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Aus der galanten Chronik eines Königs.

Die Bahnlinie von Turin nach Genua zieht sich zunächst an der linken Uferseite des Po entlang und überschreitet dann bei der Station Moncalieri auf weitgespannter Brücke den Fluß. Uber dem Städtchen Moncalieri, auf einem Kamm der sogenannten Monte d'oltre Po, erhebt sich in einem Kranz von reizenden Park- und Gartenanlagen ein Bauwerk, das den unverkennbaren Charakter eines fürstlichen Sommersitzes trägt. Von dem heitern Naturfreund Viktor Amadeus III. erbaut, hat sich das Castello reale di Moncalieri, seiner prachtvollen und gesunden Lage wegen, auch die Gunst der nachfolgenden Könige von Sardinien bewahrt …

Auch am ersten September 1862 wehte auf den Zinnen von Moncalieri die rote Flagge mit dem weißen Kreuze von Savoyen – zum wohlbekannten Zeichen, daß der Schloßherr hier zum ländlichen Stilleben eingekehrt sei.

Im linken Flügel der idyllischen Königsburg betreten wir ein Kabinett, vor dessen Fenstern sich über die in südlicher Vegetation prangende Landschaft hin eine entzückende Fernsicht eröffnet bis zu der blauduftigen Alpenkette, die in zackigen Linien den Horizont umgürtet. Der glühend heiße Tag neigte zum Abend hin, und schon begann vom Po her ein kühlerer Luftzug die Natur zu erfrischen.

Die einfache, fast spartanische Einrichtung des Kabinettes entsprach kaum der Vorstellung, die sich das große Publikum gemeinhin von der Ausstattung einer königlichen Residenz zu machen pflegt. Ein großer altertümlicher Schrank, ein Sofa und ein halbes Dutzend Sessel, von indischem Rohr geflochten, bildeten so ziemlich das ganze Mobiliar, den Fußboden bedeckte eine schlichte Binsenmatte. Ein ebenso schmuckloser Tisch von Eichenholz, auf welchem Schriftstücke und Zeitungen umherlagen, stand in der Mitte des Gemaches. An dem Tische saß eine originelle Figur von anscheinend mittlerer Größe und derbem Knochenbau – ein Mann wohl in der Mitte der vierziger Jahre. Seiner äußern Erscheinung nach zu urteilen, huldigte er dem Prinzip der Zwanglosigkeit im ausgiebigsten Maße, denn außer einer grauen, weiten Pumphose, die sich von den Waden abwärts in weißleinene Gamaschen und starke Jagdschuhe verlor, reduzierte sich seine ganze übrige Toilette auf das Hemd, an dem noch obenein alle Knöpfe offen und die Ärmel bis über den Ellenbogen aufgerollt waren. Der biderbe Naturbursche hatte seinen Rohrsessel so postiert, daß er in die Landschaft hinausschauen konnte, die sich, wie schon erwähnt, im üppigen Kolorit des Südens vor den Fenstern ausspannte. Den halbnackten, muskulösen linken Arm auf den Tisch – seinen Kopf wiederum in die Hand gestützt, rauchte er in kräftigen Zügen eine Zigarre, deren würziges Kraut unverkennbar auf dem edelsten Flurstrich der gesegneten Vuelta d'abajo gereift war. Seine rechte Hand streichelte in zärtlichem Spiel die Stirn eines prächtigen Jagdhundes, der sich familiär an den Herrn schmiegte und mit klugen Augen zu ihm emporblickte.

Auf breiten Schultern und einem starken Halse (um den sich, unter dem offenen Hemde sichtbar, eine goldene Kette mit ein paar geweihten Medaillen schlang) saß ein Kopf, angesichts dessen Madame von Sévigné höchst wahrscheinlich das gleiche Wort gefunden hätte, das sie damals über den Staatsrat Pelisson in sittlicher Entrüstung aussprach: »Dieser Mensch mißbraucht das Privilegium der Männer, häßlich sein zu dürfen« …

Ein Kopf von wirklich frappanter Unschönheit! In einem Rahmen von kurzgeschorenem, pechschwarzem Haar ein breites, von Wind und Sonne tief gebräuntes Negergesicht mit einer Stumpfnase, unter welcher ein riesiger Schnurr- und Knebelbart wucherte. Dazu ein paar kleine funkelnde Kalmückenaugen, die aber ganz und gar zu diesem – seitdem so populär gewordenen – Gesichte paßten und mit ihrem wechselnden Ausdruck von Gutmütigkeit und Schlauheit, Geist und Humor dem »häßlichsten Mann in Italien«, wie er launig sich selber bezeichnete, ein so charakteristisches Gepräge gaben. Mit einem Wort: der Träger und Eigentümer dieses originellen Kopfes war niemand anders, als – Viktor Emanuel II., König von Italien, von Cypern und von Jerusalem.

Möge der Leser den oben skizzierten burschikosen Sommeranzug Sr. Majestät als »nach der Natur gezeichnet« betrachten! Eine manchmal allzu naturwüchsige Einfachheit und ein jede Etikette abstreifendes Sans géne bildeten den Hauptzug im Leben und Weben Viktor Emanuels. In den schönsten Palästen der Welt, die sein Eigentum waren, bewohnte er immer die bescheidensten Gemächer, die eigentlich für das Hofpersonal bestimmt waren. Schlicht und prunklos, wie er im Leben hauste, hat er sich später in seinem Testamente auch seine Ruhestätte im Tode bestellt. Im Pantheon zu Rom muß man sein Grab suchen – so anspruchslos und verborgen ist das Plätzchen links vom Hauptaltar, wo, von einem dankbaren Volke zu einer heiligen Krypta geweiht, die irdischen Reste des ersten Königs von Italien ruhen.

