W. St. Reymont
Polnische Bauernnovellen
W. St. Reymont

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Der Schneesturm

Eine Winternacht vor Strenge trächtig, von Schneemassen blass erhellt, die die Felder mit einer flockigen Schicht bedeckten, sank hernieder, nahte auf allen Wegen und schien von überall her graue Formlosigkeit heranzuwälzen. Der Wind steigerte sich immerfort und ging allmählich in einen Schneesturm über. Er pfiff über die weiten Felder dahin, stürzte sich auf die totenstarren Baumskelette, wühlte sich in die Schneewehen ein, riss Massen trockenen Schnees los und schleuderte sie in den dunklen Raum hinaus; – wütend aufheulend und mit einem langgezogenen, drohenden Knurren haderte er mit sich selber. Die Welt war wie eine bläulich-fahle Flut, die den Schaum der Nacht auf ihren Wogenrücken trug. Alle Wege – schneeverschüttet und menschenleer; das stille Dorf duckte sich an den Flanken einer Anhöhe, die gleich einem Friedhofhügel ihren Scheitel mit Kreuzen geschmückt hatte und schwarz vor Wacholdersträuchern war. Ringsum herrschte vollkommene Öde und Wüstenei – nur der Schneesturm heulte darüber hin, mit tausend seltsamen Stimmen wehklagend, wälzte sich daher wie eine Riesenwoge und schlug wie eine Sturmflut aus Schneestaub auf eine baufällige ächzende, alte Schenke ein, die zwischen der nebligen Wand des Waldes und dem Dorf stand. Das alte Haus mit seinen zur Hälfte durch Bretter vernagelten Fenstern erzitterte bei jedem Windstoss, so dass die kleinen Scheibchen klagend aufklirrten und das Lämplein in der grossen düsteren Schankstube, das über dem Kamin hing, unruhig hin und her zu flackern begann und fast auszulöschen drohte. Ein zweites ähnliches Lämplein glimmte hinter der Vergitterung des Schanktisches und übergoss mit seinem gelblichen Licht Reihen von Flaschen und gewaltige Fässer. Der Wind stiess auf die verbogenen Wände der Schenke ein, rüttelte an dem verfallenen Gebäude und suchte sich pfeifend durch die Ritzen ins Innere hindurchzuzwängen. In der Schankstube war es still und eisig kalt, die Feuchtigkeit stieg von dem nassen, mit Schnee befleckten Fussboden auf, greiser, glitzernder Reif klebte an der Balkendecke und am Kamin. Ein betrunkener Bauer nickte über einem langen Tisch; ab und zu hämmerte er mit der Faust auf die Platte, dass die vor ihm stehende Schnapsflasche wackelte, knurrte halblaut einige Worte in seinen Bart, drohte dem Fenster mit der Faust und versuchte ein Lied anzustimmen. Je mehr jedoch der Schneesturm wütete und die Schenke erzittern machte, um so stiller wurde der Bauer, um so haltloser nickte sein Kopf und um so häufiger goss er sich Schnaps ein. Er zupfte immer wieder an seiner Schafspelzmütze, die er anbehalten hatte, und murmelte halblaut vor sich hin:

»Wahr ist es ... die Wahrheit, die ist mein und die ist dein, und gehört einem jeden, der sie hat ... Die Wahrheit, das ist kein Hund, den sich einer bloss für sich allein an die Kette legen kann ... Zweitens habe ich Geld, das habe ich ... Gevatter! ... um so zum Beispiel zu sagen, hatte der Adam ein schlimmes Weib, aber kräftig war sie ... und geprügelt hat sie ihn ... und wie sie ihn geprügelt hat ... Ein weicher Kerl war er, von ausländischer Statur. Was hast du zu mir, Bauernlümmel, gesagt? Meine Ehre hab' ich, aufs Maul schlag' ich dich, denn jedes Vieh hat seine Ehre, und ich bin ein Hofbauer, der leibliche Vater meiner Kinder, ein Christ, ein Katholischer ...«

Und wieder trank er, trommelte mit der Faust auf das Tischbrett und schwankte hin und her.

Die Tür wurde vom Flur aus aufgestossen und zugleich mit dem Sturm und Schnee drangen zwei in Tücher eingemummte Kinder in die Stube. Das Mädchen war etwa zwölf Jahre alt und der Junge sieben. Sie schüttelten den Schnee von ihren Kleidern, stellten sich am Schanktisch auf und blickten schweigend im Zimmer umher. Der Bauer betrachtete sie mit seinen glasigen Augen und tat dann so, als wollte er auf sie zugehen:

»Fürchte dich, Dirn', ich will dich fressen ... ein wildes Tier sitzt in mir ... ich fresse dich ...«

»Versteht sich! bin ich vielleicht eine Wurst und Ihr der Hund, dass Ihr mich fressen sollt? ...«

