W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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Das Volksgericht

Die Tür wurde plötzlich mit einem lauten Krach aufgestossen, der Wind fegte hinein, und aus dem dunklen Flur drängte sich unter drohendem Schweigen eine Schar Bauern in die Stube, ohne auch nur ein: Gelobt sei Jesus Christus zu sagen, so dass der Müller seinen Löffel auf den Tisch fallen liess und, nach der Hängelampe greifend, die vom Luftstrom zu schaukeln begonnen hatte, mit erstaunten Augen einen nach dem anderen musterte.

» Etwas viele auf einmal!« murmelte er.

»Und noch mehr warten draussen,« gab ihm der Andreasbauer zurück und trat vor.

»Kommt ihr in einer Angelegenheit?«

»Versteht sich, dass wir nicht zur Unterhaltung hierhergekommen sind,« sagte einer aus der Menge, die Tür hinter sich schliessend.

»Dann setzt euch, ich werd' gleich mit dem Abendessen fertig sein.«

»Dass es Euch gut bekomme. Wir warten ein wenig ...«

Der Müller begann hastig seine Abendsuppe zu schlürfen, während die Bauern auf den Bänken in der Stube Platz nahmen, sich die Rücken am Ofen wärmten und häufig nach dem Andreasbauer herüberlugten, der sich an den Tisch herangesetzt hatte und, die Ellenbogen aufstützend, vor sich hinmeditierte.

»Hundewetter, wie?« fragte der Müller.

»Versteht sich, der März gibt, was er uns schuldig ist.«

»Das muss man in Kauf nehmen ... Vorlenzzeit!...«

Damit brach die Unterhaltung ab, so dass man in der Stille nur den Löffel des Müllers über die Kerben der Schüssel kratzen hörte; draussen klopfte einer den Schmutz von seinen Stiefeln an der Hausbank ab, und ab und zu warf sich der Wind unter wildem Brausen gegen die Hauswand, so dass sie zu ächzen begann, während der Regen auf die beschlagenen Scheiben eintrommelte.

»Jadwisch!« rief der Müller und wischte sich mit der Faust über den buschigen Schnauzbart.

Aus der Nebenstube tauchte ein gewaltiges Frauenzimmer auf, von ansehnlichem Äusseren und in städtischer Kleidung, sie überflog mit einem scharfen Blick die Bauernschar, und nachdem sie die Schüsseln aufgesetzt hatte, ging sie, sich in den breiten Hüften wiegend, hinaus.

»Um was für eine Angelegenheit handelt es sich also?« begann der Müller und hielt ihnen seine Schnupftabakdose hin.

Nicht eine einzige Hand langte nach einer Prise, die Gesichter verdunkelten sich mit einem Male, hier und da räusperte sich einer und kratzte besorgt seinen Schädel; alle blickten sie auf den Andreasbauer, der sich stramm aufgerichtet hatte und, seine hellen, unnachgiebig dreinblickenden Augen auf den Müller richtend, langsam sprach:

»Wir sind zu Euch gekommen, auf dass Ihr uns die Diebe aufgebt ...«

Der Müller prallte zurück, sperrte die Augen weit auf, breitete die Arme auseinander und stotterte hervor:

»Im Namen des Vaters und des Sohnes! ... Woher soll ich sie denn kennen? ...«

»Wir denken es uns so, dass nur Ihr allein davon etwas abwissen müsst,« sagte der Andreasbauer etwas gedämpfter und stand jetzt auf; die Bauern hatten sich ebenfalls schwerfällig von den Bänken erhoben und bildeten um den Müller einen Kreis, wie eine festgefügte Mauer, worauf sie ihre gierigen und scharfen Blicke wie Habichtkrallen in ihn einbohrten, so dass diesem die Röte ins Gesicht schoss.

»Wir sind zu Euch um Wahrheit gekommen!« murmelte Andreas nachdrücklich.

»Und sagen müsst Ihres uns jetzt, das müsst Ihr!« bekräftigten die anderen drohend und dumpf.

»Was für eine Wahrheit denn? Ihr seid wohl nicht recht bei Verstand! Wie soll ich dazu kommen? Als wenn ich Kompanie mit den Dieben hielte oder was sonst?« redete er schnell und schraubte mit zitternden Händen die Lampe herunter.

»Das weiss man schon, dass Ihr ehrlich seid, aber die Diebe, die kennt Ihr. Versteht sich. Die haben Euch im Herbst die Pferde gestohlen, und Ihr? nichts habt Ihr getan! ... Euer Geld haben sie Euch jetzt erst wieder gestohlen, Ihr sollt selbst den Dieb in der Kammer abgefangen haben, aber getan habt Ihr nichts; habt beim Gericht keine Klage eingereicht und nicht einmal dem Gendarmen etwas davon gesagt.«

»Wozu hätt' ich das denn tun sollen? Damit ich noch zuzähle? Was hilft mir das Gericht oder die Gendarmen? Den Wind werden sie mir vielleicht einfangen, der auf dem Feld bläst, und ihn mir am Tau herbringen. Lass sie am Tag des jüngsten Gerichts für das, was sie mir angetan haben, büssen!«

»Daraus sieht man nur, dass Ihr Angst habt, die Diebe anzugeben!«

»Wenn ich es wüsste, meint ihr, würde ich ihnen den Schaden vergeben und sie nicht anzeigen? Meint ihr vielleicht, dass ich ...«

»Ihr redet immer ein und dasselbe im Kreise herum,« unterbrach ihn der Andreasbauer streng. »Nicht um mit Euch zu streiten, sind wir hierher gekommen, sondern um die Wahrheit zu erfahren und weil es uns dringlich damit ist, denn das ganze Volk wartet darauf vor Eurer Tür und im Dorf, darum bitten wir Euch in aller Freundschaft, nennt uns die Diebe, die Euch das Geld gestohlen haben ...«

