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Judith und Holofernes.

Das Schloß und der wildreiche Forst von Compiègne sind von jeher für die Beherrscher Frankreichs eine Lieblingsstätte gewesen. Auch die beiden Kaiser der Napoleonischen Dynastie wandten dieser Krondomäne ihre Gunst zu. Der Oheim ließ den Schloßbau beträchtlich erweitern und verlebte hier seine Flitterwochen mit Marie Luise, der Österreicherin, welcher aus Gründen einer kalt rechnenden Staatsraison die Kreolin Josephine hatte Platz machen müssen. Der Neffe – der »kleine Neffe,« um mit Viktor Hugo zu reden – verlegte allherbstlich sein Hoflager nach Compiègne und arrangierte hier mit seiner üppigen Gemahlin, der goldhaarigen Zwittertochter Spaniens und Irlands, die brillantesten Feste, denen erst die fallenden Blätter und die feuchten Oktobernebel ein Ende machten, und zu denen sich aus ganz Europa hohe und allerhöchste Gäste einstellten. Den blutigen Gerichtstag von Sedan deckte ja damals noch gnädig die Zukunft mit ihrem grauen Schleier und für das blöde Auge der Masse war zu jener Zeit noch alles eitel Glanz und Glorie …

Die kaiserliche Villeggiatur von Compiègne trug einen ganz besonderen Charakter. Hier, procul negotiis, machte der Napoleonide gewissermaßen »offenes Haus«. Das Exklusive der übrigen kaiserlichen Residenzen trat hier in den Hintergrund und das Schloß ward mehr oder minder zu einem Hotel, worin Stammbaum und Hoffähigkeit der Gäste nicht allzu streng geprüft wurden. Mit einem Wort: Compiègne war der Tummelplatz der »Serien«.

Die Gäste des Kaiserpaares, denen die Einladung durch das Oberhofmarschallamt zuging, waren nämlich in sogenannte »Serien« eingeteilt, die wie eine Art von Garnison das Schloß bezogen und sich in geregelter Reihenfolge ablösten. Jede Serie umfaßte etwa hundert Personen beiderlei Geschlechtes und bildete in sich ein bunt zusammengewürfeltes Gemisch der höhern Gesellschaftsklassen. Diese Mischung war übrigens eine absichtliche. Die Zeitdauer einer Serie konnte nicht immer die gleiche sein, sie wechselte von drei Tagen bis zu längstens einer Woche. Eine Serie, wie soeben bemerkt, umschloß die verschiedensten Elemente, aber es war möglichst darauf Bedacht genommen, daß die Kollektivgesellschaft so ziemlich auf dem gleichen pekuniären Niveau stand. Und so repräsentierte jede Einzelserie ein, so zu sagen, tarifmäßig normiertes Kapital. Der Leser wird sogleich den Zweck dieser Einrichtung kennen lernen …

Eine Einladung nach Compiègne galt als ein Sonnenstrahl allerhöchster Huld und Gnade; für den Ehrgeiz und Hochmut der menschlichen Natur lag um so mehr ein süßer Kitzel darin, als die Zeitungen die Namensliste in Fettdruck veröffentlichten und somit in den fernsten Winkel Frankreichs die sensationelle Kunde trugen, daß » Monsieur avec famille« der hohen Ehre gewürdigt worden sei, mit den Majestäten aus der gleichen Schüssel zu speisen. Und dennoch war gar manchmal die Gastfreundschaft zu Compiègne ein recht tückisches Danaergeschenk, und hinter dem flüchtigen Rausch der Eitelkeit hinkte ein desto trübseligerer Katzenjammer drein!!

Die Kaiserin war die eigentliche Schöpferin und Dirigentin dieser Serien, und der Gedanke, der sie dabei leitete, war, durch einen verblümten Zwangsprozeß den Geldbeutel ihrer Gäste in Kontribution zu setzen. In erster Linie hatte es die hohe Wirtin auf den weiblichen Teil dieses Massenbesuches abgesehen. Es war de rigueur, zu Compiègne mindestens viermal im Tage die Toilette und das dazu gehörige Geschmeide zu wechseln; kein Kleid, kein Hut, kein Schal, kein Schmuckgegenstand irgendwelcher Art durfte von den Damen einer Serie zweimal getragen werden, denn die Kaiserin ging mit dem Beispiel voran, und das war so gut wie ein Befehl. Für solche Damen, die sich eines ganz besonderen Aufwandes befleißigten, hatte Ihre Majestät allerlei Aufmerksamkeiten und Auszeichnungen: die natürliche Folge war, daß diese Gnadenprämie einen förmlichen Konkurrenzkampf hervorrief und den Luxus bis zur Tollheit steigerte. Auf diese Weise gelang es der Kaiserin, binnen wenigen Wochen Millionen und Millionen von Francs ins Rollen zu bringen, die wie in einem Kanal nach Paris flossen und – was des Pudels Kern war! – den Handelsstand und das Kunstgewerbe der Hauptstadt zu Dank gegen die Napoleonische Dynastie verpflichten sollten.

Die Rückseite der Medaille ließ allerdings den spekulativen Geniestreich der Landesmutter in einem weniger rosigen Lichte erscheinen. Die allerhöchste Einladung nach Compiègne abschlagen, wäre nicht nur bei Hofe als ein Zeichen gröblicher Mißachtung, sondern auch im Publikum als ein Symptom mangelnder Moneten gedeutet worden. Also eine Krediterschütterung nach zwei Seiten hin! Solchen Konsequenzen ließ sich nicht so leicht Trotz bieten und so gestaltete sich unter Umständen die Fahrt nach Compiègne zu einem Martyrium byzantinischer Servilität und falschen Stolzes. Mit schnöden, erdrückenden Wucherzinsen mußte das Blutgeld beschafft werden, das in die Hände der Pariser Juweliere und Modehändler floß und der flüchtige Saus und Braus einer »Serie« riß manchen Gatten und Vater in ein finanzielles Derangement, an dem er dann jahrelang zu laborieren hatte. Man erinnert sich zu Compiègne heute noch eines hochtragischen Ereignisses. Der Oberst eines Provinzialregiments war mit Frau und zwei Töchtern in den Schraubstock einer Serie gezwängt worden. Der Mann lebte recht und schlecht von seinem Sold und der Rente eines sehr bescheidenen Vermögens, mit dem er heut oder morgen seine heiratsfähigen Töchter auszusteuern gedachte. Die Einladung traf den schlichten Haudegen wie ein Donnerschlag. Seine drei Damen dagegen waren voller Entzücken, natürlich wollten sie vor den Augen der Kaiserin nicht die letzten sein, Kisten und Kasten voll Flitter und Tand wurden von Paris verschrieben und so ging's nach Compiègne. Der Oberst aber wußte, daß seine Töchter so ziemlich ihr ganzes Heiratsgut in diesem hohlen Schnickschnack verpulvert hatten, dieser Gedanke verdrehte dem einfachen alten Soldaten den Kopf, und eine Stunde vor der Heimreise in seine Garnison jagte er sich im Park von Compiègne eine Kugel durchs Gehirn … Auch in diesem Tropfen spiegelt sich die Napoleonische Sündflut, und der halb verschleierte Cancan im Muschelsaal von Compiègne – an dessen Wänden keiner das phosphoreszierende » Mene tekel« zu deuten wußte – war schon damals ein wildstürmischer Totentanz.

* * *

Der Theatersaal im Schloß von Compiègne strahlte im flammenden Glanz seiner vergoldeten Gaslüstres. Die von Paris hierher beschiedene Truppe des Théâtre Lyrique sollte die Operette eines jungen Komponisten, den sein originelles Werk auf einen Schlag in Reih' und Glied der Tagesgrößen à la mode gestellt hatte, zur Aufführung bringen. Die Serie » du jour« – so könnte man sagen – die Hofchargen zweiten und dritten Ranges, die Offiziere der Garnison und die sonstige Elite der guten Stadt Compiègne und der umliegenden Landsitze füllten die Logen und das Parkett des kleinen, niedlichen Theaters und harrten unter Geplauder und gegenseitigen Toilettenstudien der Dinge, die da kommen sollten.