»Bist 'ne weiche Schwarte ... ich fresse dich! ...«

Er stolperte über die unebenen Dielenbretter und fiel schwer gegen den Tisch. Der Junge lachte belustigt auf und das Mädchen murmelte höhnisch:

»Diese Männer, ist das ein Volk, besaufen tun sie sich wie die wilden Tiere und haben noch ihren Spass daran ...«

Die Schankwirtin erschien; darum beeilte sich das Mädchen, ein Bündel behutsam unter der Beiderwandschürze hervorzuholen, und sagte, es auf den Schanktisch legend:

»Eine Mandel Eier und fünf Stück habe ich gebracht, dafür bekomme ich: vier Heringe, ein Quart Petroleum und eine Reihe Semmeln ...«

Die Schankwirtin prüfte aufmerksam die Eier, indem sie sie gegen das Licht hielt.

»Halt! Was ich noch vergessen habe! Das Mutterle haben gesagt, noch eine kleine Flasche Essenz, von der roten, sie wollen die Muhme bewirten, die morgen kommt, mich zu holen.«

»Gehst du in Dienst?«

»Versteht sich. So viele Mäuler sind zu Haus.«

»Wessen seid ihr?«

»Dem Jäger seine.«

»So weit her und bei solchem Schneetreiben seid ihr gekommen? Das ist doch fast eine Meile weit und noch durch den Wald ...«

»Ist schon so, ein mächtig weiter Weg und durch den Wald, aber wir kennen ihn gut. Und der Juseck hat keine Angst,« sie strich über die väterliche Pelzmütze, die dem Jungen bis auf die Nase heruntergerutscht war. Juseck wurde rot, und indem er seine Mütze wieder hochzuziehen strebte, liess er sich sehr gewichtig vernehmen:

»Ich gehe immerzu mit Vater in den Wald und mit Antka nehmen wir die Vogelnester aus, da habe ich keine Angst.«

»Der Schnee kann euch verschütten.«

»Eh! ... wir gehen durch die Waldschneise, das ist näher.«

»Dass euch die Mutter bei einem solchen Wetter fortlässt ...«

»Es hat noch nicht geweht, als wir von zu Hause weggingen; wir hatten kein Licht mehr und Heringe braucht man und Essenz für die Muhme. Vaterle sind auf dem Rundgang.«

So berichteten sie, während der betrunkene Bauer wieder sein Zwiegespräch angefangen hatte.

»Ein Hofbauer bin ich, Herr bin ich ... Herr am Morgen, Herr am Mittag und am Abend ... Und Kartoffeln frisst du! ... Weil mir das so zu meiner Ehre passt ... Und zu Fuss gehst du! ... Weil ich so 'n grosser Herr bin, dass Pferde und Kutscher nicht für mich sind ... Und Stinkschnaps, gewöhnlichen säufst du! ... Weil mir schon die Arraks über geworden sind ... Ein Säufer bist du! – Still, sonst hau' ich dir eine runter. – Ein Säufer bist du! – Ich lang' dir mit der Runge eins über den Schädel, so wahr Gott im Himmel. – Ein Säufer bist du! – Du Hundedunst! willst du dich mit mir zanken und dich mir widersetzen!« schrie er drohend. – »Ein Säufer bist du! – Ei, du Pestiger! Tot schlag' ich dich, tot, Hundsverdammter du!« und er begann sich das Haar zu raufen, schlug sich auf den Kopf, ins Gesicht, riss an seiner Bekleidung und schrie: »Dass du dich nicht unterstehst, ein Hofbauer bin ich, ein Herr bin ich!«

Dann hörte er mit einemmal auf und sank schwer auf die Bank zurück.

Die Kinder betrachteten ihn gleichgültig. Er hob sich etwas hoch und lockte sie mit leiser, demütiger Stimme, ihnen dabei die Schnapsflasche entgegenstreckend.

»Trinkt, arme Würmer, es ist schlimmer Frost draussen ... Trinkt mal ein bisschen, Kinder ...« Die Kinder schoben sich näher an die Schankwirtin heran und hörten nicht auf ihn, ganz in Betrachtung der Heringe versunken.

»Frau Wirtin, gebt diesen armen Seelchen ein paar Semmeln. Wenn ich mal solche Kindlein treffe, dann muss ich ›akurat‹ an meine eigenen lieben Würmer denken, für die ich jeden Abend beten tue. So eine Waise bin ich schon, wie so ein Hofhund ... hundsverflucht ...«

Er brach ab, dann fuhr er wieder fort:

