Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Reiter-Adel!

»Ich gebe Ihnen vier Tage Urlaub, um in Ihre Heimat zu reisen und die Sache mit Ihrer Familie zu ordnen. Bis zum nächsten Montag erwarte ich die Beweise, daß die Wechsel eingelöst sind, oder Ihr Abschiedsgesuch!«

»Zu Befehl, Herr Oberst!«

»Guten Morgen!«

Der Offizier salutierte, die Hand am Säbel – die Absätze klirrten zusammen, als er kurz Kehrt machte und zur Zimmertüre schritt.

Es war ein hübscher junger Mann, ein keckes übermütiges Gesicht, dem das blonde Schnurbärtchen vortrefflich stand. Er mochte etwa 21 Jahre zählen und die Dragoneruniform kleidete die schlanke und doch kräftige Figur zum Entzücken der Mädchen und zur großen Genugtuung des Besitzers.

Eben als der junge Mann die Hand an die Tür legte, klang die Stimme des Kommandeurs in etwas milderem Ton.

»Leutnant von Möllhoff

Der Offizier machte kehrt: »Zu Befehl!«

»Wenn Sie nach Burgsdorf kommen, so grüßen Sie den alten Herrn, Ihren Großvater – ich habe noch als Fähnrich in seinem früheren Regiment gestanden, bei den berühmten blauen Kürassieren. Schade, daß den alten Herrn das Unglück getroffen hat, auf seine alten Tage zu erblinden. Sein alter Chef hält sich besser – Feldmarschall Wrangel ist immer noch derselbe, man merkts ihm kaum an, die – na, wie alt ist doch Ihr Großvater?«

»Zu Befehl – zweiundsiebzig Jahre!«

»Richtig, Wrangel 1784 geboren also – Vierundachtzig von Einundsechzig –«

»Siebenundsiebenzig Jahre, Herr Oberst,« half der Offizier lächelnd ein.

»Richtig, richtig! Längst Feldmarschall – nun er kann sich nicht beklagen, er hat eine tüchtige Karriere gemacht, so weit werden wirs schwerlich bringen. Der alte Herr, Ihr Großvater, hätte wenigstens bis zur Exzellenz, bis zum Generalleutnant warten sollen – er brauchte ja nicht alles zu sehen, war aber immer etwas eigensinnig, ein starrer Kopf, der sich in die Neuzeit nicht fügen konnte – so lange Friedrich Wilhelm III. lebte …«

»Ich war damals noch nicht geboren, Herr Oberst!«

»Weiß es – Wrangel hatte kurz vorher das I. Armee-Korps bekommen – ja, wie gesagt, er hatte Feinde – aber lassen wirs gut sein! Die neue Zeit will neue Männer! Ich bin sicher, wäre der Herr Generalmajor, Ihr Großvater, noch im Dienst gewesen, hätte sich die unangenehme Affäre mit Ihrem Herrn Vater leicht applanieren lassen, ohne daß er nötig gehabt hätte, seinen Abschied zu fordern.«

Der junge Mann richtete sich straff empor. »Verzeihen der Herr Oberst, mein Vater hat damals, so viel mir bekannt, ganz in Übereinstimmung mit den Ansichten meines Großvaters, ja auf dessen Befehl gehandelt, als er den Herrn Grafen, Ihren Vetter, forderte!«

»Richtig, richtig! – Lassen wir die alten Geschichten ruhen! – Nun,« und der Regimentskommandeur richtete sich in seiner ganzen dicken Figur auf und war wieder jeder Zoll der strenge Vorgesetzte, »wie gesagt, Herr Leutnant, ich hoffe, es wird Ihnen gelingen – Sie haben vier Tage Zeit, Adieu!«

Der Offizier verließ mit straffer Haltung und klingenden Schritten das Zimmer, aber draußen auf der Treppe ballte er krampfhaft die Fäuste und faßte nach dem Geländer, gleich, als müsse er sich daran festhalten. »Verdammt! Daß auch alles über mich gerade jetzt hereinbrechen muß. Ich glaube wahrhaftig, sie haben sich alle zu meinem Untergang verschworen. Ich muß sehen, wo ich Geld auftreibe, um wenigstens das Ärgste zu decken. Zuletzt bleibt mir doch nichts übrig, als diesen Mittag zu reisen und pater peccavi zu sagen. Der Alte wird gewaltig toben, die Mama und Konradine müssen helfen! – Wenn nur die andere Geschichte nicht wäre! Der verdammte Wisch macht mir den Kopf warm. Wenigstens hat der Urlaub das Gute, daß ich mit dem Mädchen selbst sprechen und ihm Vernunft beibringen kann.«

Damit hatte er sich der Sorgen entschlagen, nahm den Säbel unter den Arm und ging mit leichten eleganten Schritten die Treppe hinab, nach der französischen Straße zu, wo er bei Borchardt eintrat.

Die berühmte Weinhandlung und Restauration war seit Jahren schon der Sammelpunkt aller Konservativen der höheren Stände wie der Offizier-Kreise. Verkehrte doch jeder dort, der in den letzten zehn oder zwölf Jahren eine Rolle im politischen Ringen gespielt hatte, sei es in den Kammer-Debatten, in der Presse, in der Diplomatie, vom Journalisten bis zum künftigen Minister. Der als fester treuer Royalist bekannte und erprobte Besitzer, der alte Garde-du-Corps, genoß bei der Partei großes Zutrauen, nicht allein in den Kreisen der älteren Männer, sondern auch bei der heranwachsenden Jugend der Armee, die mitunter selbst allzuoft seine Hilfe in Anspruch nahm. Es war etwas Exklusives um das Lokal trotz seiner damals noch ziemlich beschränkten Räumlichkeiten.

»Wer ist in der Hinterstube?« fragte der Offizier im Durchgehen durch den langen Vorderladen.

»Graf Czaranowski!«

Der Dragoner pfiff durch die Zähne. »Auch einer, der nicht helfen kann, ich glaube, er steckt schlimmer darin als ich. Vielleicht aber hat er wenigstens einen guten Rat. Er kennt meinen Bruder; wenn ich nicht irre, macht dieser sogar seiner Schwester etwas den Hof. Ich wünschte, ich hätte Victors »Pluto«, Graf Gaschin soll ihm zweihundert Friedrichsd'or beim Breslauer Rennen geboten haben; das könnte mich retten!« Er trat in das ziemlich dunkle Zimmer, wo er einen jungen Husaren-Offizier fand, der nicht viel älter war als er selbst, und bald saßen die beiden Kameraden bei einer Flasche Champagner beisammen.

»Verdammt!« meinte der Husar, nachdem ihm der Dragoner aufrichtig seine Verlegenheit gebeichtet hatte. »Ich bin in diesem Augenblick selbst gewaltig klamm, da das Herrenhaus feiert und mein Alter, als er im Januar zum letzten Mal meine Schulden bezahlt hat, mir das Ehrenwort abforderte, wenigstens binnen Jahresfrist keine neuen zu machen, es sei denn für Speise und Trank. Sie sehen, wenigstens habe ich bei Borchardt Kredit. So liege ich denn auf der Bärenhaut und bin unserem schlesischen Nest auf drei Tage entwischt, um hier auf Neuigkeiten zu fahnden, und zu erkunden, ob es wirklich in Polen losgehn wird. Bestätigt es sich, so läßt sich vielleicht drüben ein Rittergut erben, denn Sie wissen, daß wir zahlreiche Verwandte drüben in Polen haben, die toll genug sind, Sibirien den litthauischen oder wolhynischen Wäldern vorzuziehen. Ich sage Ihnen, ich würde eine solche Erbschaft mit Vergnügen annehmen, selbst auf den Fluch meiner Tante Oginska hin.«

Leutnant Möllhoff hatte den Kopf in die Hand gestützt.

»Nur Kourage, Kamerad! Schlimmsten Falls machen Sie die Bekanntschaft einer Gründertochter mosaischen Glaubens – es sind davon, wie ich weiß, mehrere vakant in Schlesien. Vor allem folgen Sie dem Rat Ihres Obersten, wenn er auch nicht besonders gut auf Ihre Familie zu sprechen sein mag, wegen jener alten Duell-Geschichte, die Ihrem Herrn Vater seinen Arm kostete. Aber à propos – vielleicht kann Ihnen Ihr Bruder raten, Sie wissen doch, daß er sich grade auf Urlaub in Burgsdorf befindet?«

»Bruder Victor in Burgsdorf?«

»Ein Kamerad aus der Garnison erwähnte es heute Morgen zufällig in seinem Briefe.«

»Sie haben recht, Herr Kamerad,« sagte der Dragoner-Leutnant, »es wird mir nichts übrig bleiben, als zu reisen. Ohnehin macht es eine andere Angelegenheit notwendig, die mir kaum weniger Sorge bereitet, – eine dumme Liebes-Affäre.«

Der Pole sah ihn fragend an.

»Nichts Ernstes, nichts, was mich hindern könnte, eine reiche Hebräerin zu heiraten. Ich hatte mich beim letzten Urlaub mit einem unserer Hausmädchen verplempert, und nun wehklagt das dumme Ding, daß es Folgen gehabt hat.«

Der Husar zuckte die Achseln. »Wofür ist man jung! Schon Ihr Goethe rühmt, daß die Kuchelbesen am besten karessieren. Bei uns in Polen macht man nicht viel Aufhebens davon. Ein Stück Geld und der nächste beste Knecht. Gutwillige finden sich immer!«

»Freilich wohl,« meinte der andere, »aber hier ist es die Enkelin vom alten Scholz

»Wer ist das?«

»Das Faktotum unseres Hauses, den selbst meine gräfliche Mutter respektieren muß, der alte Reitknecht meines Großvaters, quasi seit dessen Abschied sein Kammerdiener, und mein Vater versteht keinen Spaß in allem, was den alten Scholz betrifft, der auch für ihn eine Art Trockenamme gewesen, obschon er nur zehn Jahre älter ist. Wegen einer ähnlichen Affäre entstand jenes unglückliche Duell, soviel ich weiß.«

»So sprechen Sie mit Ihrer Mutter, oder haben Sie nicht irgendeinen Pfaffen in Burgsdorf?«

»Wir haben deren sogar zwei, einen protestantischen Zeloten und einen weltgewandten katholischen Vikar.«

»Bah, da haben Sie ja, was Sie brauchen, das sind die besten Kuppler! Ich sage Ihnen, ich kenne merkwürdige Geschichten aus unserem Polen und Schlesien, was die Pfaffen da alles schon wieder ins Gleiche gebracht haben. – Lassen Sie uns auf guten Erfolg anstoßen!«

Der leichtsinnige junge Offizier ließ die Gläser klingen, dann verabredeten beide, gemeinschaftlich schon den nächsten Zug der niederschlesisch-märkischen Bahn zu benutzen.


Die Kammern waren, wie bereits bei dem traurigen Ereignis in Baden-Baden erwähnt wurde, für den Sommer geschlossen worden und sollten erst bei Gelegenheit der bevorstehenden Krönung im Oktober wieder zusammentreten. Einstweilen durchbebte der Eindruck jenes verbrecherischen Versuchs noch das preußische Volk, und die konservative Partei bereitete sich vor, durch eine Demonstration ihre Gefühle und ihre Stellung in dem politischen Parteienkampf kund zu geben. Ihre Organisation war seit der Regentschaft zerstört, zersplittert und die Wahlen wie der wachsende Einfluß der Liberalen hatten längst gezeigt, daß wenn sie sich nicht selbst aufgeben wollte, sie kräftigere Zeichen ihres Lebens von sich geben mußte. Die Gesetzvorlagen über das Eherecht und die Grundsteuerregulierung hatten sogar schwere Spaltungen in ihr hervorgerufen.

Der König war von Baden-Baden nach Ostende gegangen und hatte dann mit vielen fürstlichen Gästen aus Anlaß der großen Manöver am Rhein Schloß Brühl bezogen.

Die Badesaisons nahten ihrem Schluß und manche, die sie benutzt, waren bereits heimgekehrt, um bei den weiteren Ereignissen zur Stelle zu sein. Es war in der letzten Woche des September, am selben Tage, als sich der junge Dragoner-Offizier auf den Weg nach seiner Heimat gemacht hatte, um dort seine Sünden zu beichten, als im Schloß zu Burgsdorf sich nach der Rückkehr des Hausherrn aus Berlin die gewöhnliche Gesellschaft um den Kaffeetisch versammelt hatte. Der alte General liebte es, mit ihm bekannten Personen über die politischen Verhältnisse und Vorgänge zu plaudern, und der Besuch des ältesten Sohnes, des Premier-Leutnant von Möllhoff, sowie der Wunsch, näheres zu hören über die Versammlung der Konservativen am 20. September in Berlin, hatten auch die beiden Geistlichen des Pfarrdorfs aufs Schloß geführt.

Der Generalmajor saß seiner Gewohnheit gemäß auf dem alten ledernen Campagne-Sofa, das er selbst in dem sonst modern möblierten Wohnzimmer seiner gräflichen Schwiegertochter nicht missen wollte, und dessen Verbleiben schon gar manche Debatte veranlaßt hatte. Aber der alte Herr hatte fest darauf bestanden und der Respekt für seine Person bei Sohn und Enkeln hatte, als er drohte, sonst die Nachmittage und Abende auf seinem Zimmer zuzubringen, alle Einwendungen der Dame des Hauses beseitigt. Man hatte sich gewöhnt, sich in die Launen des alten Mannes zu fügen, der noch immer mit fester Hand das Oberkommando in der Familie führte, obgleich er bereits bei seinem Eintritt in den Ruhestand seinem einzigen jetzt bereits fünfzigjährigen Sohn, dem Hauptmann, jetzigen Landrat, Curt von Möllhoff das kleine ihm gehörige Gut zur freien Verwaltung übergeben hatte, für seine eigene Verfügung sich nur die Pension bewahrend.

Der alte General war eine lange hagere Gestalt, trotz seiner 72 Jahre von stattlicher aufrechter Haltung, die nur durch die in späterer Zeit eingetretene vollständige Erblindung etwas Unsicheres erhalten hatte, während seine geistige Energie fast dieselbe geblieben war. Die scharfe Beobachtungsgabe und das feine Gehör, das sich häufig bei den des Augenlichts Beraubten einfindet, sowie die sorgfältige Aufmerksamkeit von Sohn und Enkeln für seine Wünsche und Gewohnheiten, ließ ihn manche der mit seinem Gebrechen verbundenen Leiden kaum fühlen. Er trug statt eines bequemen Schlafrocks einen weiten Überrock der Armee-Uniform, für dessen Sauberkeit sein altes Faktotum gewissenhaft sorgte, und über der schwarzen Kommißhalsbinde Kreuz und Band des Ordens pour le mérite, während auf der linken Brust des alten Uniformrockes das eiserne Kreuz erster Klasse angeheftet war. Sein Gesicht, namentlich die scharf gebogene große Nase, hatten etwas Adlerartiges, und wenn auch der eingefallene Mund den Verlust der meisten Zähne verkündete, verbarg dies doch der herabhängende weiße Schnauzbart und der starke buschige Backenbart, die einzige Abweichung, die er sich von dem alten Militärschnitt gestattet hatte, nachdem er vernommen, daß auch sein Kriegsherr, der Prinz-Regent und jetzige König von Preußen einen solchen trug.

Der alte Herr hatte in seiner ersten Jugend als Kornett schon die unselige Schlacht von Jena mitgemacht, in der er verwundet und gefangen worden war, später als dreiundzwanzigjähriger Leutnant unter den ostpreußischen Kürassieren die Befreiungskriege, und war nach 1815 in die gewöhnliche Stufenfolge des Armee-Dienstes zurückgetreten und in dieser bis zum Oberstleutnant und Obersten avanciert, als er zu Anfang der dreißiger Jahre durch Erkältung bei einem Manöver sein Augenlicht angegriffen fühlte. Dies nicht achtend, hatte er bis zum Tode seines alten Königs fortgedient, dann aber, als sich das Übel verschlimmerte, seinen Abschied genommen, der auf das Ehrendste bewilligt worden war. Er war stets das Muster eines strammen Soldaten gewesen, der keine andere Macht anerkannte, als die Gottes und seines Königs. Wie schwer einen solchen Mann die Ereignisse von achtundvierzig trafen, läßt sich denken. Seitdem hatte er sich ganz von dem öffentlichen Leben zurückgezogen, namentlich als sein einziger Sohn, der frühzeitig seine erste Gattin verloren und es nur bis zum Hauptmann gebracht hatte, in einem Duell den linken Arm verlor und sich nur mit der Landwirtschaft und der Verwaltung des kleinen Familiengutes beschäftigte, in dessen Besitz er bei der nächsten Vakanz zum Landrat des Kreises von den Kreisständen gewählt und von dem Ministerium bestätigt war. Seine drei Enkel, von denen der älteste Victor und die letzte, die jetzt zwanzigjährige Conradine seine Lieblinge waren, hatte er nach seinen strengen Ansichten von Loyalität und militärischem Gehorsam zu erziehen gesucht, wobei ihm freilich die Vorliebe und die Nachsicht seiner zweiten Schwiegertochter für ihren eigenen und einzigen Sohn viel Abbruch getan.

»Conrad,« unterbrach die noch immer auf die Rolle einer schönen und vornehmen Dame volle Ansprüche Machende, die der Hauptmann acht Jahre nach dem Tode seiner ersten sehr einfachen Gattin als den armen Seitensproß einer gräflichen Familie geheiratet hatte, jetzt die bisherige Unterredung, »Conrad muß nach dem Telegramm, das er voraussandte, Nachmittag auf der Station eintreffen. Der Kutscher wird doch zur rechten Zeit dort sein?«

»Ich habe ihn selbst geschickt. Aber ich möchte nur wissen, wie der Bursche jetzt auf Urlaub kommt? Wir haben uns doch erst in voriger Woche in Berlin gesehen. Kannst Du es mir sagen, Victor?«

»Du weißt ja, Vater, wenn die Manöver vorüber, und die Königsurlauber entlassen sind, wird gewöhnlichen Urlaub bewilligt. Du siehst es an mir!«

» Geld

Es war eine knorrige und mürrische Stimme, die das Wort zwischen die Unterhaltung warf. Sie kam von einem alten Mann, fast so groß und steif wie der General. Er trug wie dieser einen alten Uniformrock, mochte etwa zehn oder zwölf Jahre jünger sein und schien sich ganz seinen früheren Herrn zum Vorbild genommen zu haben. Er stand am Kaffeetisch und hielt in der einen ausgestreckten Hand weit von sich ab eine frisch gestopfte Meerschaumpfeife, in der andern einen Fidibus.

»Du irrst Dich, Scholze; ich brauche kein Geld,« sagte mit leichtem Lächeln der Premierleutnant. »Ich bin gewohnt, mit meiner Gage auszukommen und Wreschen bietet nicht viel Anreiz mehr auszugeben.«

»Aber Er! – Befehlen der Herr General die frische Pfeife?«

»Gib her – und zünd' los!«

Der alte Reitknecht überreichte ebenso steif die Pfeife, zündete den Fidibus an der Spirituslampe unter der Kaffee-Maschine an und hielt ihn mechanisch über dem geöffneten Meerschaumkopf, bis der Tabak zu glimmen begann. Dann machte er ebenso steif kehrt und marschierte aus dem Zimmer, ohne weiter zu mucksen.

»Er ist und bleibt ein Original,« sagte lächelnd der Vicar, mit dankbarer fast galanter Verbeugung die Tasse duftenden Mokkas annehmend, die ihm eben die Landrätin präsentierte, die bei dem kleinen Intermezzo ziemlich unruhig und geschäftig hin und her gerückt war.

»Ich hoffe, Conrad bedarf ebenso wenig des Geldes wie Du,« sagte der Landrat zu seinem älteren Sohn. »Ich habe ihm seinen Zuschuß für das nächste Quartal schon jetzt dort gelassen, und er versicherte, keine Schulden zu haben.«

Der Gutsherr hatte nicht ganz die Größe seines Vaters, aber er war immerhin ein stattlicher Mann von angenehmem, sich durch ruhige Haltung und ein sehr verständiges wohlwollendes Auge auszeichnendem Äußeren. Er trug einfache Zivilkleidung, die nur das Johanniterkreuz schmückte, und den Ärmel des fehlenden linken Arms mit dem Handschuh daran an der äußeren Brustseite des Rocks befestigt.