Die Musiker saßen bereits spielfertig auf ihren Plätzen, der Dirigent lehnte an seinem Pulte und erteilte dahin und dorthin noch eine kurze Instruktion und hinter dem Loch im Vorhang lag das Auge des Inspizienten auf seinem Lauerposten. Alles war bereit – das Erscheinen der Majestäten sollte, sozusagen, das letzte Halttau lösen. Die kaiserliche Loge nahm im Hintergrunde die volle Breite des Theaters ein und beherrschte dergestalt den ganzen Saal und die Bühne. Noch zeigte sich niemand in der Loge, über welcher ein kolossaler vergoldeter Adler seine Schwingen ausbreitete. Weiß, Gold und Dunkelrot waren die Farben, die in dekorativer Harmonie sich zu einem pompösen Effekte verbündeten.

Im Mittelpunkt der Loge und der Brüstung zunächst standen, thronartig stilisiert und mit goldenen Adlern kapitoniert, die Sessel des Kaisers und der Kaiserin; ein weiter Halbkreis von schmuckloseren Fauteuils gruppierte sich in gebührendem Abstand um die beiden Sitze des Herrscherpaares. In der Tiefe der Loge drapierte sich der schwere Faltenwurf einer offenen Portière zu einem Rahmen, der in einen reich ausgestatteten Salon blicken ließ. Drei oder vier Lakaien in der dunkelgrünen, goldgallonierten Livree des kaiserlichen Hauses – baumstarke Männer, wie alle Leibdiener des Napoleoniden und fast ausnahmslos vormalige Unteroffiziere der Cent-Gardes Die aus hundert Riesen formierte Palastschwadron des Kaisers. – schlenderten plaudernd, die Hände auf den Rücken gelegt, in dem Vorsaal auf und nieder. Noch vier weitere Figuren ließen sich zeitweise in dem Saal erblicken: diese aber ohne Livree, bürgerlich in Schwarz gekleidet, kalten Ernst in den Gesichtszügen und etwas katzenartig Lauerndes in jeder Bewegung. Agenten der Geheimpolizei waren es, die dieses unheimliche Quartett bildeten und die Aufgabe hatten, den Zutritt zu der kaiserlichen Loge mit dem Mißtrauen eines Argus zu überwachen …

Mit einemmal sah man die Lakaien auseinanderstieben und in militärisch stramme Positur schnellen – wie Gespensterschatten huschten die Agenten in den Hintergrund – das Geräusch im ganzen Theater erstarb wie auf ein Kommando, und im selben Moment erschien in der kaiserlichen Loge in goldstarrender Uniform ein diensttuender Kammerherr, der mit feierlicher Grandezza und lauter Stimme das eine Wort intonierte: » L'Empereur!«

Wie von einem elektrischen Schlag durchzuckt, fuhr das ganze Auditorium von seinen Sitzen auf und machte Front gegen die Loge, die soeben, mit seiner Gemahlin am Arm, der Kaiser betrat. Hinterdrein drängte, schimmernd und flimmernd, ein buntes Durcheinander von Epauletten, Brillanten und Ordensbändern: Minister, Marschälle, Gesandte, Senatoren, Würdenträger aller Art und die Palast- und Ehrendamen Ihrer Majestät. Flüchtig, scheinbar zerstreut dankte der Kaiser – mit dem ihr eigenen graziösen Lächeln hatte die Kaiserin eine desto freundlichere Erwiderung für die huldigende Verbeugung ihrer Gäste. Das souveräne Paar nahm Platz; die Suite – dann das übrige Publikum folgte dem Beispiel. Wie fast immer bei derartigen Gelegenheiten, trug auch an diesem Abend der Kaiser bürgerliche Kleidung: einfachen schwarzen Frack mit dem Stern der Ehrenlegion, weiße Weste und perlgraues Beinkleid. Die Kaiserin dagegen war gleichfalls ihrer Regel treu geblieben und präsentierte sich in einer jener wunderbaren Toiletten, wie nur sie in Schnitt und Farbenzusammenstellung sie zu ersinnen und zu tragen verstand …

Louis Napoleon war damals ein Mann von vierundfünfzig Jahren. Wie die seine dürfte auch die Figur der Kaiserin durch Bilder sattsam bekannt sein. Das Vorleben der Souveränin könnte von unserer Feder durch noch manche Streiflichter erhellt werden, die bisher nicht in die breite Öffentlichkeit gedrungen sind. Aber die vom Schicksal so schwer gezüchtigte Witwe von Chislehurst appelliert an unsere Schonung, und so möge ein anderer und grausamerer Spottvogel die letzten Falten des Vorhanges zerreißen! Wir wollen hier unseres historischen Amtes nur soweit walten, als es die höhere Gerechtigkeit gebietet und nur soviel sagen, daß das Mädchenleben der Kaiserin nichts weniger als ein blanker Tugendspiegel gewesen ist. Neid, Bosheit und Hatz haben es sicherlich mit der Wahrheit nicht allzu streng genommen und der spanischen Sirene mehr wie eine skandalöse Fabel angedichtet: immerhin aber bleiben genug Tatsachen übrig, an denen weder zu schütteln noch zu rütteln ist und die den kategorischen Beweis liefern, daß Fräulein von Montijo schon manchen Sturm durchgemacht hatte, bevor der Napoleonide sie im Januar 1853 an den Altar führte. Die majestätisch-grandiosen Allüren einer Maria Theresia oder Katharina Alexiewna waren bei der neugebackenen Imperatrix nicht zu suchen, aber dafür hatten ihr die Charitinnen ein nicht minder huldvolles Angebinde in die Wiege gelegt: bezaubernde Anmut und echt andalusische Grazie.

Im Jahre 1862 stand Eugenie schon mit einem Fuße über dem Grenzgraben, der den Frühling vom Sommer scheidet, aber der schärfste Operngucker hätte an jenem Abend zu Campagne nicht den Satz umstoßen können, daß sie immer noch – auch ohne Diadem und Hermelin – eine der reizendsten Frauen Europas war.

Das kaiserliche Paar hatte also in seinen Sesseln Platz genommen und sich damit gegenseitig jede individuelle Freiheit zurückgegeben, denn beide gingen sofort ihren persönlichen Interessen und Studien nach. Auch sitzend konnte der Imperator nicht eine gewisse Schwerfälligkeit verbergen, die schon damals anfing, seine Bewegungen zu charakterisieren und die in der elastischen Beweglichkeit der Kaiserin ein nur desto frappanteres Gegenstück hatte. Leicht und lebhaft drehte sich auf dem blendend weißen Halse der pikante, goldhaarige Frauenkopf und funkelnd wie die Läufe eines Doppelterzerols nahm das Opernglas der gestrengen Moderichterin den Damenflor der »Serie« aufs Korn. Nach da und dorthin flog ein gnädiges Lächeln und Nicken, während allerlei kritische Glossen, die die Kaiserin an die hinter ihr sitzende Palastdame richtete, die Revue begleiteten. Gleich nach dem Eintritt der Majestäten hatte das Orchester die Ouvertüre intoniert, und wie eine Kaskade perlte und plätscherte ein munteres, neckisches Scherzando durch den Saal.

In einer an die Bühne stoßenden Dunkelloge saß der junge Komponist der Operette, und das Herz hämmerte ihm unter der weißen Piketweste, denn weder das kaiserliche Paar, noch die Gäste schienen der melodischen Introduktion eine weitere Aufmerksamkeit zu zollen, und das Gewisper und Gekicher, dem die Gegenwart des Landesvaters und der Landesmutter durchaus keinen Zwang auferlegte, schnitten dem armen Tondichter wie scharfe Messer in die Seele. Ein schnauzbärtiger Gendarm von der Schloßkompagnie war, sozusagen, unter all diesen Larven die einzig fühlende Brust. Der wackere Hüter der Ordnung hatte seinen Posten in einem Winkel des Saales; die Arme über die Brust gekreuzt, verfolgte er mit sichtbarer Teilnahme jeden der auf und nieder schwirrenden Fiedelbogen und jeden Wirbel der Paukenschlägel.