Viktor Emanuel – schon seit Jahren Witwer – lebte, wenn keine zwingenden Umstände es anders geboten, so regelmäßig wie ein Uhrwerk. Zu jeder Jahreszeit erhob er sich um die vierte Morgenstunde von seinem Bette, dessen dünne, harte Matratze und einfacher Wollteppich eine wahre Karikatur über den traditionellen »Eiderdaunenpfühl der Könige« waren. Gleich mit dem ersten Schritt aus dem Bette griff Viktor Emanuel zu seiner riesigen, juchtenledernen Zigarrentasche, die ihn fortan bis zum Schlafengehen unzertrennlich begleitete. Seinen sonstigen frugalen Gepflogenheiten zuwider war er im Rauchen ein Gourmand: die Glimmstengel, die er führte, und womit er seine Gesellschafter höchst freigebig traktierte, repräsentierten das feinste Havannafabrikat. Niemals trug Viktor Emanuel Schlafrock und Pantoffeln – der derbe savoyische Gemsenjäger blickte mit bodenloser Verachtung auf diese Attribute des Stubenhockers herab. Seine reguläre Toilette bestand in einer weiten Zuavenhose – die er am liebsten in Gamaschen stopfte – in einem nach Muster der piemontesischen Bauernwesten zugeschnittenen Gilet und einer kurzen Jacke. Auf den Kopf stülpte er einen breitrandigen Kalabreser. Jede andere Kleidung war ihm ein Greuel, auch die Uniform, die er nur zwangsweise anlegte und bei erster Gelegenheit sofort wieder abschüttelte. Mit der Zigarre im Mund, dazwischen halblaut vor sich hinpfeifend, richtete Viktor Emanuel jeden Morgen seine Schritte zunächst nach dem Marstall und dem Hundezwinger, wo er sich Rapport erstatten ließ und die genaueste Inspektion vornahm. Von da zurückgekehrt, begab er sich erst in sein Badezimmer und trank dann eine Tasse Schokolade. Seine Minister empfing der König gewöhnlich nur zweimal in der Woche und dann gemeinsam, morgens um acht Uhr. In dieser Audienz hielt er förmlich Ministerrat, der selten länger als zwei Stunden dauerte; zwischen zehn und elf Uhr fanden die offiziellen Audienzen statt, in ihnen empfing Viktor Emanuel fremde Fürsten, die Botschafter und wer eben sonst angemeldet war. Gegen zwölf Uhr speiste er zu Mittag und zwar immer ganz allein; das Diner, aus zwei oder drei Schüsseln bestehend, trug in Zusammenstellung und Bereitung der Speisen einen ganz bürgerlichen Charakter. Eine wahre Pein war es für ihn, den Galadiners beizuwohnen, die er notgedrungen geben mußte; er nahm dabei den Ehrenplatz ein, aß aber niemals mit. Diese Sonderbarkeit trieb er soweit, daß er selbst auf seinen Reisen nicht davon abging: bei den großen Hofdiners zu Paris, Wien und Berlin, die ihm zu Ehren veranstaltet wurden, schaute er bloß zu, wie seine Mitgäste die Kinnladen rührten. Nach seiner Mahlzeit hielt er als guter Italiener Siesta. Um drei Uhr nachmittags erschien der Chef des Privatkabinettes, um dem König die eingelaufene Post zu unterbreiten; fast täglich enthielt die Mappe eine Anzahl rekommandierter, reservierter Briefe, die dann Viktor Emanuel persönlich öffnete. Bei der Spazierfahrt, die er nach Entlassung des Kabinettschefs vornahm, ließ sich der König meistens von seinem Oberststallmeister, dem Grafen Castellengo, begleiten. Wenn Viktor Emanuel in gutem Humor sich selber als den »häßlichsten Mann in Italien« bezeichnete, so hatte er die Rechnung ohne den Wirt, d. h. ohne seinen Oberststallmeister gemacht, denn Castellengo konnte in jeder Beziehung mit seinem hohen Brotherrn um die Palme der negativen Schönheit ringen. Klapperdürr, lang wie eine Bohnenstange, vereinigte der Graf in seiner Erscheinung alle Eigenschaften einer mustergültigen Vogelscheuche … Von seiner Spazierfahrt zurückgekehrt, pflegte Viktor Emanuel Familienbesuche zu empfangen, oder Leute bei sich zu sehen, die sein volles Vertrauen genossen. Bei dringender Veranlassung hatten auch die Minister zu dieser Stunde Zutritt. Den Rest des Abends verbrachte er nach einem wechselnden Programm; blieb er zu Hause, so las er; die Literatur, die er sich erkor, entsprach seinem realistischen Geschmack: Jagdabenteuer, Reisebeschreibungen, Monographien über Pferde, Hunde und dgl. Auch einen Auszug aus den wichtigsten italienischen und ausländischen Journalen, der ihm täglich vorgelegt wurde, pflegte er dann zu überfliegen. Besonders aber amüsierte ihn die Lektüre der zahlreichen Projekte und Bittschriften, die ihm entweder während der Spazierfahrt – häufig von Frauenhand – in den Wagen geworfen, oder mit der Post zugeschickt wurden. Kunst und Wissenschaft boten ihm kein Interesse; zwei- oder dreimal in der Woche besuchte er die Oper oder den Zirkus, die beste Musik ließ ihn kalt, für den Zauber der Töne hatte er – bei einem Italiener doppelt merkwürdig! – absolut kein Verständnis. Desto mehr animierte ihn das Ballett. Erst wenn in der Oper der Tanz losging, erschien Viktor Emanuel in seiner Proszeniumsloge, um eine scharfe Revue über die paradierenden Waden abzuhalten – mit der letzten Pirouette verschwand er wieder und ließ die brillanteste Primadonna getrost weitertrillern. Auch an solchen Abenden, wo er ausfuhr, kehrte er regelmäßig um elf Uhr wieder heim, und von diesem Brauch wich er selbst nicht ab, wenn er die Soiree seiner Maitresse und spätern morganatischen Gemahlin, der Gräfin Rosina Mirafiori, Die mächtige Odaliske war die Tochter eines Regimentstambours. besuchte. Bei derartigen größern Gesellschaften beteiligte er sich übrigens nur in ganz lakonischer Weise an der Konversation; er zog das Zwiegespräch dem allgemeinen vor und demzufolge empfing er bei sich ungern zwei Personen auf einmal. War er bei guter Laune, so liebte er es, mit dem einen oder andern seiner Vertrauten lebhaft und in witziger Weise zu plaudern und sich die galanten Klatschgeschichten des Tages rapportieren zu lassen. Niemals aber geschah dies anders, als unter vier Augen. War ihm ein Besuch unwillkommen, so blieb er einfach stehen, und diesen Fingerzeig verstand jeder; im entgegengesetzten Fall mußte der Gast dem König gegenüber Platz nehmen, so daß ihm dieser gerade ins Gesicht sehen konnte. Die Art und Weise, in der er bei solcher Gelegenheit Zigarren offerierte, war der Gradmesser für die Länge oder Kürze der Audienz.