»Wenn ich es wüsste, dann würden es auch die Gerichte wissen und das ganze Dorf obendrein,« setzte der Müller eifrig auseinander und beobachtete dabei ängstlich die verbissenen, misstrauischen Gesichter der Bauern; aber Andreas machte eine ungeduldige Bewegung, blitzte ihn drohend mit seinen Augen an und sagte, dabei unwillkürlich nach des Müllers Rockklappe greifend, kurz und hart:

»Was Ihr gesagt habt, ist nicht wahr! Wenn Ihr es aber in der Kirche beschwört, wollen wir es glauben und werden Euch in Ruhe lassen.«

Der Müller duckte sich wie zum Niedersitzen, worauf er hastig wieder zu reden begann und sich den Anschein gab, als könnte er sein Lachen nicht bezwingen.

»He! He! Ihr macht wohl Fastnachtspass ... versteht sich, wenn ihr zu einem im Haufen kommt und ihn mit Stöcken bedroht, dann wird er bereit sein, euch zu beschwören, was ihr nur wollt ... Ich sage die Wahrheit, ich weiss nichts und kenne keine Diebe. Wollt ihr, dann könnt ihr es glauben, und wenn nicht, dann werdet ihr mich zum Schwören nicht nötigen, denn ihr seid kein Gericht! ...« er reckte sich und liess seine Augen trotzig von einem zum anderen gehen.

»Das ist es eben, wir sind hierher als Gericht gekommen, das gerechte Strafe austeilen wird!« sagte der Andreasbauer mit solchem Nachdruck, dass der Müller sich verfuhr und dastand, ohne ein Wort hervorstottern zu können. Die Bauern warteten im düsteren Schweigen um ihn herum, starrten ihn mit glühenden Augen an und scharrten ungeduldig mit den Füssen; sie sahen dabei so drohend und voll eines seltsam strengen Ernstes aus, dass er nicht wusste, was er anfangen sollte, er wischte nur den Schweiss von seinem kahlen Schädel und liess seine entsetzten Augen unstet über ihre verbissenen, unnachgiebigen Gesichter gehen, denn er begriff, dass die Sache ernst war und sich etwas Furchtbares vorbereitete.

Endlich setzte er sich auf die Bank nieder und suchte sich, ab und zu eine Prise Tabak schnupfend, zu sammeln, um irgend einen Entschluss zu fassen; jetzt trat der Andreasbauer auf ihn zu und sagte feierlich:

»Die Wahrheit wollt Ihr nicht gestehen und vor dem Schwören bangt Euch. Daraus ergibt sich ganz einfach, dass Ihr mit den Dieben ein und dasselbe seid!«

Als hätte der Blitz neben ihm eingeschlagen, sprang der Müller jäh auf; die Bank fiel krachend zu Boden.

»Jesus Maria! Ich in Kompanie mit den Dieben! Mir wollt Ihr das sagen!«

»Ich habe es gesagt und werde es Euch nochmals sagen!«

»Und wir werden auch dasselbe sagen!« riefen die anderen wie aus einem Munde, und alle Hände stiessen nach ihm; die zornigen Gesichter neigten sich und wurden wie scharfe Geierschnäbel, jederzeit bereit, die Beute in Stücke zu reissen.

Auf den Lärm hin kam Jadwisch in die Stube gelaufen und blieb wie angewurzelt stehen.

»Was stellt ihr hier auf?« fragte sie verängstigt.

Die Fäuste sanken nieder, die Bauern begannen sich zu räuspern, und einer sagte ärgerlich:

»Weibervolk hat hier nichts zu suchen, horcht bloss an den Türen und rennt mit der Zunge los!«

»Mag sie gehen, woher sie gekommen ist!«

»Gänse abtasten und nicht die Nase in Männersachen stecken! ...« begehrten sie immer lauter auf, bis Jadwisch ganz wütend hinausrannte und die Tür hinter sich zuknallte.

Der Andreasbauer aber liess sich wieder vernehmen, indem er drohend mit der Hand in der Luft herumfuchtelte.

»Das will ich Euch sagen, Müller, die Zeit ist schon gekommen, zu richten und zu strafen!«

»Und Ordnung in der Welt zu machen!«

»Das Böse auszurotten und Gerechtigkeit einzuführen« – fielen drohende und gewichtige Worte, und die zusammengeballten Fäuste hoben sich bis dicht unter sein blau angelaufenes Gesicht.

»Um Gottes willen, Leute! Was wollt ihr denn von mir? Was für eine Schuld soll ich begangen haben?« stotterte er entsetzt und sah sich rings um, aber der Andreasbauer sagte, ohne auf seine Worte zu achten, leise, schnell und so hart, dass es einem dabei bis ins Mark zu frieren begann:

»Wenn er nicht gestehen will, dann ist er schuldig. Schleppt ihn zum Gericht vor die Kirche! – packt ihn, Leute!–denn Gericht kommt über alle, die das Volk benachteiligt haben, gerechtes Gericht und schwere Strafe. Packt ihn, Leute!«

»Jesus Maria! Was wollt ihr! ...« lallte der Müller in Todesängsten und sah sich wie geistesabwesend um, denn die Bauern drangen wie eine Mauer auf ihn ein. – »Hört doch ... was fang´ ich bloss an? ... Ich hab's ihnen zugeschworen. Sie werden mir Haus und Hof niederbrennen, sie bringen mich um, wenn ich sie verrate ... Barmherziger Jesus! Lasst mich los! Ich werde schon alles sagen! Ich sag's!« röchelte er, denn schon hatte eine Menge Hände nach ihm gegriffen und schleppte ihn zur Tür.

