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Auf deutschem Strom!

 … Es war in Hamburg, der Journalist reichte eben seiner Frau die Hand, um sie die bequeme Treppe hinab zu geleiten, die von dem Bollwerk am Hafen hinunter führt zu dem Floß, an dem die Jollen anlegten, welche die Verbindung des Ufers mit der langen Reihe der im deutschen Strom ankernden Schiffe bildeten.

»Boot, Herr?«

»Ja – was kostet die Stunde?«

»Ah, der Herr wollen blos durch die Schiffsreihen fahren? Sind ein Paar große Dreidecker hier, die nächste Woche nach Chili gehen. – Steigen Sie ein!«

»Ich denke, die »Amazone« und der »Komet« sind auch hier.«

» Well well, Sir – die preußische Korvette; hat ein wenig Havarie an der englischen Küste gehabt, und sollte auf die Doks, ehe sie nach Danzig und Kopenhagen geht. Schönes Schiff, Herr – nur die Masten etwas hoch für die Breite. Schöne Leute drauf, sind manierlicher als die John Bulls und die Danebrogs, von denen draußen einer hinter Blankenese liegt. Wünschte, wir könntens ihnen einmal zeigen, aber es ist aus mit der deutschen Marine, seit man sie unter den Hammer gebracht und selbst die Schiffe der preußischen Seehandlung so schändlich verschachert hat. Wird nun einmal nichts daraus, obschon sie sich jetzt wieder mächtig rühren und sammeln sollen im Binnenlande. An Matrosen würde es wahrhaftig nicht fehlen für eine deutsche Flotte, nur – …«

»Was fehlt also?«

»Hm, kalkuliere Herr, eine deutsche Flagge selbst,« brummte der alte graubärtige Jollenführer.

»Nun, wir haben ja einen Prinz Admiral und einen besonderen Marine-Minister!«

»Hab' gehört davon; wird wohl auch so 'ne Landratte sein, der nur die Soldaten drillt!«

»Halt da, Alter, redet nicht mehr, als Ihr versteht. General von Roon ist bei Kolberg an der See geboren. Ihr kennt doch die Ostseeküsten?«

»Denke, Herr; war in meinen besseren Jahren lange genug auf der Binnensee, obschon ich ein Befahrner bin, der zwei Mal in China war, das eine Mal mit einem Engländer, das andere Mal mit einem Hamburger Schiff. Hab mir gerade auf der Ostsee bei Rügen durch einen Sturz von der Raa bei den kurzen Stoßwellen das Bein gebrochen, was mich zwang, als alter Kerl ein Jollenführer zu werden. War Neunundvierzig dabei, als die Schleswig-Holsteiner in der Bucht von Eckernförde die »Gefion« nahmen und den »Christian VIII.« in die Luft sprengten.«

»Ei, sieh da, also ein erfahrener Veteran. Aber wie kamt Ihr dazu, die Hamburger nahmen doch sonst an der Erhebung der Herzogtümer wenig Teil?«

»Bin ein geborener Friese von der Ostküste. Aber, Herr, da winkt uns einer vom Bollwerk nach. Sollen wir ihn herüberholen?«

»Gewiß! Es ist einer unserer Freunde, den wir treffen wollten. Rudert zurück.«

»Nicht nötig, Herr; 's ist ein geborener Hamburger, kenne ihn wohl; auch so ein eingefleischter Preuße, der sich dick darauf tut auf den Kommerzienrat und den Orden – aber er meint's wenigstens ehrlich mit seinem Herzen, und 's tut mir leid, daß ich mich verleiten ließ mitzuhelfen, ihm die Fenster einzuschmeißen, weil er zur Illumination aufforderte, als Ihr König das erste Mal nach Hamburg kam. Ist wenigstens ein treuer Mann, kein Hallunke, der sich vom Berliner Gelde mästet, wie die Hamburger Juden, und dabei den dicknäsigen Engländer spielt, als schämte er sich eines deutschen Namens und deutscher Firma. Ihren Prinz-Admiral habe ich hier 'mal gesehen in Hamburg, nachdem er sich mit der »Danzig« gegen die vermaledeiten Seeräuber, die Riffpiraten an der afrikanischen Küste vor fünf Jahren wacker herumgeschlagen hatte. Hörte ein Garn davon spinnen. Aber ein Marine-Minister müßte doch ein Seemann sein!«

»Ist nicht immer nötig für einen Minister, der mehr zu tun hat, als ein Schiff zu steuern oder eine Breitseite abfeuern zu lassen. Wenn er nur ein Herz für die Marine seines Landes hat, und das hat Minister von Roon, der schon einen tüchtigen Anfang mit der preußischen Marine gemacht hat.«

»Wills wünschen, denn es tut wahrhaftig not, die Dansken werden alle Tage übermütiger, und die Engländer wollen nicht mal mehr leiden, daß die deutschen Fischer bei Helgoland ihre Netze werfen, während die John Bulls bis an unsere Küsten kommen. Wünschte nur, der Russe hätte seine Marine besser in Ordnung oder die Franzmänner hätten den Bulls nicht geholfen sich zu blamieren im schwarzen Meere oder vor Bomarsund und Kronstadt. Doch da steht Ihr Freund am Bollwerk.«

Die Jolle hatte sich, während der Berliner Journalist nicht ohne Vergnügen und Interesse den Bemerkungen des alten Seemanns horchte, durch die Schiffe gewunden und sich der zweiten Treppe gegenüber dem prächtigen Invalidenhause für Seeleute genähert, wo der Hamburger sie bereits erwartete und sofort das Boot bestieg.