Um halb zwölf Uhr nachts ließ sich Viktor Emanuel sein Souper servieren, das noch frugaler war, als das Diner. In der heißen Jahreszeit z. B. begnügte er sich meistens mit frischem Salat und einigen hartgesottenen Eiern, dazu trank er ein Glas Wein mit Wasser vermischt. Auch dieses Mahl nahm er jahraus, jahrein stets ohne jeden Tischgenossen ein – gerade wie der Papst, bei dem es allerdings die Hofetikette vorschreibt. Um Mitternacht legte sich Viktor Emanuel zur Ruhe nieder. Das war ungefähr das tägliche Einerlei, in dem der Re galantuomo zu Turin, später zu Florenz und Rom sein Leben zubrachte, wenn nicht, wie schon zuvor bemerkt, Reisen, Jagdausflüge, Inspektionstouren usw. dieses normale Programm nach der einen oder andern Seite hin verschoben.

* * *

Scheinbar in den Anblick des lieblich pittoresken Naturbildes versunken, das die westwärts dämmernde Sonne mit ihrer Glorie von Gold und Purpur übergoß, beschäftigten den König in Wirklichkeit ganz andere und nichts weniger als rosige Gedanken. Kurz zuvor war ein Telegramm eingelaufen, worin der Kommandant von Spezzia die Ankunft der Korvette meldete, an deren Bord Garibaldi die unfreiwillige Überfahrt von Calabrien nach Varignano, dem Orte seiner vorläufigen Internierung, gemacht hatte. Wie das Telegramm weiter berichtete, waren bereits die kundigsten Chirurgen von Genua und Pisa eingetroffen, um die Fußwunde des Condottiere zu pflegen und die tiefsitzende Kugel zu entfernen. Die Gemütsstimmung Garibaldis – Gefangener und Patient zugleich – sei, so schloß der Rapport, eine höchst erbitterte und mit besonderm Schmerz und Zorn erfülle ihn die von der italienischen Regierung angeordnete Trennung von seiner Freischar, die, wie wir uns erinnern, nach Reggio dirigiert worden war. Wenn irgendein Mann in Italien, so war es gerade Viktor Emanuel, der das patriotische Weh Garibaldis am besten begriff und in menschlicher Sympathie billigte. War denn nicht auch für ihn selber, wie für den grollenden Condottiere, der Fundamentalsatz »Rom, die Hauptstadt von Italien«, der leuchtende Zielpunkt seines ganzen Sinnens und Trachtens? Hatte es ihn, den heißblütigen König, vielleicht weniger Selbstbezwingung gekostet, dem kategorischen Befehle Louis Napoleons zu gehorsamen? Die Drohung des fränkischen Imperators, Neapel zu besetzen, war – Viktor Emanuel wußte es am besten! – eine durchaus ernstgemeinte gewesen und wenn der König sich und dem italienischen Heere diese grausame Demütigung ersparen wollte, so mußte er den Condottiere dem höhern Gebote der Staatsraison opfern. Mit eisernem Griff hielt ja der Napoleonide den Faden fest, an dem er den kaum entpuppten italienischen Reichsschmetterling flattern ließ, und wie wenig Frankreich gewillt war, auf seine bevormundende Rolle zu verzichten, wie mißtrauisch man in den Tuilerien die Haltung des Turiner Kabinetts beobachtete, wie man dort über das stille Einverständnis Viktor Emanuels mit Garibaldi nicht den geringsten Zweifel hegte – dafür zeugte ein mit dem Zaunpfahl gegebener Wink, den der Re galantuomo als an seine persönliche Adresse gerichtet betrachten durfte. Als die erste Kunde von Garibaldis meuterischem Römerzug nach Biarritz gelangt war, hatte der Kaiser mit eisigem Lächeln zu dem italienischen Gesandten gesagt: »Ich habe Italien als Kind an das Lebenslicht bringen helfen und mich an seiner ersten Pflege beteiligt. Nun hat der Bambinello Zähne bekommen und will mir in den Finger beißen, aber er soll sich wohl besinnen, denn meine Ammengutmütigkeit reicht nicht so weit, daß ich solch einen Undank ungezüchtigt hingehen ließe« …

Mit einem grimmigen Ruck schleuderte Viktor Emanuel seinen Zigarrenstummel zum Fenster hinaus und erhob sich von seinem Sessel; seine Hände in die Hosentaschen versenkend, durchschritt er in zorniger Erregung das Gemach, während Silvano – des Königs Lieblingshund und treuer Gesellschafter – mit seinen verständigen Augen das Hin und Her des Gebieters verfolgte, ohne ihn durch eine unzeitige Liebkosung in seinem ernsten Denken zu stören.

Mit dem mechanischen Griff des passionierten Rauchers entnahm Viktor Emanuel seinem Etui eine frische Zigarre und zündete sie an: es war, als entströme dem würzigen Kraut ein besänftigender Zauber, denn gleich nach den ersten Zügen mäßigte sich der nervöse Schritt des Königs zu einem ruhigern Tempo. Noch eine kurze Weile durchkreuzte er das Kabinett, dann trat er an den Tisch hin und setzte eine silberne Glocke in Bewegung. Schon im nächsten Moment erschien Tommaso, der vertraute Leibkammerdiener und, wie sein königlicher Herr, ein echter Savoyarde von Kopf bis zu Fuß.

»Bringe mir meine Lampe Zu den vielen Absonderlichkeiten des Königs gehörte auch seine Abneigung gegen das Gaslicht. und schicke Paolini her!« gebot Viktor Emanuel mit seiner dröhnenden Baßstimme. Schon nach wenigen Minuten erschien der alte Diener mit einer einfachen Astral-Lampe.

»Und Paolini?« wollte der König wissen.

»Wird sogleich kommen, Sire,« rapportierte Tommaso in dem gleichen savoyischen Patois, in welchem ihn sein hoher Stammesgenosse angeredet hatte.

» Ben, tieng à esgarée!« Mit einem freundlichen Wink entließ der Monarch den Alten, der mit einer soldatisch abgezirkelten Verbeugung verschwand.

Gleich darauf trat ohne jede weitere Formalität ein Gast in das Kabinett und verneigte sich halb respektvoll, halb familiär vor dem König, der mit einem leichten Kopfnicken dankte. Schon vor dem Erscheinen des neuen Ankömmlings war Viktor Emanuel zu seinem Platze am Tische zurückgekehrt. Nach einem Sessel deutend, der gerade ihm gegenüber den Tisch flankierte, sagte er, diesmal in regelrechtem Italienisch: »Setze dich, Paolini.«

Ungezwungen leistete dieser der Aufforderung Folge. Der König schob ihm sein offen auf dem Tisch liegendes Etui hin. »Zünde dir eine Zigarre an, Paolini.« Ohne jede Ziererei griff der Gast nach dem huldvoll dargebotenen Glimmstengel. Offenbar geschah dies nicht zum erstenmal – der Unbefangenheit nach zu schließen, die der Mann in seiner ganzen Haltung offenbarte.