Lange konnte er kein Wort herausbringen, er hatte sich über den Tisch geworfen und keuchte schwer; sie umringten ihn allesamt, einer gab ihm Wasser zu trinken und andere redeten ihm freundlich zu.

»Habt keine Angst, wer es mit dem Volk hält, dem wird kein Härchen gekrümmt werden.«

»Nur immer die ganze Wahrheit sagen.«

»Wir haben gewusst, dass Ihr ein ehrlicher Mann seid und die Räuber bei Namen nennen werdet.«

Der Müller wand sich wie ein Beissker unter dem Stiefelabsatz, es wurde ihm abwechselnd heiss und kalt, man sah es, wie er immer wieder die Farbe wechselte; plötzlich reckte er sich, zu allem bereit, doch ehe er zu reden anhub, sah er in die Nachbarstube ein; die Gestalt der Jadwisch ward blitzartig in der Türöffnung sichtbar, als wäre das Mädchen beim Horchen überrascht worden, darauf schaute er zum Fenster hinaus und erst, als er damit fertig war, blieb er vor dem Haufen stehen, bekreuzigte sich und murmelte:

»Wie auf der heiligen Beichte will ich die reine Wahrheit sagen: die beiden Gajdas und der Gendarm sind es.«

Völlige Stille entstand darauf, sie standen da wie erstarrt und sahen einander staunend an, man hörte nur Schnaufen und keuchende Atemzüge, bis sich der Andreasbauer als erster vernehmen liess.

»Das haben wir uns gedacht, nur keine Sicherheit hatten wir. Aber jetzt wissen wir das Nötige. Wir wissen es ... Hundsgeschmeiss! ... Diese höllischen Räuber ...« er liess seine Faust auf den Tisch niedersausen. »Man muss dieses Unkraut mit der Wurzel herausreissen, damit es nicht wuchert. Die beiden Gajdas! ... Der Vater und das Söhnchen ... und der Gendarm als dritter dazu! – Nun denn, im Namen Gottes, gehen wir zu ihnen, und Ihr, Herr Müller, geht mit uns, damit Ihr ihnen mit der Wahrheit entgegentreten könnt ...«

»Das tue ich und werde es ihnen sagen! Einen Mühlstein hab' ich mir vom Herzen abgewälzt. Du lieber Gott, ich sah ja, was die trieben, aber ich hatte Angst, auch nur ein Wort zu sagen ... Rädern sollte man euch, ihr Diebsvolk, für die Sünde, die ihr auf mich geladen habt! Ich schämte mich sogar, den Menschen offen in die Augen zu schauen, haben sie doch überall über die Diebereien geklagt ... Diese Spitzbuben, meine Pferde haben sie mir entführt, Geld hab' ich dem Gendarmen bezahlt ... aber wiederbekommen habe ich sie nicht ... Und dann habe ich sie in der Kammer überrascht ... bis auf den letzten Groschen haben sie mich ausgeraubt ... Mit dem Messer bedroht... und schwören habe ich obendrauf müssen, dass ich sie nicht angeben werde! Diese Schandbuben!«

»Die ganze Umgegend hat durch sie zu leiden gehabt.«

»Waren es vielleicht wenig Pferde, die sie den Leuten weggenommen haben? und dann die vielen Kühe, und all das Hab und Gut! Alles konnten sie tun, der Gendarm sah ihnen durch die Finger und steckte sein Teil davon in die Tasche ...«

»Auf unsere Kosten haben sie gefeiert ...«

»Auf dass sie es jetzt heimzahlen! ...«

»Wenn alle etwas sagen, will auch ich noch mein Teil hinzutun,« drängte sich einer vor: »Ich weiss es ganz sicher, dass die Gajdas es gewesen sind, die unseren Pfarrer beim Natschalnik angezeigt haben, weil er auch die PodlaschakenPodlaschaken – Ruthenen unitischen Glaubensbekenntnisses, die durch die russische Regierung gewaltsam zu Orthodoxen gemacht worden waren. getraut hat.«

»Sieh mal an ... selbst den Herrn Pfarrer haben sie verraten ...«

»Und die Postfräulein, bei denen die Kinder Polnisch gelernt haben ...«

»Sie haben es getan! Sie sind es gewesen! Das weiss man doch!« bekräftigte der Müller verbissen.

»Dann hat auch kein anderer die Juden damals im Wald so zugerichtet.«

»Versteht sich, das sind die Gajdas gewesen! Das waren sie! ... Diese Aasbande! Judassöhne! ... Räuber! ...« begannen die Bauern zu fluchen und zu schimpfen; sie stampften mit den Füssen und schlugen mit den Knüppeln gegen den Fussboden. Die Wut tobte in ihren Herzen und riss sie mit sich fort, die Augen loderten und die geballten Fäuste drohten über ihren Köpfen.

»Ein Ende machen mit ihnen! Strafen! Diese Hundesöhne! Gericht halten! Volksgericht! ...«

»Dann kommt rasch, dass sie uns nicht davonlaufen!« rief der Andreasbauer.

»In Stücke sollte man solche reissen.«

»Mit dem Rad brechen, wie tolle Hunde zu Tode schlagen! ...« redeten sie durcheinander, sich hastig zur Tür hinausdrängend.

Der Müller löschte die Lampe und folgte den anderen. Und als sie allesamt vors Haus getreten waren, rannte die Jadwisch ebenfalls hinaus, und an der Hauswand lauernd, spähte sie ihnen erschrocken nach, wohin sie sich wohl in einer solchen Nacht aufgemacht hatten und zu welchem Zweck.