Noch eine andere und ungleich grausamere Prüfung aber war dem unglücklichen Musiker vorbehalten. Unter dem Wellenspiel eines sinnlich-prickelnden Walzers sollte der Vorhang emporrauschen und die Handlung mit einem flotten Schäfertanz beginnen. Der Dirigent des Orchesters markierte mit einer Bewegung seines Taktstockes den vom Autor vorgeschriebenen Moment und glatt, dem Signal gehorsam, ging die Leinwand in die Höhe – – da, in diesem Moment spannungsvollster Erwartung, machen die tausend der Bühne zugewandten Augen wie auf einen Ruck eine Schwenkung und alle Gläser und Lorgnons blitzen nach einer und derselben Richtung hin: nach einer Seitenloge, den Sesseln des Kaiserpaares schräg gegenüber.

Wem galten diese Äußerungen einer allgemeinen Sensation?

In die Loge war eine Dame eingetreten und hatte mit einer flüchtigen Verbeugung gegen ihre nächste Nachbarschaft Platz genommen. Ohne der Bewegung, die sie hervorgerufen hatte, die geringste Beachtung zu schenken, schraubte sie mit vornehmer Ruhe ihr Opernglas zurecht, während schon auf der Bühne die Schäfer und Schäferinnen in buntem Reigen durcheinander wirbelten. Die verspätete Nachzüglerin war aber nicht die alleinige Zielscheibe für den Pfeilhagel von Blicken, der sie empfangen hatte: sie bildete vielmehr nur die eine Spitze eines Dreiecks, das in noch zwei andern Personen gleichsam seine trigonometrische Ergänzung fand. Diese beiden andern Personen waren – der Kaiser und die Kaiserin. Offenbar brachte die Chronique scandaleuse des Hofes die drei Figuren in einen bestimmten Zusammenhang. Und dennoch hätte ein uneingeweihter Zuschauer kaum die Anzeichen einer besonderen Beziehung zwischen den dreien entdecken können. Ohne auch nur einen Blick nach der kaiserlichen Loge zu richten, war die Dame erschienen, und ebensowenig hatten die Majestäten dem Ankömmling gegenüber irgendein ersichtliches Interesse kundgegeben. Phlegmatisch in seinen Sessel zurückgelehnt, das Opernglas ab und zu an seine Augen setzend, betrachtete sich der Imperator mit ziemlich frostiger Teilnahme das muntere Schäferfest, das den ersten Akt eröffnete. Auch die Kaiserin hatte sich der Szene zugewandt, lächelnd folgte sie dem neckischen Gang der Handlung, und der Geierblick des Hofvolkes gehörte dazu, um das leichte, nervöse Zucken zu bemerken, das sich von der schlanken Frauenhand in die spielenden Schwingungen des Fächers fortpflanzte. Die Schranzen wußten auch, warum die Hand der Imperatrix in gewaltsam unterdrückter Erregung zitterte.

» Tantaene animis coelestibus irae?« Kann in Götterherzen ein solcher Zorn lodern? Ein dicker, kahlköpfiger Senator tuschelte soeben seinem Logennachbar, einem aalglatten Hofrat, diesen Virgilschen Vers ins Ohr, indem er zugleich mit Grinsen nach der Kaiserin hinüberschielte.

Der Hofrat zuckte gleichmütig die Achsel. » Cur non, carissime?« Warum nicht, mein Bester? frug er zurück: »unter dem Betthimmel werden auch Göttinnen zum Weibe, und um weiland Junos Eifersucht zu entflammen, genügten vielleicht reizlosere Nebenbuhlerinnen als dort die Italienerin.« Er richtete seine Jumelles auf die Dame, die durch ihr Erscheinen zum Gegenstand der allgemeinen Sensation geworden war. »Wirklich ein wunderbares Weib!« murmelte er in sinnlichem Entzücken vor sich hin: »ein Meisterwerk der Schöpfung!«

Der kundige Höfling hatte nicht zuviel gesagt und wohl durften, einer solchen Rivalin gegenüber, Haß und Furcht zugleich die Seele der Kaiserin erfüllen. Der Hofrat hatte die Dame als eine Italienerin bezeichnet, aber auch ohne diese Personalnotiz wäre es kaum eine schwierige Aufgabe gewesen, in jedem Zug dieses blendend schönen Frauenbildes die Linien und Farbentöne wiederzufinden, die schon der Pinsel der alten Florentiner und venetianischen Meister in edlem Rassenstolz verherrlicht und als typische Wahrzeichen verewigt hat …

Eine knapp anliegende, reich mit gelben Spitzen garnierte Robe von kirschrotem Atlas brachte die üppigen und dabei doch geschmeidigen Körperformen der so seltsam schönen jungen Frau zur effektvollsten Geltung. Um Haupteslänge überragte ihr stolzer Wuchs den der Kaiserin. Sie mochte dem dreißigsten Lebensjahre nicht mehr fern stehen, und durch ihre Adern strömte die heiße Kraftfülle des reifen Weibes. Auf einem herrlichen Nacken saß ein Kopf, der in Schnitt und Ausdruck an den brennenden Zauber Medeas, der kolchischen Königstochter, erinnerte. Wehe dem modernen Jason, der allzu tief in diese großen nachtschwarzen Augen blickte, die, von langen Wimpern verschleiert, das Bild jener bodenlosen Seen widerspiegelten, in denen die deutsche und schottische Volksphantasie die Nixen auf ihre Opfer lauern läßt! – Prosper Merimée, der Napoleonische Hofchronist, hat diesen wundervollen Augen eine charakteristische Zeile gewidmet. »Es sind,« schrieb er, »zwei diabolische Blitze, die schadenfroh in uns arme Männer einschlagen und uns das innerste Mark in den Knochen rösten …« Dem Schatten einer Wetterwolke vergleichbar, dunkelte über diesen geheimnisvollen Augentiefen das ebenholzschwarze Haupthaar, zwischen dessen fast überreicher Fülle die eingeflochtenen Perlenschnüre hervorfunkelten wie ein Geschlinge von gaukelnden Leuchtkäfern.

»Und, meine Damen, dieses phänomenale Haar ist echt!« hatte Monsieur Chopin, der Hoffriseur, mit einem leichten malitiösen Lächeln seine Kundinnen versichert, denen es ein Herzensbedürfnis gewesen war, wenigstens diesen Reiz der Italienerin als einen erborgten zu diskreditieren …

Die vorderen Reihen des Parketts waren von Offizieren besetzt und hier mußte natürlich das zauberische Weib eine nicht minder scharfe Revue passieren. Ein schwarzbärtiger, von Wind und Sonne gebräunter Kapitän in der pittoresken Uniform der algerischen Spahis hatte soeben sein Opernglas abgesetzt und sich eifrig an seinen Nachbar, einen Rittmeister der zu Compiègne garnisonierenden Dragoner, gewendet.

» Sapristi, Herr Kamerad!« lachte der Dragoner: »man sieht wohl, daß Sie frisch aus Afrika importiert sind und heute abend hier zum ersten male erscheinen« – –

»Als eine Unschuld vom Lande,« ergänzte der Spahi in trockenem Humor.

Der Dragoner kniff schelmisch ein Auge zu. »Oh lala, ein Schmetterling der Wüste, der, wie ich beobachtet habe, auf dem besten Wege ist, sich dort an den zwei Teufelskerzen die bunten Flügel zu versengen!« Er machte mit dem Daumen eine Bewegung gegen die Loge der Italienerin hinauf.