»Grüß Dich Gott, Weber, ich sehe, Du hast meine Karte bekommen.«

»Ich fand sie und ließ selbst die Börse im Stich, um Dich zu begrüßen. Hast Du schon gefrühstückt, oder wollen wirs droben auf dem Stintenfang tun oder in St. Pauli – es gibt vortreffliche Schinkenpastete.«

»Gourmand! Ich glaub's wohl, daß Dir unsere Berliner Küche nicht zusagt; Du hast Dich im Bürgerarrest wohl aus Wilken's Keller speisen lassen? Aber zuvor muß ich wie Du dem preußischen Patriotismus sein Recht tun und die »Amazone« besuchen.«

Die beiden Freunde hatten herzlich über die Erwähnung des Bürgerarrests gelacht, in den der hochweise Magistrat den Konsul gesteckt hatte, weil dieser ohne seine Erlaubnis einzuholen durch angeschlagene Plakate bei dem Besuch König Friedrich Wilhelm IV., dem ersten eines preußischen Monarchen nach dem großen Brande von 1842, seine Mitbürger aufgefordert hatte, zum Dank für die damals geleistete Hülfe zu illuminieren. Und das Ministerium Manteuffel hatte in der Tat diese freistädtische Impertinenz ruhig eingesteckt, statt den erprobten Anhänger Preußens in Schutz zu nehmen oder ihm wenigstens Genugtuung zu geben. Damals wagte man das nicht in Preußen, und die Demokratie hätte einen Angriff auf die Republik daraus gemacht! Ja, es ist damals viel versäumt worden für die Ehre des preußischen Königsthrons!

»Du weißt gar nicht,« sagte der Berliner Royalist, »daß Dich heute einer rudert, der damals mithalf. Dir die Fenster einzuwerfen, und dies heute herzlich bedauert, da er wahrscheinlich einsieht, daß ohne die preußischen Bayonette Schleswig-Holstein doch nicht deutsch werden wird, und die Hamburger Flotte niemals Kopenhagen bombardieren kann.«

»Ich glaube, das sehen viele jetzt ein trotz allen Geschreis und aller Klubreden. Eine deutsche Flotte kann nur der Staat stiften, trotz aller Sammlungen des Nationalvereins. Doch wir wollen später darüber reden. Vorerst gilt es, die »Amazone« zu besuchen. Was ist ihre Bestimmung?«

»Sie segelt dieser Tage nach Danzig, um sich noch in diesem Herbst zu einer längeren Übungsfahrt auszurüsten. Auch ein zweites Schiff, der »Komet«, liegt in der Elbe, und ein Däne paßt ihnen an der Mündung auf den Dienst.«

Sie hatten sich bald dem Bord des Schiffes genähert, an dessen Fallreep bereits zwei andere Boote lagen. Auf ihr Gesuch erhielten sie vom kommandierenden Offizier die Erlaubnis an Bord zu kommen, wo sie über die junge frische Schiffsmannschaft ihr wohlgefälliges Staunen an den Tag legten. Eben kam der Kommandant, Leutnant zur See Hermann mit zwei anderen Herren aus seiner Kajüte herauf.

Es waren dies ein älterer Wohl sechzig Jahre zählender Mann von feinem und vornehmem Aussehen, mit dem Johanniterkreuz geschmückt. Aus der Reihe der Kadetten trat sofort ein etwa neunzehnjähriger Jüngling in der knappen kleidsamen Uniform und nahm seine Hand.

»Ich habe manchen Kameraden hier wiedergefunden, Vater, auch schlesische Landsleute, von denen ich hier Graf Matuschka Dir vorzustellen mir erlaube, und meinen alten Freund Zirzow.«

Der Kammerherr, denn diesen Titel gab ihm der Kommandant der Korvette, begrüßte artig die Vorgestellten, die sich mit einer Anzahl der jungen Männer um ihn sammelten. »Wirst Du mich zum Hotel begleiten, Eduard, und wenn es der Herr Kommandant erlaubt, der leider bereits meine Einladung zum Diner am Lande abgelehnt hat, wenigstens einige Deiner Freunde vom Bord einladen?«

»Nein, Vater! Ich muß sogleich zurück an Bord des Komet, die Fahrt dahin ist weit, und ich will Dir hier, wenigstens auf preußischem Grund und Boden Lebewohl sagen.«

»So sei es denn – kurz und gut, wie es Soldatenart ist. Wenn Du von Stralsund, wie Du sagst, zu Land nach Danzig gehst, wirst Du Deine Freunde wohl dort erst wiederfinden.« Er trat zu dem Kommandanten der Korvette: »Ich brauche meinen Sohn wohl nicht erst Ihrer Güte zu empfehlen, denn ich hoffe, er wird stets seine Schuldigkeit tun.«