Es war eine echte Märznacht, kalt, windig und nass. Zu Wolkenzotteln zusammengeballtes Dunkel überflog die Welt, Regen mit Schnee durchmischt peitschte ins Gesicht, so dass es einem den Atem benahm, der Wind blies durch die Obstgärten und wehte von überall her, und von den durchweichten Feldern, wo nur hier und da aus der schwarzen Nacht sich die weissen Rücken der schneebedeckten Ackerbeete abhoben, kam ein nasser Frosthauch, der bis ins Mark drang, aber die Bauern schritten, ohne auf das ›faulige‹ Wetter zu achten, scharf und kräftig aus, so dass der Landstrassenkot unter ihren Tritten tief aufklaffte. Sie schlichen im Gänseschritt vorsichtig an den niedrigen Dorfhäusern vorbei, die wie ermüdete Gevatterinnen sich am Wege niedergehockt hatten, umgeben von ihren Obstgärten, so dass man nur die beschneiten Dächer wie weisse Frauenhauben zwischen den bewegten Bäumen sehen konnte.

Der Andreasbauer ging an der Spitze und erteilte mit leiser Stimme seine Befehle, so dass immer wieder einer aus der Reihe hinaustrat, nach einem der Fenster rannte und, mit der Faust gegen das Fensterkreuz schlagend, rief:

»Herauskommen! Es ist Zeit!«

Sofort erlosch innen das Licht, man hörte die Tür knarren und schwarze Schatten tauchten aus dem Umkreis der Hütten auf; sie suchten tastend mit den Stöcken nach dem Weg und schlossen sich in aller Stille dem Volkshaufen an.

Plötzlich sah sich der Andreasbauer ängstlich um, denn er hatte ganz deutlich watende, eilige Schritte vernommen, als rannte jemand durch den Schmutz hinter ihnen drein; ein Schatten huschte gebückt an den Zäunen entlang; als sie stehen geblieben waren, wurde es jedoch mit einemmal still, und der Schatten zeigte sich nicht mehr, nur der Wind rauschte und etliche Hunde liessen ihr wütendes Bellen hier und da an den Häuserecken vernehmen.

Sie setzten sich, wenn auch langsam, in Bewegung, aber manch einer bekreuzigte sich schon ängstlich, manch einer seufzte vor sich hin und es gab auch welche, denen ein Angstschauer über den Rücken schoss, trotzdem sprach keiner ein Wort, niemand kehrte um, sie drängten gleichmässig vorwärts, wie eine unaufhaltsame, drohende Wolke, die, langsam näherziehend, ganz lautlos wächst, bevor sie plötzlich einen Blitz niederfahren lässt oder sich mit einem Hagelschauer, alles verwüstend, über der Erde entlädt.

Als sie aber an der Schenke vorüberkamen, die hell erleuchtet am Wege stand, witterte manch einer in der Luft nach angenehmen Düften und verhehlte nicht die Absicht einzutreten, um sich etwas zu wärmen, der Andreasbauer liess jedoch keinen abschweifen, er rief alle zu einem Haufen um sich und führte sie auf die Mitte der Landstrasse, denn dicht neben der Schenke stand das Haus des Gendarmen. Schon von weitem sah man die weissen Wände schimmern, und durch die hellen Fenster drangen die tanzfrohen Klänge einer Ziehharmonika.

Sie blieben mit angehaltenem Atem gegenüber dem Hause stehen, und der Andreasbauer flüsterte einigen Dorfburschen zu:

»Passt gut auf, und sobald die Glocken zu läuten beginnen – gleich im Haufen in die Stube, auf der Stelle am Schopf packen und binden. Dass er euch nicht entwischt, er könnte sonst Böses anrichten ... Verhaltet euch ja still, damit ihr ihn nicht verscheucht.«

Eine Anzahl Dorfburschen zerstreute sich schweigend im Dunkel.

Der Volkshaufe aber wandte sich jetzt schon schnelleren Schritts, immer dieselbe Richtung innehaltend, einem freien Platz zu, der sich am Ende des Dorfes befand, wo nur noch einige Lichter blinkten und aus einer schluchtartigen Senkung zwischen ihnen, auf dem Hintergrund der verschneiten Felder, die Mauern der Kirche auftauchten, von einem Bäumegewirr umgeben, das einem dunklen und vom Winde leicht geschaukelten Berge glich.

Das Haus der Gajdas stand etwas abseits vom Wege, in der Nachbarschaft der Kirche, und war von einem ziemlich grossen Obstgarten verdeckt, so dass die Lichter der Fensterscheiben sich wie Wolfsaugen durch das Dickicht der Büsche und Äste bohrten; die Bauern wandten sich geradeswegs auf das Gehöft zu, da der Schmutz aber stellenweise bis an die Knie reichte, die Pfützen sich wie wahre Gewässer ausbreiteten, zwischen denen Inseln vereisten Schnees sich gebildet hatten, drangen sie nur Schritt für Schritt vorwärts, den Hindernissen ausweichend und Umwege machend, so dass es fast anmutete, als ob sie absichtlich ihren Weg verlängerten; sie waren trotzdem in etwa einem Ave bis an die Hofumzäunung vorgedrungen. Der Andreasbauer befahl ihnen jetzt Schweigen an, er selbst aber schlich um die Behausung herum bis an die Fenster und blickte hinein.

In der grossen, weissen Stube, die ganz mit Heiligenbildern behängt war, brannte eine von der Balkendecke herabhängende Lampe und in ihrem Schein sassen ein paar Menschen heim Abendbrot und redeten mit gedämpfter Stimme. Auf dem Herd brannte ein mächtiges Feuer, so dass die halbe Stube in einen blutigen Schein getaucht war; ein Mädchen ging auf und ab und wiegte ein schreiendes Kind auf dem Arm.