»Ein Weib hab' ich gehabt und 'ne Kuh und Kinder hab' ich gehabt, – und jetzt, wie dieser Stecken hier, bin ich ganz allein ... Dem einen habe ich ein Begräbnis bezahlt – reinen Schnaps habe ich getrunken, gegen den Kummer; das zweite hab' ich begraben, an Pocken ist es mir gestorben – Roten habe ich getrunken; das dritte habe ich begraben – Arrak habe ich getrunken, weil es mir das Herz abklemmte; die Frau ist mir eingegangen – reinen Sprit habe ich getrunken; die Kuh ist mir zum Frühjahr verreckt – alles durcheinander habe ich getrunken, und nichts hilft – den Schmerz darüber, den bin ich nicht losgeworden, der würgt mich immer noch ab. Fünfe sind mir eingegangen, fünfen habe ich ein hofbäuerliches Begräbnis gehalten, und nun trink' ich, weil mich der Alp zur nächtlichen Zeit abwürgen will und die Seelchen im Schlaf zu mir kommen, um sich zu beklagen – ich trink' immerzu ... Ein Säufer bist du! – Halt's Maul, sonst lang' ich dir eine ...«

Und wieder fing er an sich mit sich selber zu zanken.

»Hier habt ihr alles, Kinder, und macht, dass ihr fortkommt, man sieht die Welt nicht mehr vor den Augen, so weht es draussen.«

Antka wickelte die Einkäufe in ein Tüchel und zog dem Bruder die Pelzmütze tiefer über die Ohren.

»Gott mich euch!« sagte sie, und die beiden gingen.

»Geht mit Gott. Na? Stepan, ich schliess' nun die Schenke.«

»Stepan bin ich, ein ›Pan‹ bin ich,« knurrte der Bauer schlaftrunken vor Müdigkeit und Schnaps.

»Geht schon, ich schliesse jetzt, bei diesem Wetter kommt kein Hund mehr in die Schenke.«

»Trinkt, arme Würmer, trinkt ... Nicht, dann nicht ... Schmeckt dem Kalb die Rübe nicht, mag es Meerrettich fressen ...«

Er trank den Rest des Schnapses aus, zupfte seinen Rock zurecht und fing an zu singen:

Hast die Ehe mir versprochen,
Wenn der Roggen eingefahren,
Und jetzt fährst du ein den Hafer
Und belügst mich wie ein Hund!
Oj dana, da dana!

»Jetzt kannst du einen schlafen, Herr Hofbauer,« sagte er und streckte sich ohne Umstände auf der Bank aus. »Stepan bin ich, ein ›Pan‹ bin ich ...« murmelte er nur noch.

Die Kinder traten aus dem Flur ins Freie und blieben eine Weile besorgt stehen. Die Welt sah grau aus und wurde von den verstäubten fliegenden Schneemassen derartig getrübt, dass man weder Wege, Bäume, noch Häuser zu erkennen vermochte – alle Umrisse verschwammen im Wirbel des wilden Schneetreibens, aus dem ein Pfeifen, Rauschen und drohendes Knistern vernehmbar ward. Der Wind drehte sich im Kreise und griff immer wieder ganze Wolken von Schnee auf, die er über der Erde zu Staub zerstäubte, wie der Müller, wenn er aus den Beutelsieben das Mehl ausklopft. Das durchdringende Aufwinseln des Sturmes, das laute wehmütige Knarren der Bäume am Wege und ein dumpfes Knurren aus dem Raum waren jetzt die einzigen Laute dieser Sturmnacht. Die Kinder gingen schnell auf den Forst zu, kaum erkennbaren Spuren nach, die den schneeverwehten Weg kennzeichneten. Die Antka sah sich immer wieder um, und etwas Unruhe begann aus ihren Augen aufzuleuchten, der Junge ass indessen mit grösster Seelenruhe seine Semmel auf und schob ab und zu seine Mütze höher, um besser sehen zu können.

»Antka! werden mir die Mutter einen Hering geben?«

»Das wird sie.«

»Das Köpfchen?«

»Ja, das Köpfchen.«

»Auf Kohlen werd' ich es mir braten und aufessen – so schmeckt es schön!«

»Es schmeckt schön.«

Sie schwiegen und stapften in den weissen, rasenden Abgrund hinein. Sie gingen im gleichen Schritt, obgleich der Schnee immer tiefer wurde. Antka blieb jede fünfzig Schritt etwas zögernd stehen und suchte nach den Spuren des Weges. Ihre Unruhe wuchs, je mehr sie sich dem Walde näherten.