Paolini – wie der König ihn angeredet hatte – stand anscheinend so ziemlich im gleichen Alter wie Viktor Emanuel. Größer und schlanker gewachsen als dieser, vereinigte Paolini in seiner Erscheinung ein ganz eigenes, schwer zu definierendes Mixtum compositum von Höfling und lachendem Philosophen.

Im Gegensatz zu dem Laisser aller Viktor Emanuels präsentierte sich Paolini » tiré à quatre épingles«, wie die Franzosen sagen. Sein schwarzer Anzug, seine blütenweiße Pikeeweste und dito Krawatte trugen den Stempel geschmackvoller Eleganz. Ein sorgfältig gepflegter, kurz verschnittener Schnurrbart gab dem hagern, tiefbraunen Gesichte einen militärischen Anstrich; in den von buschigen Brauen überschatteten, glänzenden schwarzen Augen lag der Ausdruck ungewöhnlichen Scharfsinns und steter Wachsamkeit. Um es gleich zu sagen: Signore Raffaello Paolini gehörte zu den mysteriösesten Figuren in der Umgebung des Re galantuomo. Wie und wo Viktor Emanuel eigentlich diese Persönlichkeit aufgestöbert hatte – darüber zirkulierten verschiedene Lesarten. Genug, der Mann war einmal da und ebenso feststehende Tatsache war es, daß er – allen Intrigen seiner zahlreichen offenen und verdeckten Feinde zum Trotz – das unbeschränkteste Vertrauen seines königlichen Gebieters besaß und sich zu wahren wußte. »Polizeiinspektor im persönlichen Dienste Seiner Majestät«: so lautete der offizielle Titel, unter welchem Paolini bei Hofe fungierte. »Leporello im persönlichen Dienste Don Juans«: so flüsterten und wisperten unter vier Augen die Bürger und Bürgerinnen der guten Stadt Turin …

Ob nun Polizist, ob Leporello, oder ob beides zusammen – gegen jedermann, selbst gegen seine giftigsten Feinde, war Signore Paolini die personifizierte Artigkeit und nichts konnte das feine Lächeln stören, das als steter Sonnenschein seine Lippen umspielte, sobald und solange er mit der Außenwelt verkehrte. Wir haben soeben gesehen, in welch zwangloser Form er bei dem König auftrat und es mag gleich erwähnt werden, daß ihn Viktor Emanuel nicht bloß zu privaten Zwecken, sondern auch zu staatspolitischen Diensten benutzte. Paolini war die bequeme Horchmaschine, durch die der Re galantuomo von Tag zu Tag die leisesten Echos auffing – Paolini spielte, wenn der Fall eintrat, noch eine andere und ungleich schwierigere Rolle: er war der Deus ex machina, der ebenso diskret wie energisch den König aus der Patsche zog, wenn eines oder das andere der zahllosen galanten Abenteuer, in die sich Viktor Emanuel oft recht unbesonnen stürzte, eine Wendung nahm, die für das Dekorum und die Börse des Landesvaters gefährlich werden konnte.

Die Bewegung, die Garibaldi mit den Rüstungen zu seinem rebellischen Römerzug drunten auf der Insel Sizilien hervorgerufen hatte, konnte, den drohenden Pressionen des französischen Kabinettes gegenüber, für den König durchaus eine gleichgültige Sache sein und demzufolge war er kurz zuvor aus seiner Sommerfrische nach Turin geeilt, um von hier aus, im Kreise des gleichfalls zusammenberufenen Ministerrates, die weitere Entwickelung der Garibaldischen Schilderhebung zu beobachten, resp. die nötigen diplomatisch-militärischen Maßnahmen zu erwägen. Nach gewohnter Sitte machte Viktor Emanuel allabendlich seine Spazierfahrt und zwar nach dem Korso, der sich am linken Ufer des Po zwischen den beiden Brücken, die den Fluß überspannen, hinzieht. Der Oberststallmeister Graf Castellengo war bei diesen Fahrten der regelmäßige Begleiter des Königs.

Eines Abends nun kreuzte sich auf dem Korso mit der königlichen Karosse eine offene Kalesche, in der eine junge bildschöne, höchst elegant kostümierte Dame, die mit einer graziös-ehrfurchtsvollen Verbeugung den Monarchen begrüßte. » Corpo di Bacco!« wandte sich der König an seinen Gesellschafter: »reizende Figur! Wer ist sie? wie heißt sie?«

Ein Achselzucken Castellengos war die Antwort auf die Doppelfrage.

»Sie scheint hier fremd – überhaupt keine Italienerin zu sein,« sprach der König vor sich hin, indem er sinnend der Kalesche nachblickte.

Am folgenden und nächstfolgenden Abend abermals Begegnung auf dem Korso. Graziöse Verbeugung und schelmisches Lächeln der Sirene.

»Du weißt immer noch nicht, wer sie ist?!« interpellierte am dritten Abend der König seinen Oberststallmeister.

»Nein, Sire, aber ich will es bis morgen erfahren.«

»Ich wüßte es schon seit vorgestern, wenn Paolini hier wäre,« bemerkte etwas ärgerlich Viktor Emanuel. Paolini befand sich gerade damals im Ausland, in irgendeiner geheimen Mission.

Der Vorsatz Castellengos, dem pikanten Rätsel auf die Spur zu kommen, sollte übrigens gar nicht zur Ausführung gelangen, denn schon am folgenden Morgen empfing der König mit den an seine persönliche Adresse gerichteten Briefschaften ein Schreiben, das den Stempel der Stadtpost und als Siegel eine Grafenkrone trug. Die zierlichen Schriftzüge der Adresse und der Duft eines zarten Parfüms, der dem Kuvert entströmte, ließen sofort erraten, daß die niedliche Epistel aus dem Boudoir einer Dame kam. Parfümierte Billetts waren für den Re galantuomo keine Seltenheit, er empfing deren mehr als genug, ohne sich besonders um die höchst animierten Eifersuchtsszenen zu kümmern, die ihm seine Juno zur linken Hand, die Gräfin Mirafiori, dann und wann bereitete. Erwartungsvoll öffnete er das Billett; es war in französischer Sprache geschrieben und lautete:

»Sire!

Ich bin eigens nach Turin gekommen, um in einer höchst wichtigen Angelegenheit Ihren weisen Rat einzuholen. Ich hatte bereits das Glück, Ew. Majestät mehrmals auf dem Korso zu begegnen, und es wollte mir scheinen, als sei ich von Ew. Majestät eines besonders huldvollen Grußes gewürdigt worden.