»Sie sind zu Hause ...« flüsterte der Andreasbauer, nachdem er zu dem Haufen zurückgekehrt war, er bebte am ganzen Leibe und schnappte nach Luft, nur mit Mühe gelang es ihm hervorzubringen, dass die Hälfte der Männer sich aufmachen sollte, das Haus an der Feld- und Hofseite zu überwachen.

Nach einer kurzen Weile jedoch betrat er schon ganz gefasst und mutig den Heckenweg; sie waren schon in der Nähe der Hauslaube, als irgendwo vom Hof her die Hunde so klagend aufheulten, dass sie einer nach dem anderen stehen blieben.

»Das sind unsere Jungen, die sich mit den Hunden zu schaffen machen. Kommen wir! Und sollten sie sich verteidigen, dann gleich mit den Knütteln auf diese Halunken dreinschlagen, ohne Erbarmen!« murmelte der Andreasbauer, zog den Müller mit sich fort, bekreuzigte sich und trat rasch in den Flur ein; die Bauern zwängten sich im dichten Haufen ihm nach zur Tür hinein.

Sie betraten zuhauf festen Schritts und mit mürrischen Gesichtern die Stube.

Es entstand ein Gepolter. Die Gajdas sprangen mit offenen Mäulern vom Tisch, an dem sie sassen, auf, der Ältere von ihnen hatte sich jedoch als erster sofort wieder gefasst, liess sich auf den Stuhl fallen, stiess seinen Sohn an, sich zu setzen, und rief mit einem Auflachen, das freundschaftlich klingen sollte:

»Seid gegrüsst! Ho, ho! Was für Gäste sehe ich da! Der Müller! Der Andreasbauer! Die ganze Kumpanei!«

»Setzt euch, Hofbauern!« fügte der junge Gajda hinzu, indem er mit erschrockenen Augen die Bauern überflog und unbewusst mit dem Löffel nach dem Essen langte.

Niemand nahm Platz, noch dass er ihnen die Hand zum Gruss darbot, sie blieben stehen wie Pflöcke, völlig bewegungslos, nur der Andreasbauer trat vor und sagte streng:

»Lasst das Essen jetzt, wir haben wichtigere Angelegenheiten zu Ende zu führen.«

»Wichtigere? Für uns ist jetzt das Abendbrot an der Zeit!« knurrte der alte Gajda trotzig.

»Ich sage dir, höre auf damit!« donnerte der Andreasbauer ihn an.

»Sieh mal an ... so ein Natschalnik ... will hier im fremden Haus den Befehlshaber spielen ...«

»Ja, so ist es, ich befehle und du hast zu gehorchen, du Spitzbube, Halunke!«

Die Gajdas sprangen auf, die Angst hatte sie gepackt, sie erblassten, ihre Köpfe begannen zu zittern, aber sie bleckten die scharfen Zähne wie Wölfe, wenn sie zum Äussersten bereit sind.

»Was wollt ihr hier?« fragte der Jüngere mit einer gepressten, zischenden Stimme.

»Gericht über euch, Räuber, halten und bestrafen!« schrie der Andreasbauer mit furchtbarer Stimme. Diese Worte brachen über sie herein, wie eine einstürzende Balkendecke, so dass sie sich etwas duckten.

Eine grausige Stille wehte wie ein Todeshauch durch den Raum, so dass auf einen Augenblick aller Atem stockte; nur das Kind weinte immer lauter. Mit einemmal stürzten die beiden Gajdas ganz unerwartet auf die Tür zu, der Jüngere liess ein Messer aufblitzen, der Alte griff nach einer Axt, doch ehe sie die Hand heben konnten, hatten sich die Bauern wie ein Gewittersturm über sie geworfen, dumpf krachend sausten die Knüttel nieder und eine Menge Hände ergriff sie an den Schöpfen, Rockklappen, Hosenböden und am Genick und riss sie vom Boden hoch wie nichtsnutziges Gestrüpp.

Ein Wirbelsturm fegte durch die Stube, es erhob sich Geschrei und Gepolter, Stühle, Bänke und Gerät flogen umher, die Weiber stimmten ein Jammergeschrei an, ein Menschenknäuel stürzte unter Fluchen, Zerren und Brüllen zu Boden, begehrte auf, überschlug sich ein-, zweimal, stiess gegen die Wände und barst.

Die beiden Gajdas lagen jetzt mit Stricken gefesselt wie Schafe am Boden und brüllten aus ganzer Kraft, indem sie sich wütend hin und her warfen und furchtbare Flüche ausstiessen.

Man schleppte sie aus dem Haus und schleifte sie über den freien Platz, häufig mit Knütteln nachhelfend, denn sie widersetzten sich und schrien aus voller Kehle, die Weiber aber rannten nebenher, weheklagend und um Erbarmen winselnd, so dass man sie wie Hündinnen mit den Füssen von sich stossen musste.

»Läutet die Glocke, lasst das ganze Dorf zusammenkommen!« schrie der Müller.

Es fing an stark zu schneien, so dass die Nacht heller wurde.

Die Kirchturmglocke erdröhnte dumpf wie bei einer Feuersbrunst und läutete unaufhaltsam, düster und grauenerregend, dass selbst die Dohlen vom alten Glockenturm erschrocken aufflogen und krächzend um die Kirche zu kreisen begannen; vom Dorf her kamen indessen im dichten Haufen die Frauen und die Kinder angelaufen.

»Leute! Erbarmen! Hilfe! Grosser Gott!« heulten die Gajdas und suchten verzweifelt, sich von ihren Fesseln zu befreien, aber kein Mensch antwortete ihnen, der ganze Haufe bewegte sich im tiefen Schweigen weiter. Stumm betraten sie den Kirchhof und warfen die Gebundenen an der Kirchenschwelle nieder.