»Dafür, Herr Kammerherr, bürgt sein Name und die vortreffliche Art, wie er sein Examen gemacht und seine Beförderung erlangt hat. Lassen Sie den Stewart Rheinwein bringen, Kadett von Zastrow, damit wir den Abschied in preußischem Rebensaft feiern.«

Der Kommandant hatte bis jetzt mit dem zweiten Mann, der ihn auf Deck begleitet hatte, gesprochen. Es war dies ein großer stattlicher Seemann von etwa sieben bis achtundzwanzig Jahren, mit offenem kräftigem Gesicht und blonden Haaren. Mit diesem hatte er seither, während Vater und Sohn sich unterhielten, an der Brüstung gelehnt und gelegentlich nach einem Schooner geschaut, der in kurzer Entfernung von dem preußischen Schiff im Strom ankerte und von seiner Gaffel die Hamburger Flagge wehen ließ: die weißen Türme im rotem Felde, während der Streifen über dem Steuer, der gewöhnlich den Namen des Schiffes zeigt, nur eine breite Leinwand sehen ließ, hinter der offenbar Maler und Handwerksleute beschäftigt waren.

Der Kommandant reichte dem Seemann die Hand. »Ich danke Ihnen herzlich für die Wiederholung Ihres Besuchs, Herr Kapitän,« sagte er, »denn ich habe in Ihnen einen tüchtigen und verständigen Seemann kennen gelernt, dessen Rat auch für den Führer eines Kriegsschiffes wohl zu beherzigen ist. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich wünschte, unsere junge Marine zählte viele erfahrene Männer wie Sie, und alle unsere Schiffe wären so seetüchtig und gut gebaut wie das Ihre.«

Ein ernster Blick flog über das Deck der Korvette und verlor sich im Takelwerk und den Masten, die eben von jungen Matrosen beschlagen wurden.

»Sie haben eine junge und vielversprechende Mannschaft,« sagte der Kauffahrer-Kapitän, »und wenn ich Ihnen kein Hehl daraus mache, daß sie zwar zahlreich genug für den Dienst Ihrer Korvette ist, daß ich aber doch für Ihre Übungsfahrt im Spätherbst einige befahrene Matrosen mehr darunter wünsche, so wollen Sie darin keine Aufdringlichkeit sehen! Was nun die Flagge betrifft, die mein Schooner führt, nun, so ist es die einzige, die ein freier Friese führen darf, um ein deutscher Mann zu bleiben. Ich habe Ihnen bereits gesagt, Herr Kommandant, daß mein Schooner in Frankreich gebaut ist und ursprünglich die Trikolore führte, daß aber im Augenblick, wo ich sein Herr wurde, es auch bei mir feststand, sie nur bei der damals geheuerten Fahrt zu führen, und sobald ich wieder in deutschem Wasser sei, keine andere Flagge auf meinem Mast zu dulden, als eine deutsche. Lassen Sie uns hoffen,« – und er wies nach dem schwarzweißen Wimpel, der im Winde sich dehnte, – »daß wir beide noch einmal unter gemeinsamer Flagge fahren: unter der Deutschen

Der Offizier gab keine Antwort darauf und wandte das Gespräch wieder auf den Schooner. Es läßt sich nicht leugnen, Herr Kapitän,« sagte er, »daß die Franzosen die besten Schiffe bauen, selbst besser als die englischen und amerikanischen Werfte, und daß wir noch sehr darin zurück sind. Aber es wird auch in dieser Beziehung besser werden, und ich hoffe, daß die Zeit kommt, in der wir ganz unabhängig vom Ausland sind. Es kann einem Seemann von Ihrem Scharfblick nicht verborgen sein, daß auch der Bau der »Amazone« gar manche Mängel hat, und ich will Ihnen sogar sagen, daß ich nicht ohne Besorgnis bin in bezug auf ihre Seetüchtigkeit bei stürmischem Wetter. Ich kannte sie früher nicht so genau, bevor ich kommandiert wurde, sie nach Danzig zu führen.«

»Sie soll ein tüchtiges Schiff sein, nur bedarf sie starken Ballastes bei dem schmalen Bau und dem hohen Segelwerk. Einem Taifun in den chinesischen Gewässern würde sie so wenig widerstehen wie der »Frauenlob«. Schade darum! Doch auch das deutsche Meer bietet manche Gefahr, darum beeilen Sie Ihre Ausfahrt vor den Novemberstürmen. Es ist eine schlechte Fahrt von dem Sunde her durch das deutsche Meer im Spätherbst, – besonders …«

Der Offizier sah ihm aufmerksam ins Gesicht. »Sprechen Sie offen, Herr, wie ein Seemann zum andern!«

»Nun, der Anfang dieser sechziger Jahre ist eine gefährliche Zeit für alle Schiffe, welche die Nordsee oder Ostsee zu kreuzen haben.«

»Warum?«

»Wenn Sie ein geborener Friese wären, wie ich, Kommandant, würden Sie diese Frage kaum tun. Sie wissen, daß alles seinen Kreislauf hat, auch die Sturmfluten an dieser Küste und die starken Nordweststürme.«

»Man sagt, daß sie sich alle 25 bis 30 Jahre wiederholen.«

»So ist es, ich kenne erprobte Leute, die eine solche Wiederholung der großen Springflut von 1835 in diesem oder dem nächsten Jahre erwarten.«