»Bah!« lachte der Spahi zurück: »es gibt verschiedene Todesarten, die minder romantisch wären, als solch ein Pulverisierungsprozeß! Einstweilen aber, lieber Colbert, möchte ich armer, unwissender Afrikaner bloß erfahren, wie die Adresse dieser Dame lautet.«

Der Dragoner strich seinen martialischen Schnurrbart, dann antwortete er: » Fürstin Camilla von Bentivoglio – das ist die ganze Adresse.« Schalkhaft drohend hob er den Finger gegen seinen Waffenbruder. »Kapitän Montal, Sie sind ein kecker Don Juan, dem keine Mauer zu hoch und kein Einfall zu toll ist! In allen Garnisonen Frankreichs wurde das dramatische nächtliche Abenteuer besprochen und bewundert, das Sie infolge einer burlesken Wette vor einem Jahre im Harem eines arabischen Emirs bestanden haben. Hüten Sie sich aber, bester Montal, dort der Principessa eine ähnliche Huldigung im orientalischen Stil darbringen zu wollen, denn nicht immer hat Horaz recht, wenn er behauptet, dem Kühnen sei das Glück gewogen.«

Ein spöttisches Lächeln des Spahikapitäns. »Für solche Fälle, lieber Colbert, existiert der kategorische Lehrsatz: Il faut corriger la fortune – Das heißt ins Kavalleristische übertragen: Schlecht der Reiter, der nicht weiß, den Eigensinn der störrigen Stute Fortuna zu brechen!« Er schlug klirrend seine Sporen gegeneinander.

Von mütterlicher Seite her hatte der Rittmeister Colbert elsässisch-deutsches Blut in den Adern, und das gab wohl seinem ganzen Wesen eine gewisse gemütliche Ruhe, die mit der echt gallischen Nervosität seines Nebenmannes nur desto merklicher kontrastierte. Mit den Zipfeln seines blonden Schnurrbartes spielend, schmunzelte der Rittmeister leise vor sich hin; mit einemmal aber drückte sich in seinen jovialen Gesichtszügen ein tiefer Ernst aus, als er mit gedämpfter Stimme sagte: »Mein bester Montal, unsere persönliche Bekanntschaft datiert zwar erst von heute, aber die Uniform, die wir beide tragen, macht uns zu Kameraden, und außerdem sind Sie der erprobte Freund meines Bruders, der mir von Algier aus aufgetragen hat, Ihnen hier nach besten Kräften Gesellschafter und Cicerone zu sein. In letzterer Eigenschaft will ich Ihnen daher bemerken, daß die reizende Fürstin leider eine Rose ist, bei der man sich sehr empfindlich stechen könnte.«

»Ah, Sie meinen wohl ein Duell mit dem eifersüchtigen Besitzer dieser Rose aus dem Hesperidengarten?« fragte der Kapitän leichthin, und in den Augen des streitlustigen afrikanischen Soldaten loderte unbewußt ein wildtrotziges Feuer auf. Der Rittmeister schüttelte ruhig den Kopf. »Kein Duell, lieber Montal! Ich meine einen etwaigen Dolchstoß von hinten her zwischen die Schulterblätter und dann ein Armsünderbegräbnis bei Nacht und Nebel.«

Etwas verblüfft schaute der Kapitän seinen »Cicerone« an, der diese Worte in einer Art und Weise betont hatte, die jeden unzeitigen Scherz ausschloß. Montal wollte eine Frage stellen, doch Colbert schnitt ihm mit einer bezeichnenden Gebärde die Rede ab. »Dieses Thema,« flüsterte er: »will an einem geeigneteren Orte berührt werden! Im Zwischenakte werde ich wohl Zeit und Gelegenheit finden, Ihnen das Nähere mitzuteilen. Einstweilen wollen wir sehen, um was es sich da vorn handelt.« Er richtete sein Opernglas nach der Bühne und nolens volens mußte der Kapitän diesem Beispiel folgen. Monatelang hatte im afrikanischen Grenzdienste Montal außer dem Bereich jeder europäischen Kultur gestanden, und so hätte ihn wohl das farbenbunte Komödienspiel doppelt interessieren können; mehr aber beschäftigte ihn jetzt die mystische Äußerung des Rittmeisters, und dankbar begrüßte er es, als sich endlich der Vorhang über dem ersten Akte schloß. Die Majestäten zogen sich in ihren Salon zurück und gaben damit das Signal zu einer allgemeinen Wallfahrt nach den luftigeren Couloirs oder den Labung spendenden Büfetts. Seinen Arm in den des Kapitäns legend, machte der ortskundige Rittmeister den Wegweiser. In einem der Büfettzimmer ließen sich die beiden Offiziere ein Spitzglas Champagner reichen, in einer Nische war, von hohen Topfpflanzen halb maskiert, noch ein kleiner Diwan für gerade zwei Personen frei, und hierhin zog Colbert den Waffenbruder, um demselben in aller Kürze einen biographisch-vertraulichen Aufschluß über die reizende Italienerin zu geben.

… »Im Frühling dieses Jahres,« begann er, »ward, wie alljährlich, der Rennplatz zu Longchamps durch ein glänzendes Meeting eröffnet, dem, gleichfalls nach gewohntem Brauch, der Kaiser, die Kaiserin und der ganze Hof beiwohnten. Dieses erste Frühlingsrennen, wie Sie ja selber wissen, lieber Montal, ist gleichzeitig ein Rendezvous für alles, was Paris an distinguierten Persönlichkeiten aufzuweisen hat, und ganz besonders findet sich dabei ein Damenflor zusammen, wie er in solch blendender Pracht der Gestalten und Toiletten nirgends anders das Auge entzücken dürfte. Dennoch rang sich aus diesem blühenden und glühenden Frauenkranz siegreich die Schönheit einer Dame hervor, die in Gesellschaft des italienischen Gesandten und seiner Gemahlin auf dem Platze erschienen war. Ich will sofort beifügen, daß diese bezaubernde Fremde die Fürstin von Bentivoglio Der Name der Prinzipessa lautet in Wirklichkeit anders. Aus Gründen aber, die sich hier einer näheren Erörterung entziehen, hielt es der Verfasser für geboten, seine übrigens streng historische Heldin pseudonym auftreten zu lassen. war.«

»Also eine junge Witwe?«

»Wie so, Herr Afrikaner?«

» Jarnidieu!« erklärte der Kapitän: »dort auf dem Rennplatz präsentiert sich die Dame in Gesellschaft des Gesandten und hier im Theater leuchtet sie ganz und gar als einsamer Stern. Wenn sie keine Witwe ist, wo steckt denn da der Fürst?«

»Das mag im Moment der Teufel wissen!« lachte der Rittmeister: »dennoch aber, lieber Montal, haben Sie halbwegs das Richtige getroffen – die Principessa lebt nämlich schon seit Jahren von ihrem Gemahl getrennt.«

»Ah, Venus auf Reisen!« glossierte der Kapitän in frivoler Laune.

Der Erzähler machte eine verneinende Bewegung. »Diesmal, Herr Kamerad, haben Sie fehlgeschossen! Die Fürstin hat sich von ihrem Gemahl losgemacht, um ihre Frauenwürde zu retten.«

Verblüfft zog der Kapitän die Stirne kraus.

»Der Fürst,« erklärte Colbert weiter: »ist ein toller Wüstling, dem es ein zynisches Vergnügen machte, das Ehebett in einer Weise zu besudeln, die selbst ein Marquis von Sade Einer der nichtswürdigsten Menschen, die jemals gelebt haben, ein Ungeheuer, dessen Dasein ein grauenvoller Pfuhl von Lastertaten war. Mit wahrhaft teuflischer Lust studierte er, von der Körperkraft eines Stieres unterstützt, den Sinnenkitzel in seinen widernatürlichsten Variationen und vereinigte sie zu einem System. Im Jahre 1740 zu Paris geboren, endete das Scheusal 1814 im Zuchthaus von Bicêtre, wo ihn der Kaiser Napoleon wie ein blutiges Raubtier hatte einsperren lassen. als den Gipfelpunkt der Unzucht hätte bewundern müssen … Denken Sie sich, der Fürst soll – –«

Der Rittmeister, als scheue er vor dem Klang seiner eigenen Stimme, flüsterte seinem Zuhörer einige Worte zu. Unbewußt prallte der Kapitän zurück.