»Was haben wir getan? Wofür? Hilfe!« brüllten die beiden von neuem und mühten sich hochzukommen, aber Füsse stiessen auf sie ein, so dass sie wie Klötze umfielen, worauf sie unter Flüchen dem gesamten Dorf eine furchtbare Rache zuschworen.

Der Andreasbauer stellte sich an der Kirchenschwelle auf, lehnte den Rücken gegen die Tür, nahm die Mütze ab und rief mit lauter Stimme:

»Leibliche Brüder und Polen!«

Das Weibergeschrei verstummte; das Volk drängte sich im Kreis zusammen. Es stand da und lauschte mit zur Seite geneigten Köpfen, während ein nasser dichter Schnee auf sie einpeitschte.

»Das sage ich euch, Brüder: wie der Bauer zur Lenzzeit mit scharfer Egge auf den Herbstbrachacker hinauszieht, um ihn erst einmal von dem Unkraut zu säubern, ehe er das gediegene Korn für die künftige Ernte auswirft, so kommt jetzt die Zeit, da man das Böse in der Welt ausrotten muss ... Man hält sich in den anderen Gemeinden und Kirchspielen schon daran, dieses zu tun; schon haben sie in Olsza den Schreiber auf und davon gejagt, in Wola die Diebe totgeschlagen und in Grabica diejenigen, die sie dort hatten, vertrieben. Und selbst verschaffen sie sich diese Gerechtigkeit, selbst, denn es ist eben so eine schlechte Einrichtung auf dieser Welt, dass du Bauernvolk arbeiten sollst, deine Glieder ausrenken, deine Steuern zahlen, die Rekruten hergeben, geschieht dir aber Unrecht, dann bleibt dir nur einzig und allein dein vergebliches Jammern.«

»Wahr ist es! die reine Wahrheit!« bestätigten die anderen seufzend.

»So will ich euch denn dieses sagen: Die Zeit ist da, wo unser Volk sich auf niemand anders als auf sich selbst verlassen soll! Selbst muss es sich helfen, selbst sich vor Benachteiligung schützen und sich die Gerechtigkeit selber verschaffen! Lange Jahre haben wir gewartet und alles Böse erduldet, aber niemand hat uns geholfen, niemand Rettung gebracht! Das ist doch so: die Gerichte sind nicht für die Gerechten, die Beamten nicht für die Bauern, der Schutz nicht für die Benachteiligten. Das weiss jedermann, der Verstand zum Denken hat. Wenn es denn schon keinen anderen Rat gibt, so muss man es so machen, wie die anderen Dörfer.«

»Totschlagen das Aaszeug! Zu Tode schlagen! Mit Pferden zerreissen!« fingen einzelne an wütend zu rufen und wollten sich mit ihren Knütteln auf die Gajdas stürzen.

»Still da! Nicht anrühren! Ihr Hundeblut!« schrie sie der Andreasbauer an und stellte sich schützend vor die Liegenden. »Wartet eure Zeit ab! Wir wissen alle, dass sie Räuber, Diebe und Verräter sind, die man strafen muss, wenn einer aber etwas gegen sie vorzubringen hat, dann trete er hervor und sage es ihnen ins Gesicht. Denn wir üben hier Gericht aus, nicht Totschlag. Nicht um Rache an ihnen zu nehmen, haben wir sie festgenommen, sondern um eine gerechte Strafe über sie zu bringen!«

Das Volk knäulte sich dicht zusammen, denn es wurde einem jeden unbehaglich zumute bei dem Gedanken, als erster vortreten zu müssen. Das Stimmengewirr schwoll an: alle hatten auf einmal zu sprechen und den ihnen zugefügten Schaden darzulegen begonnen, sie drangen dabei drohend auf die Gefesselten ein; schliesslich trat der Müller vor, erhob die Hand und sagte feierlich:

»Ich zeuge vor Gott und vor den Menschen, dass sie mir meine Pferde und vierhundert Rubel gestohlen haben. Ich habe sie ertappt ... Mit dem Messer haben sie mich zu schwören gezwungen, auf dass ich sie nicht angebe! Mit Rache haben sie mir gedroht! Sie sind die allerschlimmsten Räuber, die es gibt.«

»Und ich bezeuge, dass mir die Gajdas eine Kuh gestohlen haben,« sagte ein anderer.

»Mir haben sie ein Mutterschwein genommen.«

»Und mir eine Stute mit ihrem Fohlen,« bekundeten weitere Stimmen.

Das Volk hörte in drohendem Schweigen zu.

Es hatte plötzlich aufgehört zu schneien, dafür raste der Wind um so mächtiger gegen die Kirche an und stemmte sich gegen die Bäume, die sich ächzend neigten; über den Himmel flogen grosse, graubraune Wolken, und die anklagenden Worte fielen unaufhörlich, hart und schwer, so dass ihnen schon immer häufiger aus dem Haufen ein unheilverkündendes Murren und das zornige Aufstossen der Knüttel folgte, oder man hörte die Gajdas schreien:

»Das ist nicht wahr! Aus Feindschaft zeugt er wider uns! Das haben ihm die Diebe aus Wola genommen! Glaubt ihm nicht!«

Aber es stellten sich ihnen immer neue Zeugen entgegen und brachten nur noch bösere Dinge zur Sprache. Schliesslich warf man ihnen die erschlagenen Juden, die Fräulein, die sie den Russen angegeben hatten, den verratenen Pfarrer, Brandstiftungen, Saufgelage mit dem Gendarmen und auch noch dieses vor, dass sie den Kirchenbesuch vernachlässigten. Welche ihre Schuld einer auch wissen mochte, er griff sie eifrig auf, um die Anklage auf ihre winselnden Köpfe niedersausen zu lassen, so dass zuletzt ein furchtbares Geschrei entstand, denn einer versuchte den anderen zu überbieten, jeder fluchte, jeder schwor, und keiner war unter ihnen, den nicht die Lust ankam, dreinzuschlagen, bis der Andreasbauer, ausserstande sie im Zaum zu halten, wütend brüllte:

»Macht doch eure Mäuler zu, dass ich ausreden kann!«

Es wurde jetzt etwas stiller, nur die Weiber keiften wütend auf ihre Art weiter.