»Doch nur während der Frühjahrsmonate. Ich werde jedenfalls darauf aufmerksam machen, das ist meine Pflicht, denn es ist fast die ganze Zukunft der preußischen Marine, die dieses Schiff trägt: das heranwachsende Geschlecht eines tüchtigen Offizierkorps. Sehen Sie diese Burschen an, es sind viele darunter aus den vornehmsten Familien Preußens. Die Begeisterung für die neu entstehende Marine des Vaterlandes hat ihr Knaben und Jünglinge, meist aus den besseren Ständen und aus allen Provinzen des Landes, auch aus den binnenländischen zugeführt, die auf diesem Schiff ihre Lehrjahre machen und praktisch den Dienst lernen sollen, nicht blos hinter dem Reißbrett und in der Marineschule. Darum werden selbst mit weiser Absicht die Stellen der Schiffsjungen wie der Matrosen nur von solchen Aspiranten der Marine ausgefüllt, denen eine andere Zukunft bevorsteht, als blos vor dem Mast, und bei dem jugendlichen Eifer ist es eine Lust, eine solche Mannschaft zu kommandieren.«

»Ich begreife das, Herr Kommandant, und wünsche Ihrer Flagge alles Glück. Das Leben des Seemanns ist stets in Gottes Hand – Sie wenigstens sind berechtigt, es für Ihr Vaterland einzusetzen, während wir – kein solches kennen sollen und nur den Unterdrückern desselben dienen können.«

»Auch Ihre Zeit wird kommen,« sagte der See-Offizier, »und daß die preußische Marine dazu helfen mag, Sie vom Danebrog zu befreien, dafür muß sie eben jetzt lernen und wachsen in Kraft und Dienst, grade wie der preußische Soldat einer neuen Zukunft entgegen geht unter seinem Herrn und König, nicht unter läppischem Parlamentskommando und Nationalschwindel, wie damals die sogenannte deutsche Marine von Frankfurt a. M. Wie es scheint, Herr Kapitän, wollen Sie Ihrem Schooner auch einen neuen Namen geben? – Vielleicht den der Dame, die ich an Ihrem Bord bemerkte, wahrscheinlich Ihrer Frau Gemahlin?«

»Um Verzeihung! Die Dame, eine Verwandte, hatte nur Passage aus England hierher genommen und wünschte an Bord zu bleiben, bis sie Überfahrt nach den Inseln findet – zunächst nach Husum. Aber der Herr Kammerherr verläßt seinen Sohn und scheint Sie ansprechen zu wollen. Um Vergebung – wie hieß er doch?«

»Von Zastrow – ein Bruder oder Vetter des Generals, derselbe, der im Jahre Neunundvierzig, als ein demokratischer Verein in der Lausitz ihm die schwarz-rot-goldene Fahne von den Dresdner Barrikaden in Verwahrung geben wollte, ihm erwiderte: nehmen wolle er sie wohl, aber wiederbekommen könne man nur eine preußische! Und gleicher Gesinnung scheint sein Sohn dort, dessen Mutter aus einem griechischen Fürstengeschlecht stammte.« Er wandte sich zu dem nahenden Kammerherrn, und dies war der Moment, den wir vorhin erwähnten.

Dem Befehl wurde rasch Folge geleistet und der deutsche Wein gebracht, auf die Bitte des Kammerherrn für die andere, in der Arbeit an Bord begriffene Mannschaft auch ein Tönnchen Bier aufgelegt, dessen Spund bald umlagert war.

»Sie müssen ein Glas mit uns trinken,« bat der Kommandant den Kauffahrer-Kapitän, »und wenn Sie auch kein Preuße sind, wie der Herr dort mit seiner Dame: auf das Wohl unserer Marine und des Königs, unseres Herrn, stoßen wir alle gewiß mit vollem Herzen an. Daß Jeder seine Pflicht tue bis zum Tode für deutsche Ehre!«

Die Gläser klangen, auch der Berliner Journalist mit seinem Hamburger Freunde hatten angestoßen, und nur ein Mißton klang in das begeisterte Hurrah der ganzen Gesellschaft, als das Glas, das der junge Kadett an das seines Vaters stieß, mit schrillem Laut zersprang.

»Was wäre es auch, einer unter den vielen,« sagte rasch der Kadett, »halten wir doch alle sicher die preußische Flagge hoch, im Leben wie im Sterben. Und somit, Kameraden, auf baldiges Wiedertreffen an diesem Bord, und Du, Vater, auf ein glückliches Wiedersehen, wenn wir zurückkehren vom Tajostrande nach dem Lande der schönen Hohenzollern. Steward, ein anderes Glas, daß ich auf ihr Angedenken trinke, und daß sie sich dort freuen mögen, preußische Landeskinder wiederzusehen!«

Der junge Mann war schnell in das Boot hinabgesprungen, die Kameraden standen in den Hängemattengittern und auf den Raaen, als der Kommandant, der den Kammerherrn bis zum Fallreep begleitete, ihnen Erlaubnis winkte, und ein volles Hurrah begleitete die Scheidenden, denen auch der Journalist bald zum Ufer mit Frau und Freund folgte, nachdem ihm die jungen Leute noch alle Einrichtungen der Korvette auf das Zuvorkommendste gezeigt hatten. War es doch zum ersten Mal, daß er ein preußisches Kriegsschiff betreten, nachdem er oft genug die fremder Länder gesehen.