»Schauerlich!« drängte es sich über seine Lippen: »in den berüchtigten Tschekys zu Algier amüsieren sich wahrlich doch keine Stümper, aber vor solch einem diabolischen Raffinement müssen sie trotzdem die Flagge streichen!«

Der Rittmeister machte mit der Hand eine Bewegung, als woll' er ein obszönes Bild verwischen. » Enfin,« erzählte er weiter: »die Fürstin weihte fortan ihr Leben nur noch einem einzigen Ziel – der Einigung und Befreiung Italiens. Als junges Mädchen hatte sie schon den Grafen Felix Orsini gekannt, und der Patriotismus war das feurige Band, das auch späterhin bis zum blutigen Sterbetag 13. März 1858. des Attentäters diese beiden leidenschaftlichen Seelen umschlungen hielt. Nach der Trennung von ihrem unwürdigen Gemahl trat die Fürstin mit den Häuptern der revolutionären Bewegung in enge Verbindung und ging zunächst nach Rom, um hier für das Kreuz von Savoyen Propaganda zu machen. Die päpstliche Polizei merkte lange nichts von den fein angelegten Minierarbeiten und erst die Jesuiten sollen Lunte gerochen haben. Noch rechtzeitig gewarnt, schlug die Principessa durch rasche Flucht den Sbirren des heiligen Vaters ein Schnippchen und rettete sich nach England, wo sie mit Mazzini zusammentraf. Über die weiteren Lebensgänge der Dame verlauten nur dunkle, unbestimmte Gerüchte, soviel aber ist jedenfalls gewiß, daß die italienische Agitation in diesem ebenso energischen wie klugen Frauenkopfe eine apostolische Kraft ersten Ranges besitzt. Auch in Berlin soll die Fürstin gewesen und, als Emissarin Mazzinis, an sehr hoher Stelle in geheimer Konferenz empfangen worden sein.«

»Also doch wie ich sagte: Venus auf Reisen!« warf der Kapitän ironisch hin.

»Nun ja!« nickte der Rittmeister: »aber in strengsten Züchten und Ehren, denn« – er dämpfte seine Stimme zum Flüsterton herab – »selbst dem Haß der Kaiserin Eugenie ist es nicht gelungen, im Vorleben der Fürstin irgendeinen Flecken aufzustöbern.«

»Hm!« machte der skeptische Spahi: »woher denn überhaupt der Haß der Kaiserin?«

» Oh lala, mein armer Afrikaner!« lachte Colbert in seiner gemütlich-schalkhaften Weise: »ich sehe, ich muß Ihnen gleich morgen frühe ein Privatissimum über unsere Hofchronik lesen, denn auf Ihrem Vorposten gegen die Kabylen sind Sie quelque peu zur Landpomeranze verwildert. Also hören Sie nur weiter! Im Frühling dieses Jahres tauchte, wie schon bemerkt, die Principessa auf dem Rennplatz zu Longchamps auf, und sie durfte sagen: Ich kam, ich wurde gesehen und ich siegte! – – Zu den tausend Bewunderern des fürstlichen Weibes gehörte auch der – Kaiser. Es ist ja ein öffentliches Geheimnis, daß Seine Majestät, trotz dero vierundfünfzig Jahre, noch immer höchst entzündbar und minnelustig sind.«

»Ein Erbstück von seiner hochseligen Frau Mutter her!« glossierte malitiös der Spahi, der, wie viele Offiziere der algerischen Regimenter, orleanistisch angehaucht war, weil damals der ritterliche Kronprinz dieser entthronten Dynastie, der Herzog Ferdinand von Orleans, Durch einen Sturz aus dem Wagen fand der Herzog am 13. Juli 1842 bei einer Spazierfahrt nach Neuilly sein tragisches Ende. immer noch als das idealisierte Urbild des afrikanischen Troupiers fortlebte.

Ohne diesen politischen Seitenhieb des Kapitäns weiter zu beachten, fuhr Colbert weiter fort: »Gleich auf dem Rennplatz ließ sich der Kaiser durch den italienischen Gesandten die Fürstin vorstellen und die Huldigung, die er dem schönen Weibe darbrachte, verschnupfte dergestalt die Kaiserin, daß man sich auf der Hoftribüne die boshafte Bemerkung ins Ohr tuschelte: Jupiter dürfe sich zwischen vier Augen auf eine gesalzene und gepfefferte Gardinenpredigt seiner Juno gefaßt halten. Es wird übrigens behauptet, daß es dem Kaiser ein besonderes Vergnügen machte, seiner besseren Hälfte ein wenig das eifersüchtige Blut durcheinanderzujagen, denn ohne von ihrem Unmut Notiz zu nehmen, stellte er ihr nun seinerseits die Italienerin vor. Die Art und Weise, wie die Kaiserin den ihr zugedachten Streich parierte, war für die Fürstin die blankste Beleidigung – die Principessa, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, saldierte den Affront mit einer unbeschreiblichen Kopfbewegung voll wahrhaft medizäischer Grandezza. Spanischer und italienischer Stahl waren aneinander geraten und die Sache konnte hoch pikant werden, denn von diesem Moment an hatten sich die beiden heißblütigen Frauen den Krieg erklärt – einen Krieg ohne Waffenstillstand und Pardon …«

Der Rittmeister brach ab und blickte seinen Zuhörer lächelnd an.

» Jarnidieu!« drängte der Kapitän in höchster Spannung: »ein Duell zwischen Löwin und Tigerin! Erzählen Sie weiter, lieber Colbert! Sie scheinen ja ein wahrer Asmodeus zu sein, für den die Dächer und Mauern aus Glas sind.«

»Nun, nun,« winkte der Dragoner bescheiden ab: »dazu fehlt noch vieles! Allerdings hat man seine Freunde und Bekannten, die wiederum ihre Freunde und Bekannten haben; das gibt zusammen ein Netz von Kanälen, die mir manch indiskretes Echo aus Boudoir und Antichambre zuführen. Dennoch, lieber Montal, kann ich Ihnen betreffs der Italienerin kaum noch mit weiteren, oder doch mindestens positiven Enthüllungen dienen. Daß zwischen dem Kaiser und der Fürstin seitdem eine Annäherung stattgefunden hat, unterliegt keinem Zweifel, aber das Wieweit bleibt eine offene Frage. Jedenfalls hat es die Principessa meisterlich verstanden, den galanten Landesvater in ihren Bannkreis zu ziehen, denn als der Hof zur Sommerfrische nach Biarritz übersiedelte, da folgte gleich darauf die schöne Camilla nach und installierte sich – begreiflicherweise zum Gallenkitzel der Kaiserin – in einer idyllischen kleinen Villa, die der Generaladjutant des Kaisers Graf von Montebello, einem On dit zufolge, gemietet hatte. Zu Biarritz soll es zwischen dem kaiserlichen Ehepaar zu den heftigsten Auftritten gekommen sein, en petit comité flüsterte man sogar von einem mysteriösen Vergiftungsversuch, dem die Fürstin beinahe zum Opfer gefallen sei. Natürlich, lieber Montal, relata refero … Sei dem wie da wolle – soviel scheint wenigstens die Kaiserin durchgesetzt zu haben, daß ihre Rivalin nicht auch hier in Compiègne ständigen Aufenthalt nehmen darf. Die Italienerin hingegen, dieser reizende Satan, ist durchaus nicht gewillt, so mir nichts, dir nichts die Flagge zu streichen und offenbar hat sie sich an maßgebender Stelle die Konzession ertrotzt oder erschmeichelt, unter der deckenden Eskorte des italienischen Gesandten ab und zu auch am hiesigen Hoflager erscheinen zu dürfen, wie dies gerade heute abend der Fall ist.«

»Die Kaiserin ist also faktisch machtlos?« unterbrach der Kapitän den Referenten. Colbert zuckte die Achsel. »Die Kaiserin speit Feuer und Flammen, ihre Anhänger versäumen keine Gelegenheit, sich wie eine Meute auf die Todfeindin zu stürzen – aber was hilft's? Der Triumph ist bis jetzt auf seiten der Principessa, und Ihre Majestät muß es wohl oder übel dulden, daß die verhaßte Rivalin sich für die erlittene Kränkung grausam revanchiert … Ein undurchdringlicher Schleier – undurchdringlich wenigstens für meine Gewährsleute – ruht auf dem ganzen Verhältnis des Kaisers zu der Fürstin, hier hört man dies, dort das, aber nur soviel ist gewiß, daß der bis über die Ohren verliebte Sultan die reizende Odaliske mit echt türkischer Eifersucht hütet. Jetzt, mein Freund, verstehen Sie vielleicht meinen Hinweis auf einen eventuellen Puff zwischen die Schulterblätter.« Er verdeutlichte seine Worte durch eine bezeichnende Geste.