»Gesteht ihr es ein?« fragte er, sich über sie beugend.

»Nein, wir sind nicht schuldig! Sie sagen die Unwahrheit aus Feindschaft! Wir werden schwören!« schrien die beiden verzweiflungsvoll auf.

»Gesteht es ein, dann wird eure Strafe kleiner sein,« redete er sanft auf sie ein.

»Tod den Hundesöhnen! Prügelt sie mit den Knütteln tot! Räuber sind es, Diebe und Verräter! Tod den Halunken!« kreischte mit einemmal das ganze Volk; Stöcke und Fäuste erhoben sich drohend, so dass die Gajdas vor Angst aufheulten, sich bäumten, hin und her warfen, mit den Zähnen nach den Stiefeln der Männer schnappend, ihre Füsse küssten und unter wahnsinnigem, winselndem Lallen um Barmherzigkeit flehten.

Sie wurden nur noch durch den Müller, den Andreasbauer und einige besonnene Leute geschützt, die sich mühten, die Wütenden zurückzuhalten, die mit lautem Geschrei und mit losgerissenen Latten den Gajdas immer näher zu kommen suchten; am wütendsten aber drangen schon die Weiber mit ihren Krallen auf die Daliegenden ein.

Es wurde beängstigend unheimlich, ein wildes Durcheinander herrschte vor der Kirche, zorniges Geschrei tobte und drohte düster wie die Glocke, welche unaufhörlich Sturm läutete.

»Den Priester müsste man herbeiholen vor dem Tode! Den Priester!« schrie mit einemmal der Müller.

Sie hielten ein. Einer rannte nach dem Pfarrer.

»Oder wir wollen lieber bis morgen warten und sie dann bestrafen! ...« schlug der Müller vor.

Sie überschrien ihn, mit den Knütteln laut aufstampfend.

»Gleich ein Ende machen! Was brauchen Räuber einen Priester! Lass sie verrecken, wie die Hunde! Nicht warten! sonst entwischen sie uns und bringen die Kosaken her! Zu Tode soll man sie schlagen!«

Die Gajdas, die jedoch gewittert hatten, woher ihnen die Rettung kommen könnte, begannen verzweifelt zu flehen:

»Erbarmt euch, Leute! Lasst uns beichten! Lasst den Priester kommen ... Den Priester! ...«

Zu ihrem Unglück befand sich der Pfarrer nicht zu Hause; er war zur Vesperzeit fortgefahren.

»Lass sie vor dem ganzen Volk die Beichte ablegen!« warf einer hin.

»Gut! Recht so! Lass sie ihre Sünden bekennen. Mögen sie die Wahrheit sagen!« bestätigten die anderen. Einer schnitt ihnen die Taue an den Händen los und liess sie an der Kirchenschwelle niederknien.

»Die Kirche aufmachen! Sie sollen beichten! Tür aufmachen!« liessen sich zahlreiche Stimmen vernehmen, aber der Andreasbauer sagte mit lauter Stimme:

»Nicht nötig! Das wäre eine Sünde, solche Räuber ins Gotteshaus zu führen, sie haben genug daran, dass wir ihnen erlauben, an geweihter Stelle zu sein. Ruhe dort!« herrschte er die murrenden Weiber an, und sich zu den Gajdas hinneigend, liess er sich vernehmen:

»Macht also euer Geständnis, aber die reine Wahrheit sagen! Das Volk hat die Macht, euch eure Sünden zu vergeben!« Er kniete daneben und ihm nach taten dasselbe alle anderen unter Seufzern und Bekreuzigungen.

Die Gajdas begannen etwas Unverständliches zu stammeln und sahen sich dabei spähend nach allen Seiten um.

»Sprecht deutlich! Laut reden! Den lieben Gott wollen sie noch betrügen!« brausten die anderen auf.

Der alte Gajda, als wäre ihm vor Angst die Seele geschmolzen, begann zu beben, brach in ein Weinen aus und fing unter schwerem Schluchzen an, seine Sünden zu bekennen.

Ein Grabesschweigen hatte sich ausgebreitet, man hielt selbst den Atem zurück. Auch das Husten war verstummt, nur einzig die weinerliche Stimme des Alten klang aus dem Dunkel und zerfloss wie in einem Blutrinnsal, und darüberher dröhnte die Glocke und rauschten die windbewegten Bäume.

Ein Grauen war über die Seelen gekommen, die Haare sträubten sich den Menschen zu Berge, sie schlugen sich vor Entsetzen auf die Brust, hier und da liess sich ein klagender Seufzer vernehmen, eine furchtbare Angst hatte die Herzen mit eisiger Kälte gepackt, denn der alte Gajda, der immer wieder die Schuld auf den Sohn und den Gendarmen abzuwälzen versuchte, gestand nicht nur alles ein, dessen sie ihn beschuldigt hatten, sondern noch viel schlimmere Dinge mehr.