Der alte Jollenführer wartete auf sie. »Viel junges Blut,« sagte er, »mögen sie gute Fahrt haben! Sind gutherzige Leute darunter; der Doktor, Engelbrecht heißt er, hat neulich meine Alte besucht und ihr umsonst Medizin gebracht, als ich ihm sagte, daß sie arg am Rheumatismus leidet. Bei Gott! Das hätte schwerlich ein Danske oder Engländer getan!«

»Und wieviel Mannschaft ist an Bord, wißt Ihr es, Alter? Ich vergaß, zu fragen.«

»Hörte neulich davon reden. Außer dem Kommandanten und dem ersten Leutnant, der ein Baron auf dem Lande sein soll und dem Doktor und Bootsmann, der wie der große Missionär in China heißt, 22 Midshipmen, 44 Matrosen, und ebenso viele Schiffsjungen, wenn man solche Burschen Schiffsjungen nennen mag, da Grafen und Edelleute darunter sind. Hab mein Lebtag keine Schiffsmannschaft von solchen Grünschnäbeln gesehen!«

Der Journalist nickte lachend dem Freunde zu. »Und da verbreiten die Fortschrittler und Demokraten, unsere Junker oder die Konservativen überhaupt mühten sich, der Entwickelung unserer Marine Hindernisse in den Weg zu legen. Wahrhaftig, wenn es das Abgeordnetenhaus nicht mehr täte, der Armee gegenüber, an Opferwilligkeit für die preußische Marine fehlt es wahrhaftig nicht, auch ohne die lächerlichen Flottensammlungen des sogenannten Nationalvereins und seines Mäcens in Koburg.«

Er hatte den alten Jollenführer bezahlt, und sie stiegen langsam die breite Treppe hinauf, die in bequemen Absätzen zu dem Plateau des Pavillons hinaufführte.

Sie fanden übrigens trotz der Börsenzeit das Plateau von Fremden und Gästen nicht leer, und der Hamburger machte den Freund auf die Anwesenheit der beiden Männer aufmerksam, die sie noch vor kurzer Zeit an Bord der Korvette getroffen hatten, des alten Edelmanns aus dem preußischen Binnenland und des friesischen Kapitäns. Nur saßen beide nicht zusammen, der Kammerherr vielmehr allein an einer Stelle, wo er das – auf Hamburger nicht dänischem Gebiet, ankernde und seine letzten Vorbereitungen zur Abfahrt treffende Kanonenboot sehen konnte, an dessen Bord sein jetzt noch dort stationierter Sohn bereits zurückgekehrt war. Es schien, als könne sich der alte Edelmann nicht von dem Blick nach seinem Jüngsten trennen, und als bald darauf vom Bord des »Komet« der Salutschuß donnerte, der das Signal der Abfahrt gab, und ein Salut vom Bord des preußischen Kriegsschiffs ihm antwortete, wandte der alte Herr, sichtbar fast mit Gewalt, sich von der langgezogenen Rauchsäule des abdampfenden Bootes, und als er sich umwendete der Stadt zu, konnte der Journalist bemerken, daß er sich eine Träne aus den Augen wischte.

Der andere, der friesische Kapitän, dessen Schiff eben den neuen Anstrich erhielt, hatte einen entfernteren Platz eingenommen und stand, den Rücken gegen den Strom gekehrt, an der eisernen Barriere des Plateaus und an einer Stelle, von der er den entgegengesetzten Aufgang von Sankt Pauli her wie erwartend übersehen konnte, nur zuweilen einen Blick nach dem Strom und seinem Schiff zurückwerfend oder einen Schluck von seinem Glase Sherry trinkend. Neben dem Tisch, worauf dieses stand, hatte der dienstbeflissene Kellner auch das von dem Kommerzienrat bestellte Gabelfrühstück serviert, und die drei nahmen hier Platz mit einem höflichen Gruß an den gegen die Barriere Lehnenden, weil sie von hier aus die Aussicht nach allen Seiten genossen.

»Wenn Du denn so schwärmst für eine deutsche Flotte,« sagte etwas spöttisch der Berliner Journalist, »so sage mir, weshalb Du vorhin so wegwerfend von den Bestrebungen und den Sammlungen des Koburger Nationalvereins für Wiederbegründung einer solchen Flotte sprachst, wie sie Achtundvierzig schon versucht wurde!«