»Berichte weiter, Kurt!« befahl der General. »Du sagtest, daß der Saal im Englischen Hause die Versammlung kaum hätte fassen können. Wir alle sind begierig, weiter zu hören, es müßte denn sein, daß der junge Herr aus der Stadt, der so viel ich weiß, zu den sogenannten Liberalen oder Fortschrittlern gehört, keinen Gefallen daran fände.«

Das lichtlose Auge, das der alte General ziemlich bärbeißig über den Tisch hinüberwarf, galt einem jungen Mann in einfacher aber gediegener bürgerlicher Kleidung, der zwischen dem Landrat und dem Vicar saß. Er schien einen Augenblick zu schwanken, ob er den Fehdehandschuh des alten Kriegers aufnehmen sollte, aber ein Blick auf die junge Tochter des Hauses, die neben dem Greise saß, ein kleines Schreibnecessaire vor sich auf dem Tisch, schien ihn zu bestimmen.

»Sie irren sich, Herr General,« sagte der jüngere Mann bescheiden, aber mit einer gewissen Festigkeit, »wir haben in unseren Kreisen mit ebensolcher Teilnahme und ebenso mit ganzem preußischem Herzen den Hergang der unter allen Umständen denkwürdigen Versammlung verfolgt, wie nur irgendeiner der sogenannten Konservativen. Denn auch ich und mein Vater erkennen vollkommen die Berechtigung des Grundbesitzes und Handwerks an und billigen, wenn wir auch zur liberalen Partei gehören und in deren Hauptprinzipien das Wohl des Vaterlandes und die Wahrung der konstitutionellen Rechte des Volkes sehen, das allzu oppositionelle Vorgehn mancher Abgeordneten unserer Kammer nicht. Es kann und wird sich eben das Beste nur in der Ausgleichung der beiden Richtungen finden, und daß vieles zu bessern ist, was nicht mehr in unsere Zeit paßt, das geben selbst die Konservativen zu – fragen Sie nur Ihren eigenen Herrn Sohn, an dessen konservativer Gesinnung gewiß niemand zweifelt, und die selbst die Liberalen unseres Kreises achten und ehren, wie seine Wahl zum Vertreter unseres Kreises bewiesen hat.«

»Gehen Sie zum Henker mit der guten Gesinnung unseres Kreises! Das Landvolk hat es getan, in dem noch ein guter Kern steckt. Haben doch die Städter zum zweiten Abgeordneten den radikalsten Schreier gewählt, den sie haben.«

»Und einen Ungläubigen dazu, einen Feind der Kirche und alles Glaubens an die Gebote des Herrn – einen Juden!« sagte, salbungsvoll die Hände faltend, und mit Abscheu der Pastor, der neben der Hausfrau saß und im Gegensatz zu dem katholischen Geistlichen ein sehr orthodoxes Aussehen hatte. Auch war er weit älter als dieser.

»Das beruht auf dem Kompromiß, den die beiden Parteien in unserem Wahlkreise geschlossen haben,« meinte der junge Fabrikant, »und eben dieser Kompromiß ist der beste Beweis für den gesunden und billigen Sinn in unserem Kreise. Was übrigens die Wahl eines geborenen Juden betrifft, so wird sich vielleicht der hochwürdige Herr in christlicher Milde erinnern, daß gerade dieser Jude durch seine großen Fabrikanlagen auch unserem Kreise mehr als irgend einer meiner christlichen Kollegen mit Handel und Industrie aufgeholfen hat und vielen hundert fleißigen Arbeitern Brod und Verdienst gibt, die sonst an ihren primitiven Webstühlen hungern und darben mußten.«

»Auf Kosten des altbewährten Instituts der preußischen Seehandlung, der er mit seinen Helfershelfern die besten Fabriken durch Kniffe und Ränke aus den Händen in die eigene Tasche eskamotiert hat, und die ihn zum reichen Mann gemacht haben. Der fromme, gottesfürchtige Sinn, der früher wenigstens unsere Armut stärkte, geht leider ganz zu Grunde!«

Ein feines Lächeln flog über das glatte Gesicht des Vikars bei den Klagen seines Herrn Konfraters, denn es war bekannt genug, daß dieser stark der pietistischen Richtung huldigte und an der Spitze der Konventikel in den Weberdistrikten stand. Aber er hütete sich sorgfältig, mit ihm in einen religiösen Disput sich einzulassen, was übrigens der verständige Takt des sehr beliebten Landrats in seinem Hause nicht gelitten hätte. Er wurde überdies jeder Zu- oder Gegenstimmung durch die barsche Einrede des hitzigen alten Soldaten enthoben.

»Donnerwetter«, polterte der General, »halten Sie wirklich, Herr, diese Kompromisse für etwas Gutes? Blücher und Ziethen! Ich sage Ihnen, an den Kompromissen kann das preußische Königtum zu Grunde gehn, wenn dem Schwindel nicht bald ein Ende gemacht wird. Parieren heißt die Parole, – entweder gehorchen oder rebellieren! Und mit dem Rebellieren ist das Königtum noch allemal fertig geworden.«

»Nicht überall, Herr General! In einem konstitutionellen Staate – und ein solcher sind wir doch durch die verliehene und die vereinbarte Verfassung – ist der Kompromiß oft das einzige Mittel der Verständigung, und wir hoffen, daß durch einen solchen auch die neue und, wie sich nicht verkennen läßt, sehr vieles Gute bietende Reorganisation der Armee zu Stande kommen wird, ohne die es Preußen unmöglich sein würde, seine hohe Aufgabe für die Einigung Deutschlands zu erfüllen.«

Der alte General warf ihm einen finsteren Blick zu. »Gehören Sie etwa auch zu den Phantasten, die unser altes starkes Preußen zu Gunsten eines einigen Deutschlands aufgeben wollen?«

»Ich bin ein Mitglied des deutschen Nationalvereins,« sagte nicht ohne Stolz der junge Fabrikant, »aber es fällt mir nicht ein, preußische Rechte darum aufzugeben, und als preußischer Soldat, – ich bin Reservist, Herr General – würde ich gewiß jeden Augenblick bereit sein, mein Blut für mein engeres Vaterland zu opfern. Daß man nebenbei den Wunsch haben kann, es möchte etwas größer und nicht jeden Augenblick durch hundert Schranken partikularistischer Interessen in seiner Entwickelung gehindert sein, das werden Sie wir wohl selbst nicht verdenken. Man kann mit seinen Wünschen ein Deutscher sein und dabei doch von ganzem Herzen ein Preuße. Ich glaube Se. Majestät selbst ist beides.«

Die kluge Einlenkung vermied jede weitere Verschärfung des politischen Streites, und die Tochter des Hauses stellte den vorläufigen Frieden durch die Bemerkung her, der Vater schulde noch immer die Fortsetzung seines Berichts.

»Das ist auch wahr, und eins nach dem andern. Fahre fort, Kurt!« brummte der alte Soldat, dessen höchstes politisches Ideal war: Preußen über alles!

»In der Tat, es war eine merkwürdige Versammlung,« berichtete der Landrat, »alle Stände waren darin vertreten: der hohe und niedere Adel, der große und kleine Grundbesitzer, Lehrer, Beamte, selbst die Armee, obschon keiner ihrer Vertreter das Wort nahm. Bürger und Handwerker, die Geistlichkeit, selbst die Arbeiter fehlten nicht.«

»O, wie habe ich Pastor Besserer beneidet, wie gern wäre ich selbst dazu nach Berlin gereist, statt einem anderen die Vertretung der evangelischen Kirche Schlesiens zu überlassen,« flocht der Pastor ein.

»Bekamen Sie denn vom Konsistorium keinen Urlaub?« fragte ziemlich malitiös der Fabrikant.

Der Pastor wurde etwas rot, namentlich als der sehr ungenierte alte Krieger murrte: »Hätte den gar nicht nötig gehabt – fürchtete die Reisekosten und die geringe Gastfreundschaft seiner Herrn Kollegen in Berlin.«

»Unsere Gemeinde ist arm, niemand wird das besser beurteilen können, als der Herr Patron selbst.«

»Ich konnte Sie in der Tat nicht einladen, mich zu begleiten, Herr Pastor,« sagte ruhig der Landrat, der den Geiz des Geistlichen und die guten Einkünfte seines Pfarramts sehr wohl zu schätzen wußte, »ich hätte ja dieselbe Einladung an den Herrn Vikar richten müssen, der allerdings ohne besondere Erlaubnis des Herrn Fürstbischofs nicht dahin gehen konnte, wie sich schon daraus schließen läßt, daß eben leider die katholische Geistlichkeit in der Versammlung nicht vertreten war.«

Diesmal war es der Vikar, der etwas verlegen erschien. »Wir sind allerdings nicht berechtigt, an politischen Vereinen uns zu beteiligen. Ohnehin war vierzehn Tage vorher erst die große Versammlung der katholischen Vereine in München, bei der Pfarrer Thissen die gemeinsame Aufgabe beider Konfessionen wider Antichrist und Revolution betonte. Gewiß wird aber niemand an unserer treuen Ergebenheit gegen unsere Könige zweifeln.«

»Möge es in Preußen immer so bleiben,« sagte der Landrat. »Die katholische Kirche hat wahrlich keine Ursache, sich bei uns über mangelnde Parität zu beklagen. Sie stammen jawohl aus der Familie des wackern Abts Tobias in Kamenz, Herr Vikar Stusche, der Friedrich den Großen vor der Gefangennahme durch die Kaiserlichen rettete, indem er ihn unter seinen Mönchen im Chor verbarg.«

»Ich habe die Ehre. Vielleicht wäre Schlesien sonst noch heute österreichische Provinz.«

»Sie meinen: katholisch, wie Böhmen und Mähren. Aber darüber ließe sich streiten, die Reformation war schon vor dem dreißigjährigen Kriege in Schlesien mächtig. Doch das ist gleich, der wackere Pfarrer Drake hat in seiner Rede, die er im Englischen Hause hielt, die Aufgabe der katholischen Kirche so gut vertreten, wie die der unseren der wachsenden Irreligiosität gegenüber und den Angriffen des Liberalismus auf Kirche und Schule, und ich kann Dir sagen, Vater: Kleist, Wagener, Blankenburg, der Sprecher der westfälischen Colone, Bürgermeister Strosser, und auch unser hochherziger Eberhard Stolberg, der so gewandt wie würdig den Vorsitz der Versammlung führte, verfolgten den einen Gedanken, daß, wo keine Treue für den König lebt, es auch schlimm steht mit der Treue für Gott und die Kirche.«

»Sie können den Satz auch umkehren, Herr Landrath,« bemerkte der Vikar, der seine Niederlage von vorhin nicht ohne Schwertschlag für seine Kirche vorüber gehen lassen konnte.

»Da haben Sie recht, Vikar, und ich möchte fast behaupten, als am Schluß der Versammlung, die einen wahren konservativen Geist des Christentums und der Treue atmete und vor allem ein kräftiges Zusammenhalten aller tüchtigen Elemente, des Grundbesitzes wie des Handwerkerstandes anzubahnen suchte, ohne jede Vorbereitung unser Choral »Lob, Ehr und Preis sei Gott!« von aller Lippen ertönte. Sie hätten ebenso gut eingestimmt. Kurzum, die mit dieser Versammlung beschlossene Gründung des Preußischen Volks-Vereins und einer neuen Wahlorganisation der Konservativen in Preußen ist als wichtiger Abschnitt in unserem politischen Leben zu betrachten und wird nicht ohne segensreiche Folgen bleiben. Gewiß haben auch Seine Majestät der König diese Aufraffung mit Beifall verfolgt. Die Zahl der Anmeldungen für den Verein betrug bereits am Tage der Gründung weit über zweitausend.«

»Blücher und Ziethen!« rief der General, »das ist doch einmal eine Gründung, die sich sehen lassen kann. Darauf trinken wir heute noch eine Flasche alten Ungar, sobald der Junge von Berlin kommt, und Sie sollen mit dazu eingeladen sein, Herr Hancke, wenn Sie auch nicht zu den Konservativen und dem preußischen Volksverein gehören.«

»So doch jedenfalls zu dem Verein des preußischen Volkes, Herr General,« sagte höflich der Fabrikant, »und als Mitglied desselben soll es mir eine große Ehre und Freude sein, mit einem der alten Helden von 1813 und 14 anstoßen zu dürfen.«

»Schade um Sie,« sagte der alte Herr ganz gemütlich, »schade um Sie, ich mag Sie eigentlich ganz gerne leiden, Sie und Ihren braven Vater, und selbst die Dine und der Scholze tun es, und der alte Bursche ist grade nicht verschwenderisch mit seinen Inklinationen!« über die Sympathien des alten Scholze schien Herr Hancke zwar weniger kontentiert, desto mehr aber Bedeutung für ihn deren Zusammenstellung mit der Tochter des Hauses zu haben, die errötend den blonden Lockenkopf auf das kleine Schreibpult gebeugt hielt, in dem sie kramte und suchte. »Ihr Vater, der Papiermüller,« fuhr der General fort, mit dem einzigen Wort die Schranke wieder errichtend und den Fabrikbesitzer wieder in die alten Verhältnisse zurückweisend, ist ein wackerer Mann, der fast ein Knabe war, als er sich bei Leipzig das Kreuz holte, und ich muß sagen, auch Sie haben es nie an dem gehörigen Respekt fehlen lassen, obschon Sie sonst etwas hochtrabende Ansichten und verkehrte Ideen hegen!« – Der Premierleutnant reichte dem Spielgenossen aus der Knabenzeit, der nur drei Jahre älter war, begütigend die Hand. »Ich denke, der Hauptmann«, der alte Haudegen nannte seinen Sohn, wenn er von ihm sprach, niemals den Landrat, sondern stets nach seinem militärischen Rang, »der Hauptmann wird es wohl einrichten können, daß Sie auf Erbpacht das Stück Heide an dem Mühlgraben erhalten können. Nur bitt ich mir aus, daß ich nichts von dem faulen deutschen Schwindel mehr höre oder etwas gegen unsern König und Herrn. Wissen Sie denn auch, daß die Stänkerer in Berlin ihm selbst das Recht auf die Erbhuldigung in Königsberg wegzudisputieren versuchen? Das gierige Volk dort kann wahrhaftig nicht genug an Vorteilen für die eigene Tasche kriegen und gönnt es den Königsbergern nicht einmal, obschon auch von dort demokratischer Schwindel genug ins Land kommt.« Der General war seit achtundvierzig nicht sehr gut auf Berlin zu sprechen.

»Seine Majestät,« sagte vorsichtig der junge Fabrikant, »haben gewiß die richtige Form auch für die Bestimmungen der Verfassung gefunden in der Wahl der Krönung statt einer bloßen Erbhuldigung.«

»Hm – es ist das erste Mal, daß Seine Majestät nicht mit Seinem Generalfeldmarschall ganz übereinstimmen. Wissen Sie, was der alte Wrangel an Seine Majestät über diesen Punkt geschrieben hat?«

»Wie sollte ich in meiner bescheidenen Stellung zu einer solchen Kenntnis kommen?«

»Na, dann kann ich's Ihnen sagen, denn mein alter Freund und Regimentskommandeur tut dem alten blinden Mann die Ehre an, ihn noch nicht vergessen zu haben, und ihm zuweilen ein vertrauliches Wort zu schreiben. – Nun Dina, hast Du nun genug unter den Papieren gekramt? Im letzten Briefe des Feldmarschalls steht, was er über die Huldigung und über die Opposition wegen der Armee-Reorganisation an Seine Majestät geschrieben hat. Lies es vor, Mädchen!«

»Vater!«

»Ei was – auf meine Verantwortung! Es kann nur gut tun, wenn die Herren im Fortschritt oder im Nationalverein einmal hören, wie ein ehrlicher Soldat darüber denkt, damit sie wissen, was sie zu erwarten haben vom alten Wrangel, wenn er noch einmal in Berlin einrücken sollte. Lies, Dine!«

Das Edelfräulein hatte, ohne sich zu besinnen, einen der Briefe aus dem Packet gewählt, das sie in dem Pult bewahrt. »Er datiert von Anfang dieses Monats, Großvater,« sagte sie, »und die Stelle lautet:

 

»Und bin so zu der Überzeugung gelangt, daß die darin geltend gemachten Gründe in dem Wortlaut der Verfassung nicht enthalten sind; die Sophistik, die in jeder Zeile zu finden ist, vermag ich nicht zu beantworten … würde ich mich als ein Landesverräter betrachten, dem des Vaterlandes Fluch über das Grab folgen würde, wenn ich Euer Majestät von der Erbhuldigung abraten sollte …: und erst wenn dieser Akt im Angesicht des Allmächtigen stattgefunden, sind Euer Majestät der wahre Erbe einer Krone von Gottes Gnaden – ohne Huldigung haben wir ein Volks-Königtum, das von den Schwankungen der Kammer gemeistert und gelenkt wird …«

 

»Weiter, Kind,« sagte der alte General, »es muß da noch eine Stelle sein über die Kompromisse wegen der Armee. Lies auch diese den Herren vor.« – »Es sind deren zwei« und der hübsche Sekretär des alten Blinden las:

 

Das Haus der Abgeordneten verlangt jetzt gesetzliche Feststellung der 2 jährigen Dienstzeit, ein Indemnitätsgesuch wegen der Durchführung der Reorganisation und eine Umgestaltung der Landwehr, mit einem Worte: ein Volksheer. – Und wäre dies gewährt, so würden sie noch mehr verlangen … Es ist meine feststehende, wohlerwogene Überzeugung, daß dem jetzigen Abgeordnetenhause gegenüber jede Verminderung des Militär-Etats, welche als Konzession aufgefaßt werden könnte, nutzlos und schädlich sein wird. Für die Opposition im Abgeordnetenhause handelt es sich nicht um Geldersparung – vielmehr darum, um monarchische oder demokratische Gewalt … Die Leiter der demokratischen Fraktion werden versuchen, jede Heereseinrichtung zu beseitigen, welche … die Armee zu einer scharfen Waffe in der Hand Sr. Majestät des Königs auch gegen innere Feinde macht.«

 

Die Vorleserin schwieg – die Anwesenden sahen sich etwas befangen an, selbst der Landrat bemerkte erstaunt: »In der Tat, dieses Schriftstück des alten Herrn ist mir gänzlich unbekannt, und ich hätte Sr. Exzellenz kaum ein so scharfes Eingehen auf politische Fragen zugetraut. Warum hast Du mir nicht eher davon gesprochen, Vater, Exzellenz Wrangel muß großes Vertrauen zu Dir haben und ich sehe, mein Töchterchen versteht zu schweigen.«

Der General lächelte. »Dina ist mein Geheimsekretär, und ich glaube, es gibt noch allerlei Dinge, von denen ein Landesvertreter wie Du nichts weiß, Übrigens habe ich die Stelle zitiert, um zu beweisen, daß auch andere Stimmen und zwar gewichtigere, als die meine, über die Kompromisse grade so denken wie ich. Also nichts gegen die Armee-Reorganisation, Herr Hanke, – wenn wir gute Freunde bleiben sollen. In der Armee, in der Erziehung und der Zusammengehörigkeit ihres Offizierkorps, darin liegt Preußens – meinetwegen auch Ihres Deutschlands Beruf für die Weltherrschaft.«

Die weitere Erörterung wurde durch den Eintritt des alten Scholze, wie sie ihn nannten, unterbrochen: »Habe zu melden, daß soeben ein Wagen anfährt.«

»Bruder Konrad!« Der junge Offizier, die Mutter und das Schloßfräulein hatten sich erhoben und eilten dem Eingange zu, vor dem Scholze postiert blieb. »Habe zu melden, daß es nicht der Herr Leutnant ist!«

Es lag beinahe wie ein »alter Narr!« auf der Lippe der Dame des Hauses, aber sie hielt an sich. »Wer ist's?«

»Seine Durchlaucht, der Herr Fürst – junior!« berichtete Scholze dickköpfig. »Beehrt uns ja zuweilen, und wollte nur seinen Besuch gehorsamst anmelden!« Damit trat er in die Nähe des Generals an die Wand zurück. »Welchen Fürsten meinst Du,« fragte dieser – »es kann unmöglich unser Nachbar sein, er ist noch nicht aus Baden-Baden zurück!«

»Es ist der andere,« – er hielt die Hand vor den Mund – »der Spieler, der Projektenmacher,« flüsterte er dahinter.