»Komm rasch, Juseck, im Forst wollen wir rasten, dann gebe ich dir auch noch Semmeln zu essen.«

»Die Füsse schmerzen mich.«

»Hab' keine Angst, komm. Mutterle wartet. Die Muhme bringt dir morgen ein Bildchen mit.«

»Und eine Fibel auch?«

»Versteht sich, auch eine Fibel.«

»Dann gehen wir mit dem Wawschon in die Schule.«

»Ja, das werdet ihr.«

»Dem Roch sein Gschela hat gesagt, dass ich die Buchstaben schon kenn' und auch nicht schlecht zusammensetze.«

»Ist auch so, das kannst du schon; ich bin drei Winter lang in die Schule gegangen, aber nur ein Bisschen habe ich gelernt.«

»Ich kann's wirklich, Antoscha. Der erste Buchstabe, der gerade so aussieht wie zwei Dachsparren quer übereinander, das ist das ›A‹.«

»Das ist wahr, dass er wie zwei Dachsparren aussieht, aber das Geschriebene, das kriegst du nicht zurecht.«

»Doch, das krieg' ich zurecht, Antka! So ein ganz rundes Rädchen mit einem Stecken dabei, der von der Erde absteht wie eine Peitsche.«

»Wie das heute weht, wie das weht! ... Menschenkinder! ... die Augen kann man nicht auftun.«

»Warum ist das so?«

»Das tut der Herr Jesus so herumpusten zu seinem Spass.«

»Der Herr Jesus macht eine solche Kälte?«

»Versteht sich, dass es kein anderer ist.«

»Der geistliche Vater haben aber doch gesagt, dass der Herr Jesus den Lenz macht.«

»Den macht er auch, – den Lenz und den Winter, weil es der liebe Herr Jesus so wollen ...«

»Antoscha! werden mir Vaterle eine Jacke kaufen?«

»Wenn er dir versprochen hat, dann wird er sie dir auch kaufen.«

»Er hat gesagt, dass er mir für das Hüten eine kaufen wird – grad so eine wie der Michael von den Jendreks eine hat, mit blanken Knöpfen.«

Sie schwiegen, denn der Wind peitschte auf ihre Gesichter ein und schüttete ihnen Schnee in die Augen.

Der Sturm nahm immer wieder einen neuen Anlauf, er schien Riesenflügel auszubreiten und in wahnsinniger Wut mit ihnen auf den Raum einzuschlagen; kurzes, heulendes Aufzischen durchschnitt die Luft, ein Grollen und Donnergetöse wälzte sich aus einem Ende der Welt zum anderen. Der Wirbelsturm mengte Himmel und Erde durcheinander, heulte mit hundert verschiedenen Stimmen wie ein Rudel Wölfe, winselte in jäh abreissenden Anläufen auf oder pfiff langgezogen. Er legte sich auf Augenblicke, um sich nur noch wütender auf die Welt zu stürzen, richtete sich auf und brandete mit dem Rauschen eines sturmgepeitschten Meeres in wilden Wogen gegen das Land an, stiess, durch den Widerstand zur plötzlichen Raserei angestachelt, gegen die aufgetürmten Schneemassen, zerriss sie zu langen, sprühenden Kegeln, bildete weiss stäubende Wirbel und wälzte sich mit ihnen, die Schneeschleier zerfetzend, über die Felder dahin. Bald jedoch kehrte er wieder zurück, um seine wilde, gewaltige Arbeit abermals aufzunehmen. Der nahe Forst fügte diesem allgemeinen Tosen seine gewichtigen Stimmen hinzu. Er tauchte ganz schwarz immer näher vor ihnen auf, schien sich zu heben und immer riesenhafter emporzuwachsen, während er allmählich auf sie zukam. Die Kinder waren kaum noch imstande, sich durch die Schneehaufen einen Weg zu bahnen. Am Waldrand selbst war es stiller, aber sie gerieten mitten in den riesigen Trichter einer Windhose; gewaltige Schneewehen, die übereinandergestürzten Felsen glichen, umgaben sie rings und spien wie lebendig gewordene Vulkane einen feinen, schneidenden Staub aus, der die Augen blendete. Auf zwei Zoll war nichts mehr zu sehen, als ein grenzenloses, rasendes Gewoge. Sie gingen wie in eine Wolke eingehüllt, in der beständig ein dräuendes, spitzes Knistern raschelte. Zuletzt hockten sie sich ein wenig nieder, um neue Kräfte zu sammeln.

»Es muss hier irgendwo einer hängen, dass es so weht.«

»Der Böse?« fragte Juseck leise, und die Angst überrieselte ihn mit einem kalten Schauer.

»Der Böse nicht, aber einer, der vom Bösen besessen ist.«

»Und wo ist er?« fragte der Junge noch leiser.

»Wo? er schaukelt irgendwo an einem Ast.«

»Der Gehängte?«

»Versteht sich, kein anderer. Er baumelt an einer Esche im Walde. Jesus! Maria!« schrie sie plötzlich auf und fiel in den Schnee, den Jungen im Fall mit sich fortreissend, denn ein riesiger Ast, den der Sturm mit sich trug, war dicht über ihren Köpfen wie eine grosse Wolke vorübergeflogen.

»Der Erhängte! Antka! Der Erhängte!« schrie Juseck laut auf.

»Ave Maria! Unter deinen Schutz begeben wir uns ...« murmelte das Mädchen, ihre Zähne klapperten, sie war vor Entsetzen und Angst wie erstarrt und wagte sich nicht zu erheben.