»Eben weil jener Versuch und sein klägliches Ende uns eine genügende Lehre gegeben hat. Es fehlt unseren deutschen Küsten wahrlich nicht an einer tüchtigen Seemannschaft, die an Kraft und Wert sich jeder anderen gleich stellen kann. Schon Friesland dies- und jenseits der Elbe, von Romoë bis Borkum herab, könnte ein genügendes Material bieten, selbst, wenn wir nicht einmal die Ostküste der Herzogtümer, die Mecklenburgs, Pommern bis zum kurischen Haff hinauf zählen wollen, alle Strandbewohner geborene Seeleute, aber dann müßte ein einziger großer und mächtiger Staat die Sache in die Hand nehmen, nicht abhängig und gehemmt von dem intriguierenden Bundestag in Frankfurt oder dem unter der Firma des deutschen Patriotismus nur eigenen Groll über alte Zwistigkeiten, Parlamentsehren, demokratische Gelüste und konstitutionelle Karriere sich breitmachendem, revolutionärem Schwindel. Nur eine mächtige Regierung – ich sage es offen, Preußen oder Österreich, die sich an die Spitze Deutschlands schwingen und gewissermaßen souverän über Deutschlands Ehre und Mittel sind, kann eine achtunggebietende deutsche Flotte schaffen. Du weißt, daß meine Sympathien Preußen gehören, nicht Österreich, gerade wie die Deinen. Lasse König Wilhelm erst mit den preußischen Bajonetten den Bundestag fortfegen und Einigkeit schaffen, so weit die die deutsche Zunge reicht, und wir werden auch eine deutsche Flotte haben, die nicht von dem Votum des Hannoveraners und Sachsens oder den Privat-Sammlungen der Herren Benningsen, Metz und Streit abhängt. Glaube mir, es ist alles nur Haß und Neid der Souveräne und ihrer Premiers, verbitterter Groll der Parlamente, darunter oft der besten und tüchtigsten Männer, gegen die Hohenzollern und die preußische Oberherrschaft! – Hat nicht das Anerbieten Deiner Regierung bei dem von Hamburg und Bremen beantragten Küstenschutz der Nordsee durch Dampfkanonenböte, allein die Hälfte herzustellen, in dem Protest Hannovers gezeigt, um welche Eifersucht es sich handelt! Ich sage Dir, Doktor, all' diese deutsche Einigkeit ist Schwindel und ewiger Zank, ehe sie nicht durch die Bajonette begründet ist!«

Der Journalist lächelte. »Du bist ja preußischer, als ein König von Preußen selbst. Sieh auf unsere Werften, sie sind bereits voll Tätigkeit! Sieh auf unsere Armee, unter der Hand des Königs wächst ihre Macht und Kraft! Sieh auf unsere Erklärungen am Bundestag, treten sie nicht offen und entschieden für deutsche Rechte auf, in Hessen, in den Herzogtümern?«

»Und lassen sich dabei auf der Nase herumspielen – ja, das ist auch so ein Schwindel der mit den Herzogtümern, der von dem Koburger und seinen Freunden wieder aufgetischt wird. Zu einem Kriege wirds freilich kommen, denn die Dänen treibens in der Tat zu arg drüben in Schleswig. Aber sage selbst, wer soll daraus Nutzen ziehen, wer soll der albingische Herzog werden, wenn König Friedrich in Kopenhagen durch irgend einen Zufall einmal die Augen zutut?«

»Nach dem Londoner Protokoll der Glücksburger!«

»Also ein dänischer König von Englands Gnaden! Haben nicht die Gottorper, der Oldenburger, der Augustenburger, selbst die Hohenzollern mehr Anrecht an Kiel als er!«

»Der rechtmäßige Herzog von Schleswig-Holstein,« sagte der friesische Kapitän, der unwillkürlich dem Gespräch mit Interesse zugehört hatte und sich nicht enthalten konnte, sich einzumischen, »ist allein der Herzog von Augustenburg!«

»Dann mag er auch den Herzogshut nehmen, den er verkauft hat, und ihn bewachen, aber nicht mit preußischem oder anderem deutschen Blut. Ich weiß, daß der Nationalverein allein für eine solche Lösung agitiert, um ein souveränes Ländchen mehr im großen deutschen Flickwerk, und daß all die andern helfen; aber ich sage Ihnen, Herr Kapitän – und Sie scheinen ja ein Deutscher aus den Herzogtümern zu sein« – der Friese neigte zustimmend den Kopf, – »nicht unter dem Hermelinhut eines Augustenburgers werden die Herzogtümer deutsch und frei, sondern nur unter dem Helm eines Königs von Preußen!«

»Selbst auf diese Bedingung hin würde ich es vorziehen,« sprach ernst der Kapitän. »König Wilhelm ist ein Hohenzoller, das heißt ein ganzer Preuße, aber auch ein deutscher Mann. Gott gebe ihm die Entschlossenheit, und wir Friesen wollen seinem Schwerte folgen, wenn er uns nur von dem dänischen Übermut befreit. Wie Sie vorhin sagten, Herr, wenn wir nur einen Fürsten gewinnen, der ein Deutscher ist, nicht von Napoleons oder Palmerstons Gnaden! Doch verzeihen Sie, daß ich unsere Unterhaltung abbrechen muß, da dort Personen kommen, die ich erwartete.«

Während der Kapitän sich dem Aufgang von dem Wall des Millern-Tors her, der Richtung von St. Pauli und Altona zuwandte, setzten die beiden Männer am Tisch das Gespräch fort. Der Journalist reichte dem Freunde die Hand.