Meine ehrfurchtsvolle Bitte geht dahin, sobald wie möglich von Ew. Majestät in einer kurzen, aber durchaus vertraulichen Audienz empfangen zu werden, und ich glaube, Sire, um so mehr auf einen gnädigen Bescheid hoffen zu dürfen, als es sich um Dinge von großer finanzieller Bedeutung handelt, die sich auf unsere Familie beziehen. Ich logiere im Hotel Europa und erwarte mit Sehnsucht Höchstdero Botschaft.

In tiefster Ehrfurcht
Ew. Majestät treu ergebenste Cousine

verw. Gräfin Semiramis von S…, Im Original war selbstverständlich der Name voll ausgeschrieben.
geb. Gräfin von Rohan-Guémenée.«

Das verwunderte Gesicht des Königs läßt sich denken. »Eine Cousine!« brummte er in seinen dicken Schnurrbart hinein: » Cospetto, aus welchem Winkel mag der Wind dieses Bäschen über die Alpen geweht haben?!«

Er nahm nochmals das kuriose Schreiben zur Hand. Die Verwandtschaft der erlauchten Häuser Savoyen und Rohan war eine genealogische Tatsache, konnte also die Neugierde Viktor Emanuels nur noch steigern. Nach kurzem Besinnen ließ er seinen Adjutanten Oberst Bagnasco zu sich entbieten: Bagnasco, der schon öfters als Postillon d'amour des Königs fungiert hatte, sollte sich nach dem Hotel begeben, sich in diskreter Weise vorstellen und dabei dem pikanten Bäschen näher auf den Zahn fühlen; je nach dem Resultat wollte dann der Re galantuomo seinen Bescheid formulieren. Des Lobes voll kam der Sendbote zurück. Er hatte in Gräfin Semiramis, außer ihrer bezaubernden Schönheit, eine ebenso geistreiche als feingesittete Dame gefunden, die, ihrer Aussage zufolge, von Trouville, dem französischen Modeseebad, eigens nach Turin gekommen war, um in einer hochwichtigen Millionenerbschaftsangelegenheit den König, als Familienchef, zu konsultieren. Die reizende junge Witwe hatte sich über diesen Punkt nicht weiter ausgelassen, vielmehr dem Adjutanten zu verstehen gegeben, sie könne ihr Anliegen nur dem Monarchen persönlich vortragen.

» Ebbene,« lachte Viktor Emanuel: »so soll sie es tun! Mag mein Rat ihr helfen oder nicht, mag meine Verwandtschaft mit ihr von Rohan oder von Adam her datieren – in allen Fällen werde ich mit ihr ein amüsantes Stündchen verplaudern. Das glaubst wohl auch du, Bagnasco?«

» Ma certamente, Sire!« bestätigte der Oberst mit einem feinen Lächeln …

Um die von dem König anberaumte Stunde erschien noch am gleichen Tage die Gräfin im Palais. Sie kam, sah und – siegte! Mehr als zwei Stunden währte die vertrauliche Erbschaftskonsultation. »Die Geschichte fängt gut an,« philosophierte im Vorzimmer der Oberst Bagnasco. Unter Beobachtung des üblichen Zeremoniells war das pikante Bäschen in das Kabinett des Königs gelangt, in gleicher Weise erfolgte auch der Rückweg. Am nächsten Tage war es schon anders. In dem Schloßflügel, der, dem Palazzo Madama gegenüber, an den Königspark stößt, lagen die sogenannten »reservierten Gemächer« Viktor Emanuels. Nur sehr, sehr wenigen Angehörigen des generis masculini ist es vergönnt gewesen, in dieses geheimnisvolle Sesam einen Blick zu werfen, das sich desto williger vor dem Zauberstabe des schwachen Geschlechtes erschloß. Und es brauchten nicht einmal immer seidene und samtene Roben zu sein, die den Eintritt in dieses Allerheiligste suchten und fanden: auch dem roten Flanellrock irgend einer drallen Contadinella Bauerndirne. stand, wenn es galt, die Pforte offen.

Gleich am folgenden Tage betrat, dicht verschleiert, das Erbbäschen von der Schloßgartenseite her das Palais. Tommaso, der uns bereits bekannte alte Leibkammerdiener, stand schon auf seinem Posten und schritt jetzt als Führer voraus. Durch einen langen, öden Korridor kam die junge Witwe an eine braune, stark mit Eisen beschlagene Türe, die Tommaso sofort wieder sorgsam hinter sich verschloß. Sie durchschritten zwei fast unmöblierte Zimmer, in deren letztem eine kleine Wendeltreppe zur obern Etage hinanführte. Hier nochmals ein Vorgemach und dann das Sanktissimum, ein himmelblau tapezierter, von halber Dämmerung verschleierter Salon. In einer Nische ein türkischer Diwan mit schwellenden Polstern … Aus dem Hintergrund erhob sich eine Mannesgestalt.

» Entrate, madama!« flüsterte der Kammerdiener, indem er mit einer Verbeugung an der Schwelle stehen blieb.

Im nächsten Moment war der diskrete Alte schon verschwunden.

* * *

Etwa eine Woche lang hatten die eifrigen Erbschaftskonsultationen in dem blauen Salon stattgefunden, als eines schönen Tages Raffaello Paolini von seiner ausländischen Tour zurückkehrte. Der König empfing ihn sogleich zum Geheimrapport. Dann kam er auf anderes zu reden – auch auf die neu entdeckte Base und ihre Familienangelegenheit.

»Eine geborene Rohan?!« machte Paolini, indem er seine buschigen Augenbrauen leicht in die Höhe zog.

» Veramente,« nickte der Landesvater: »witterst du schon wieder Unrat, du ungläubiger Thomas?«

» Da ninna parte,« erklärte ruhig der Leibpolizeiinspektor: »ich wundere mich nur, daß diese Cousine Ew. Majestät so plötzlich aufgetaucht ist.«

»Auch mir war ihre Existenz bisher ein seliges Geheimnis!« lachte der Re galantuomo: »es unterliegt übrigens keinem Zweifel, daß in ihren Adern wirklich ein Tropfen savoyisches Blut fließt. Sie hat mir verschiedene alte Dokumente vorgelegt, aus denen hervorgeht, daß ihre Urgroßmutter eine Prinzessin von Savoyen-Carignan gewesen ist, die sich dann mit einem Rohan aus der gräflichen Linie vermählt hat.«

Paolini verzog bei dieser genealogischen Erklärung keine Miene.