»Willst Du Seiner Durchlaucht nicht entgegengehen, Kurt?« fragte die Dame des Hauses ihren Mann, der sich bereits erhoben hatte, diese Pflicht der Artigkeit zu erfüllen, aber sein Sohn war ihm schon zuvorgekommen und öffnete eben wieder die Tür, den Besucher einzulassen.

Es war ein hübscher schlanker Mann von dreißig bis vierzig Jahren, der mit aller Sicherheit des gewandten Weltmannes eintrat, der Landrätin die Hand küßte und ringsum grüßte. »Bitte inkommodieren Sie sich nicht – mein Kompliment, Herr General, ich freue mich. Sie so wohl und rüstig zu sehen. Nochmals, lieber Landrat, ich ersuche Sie, sich nicht stören zu lassen und mir nur von den Händen der gnädigen Frau gleichfalls eine Tasse ausbitten zu dürfen. Wollte im Vorüberfahren zur Stadt, wo wir heute Abend bekanntlich eine Zusammenkunft wegen der neuen Bahn haben, bloß hier einen Augenblick vorsprechen, um mich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen und meine alten Freunde einige Minuten zu besuchen. Freut mich sehr, Herr Premier, Sie zufällig hier zu treffen – habe gehört, daß Ihr »Pluto« vortrefflich in Breslau gelaufen ist – hätte ihm lieber den Sieg gewünscht, als dem Fuchs des Baron Hoverden.«

»Es kann doch nur einer gewinnen, und die »Gabriele« ist ein trainierter Läufer, Durchlaucht, während mein Rappe nur Campagnepferd sein soll.«

»Dennoch, dennoch – Graf Gaschin hat seine Eigenschaften sehr wohl gewürdigt, wenn er Ihnen, wie man sagt, ein gutes Gebot gemacht hat. Sollten es immerhin annehmen, heutzutage ist Geldverdienen die Hauptsache und mit der Reservierung für einen Campagne-Dienst hat es gute Weile. Ich hoffte Sie eigentlich schon in der Stadt zu treffen, lieber Landrat, und sah mehr auf gut Glück nach, ob Sie noch zu Hause seien. Sie haben doch die Einladung erhalten – die Versammlung ist zwar nur eine vertrauliche, aber Sie fahren doch jedenfalls mit?«

Der hohe Aristokrat hatte eine der präsentierten Zigarren genommen und sie angeraucht. »Es wird ein famoses Geschäft werden, alle Welt ist bereits begierig Aktien zu zeichnen. Ich bin gewiß, daß sie schon vor der Edition auf hundertdreißig stehn – wir haben doch die Ehre, Sie in unserer Gesellschaft auch auf dem Prospekt zu sehen?«

»Wie meinen Durchlaucht?«

»Nun – das Komitee soll heute gebildet werden – es bedarf nur dessen, um die Einladungen sofort in die Welt zu schicken. Eine Name wie der Ihre darf natürlich dabei nicht fehlen. Es würde uns so ehrenvoll wie lieb sein, wenn selbst der Herr General sich auch entschließen könnte …«

»Wozu, Durchlaucht?« fragte der alte Haudegen.

»Nun wozu sonst, als mit in das Komitee für die neue Warschauer Bahn zu treten. Die Linie wird vortrefflich Bleichröder, der Herzog, der Geheime Rat Görling, Bankiers wie Breslauer und Compagnie, Baron Cohn und andere stehn an der Spitze, auch Engländer.«

»Sie vergessen, daß ich blind bin.«

» Mon Dieu, lieber General, was tut das zur Sache! Wozu hat man seinen Sekretär – wir brauchen Ihren Namen, nicht Ihre Augen. Ich will Ihnen nicht zureden, aber ein Mann, wie Ihr Herr Sohn, darf natürlich bei dem Aufruf zu einem so gemeinnützigen Unternehmen nicht fehlen. Wir werden dafür sorgen, daß bei den Vermessungen die Tracierung der Linie etwas tiefer in den Kreis schneidet, als es anfangs beabsichtigt war, vielleicht – es läßt sich ja mit dem Ingenieur sprechen, – gelingt es, die Bahn direkt mit Ihrem Territorium in Verbindung zu bringen, die Abschätzungen von Grund und Boden werden hoch sein. Zwei Millionen Stammkapital in Stamm-Aktien zu 100 Rth. –«

»Mein Sohn,« sagte der alte Soldat ruhig, »wird gewiß, sobald die Sache geregelt ist, eine oder zwei Aktien zeichnen, und ich selbst bin nicht abgeneigt, aus meinen kleinen Ersparnissen ein Gleiches zu tun, obschon …«

» Eh bien?«

– »wie ich von allen Sachverständigen, z. B. hier von Herrn Hancke höre, die andere Linie für den Verkehr des platten Landes weit vorteilhafter sein soll.«

»Das sagen Ihnen nur kurzsichtige Leute, General; bei einer Eisenbahn kommt es auf die möglichst direkte Linie schon in militärischem Interesse und auf billigen Bau an. Wir stehen da mit einem famosen Unternehmer in England in Unterhandlung. Aber in der Tat, hier handelt es sich darum, bewährte Namen wie den Ihren mit an der Spitze des Unternehmens zu sehen. Das gibt Vertrauen und ist für das allgemeine mehr wert, als wenn Sie hundert Aktien zeichnen. Überdies … Darf ich Sie einen Augenblick bitten, liebster Landrat« …« Er wies nach der Fensternische, und der Edelmann folgte ihm dahin, während die am Kaffeetisch Zurückgebliebenen sich weiter unterhielten.

Der vornehme Aristokrat sprach lange und eindringlich auf seinen Mann ein und schien es sich besonders angelegen sein zu lassen, ihn für das Unternehmen zu gewinnen. Schließlich kehrte der Landrat mit einer höflichen Verbeugung, die den fürstlichen Spekulanten nötigte, zu folgen, zu dem Kaffeetisch zurück. »Ich will die Entscheidung, Durchlaucht, ob es zweckmäßig ist, daß der alte Name Möllhoff unter dem Prospekt steht, meinem Vater überlassen, da er doch zunächst auch der seine ist.«

»Der Herr General wird gewiß nichts dawider haben, wo Ehre und Vorteil so eklatant auf der Hand liegen.«

Der alte Scholz hüstelte hinter der Hand, der General drehte den Kopf nach seiner Seite. »Hast keine Manövers nötig, Scholze,« sagte er barsch. »Halten zu Gnaden, Durchlaucht, aber die von Möllhoff's sind eine bloße Soldatenfamilie und gehören nicht unter die Berliner Juden und Jobbers, um den Leuten, die Geld zu viel haben, blauen Dunst vorzumachen. Wir verstehen von Aktien und Börsengeschäften nichts, und drum gehört unser Name auch nicht unter die Gesellschaft.«

»Aber, bester General, grade der Adel hat doch die Pflicht, die Industrie und die Interessen des Landes zu fördern,« sagte der Fürst, während der Landrat und sein Sohn doch etwas verlegen schienen über die ungenierte Derbheit des alten Soldaten.

»Hat jeder seine Ansichten darüber, Durchlaucht, und ich will die meinen keineswegs als unbestreitbar darstellen. Halte es auch nicht für unpassend, wenn der Gutsbesitzer für die Ausnutzung seines Grund und Bodens allerlei industrielle Unternehmen fördert oder selber treibt, sobald sie nur mit seiner Aufgabe des Landbaues in Einklang stehen, z. B. Brennerei, Wollwäsche oder Wassernutzung. Hat ihm der liebe Herrgott Kohlen auf sein Revier gelegt, wäre der Edelmann ein Dummkopf, wollt' er den Segen verkümmern lassen, statt ihn zum Besten fleißiger Hände auszunutzen. Es hat ein Edelmann auch in dieser Beziehung Rechte und Pflichten für Grund und Boden, nicht bloß, ihn zu Heu und Korn zu benutzen, soweit eben seine Mittel zu einer solchen andern ehrlichen Benutzung und Förderung seines Wohlstandes ausreichen, denn die Steuern fallen doch zuletzt in Zeiten der Not hauptsächlich auf den Grundbesitz. Wir haben dem jungen Herrn da noch eben unsere Bereitwilligkeit für Förderung seiner Fabrikanlagen bewiesen. Die Vermehrung der Verkehrsmittel durch Straßenbauten und Eisenbahnen ist ein heilsames Ding für das ganze Land und kommt diesem zu Gute. Aber ich sollte meinen, dazu ist die Regierung da und wird schon wissen, wo es Not tut, und daß es ihre Sache ist, Straßen und Wege als Königs- und Landesrecht in der Hand zu behalten, statt sie einer Börsenspekulation in die Hand zu geben. Unsere Kreis- und Provinzialstände werden, wo es fehlt, ihre Pflicht tun, auch die Steuern zu Straßen und Eisenbahnen bewilligen, und der Edelmann wird gewiß nicht zurückbleiben, wo Opfer für das allgemeine beste nötig sind. Von der Überstürzung mit solchen fremden Börsenspekulationen, wo noch so viel Nötigeres und Wichtigeres für das Land zu tun ist, da soll der preußische Edelmann die Hand lassen. Am wenigsten aber sollte er seinen Namen dazu hergeben, der Gott sei Dank in unserem Vaterlande noch Ansehen und Gewicht hat, – um ins Blaue hinein dennoch die Leute zu einem industriellen Lotteriespiel verlocken zu helfen. Nichts für ungut, Durchlaucht, aber wir haben uns leider schon darin finden müssen, daß der Name des Adels als Objekt des Wechselschwindels figuriert und seinen Kredit ruiniert – wir wollen uns wenigstens davor hüten, daß er noch en gros gebraucht wird, die Taschen der Juden und Jobber zu füllen. Das ist so meine Meinung, aber es versteht sich, daß mein Sohn tun kann, was er will und mit seiner Stellung vereinbar findet!«

Der Premierleutnant war aufgestanden, nahm die Hand seines Großvaters und küßte sie. »Ich bin überzeugt, daß mein Vater denkt wie Du, und er weiß es gewiß auch von seinem Sohne.«

»Sie wissen, Durchlaucht, meine amtliche Stellung legt mir schon bedeutende Rücksichten auf,« sagte einlenkend der Landrat. »Wenn der Fürst, Ihr Oheim, als der bedeutendste Grundbesitzer dieser Gegend –«

»Bah – auf den ist nicht zu rechnen, aber glücklicher Weise sind die Herren in der Kammer nicht alle so penible, und der Titel »Abgeordneter« ist auch nicht ohne Wert. Wollen Sie mich nicht wenigstens in die Stadt begleiten?«

Der Landrat entschuldigte sich mit der erwarteten Ankunft seines jüngeren Sohnes und nach kurzem Verweilen schied der vornehme Herr aus dem kleinen Kreise. Kaum war er fort, als sich eine lebhafte Unterhaltung über das Eisenbahnprojekt entspann, in der die Hausfrau ihren Gatten zu drängen suchte, sich an dem Unternehmen zu beteiligen und es aller seiner Energie bedurfte, seine Meinung als wohlberechtigten Entschluß aufrecht zu erhalten, bis die jetzt erfolgende Ankunft des jüngsten Sohnes alles andere vergessen machte. Das sorglose Gesicht, das der junge Dragoner, der mit großer Freude von seiner Mutter empfangen wurde, zeigte, ließ auch den Vater und älteren Bruder die unbestimmte Besorgnis vergessen, die beide über den plötzlichen Besuch gehegt hatten. So wurde denn die Flasche alten Ungars, wie der General vorher bestimmt hatte, in aller Gemütlichkeit geleert, worauf der alte Herr erklärte, seinen gewöhnlichen Nachmittags-Spaziergang im Garten machen zu wollen, bevor er sich auf eine Stunde zur Ruhe lege, obschon der alte Scholz berichtete, der Wind draußen sei ziemlich stark und drohe für den Abend noch heftiger zu werden. Während der Landrat mit dem Pastor eine Amtsangelegenheit in Schulsachen zu besprechen hatte, nahm der junge Offizier die Gelegenheit wahr, sich an den Vikar anzuschließen. »Ich möchte Sie sprechen,« sagte er, »wann komme ich Ihnen morgen vormittag am gelegensten? Doch wäre es mir lieb, wenn mein Besuch unter uns bliebe – er betrifft eine private Angelegenheit, und ich möchte nicht, daß mein Vater oder mein Bruder davon erfahren. Wann treffe ich Sie?«

»Ich bin für den Sohn meines Herrn Patrons zu jeder Stunde bereit; Sie kennen ja von früher die hintere Gartentür der Vikarie – ich pflege nach der Messe bis 9 Uhr in dem Garten spazieren zu gehen, um mich für den Unterricht oder die nächste Predigt vorzubereiten.«

»Gut, ich werde von Ihrer Güte Gebrauch machen, auf Wiedersehen also! Ich sehe, daß Herr Hancke dort sich eben verabschiedet und Konradine verlassen hat. Verzeihen Sie; ich habe mit meiner Schwester notwendig zu reden.«

Der junge Geistliche hatte ihm die Hand gereicht. »Die gnädige Gräfin, Ihre Frau Mutter, scheint die Bewerbung des Herrn Hancke um das gnädige Fräulein nicht gern zu sehen,« sagte er boshaft.

Der junge Offizier sah ihn ganz erstaunt an; der Gedanke, daß der junge Fabrikant überhaupt eine solche Absicht haben könne, war ihm sehr überraschend und neu. »Ich glaube, da irren Sie sich ganz und gar, Herr Vikar, die Konradine ist viel zu gescheut und – eine von Möllhoff. Doch besser ist besser, ich danke Ihnen.« Er fand es jedoch für gut, jetzt etwas rascher seiner Schwester entgegenzugehen und ihren Arm durch den seinen zu ziehen.

Dennoch hatten die beiden jungen Leute Zeit genug gehabt, einige Worte unbemerkt zu wechseln, die, wenn sie ein anderer gehört hätte, den Verdacht des Geistlichen wohl bestätigt haben würde.

»Ich muß Sie noch diesen Abend sprechen, Konradine,« hatte der Fabrikant ihr leise gesagt, »aber allein, es hängt mit der Ankunft Ihres Bruders zusammen.«

»Sie erschrecken mich, Ernst – es wird kaum angehn, da Konrad und Viktor hier sind – ich werde nicht abkommen können, Sie im Garten zu treffen. Ist es etwas Dringendes, so schreiben Sie mir doch; Lenchen ist treu und zuverlässig.«

»Ich glaube, sie hat jetzt mit sich selbst zu tun, das Mädchen kommt mir seit Kurzem ganz verändert vor, sie muß krank sein, oder einen geheimen Kummer haben. Aber ich muß Sie sprechen, vielleicht daß wir Ihrem Herrn Vater und Großvater damit einen schlimmen Verdruß ersparen.«

»Dann komme ich gewiß; erwarten Sie mich nach elf Uhr! Da kommt mein Bruder auf uns zu. Wissen Sie – ich traue dem Vikar nicht, er sieht uns immer so beobachtend an.«

»Nun der Jesuit steckt in jedem Pfaffen. Leben Sie wohl, gnädiges Fräulein, und entschuldigen Sie mich bei dem Herrn Landrat, daß ich mich ihm nicht noch besonders empfohlen, aber es drängt mich, meinem Vater die erwünschte Nachricht wegen des Mühlbachs zu bringen. Auf Wiedersehen, Herr von Möllhoff – auf Wiedersehen, Viktor!«

Er küßte der Landrätin und ihrer Tochter zeremoniös die Hand und entfernte sich; das »Adieu« des jüngern Möllhoff war ziemlich kalt. Er hielt den Arm seiner Schwester unter dem seinen. »Ich muß mit Dir reden, Dina! – Der junge Hancke kommt wohl oft zu Euch?«

»Du weißt ja, daß er ein Spielgenosse und Jugendfreund Viktors ist. Er ist erst von seiner großen Reise nach den rheinischen Fabriken und nach Frankreich zurückgekehrt und will nach deren Muster hier ein großes Etablissement anlegen.«

»Das weiß der Henker – Geld hat das Gesindel immer zu seinen Spekulationen. Habe übrigens nicht die Ehre seiner näheren Bekanntschaft. Die Erziehung im Kadettenhause hat mich! zum Glück von vornherein von den Bauern- und Bürgerjungen salviert und in anständiger Gesellschaft gehalten. Ich wünschte übrigens, der Papa nehme sich ein Beispiel an seinen Hanckes und spekulierte auch. Ist es wahr, wie mir die Mutter im Fluge erzählte, daß er verweigert hat, sich bei dem Eisenbahnunternehmen des Fürsten X. zu beteiligen?«

»Ich denke, Du kennst die Grundsätze des Vaters, und Großvater sprach sich sehr energisch, fast unartig, gegen den Fürsten aus. Er erklärte ihm rund heraus, daß er es nicht für passend halte, daß sich alte adelige Namen zu den Börsenspekulationen hergäben.«

»Das versteht er nicht, er hat noch die alten verbohrten Ansichten über den sogenannten Reiteradel; die Franzosen sind uns darin weit voraus. Heutzutage ist Geld die Parole und aller alte Adel hat keinen Zweck, wenn er einen armen Schlucker ziert wie unsereins.«

Sie hatte ihre Hand aus seinem Arm gezogen und sah ihn erstaunt an. »Konrad, – was ist mit Dir vorgegangen, seit Du das letzte Mal hier warst? Ich bitte Dich, um Himmelswillen laß den Vater und die Mama nicht solche Ansichten hören.«

»Ich bin kein Narr, obschon die Mama neben ihrem Dünkel auf die gräfliche Abstammung doch die Vernünftigste ist und bares Geld oder gute Aktien sehr wohl zu würdigen versteht. Was mit mir vorgegangen ist? Nichts ist mit mir vorgegangen, als daß ich endlich klug geworden bin und das Reelle mehr schätze, als abgestorbenen Klunker. Mit einem Pergament bezahlt man nicht Austern und Champagner und mit alten Vorurteilen kauft man kein Vollblut. Selbst in der Armee fängt man an klüger zu denken und Handel zu treiben. Ich wünschte, ich hätte Viktors »Pluto«, keinen Augenblick wollte ich mich bedenken ihn loszuschlagen. Doch – weshalb ich mit Dir sprechen wollte. Hat der Alte Geld?«

»Geld – wer?«

»Nun der Großvater. Du bist ja seine und des Vaters kleine Kassiererin, da sie gemeinschaftliche Kasse führen!«

»Also doch!«

»Was?«

»Der alte Scholz hatte also Recht. – Als sie vorhin fragten, was Dich hierher führe, meinte der Alte, Du kennst ja seine schroffe Weise: Geld!«

»Den Teufel auch, – er könnte sich doch irren, der alte Narr! Aber freilich brauche ich Geld, Dina, das Messer steht mir an der Kehle, – ich muß 4000 Taler haben binnen vier Tagen, oder – ich muß den Abschied nehmen und …«

»Barmherziger Gott! Wo soll der Vater in diesem Augenblick viertausend Taler hernehmen?«

»Nun – die Scheunen! Hat er nicht die Ernte verkauft?«

»Noch nicht – alle Scheunen sind noch voll; er wartet eben auf bessere Preise, die in den nächsten Tagen infolge der Lieferungen sich heben müssen, Du weißt, daß er den Ertrag dieser Ernte bestimmt hat, die schon lange baufälligen Scheunen und den Kuhstall massiv bauen zu lassen!«

»Verflucht! Der Bau muß warten, er muß bei einem Juden Geld auf die Ernte nehmen oder – auf das Gut!«

»Konrad!«

»Es muß sein, oder sein Sohn ist verloren!«

»Aber um Gotteswillen! Wie kommst Du zu dieser großen Schuld? Der Vater sagte doch noch heute, daß er Dir den Zuschuß für das nächste Vierteljahr schon in Berlin gegeben!«

»Dummheiten! Als ob ein Kavalier in Berlin mit lumpigen sechshundert Talern Zuschuß auskommen kann, und das ist alles, was der Vater mir gibt.«

»Du weißt, Konrad, daß wir keine reiche Familie sind, und strenge Sparsamkeit nötig ist, um das Gut zu erhalten, auf dem noch von den Befreiungskriegen her schwere Hypotheken lasten. Der Vater hätte sonst gewiß längst manche sehr vorteilhafte Verbesserung und Anlage ausgeführt. Hätte er nicht das Gehalt als Landrat und die Unterstützung des Großvaters mit dessen Pension, – weißt Du wohl, könntet Ihr beide nicht bei der Kavallerie dienen, und die Mutter … nun – auch die Mutter müßte manche Bequemlichkeit entbehren …«

»Sage lieber, müßte die alljährliche Badereise und manche andere luxuriöse Ausgabe lassen, die sich kaum für ihr Alter und diesen Landwinkel schickt!« meinte der engherzige Egoist!