Es verfloss ein gutes Vaterunser, ehe sie aufgestanden waren und weiterzugehen versuchten, aber dieses plötzliche Erlebnis war ihnen wie ein schwarzer Fleck auf der Netzhaut haften geblieben und quälte ihr Denken mit wilden Entsetzensbildern. Sie hielten immer häufiger an, um das heimliche Beben zu bezwingen, das sie schüttelte, und um sich ängstlich umzusehen, denn es schien ihnen immer wieder, als sähen sie in jedem dunkleren Umriss den an seinem Tau schaukelnden Leichnam des Erhängten. Sie betraten den Wald und drehten nach der sogenannten Waldschneise ab, die den Forst in schräger Richtung durchschnitt, denn der Waldweg war vom Schnee ganz verweht und nicht zu begehen. Unter den Ästen der Waldriesen war es fast still, der Schnee deckte mit einer dicken Schicht die Erde zu und häufte sich zu solchen Lasten auf den Zweigen, dass sie schwer herabhingen. Der perlgraue Hintergrund des Waldes wirkte seltsam ergreifend. In endlosen Reihen standen die Baumstämme wie Säulen aus Basalt und hoben sich von der Waldtiefe wie gespenstige Umrisse ab, sie schienen überall den Weg versperren zu wollen und reckten sich in einem so düsteren Schweigen vor ihnen auf, dass die Kinder die gewaltige Macht ihrer Erscheinung leibhaftig fühlten und ihre traumhafte Versonnenheit sie mit einer heiligen, geheimnisvollen Scheu durchschauerte.

Sie fühlten sich mit einemmal wie mitten in einer Kirche im Abenddämmer, wenn alle Lichter erloschen sind, die Vergoldungen der Altäre aufzuschimmern beginnen und der letzte Nachhall der frommen Gesänge und des Orgelspiels in Stille und Nacht verweht.

Sie redeten kein Wort mehr miteinander und setzten, von einer abergläubischen Angst und dem Verlangen getrieben, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, ihren Weg fort. Die Bäume über ihnen neigten sich hier und da mit dumpfem Rauschen und schlugen mit ihren Ästen gegeneinander, oder sie flüsterten so leise wie zerfliessende Wellen und schüttelten ihren Schnee ab, so dass er in Schleiern niederfloss und in seinem Rieseln sich in eine weisse, knisternde Wolke wandelte, dann reckten sie sich wieder starr auf, ganz in Stille und Schlaftrunkenheit versunken.

Der Sturm schien nur darauf gelauert zu haben, denn er kam johlend heran und schlug auf den Forst von oben ein, zauste ihn, wirbelte alles durcheinander, knickte, was er erreichen konnte; und peitschte mit so gewaltiger Kraft drein, dass er ganze Äste brach und Bäume zersplitterte wie nichts. Der Wald erbebte bis in seine Wurzeltiefen, begann unter diesen wütenden Schlägen seltsam schmerzlich zu heulen, neigte sich mit durchdringendem Ächzen, hob sich steil wieder auf, reckte seine hohen Stämme gerade und fing voll wilden Zornes an trutzig und machtvoll zu rauschen; er schien seine Kräfte zu sammeln, sich fester in den Erdboden zu stemmen und in einer dichtgedrängten Masse den Kampf aufnehmen zu wollen; mit seinen Baumkronen peitschte er auf die Windsbraut ein und warf ihr seine plötzlich erwachte riesenhafte Kraft entgegen. Der Sturm aber, der mit den brandenden Wogen seiner Windstösse wie mit Mauerbrechern immer wieder den Wald berannte, stiess jetzt mit solcher Wucht auf die Wipfel nieder, dass der Wald vor Zorn ein einziges Heulen und Brausen wurde; seine stolze Kraft vertausendfachte sich unter den wütenden Schlägen, und unter zornigem Schaukeln, ganz seiner Raserei hingegeben, stimmte er seinen mächtigen Hassgesang an, der allen Stürmen hohnzulachen schien. Bis zuletzt nichts mehr zu hören war, als ein Pfeifen, Sausen, Splittern und nicht enden wollendes Geheul.

