlosem Leid, das ihn durchdrang, geschrien, aber er ging dennoch weiter. Immer dichter fiel der Regen und es ward immer kälter; die paar elenden Birken am Graben, die von der Axt verschont geblieben waren, warfen ihre letzten gelben Blätter ab, welche der Wind auffing und niederrinnen liess wie Tränen, – auf den kotigen Weg, auf die Baumstümpfe, Äste, niedrigen Wacholdersträuche, elenden Haseln und krüppeligen Kiefern, die vor Kälte bebten und traurig flüsterten. Um einige nackte, vertrocknete Tannen sah man einen Schwarm Krähen flattern und ihr trübes Krächzen klang wie eine traurige Litanei von verlorenen Heimstätten, von vergeblich gesuchten Nestern und davon, dass es hier nun keinen Schutz mehr gäbe.

Rostrote, zertretene Gräser und Farren versanken im Schmutz, in Lachen gelber Sägespäne, so dass sich grosse Flecke bildeten, wie aus geronnenem Blut, das man dem ehrwürdigen Wald abgepresst hatte. Eine Kuhherde weidete auf einer mit kärglichem Gras bewachsenen Wiese und liess ab und zu ein dumpfes Brüllen hören, und einige Kinder sah man am offenen Feldfeuer kauern, das der Regen immer wieder zu verlöschen drohte; ein schmutziger schwarzer Rauch qualmte empor und zog in zerrissenen Schwaden über den Waldhau, als wäre er einem jener Weihrauchschiffchen entstiegen, mit denen man die Toten beräuchert.

Wehmut und eine grenzenlose Trauer, voll vom Stöhnen sterbender Bäume, erfüllte die nebelverhangene Welt und durchdrang Wawschons Seele mit einem immer tieferen Herzeleid und einem solchen Zorn, dass er die Steine, gegen die seine Füsse stolperten, hätte zerbeissen können; er ballte die Fäuste, kniff die Augen zu, um nichts sehen zu müssen, und ging immer rascher vorwärts

»Einmal muss die Ziege sterben!« wiederholte er hart und stiess wütend mit den Füssen nach den Baumstümpfen, nach den herumliegenden Ästen und vertrockneten Fliegenpilzen, die wie schief aufgesetzte Hüte am Grabenrand des ehemaligen Waldweges wuchsen.

Unter einer grossen, breitästigen Eiche, die am Waldrand emporragte und als einziger Baum verschont geblieben war, weil sie das Bild der Muttergottes unter einem Musselinvorhang auf ihrem Stamm trug, setzte sich Wawschon nieder, um etwas auszuruhen. Die Eiche mochte einige hundert Jahre alt sein, war voller knorriger Aste, von Blitzen mehrfach gezeichnet und inwendig schon hohl, aber sie reckte immer noch ihre seltsam verschnörkelten, mit Astknoten und -beulen reichlich bedeckten Aste wie mächtige Fäuste zum Himmel empor und liess aus ihrem dürren Blätterwerk ein Raunen aufsteigen. Hier war die Stelle, über die Wawschon, während seiner Dienstzeit als Waldheger, niemals hinausging, denn hier begann das Ackerland; bei dieser Eiche pflegte er seine Schritte heimwärts zu lenken, und jetzt ... jetzt sollte er diese heilige Schwelle des Waldes überschreiten, um niemals zurückzukehren – um als Heimatloser sein Leben zu beschliessen ...

»Dass euch! ... Dass euch! ...« In furchtbarem Schmerz krampften sich seine Eingeweide zusammen, so dass er nach seinem Bauch griff und aufstöhnte.

» Wawschon! mach' doch rascher, Raphael werden hier nicht warten und Nacht wird's auch schon.«

»Gehst du weg, Metze, sonst schlag' ich dich tot!« knurrte er wütend.

»Hale! Hat sich das Schwein mit Schnaps besoffen und wird hier auf der Landstrasse Spektakel machen.«

»Ich sag' dir, Frau, geh weg, sonst wirst du es bereuen.«

»Versteht sich, ich soll dich hier sitzen lassen und zu Hause allein das Gerümpel in die Stube schaffen.«

»Na, komm doch, Wawschon,« fügte sie etwas weicher hinzu, und ihr rotes, verweintes Gesicht über ihn beugend, begann sie ihn am Ärmel zu zupfen.

»Ich sag' dir, Hundeaas, dass du weggehen sollst, sonst werd' ich dich wie ein Vieh verprügeln.«

Jagna riss ihn etwas stärker am Ärmel, da sprang er vom Boden auf und schlug sie mit einem Ast, den er aufgegriffen hatte, über den Kopf, warf sie zu Boden, versetzte ihr einige Fusstritte, griff nach dem Tau, das die Sau während des Gebalges der Eheleute der Jagna aus der Hand gerissen hatte, und wandte sich, weit ausschreitend, davon. Die Wawschonowa kroch langsam mit lautem Wehklagen wieder hoch und folgte ihm nach. Bald verschwanden sie im Nebel, in der Dämmerung des sinkenden Abends. Nur die Krähen umflogen in einem grossen Schwarm die Eiche und kreischten kläglich; auf dem Wege, der zum Hau führte, tauchten unter Glockengeklirr Kühe auf, und eine schrille Stimme begann mit einemmal zu singen.

Die Herde zog vorüber und versank in Nebel und Nacht; aus der Ferne klang das klagende Singen immer versunkener.

Die letzten Töne zerflossen im Raum und versanken im Regengeplätscher. Es wurde mit einemmal dunkel, die Welt überflutete der graue, feuchte Ton einer Novembernacht, so dass alles zu einer einzigen, schmutzigen, stumpfen und dunklen Masse zusammenschmolz. Nur die alte Eiche murmelte schlaftrunken, liess ihre Blätter aufs Ackerland regnen und vom Hau, von den verdorrten Tannen, von den Birken und von den Haufen dürrer Äste kam es wie ein tiefes Ächzen, wie ein verzweifeltes, keuchendes, düsteres, gepresstes Wispern gezogen: Der Wald ist tot! ist tot! ist tot! –


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