»Konrad!«

»Es hilft alles nichts – Not bricht Eisen! So muß Viktor helfen, obschon ich nur ungern mit ihm rede! Er denkt beinahe so engherzig, als der Vater und Großvater, aber er ist Offizier und wird sich in meine Lage versetzen. Ich sage Dir, Dina, es steht alles auf dem Spiel. Er besitzt ein Kapital von seiner verstorbenen Mutter her, ich weiß es! Deshalb hat er gut renommieren, daß er mit seiner Gage auskommen kann, ohnehin in dem Judennest an der polnischen Grenze!«

»So weißt Du wirklich nicht,« rief fast schluchzend das Mädchen, »daß Viktor schon vor zwei Jahren das Erbteil seiner Mutter, die zehntausend Taler, dem Vater auf das Gut gegeben hat, als die letzte Hypothek gekündigt und eine andere nach dem Hagelschlag und den großen Überschwemmungen der Oder selbst mit Opfern nicht zu beschaffen war, weil die Güter ohnehin im Werte gefallen sind!«

»Sie werden auch wieder steigen! Die verfluchten Juden ruinieren den Grundadel, und doch sind sie die einzige Hilfe. Verdammt! So wäre auch auf dieser Seite nichts zu hoffen. Wieviel hat der Großvater in Kasse? Sage die Wahrheit, – hier helfen keine Flausen … denn …« Es wurde ihm noch immer schwer, die Wahrheit zu sagen.

»Noch nicht volle tausend Taler!«

»Das würde vielleicht reichen, wenigstens das Schlimmste aus der Welt zu schaffen; für das andere, für Zweitausend muß der Vater sorgen, wenn sie nicht wollen – fange hier kein Geheul an, Dina, Du warst sonst immer ein vernünftiges Mädchen und meine Vertraute!«

»Aber wie war es möglich, Konrad? Eine solche Summe!« sagte das Fräulein, das sich mit Gewalt zu beherrschen suchte.

»Das verstehst Du nicht, wenn ich Dir's auch sagen wollte. Gewiß ist in der Kreiskasse Geld genug!«

»Konrad!« In dem Tone der Schwester, in welchem sie diesmal rief, spiegelte sich wirklich Entsetzen.

»Du bist nicht in meiner Lage! – Ich meinte natürlich nur, die Kreise haben ja jetzt Sparkassen, aus denen man entlehnen kann!«

Sie hatte sich gefaßt. »Ich glaube wirklich, es wird das Beste sein, daß wir mit Viktor reden, er ist unser Bruder und jedenfalls zum Raten verpflichtet, ehe wir dem armen Vater den Kummer machen. Großvater leiht gewiß auf meine Bitte das Geld – wenn auch nicht Dir, so mir, ich weiß, er spart es zu meiner Aussteuer, wenn einmal …«

Die Landrätin kam mit dem Greise und dem Premierleutnant den Gang herauf. »Nun, wo bleibt Ihr, Kinder, ich dächte, Dina, Du hättest jetzt den Bruder lange genug in Anspruch genommen. Es ist Zeit, daß er auch mir von den Berliner Zirkeln, den neuen Moden, und was die Krönung für Festlichkeiten bringen wird, erzählt. Wenn Dein Vater nicht so gar penible wäre, könnten wir im Winter recht gut vier oder sechs Wochen in Berlin zubringen. Ohnehin wird sich dort jetzt alles sammeln, was auf Rang und Bedeutung Anspruch hat.«

Der Leutnant kannte seine Mama wohl zur Genüge, wenn sie auf dieses Thema kam. Er nahm daher seinen Bruder am Arm und ging mit ihm den Gang entlang, während die Damen mit dem General später ins Haus zurückkehrten.

Dies Haus, das nach schlesischer Sitte die Gutsangehörigen mit dem stolzen Namen das Schloß bezeichneten, war ein noch aus dem XVIII. Jahrhundert stammendes Gebäude, durchweg von Holz, wie auch die den Gutshof umgebenden Scheunen und Ställe. Die Familie hatte das Gut bald nach der Besitzergreifung Schlesiens durch Friedrich den Großen für treue Dienste in den schlesischen Kriegen vom König als Geschenk und Ersatz für andere schwere Verluste erhalten; es ist indes bekannt genug, daß der königliche Philosoph selbst bei seinen Geschenken ziemlich karg zu Werke ging und die meisten seiner Anhänger sich mit dem Ruhm, ihm zu dienen begnügen mußten. Kurz die Möllhoffs, obschon von gutem Adel, der sich aus dem dreißigjährigen Kriege datierte, hatten niemals zu dem reichen Adel gehört oder in der Diplomatie gedient, sondern stets sich begnügt, mit ihren Söhnen in der Armee ihren Rang zu behaupten und als bloße Landedelleute die Achtung ihrer Umgebung zu genießen.

Das Gespräch zwischen den beiden Brüdern hatte wohl eine Stunde gedauert und als sie in der Dämmerung in das Familienzimmer zurückkehrten, wo die Mitglieder den Abend gemeinsam zu verbringen pflegten, beobachtete das Auge des jungen Mädchens nicht ohne Besorgnis die ernsten Falten auf der Stirn des Premierleutnants, der gleich nach dem Gespräch mit dem Bruder auf sein Zimmer gegangen war, und jetzt einen Brief in der Hand in den Familienkreis zurückkehrte.

»Du hast wohl nichts dagegen, Vater,« sagte er, »daß ich durch Scholz einen der Knechte mit dem alten Braunen zur Stadt sende, um dort eine Depesche abzugeben. Ich möchte den »Pluto« nicht unnütz strapazieren, damit ihn Graf Gaschin munter und frisch findet, wenn er ihn abholen läßt.«

Der Landrat wandte erstaunt das Gesicht nach ihm, selbst der Blinde kehrte sich um. »Blücher und Zieten!« sagte er, »was fällt Dir plötzlich ein, Viktor? Noch heute Mittag dachtest Du nicht daran, den »Pluto« zu verkaufen, weil es das beste Campagne-Pferd sei, und obschon ich ihn nicht mehr selbst prüfen kann, weiß ich doch, daß er Dir ans Herz gewachsen ist, wie nur dem Kavallerist sein Pferd sein kann.«

»Du weißt, Großvater, daß ich noch den Fuchs habe; der »Pluto« ist in der Tat etwas zu wild für ein Dienstpferd, und es kostet Mühe, ihn im Zuge zu halten. Ich will ein jüngeres einstellen.«

»Papperlapapp,« sagte der alte General, »für einen Husaren kann ein Pferd niemals wild genug sein. Ein Husar hält auf sein Pferd, und der »Pluto« kann noch nicht zu alt sein.«

»Sechs Jahre!«

»Siehst Du wohl; er stammt von der Stute, die ich Dir schenkte, als Du 1848 eintratest, damals, als Du den polnischen Hallunken zusammenhiebst, der gegen Ehr und Gewissen Lenens Vetter erschoß. – Du erinnerst Dich doch, Scholze?«

»Gewiß, Herr General! Es war ein Bubenstück, der verfluchte Polak hat mit Recht seinen Lohn erhalten, und ich hatte seitdem den Herrn Premier-Leutnant noch einmal so lieb!«

Das edle, männliche Gesicht des Offiziers war bei der Erwähnung des Vorfalls etwas bleich geworden. »Mag sein, daß die rasche Tat Dir und dem Großvater zusagt; sie ist jedoch leider von anderen anders beurteilt worden und hat mir schon manchen Schmerz bereitet.« Er gedachte seines letzten Gesprächs mit der schönen Polin. »Ich hatte neulich noch das Unglück, die Gräfin Czatanowska mit »Pluto« zu erschrecken, weil er gar zu unbändig sich geberdete, obschon sie doch selbst eine furchtlose Reiterin ist; schon damals entschloß ich mich, das schwarze Pferd zu verkaufen.«

»Das war bei dem Pascherzug, von dem Du mir schriebst,« fragte Konradine, »wo das junge Kosackenmädchen erschossen wurde?«

Er begnügte sich, mit dem Kopf zu nicken. Endlich hob er das Auge. »Kennst Du polnische Melodien, Konradine?«

Sie stand sofort auf, ging an das Klavier, und schlug die oginskische Polonaise an, die sie dann in das Nationallied übergehen ließ.

»Ich fürchte,« sagte der Landrat, »es wird noch viel Unheil dort geben. Ihr an der Grenze werdet über kurz oder lang damit zu tun haben; es ist und bleibt eine unruhige Race. Wenn es bei uns nur still bleibt, wir haben der Polenprozesse nun grade genug gehabt.«

»Das kommt von den fortwährenden Begnadigungen,« meinte der General. »Nun ich hoffe, unser neuer König würde nicht mit sich spielen lassen. Ist das nicht die Lene, die da eingetreten ist?«

»Zu Befehl, Herr General! Nun, was willst Du schon wieder, Mädel – weißt Du noch nicht, daß es sich nicht schickt, ungerufen zur Herrschaft zu kommen? Ihr müßt nicht alles hören drunten in der Küche, was wir hier verhandeln!«

Das Ohr des Blinden hatte richtig gehört, es war der leichte Gang des hübschen Stubenmädchens, einer Enkelin des Alten, die eingetreten war und jetzt rot und verlegen stammelte, sie habe nur fragen wollen, ob sie schon den Tee bringen solle. Dabei machte sie sich aber immer in der Nähe des jungen Offiziers zu tun, und wäre der Kaplan noch zugegen gewesen, er würde sicher bemerkt haben, daß sie mehr als einmal seinem Ange zu begegnen suchte, und, wenn er sich gleichgiltig abwandte, ein schwerer Seufzer ihren Busen hob.«

»Du bist ein alter Grobian, Scholz,« verteidigte sie gutmütig der General, der seines Faktotums Enkelkind in seiner rauhen Weise sehr gern leiden mochte. »Ich weiß in der Tat nicht, warum Du immer mit dem Mädchen schiltst. Lene ist ohnedies so verschüchtert und still, während sie sonst trillerte und sprang, wie eine Wachtel in der Stoppel. Halt Dein Maul, Junge, und hol mir den Rum!« Das »Junge« galt wirklich dem alten Scholz, den der General in guter Laune immer noch so zu betrachten pflegte, wie damals, als er als Reitknecht mit 15 Jahren bei ihm in Dienst getreten war. Der Alte warf dem Mädchen einen ärgerlichen Blick zu, ging aber gehorsam, die Rumflasche und eine andere Pfeife zu holen.

»Es ist in der Tat wahr; der General hat Recht,« sagte die Landrätin, »Du mußt krank sein – so still und verdrossen bist Du jetzt. Der Sanitätsrat soll Dich, wenn er das nächste Mal herauskommt, einmal in die Kur nehmen!«

Das Mädchen hob bittend die Hände. »O, gnädige Frau – nur das nicht! Glauben Sie mir, ich bin nicht krank. Ich – ich – fürchte mich vor dem Doktor!« Ihr Auge suchte wie Beistand heischend den Offizier. Das Mädchen war nicht groß und schlank, aber von jener Rundung und Fülle, die Männer oft am meisten reizt. Ihr Gesicht mit den vielen Sommersprossen war freilich nicht hübsch, trug aber den Ausdruck großer Herzensgüte. Nur Kinn und Stirn zeigten eine auffallend entschlossene Form.

»Du bist und bleibst eine Gans,« meinte die Landrätin. »Was kümmerts mich, ob Du krank bist oder nicht; wenn Du wirklich krank wirst, ist leicht ein Ersatz zu finden. An Dienstboten fehlt es, Gott sei Dank, nicht!«

Der General hatte eine scharfe Entgegnung für diese Lieblosigkeit auf der Zunge, aber das Fräulein kam ihr zuvor. »Ich habe Dir gesagt, Mama, daß Lenchen nicht krank ist. Ich muß das am besten wissen, da sie ja stets um mich ist. Ich werde klingeln, Kind, wenn Du den Tee bringen kannst. Ich denke, die Herren werden ihn heute zeitig einnehmen, das Wetter wird draußen immer rauher.«

Der Wind rüttelte in der Tat an den Fensterläden, und der alte General faßte wiederholt an seine Beine. »Die verfluchte Gicht,« brummte er, »ich fühl es jedesmal, wenn das Wetter umschlägt.«

»Halten Gnaden!« brummte Scholz, »sollten halt lieber nicht so viel Rum und Kognak im Tee trinken.«

»Du bist ein Narr mit Deinem Predigen, nimmst selber Deinen Schluck, und weist sehr wohl, daß ich nicht zu viel tue, aber das labbrige Teezeug wäre sonst nicht zu genießen; wirst mich schließlich mit Kamillen füttern. Geh in meine Stube, und sieh nach dem Feuer; ich werde mich heute zeitig zur Ruhe begeben und will bis dahin mit der Familie reden.«

»Als ob ich nicht auch mit dazu gehörte!« knurrte der alte Diener. »Herr General erzählen mir's nachher ja doch wieder!«

»Marsch!«

Scholz machte bei diesem Befehl kehrt und verließ das Zimmer.

»Kinder,« sagte der alte Herr, der bei seiner Blindheit ein scharfer Beobachter war, »was gab's heute Nachmittag im Garten für Heimlichkeiten zwischen Euch Dreien – hab's wohl gemerkt, wenn ich auch nichts davon hören sollte! Heraus mit der Sprache?« Das Fräulein parierte die Frage, die so ohne Vorbereitung gefährlich wurde. »Sollst es schon hören, Großvater, wenn's so weit ist. Ich habe einen Wunsch, den ich erst mit den Brüdern besprechen wollte, Du versprichst, ihn mir zu erfüllen?«

»Schmeichelkatze! Weißt schon, wenn's irgend angeht!«

Der Dragoner atmete nun auf; Konradine schien alle Liebenswürdigkeit aufzubieten, das Gespräch nicht wieder ins Stocken kommen zu lassen, und sang dem Vater und Großvater unaufgefordert ihre Lieblingslieder, bis der alte Herr erklärte, er wolle zu Bett, denn der Rheumatismus zwickte ihn bei dem Winde immer mehr.

»Ich begreife auch nicht,« sagte die Landrätin, auch ihrerseits das Licht nehmend, »warum Sie nicht diesen Sommer nach Wiesbaden oder Teplitz gegangen sind, Papa?«

»Meinen Sie! Soll ich etwa mein gutes Geld noch aus dem Lande tragen? Wenn ich ins Bad müßte – wofür hätten wir denn in Schlesien unser schönes Warmbrunn, das ebenso gut hilft?«

»Aber General, es ist doch nicht mehr fashionable, – seit der Hof nur noch an den Rhein geht!«

»Schnickschnack,« murrte der Alte heftig. »Halte überhaupt die meisten Badereisen für bloße Komödie und die Spielbäder für puren Unfug. Ich lobe mir unser ehrliches Warmbrunn, da hätte sicher kein übergeschnappter Deutschtümler auf unsern König und Herrn zu schießen gewagt; das Volk hätte ihn in Stücke zerrissen. Mein alter Feldmarschall Zieten hat verständig getan, sich dort sein Grab auszusuchen und ist ein so hübsches Stück von unsers lieben Herrgotts Erde, wie nur eines sein kann; es ist so recht geschaffen für alte Soldaten, und wenn der alte Wrangel nicht etwa Pulverdampf wittert, geht er im nächsten Winter auch hin, dafür ist er ein guter Preuße. Heda, Jungens, riecht's in Berlin noch immer nicht nach Pulver? Wär in der Tat einmal Zeit und ich wollt', ich könnte mitreiten!«

»Das Verhältnis zu Dänemark und Hessen verschlechtert sich allerdings immer mehr,« bemerkte der Premier, »doch zunächst werden wir wohl wegen der polnischen Unruhen nach jener Seite Frieden behalten. Von Frankreich aus soll die Unzufriedenheit geschürt werden!«

»Kreuz Sakrament! Unser königlicher Herr hält sicher zu seinem Neffen, wie's nicht mehr als billig ist! Hoffte schon vor zwei Jahren, wir könnten mit den Rothosen anbinden und es wär auch sicher dahingekommen, wenn der Schlaukopf Napoleon nicht mit dem Frieden von Villafranca dazwischen gekommen wäre. Tut mir doch leid, Viktor, daß Du den »Pluto« verkauft hast.«

»Das ist nun nicht mehr zu ändern, Großvater! Darf ich Dich nach Deiner Stube führen, oder muß ich Scholz rufen?«

»Danke Dir, mein Junge! Da ist er schon. Ist noch immer auf seinem Posten. Gutenacht! Hast auch nicht verlernt, Dein Nachtgebet zu sprechen, Konrad? Die Jugend ist jetzt schlimm darin und hält das für alten Zopf, – ich denk aber nicht so und empfehle mich Gott, meinem Herrn, jeden Abend, ehe ich meinen alten Kopf auf das Kissen lege!«

Auch der Landrat hatte sich erhoben. »So wollen wir's zusammen tun, Vater,« sagte er ernst, »und Gott danken, daß er uns alle hier unter dem Dach unserer Väter gesund und ohne allzugroße Schuld zusammengeführt hat. Nimm die Hausbibel, Dina, und lies uns ein Kapitel, ehe wir schlafen gehen. Du weißt, ich liebe es, daß man sie aufschlägt, ohne zu suchen!«

Das Fräulein hatte die alte Postille von dem Schrank genommen, wo sie zum Ärger der Landrätin bewahrt werden mußte, und sie am Tische aufgeschlagen, fuhr aber unwillkürlich zusammen, als sie sah, welche Stelle der Zufall sie hatte finden lassen. Sicher hätte sie eine andere gewählt, wenn das Auge des Vaters nicht auf ihr geruht hatte …

»Nun – was ist's?«

»Das Evangelium Lukas 15.«

»Vom verlorenen Sohn!« murmelte Scholz, der sehr bibelfest war, obschon er seine Enkeltochter, die aus einer gemischten Ehe stammte, nach dem Willen ihres Vaters zu seinem großen Verdruß hatte katholisch erziehen lassen müssen. Doch wagte er nur selten eine Bemerkung darüber, da der Landrat selbst eine solche Ehe mit seiner zweiten Gattin geschlossen hatte, und wenigstens in dieser Richtung seine Enkeltochter unter dem Schutz der Landrätin stand.

Die zufällige Wahl des Kapitels blieb doch nicht unbeachtet, und das Auge der Schwester wandte sich einen Moment lang auf das leicht gerötete Gesicht des Bruders, dann las sie ohne Stocken von Anfang bis zu Ende, und mit dem Amen des Landrats ging die Familie auseinander, ihre Schlafzimmer aufzusuchen.

Das Haus oder Schloß hatte der Stuben genug. Der General mit seiner Enkelin wohnte auf der einen Seite im Parterre, über ihm hatte der jüngere Sohn sein Schlafzimmer, während der jetzige Gutsherr auf der anderen seine Wohnung hatte, von wo aus er die Wirtschaftsgebäude bequem überwachen konnte. Hier auch, über den Eltern, nahm der Premierleutnant sein Quartier, wenn er zum Besuch auf dem Gute war. Das Gesinde schlief in einem angebauten kleinen Flügel, nur Lenchen hatte ihre Kammer in der Nähe des Fräuleins. Der Garten umgab diesen Teil des Hauses.

Es mochte gegen Mitternacht sein, und obschon die Familie lange zusammengesessen, schien doch alles in tiefer Ruhe zu liegen, nur aus dem Fenster des Schlafzimmers des Dragonerleutnants drang durch das Rouleaux noch Lichtschein, er mochte wohl von Berlin nicht gewohnt sein, so zeitig zu schlafen und noch lesen, oder über seine »Fatalitäten«, wie er es nannte, nachdenken, und aus dem in der vorderen Ecke des Hauses belegenen Zimmer des alten Generals leuchtete der sehr matte Schein des Lämpchens, das Scholz für die Nacht dort brennen ließ. Bloß der Wind heulte durch die bereits sich entlaubenden Bäume des Gartens und drehte kreischend die rostigen Wetterfahnen auf den alten Giebeln oder fuhr über die zum Teil noch mit Schoben gedeckten Dächer der Wirtschaftsgebäude.