Das Krachen wegbrechender Stämme mengte sich ab und zu in dieses Chaos wie eine Gewehrsalve und ertrank in dem Aufruhr, nachdem es knatternd die Luft zerrissen hatte. Hinweggebrochene Baumkronen kamen ächzend durch die Luft geflogen, abgeknickte Baumhäupter, noch mit ihren letzten Rindenfasern sich an ihre gewaltigen Mutterstämme klammernd, rangen verzweifelt mit der Gewalt des Sturmes und schlugen wild auf die Nachbarbäume ein; hin und wieder kam darauf aus dem tiefsten Waldinneren die Flut eines solchen Schweigens geflossen und gewann so unumschränkte Macht, dass die Kinder das Klopfen ihrer erregten Herzen zu vernehmen glaubten, in welches sich das siegreiche Geraun des Waldes mischte; mit weit aufgerissenen Augen starrten sie auf jeden dunklen Baumstamm und jeden schwarzen Ast, von dem der Sturm den Schnee weggefegt hatte. Die Angst vor dem Gehängten, der hier irgendwo an seinem Ast schaukeln musste, machte ihre Herzen, die ohnedies schon durch den Sturm und durch diese furchtbare Nacht entsetzt genug waren, wild schlagen. Jeden Augenblick griff Juseck die Schwester am Arm und flüsterte verstört: »der Gehängte! da, der Gehängte!« Und es war doch schliesslich nur ein gebrochener Ast, der zwischen den Baumstämmen hin und her schaukelte, oder ein Lärchenbaum in seinem runzeligen, schwarzen Rindenharnisch, der wie ein Gespenst vor ihnen aufwuchs, oder auch nur ein Schatten, der sich plötzlich von irgendwoher gelöst hatte und über die Schneedecke huschte.

Die Antka schritt rasch aus und obgleich sie die Augen vor Angst schloss, musste sie sie immer wieder auftun und um sich schauen. Noch nie hatte sie einen Gehängten gesehen, aber die durch die Ängste der Dunkelheit und das Grauen der Sturmnacht erhitzte Einbildung schuf ihr eine grausige Fratze, ein unsagbar scheussliches Gespenst, das sie für Augenblicke ganz dicht vor sich auftauchen sah: einmal schaukelte es sich an einem Aststumpf in dunkler Waldestiefe, einmal flog es über den Wald dahin im Wirbelsturm und breitete die Arme aus, ein andermal wälzte es sich zwischen den Baumstämmen der Waldbäume wie ein formloser Klumpen auf sie zu und prallte im Rollen gegen die Bäume an; dann wieder sah sie es durch den Forst als eine Schneestaubwolke ziehen, oder es kam unsichtbar daher, verdunkelte nur die ganze Welt durch seinen Schatten und lachte – sie hörte es ganz deutlich, dieses böse, krähende Kichern, sein schadenfrohes Hundegewinsel und sein scheussliches Schmatzen. Das Blut erstarrte in ihren Adern, etwas krampfte sich in ihr zusammen vor namenloser Angst, denn es war ihr, als fühlte sie, wie dieser Gehängte sie fangen und erwürgen wollte. Vergeblich betete sie vor sich hin, vergeblich bekreuzigte sie sich, eine innere Angst stieg immer heftiger in ihr auf; dabei konnten sie jetzt nur Schritt für Schritt vorwärtsdringen, denn es versperrte ihnen häufig ein solches Jungwalddickicht den Weg und so gewaltige Riesenstämme hatten sich quer über den schmalen Waldpfad gelegt, dass sie sich nur mit Mühe fortbewegen konnten.

Halbtot vor Ermattung und Angst erreichten sie eine kleine Waldwiese, von der die Waldschneise mehr nach links abbog und gerade auf ihre Hütte zuführte. Sie sanken unter einer gewaltigen Tanne nieder, welche mitten auf der Waldwiese stand, um etwas auszuruhen. Sie froren, darum schmiegten sie sich dichter aneinander und starrten voll tiefer unbewusster Angst in das Walddunkel. Eine unerklärliche Furcht durchschauerte sie, und die Stille um sie herum bedrückte sie noch mehr, als selbst das Rasen des Sturmes.

»Ich fürcht' mich, Antoscha,« murmelte der Knabe.

»Fürcht' dich nicht, Juseck. Der liebe Herr Jesus lässt uns nicht umkommen.«

»Der Herr Jesus können alles? ...«

»Alles.«

»Dann könnte er, wenn er wollte, unser Haus mit dem Sturm fortnehmen?«

»Das könnte er.«

»Antka! dann könnte er auch unsere Scheckige wieder lebendig machen?«

»Versteht sich, er würde nur den Atem in sie hineinblasen und sie würde wieder aufstehen.«

»Wenn aber Vaterle das Fleisch verkauft haben und wo wir doch auch schon davon gegessen haben ...«

»Dumm bist du, brauchst nicht zu grübeln ... Der Herr Jesus hat die Macht alles zu tun.«

»Es friert mich so, Antoscha!«

Sie wickelte den Kleinen in ihre Beiderwandschürze und zog ihn noch näher an sich heran; so sassen sie, stumm auf das dumpfe Grollen des wieder heranrasenden Sturmes horchend.