Und als er seine Beichte beendigt hatte, fiel er mit ausgebreiteten Armen zu Boden, schlug mit dem Kopf gegen die Kirchenschwelle und jammerte so um Erbarmen, dass viele mit in sein Weinen einstimmten.

»Lass den Kasper jetzt seine Sünden bekennen! Kasper! Vorwärts, du Mörder! Wird's bald! ...« und sie begannen mit den Knütteln und mit den Füssen nach ihm zu stossen, dass er sich wütend emporriss. »Selbst seid ihr Räuber! Die Unschuldigen wollt ihr morden! Selbst seid ihr Diebe und Verräter ... Lausevolk! Äser! Knechte!« fluchte und drohte er immer furchtbarer, bis der Alte ihn zu bitten begann:

»Demütige dich, mein Sohn! Gestehe deine Sünden ein, dann werden sie dir vielleicht deine Schuld vergeben. Demütige dich!«

»Ich will nicht! Um Gnade werde ich diese Mörder nicht bitten! Tolle Hunde! ... Knechte! Ich brauche keine Beichte! Lass sie mich totschlagen! Lass sie sich erdreisten, diese Hundesöhne! ... Das Militär wird ihnen morgen für mich heimzahlen! Lass sie mich bloss antasten!« brüllte er wie ein wildes Tier und sprang mit einem Satz auf, schlug mit den Fäusten auf die Nächststehenden ein und stürzte sich wie ein Toller gegen alle. Der Alte warf sich ihm nach und versuchte heimlich, wie ein Wolf, durchzukommen.

Es entstand ein furchtbares Geschrei, man überwältigte sie jedoch im Handumdrehen und warf sie, wie einen Haufen Lumpen, auf den alten Platz zurück, der Andreasbauer aber rief zornig:

»Fliehen wollten sie! ... Sie drohen mit Rache! ... Sie sind die ärgsten Mörder und Diebe! Bestraft sie, Leute! Schlagt sie tot, wie tolle Hunde! Ein jeder schlage auf sie ein! Alle! ... Schlage sie jeder, der an Gott glaubt!« schrie er ganz ausser sich.

Es ging ein Wogen durch das Volk, wie durch die Kronen des Hochwaldes. Es warf sich auf die Räuber. Hundert Knüttel hoben sich und fielen mit dumpfem Krachen nieder. Ein bis in alle Himmelsfernen vernehmbares Aufbrüllen brach hervor, als wäre die ganze Welt zusammengestürzt, wie ein furchtbarer Wirbelsturm begehrte es auf und wurde mit einemmal stiller, so dass man im Dunkeln nur das Dreinschlagen der Knüttel, ein dumpfes Getrampel, Weibergewinsel, Röcheln, Fluchen und ab und zu die wilden, furchtbaren, markerschütternden Schreie der Geschlagenen hörte.

Nach einer Weile sah man vor der Kirchenschwelle nur noch eine formlose Masse im Schnee und Schmutz schwarz daliegen und roch den süsslich eklen Geruch des Blutes...

Das Geläut verstummte, aber die Leute hatten noch nicht Zeit gehabt, zu sich zu kommen, als vom Dorf Rufe laut wurden, der Gendarm wäre geflohen. Die Dorfburschen kamen nacheinander angerannt und berichteten, laut durcheinanderschreiend:

»Der Gendarm ist geflohen! Als die Glocke zu läuten anfing, sind wir in die Stube eingedrungen, aber er war nicht mehr da ...«

»Durch die Schlafkammer ist er geflohen! Die Müllerstochter hat ihn gewarnt!«

»Das ist wahrhaftig wahr, wir haben gesehen, wie sie da hineingegangen ist. Sie hat ihn gewarnt! Sie!«

»Das ist eine Lüge!« brüllte der Müller auf und sprang mit den Fäusten auf sie zu.

»Alle haben es gewusst, dass sie dem Gendarm seine Geliebte war, alle!« schrien die Weiber und jede berichtete, was sie darüber wusste, als sich der Andreasbauer wieder vernehmen liess:

»Leute, hört zu! Brüder! Wir haben den einen die Strafe zuerteilt, aber der Schlimmste ist uns fortgelaufen! Man muss ihn einholen ... Wir wollen jeden so bestrafen, der das Volk benachteiligt, der stehlen und Verrat am Volke begehen wird! – Sofort auf die Gäule und hinterdrein! Auf die Gäule, Jungen! Nach der Stadt zu ist er geflohen! Jagt ihm nach, man muss ihn tot oder lebendig fassen! Rasch, Leute! Dass er uns keinen Streich spielt! Nur rasch! ...«

Sie ergossen sich über den Kirchplatz und rannten was das Zeug hielt aufs Dorf zu, und in einem Vaterunser jagten schon mehrere Dutzend Bauern auf verschiedenen Wegen in der Richtung der Stadt davon, dass den Pferden die Leber kollerte und der Strassendreck unter den Hufen aufklaffte.

Das Dorf lag jetzt wie gänzlich verödet da. Nur auf dem Kirchhof hörte man klagendes Weibergewimmer.

Inmitten der Landstrasse, ohne auf Schnee und Regen zu achten, die ihm ins Gesicht peitschten, schleppte sich der Müller heimwärts, er blieb häufig stehen, schnappte mühsam nach Luft, seufzte tief, taumelte ab und zu und blieb dann wieder wie erstarrt stehen, hier und da nur murmelte er leise, schmerzlich und aus der Tiefe seines gequälten Herzens:

»So eine Tochter bist du! Eine solche! ... Dem Gendarmen seine Geliebte! ...« wiederholte er wie geistesabwesend und umspannte seinen Knüttel immer fester.

Nur dass er jetzt wie im Fieber bebte und ihm die Tränen, gross wie Erbsen, über das Gesicht tropften. –


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