Dennoch war es keineswegs so still und einsam in und um das Herrenhaus, wie es den Anschein hatte. In dem kleinen Gartenhause, das, wenn auch sonst offen, Schutz gegen den Wind gewährte, saßen zwei Personen Hand in Hand – es waren der junge Fabrikant und das Edelfräulein.

»Ich danke Ihnen, Konradine, daß Sie gekommen sind. Sie wissen, wie selten ich das Glück haben kann, und es war doch notwendig Sie zu sprechen im Interesse Ihres Bruders.«

»Ich danke Ihnen, Ernst, für die Mitteilung, ich hatte keine Ahnung, daß auch Sie von der Verlegenheit Konrads gehört, in die er mich erst heute eingeweiht hat.

»Auch, daß seine Ehre – die Ehre Ihres alten und unbefleckten Namens durch seinen Leichtsinn gefährdet worden?«

Das Mädchen schrak zusammen. »Wie wäre das möglich? Es wäre entsetzlich für den armen Vater! Ich verstehe zu wenig von Wechseln, um darüber urteilen zu können! Erklären Sie.«

»Nur, wenn Sie mir versprechen, meinen Rat und – Beistand anzunehmen. Sie wissen, wie ehrlich und treu ich an Ihnen hänge, und wie sehr ich Ihren Vater und Ihren Großvater hochschätze. Hat Ihnen Ihr Bruder gesagt, daß die von ihm ausgestellten Wechsel in die Hände seines Regimentskommandeurs zu fallen drohen?«

»So sagte er, und daß ihm deshalb alles mögliche daran liegen muß, sie vorher einzulösen!«

»Auch weshalb?«

»Er müßte dann den Abschied nehmen!«

»Die Gefahr liegt leider noch tiefer und da Sie mir eben gesagt, daß Viktor seinen »Pluto« verkaufen wird, muß ich glauben, daß Konrad wenigstens diesem eine Andeutung der wahren Sachlage gegeben hat.«

»Sprechen Sie, ich beschwöre Sie, Freund! Also darum war Viktor so finster und trübe gestimmt?«

»Durch Zufall,« erzählte der Fabrikant, »hat ein mir genau befreundeter Geschäftsmann erfahren, daß einer der angedrohten alten Wechsel – nicht richtig, d. h. mit unrichtiger Charge ausgestellt war. Er weiß, welchen Anteil ich an Ihrer Familie nehme und sendet mir deshalb die Warnung.«

»O, mein Gott!«

»Das Papier muß unter allen Umständen von Konrad eingelöst werden. Hier – in diesem Kuvert sind 2000 Tlr., – sie sind mein Eigentum, meine Ersparnisse auf der Reise in England und Frankreich – Sie müssen sie annehmen und Konrad oder besser noch Viktor geben, als kämen sie von Ihnen!«

»Geld, Ernst! Nimmermehr!«

»Diese Weigerung wäre Torheit. Ich will damit nur Ihrem würdigen Vater Kummer und Schaden ersparen und es darf nicht aussehen, als wolle ich mir mit der kleinen Gefälligkeit ein Anrecht auf die große Bitte erwerben, die ich später an Ihre Familie zu richten habe, die Bitte um die Hand derer, deren Herz ich ja doch besitze. Wollen Sie zögern, wo ich so hundertfach größeres Anrecht zu fordern im Begriff bin?«

Sie reichte ihm die Hand. »Nein, Ernst, Sie haben Recht – es wäre ein kleinliches Bedenken, wie ich Sie kenne. Das Geld soll morgen schon in Viktors Händen sein, und ihm werde ich sagen, von wem es kommt! Doch nun muß ich gehen, ein Zufall könnte unsere Zusammenkunft verraten; ich glaube, soeben ist der Knecht zurückgekommen, den Viktor in die Stadt geschickt hatte. Konrad hat noch immer Licht in seinem Zimmer!« Sie hatte sich erhoben und war aus der Laube getreten, nach der Hintertür zu gehen, durch die sie sich in den Garten geschlichen hatte, er folgte ihr bis zum Ausgang, blieb aber plötzlich stehn und hielt ihren Arm fest. »Bleiben Sie – guter Gott! Diese Helle ist unnatürlich – was ist das – ein lauter Schrei! – Es ist Feuer – Feuer in Konrads Stube! Es brennt im Hause!«

Dem schwachen Ruf, der zu ihnen gedrungen, antwortete der schrille Aufschrei des Edelfräuleins, die erschrocken in die Knie gesunken war; der junge Mann, riß sie, schnell besonnen, empor und schob sie nach der Tür zu: »Schnell ins Haus! Es darf niemand sehen, woher Sie kamen, und dann wecken Sie Ihr Mädchen und machen Lärm; ich allarmiere im Dorfe und hole die Spritzen!«

Sie flog davon, zum Hause hin, während er sich nach der andern Seite wandte, erst zögernd, ob er nicht auf alle Gefahr hin die Schläfer im Hause wenigstens wecken sollte, aber schon wurde es bei den Wirtschaftsgebäuden laut; der Knecht, der von der Station zurückgekommen war und das Pferd gefüttert hatte, ehe er sich zur Ruhe begab, war aus dem Stall getreten und hatte gleichfalls die Helle bemerkt und nach dem Wächter gerufen; in wenigen Augenblicken scholl der Ruf »Feuer! Feuer!«

Er sah noch, wie der junge Offizier das Fenster aufriß und in diesem fast unbekleidet erschien, er kannte also wenigstens die dringende Gefahr, denn mit dem Öffnen des Fensters schlug die helle Lohe dort heraus und am Giebel entlang, der Herd des Feuers mußte also in Konrads Stube oder wenigstens in ihrer Nähe sein. Er flog nach dem Dorf, um dort zu wecken und Helfer herbeizuholen.

Was nützte hier Hilfe, bei solchem Wind! Nur das Herrenhaus selbst war mit Ziegeln gedeckt, nicht einmal der Nebenflügel, wo die Dienstleute wohnten. Und nun erst die Ställe, die Scheunen – im Rückwärtsschauen sah er bereits aus dem geöffneten Fenster die Flammen an den Jalousien aus trockenem Fichtenholz, und dann an dem Fachwerk der Giebelwand emporzüngeln.

»Feuer! Feuer!«

Es ist ein schrecklicher Ruf, wenn er des Nachts ertönt und aus dem ersten Schlaf emporschreckt. Halbwegs zum Dorf kamen ihm schon Leute entgegen, er sandte den einen zurück nach der Dorfspritze und zur Papiermühle seines Vaters und den Fabrikgebäuden, wo seine Umsicht und Energie bereits unter den Arbeitern eine kleine Feuerwehr eingerichtet hatte, diese hierher zu beordern; dann eilte er selbst wieder dem Herrenhause zu, um sich zu überzeugen, daß wenigstens kein Menschenleben gefährdet sei.

Das Edelfräulein war mehr zurückgeflogen, als gelaufen, sie hatte glücklich und unbemerkt ihr Zimmer erreicht, ließ nur den Mantel fallen, in den sie sich bei dem nächtlichen Gange gehüllt hatte und eilte zu der benachbarten Kammer, um das Mädchen zu rufen und in die andern Teile des Hauses zu senden – aber die Kammer, sie konnte es deutlich sehen, und dann an dem unaufgedeckten Bett fühlen – war leer!

»Magdalene! Lenchen!«

Jetzt überwog der Gedanke an die Gefahr des blinden Greises alles andere und sie stürzte auf dessen Zimmer zu: »Scholze! Erwach! Es brennt im Hause!« Sie stieß an die Tür des Vorzimmers, in dem der alte Reitknecht, wie ein Cerberus vor dem Wohn- und Schlafzimmer seines Herrn zu schlafen pflegte; die Tür gab dem geringsten Anstoß nach – aus dem nächstbelegenen Wohnzimmer des alten Herrn erhellte der Schein der Nachtlampe das Vorgemach wenigstens so weit, daß sie zwei Menschen bemerken konnte, es war der alte Scholze und seine Enkeltochter, deren Arm seine nervige sehnige Hand fest umklammert hielt.

Das Mädchen stand ohne Bewegung, die Arme gekreuzt, das sonst so sanfte, gute Auge starrte finster vor sich hin, das Gesicht war totenblaß.

»Scholz! Um Himmelswillen, wecke den Großvater und sorge für seine Sicherheit. Es brennt im Hause, oben – bei Konrad!«

»So – es brennt also?« sagte dumpf der Alte, »mags brennen! Ich wünschte, es hätte die Metze hier verbrannt!« Im nächsten Augenblick aber schienen ihm doch andere Gedanken gekommen. Er ließ den Arm der Enkelin los und stieß sie in einen Winkel der Wohnstube. »Rühr' Dich nicht von der Stelle, oder ich schlage Dich tot!« Dann öffnete er die Schlafstubentür des Generals. Die alte Gewohnheit überwältigte ihn trotz der Schrecken des Auftritts. »Halten zu Gnaden, Herr General, wachen Sie auf, Sie müssen aufstehn!« Er hatte die Hand an das wenige graue Haar gelegt, das ihm feuchtkalt über die Stirne hing. »Habe zu melden, daß es im Schloß brennen soll, und – und –« er konnte die nächsten Worte kaum durch die Kehle würgen, – »und – daß die Lene – eine Hure ist!«

Der alte Soldat war bei dem ersten Ruf bereits aus seinem Schlaf erwacht und hatte sich auf dem Feldbett, auf einem solchen schlief er noch immer aus Gewohnheit! – aufgerichtet. Jetzt saß er auf demselben, die Füße bereits in den Pantoffeln. »Kerl – bist Du verrückt?«

»Kanns nicht sagen, Herr General! Aber wäre kein Wunder! Die Taubenaugen, weiß jetzt zur Genüge, was ihr fehlte! Belieben der Herr General die Beine auszustrecken, daß ich Sie anziehen kann! Welche Papiere soll ich retten?«

Der Blinde streckte die Arme um sich. »Blücher und Ziethen! Sprichst Du die Wahrheit, es brennt im Hause? Weiß es der – mein Sohn?«

»Großvater! Großvater, beeile Dich! Gott sei Dank – da hör' ich den Vater und Viktor. Scholze, tummle Dich – führ' den Großvater ins Freie, zunächst in den Garten!« Sie flog davon.

Das ganze Haus war jetzt wach, der Landrat hatte seine volle Energie und Geistesgegenwart bereits gewonnen und führte mit den Söhnen die Knechte und Mägde in das obere Stockwerk, eine Wasserchaine bildend – aber was halfen die wenigen Leute, das ungenügende Gerät! Konradine suchte die Mutter zu beruhigen. Bereits brannte es im obern Stockwerk in hellen Flammen an verschiedenen Stellen.

»Es ist nicht zu dämpfen,« erklärte nach kurzen Anstrengungen der Hausherr; »ist der Vater in Sicherheit?«

»Scholze ist bei ihm, einstweilen im Garten!«

»Dann müssen wir unten wenigstens zu retten suchen, was möglich, das Silberzeug, Wäsche, die Familienpapiere. Das ist Sache der Frauen unter Deiner Aufsicht, Viktor. Ich habe andere Pflichten und Du, Konrad, sieh zu, daß das Vieh aus den Ställen gebracht wird, ich fürchte, bei diesem Winde wird wenig zu retten sein! – Wenn die nächsten Ställe sich entzünden, ist die ganze Ernte ohne Hilfe verloren!«

»Gott sei gelobt, daß Du wenigstens alles versichert hast; die fünf Jahre liefen ja wohl am 1. September ab.«

Der Hauptmann sah finster vor sich hin. »Denke jetzt nur daran, soviel zu retten wie möglich. Gott sei Dank, ein Freund in der Not. Der Himmel führt Sie her!« Er reichte dem jungen Fabrikanten, der eben herbeistürzte, die Hand. »Helfen Sie den Frauen, lieber Hancke; haben Sie etwas von der Spritze gesehen?«

»Sie wissen, wie langsam die Anstalten auf dem Lande sind, indes sie muß gleich hier sein, und ich habe einen Boten nach der Fabrik gesandt, unsere Feuerwehr zu holen. Ich habe Befehl gegeben, ein paar Wagen anzuspannen, um die Frauen und den General zu uns zu bringen!«

»Das lohne Ihnen der Himmel! Ich hätte kaum daran gedacht. Gott sei Dank, da kommt auch die Spritze! Woher kommt der Wind?«

»Leider Nordwest – er weht nach dem Dorfe!«

»Dann, Kinder, rettet was möglich, und rechnet nicht auf mich – ich kenne meine Pflicht!«

Als der Landrat das Haus verließ und in den Hof trat, sah er, daß der Gutshof verloren war. Dach und oberer Stock des Herrenhauses standen in heller Glut – aber es wäre an dem alten Hause nicht viel gelegen gewesen, obschon es sein Erb- und Familiensitz war, in dem er und seine Kinder geboren und groß geworden waren. Das Schlimmste waren die in nur geringer Entfernung und ziemlich dicht bei einander stehenden Wirtschaftsgebäude. Die Funken stoben, vom Winde getrieben, wie ein flammendes Schneetreiben umher und fielen auf die Dächer. Nur der Schafstall, ein neuer Bau, war ganz massiv, aber der bewährte Landwirt wußte recht gut, wie schwer es sei, die Tiere bei einer Feuersbrunst herauszutreiben, sobald die Leithammel die Glut gesehen. War es doch schon schwer genug mit den schlagenden Pferden und dem brüllenden Rindvieh. Der Wind war so stark, daß kaum der Klang der Sturmglocken von den beiden Kirchen herüberdrang, obschon das Dorf kaum zehn Minuten von dem Gutshof entfernt lag. Dort waren die beiden Kirchen, die Schulhäuser, die Bauernhöfe, fast sämtlich groß, wohlhabend, wenn nicht ganz massiv, wenigstens mit Ziegeln gedeckt, der Landrat hatte seinen Stolz darein gesetzt, für die Sicherheit seiner Dorfschaft, ja aller Ortschaften im Kreise nach Kräften, mit Rat und Gesetz, ja mit eigenen Opfern zu sorgen, – nur das eigene private Eigentum war darüber zu kurz gekommen.

Wie beliebt der Edelmann, der erste ländliche Beamte und Wächter des Kreises, bei den Landleuten war, zeigte ihr Eifer, zu löschen, der sie anfangs kaum an die eigene Gefahr denken ließ. Es waren viele Landwehrmänner und Ausgediente unter den Herbeieilenden, die sich sofort unter das Kommando der beiden Offiziere drängten; aber gegen die hier vereinigten Elemente war alle Menschenkraft zu schwach. Bald hatten die fliegenden Funken auf dem Dach eines der bis zum First mit Getreide gefüllten Stadel – es war ein trockener ausdörrender Sommer gewesen – gefangen, und ehe Hilfe herankam, knisterte die Flamme auf.

Der Landrat wußte, daß mit den brennenden fliegenden Garben kein Halt mehr war.

»Schulze Heine!« Der Mann stand in seiner Nähe und schaute mit Besorgnis nach dem Dorfe hinüber.

»Lassen Sie sofort die Pferde wieder vor die Spritze legen, und bemannen Sie die Wassertine – wir müssen zum Dorf!«

»Aber, gnädiger Herr, das Schloß … Ihre Scheunen! …«

»Es ist nicht zu retten! Was geschehen kann, wird von der Feuerwehr des Herrn Hancke geschehen. Die Fabrik und Mühle sind nicht gefährdet, sie liegen zur Seite und der Wald dazwischen. Schicken Sie alle Mannschaften zum Dorf zurück und halten Sie alle ankommenden Spritzen dort zurück. Lassen Sie jede gefährdete Stelle bespritzen und senden Sie Leute auf das Kirchdach. In zehn Minuten bin ich bei Ihnen, um selbst die Anstalten zu leiten! Das Dorf muß erhalten werden.«

»Gott vergelte es Ihnen, gnädiger Herr! Und rechnen Sie auf uns!«

Der Junker drückte dem Schulzen die Hand; als der Befehl bekannt wurde, verdoppelten die Landleute ihre Tätigkeit, und alles eilte dann mit der dem Bauer selbst in seinen besten Gefühlen eigenen Selbstsucht, die eigene Habe zu schützen. Nur der junge Fabrikant mit seinen Leuten und die Knechte des Gutes hielten tapfer aus.

Eine leichte Kalesche rasselte in den jetzt auf drei Seiten brennenden Hof.

»Ist der Landrat hier?«

Der vollen kräftigen Stimme antwortete dieser selbst. »Seien Sie gegrüßt, Herr Hancke; Ihr wackerer Sohn ist in voller Tätigkeit mit seinen Leuten!«

»Das dank ihm der Teufel,« sagte barsch der Papiermittler, eine kleine runde Gestalt mit vollem klugen Gesicht, indem er aus dem Wagen sprang. »Ihrer Gemahlin bin ich bereits begegnet; meine Alte erwartet Sie, aber wo ist der Herr General?«

»Drüben im Garten. Konradine sagte mir – er wolle nicht weichen, so lange das alte Haus stände!«

»Das sieht ihm ähnlich; natürlich ist der Scholze bei ihm. Haben Sie schon eine Ahnung, wie das Unglück entstanden ist?«

»Noch nicht, Herr Hancke – das muß die Untersuchung morgen ergeben – was ists, was gibts?«

Das Fräulein drängte sich durch die noch immer Rettenden. »Ist die Lene hier?«

»Ich habe sie noch nicht gesehen, sie ist wohl drüben bei ihrem Großvater!«

»Barmherziger Gott – nein! Ich komme eben von dort – Lene! Lene! – Dann muß sie noch im Hause sein!«

»Unmöglich!«

»Vor fünf Minuten,« sagte einer der Knechte, die bei dem Räumen im Parterre geholfen, »stand sie noch in des Generals Stube –, ich rief ihr zu, als ich aus dem Fenster sprang, und dachte, sie käme mir nach … sie war so sonderbar, wie ich sie nie gesehn!«

»Gott im Himmel! Dann ist sie noch auf der Stelle, wo sie Scholze stehn ließ – – – ich hatte sie ganz vergessen! Lene! Lene! – lebst Du noch –« das Fräulein stürzte gegen das brennende Haus – keine Antwort! Nur das Prasseln der Flammen, die stürzenden oberen Wände und Banken.

Ein Steiger der kleinen Feuerwehr hatte die Leiter an das Eckfenster gestellt und war auf dieselbe gesprungen, um sich ins Fenster zu schwingen, aber Rauch und Flammen kamen ihm hier so gewaltig entgegen, daß er zurücktaumelte und herabsprang. »Es steht wirklich ein Mensch an der Wand, aber die halbe Decke ist bereits eingestürzt!«

»Allmächtiger – sie verbrennt! Wagt denn niemand, sie zu retten!?«

Die Männer flogen auseinander – es war der junge Offizier, der eben vom äußersten Stall herbeieilte.

»Konrad, rette sie!«

»Wen?«

»Die Lene – sie verbrennt in Großvaters Zimmer – Scholz – ich, wir ließen sie dort zurück in der Aufregung –«

Der junge Offizier war bereits an ihr vorüber; er hatte sich schon zweimal in das brennende Haus gewagt, noch Sachen aus der Wohnung der Eltern zu retten. So blasiert er aber auch sonst war, so furchtbar schien ihn das plötzlich über seine Familie hereingebrochene Unglück ergriffen und zur Tätigkeit angespornt zu haben. Er war ohne Mütze, nur den leichten Uniformrock auf dem Leibe.

»Ich Wahnsinniger bin Schuld an ihrem Tode! Die Leiter her!« Er riß sie den Männern aus den Händen und stürzte zu dem hohen Parterre. Hier hielten die stärkeren Mauern des Eckzimmers allerdings noch, aber es war voll Lebensgefahr, ihnen auch nur nahe zu kommen, denn aus dem oberen Stockwerk schlugen fortwährend Wandstücke und brennende Balken nieder zu Boden.

»Zurück, Herr Leutnant! die Wand stürzt ein!«

Was oben noch von ihr stand, wankte, wie im Sturm, der Dragoner war bereits dicht unter ihr, der Haken der Leiter faßte im Gesims, im nächsten Augenblick war er auf ihr, im Fenster selbst; noch konnte man die schlanke Gestalt sehen, wie sie sich dunkel auf dem flammenden Grunde abzeichnete – dann war sie im Innern verschwunden, und zugleich stürzte oben die Mauer herab dicht am Fenster und Flammen und Schutt wirbelten wie ein undurchdringlicher Schleier empor.