Den König ärgerte wohl das zweideutige Schweigen, denn er fuhr mit einem gewissen pikierten Nachdruck fort: »Aus den Briefen und Aktenstücken ihres Advokaten, die ich gelesen habe, erhellt jedenfalls, daß es mit dem Erbschaftsprozeß seine Richtigkeit hat. Es handelt sich um neun oder zehn Millionen, die der Gräfin auf eine ganz infame Weise streitig gemacht werden. Ich werde dir das alles ein andermal genauer auseinandersetzen.«

»Auch ohne diese Erbschaft ist die Gräfin natürlich in der Lage, standesgemäß aufzutreten?« warf Paolini fragend hin.

Nun ja, nun ja!« antwortete der König kurzhin: »Ich hab' dir ja schon bemerkt, daß sie in jeder Beziehung die große Dame repräsentiert.«

»Dann ist also« – setzte Paolini in stoischer Ruhe sein Examen fort – »auch nicht zu besorgen, daß die Gräfin Ew. Majestät gelegentlich mit pekuniären Forderungen belästigen könnte?«

Dieser plötzliche Einwurf seines » grande esecutore di giustizia«, Ober-Justizvollstrecker. wie Viktor Emanuel den Inspektor scherzweise zu nennen pflegte, schien dem König nicht zu behagen. In seinen Gesichtszügen malte sich die Unschlüssigkeit, mit welcher Entgegnung er diesen jähen Flankenstoß parieren solle.

In dem Blick, den Paolini über seinen erlauchten Inquisiten hinstreifen ließ, lag der Ausdruck eines leisen Schelmenhumors.

Mit einem Ausbruch jenes derben, dröhnenden Lachens, das jeder kennt, der näher mit Viktor Emanuel verkehrt hat, riß sich der bedrängte Examinand aus der Klemme. »Na, tortoraccio!« Quälgeistchen. polterte er: »Was soll ich dir die Sache länger vorenthalten! Deine Schnüffelnase würde ja doch dahinter kommen. So will ich es dir geradezu beichten: Ich habe der Gräfin dreißigtausend Lire geliehen. Es läßt sich begreifen, daß der Prozeß, den sie führt, schweres Geld kostet und sie in ihrem Budget momentan derangiert hat.«

Paolini nickte zustimmend vor sich hin, doch Viktor Emanuel kannte seinen Mann, und so setzte er eifrig hinzu: »Verstehe wohl, sie hat die dreißigtausend Lire nur geliehen und wird sie zurückerstatten, sowie der Administrator ihrer Güter die fälligen Revenuen flüssig gemacht hat. Also beruhige dich – mein Geld ist bei dem Frauchen gut aufgehoben.«

»Das glaube auch ich, Sire,« bemerkte der Inspektor im naivsten Ton von der Welt: »Ich möchte mir bei Ew. Majestät nur noch eine kleine Frage erlauben.«

»Nun, Herr Naseweis?« lachte der joviale Monarch.

»Ist die Frau Gräfin, seitdem sie die dreißigtausend Lire geliehen hat, mit einem neuen Anliegen an die Börse Ew. Majestät herangetreten?«

Der König zwirbelte die Spitze seines riesigen Schnurbarts um den Finger und schien einen Moment zu überlegen. »Nun ja, gestern hat sie mich um ein weiteres Darlehen von zehntausend Lire ersucht, da der Schlingel von Administrator immer noch auf sich warten läßt.«

»Und Ew. Majestät haben dem Gesuch entsprochen?«

»Nicht sofort,« erklärte der König: »meine Kasse laboriert gegenwärtig selber an einer trübseligen Ebbe … Erinnere mich nur morgen gleich daran, daß ich für Visone, den zähen Knicker, ein paar Fasanen oder Rebhühner zusammenschieße.«

Mit einem ernsten Blick fixierte Paolini seinen Gebieter. »Sire, erweisen Sie Ihrem treuen Diener die einzige Gnade, der Frau Gräfin bis auf weiteres keinen Soldo mehr zu – leihen.« Der König machte eine ungeduldige Bewegung.

»Und noch eine Bitte gestatte ich mir an Ew. Majestät zu richten,« bemerkte, ohne sich durch die Verstimmung Viktor Emanuels beirren zu lassen, der polizeiliche Schutzengel, indem er dem grollenden Löwen fest in die Augen sah.

»Laß hören – in Teufels Namen!« brummte der Landesvater, während er zu einer frischen Zigarre griff und ihr mit einem Ruck den Kopf abbiß.

»Sire,« erklärte Paolini in ruhigem, aber bestimmtem Ton: »erlauben Sie mir, der Frau Gräfin einen Besuch abstatten zu dürfen, ohne daß jedoch Ew. Majestät die Dame darauf vorbereiten, oder bei ihr durch irgend welche Bemerkung ein Mißtrauen gegen meine Person wachrufen.«

Viktor Emanuel erhob sich von seinem Sitze und durchschritt einige Male rasch das Gemach, dann trat er mit einer kurzen Wendung vor den erbarmungslosen Freudenstörer hin. »Ich weiß,« schmollte er, »was das Ende vom Lied sein wird – du willst mich einmal wieder als Engel mit dem Flammenschwert aus dem Paradiese treiben. Ah, perfido!«

»Sire,« tröstete der geheime Leibargus mit einem feinen Lächeln: »das Paradies hat glücklicherweise verschiedene Hinterpförtchen … Ich darf mir also erlauben, der Frau Gräfin morgen meine Aufwartung zu machen?«

» Per causa mia, diavoletto!« knurrte ärgerlich und lachend zugleich der Re galantuomo, indem er dem treu erprobten Intimus einen scherzhaften Nasenstüber gab. »Vergiß aber nicht, daß die Gräfin meine Cousine ist!«

»Wie ich der Vetter des Papstes,« dachte der skeptische Polizeiinspektor.

* * *

»Erinnere mich daran, daß ich für Visone, den zähen Knicker, ein paar Fasanen oder Rebhühner zusammenschieße,« hatte der König bei Erwähnung seines problematischen Kassenbestandes zu Paolini gesagt.