Der Wirbelsturm nahte, die ersten, leichteren Sturmwellen eilten heran wie Vorposten, dann setzte mit einemmal der Wind mit grausigem Pfeifen ein und packte den Wald mit aller Kraft, begann das Geäst wegzubrechen, frass sich in die Dämmertiefen ein mit einem Rauschen, das dem Branden sturmgepeitschten Wassers glich, riss alles, was ihm Widerstand bot, zu Boden, wirbelte den Schnee auf und verdunkelte die Luft mit einer undurchdringlichen Trübe. Der Wald klagte auf, wie in äusserster Verzweiflung, beugte seine knarrenden Stämme, und ganze Striche sanken mit einem donnerähnlichen Krachen wie niedergemäht zu Boden; er heulte dumpf, röchelte wie ein gewürgtes, verreckendes Tier, spannte von neuem seine Kräfte an und verfiel schwankend und brausend, von der Wut des Kampfes wie in blinde Raserei versetzt, wieder in ein langes, keuchendes, so schwer und grausig klingendes Ächzen, dass die Kinder vor Grauen schier erstarben. Und der Sturm steigerte sich immer noch und säte furchtbare Vernichtung; alte Riesenstämme riss er wie dürre Stecken aus dem Boden, oder er knickte sie, dass sie zersplitternd auf die Waldwiese niedersanken und auf der weissen Schneedecke liegen blieben wie geschändete Leichen.

Ringsum war nichts mehr zu erkennen ausser den rasenden, durcheinanderwirbelnden Schneemassen, in den Ohren aber gellte das wilde, zornige Brüllen der entfesselten Gewalten.

»Ich fürcht' mich, Antoscha, ich fürcht' mich!«

»Fürchte dich nicht. Wenn der Wind nachlässt, dann gehen wir heim.«

Sie schwiegen abermals, denn es begann ihnen plötzlich wärmer zu werden und eine eigentümliche Stille fing allmählich an sie einzuhüllen.

»Juseck, lass uns beten ... dann wird vielleicht der liebe Herr Jesus uns helfen,« und sie begann:

»... Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden,« ... leise erklang das Gebet, und es war, als entströmte ein Streifen Licht und Wärme diesem Geflüster ihrer Herzen, die der Angst erlagen, und flösse in die Nacht, in die dahinjagenden Schneewirbel, in den Sturm hinaus, der ringsum heulte und alles vernichtete; und es war, als verrieselte er in jene entfesselten Elementarmächte, die ihre Gewalt über die Welt ausübten und mit rohem Frohlocken sich durch den Raum dahinwälzten. Der Schnee hatte die Kinder allmählich fast ganz zugedeckt, sie wussten es nicht einmal, es war ihnen seltsam wohl zumute, eine süsse Schlaftrunkenheit hatte sie schon in ihrer Gewalt: um so zutraulicher beteten sie die Worte des Gebets, um so vertrauensvoller legten sie ihre Seelen dem Herrn zu Füssen und flehten um Gnade ... »Unser täglich Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben« ... und ihre Herzen waren so von Liebe durchzittert und so von Liebe erfüllt, dass sie immer leiser und langsamer die Worte des Gebets vor sich hinflüsterten. Diese zwei kleinen, einfachen Menschenseelen legten sich freiwillig in einer dunklen Todesahnung wie zwei erlöschende Fünkchen zu Füssen der Allmacht und flehten mit ihrem Herzblut um Erbarmen. Sie fühlten ein seliges Wiegen in sich, und eine Heiligkeit voll süssester Laute strich über ihre Herzen.

»Gegrüsst seist du, Maria, du bist voller Gnaden,« betete Antoscha mit kaum hörbarem Stimmchen und spann das Gebet in wirren Gedanken voll schlaftrunkener Ohnmacht traumhaft weiter. Sie versanken bald ganz in ein unsagbar seltsames Schweigen; es war ihnen, als hüllte sie ein Engel in weisse warme Tücher ein und bewegte seine Flügel dazu in einem leisen Rauschen, denn sie fühlten sich immer wohler und wohler, bis dass zuletzt eine solche Helle, eine solche Wonne, eine solche Musik und solch ein Singen ihr Inneres erfüllten, und eine solche Glückseligkeit, solches selbstvergessenes Entzücken in ihnen weckten, wie sie es nie gekannt.