Der Landrat war herbeigeeilt, er barg das Gesicht in den Händen.

»Mein Sohn! mein Kind!« Konradine lag ohnmächtig in den Armen des alten Fabrikbesitzers. Nur der junge Hancke schien die Besinnung behalten zu haben, denn Viktor war bereits entfernt am andern Ende des Hofes.

Mit einem Satz war der junge Mann um die Ecke, auch hier aus den auf den Garten sehenden Fenstern brachen Rauch und Flammen, aber die Grundmauern hielten doch noch.

»Leitern hierher! Wasser! – Äxte! – Möllhof – hier durch!«

Ein Fensterkreuz aus dem Schlafzimmer des alten Generals stürzte nach außen, in der Öffnung erschien eine Gestalt, eine zweite tragend. »Platz da!« im nächsten Moment sprang, stürzte er heraus, die bewußtlose Gestalt im Arm, über sie hinfallend aber sie nicht loslassend, bis man beide aus dem Bereich des Feuers und der stürzenden Trümmer zog.

»Hurrah unser Leutnant!«

Er hatte sich aufgerafft, war allein emporgesprungen – neben dem Mädchen, es war in der Tat das Dienstmädchen Magdalene, die »Jungfer« des Schloßfräuleins – und neben ihr kniete dieses, bemüht, die Ohnmächtige, Halberstickte wieder zur Besinnung zu bringen. Deren Gesicht war so starr, so drohend geblieben, die Zähne auf die Unterlippe festgebissen, die Arme noch in einander geschlungen – ganz wie sie vorher trotzend, regungslos ihr Großvater verlassen hatte.

»So! Tragt die Dirne fort – zum Gartenhaus! Gießt ihr Wasser ins Gesicht!« Der junge Offizier wollte wieder fort zur Vorderfront, sein Vater war ihm entgegen geeilt und hatte ihn in die Arme geschlossen. »Gott sei Dank, der Dich gerettet! Brav gemacht, mein Junge! Ich sehe doch, daß Du vom alten Stamm bist, trotz manchen Leichtsinns!«

Der junge Offizier hielt den Landrat auf Armeslänge von sich abgedrückt. »Wie Vater? Du verzeihst mir, und das im Augenblick, wo ich Dir das Haus über dem Kopf angezündet?«

»Konrad! – Mensch! – Du? – Du selbst?«

Der Offizier preßte die mit Brandwunden bedeckten, rauchgeschwärzten Hände auf die Augen. »Ich glaube, ich trage allerdings die Schuld! Ich wollte, ich wäre mit verbrannt!«

Der Landrat war tief erschüttert – aber schon eilten die andern herbei – Konradine, der Premierleutnant, die beiden Hanckes – Knechte und Mägde.

»Bei Deiner Mutter! schweig, Unglücklicher! Der Schaden ist der unsere, wenn wir nur das Dorf retten! – Nimm ihn, Viktor – bewache ihn – keine Unvorsichtigkeit – kein Wort! – Herr Hancke, darf ich Ihr Fuhrwerk benutzen? Ich muß ins Dorf – sorgen Sie für den General!« Er sprang in die Kalesche des Fabrikanten. »Vorwärts – rasch – zum Dorf! –«

Der Premierleutnant hatte den blinden General herbeigeholt, so nahe, als es die Hitze des Brandes ungefährlich machte. »Nun danken Sie Gott mit uns, Scholze, Ihre Enkelin ist glücklich gerettet, sie hätte verbrennen können!«

»Wäre sie's nur! Besser tot, als – eine Metze!«

Nur der alte General hatte die Worte gehört – er blieb stehen.

»Maul gehalten! Still! Nicht gemuckst! Müssen die Sache erst untersuchen – tust ihr vielleicht Unrecht, alter Narr!«

»Halten zu Gnaden – nein! – Ich sah sie selbst aus seiner Tür kommen – ich hatte eine Ahnung und lauerte ihr auf!«

»Schweig! Wie ich höre, hat Konrad sie aus dem Feuer gerettet! Aber es soll Dir Gerechtigkeit werden – Dir und ihr – auf das Wort eines Möllhoffs.«

»Denken Sie daran! Der Name Scholz war bisher immer ehrlich!«

»Still, sag ich! Es trifft uns Unglück genug! Muß erst wieder zur Ruhe kommen, bin ein alter Mann – und Du auch!«

»Zu Befehl, Herr General! Bin zwar nur ein gemeiner Kerl, und es war meine Schuldigkeit, da ich Ihr geborner Erbuntertäniger bin, daß ich Ihnen Vierzehn in den Krieg folgte und treu gedient habe, aber – auf sein unbescholtenes Blut kann auch der Niedrigste halten.«

»Schweig, sag ich! Dein Recht soll Dir werden. Schick das Mädchen zu ihrer Mutter und sei nicht rauh zu ihr, wie Du es gewohnt bist!«

Das widersetzliche Faktotum schwieg; der Alte mochte selbst schon lange gegen sein besseres Gefühl gekämpft haben, das ihm bei der Gefahr des Mädchens fast das Herz gebrochen und ihm die bittersten Vorwürfe gemacht hatte. Dennoch konnte sein angeborener Starrsinn nicht mehr über sich gewinnen, als daß er dem Befehl des Generals folgte.

Erst gegen Morgen, als der Wind sich zu legen begann, konnte der Landrat vom Dorfe her die Meldung senden, daß mit Hilfe mehrerer aus der Umgegend dort eingetroffener Spritzen jede weitere Gefahr beseitigt sei. Desto schlimmer sah es auf dem Gutshofe selbst aus. Von der Ernte war so gut wie nichts gerettet, von dem Viehstand auch nur ein Teil, denn Ochsen und Schafe waren mitunter blindlings in die Glut zurückgestürzt und hatten darin ihren Tod gefunden. Ein vollständiger Neubau des Gutshofes war unvermeidlich. Der Landrat hatte sich einstweilen in dem kürzlich erbauten Schulhause einquartiert bis er die in der Kreisstadt belegene, ganz geräumige Dienstwohnung beziehen konnte und weiteres beschloß; das gerettete Vieh war bei den Bauern untergebracht. Das Schulhaus hatte ihm der Pastor vorgeschlagen, obschon sein geräumiges Pfarrhaus selbst Raum genug geboten hätte, und der Landrat sein Patron war. Aber er war ein vorsichtiger und etwas geiziger Mann, einer von jenen, die stets über die schmalen Einkünfte der Kirche klagen, und die Aufnahme der Familie des Gutsherrn hätte viele Kosten gemacht; der Vikar dagegen hatte es sich nicht nehmen lassen, schon während der Nacht den jüngern Offizier zu sich einzuladen. Unruhig ging dieser am Morgen im Garten auf- und nieder, den Vikar nach der Messe erwartend.

Er ging ihm entgegen, als er ihn sah und reichte ihm die Hand. »Haben Sie Zeit für mich, Ehrwürden?«

»Ich habe Ihnen bereits gestern gesagt: bei dem großen Unglück, das sie alle betroffen, ist es nur die Gnade der heiligen Jungfrau, daß wenigstens kein Menschenleben zu beklagen ist. Ja, mehr, Sie haben, wie ich höre, ein solches gerettet, eins meiner Beichtkinder.«

»Es war nicht mehr als meine Pflicht, denn ich gerade habe es gefährdet. Eben wegen des Mädchens wollte ich mit Ihnen sprechen, Ihnen ein Bekenntnis ablegen und – Ihren Rat und Beistand erbitten.«

»Sie sprechen, als wollten Sie eine Beichte tun, aber, Herr Leutnant, Sie sind nicht Katholik, obschon Sie es nach den Satzungen unserer Kirche sein könnten, sein müßten, Sie und das gnädige Fräulein. In Ihrer Familie ist es nur Ihre Frau Mutter.«

»Sehen Sie es an, wie Sie wollen – als Beichtbekenntnis, als das Vertrauen eines Freundes; wenigstens macht Ihr Glaube es Ihnen zur Pflicht, Schweigen zu bewahren.«

»So ist es; darauf mögen Sie sich wenigstens verlassen.«

»Zuerst: was Ihr Beichtkind betrifft – als solches ist es Ihnen vielleicht kein Geheimnis mehr – wir haben uns vergangen, gesündigt meinetwegen, wir sind beide jung und hätten klüger sein sollen, aber das heiße Blut, wenn man jung und leichtsinnig ist. Kurzum – Lenchen glaubt sich Mutter.«

»Das ist allerdings schlimm; die Kirche kennt nur eine Sühne dafür!«

»Die Heirat – aber das ist es ja eben! Ich kann das Dienstmädchen meiner Eltern doch unmöglich heiraten, ohne mit meinem Stande, mit meiner ganzen Zukunft zu brechen!«

Der Vikar sah ihn scharf an. »Haben Sie dem Mädchen, als Sie es verführten, ein dahingehendes Versprechen gegeben? – Ich kann Ihnen nur zu größter Aufrichtigkeit raten.«

Der Offizier schlug die Finger in einander. Das ist das Unheil – ein Heiratsversprechen grade nicht, – aber sie besitzt einen Brief von mir, in dem ich törichter Weise ihr allerlei zusagte, mich zu ihr bekenne, ohne daß grade das Wort Heirat darin vorkommt – nur Absichtlichkeit kann es so auslegen, und dennoch – würde er mich bei den harten Grundsätzen in meiner Familie über Ehrenwort sehr kompromittieren – und diesen Brief – der Teufel ist plötzlich in das Mädchen gefahren, während sie sonst um den Finger zu wickeln war – sie weigerte sich, ihn herauszugeben!«

»Es ist ein seltsamer Charakter, die Lene – die Schwäche und Schüchternheit ihrer Mutter, aber die starke Energie ihres Vaters und der Eigensinn ihres Großvaters! Haben Sie mit ihr gesprochen?«

»Das war einer der Gründe, die mich hierher führten – sie hatte an mich geschrieben. Gestern abend vor dem Brande habe ich sie gesprochen; als die andern schlafen gegangen waren, kam sie auf mein Zimmer; ich erwartete sie.«

»Und?«

»Wie gesagt, ein Teufel ist in dem Mädchen. Sie liebt mich, ich möchte sagen leidenschaftlich; sie will tun, was ich von ihr verlange, ins Wasser springen, wenn ichs will, jedes Geständnis weigern, ihr Unglück tragen und sich allem fügen, aber – –

»Nun?«

»Den Brief herauszugeben weigert sie, es sei ihr einziger Schatz, und gehöre ihrem Kinde! Ich sprach, ich bat, ich versprach, sie nicht zu verlassen, sie blieb – eigensinnig, selbst Drohungen nutzten nichts; zuletzt wurde ich so aufgebracht, so heftig, daß ich mich vergaß – daß ich …«

»Sie schlugen?«

»Bewahre, Ehrwürden! Ein Mann, ein Offizier und sie ein Mädchen – nein schlimmer als das, denn es brachte noch größeres Unheil – ich war so aufgebracht, daß ich – als sie schon die Tür in der Hand hatte, Leuchter und Licht hinter ihr drein warf.«

Der Vikar sah ihn jetzt wirklich erschrocken an; die andere Selbstanklage mochte ihm oft genug vorgekommen sein in der Beichte, als daß er so schweres Gewicht darauf legte.

»Wie? Und das Unglück …?«

»Ich weiß es nicht; es war allerdings eine große Unvorsichtigkeit, die ich begangen habe! Ich hatte mich ärgerlich nach der Wand gekehrt und die Augen geschlossen; – als ich sie öffnete, bemerkte ich eine ungewöhnliche Helle – und eine Fenster-Gardine brannte …«

»Heilige Jungfrau!«

»Eine Jungfrau war sie allerdings nicht,« sagte der Offizier barsch, »um die ich das Haus meines Vaters angezündet habe – wenn sie es nicht gar selber getan hat, um sich und mich aus Rache zu verbrennen! – Die Energie hatte sie plötzlich dazu; weiß der Teufel, wie sie ihr gekommen ist – es kann ein Zufall, eine Unvorsichtigkeit sein – daß ich erschrocken von dem Bett sprang, ich war noch halb angekleidet, und das Feuer zu dämpfen suchte, aber es brannte alles wie Zunder in dem alten Hause, und als ich endlich das Fenster aufriß, um nach Beistand zu rufen, – machte ich das Übel noch ärger!« Der junge Mann sah starr vor sich nieder, dann auf den Geistlichen, der ihn nicht ohne Teilnahme betrachtete. »Gott sei Dank, Mordbrenner bin ich wenigstens nicht geworden! – Ich wäre nicht aus den Flammen zurückgekommen, wenn ich sie nicht hätte retten können! Mag das Haus zum Teufel sein, über kurz oder lang hätte es doch umgebaut werden müssen und alles ist ja dabei versichert! Aber das andere mit dem Mädchen? Sie müssen mit ihr sprechen, sie bewegen, daß sie das Papier herausgibt – hoffentlich tut sie es jetzt aus Dankbarkeit, da ich mein Leben für sie gewagt habe!«

Der Vikar ging nachdenkend neben ihm her. »Wäre es nicht besser, Ihre Frau Mutter – in einen Teil des Geheimnisses zu ziehen – ich meine, was die fleischliche Sünde betrifft – Frauen haben mehr guten Rat und wissen einen Fehltritt zu verbergen!«

»O, was meine Mutter betrifft – es wird zwar ein arges Kapitel geben, – natürlich würde sie nie in eine Heirat willigen, wenn ich auch selbst daran denken könnte, sie würde das Mädchen fortschaffen, mit Geld! Der Gedanke ist nicht übel, aber in diesem Augenblick unausführbar – Lene muß vernünftig sein und jetzt die Sache vertuschen, und dazu, Ehrwürden, müssen Sie mir beistehen. Sie sprachen von dem Charakter ihres Vaters; was wissen Sie von diesem, ist er überhaupt wieder zum Vorschein gekommen? Wenn ich mich recht erinnere, sind es 15 Jahre her, seit er fortging, – ich war damals ein Knabe und kam bald nach dem Kadettenhause!«

»Ich weiß von ihm auch nur aus den Mitteilungen meines verstorbenen Vorgängers und was mir Lenens Mutter erzählte. Danach war er ein Schäfer oder Bergmann aus Oberschlesien, der zufällig hierher kam, 1842 oder 43, hier gegen den Willen des alten Scholze Helenens Mutter heiratete, und sie mitnahm nach Oberschlesien. Drei Jahre, nachdem das Kind geboren war, mußte er wegen der damals in Oberschlesien herrschenden Not auswandern nach Westphalen – es zogen damals viele Bergleute dahin – von dort schickte er den Seinen das Verdiente, auch aus England noch, wohin er mit anderen sich engagieren ließ, später ist er verschollen. Wenigstens haben Mutter und Kind seit 15 Jahren fast nie wieder von ihm gehört, und selbst die Nachforschungen, die Ihr Herr Vater durch unsere Gesandtschaft anstellen ließ, haben kein Resultat ergeben, als daß in jener Zeit viele Bergleute nach Amerika oder Australien auswanderten, teils freiwillig, teils gezwungen. Lenens Mutter kam hierher aufs Gut und lebte von ihrer Hände Arbeit und der Unterstützung Ihrer Familie, denn ihr eigener Vater blieb ihr wegen der Heirat grollend, namentlich da sie sich weigerte, das Kind, das nach ihrem Gatten katholisch getauft war, anders zu erziehen.«

»Er ist ein starrer Bibelhusar, noch heute!«

Der Vikar seufzte. »Leute wie er und der General sind in ihren Kreisen der heiligen katholischen Kirche immer starre Gegner. Der Verschollene soll ein schöner und gescheuter Mann, zu jedem Dienst geschickt und brauchbar gewesen sein, aber ein wilder und rauher Charakter, und so hat er es auch durchgesetzt, daß Lenens Mutter ihn gegen den Willen des alten Scholz nahm. – Doch rechnen Sie darauf, Herr Leutnant, ich werde allen Einfluß der Kirche auf das Mädchen anwenden, sie zum Schweigen zu bewegen. Jetzt lassen sie uns zum Frühstück gehen, da kommt Ihr Herr Bruder vom Schulhause her.«

Beide mußten die Unterredung abbrechen, der Offizier nur halb beruhigt – er mußte dem Premierleutnant zur Brandstätte folgen, denn der Landrat war soeben zur Stadt gefahren. Noch hatte er mit den Seinen nicht Zeit gefunden, sich zu beraten, und wollte die Dienstwohnung in der Stadt besichtigen, ob er bald dahin übersiedeln könne.

So schön das Wetter nach dem heftigen Wind geworden war, die Stimmung des wackern Edelmanns blieb schwer verdüstert und er hätte gern die Fahrt aufgeschoben, wenn es eben nicht der Tag gewesen wäre, wo er stets auf dem Amt zu sein pflegte. Der Brand selbst hatte ihm außerdem verschiedene Pflichten und Geschäfte auferlegt. Die Nachricht von dem Unglück hatte sich rasch verbreitet und fand aufrichtige Teilnahme, die selbst bis zum Lästigen sich steigerte.

Nachdem er die dringendsten Tagesgeschäfte erledigt hatte, und eben in seine Wohnung hinaufgestiegen war, meldete ihm der Kreisbote einen Besuch an, den ersten Bankier der wohlhabenden Provinzialstadt. Er ging ihm entgegen und führte ihn zum Sofa.

»Guten Morgen, Herr Breslauer, ich wollte eben zu Ihnen kommen, um einiges mit Ihnen zu besprechen!«

»Ist es mir desto lieber, daß ich das Glück habe. Sie noch zu treffen hier, Herr Hauptmann. Habe gehört von dem Unglück, das Sie betroffen hat diese Nacht, nachdem gehofft wir doch alle, namentlich ich, Sie gestern nachmittag hier zu sehen bei der Versammlung wegen der Bahn, bei der wir bestimmt darauf rechnen, Sie zu den Unseren zu zählen. Seine Durchlaucht werden gleichfalls sehr erschrocken gewesen sein, als er gehört hat heute Morgen das Unglück, das Sie betroffen über Nacht.«

»Schon dies wäre genügend, mich an andere Dinge denken zu machen, als das Eisenbahn-Unternehmen der Herren.«

»Bitte, Herr Landrat, wenn man gut versichert ist, ist der Aufbau doch nur eine Frage der Zeit.«

»Versichert? Sie müssen es am besten wissen, Herr Breslauer …«

»Nun, sollt ich doch meinen, 70 000 Taler, mehr als 10 000 Pfund Sterling ist doch eine hübsche Summe für Gutshof und Ernte, und die Londoner Policen sind so gut wie bar Geld. Es ist doch gut, daß wir nicht haben in Schlesien eine Provinzial-Feuer-Versicherung, wie sie drüben haben in der Provinz Sachsen, die macht allerlei Chikanen, und in die doch zahlen müssen alle Rittergüter und das platte Land …«

»Herr Breslauer – Sie haben kein Recht, mit dem Unglück, das mich und die Meinen betroffen hat, Ihren Spott zu treiben.« Der Landrat hatte sich stolz erhoben.

»Soll mir Gott! Wo wird sich das Haus »Breslauer und Compagnie« erlauben, Spott zu treiben, mit einem so würdigen und so geachteten Herrn, wie dem Herrn Landrat, der sitzt in der Kammer als Vertreter des Landes und aller seiner Interessen in Grundbesitz, in Handel und Wandel, in Industrie und Eisenbahnen – doch, geehrter Herr Landrat, da fällt mir eben ein, weswegen ich gekommen bin, Sie zu treffen so früh und mich gefreut habe, Sie anzufinden noch zu Hause. Ich habe doch noch Sie zu bitten um Ihre Unterschrift auf zwei Papierchens, die werden bringen alles in Ordnung.« Der Bankier öffnete seine zierliche mit Papieren gefüllte Mappe.

»Meine Unterschrift? Sie wissen, daß ich nie in Wechseln oder dergleichen mache.«

»Gott bewahre, ist auch gar nicht nötig, es müßte denn sein, der Herr Landrat brauchten sofort Geld zum Neubau auf die Police – ich werde nehmen keinen Anstand, darauf vorzuschießen tausend Pfund Sterling; es ist mir ja sicher.«

Die Stirn des Edelmannes hatte sich dunkel gerötet. »Spielen wir nicht länger Komödie, Herr – ich bin – nun ich war allerdings versichert bei der englischen Assekuranz, deren Vertreter Sie in Schlesien sind, obschon ich den Geschäftsbetrieb der fremden Assekuranzen in Preußen eigentlich nicht billige, aber die Kulanz, welche die Londoner Direktion stets bewiesen hatte, und von der Sie mir vor zehn Jahren die Beweise vorlegten, hatte mich bewogen, bei den günstigen Bedingungen in fünfjährigem Versicherungsabschluß ihr den Vorzug zu geben, aber …«

Der Bankier hatte sich gleichfalls erhoben und suchte ein Papier in seinem Portefeuille.