Trotz seiner hohen Zivilliste von nahezu vierzehn Millionen Lire stak Viktor Emanuel in einer fast permanenten Geldklemme. Sicherlich lagen ihm infolge der politischen Umwälzung mannigfache und außergewöhnliche Verpflichtungen ob. Die Schlösser der depossedierten italienischen Partikularfürsten – ein unbegehrtes Danaergeschenk – verschlangen bedeutende Summen für ihre Instandhaltung; die Pensionen, die sich an die Auflösung dieser Hofstaaten knüpften, drückten unbehaglich auf die königliche Schatulle. Nichtsdestoweniger hätten die ökonomischen Verhältnisse Viktor Emanuels, bei seinen Lebzeiten, wie auch später nach seinem Tode, einen ungleich würdigern Aspekt darbieten können, wenn – – ja wenn nicht die vielen »Aber« gewesen wären! …

Wie schon bemerkt: die Erhebung zum König von Italien bedingte mancherlei lästige Ausgaben, andererseits aber darf auch nicht übersehen werden, daß Viktor Emanuel so gut wie gar keinen Hofhalt führte. Mit vier Galadiners im Jahr machte er kurzweg sein repräsentativ-gesellschaftliches Pensum ab. Schon seit Jahr und Tag war er Witwer, so daß der ganze Hofstaat der Königin in Wegfall kam, während der Kronprinz (Humbert) und die Kronprinzessin (Margherita) in streng geregelter Einfachheit von ihrer nicht übergroßen Apanage lebten, ohne jemals die pekuniäre Beihilfe des Vaters in Anspruch zu nehmen.

In Geldsachen war Viktor Emanuel eben nur allzu sehr bon enfant. Durch eine maßlos gutmütige Freigebigkeit bereitete er seinem Hausminister Visone stete Verlegenheiten und machte diesen vielgeplagten Säckelmeister oft das helle Blut schwitzen. Visone und Aghemo, der Chef des Privatkabinetts, lagen sich wiederum ihrerseits Tag aus, Tag ein in den Haaren. Wie ein zähnefletschender Cerberus saß Visone auf seinem Kassendeckel, um keinen Pfennig unnütz entwischen zu lassen – Aghemo dagegen umkreiste auf Samtpfoten wie ein schnurrender Kater die lockende Truhe, um im günstigen Moment einen flinken Griff zu tun. Der aalglatte Aghemo übte auf den König einen großen Einfluß aus. Als Schwager der Gräfin Mirafiori, der Prima-Maitresse Viktor Emanuels – auf deren Fürsprache der junge Mann seinen wichtigen Posten erlangt hatte – war der Kabinettschef natürlich darauf bedacht, die Interessen seiner Protektorin in erster Linie wahrzunehmen – ohne aber dabei seine eigenen zu vergessen, denn als mehrfacher Millionär ist er später aus seinem Amte geschieden. Der Vorwurf, daß die Mirafiori überhaupt die Hauptveranlassung zur Zerrüttung der königlichen Vermögensverhältnisse gewesen sei, ist kein ungerechter. Dame Rosina, die Tambourstochter trug auf ihrem üppigen Nacken einen ungemein spekulativen Kopf; mit dem Kurszettel des internationalen Geldmarktes z. B. war sie vertraut wie nur der abgebrühteste Börsenjude. Sie hatte von ihrem königlichen Buhlen ein paar Kinder, an denen Viktor Emanuel mit einer blinden Affenliebe hing, und für die er keine Opfer scheute. Aus dieser Vaterliebe schlug das pfiffige Weib weidlich Kapital; nicht bloß in Hofkreisen wußte man dies – auch die liberale Presse rügte in mehr oder minder scharfer Form, daß der König seiner »offiziösen« Familie viel mehr zugetan sei, als seinen rechtmäßigen Kindern. Daß unter solchen Umständen der Hausminister Visone der geldgierigen Maitresse keine allzu große Sympathie entgegentragen konnte, läßt sich begreifen. Manchmal genierte sich übrigens Viktor Emanuel selber, dem gestrengen Rentmeister seinen Mangel an Kleingeld direkt zu beichten und in derartigen Fällen nahm er seine Zuflucht zu einem höchst originellen Auskunftsmittel, für das der unglückliche Hausminister bald ein nur allzu klares Verständnis empfing. Der König pflegte lachend von Visone zu sagen, er lasse sich lieber einen Zahn ausziehen, als daß er ein Tausendfranksbillett hergebe. Wenn nun Viktor Emanuel bis an den Hals herauf in der Finanzpatsche saß, so überschickte er durch einen seiner Jagdpikeure dem Hausminister irgendein auserlesenes Stück Wildbret, wie es die Saison gerade mit sich brachte – sagen wir z. B. einen Fasan. Dem Vogel war nichts beigefügt als ein mündlicher Gruß des königlichen Schützen und der Wunsch, der Herr Graf möge sich den Braten wohl schmecken lassen. Mit süßsäuerlichem Lächeln nahm Visone das unheimlich huldvolle Angebinde entgegen, blieb aber gewöhnlich für die Blumensprache des hohen Spenders taub. Dann erschien eine Stunde später der Pikeur wieder, diesmal mit zwei Fasanen – nach zwei Stunden mit vier – in der dritten Stunde mit acht usw., bis den letzten Transport ein Billet doux würzte, worin der Landesvater um ein Gratiale von so und so viel Tausend Lire anpochte. Aber auch dann ließ sich Visone noch immer nicht zur bedingungslosen Kapitulation herbei; häufig schickte er nur die Hälfte, oder gar nur ein Viertel der begehrten Summe, mit dem kurzen Bescheid: Ein Schelm, der mehr gibt als er hat …

Niemals nahm Viktor Emanuel eine solche Streichung ungnädig auf, wenn er auch im ersten Moment über den »herzlosen Geizhals« allerlei negative Segenswünsche herabwetterte. Seine Revanche bestand darin, sich über die Knauserei Visones in dessen und anderer Leute Gegenwart lustig zu machen. Da wußte er in drollig geheucheltem Ernst zu erzählen, Visone brüte über dem großartigen Problem, wie ein Galadiner aus lauter Schaugerichten von Pappe herzustellen, zugleich aber auch eine Vexiersauce zu bereiten sei, die, über die pappenen Braten, Fische usw. hingegossen, die Gäste in eine solche Gaumenillusion hineinzaubern solle, daß jeder darauf schwören müsse, die betreffenden Speisen in natura genossen zu haben. Oder ein anderesmal flüsterte er seiner Umgebung geheimnisvoll ins Ohr, Visone hab' nach jahrelangem Kopfzerbrechen eine neue Hoflivree erfunden zu doppeltem Gebrauch, so daß man dieselbe nur umzuwenden brauche, um sie auf der roten Seite für Gala-, auf der blauen dagegen für den gewöhnlichen Dienst zu benutzen. Zugleich sei diese Wunderlivree auch noch so konstruiert, daß unter ihrem Schutze die Lakaien ganz gut in den bloßen Unterhosen herumlaufen könnten, wodurch sich die ebenso kostspieligen als total überflüssigen Samthofen ersparen ließen …

Was im Munde Viktor Emanuels die Wirkung solch humoristischer Glossen noch unendlich steigerte, war das urkomische Mienenspiel, das er dabei entfaltete und das mit seinem grotesken Kitzel an das verstockteste Zwerchfell appellierte. Gerade in diesem lachenden Philosophismus lag das absolvierende oder doch mildernde Gegengewicht für die vielen menschlichen Schwächen des Re galantuomo und wer seine volkstümliche Figur naturgetreu zeichnen will, der darf dabei nicht des liebenswürdigen Zuges von Schelmerei vergessen, die es dem jovialen Savoyarden ermöglichte, so manchen Ärger kurzweg über Bord zu werfen.