»Sie scherzen also wirklich nicht?« brach der Kapitän das momentane Schweigen. Der Rittmeister wollte soeben antworten – im selben Moment aber bog er sich gegen die Pflanzengruppe vor, die, wie schon beschrieben, mit ihrem Blätterschirme den Plauderwinkel der beiden Offiziere halb verbarg. Er deutete mit dem Finger zwischen dem Gezweig eines persischen Tamariskenstrauches hindurch. »Sehen Sie dort den Herrn, der sich gerade mit einem Beamten der Schloßverwaltung unterhält?« Der Kapitän bejahte die Frage.

» Eh bien,« sprach der Rittmeister weiter: »betrachten Sie sich einmal den Herrn recht genau, das weitere wird folgen.«

Die von Colbert bezeichnete Figur war schmucklos in Schwarz gekleidet, aber auch im bürgerlichen Gewande verleugnete sich nicht die Charakteristik der militärischen Schulung. Der Mann mochte etwa vierzig Jahre alt sein und in seiner ganzen Erscheinung verriet sich der Südländer. Für ein kundiges Auge ergaben sich noch speziellere Merkmale: in gewissen Linien dieser Physiognomie pulsierte der Tropfen Sarazenenblut, der, mit dem Samen der lateinischen Rasse sich kreuzend, bis zum heutigen Tage dem korsikanischen und sardinischen Typus ein so eigenartiges Gepräge verleiht. Im Wesen dieser Insulaner lauert, sozusagen, eine brutale Wildheit beständig auf den Katzensprung, wie dies Napoleon, der korsische Attila, in gigantischem Maßstabe illustriert hat … Und dieser arabische Familienzug bildete offenbar auch dort bei jenem Manne den dominierenden Grundton seiner Natur. Kurzgeschnittenes, pechschwarzes Haar krönte den magern Kopf und begrenzte in scharfer Linie die hohe, schmale Stirne, über die sich eine leicht gerötete, fast fingerbreite Narbe quer hinzog. Ein starker schwarzer Schnauzbart markierte effektvoll das hagere, gelbe, von den Blattern leicht gezeichnete Gesicht. Die nur mittelgroße Gestalt war ein Gefüge von Knochen und Sehnen, die auch nicht durch ein einziges Lot überflüssigen Fleisches in ihrer Kraftentfaltung und Geschmeidigkeit beeinträchtigt wurden. Seitwärts vom Büfett unterhielt er sich, wie bereits erwähnt, mit einem Herrn in der hellblauen, silbergarnierten Uniform der Schloßbeamten. Richtiger gesagt: die Hände auf den Rücken gelegt, hörte er ziemlich teilnahmlos dem Blaurock zu, der ihm mit wichtiger Miene irgendeine Mitteilung zu machen schien …

»Nun,« wandte sich Rittmeister Colbert lächelnd an seinen Gesellschafter: »was halten Sie dort von dem schwarzen Herrn?«

Der Kapitän hatte sich so in sein physiognomisches Studium vertieft, daß er bei dieser plötzlichen Anfrage unwillkürlich auffuhr. Durch diese Bewegung stieß er mit dem Fuße ganz leicht an die Scheide seines Säbels; bei dem sonstigen Geräusch, das von dem Büfett ausging, wäre die leise metallische Schallwelle kaum von einem gewöhnlichen Ohr aufgefangen worden – der Schwarze dagegen hatte aus all den ihn umschwirrenden Tönen jene verlorene Note herausgehört, denn sofort wandte sich sein Kopf nach der betreffenden Richtung hin: unter buschigen Brauen funkelten zwei kleine schwarze Augen, die in ihrem jähen Aufschlag jene kalte, durchbohrende Schärfe hatten, die dem Blick der Raubvögel eigen ist. Die schmale, schnabelartig gebogene Nase ergänzte noch diesen Geier-Ausdruck. Der Pflanzenschirm, der die Nische maskierte, ließ die beiden Offiziere nicht sogleich erkennen, und so hob sich der Schwarze in seinen Hüften, um über die grüne Mauer hinauszuspähen. In der nächsten Sekunde schon glitt ein zeremonielles Lächeln über seine ehernen Gesichtszüge, und er machte eine leichte Verbeugung gegen den Dragoner-Rittmeister, der diese Höflichkeit ebenso gemessen zurückgab. In einer Menschenwelle, die soeben vom Büfett nach dem angrenzenden Couloir hinausdrängte, verlor sich der Schwarze …

»Eine unheimliche Erscheinung!« sprach der Kapitän vor sich hin – dann blickte er den Rittmeister fragend an. »Wer ist der Mann?«

»Eine hochwichtige Persönlichkeit, mein lieber Montal,« antwortete Colbert mit leichter Ironie: »es ist der Schutz- und Trutzengel Seiner kaiserlichen Majestät.«

»Ein unheimlicher Geselle!« betonte nochmals der Kapitän.

»Ein korsikanischer Vollblutsteufel, wenn es gilt,« ergänzte Colbert. »Wahren Sie vor ihm Ihre Schulterblätter!« setzte er bedeutsam hinzu.

»Ah!« lachte der Kapitän: »Sie meinen von wegen der schönen Camilla? Ich werde mir gleich morgen für alle Fälle ein solides Panzerhemd anschaffen.«

Auch der Rittmeister hatte seine gewohnte Jovialität wiedergefunden und stimmte in die Späße des munteren Kameraden ein.

»Darf ich wenigstens wissen, wie der Name dieses kaiserlichen Geheimpuffers und Schulterblätteramateurs lautet?« scherzte der übermütige Spahi weiter.

» Pourquoi pas?« gab der Rittmeister zurück: »der Mann heißt Griscelli …«

Ein heller Klang vibrierte durch die Couloirs.

»Ah!« unterbrach sich Colbert: »das Zeichen für uns, daß sogleich der zweite Akt beginnt. Kommen Sie, lieber Montal! Die Majestäten sehen es mit ungnädigen Augen an, wenn bei ihrem Eintritt nicht schon alles auf dem Posten ist.«

Mit den übrigen Gästen kehrten die beiden Offiziere in den Theatersaal zurück.

Der erste Blick des Kapitäns galt der Loge, in welcher die Fürstin von Bentivoglio ihren Platz hatte. Die Loge füllte sich nach und nach mit ihren Insassen – nur der eine Fauteuil harrte vergebens auf seine süße Last.

Die Italienerin war und blieb verschwunden.

Hatte sie, der Kaiserin gegenüber, für diesen Abend des Triumphes genug, oder hatte ein anderes Motiv sie zu diesem raschen Aufbruch veranlaßt?

Der Rittmeister las in den Augen des Kapitäns diese stille Frage und mit einer tragikomischen Gebärde flüsterte er: »Sie sehen nun, lieber Montal, daß für mich armen Asmodeus die Dächer und Wände doch noch lange nicht von Glas sind, denn sonst wüßt' ich Ihnen jetzt zu sagen, was aus dem interessanten Flüchtling geworden ist.«

– – – Der junge Komponist der Operette, den die anfängliche Kälte seines Auditoriums so tief gekränkt hatte, sollte doch noch einen Balsam für seine Schmerzen finden. Die Majestäten geruhten nämlich, zu wiederholten Malen allerhöchst das Zeichen zum Applaus zu geben; undankbar genug vergaß darüber der entzückte Tonkünstler den bescheidenen Gendarmerie-Brigadier, der doch in seiner Ecke zu allererst den tiefen Sinn der Paukenwirbel erfaßt und gewürdigt hatte.