»Sie wissen recht gut, Sie müssen es wissen, daß die Police am 21. d. Mts.,« sagte der Landrat, »am 21. dieses Monats abgelaufen war, während ich gerade in Berlin war, und daß ich im Augenblick die für meine Verhältnisse, weil ich die Ernte noch nicht verkauft hatte, nicht unbedeutende fünfjährige Prämie noch nicht gezahlt hatte und sie erst nach der Zahlung Gültigkeit haben konnte. Es ist ein Unglück und trifft mich hart …«

Der Bankier lachte auf, nach einem raschen Umblick, der ihm nochmals die Überzeugung gab, daß sie allein waren im Zimmer.

»Liebster, bester Möllhoff, was machen Sie da für Umstände, wir kennen einander doch schon länger, schon von meinem Vater selig, der immer gehabt großes Vertrauen in Ihre Familie, und wir haben auch gemacht zusammen manches Geschäft, – habe Ihnen abgekauft die Wolle, ohne daß Sie nötig hatten, sie den langen Weg zu schicken nach Breslau, ich kann mich doch betrachten als Ihren Bankier, der für Sie machen kann eine Auslage, wenn Sie einmal vergessen haben im Drang der Geschäfte oder in den Sorgen für den Staat, oder gerade einmal nicht gewesen sind bei barer Kasse – die Herren Söhne von der Aristokratie kosten viel, wenn sie sind beim Militär! Wir sind doch gewissermaßen bei dem Prospekt für die neue Bahn wie zwei Kollegen, die es nehmen nicht so genau – es bedarf nichts, als daß der Herr Hauptmann die Güte haben, mir zu unterzeichnen den Antrag auf Erneuerung der abgelaufenen Versicherung auf weitere fünf Jahre; was die Bezahlung der Prämie betrifft, so war das Sache von Samuel Breslauer und Compagnie, der Kredit hat in London mehr als die Lumperei …«

Die fette Hand des Bankiers, an deren kurzen dicken Fingern zwei wertvolle Diamanten glänzten, schob dem Edelmann zwei Papiere hin und holte selbst die Feder von dem offenen Schreibtisch. »Hier, Herr Hauptmann, bloß Ihres Namens bedarf es, da, wo ich den Finger habe, und Sie sehen, auch bei dem Prospekt für die neue Bahn, wir haben ausdrücklich trotz Ihrer ersten Bedenken, doch den Raum für Ihre Unterschrift offen gelassen, gleich hier hinter dem Namen des Fürsten …«

Er hielt ihm die Feder entgegen.

Es war eine schwere Versuchung für den Edelmann – ein Federstrich – es war ihm alles so plausibel, so und auch, rechtlich gemacht worden – dennoch – sein Auge lag auf dem Antrags-Formular.

»Ich habe das Nötige bereits ausgefüllt, Sie brauchen eben nur zu unterschreiben. Wir wollen das Protokoll der gestrigen Versammlung in der Eisenbahnsache noch heute nach Berlin absenden.« Die Hand schob auch das zweite Papier herbei.

Der Landrat hatte den Antrag aufgenommen, er legte ihn wieder nieder, die Feder daneben. »Sie haben sich in dem Datum geirrt, Herr Breslauer, wir haben heute den 24., und hier …«

»Natürlich – es ist der Form wegen – da wir es beide damals vergessen haben, doch – das ist meine Sache! Natürlich muß der Antrag acht Tage vor Ablauf der Police datiert sein.«

»Dann – wäre es ein falsches Dokument, und ein solches wird ein Mann von Ehre, ein Edelmann und Offizier niemals mit seinem Namen versehen.«

»Aber, bester Herr Hauptmann, was denken Sie, Sie sehen die Sache in einem ganz falschen Lichte an. Wahrhaftig bei Gott! Der Antrag ist, wie er hier liegt, ausgestellt schon vor vierzehn Tagen, es fehlte bloß Ihre Unterschrift, und Sie hatten mir ja früher selbst gesagt, daß Sie die Versicherung bei uns zu prolongieren wünschten.«

»Um so bitterer trifft mich das Unglück; ein solches ist es, daß ich eben versäumt habe, den Antrag schriftlich zu stellen und die Prämie zu leisten.«

»Gott der Gerechte! Was machen Sie sich für Bedenken, Herr Hauptmann, Siebenzigtausend Taler ist kein Spaß und man darf sie nicht werfen auf die Straße wegen eines bloßen Formalitätenfehlers!«

»Ich erfahre dies leider schwer auf meine Kosten, aber – ich hätte wahrscheinlich ohnehin kein Recht gehabt auf die Zahlung der Versicherung!«

»Warum sollten Sie nicht haben das Recht? Das allerbeste von der Welt!«

»Nach § 7 der Police verfällt das Anrecht, wenn die Feuersbrunst durch eigenes grobes Versehen des Versicherten selbst, oder – seiner Familie entsteht, und die amtlichen Recherchen über die Entstehung des Brandes sind noch nicht geschlossen; ich habe meinen ältesten Sohn und den Ortsschulzen damit beauftragt, ich werde sie amtlich feststellen, sobald ich aus der Stadt komme.«

»Gott! Gott! Was sind der Herr Landrat für ein skrupulöser Mann. Man kann auch sein allzugewissenhaft. Wo nicht gerade vorliegt offenbare, absichtliche Brandstiftung, und der Herr Landrat haben keinen solchen Feind; ein Versehen, ein Zufall liegt jedem Feuer zu Grunde, das wissen wir bei den Generalagenturen am besten.«

»Den gesetzlichen Vorschriften muß unter allen Umständen genügt werden, das erfordert schon meine Stellung als erster Polizeibeamter des Kreises. Doch – wir müssen dieser Unterredung ein Ende machen, Herr Breslauer, die für mich peinlich ist, und vielleicht auch für Sie. Beantworten Sie mir offen und wahr eine Frage!«

»Was befehlen der Herr Hauptmann zu wissen?«

»Nun wohlan – werden Sie noch ferner in mich dringen, diesen Versicherungsantrag hier zu unterschreiben – ich glaube gern, daß Sie sich in Ihrem Gewissen selbst für berechtigt halten, ihn als gültig zu akzeptieren – wenn ich mich, nach meinem Gewissen für genötigt halte, diesem zweiten Papier hier meine Unterschrift zu versagen?«

»Wie? Der Herr Landrat – wollen nicht beitreten dem Prospekt für unsere Bahn? Aber das kann unmöglich sein Ihr Ernst, das tut doch sein eine abgemachte Sache!« Unter dem scharfen Blick des Edelmanns schien der gewandte Geschäftsmann sich förmlich zu winden.

»Eben darum, weil es eine abgemachte Sache, weil mein Vater und ich gestern bereits unsere Ansichten über das Unternehmen offen und zweifellos ausgesprochen haben, darf die Überzeugung eines Mannes sich über Nacht durch ein unglückliches Ereignis, das ihn selbst betrifft, nicht ändern lassen. Herr Breslauer, es tut mir leid, der Landrat von Möllhoff wird nicht zu den Unterzeichnern des Prospekts gehören.«

Der Edelmann war zu seinem Schreibtisch gegangen, und hatte, als suche er dort etwas, dem Bankier den Rücken gewandt.

»Sie werden uns doch nicht lassen im Stich mit Ihrem angesehenen Namen, Herr Landrat,« sagte zögernd der Bankier, »bedenken Sie, daß wir rechnen müssen mit der neuen Bahn auf das englische Kapital. Doktor Straußthal, der uns zusichert die englische Beteiligung, hat ausdrücklich zur Bedingung gemacht die Namen der angesehensten Herrn vom Adel aus der Provinz.«

Als der Landrat zum Tisch vor dem Sopha zurückkehrte, überflog ein bitteres Lächeln sein ernstes Gesicht; ein Blick hatte ihn belehrt, daß nur das Protokoll des Prospekts noch dort lag, das Versicherungsschema war verschwunden.

»Die von Möllhoffs,« sagte der Edelmann, »sind zwar nicht als Ministerialen mit der heiligen Hedwig ins Schlesierland gekommen, wie die Schaffgotsche und Zedlitze, sie sind nur ein ehrlich mit dem Schwert erworbener Reiteradel aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges, aber ihre adlige Gesinnung darf nicht weniger angezweifelt werden, und, weil ich dieses Erbe meinen Söhnen hinterlassen will, wie es mein Vater mir hinterläßt, wenn auch unser Haus in Asche liegt, deshalb, Herr Breslauer, danke ich Ihnen für Ihren guten Willen und wünsche Ihrer Gründung alles gute Glück, auch ohne daß der Name von Möllhoff unter dem Prospekt steht. Wir bleiben die alten – Bekannten!«

Er reichte dem Bankier die Hand zum Abschied.

Auf dem Weg aus der Stadt, den der Hauptmann bald darauf wieder einschlug, begegnete ihm ein Bote vom Telegraphenamt, der eine Depesche für den Premier brachte und sehr erfreut war, daß ihm der Landrat die zwei Meilen des Expreßganges ersparen wollte.

Seine Stimmung war in der Tat nicht freudiger geworden, als er am Nachmittag zuerst bei dem Fabrikbesitzer, um seine Frau zu begrüßen, und dann an dem Schulhause im Dorfe vorfuhr, wo er seinen Aufenthalt genommen hatte, und die Gesichter der Seinen waren wahrhaftig auch nicht darnach angetan, seine Sorgen zu mindern. Der General saß finster und wortkarg, und der alte Scholz stand in gleicher Laune hinter seinem Stuhl, der Premier war nachdenkend, Konrad unruhig, es schien zwischen beiden bereits eine lebhafte Erörterung stattgehabt zu haben.

Fast um dieselbe Stunde wie am gestrigen Tage saß die Familie wieder zusammen, der junge Hancke hatte die beiden Frauen herübergeleitet, sich aber dann bescheiden entfernt, und auch die Geistlichen fehlten. Dieses gemeinschaftliche Zusammensein pflegte der Landrat gewöhnlich zu Mitteilungen zu benützen, und so beschloß er, auch heute zu tun. –

»Hast Du mit dem Schulzen die Leute vernommen, Viktor,« frug er, »die zuerst den Brand bemerkt haben?«

»Es ist geschehn!«

»Und das Resultat?«

»Der Feuerschein ist zuerst in Konrads Stube bemerkt worden, der Knecht, der aus der Stadt gekommen und das Pferd noch gefüttert hatte, sah ihn von der Stalltür aus, es muß etwa Mitternacht gewesen sein, und als Konrad um Hilfe aus dem Fenster rief, schlug die Lohe bereits aus diesem heraus.«

Der Landrat sah fragend den Sohn an.

»Ich muß eingeschlafen sein,« erklärte dieser, »Du weißt, mein Bett steht nicht weit ab vom Fenster, das Mädchen hatte dieses wahrscheinlich nicht gut zugewirbelt, bei dem Winde muß der Luftzug durch den Spalt den Vorhang in die Flamme des noch brennenden Lichts getrieben haben, kurzum, als ich aufwachte, stand das Zimmer bereits in Flammen.«

»Der heiligen Jungfrau sei Dank!« sagte eifrig die Landrätin, »daß Du noch so früh erwachtest. Du hättest selbst verbrennen oder ersticken können.«

»Halten zu Gnaden!« unterbrach mürrisch Scholz, »das wäre nicht gut möglich gewesen.«

»Nicht möglich? Ich sollte meinen grade! Warum hätte das Unglück nicht eintreten können?« Die Landrätin stand immer in Kampfbereitschaft gegen den alten Reitknecht.

»Weil der Herr Leutnant eben noch Besuch gehabt und ihn eben erst entlassen oder – fortgeschickt hatte.«

»Besuch? War Viktor bei ihm?«

»Nein!«

»Wer denn?«

»Eine liederliche Dirne!«

»Scholze!«

»Leider ists so! Die Lene, die Lene Gödulla war bei ihm, wie sie wahrscheinlich schon oft bei ihm war!« Der Alte sagte nicht: meine Enkelin! Er nannte das Mädchen bei ihrem Familiennamen.

»Das ist eine abscheuliche Verleumdung; ich muß Sie bitten, Herr Schwiegervater, diesen boshaften Lügner ernstlich zu bestrafen. Ich dulde ihn keinen Augenblick mehr in meiner Nähe. Komm, Konradine, es schickt sich nicht für uns, solche Abscheulichkeiten anzuhören.«

»Halt! Dageblieben, Frau Tochter! Die Sache soll untersucht werden!«

Der alte Reitknecht streckte die Hand nach dem Leutenant aus, der bleich, fassungslos dastand und krampfhaft die Lehne des Stuhls gefaßt hielt. »Sehen Sie ihn an, und sagen Sie selbst, ob ich gelogen habe!«

»Dann ist er von der Dirne verlockt worden!«

»Halt da!« sagte der General, wir sind alle Menschen, Frau Tochter, und können fehlen, aber die Lene war sonst ein gutes tugendhaftes Kind – wir dürfen sie nicht so verurteilen. Wo ist die Lene, Scholz?«

»Ich habe sie holen lassen, sie muß draußen sein!«

Jetzt erst hatte der Landrat Kraft und Ruhe genug gewonnen, um sich als Vater und Hausherr selbst in die Befragung zu mischen. Er wandte sich an den alten Diener.

»Wie kommst Du zu der Anklage, Scholz? Du weißt, ich halte Dir vieles zu gut – nicht alles. Warum beschuldigst Du Dein eigen Blut, und meinen Sohn?«

»Weil ich sie um Mitternacht mit diesen eigenen alten Augen aus dem Zimmer des Herrn Leutnant kommen sah. Ich lauerte ihr auf, denn ich hatte Verdacht gehabt, als ich ihn am Abend ihr etwas in die Hand schieben sah. Ich faßte sie selbst am Arm, sie schien in großer Erregung, als sie aus dem Zimmer gestürzt kam, ich führte sie hinunter; gleich darauf entstand der Feuerlärm durch das gnädige Fräulein.«

Der Landrat sah immer trostloser um sich her, seine Gattin war geblieben, sie wollte den Liebling doch nicht im Stich lassen und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.

»Willst Du nicht wenigstens die Konradine entfernen, Hauptmann,« sagte sie erregt. »Jugend hat nicht Tugend – am Ende ist es nicht so schlimm; es findet sich bei einer passenden Aussteuer ein Mann für die Dirne.

»Ich fürchte, es stellt sich mehr heraus, als Du denkst. Ich muß, so sehr es mir widersteht, das Mädchen selbst befragen. Laß die Lene kommen, Scholz, oder – besser, sieh Du zu, Konradine, ob sie wirklich draußen ist.«

Das Edelfräulein öffnete selbst tief erschüttert die Tür und ging hinaus; gleich darauf kam sie zurück, sie führte das Mädchen an der Hand. Sie hatte Zeit gehabt, ihr auf dem Weg bis zur Tür zuzuflüstern: »Lene, hab' Mitleid mit ihm – erinnere Dich, daß er mein Bruder ist!«

»Lene,« ermahnte der Gutsherr mit schmerzlicher Bewegung, »es sind schlimme Dinge vorgekommen diese Nacht – sprich die Wahrheit ohne Scheu und Rücksicht. Dein eigener Großvater beschuldigt Dich, Dich betroffen zu haben, wie Du kurze Zeit vor dem Ausbruch des Feuers aus dem Zimmer meines Sohnes gekommen seist. Ist das wahr?«

»Ja!«

Ein tiefes Stöhnen antwortete dem kurzen Geständnis, es kam von dem Fragenden selbst, zugleich ein hysterisches Auflachen von Seiten der Landrätin.

»Du hast – Du hast ein Verhältnis mit ihm?«

»Ja! Ich liebe Ihren Sohn, wie meine Mutter meinen Vater geliebt hat!«

»Soll er Dich etwa auch heiraten, Dirne,« brach die Landrätin los. »Hast Du darauf spekuliert? Aber Du könntest Dich irren – mein Sohn – Dich!«

Zum ersten Mal flog eine tiefe Röte statt der bisherigen Blässe über das Gesicht des armen Mädchens bei dem verächtlichen Ausruf der Landrätin.

»Es wäre seine Pflicht gewesen; jetzt mag ich Ihren Sohn nicht! Ich werde das Kind unter meinem Herzen ohne ihn ernähren! Es gibt einen gerechten Gott – für die niederen, wie für die vornehmen Leute!«

»Still, Mädchen!« sagte der General. »Hauptmann, Du kennst Deine Pflicht!«

»Ich kenne sie, Vater, sie ist mir heute schon schwer genug geworden. Mädchen, hat Dir dieser junge Mann hier – die Ehe versprochen? Ja oder nein?«

»Ja! Wir liebten uns!«

»So wird er Dich heiraten!«

»Niemals – sie – eine Magd!« kreischte die Landrätin, »ich werde es nicht dulden!«

»Die Lene Gödulla war ein unbescholtenes Mädchen, ein Möllhoff hat noch niemals sein Wort gebrochen!«

Die Gestalt des Mädchens hatte sich kräftig in die Höhe gerichtet.

»Sie meinen es gut mit mir, gnädiger Herr, aber ich glaube. Sie haben nicht gehört, was ich gesagt habe.«

»Was willst Du? Ich denke, das ist alles, was Du fordern kannst – selbst Dein Großvater wird damit zufrieden sein.«

»Ich habe der gnädigen Frau gesagt, daß ich Ihren Sohn nicht heirate! Ich – mag ihn nicht!«

»Soll er die Dirne etwa noch bitten,« kreischte die Landrätin, »eine Magd? – Laß sie klagen, Hauptmann; sie soll haben, was ihr zukommt! Aber jag' sie fort. Es ist ihr zu viel Ehre geschehn, daß ein Offizier, ein Herr von Möllhoff …«

»Still, Franziska! Wir können sie nicht zwingen, dem Kinde den Namen seines leichtsinnigen Vaters zu geben, aber sie soll nicht beleidigt, und es soll für sie gesorgt werden, so weit eben unsere Mittel noch reichen. Ich habe Dich nur eines noch zu fragen, Mädchen, kannst Du mir Auskunft geben, ob infolge dieser unglücklichen Zusammenkunft, und wie dieser Brand entstanden ist?«

»Ja!«

Aller Augen wandten sich wieder mit einer gewissen Angst auf das Mädchen.

»So sprich! Es ist kein Zweifel mehr, daß ein unglücklicher Zufall …

»Nein!«

»Nun –? Rede! Was wars?«

Eine kurze Pause, ihr Auge lag einen Moment lang auf dem vernichteten Offizier – dann sagte sie entschlossen, hart: »Ich selbst wars, ich warf das Licht in den Vorhang, damit er in seiner Wortbrüchigkeit verbrennen möge!«

»Lene!« Es war ein allgemeiner Aufschrei, der diesem Geständnis folgte.

»Ich selbst! Kann ich jetzt gehen? Oder wollen Sie mich dem Gericht übergeben? – Tun Sie es!«

»Natürlich,« rief die Landrätin, »sie soll ihren Lohn haben!«

»Halt!«

Wieder war es das Kommando des alten Generals, das alle fesselte.

»Schließ die Tür, Scholz, daß wir nicht gestört werden!«

Mechanisch ging der alte Reitknecht zur Tür, schloß sie ab und drehte den Schlüssel im Schlüsselloch.

»Konrad von Möllhoff, komm hierher!«

Der junge Offizier schritt bleich, schwankend auf den Greis zu und blieb vor ihm stehen. Seine Schwester war neben ihn getreten; als sie an der jungen Sünderin vorüberging, hatte sie ihr die Hand gereicht.