Ihr Bewusstsein zerriss, während ihr Inneres sich zu dehnen begann; eine grenzenlose Seligkeit schien sie aufzurichten, sie fühlten immer weniger und undeutlicher, was mit ihnen geschah, aber ein Gemeinsames durchdrang sie jetzt, – durch ihr Gehirn zogen traumhaft die Bilder der noch nicht fernen Vergangenheit, sie durchlebten sie zum zweitenmal. Das Elternhaus ... der Kirschhain ... die Trift in der Nähe des Baches ... die Scheckige ... die ist nun tot ... dann gehen sie im blassgrünen Birkenhain Morcheln und Weiberohren sammeln ... oder sie verstecken sich im rauschenden, goldigen Getreidefeld ... Die niedrige Dorfkirche mit ihren altersgeschwärzten Wänden ragt vor ihnen auf ... sie hören das Singen des Priesters und beten; der Weihrauch der Räucherschiffchen umhüllt sie mit seligem Duft und die tiefen Orgelklänge erfüllen sie mit heiliger Ehrfurcht. Die Monstranz erstrahlt über ihnen im goldenen Leuchten, so dass sie, vor seliger Furcht und grenzenlosem Entzücken trunken, ihre Gesichter tief zur Erde neigen. Und dann sehen sie den Priester kommen ... die Menge der Andächtigen hinterdrein ... und alle gehen ... Die Fahnen rauschen, und tief aus den Herzen des Volkes erhebt sich ein Singen und steigt in die Himmelsbläue ... »Du Heiliger, Unsterblicher!« ... klingt es im breitflutenden Gesang, und dieses Fluten der Stimmen ergreift ihre Seelen und trägt sie mit sich fort ... Die Glocken klingen so ernst, erdröhnen zu einem solchen Lobgesang der Freude, dass Tränen unsäglicher Rührung ihre Wangen, ihre Herzen überfluten ... Dann ein anderes. Dicht neben ihnen flutendes Wasser, grünende Getreidefelder ... ein grosser, festlicher Menschenhaufe ... Magdas, ihrer ältesten Schwester, Hochzeit. Ein Gedränge, ein Lärm, ein Singen, tanzlustige Weisen, die Gesichter strahlen vor Wonne, lachen vor Lust, die reiche Fülle des ungebundenen Dorflebens umschliesst sie ... Und wieder andere Bilder; die Erscheinungen kommen und gehen mit einer solchen rasenden Geschwindigkeit, dass sie schon nicht recht mehr wissen, was sie sehen; es verdunkelt sich, die Seelen umhüllt ein Schatten ... nach der Schenke gehen sie doch und der Wind pfeift um sie her, der Schnee wirbelt auf, die Nacht streut veilchenblaue Schatten aus ... Sie fangen an zu zittern, unruhig aufzuzucken ... es bedrückt sie ein Dunkles, das vor ihnen aufsteigt, dort ... am fernen Himmelsrand, sie sehen, wie es schaukelt und wächst ... Sie fliehen durch den Wald, aber das Gespenst ist ihnen schon voraus, es springt und kichert, dass ihnen das Blut zu Eis erstarrt ... klammert sich an die niederhängenden abgebrochenen Äste und wiegt sich vorgebeugt, riesenhaft und in seiner bläulichen Fahlheit furchtbar, im Takt des Sturmes, indem es seine Augen blutrot aufglühen lässt; sie ersterben vor Grauen, denn es ist schon ganz nahe, denn es reckt seine Schattenkrallen, um sie zu packen. – »Der Erhängte! ... Ah ... ah!...« Sie schreien in ihrer Todesangst auf und wollen fliehen, aber sie haben keine Kraft, sich von der Stelle zu bewegen; schwer lastet etwas auf ihnen, sie fühlen sich wie aneinander und an den Boden geschmiedet – sie ringen in unmenschlicher Anstrengung, reissen sich los, spannen den Rest ihrer ganzen Kraft an – und ermattet, in Todesschweiss der Qual gebadet, sinken sie aufröchelnd in einen endlosen Abgrund, um bald zu sehen, dass der Erhängte mit auseinandergespreizten Beinen jetzt dicht über ihnen schaukelt, sie hören das eintönige Knarren seiner Hanfschnur am Ast und das dumpfe Aufschlagen seines Körpers gegen den Baumstamm – und wieder sinken sie tiefer und sie fallen ... fallen ... atemlos, ohne Besinnung in die Unendlichkeit.


Der Schneesturm war vorübergerast. Der Wald stand ruhig da, schien schwer zu atmen und sich in die grenzenlose Stille einzuhüllen, die über der Erde lagerte. Durch die perlgrauen Nebel funkelten hier und da die Sterne und der Mond hatte sich des Restes seiner Wolkenschleier entledigt und rollte wie ein leuchtender Ball durch den Himmelsraum; er tränkte das dunkle Grün der Tannen mit Silberschimmer, streute über die Schneemassen bläuliche Schatten aus und krönte wie mit einem Lichtkranz zwei aneinandergeschmiegte Kinderköpfe, die sich durch ihre Leichenfahlheit kaum von dem Schnee ringsum unterschieden, er zündete in ihren weit geöffneten, gebrochenen Augen grünliche Funken an und strich liebkosend über die im Ausdruck namenloser Angst erstarrten Gesichtchen. Die im Nachtschweigen und Mondschimmer ertrunkenen Waldmassen schienen aus dem Pulsen ihrer kreisenden Säfte heimlich ein inniges Dankgeraun aufsteigen zu lassen – wie liebreiches Lobsingen, wie ein letztes Totenlied jenen reinen Seelen zu Ehren, die sich in die Unendlichkeit aufgelöst hatten. Die stille Winternacht voll Sterngefunkel, voll von Geheimnissen des Schweigens und des Schlafes rann währenddessen unaufhaltsam ihrer Erfüllung entgegen. –


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