Ein noch glänzenderer Triumph aber erwartete den geschmeichelten Autor.

Während der Schlußszene des dritten und letzten Aktes öffnete sich die Türe der Dunkelloge, von wo aus er den Effekt seines Tonwerkes verfolgte, und in Begleitung des Regisseurs präsentierte sich ein Herr im Habit eines Hof-Kammerjunkers. Respektvoll schnellte der Komponist von seinem Sitze empor.

»Monsieur,« meldete der Kämmerling im Ton abgezirkelter Höflichkeit: »Ihre Majestäten haben den gnädigen Wunsch geäußert, daß allerhöchst ihnen der Autor der Operette vorgestellt werde. Bitte, Monsieur, kommen Sie mit.«

Wie in einem leichten Nektarrausch und mit pochendem Herzen folgte der junge Komponist – ein Sohn der wiesengrünen Pikardie – dem Höfling, der ihn über verschiedene Hintertreppen und Korridore zunächst in ein Gemach brachte, das seiner Einrichtung nach ein Vorzimmer zu sein schien. Ein rundes Dutzend Herren, alle in schwarzer Gesellschaftstoilette, standen gruppenweise, miteinander plaudernd, in dem Zimmer umher. Als der Kämmerer mit seinem Begleiter eintrat, richteten sich wie auf einen mechanischen Ruck die vierundzwanzig Augen auf den langhaarigen Tonkünstler und konzentrierten sich gewissermaßen in einen einzigen stillen, kalten Blick: einen Blick, so wie ihn Kapitän Montal bei dem Korsen Griscelli kennen gelernt hatte. Die zwölf Herren, um es kurz zu sagen, waren Agenten der geheimen Polizei-Brigade, der die spezielle Überwachung des Kaisers oblag. Der Pikarde hatte lange genug zu Paris gelebt, um die zwölf Schwarzen nicht als Pastoren anzusehen; auch in seinen Gesellschaftskreisen wußte man, wie diese düstern Gestalten – fast durchgehends Korsikaner – jederzeit bereit waren, mit Stilett und Revolver glatte Arbeit zu machen, und so hatte der nervöse Musenjünger das Gefühl, als passiere er einen Tigerkäfig: bei all dem Bewußtsein seiner loyalen Harmlosigkeit atmete er erst erleichtert auf, als er unter der Ägide seines Führers unangefochten die Schwelle des nächstfolgenden Raumes übertrat. Es war dies der pompös dekorierte und möblierte Salon, der unmittelbar an die Kaiserloge stieß und während der Zwischenakte den Majestäten und deren engerem Zirkel zum Aufenthalte diente. Die vier ellenlangen Lakaien lagen faul mit übereinandergekreuzten Beinen in die Samtfauteuils hingegossen, deren Polster noch warm waren von der Sitzflächentemperatur eines besternten Reichswürdenträgers oder einer ahnenstolzen Herzogin. Im Vollgefühl ihres eigenen Wertes erhoben sie sich, übrigens gar nicht allzu eifrig, als der Kammerjunker ihr beschauliches Stilleben störte. Auch die vier Riesenbengel hatten für den schmalleibigen Tonkünstler einen gleichzeitigen Seitenblick, aber das war nicht das mißtrauisch-grämliche Examen des Polizeispitzels: aus diesen acht Augen gähnte das satt-behäbige Phlegma eines indischen Tempelpförtners, der, die Reste eines Opferschmauses verdauend, auf einen hungerigen Paria herabblinzelt … Mit einer stummen Handbewegung hatte der Kämmerling seinem Begleiter bedeutet, hier zu warten, er selber huschte leise, wie auf Katzenpfoten, in die kaiserliche Loge, aus der er aber unverweilt wieder zurückkam. Er winkte den jungen Pikarden heran, auf dessen bartlosem, fast mädchenhaftem Gesicht sich die innere Erregung malte. »Stellen wir uns hierher,« instruierte ihn der Höfling: »die Majestäten werden sogleich erscheinen.«

Wie ein dumpfes Wellengemurmel schlugen vom Orchester herauf dem horchenden Komponisten die zum Fortissimo anschwellenden Noten seines Finale ans Ohr – dann ein minutenlanges Geräusch von klatschenden Händen – ein vages Getöse im Theatersaal – dann, wie von Geisterhänden auseinandergeschoben, spaltete sich die Portiere der kaiserlichen Loge, und dem unbewußt einen Schritt zurückweichenden Neuling war's, als flimmere vor seinen Augen ein Kaleidoskop von allen möglichen Farben. »Verneigen Sie sich doch!« raunte ihm wie aus einer andern Welt eine Stimme zu, und gehorsam krümmte er sein Rückgrat zu einem ersterbenden Katzenbuckel. Unter dem pathetischen Vortritt des diensttuenden Chambellan näherte sich, Arm in Arm, das Herrscherpaar: ein Kometenschweif von blitzenden Uniformen, bebänderten Fräcken und knisternden Robenschleppen bildete den Nachtrab. Wie durch einen Flor sah der junge Tonkünstler diese schillernde Schlange sich ihm entgegenringeln, dann machten die Majestäten mit einemmal Halt – dem verwirrten Maestro schoß all sein Blut gegen das Herz – und wie auf das Kommando eines Drillsergeanten schwenkte das Gefolge zu einem Halbkreis auseinander. Eine Batterie von Pincenez und Lorgnons funkelte den züchtig errötenden, neugebackenen Tageslöwen an. Bei aller grammatikalischen Fertigkeit in der französischen Sprache vermochte bekanntlich Louis Napoleon niemals ganz den deutsch-schweizerischen Akzent zu überwinden, den er sich als Jüngling im Exil zu Augsburg und am Bodensee angeeignet hatte. Dieser fremdartige Anklang machte sich auch dem Ohr des Tonkünstlers bemerklich, als der Kaiser an ihn einige stereotype Fragen richtete und dann betreffs der Operette einige anerkennende Worte beifügte, welche die Kaiserin mit einem freundlichen Lächeln sekundierte. Ein gnädiges Kopfnicken der Majestäten beendigte das kurze Intermezzo. Das Herrscherpaar setzte sich in Bewegung, der Halbkreis der Höflinge gliederte sich wieder zum Cortège und stelzte steif und frostig wie eine Prozession von Wachspuppen an dem Musenjünger vorüber, der im Tempo einer Pumpmaschine einen Bückling um den anderen machte, bis der allerletzte Frackzipfel am Horizont verschwunden war. Auch der Kämmerer hatte sich der Suite angeschlossen und es seinem Pflegling ad hoc kurzweg überlassen, den Rückweg auf eigene Faust zu suchen. Von Polizisten und Palast-Offizianten in lakonischer Weise zurechtgewiesen, erreichte der junge Komponist die pompöse Marmortreppe, die zu den Parterre-Räumen des Schlosses hinabführt. Eine andere Szenerie fesselte hier momentan den schlichten Pikarden, der ja, über Nacht zur Modeware geworden, jetzt zum erstenmal in seinem Leben die parfümierten Miasmen einer sardanapalischen Hofluft einatmete. Er war übrigens hier nicht der einzige Neuling, denn auch Kapitän Montal hatte, seit Jahren in der afrikanischen Kolonie dienend, bisher keine Gelegenheit gefunden, sich die kaiserliche Hofwirtschaft in der Nähe zu beschauen … Nun, der naive Tondichter und der rauhe Feldsoldat konnten es kaum besser treffen, denn gerade hier vor ihnen, vom Glanz der Gaskronen übergossen, entrollte sich ein echtes Sitten- und Charakterbild des Napoleonischen Empire! – – Der Cortège, der von der Loge aus die Majestäten bis zu deren Appartements begleitet hatte, war dort in Gnaden entlassen worden. Mit dem Verschwinden des kaiserlichen Paares flog auch sofort bei dem Schranzentroß die ganze Etikette über Bord, und der gleißende Firnis einer erlogenen Grandezza machte dem Laisser aller eines desto ungeschminkteren Zynismus Platz.