»Du sprachst mir aus der Seele, dem stolzen Friesen gegenüber,« sagte er, »und verdientest, ein Preuße zu sein und ein Royalist, statt der Bürger einer kleinen Republik! Ich bin gewiß ein Preuße und Royalist, und meinem König gehört jede Faser meines Lebens und meiner Seele, und dennoch, Freund, es liegt etwas in dem Fanatismus für die sogenannten liberalen Ideen und für das Deutschtum.«

»Als geborener Republikaner kann ich Dirs sagen: Dein Liberalismus, den sie jetzt den Fortschritt nennen, ist eine abschüssige Bahn, und wo ist Halt in Religion, Sitte und Recht in ihm?«

Der Journalist schüttelte den Kopf. »Ich glaube gern, daß in Republiken der größte Aristokratismus und Egoismus herrscht. Aber warum, frage ich Dich, ist denn jeder Konservative, jeder Royalist förmlich vervehmt, und jeder, und sei er der größte Lump, ein Märtyrer, sobald er nur für den Liberalismus auftritt! Es ist weit leichter, für den König zu sterben, als für ihn zu leben, angefeindet und verdächtigt von allen zu Gunsten einer, allerdings oft großen Idee, wie das Deutschtum es ist. Glaube mir, ich denke nicht an die französische Redensart: Travailler pour le roi de Prusse! Aber wo bleibt uns alten Konservativen der innere Halt, wenn einst eine Zeit kommt, wo die, für die wir gekämpft mit Schwert oder Feder, gleichviel, den Ideen unserer jetzigen Gegner sich angeschlossen haben, ja an ihrer Spitze gehen, und die Männer, die verfolgt und bekämpft worden sind, im Rate der Fürsten sitzen und die Ehren und Pfeiler des Staates werden. Mir ist manchmal, als könnten auch wir eine solche Zeit erleben – die Geschichte und die Anschauungen der Fürsten wechseln oft wunderbar! Was ist das Wahre, was ist das Richtige? Was unsere wahre Aufgabe, unsere Pflicht?« Der Hamburger hatte die Augen auf den Boden gesenkt, auch ihm fehlte die Antwort auf die verhängnisvolle Frage, die wenige Jahre nachher noch schwerer an die treuen Kämpfer für das Königtum treten sollte.

Der Friese, der ihre Gesellschaft verlassen hatte, war zwei Herbeikommenden entgegen gegangen, einer Frau und einem fremdländisch aussehenden Matrosen, dessen Äußeres selbst an diesem Ort des Zusammenflusses aller seefahrenden Nationen auffiel. Er begrüßte die Dame, die sehr schlicht, ganz dunkel gekleidet war, obgleich selbst die fast zu einfache Tracht eine gewisse Eleganz ihres Wuchses und ihrer Haltung nicht ganz verbergen konnte. Ein einfacher Hut, wie sie die Frauen und Mädchen der friesischen Inseln zu tragen pflegen, und überdies mit einem Schleier versehen, verhüllte ihr Gesicht.

Er hatte ihr den Arm geboten und führte sie zu einer Stelle der Terrasse, wo sie entfernt von allem Verkehr und unbelauscht waren, während ein Wink den Matrosen an einen der unbesetzten Tische wies.

»Wir können hier so unbemerkt sprechen, wie an Bord meines Schiffes, Madame, das Sie ja doch noch heute verlassen wollen.«

»Der Ewer geht nachmittag ab mit Eintritt der Ebbe. Dann sind wir noch diesen abend in Cuxhaven und können morgen mit gutem Winde vielleicht Husum erreichen.«

»So ziehen Sie noch immer den einsamen Weg über das Wasser vor, statt mit der Eisenbahn zu gehn oder wenigstens mit dem Dampfer?«

»Ich ziehe ihn vor!«

Er neigte zustimmend das Haupt: »Und Sie bestehen darauf, zu der alten schlichten Frau, meiner Mutter, nach dem öden Amrum zu gehen? Und so allein?«

»Können Sie mich begleiten?«

»Nein, Sie wissen warum! Ich bin verbannt aus den Grenzen des dänischen Staates und werde selbst sein deutsches Gebiet nicht eher betreten, als bis die Zeit vorüber ist, für die Sie mich zur dänischen Knechtschaft verdammten und aus mir einen unfreien Mann machten!«

»Ich?«

»Ja so, ich vergaß es! Also sagen wir, Ihr zweites Ich, das mich so seltsam von dem Tode an der Raae des Lymfjord rettete, den ich dort wiederfinden könnte und dem ich nicht eher wieder begegnen darf, denn als berechtigter Feind. Aber haben Sie auch bedacht, was es heißt, einsam zu sein auf einer öden friesischen Insel, kaum besser als eine unserer bloßen Halligen, zur Gesellschaft nur eine alte einfache Frau und wenige ungebildete Strandbewohner, allein in allen Schrecken eines nordischen Winters, unter Eis und Stürmen, abgeschieden von der Gesellschaft der Gebildeten, ja selbst von jedem Verkehr mit dem Festland und somit der Gelegenheit, zu ihm zurückzukehren, wenn Sie wanken sollten in Ihrem Entschluß, selbst mondenlang!«

»Ich kenne mich, ich werde keine Schwäche fühlen! Ich habe ein Leben zu büßen, und da ich nicht, wie die Frauen der katholischen Kirche es in der Einsamkeit eines Klosters tun kann, büße ich es in der Einsamkeit einer friesischen Insel ab.«