»Was willst Du noch, Großvater?«

»Du bist ein Möllhoff!«

»Ja!«

»Und warst es bisher mit Ehren …«

»Nein, Großvater!«

»Was – was sprichst Du!«

»Frage nachher Viktor – er mag Dirs sagen! – Was willst Du wissen?«

»Hat das Mädchen, die Lene – die Wahrheit gesprochen – – inbetreff der Entstehung des Feuers?« –

»Nein, Großvater!«

Das Mädchen schrie auf. »Glauben Sie ihm nicht, – ich tats!«

»Nein, Lene, Du sollst die Schuld nicht auf Dich nehmen! Mein Leichtsinn, meine Achtlosigkeit hat den Brand entzündet, freilich ohne Absicht, so wahr ich ein Möllhoff bin!«

»Ich danke Euch beiden! Nun, Frau Tochter – ist die Lene in Ihren Augen auch jetzt noch eine ehrlose Dirne, auch – wenn sie einen Fehltritt begangen hat?«

Die Landrätin schwieg, ihr Gatte war dazwischen getreten, »Gott sei Dank! Wir brauchen weder das Mädchen noch den Sohn deshalb anzuklagen, denn – ich hätte niemals geglaubt, daß ich Gott dafür dankbar sein würde – unser Hab und Gut ist verloren, aber uns verloren – ich habe kein Recht an die Versicherung.«

»Mann! Um Gotteswillen! sprich nicht so!«

»Es ist dennoch der Fall,« sagte der Landrat, der sich tief erschüttert gesetzt hatte. »Ich habe die Erneuerung der Versicherung wegen vieler Ausgaben versäumt, zwar nur um wenige Tage, aber gleichviel, der Name Möllhoff ist unbefleckt geblieben.«

»Armer Vater!« Es war das einzige Bedauern, das der ältere Sohn hören ließ, nur die Landrätin wehklagte, Scholz hatte Takt genug gehabt, seine Enkelin hinauszuführen – ja, er brachte sie selbst bis zu ihrer Mutter zurück. »Du wirst von mir hören!«

Als die Familie allein war, sagte der Landrat:, Es läßt sich nicht ändern, es ist ein Unglück, das getragen werden muß. Du, Viktor, verlierst am meisten, denn das Erbe Deiner Mutter war auf das Haus und die Gebäude eingetragen, und ich kann Dir nichts dafür bieten, bis uns wieder bessere Zeiten kommen. Konrad, Du wirst Dich zur Infanterie versetzen lassen müssen, den Zuschuß kann ich Dir für die Kavallerie nicht mehr geben – Viktor weiß mit seiner Gage nötigenfalls auszukommen – aber Du …«

Der Premierleutnant war zu seinem Vater getreten. »Ich muß leider Deine Kümmernisse noch vermehren,« sagte er, »so schmerzlich es mir wird. Es ist nötig, daß Konrad überhaupt um seinen Abschied bittet.«

Der Landrat starrte ihn erschrocken an. »Guter Gott! Lege mir nicht mehr auf, als ich tragen kann!«

Die Landrätin hatte wie außer sich den Arm des Stiefsohns umfaßt. »Mensch, was willst Du von meinem Sohn? …«

»Ruhe! Fassung! Ich hätte es gern verschwiegen, und die Sache selbst geordnet, aber unter den obwaltenden Umständen ist es nicht möglich. Konrad ist hierhergekommen, weil er sich wieder verleiten ließ, Schulden zu machen, Wechsel auszustellen, die gedeckt werden müssen. Er ist bei seinem Regimentskommandeur deshalb verklagt worden, und dieser hat ihm die Alternative gestellt, sofort für die Bezahlung Sorge zu tragen oder den Abschied zu fordern. Indem ich mit dem Verkauf meines »Pluto« Dich unterstützte, hoffte ich, daß wir die Wechsel decken könnten, selbst noch bei dem Unglück; aber Deine Mitteilung, daß die Prämie verloren ist – macht es fast unmöglich. Dennoch dürfen wir den Kopf nicht verlieren.«

»Wie hoch ist die Summe?«

»Viertausend Taler; Konrad war leider in die Hände von Spielern und Wucherern geraten!«

»Viertausend Taler! Es ist unmöglich, sie aufzubringen!«

»Dennoch muß wenigstens der eine Wechsel von tausend Talern auf das Schleunigste gedeckt werden, und hier – das Telegramm, das Du mir brachtest, ist vom Grafen Gaschin – er hat den »Pluto« gekauft und bittet mich, sofort das Geld auf seinen Bankier in Breslau zu ziehen. So ist dem Schlimmsten vorgebeugt, denn –«

»Sprich! Keine Verheimlichung mehr!«

»Der Name Möllhoff wäre sonst kompromittiert, der Unbesonnene hat den Wechsel als Rittmeister von Möllhoff ausgestellt, was – ich noch nicht bin!«

»Bube!«

»Nein, Vater, nenn ihn nicht so, es ist ein leichtsinniger Streich, dessen Folgen Konrad nicht voraussehen konnte. Es trifft uns nur viel Unglück zusammen; sobald ich für den »Pluto« gezogen habe, will ich selbst nach Berlin und wenigstens Frist für die nächsten zweitausend Taler zu erhalten suchen, bis wir die nötige Ruhe gewonnen, und auf irgend eine andere Weise Rat zu schaffen.«

Das Edelfräulein war zu Vater und Bruder getreten. »Das ist unnötig; hier ist das Geld! Sieh nach – zweitausend Taler!«

»Konradine! Wie kommst Du zu dem Geld?«

»Es ist ehrlich erworbenes Geld, keine Schuld daran, die ich nicht tilgen kann, Vater, so wahr ich eine Möllhoff bin. Gönne auch mir den Stolz, fragt jetzt nicht, sondern handelt – auf mein Wort, Du sollst noch heute Aufklärung haben.«

Die Landrätin hatte sich auf das Kuvert gestürzt, und die vier Banknoten zu 500 Taler herausgezogen. »Gott sei Dank! Konrad ist gerettet, es sind wahrhaftig volle zweitausend Taler. Konradine, Mädchen! Könntest Du wirklich so viel von der Wirtschaftskasse die Jahre her erspart haben, ohne daß ichs weiß? – Oder kommt es vom General, dessen Kassirerin Du ja bist!«

Der Blinde lachte bitter und spöttisch. »Täuschen Sie sich nicht, Frau Tochter, bei Ihren Ausgaben spart man nicht zweitausend Taler vom Wirtschaftsgeld, Sie und Ihr Liebling dort haben dafür gesorgt! Komm her, Konradine, Du bist ein braves Mädchen, und sie mögen das Geld ohne Besorgnis nehmen, ohne Dich mit Fragen zu behelligen, bis Du selbst zu reden für passend findest.«

»Du sprichst wahr, Vater; Konrad setz Dich dort an den Tisch und schreibe Dein Abschiedsgesuch; ich werde es noch diesen Abend befördern.«

»Wie? Konrad sollte den Abschied nehmen? Jetzt, wo die sichere Aussicht da ist, alles doch noch zu ordnen! Aber das wäre Torheit –«

»Der Hauptmann hat Recht,« sagte der General mit bestimmtem Ton. »Der Bursche ist nicht ohne guten Fond, aber Torheit wäre es, ihn weiter wirtschaften zu lassen, ohne daß seine Besserung erprobt ist. Er nimmt den Abschied, dabei bleibt es, und da er nichts weiter gelernt hat, als Soldat zu sein, so möge er als solcher Gott den Herrn einige Jahre erkennen lernen. Krieg gibts immer in der Welt, ich werde durch Dina Exzellenz Wrangel um eine Empfehlung bitten an den Kaiser von Rußland, im Kaukasus brauchen sie immer Soldaten, wenn er nicht etwa vorzieht, nach Amerika zu gehn und sich für oder gegen die Yankees zu schlagen. Einen ehrlichen Namen wenigstens kann er durch Bruder und Schwester mitnehmen. Laß ihn das Gesuch schreiben, Hauptmann!«

Der Leutenant hat sich mit keinem Worte des Befehls geweigert, er wußte sehr gut, daß willenloser Gehorsam seine einzige Rettung war. Nur die Landrätin konnte sich nicht zufrieden geben und weinte fort, bis man einen Wagen vor dem Schulhaus vorfahren hörte.

Scholz trat wieder ein. »Sind der Herr Hauptmann zu sprechen? Herr Hancke bittet um die Erlaubnis.«

»Welcher?«

»Beide, Vater und Sohn!«

»Wir ließen bitten; es ist zwar in diesem Augenblick nicht gerade erwünscht, – aber es hilft nichts!«

Der alte Diener hatte bereits die Tür geöffnet, der Fabrikbesitzer und sein Sohn traten ein; der letztere begrüßte ehrerbietig die Landrätin, der Alte nahm mit Achtung die Hand, die ihm der Gutsherr bot.

»Verzeihen Sie, Herr Hauptmann, daß ich Sie noch störe, aber ich komme eben erst aus der Stadt, und da Ihre Damen noch nicht wieder zurückgekehrt waren, dachte ich mir, daß wir sie gleich wieder mit uns nehmen könnten; es ist Platz genug im Wagen für sie und den Herrn General, wenn er uns die Ehre für den Abend erzeigen will. Wir Männer können den kurzen Weg hinterdrein gehen.«

»Ich fürchte, das letztere werden wir uns versagen müssen. Sie können wohl denken, daß so kurz nach dem Unglück viele Geschäfte zu erledigen oder wenigstens zu besprechen sind.«

»Eben wegen der Geschäfte komme ich, ich habe mit Ihnen über Geschäfte zu reden, Herr Landrat!«

»So bald schon? Sollten Sie nicht meinen …«

»So bald wie möglich! Habe die Schecken deshalb die zwei Meilen von der Stadt in vollem Trabe machen lassen. Sie wissen, ich bin ein schlichter Mann und liebe es, Geschäfte kurz abzumachen, bin ich doch in meiner Jugend auch Soldat gewesen, wenn auch nicht lange.« Er legte mit Stolz die Hand auf das Eiserne Kreuz. »Kurz, heraus, Herr Landrat, und halten Sie mich nicht für aufdringlich und neugierig. Ich habe in der Stadt gehört und gleich bei Breslauer danach gefragt, der ja die englische General-Agentur hat, daß Gebäude und Ernte nicht versichert sind, daß die Gesellschaft keine Prämie zu zahlen braucht?«

Der schon so viel gequälte Edelmann strich sich finster über die Falten der sorgenvollen Stirn. »So ist es also in der Stadt schon bekannt?«

»Können doch denken, daß der Breslauer nicht geschwiegen hat; nachdem Herr Landrat weggefahren, hat er davon erzählt, er sagt, die Gesellschaft habe keinerlei Verpflichtung.«

Der Hauptmann biß sich auf die Lippen. »Wenn es denn schon bekannt ist, warum sollte ich schweigen. Die Versicherung ist allerdings durch einen unglücklichen Zufall nicht rechtzeitig erneuert worden, mit einem Wort, Herr Hancke – ich bin, außer an Grund und Boden, augenblicklich ruiniert, und wenn Ihre Geschäfte sich darauf beziehen …«

»Gewiß beziehen Sie sich darauf, und was den Ruin betrifft, so reden Sie nicht so! Wenn man so guten Grund und Boden besitzt und so tüchtige Wasserkräfte, wie Sie, ist man niemals ruiniert, es mag die englische Gesellschaft auch noch so engherzig und schuftig handeln!«

»Aber – ich habe nicht die Mittel, wieder zu bauen

»Eben deshalb komme ich; habe mich rasch entschlossen, ist freilich ein harter Verlust, schon durch die verlorene Ernte. Aber die Edelleute sind nun einmal nicht reguläre Geschäftsleute und können sich in dieser Beziehung nicht an Ordnung und Pünktlichkeit gewöhnen, wie ein Kaufmann oder Fabrikant. Der Gutshof muß gebaut werden – und zwar so rasch wie möglich – aber – an anderer Stelle!«

»Herr Hancke …«

»Kann Ihnen doch unmöglich so viel an der alten Baracke gelegen haben, Herr Landrat, haben selbst mehr als einmal mit mir über das Unvorteilhafte derselben gesprochen. Kurz und gut, Herr Landrat, ich habe bereits mit meinem Sohne darüber geredet, und er ist ganz meiner Ansicht – wenn Sie sich entschließen könnten, Schloß und Stallungen etwas näher an das Wasser zu legen, und mit einem Papiermüller ein gemeinschaftliches Fabrikunternehmen anzulegen, eine Holzschneidemühle. – Holz genug zur Verwertung ist auf dem Gut und Wasserkraft auch – so ließe sich das Unglück ertragen und in einigen Jahren redressieren. Geld zum Bau – für Gutshof wie Fabrik habe ich – für vierzigtausend Taler bar ist der alte Hancke gut, wenn er auch nur ein Papiermüller ist – das nötige Genie hat der Ernst!«

»Herr Hancke, Sie wissen doch, daß Grund und Boden mit zwei Dritteil ihres Wertes in der Landschaft belastet sind; ich kann Ihnen also keine Hypothek mehr geben.«

»Brauche sie auch nicht; weiß, daß das Gut bei verständiger Benutzung in Verein mit richtiger Industrie, keinem Schwindel – weit mehr wert ist, als die Pfandbriefe – und hier – habe ich gleich einstweilen zehntausend Taler in guten Papieren flüssig gemacht und mitgebracht, damit Sie morgen den Bau beginnen können von Schloß und Wirtschaftsgebäuden, der Plan zur Fabrik braucht nur erweitert zu werden. Bis der Bau beendet, müssen Sie freilich in der Stadt wohnen oder bei mir. Will mich schon bemühen, es Ihnen allen angenehm zu machen, auch dem Herrn General! Bitte nehmen Sie einstweilen das Geld, es braucht keinen Schein unter uns! Mein Vater war schon Ihr Gutsangehöriger mit alter Erbuntertänigkeit; was wir erworben, haben wir auf Grund und Boden der Herren von Möllhoff erworben, und, wenn auch die Zeit und der König uns frei und selbständig gemacht haben: die Herrn von Möllhoff bleiben unsere Gutsherrn.«

Der Papiermüller hielt noch immer das Packet mit dem Geld dem Edelmann hin. Der General hatte sich halb aufgerichtet auf dem Lehnstuhl, der aus dem Brande mit einigen anderen Möbeln gerettet war, der Hauptmann stand wie erstarrt vor dem schlichten Mann und Tränen rollten ihm über die Wangen, neben ihm stand der Premierleutnant und hielt seine Hand. »Vater, ich glaube, ein solches Anerbieten darfst Du getrost annehmen – statt der Eisenbahn! Die Zeit ist eine andere, als damals, als nur Schwert und Pflug galten.«

Der Hauptmann wandte sich zurück nach dem alten General. »Und Du, Vater?«

»Darfst es!«

»Und darfst es um so mehr, Vater,« sagte die klare Stimme des Edelfräuleins, »als auch die Fabrik in der Familie bleibt. Sie haben einen Irrtum begangen, Herr Hancke, Sie sprachen von zehntausend Talern, Sie haben zweitausend vergessen, die mein Verlobter, Ihr Sohn, mir gestern Abend schon als Brautgeschenk gab, und ich nahm sie an und habe sogar über das Geld bereits verfügt! Großvater,« – sie hatte die Hand des jungen Fabrikanten ergriffen und zog ihn zu dem Greise – »Du wirst Deine Enkelin nicht wortbrüchig machen, die Dich lieben und pflegen wird, auch wenn sie einen bürgerlichen Namen führt. Gib Deinen Segen, Großvater, daß ists, was ich zu bitten hatte!«

Der alte Herr schwieg einige Minuten still, es schien ein gewaltiger Kampf in ihm vorzugehen, der Kampf mit seinen alten Vorurteilen. Dann sagte er: »Hast Recht gehabt, Viktor. Die Zeit ist eine andere geworden; auch andere Kräfte gelten, als Schwert und Pflug. Meinen Segen hast Du, Kind, und wenn Dein Ernst auch nicht von Adel ist: aus wackerm Blut und ein Soldatensohn ist er dennoch, der in seiner Fabrik doch wohl auch ein Plätzchen für mich und den Scholze übrig haben wird! Geh zu Deinem Vater, Dina, er allein hat die Entscheidung!«

»Ich muß doch recht sehr bitten,« sagte die Landrätin, »es ist unsere einzige Tochter, aber vielleicht ließe es sich machen, – unsere Familie hat Verbindungen bei Hofe …«

»Und er könnte sich adeln lassen, Frau Tochter? Das ist doch, was Sie meinen,« sagte spöttisch der General. »Blücher und Ziethen! Keinen Fuß wollt' ich in Dein Haus setzen, Dina, wenn dein Mann sich ein Wappen anderswo holte, als auf dem Schlachtfelde, und an Gelegenheit dazu wirds nicht fehlen; bis dahin ist mir ehrliches Bürgerblut lieber als adeliger Schwindel! Nimm meine Hand, Ernst, und bleibe dabei, adelig zu denken, so bist Du so gut wie ein geborener Edelmann.«

Der Landrat fühlte, daß es an ihm sei, durch seine Entscheidung auf die Erklärung Konradinens zu antworten. Sein Entschluß war längst gefaßt. Er reichte dem alten Fabrikanten die Hand.

»Ich habe Sie um einen Dienst zu bitten, lieber Compagnon!«

Das eine Wort machte viele frohe und glückliche Gesichter. Das Auge des alten Papiermüllers funkelte. »Überlegen Sie es wohl, Herr Landrat! So groß die Ehre für mich und meinen Sohn ist, das eben Geschehene darf keinen Einfluß auf unser Geschäft haben! – Für den alten Hancke bleiben Sie immer nur der Herr von Möllhof, und das Schicksal unserer Kinder mögen Sie selber gestalten.«

»So ist es entschieden, und möge es für beide ein glückliches sein, das ist es allein, wofür wir beide zu sorgen haben. Wenn Fabrik und Schloß ihr Richtfest nach altem Handwerksbrauch feiern, wird der junge Herr hoffentlich, was er bis jetzt nicht getan, beim Hauptmann von Möllhoff um die Hand seiner Tochter angehalten haben und willkommen geheißen sein. Einstweilen muß er auf den Verlobungsabend verzichten, und Viktor noch diese Nacht mit dem Schnellzug nach Berlin begleiten, um den Adel seiner Braut dort wieder makellos machen zu helfen. Wenn beide zurück sind, holen wir die Verlobung nach. Diktire Deinen Brief an den Feldmarschall. Vater, indes ich Konrads Abschiedsgesuch an seinen Obersten kuvertiere und einstweilen um Verlängerung des Urlaubs für ihn bitte, den man ihm in Anbetracht der Umstände nicht verweigern wird!«

Die künftige Braut ging zu dem alten Scholze und faßte seine Hand. »Wo der Frieden und das Glück der Zukunft so wunderbar eingekehrt sind,« sagte sie, »darfst auch Du eine Freude mir nicht versagen: Nachsicht und Versöhnung. Die Lene geht mit mir und soll gehalten werden, wie eine Schwester. Geh zu ihr, Scholze und bring ihr selbst ein gutes Wort.«

Der alte Diener war bewegt. Aber als er zu der Wohnung der Tochter ins Dorf ging, seine Enkelin dort aufzusuchen, fand er sie nicht. Die Witwe konnte ihm nur sagen, daß das Mädchen zwar vor kurzem zu ihr zurückgekehrt war, sich unter allerlei Vorwänden den letzten Brief hatte geben lassen, den sie selbst von ihrem verlorenen Gatten noch bewahrt, sie zärtlich geküßt hatte, und dann nach einem kurzen Verweilen in der Kammer, die sie bezogen, mit einem kleinen Bündel wieder davongegangen war, wie sie gemeint hatte, zum alten General und ihrer Herrin zurück.

Dahin eilte auch jetzt betroffen der alte Reitknecht, und seine Erzählung war der bittere Tropfen, der sich in den Frieden aller mischte, denn das Mädchen kehrte auch während der Nacht nicht zurück und blieb trotz der eifrigsten Nachforschungen verschwunden, die sich selbst auf die Spur eines Selbstmordes ausdehnten. Nur der Umstand, daß das Mädchen so eifrig den Brief ihres verschwundenen Vaters verlangt und mit sich genommen hatte, sprach gegen eine solche Tat. Der alte Reitknecht aber wurde, als Woche auf Woche verging, ohne daß man von seiner Enkelin vernahm, noch starrer und wortkarger, als er sonst gewesen war, und schien dem Jammer der eigenen Tochter gegenüber sich Vorwürfe über seine Härte zu machen, die selbst die Tröstung des alten Generals nicht zu heben vermochte. Der Name der Enkelin kam nicht über seine Lippen, und er schüttelte nur finster den Kopf, wenn die anderen ihn erwähnten.


 << zurück weiter >>