Auch der Theatersaal hatte sich mittlerweile entleert, und so staute sich auf den Stufen und am Fuß der Treppe ein Knäuel von Männern und Weibern, der in seiner ausgelassenen Lust an das Publikum des Jardin Mabille oder eines Maskenballes der Grand-Opera erinnern konnte. War es ja auch eine mit Patchouli und Millefleur verquickte Demimonde-Atmosphäre, die hier von diesem frivolen Hofadel einer abenteuerlichen Dynastie ausdünstete! Das Ohr des verblüfften Komponisten fing in diesem geilen Geschiebe und Gedränge Ausdrücke und Bonmots auf, die fast die allerletzte Hülle des Dekorums verschmähten, von zarten Frauenkehlen aber mit glockenhellem Lachen beantwortet wurden. Wie so recht hatte doch, diesen Weibern gegenüber, Viktor Emanuel, wenn er unter Vertrauten in seiner derbkörnigen Weise zu sagen pflegte: »Was sich in einer Wachtstube nicht erzählen läßt, muß man für Hofdamen aufsparen.« Tändelnd, kichernd, Arienfragmente aus der soeben produzierten Operette trällernd, floß nach und nach der Trubel auseinander, um sich beim Souper, am Spieltisch oder sonstwo ein neues Rendezvous zu geben. Auch der Rittmeister und sein afrikanischer Kamerad waren in dem wogenden Durcheinander verschwunden … In einer seltsamen Gemütsstimmung setzte der junge Maestro seinen Weg fort, um sich mit der Schauspielertruppe zusammenzufinden, die in einem Extrazug nach Paris zurückgebracht werden sollte. Seinen Gedanken nachhängend, verlor er die Richtung und geriet in ein Labyrinth von Galerien, die, außerhalb der allgemeinen Passage liegend, nur spärlich beleuchtet waren. Und dennoch mochte es immer noch zu hell sein für die vermummten Paare, die wie Gespensterschatten an ihm vorüberhuschten und hinter leise sich schließenden Türen wie ein nächtlicher Spuk verschwanden …

Schritte erdröhnten in militärischem Gleichmaß: eine Patrouille der Gendarmerie-Kompagnie, die im Schloß stationierte. Der Führer der Runde stellte den Komponisten, dem trotz schwarzem Frack und weißer Halsbinde für ein kundiges Auge der Chic des Hofmannes mangelte. Zu seinem Glück konnte sich der junge Tondichter durch seine vom Hofmarschallamt ausgefertigte Passierkarte legitimieren, und in freundlicherer Weise half jetzt der Rottenmeister dem harmlosen Gaste auf den rechten Weg. Durch ein Torgewölbe gelangte er ins Freie. Eine schöne und für die Jahreszeit noch ungewöhnlich warme Nacht hatte ihren Sternenmantel über die Kaiserburg hingebreitet, traumhaft säuselte und wehte es durch die Bäume und Büsche des angrenzenden Parkes. Und siehe! Wie dort in den Galerien, so strichen auch hier im Schloßhof an dem jungen Pikarden wispernd und kichernd nachtwandelnde Gestalten vorbei, die sich da- und dorthin in das lockende Blätterdunkel des Parkes verloren …

Mein Gott, wenn dieser Park von Compiègne seine Memoiren schreiben und sie in illustrierten Wochenheften kolportieren könnte! Ich bin überzeugt, es ließe sich dabei ein »Geschäft« machen! Dürfte ja jeder Baum dort zu erzählen haben:

Nacht muß es sein, wenn Amors Sterne strahlen!
Die Nacht drückt Lipp' auf Lippe brennend heiß.
Manch vollen Nacken sah ich stolz hier prahlen
Im Mondlicht aufschimmernd schwanenweiß.
Manch üppig Bild sah ich im See sich malen,
Wenn sich auf ihm die Gondeln wiegten leis
Und wenn die Pärchen, trügend und betrogen,
Den Lauben und den Grotten zugeflogen.

Ja, unter dem napoleonischen Regiment, das überhaupt nur eine taumelwilde Walpurgisnacht gewesen ist, hat der Park von Compiègne vieles, vieles belauscht, was noch gar nicht, oder doch nur als scheues Echo über seine Mauer hinausgedrungen ist, denn die, die reden könnten, haben alle Ursache zu – schweigen.

Nicht immer aber sind es Franzosen und Französinnen gewesen, die hier unter dem lusttrunkenen Ruf: » Io Saturnalia!« die Nachtfeste der altrömischen Bona Dea in Szene setzten: die Orgie zu Compiègne war eine internationale und die fremdländischen Gäste taten oft nicht am wenigsten mit. Der Wahrheit die Ehre! Der Kaiser und die Kaiserin, bei all ihren laxen Tugendbegriffen, beteiligten sich niemals persönlich an solch einer Massenfeier der Unzucht, aber ebenso war ist es auch, daß er, wie sie, dem zügellosen Treiben niemals ein ernstliches Hindernis entgegensetzten. Sie konnten nicht – selbst wenn sie es gewollt hätten, denn hier stieß der Imperator auf eine natürliche, logische Konsequenz des von ihm inaugurierten Systems. Es kam noch etwas Besonderes dazu, was dem Napoleoniden und seiner besseren Hälfte die Hände band: das gerade in erotischer Beziehung so trübe Vorleben der beiden war in den Hofkreisen nur allzu bekannt, und so hätte eine moralische Fastenpredigt aus dem Munde der nunmehrigen Majestäten höchstens einen Hagel giftiger Epigramme entfesselt. Zirkulierten ja in den Vorzimmern so wie so schon über » Soulouque« Ein Spitzname des Kaisers. und die »Spanierin« Spottreime, die sich in ihrer Obszönität gar nicht wiedergeben lassen! – Mit einem Wort: im Troß des Kaisers und der Kaiserin dienten nicht ein Lakai, nicht eine Kammerzofe, die sich nicht schon damals sagten: »Nach mir die Sintflut!«

Das war acht Jahre vor dem Tag von Sedan.

Nach uns die Sintflut! So ging die Parole von Rangstufe zu Rangstufe und in dieser Perspektive freute man sich des Lebens, so lange noch das Lämpchen glühte … So nur erklärt sich der tolle, kaum mit einem Feigenblatt drapierte Cancan am napoleonischen Hofe, und nur so konnte der romantische Park von Compiègne zum Theater jenes nächtlichen Originalsports werden, wo die Damen – Herzoginnen, Marquisinnen, Gräfinnen und Baronessen – sich in Hirsch- und Reh-Häute, die Kavaliere aber in Hundefelle einnähen ließen. Auf ein gegebenes Signal ging die Jagd los. Die Pseudohunde verfolgten das fliehende Quasiwild durch Dick und Dünn, die lustige Hetze dauerte so lange, bis die letzte Hirschkuh abgefangen war. Über das Hallali, das zum Finale geblasen wurde, mag der Vorhang herabfallen! Eine englische Zeitung, die in einem malitiösen Kavalier – der zu seinem Ärger nicht »auf den Hund« gekommen war – einen Reporter ad hoc gefunden hatte, wollte die Hischjagd an die große Glocke hängen. Um aber die Einsendung von »geschätzter Hand« möglichst zu verwerten, reservierte sich die Redaktion den Artikel als Abonnentenköder und kündigte demzufolge mit einem mysteriös gehaltenen Paukenschlag an, zu Beginn des kommenden Quartales werde das Blatt ein hochsensationelles Feuilleton bringen, unter dem Titel: »Eine nächtliche Schnitzeljagd zwischen zweibeinigen Hunden und zweibeinigen Hindinnen im kaiserlichen Schloßpark zu Compiègne …« Durch rasche und energische Vermittlung des Grafen Walewski, des damaligen französischen Botschafters zu London, ward die britische Plaudertasche noch rechtzeitig mit einer Anweisung auf das Bankhaus Baring brothers gestopft, und das hochgeneigte Publikum kam um einen pikanten Skandal.


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