»Sie – Edda!«

» Adda! – Adda büßt ihre Vergangenheit ab – was wollen Sie anders? – Es ist Ihre Mutter, Herr Kapitän, zu der ich gehe, und deren Einsamkeit ich teilen werde, wenn Sie eben eine Büßerin nicht zurückweist.«

»Sie zurückweisen? Dafür bürgt Ihnen dieser Brief.«

»So geben Sie ihn mir – und Sie haben Ihr Wort gehalten – keine Silbe von – Ihrem falschen Wahn?«

»Es ist Adda Torne, die ich ihr sende, die Norwegerin, eine entfernte Verwandte, und also lautet auch die Legitimation des hiesigen dänischen Konsuls, die Sie jeder Nachfrage und Belästigung enthebt; denn auch in dänischen Kanzleien beseitigt Gold alle unnütze Neugier. Sie haben Ihre Vorbereitungen und Einkäufe gemacht?«

»Drüben in Altona, damit ich nichts mit den Zollwächtern zu tun habe auf der Fahrt nach der Insel, Kleider und alle Bedürfnisse, wie sie sich für eine Bewohnerin der Halligen schicken; der Schiffsagent, den Sie mir anempfohlen und der auch die Überfahrt auf dem Ewer vermittelte, ist ein ebenso umsichtiger wie tätiger Mann. Suky hat bereits das wenige, was ich kaufte, zu ihm geschafft. Aber, Kapitän Claus Hansen, es ist eine Freundin, die von Ihnen scheidet, und sei sie es auch nur geworden auf unserer Fahrt nach der Havannah, auf der Sie mir so freundlich und umsichtig jede Belästigung durch diese Ähnlichkeit mit – mit einer vornehmen Dame ersparten! Mit dem Recht dieser Freundschaft und des Dankes, den ich Ihnen schulde, erlauben Sie mir, Sie zu fragen: wohin gehen Sie selbst, was werden Sie tun?«

»Kapitän Lautrec erwartet mit Recht, daß ich das Schiff nutzbar mache. Ich habe bereits Fracht nach Memel an der russischen Grenze angenommen; wie die Frachtbriefe lauten, Maschinenteile von Hull, und bereits verpackt, aber ich glaube, es sind Waffensendungen nach Polen an die Mündung des Riemen. Ich habe bereits Kapitän Lautrec benachrichtigt, daß seine Briefe mich in Memel finden, und ich denke dort oder in einem andern Hafen der Ostsee zu überwintern und zum Frühjahr Fracht zu suchen nach dem Mittelmeer, bis ich das Versprechen an Madame Santarez halten kann, sie aus der Havannah zurückzuholen, wenn ihre Geschäfte dort sie so lange zurückhalten.«

»Und es wird niemand erfahren, wo Adda Torne geblieben ist?«

»Niemand, den Sie nicht selbst bezeichnen! Die seltenen Briefe an die alte Frau, meine Mutter, werden Sie stets wissen lassen, wo eine Nachricht mich finden kann. Ich würde noch eine Frage an Sie zu richten wagen, wenn ich mich nicht bei anderen Gelegenheiten bereits überzeugt hätte, daß – Adda Torne reichlich mit Geldmitteln versehen ist.«

»Sie ist es! Und so, Kapitän Hansen, erlauben Sie mir, Ihnen hier, im Angesicht Ihres Schiffes, das uns beide so lange getragen, Lebewohl zu sagen und mit Suky zum letzten Mal an seinen Bord zurückzukehren, den geringen Rest meiner Sachen zu holen. Seien Sie überzeugt, daß ich Ihrer Mutter eine treue Tochter sein werde, auch wenn es die falsche ist – und – und – …«

Sie hielt ihm die Hand entgegen. Er faßte diese und hielt sie fest. »Soll dies der Abschied für das Leben sein? – Edda, Adda, ich soll Sie niemals wiedersehen, auch wenn ich den Boden meiner Heimat wieder betreten darf, als freier, deutscher Mann?«

»Gott hat unsere Wege geschieden,« sagte sie, nach kurzem Kampf sich abwendend, aber ihre Hand blieb in der seinen. »Tue jeder seine Pflicht und – mögen Sie, ob Addas – ob Eddas nicht ganz vergessen im Kampf des Lebens!«

»Sie vergessen? – Niemals – sehen Sie dahin!«

Er zog sie an das Gitter der Brüstung und deutete hinab nach dem Strom, wo sein Schiff sich vor Anker in dem letzten Heben der bis hierher dringenden Flut schaukelte. »Sehen Sie dahin!«

Das volle warme Sonnenlicht traf den Spiegel des Schiffs, dessen Leinwandgerüst von den Werkleuten eben abgenommen worden war. Trotz der Entfernung konnte man deutlich die großen goldenen Buchstaben der Schrift lesen, die in breitem Streif sich über die Fenster der Spiegelkajüte zog: die schöne Dichtung, die vor tausend Jahren schon die Heldensagen des Nordens gefeiert und die der rheinische Sänger Simrock den deutschen Landsleuten übertragen hat, die

» Edda

Als der friesische Kapitän sich wieder zu ihr wandte, in ihren Augen zu lesen, daß sie ihn verstanden, war der Platz an dem Gitter leer.


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