* * *

»Ich darf mir also erlauben, der Frau Gräfin morgen meine Aufwartung zu machen?« Mit dieser Frage, die dem Monarchen, halb wider seinen Willen, eine zustimmende Antwort abgerungen hatte, war Paolini gegangen.

In tadelloser Gesellschaftstoilette fuhr am folgenden Tage der Inspektor nach dem »Hotel Europa«, wo Gräfin Semiramis ihr Absteigequartier genommen hatte und in der Bel Etage eine Reihe von Appartements bewohnte. Der Kammerfrau, die ihm entgegenkam, übergab er seine Karte, mit der beigefügten Bemerkung, eine hochwichtige Angelegenheit führe ihn hierher. Schon nach wenigen Minuten stand er vor der interessanten »Cousine«, die ihn mit all der Grandezza einer großen Dame empfing. Er sei – so erklärte im gewinnendsten Tone der Wolf im Schafskleid – von Seiner Majestät beauftragt, mit der Frau Gräfin über den gegenwärtigen Stand ihres Millionenprozesses nochmals Rücksprache zu nehmen, indem der König gewillt sei, bei einigermaßen günstigen Aussichten die Rechtsforderungen der Klägerin nach besten Kräften zu unterstützen. Zu diesem Behufe erbat sich Paolini einen nähern Einblick in die Akten. Die Gräfin erschloß eine Kassette und brachte ein Faszikel hervor, das sie mit dem süßesten Sirenenlächeln dem Mandatar des Königs überreichte. Während der Inspektor mit der Miene eines Mannes, der in solchen Sachen Bescheid weiß, die Akten durchblätterte, überschüttete ihn gleichzeitig die Dame in den wechselnden Tonarten des Schmerzes und der Entrüstung mit einem Hagel von Kommentaren, die den weitern Beweis liefern sollten, wie legitim ihre eigenen Erbansprüche und wie infam die Machinationen der Gegenpartei seien. Mit artigen Verbeugungen und einem gelegentlichen »Gewiß, Madame«, »ohne Zweifel«, »sonnenklar« usw. stimmte Paolini den sprudelnden Ausführungen der Gräfin bei. Nach einer Weile faltete er die Akten zusammen und gab sie der schönen Frau mit einer respektvollen Reverenz zurück. »Madame,« sagte er feierlich: »der flüchtige Blick, den ich soeben in diese Papiere geworfen habe, genügt mir durchaus, um mich von der vollsten Begründung Ihrer Ansprüche zu überzeugen, und ich glaube, daß der Ausgang des Prozesses für Sie nur ein günstiger sein kann, wenn Ihr Rechtsanwalt Halbwegs seine Schuldigkeit tut.«

»O, ich darf mich blind auf seinen Eifer und seinen Scharfsinn verlassen!« versicherte die reizende Witwe: »er selber ist tief empört über die niederträchtigen Ränke, durch die man mir mein gutes Recht zu verkürzen sucht.« Eine Träne feuchtete ihre blauen Veilchenaugen.

»Verzagen Sie nicht, Madame!« tröstete Paolini mit der salbungsvollen Miene eines Beichtvaters: »der liebe Gott wird alles zum Besten wenden.« Mit ihrem spitzengarnierten Taschentuch, in dessen Zipfel eine Grafenkrone eingestickt war, wischte sie sich über die Augen. »Nur im Bewußtsein meiner guten Sache und zugleich im Vertrauen auf den ritterlichen Sinn meines erlauchten Anverwandten bin ich nach Turin gekommen, um den Rat und Beistand Seiner Majestät zu erflehen.«

»Sie haben wohl daran getan, Madame,« entgegnete Paolini, indem er feinem Ton einen gewissen geheimnisvoll-vertraulichen Akzent gab: »der König nimmt nicht nur an Ihrem Rechtsstreit, sondern auch an Ihrer Person das lebhafteste Interesse … Ich darf wohl erwarten, Frau Gräfin« – setzte er wie in plötzlicher Besorgnis bei – »daß meine konfidentielle Mitteilung unter uns bleibt, denn nur unter dieser Bedingung ist mir die Gelegenheit geboten, Ihnen verschiedene nützliche Winke zukommen zu lassen. Ich kann also auf Ihre Diskretion bauen, Madame?«

Mit einer theatralischen Gebärde legte die »Cousine« ihre Weiße, reichberingte Hand auf den klassisch gerundeten Busen, dessen rascheres Heben und Senken die innere Erregung verriet.

»Madame,« unterbrach mit behutsam gedämpfter Stimme Paolini das momentane Schweigen: »Sie wissen vielleicht, daß die Gräfin Mirafiori den König höchst genau überwacht, beziehungsweise überwachen läßt und mit ganz besonderm Argwohn seinen Verkehr mit dem schönen Geschlecht beobachtet.«

»Ich habe davon gehört,« antwortete die Gräfin: »die alternde Dame wird wahrscheinlich von der Eifersucht geplagt.«

» C'est ça, madame!« lächelte der so plötzlich gefundene Bundesgenosse: »die Gräfin Mirafiori, obwohl sie sich zurzeit im Bad befindet, hat bereits von Ihrer Anwesenheit, Madame, Kenntnis erhalten und ebenso prompt verschiedene Hebel in Bewegung gesetzt, um der vermeintlichen Nebenbuhlerin einen Riegel vorzuschieben.« Mit einer spöttischen Gebärde zeigte die »Cousine« ihre schönen weißen Zähne, als wolle sie es auf eine Katzbalgerei mit Dame Rosina ankommen lassen. »Unterschätzen Sie nicht die Macht und die Energie der Gräfin Mirafiori!« warnte nachdrucksvoll Paolini: »um einen coup d'eclat zu vermeiden, dürfte der König, trotz der verwandtschaftlichen Bande, die ihn mit Ihnen, Madame, verknüpfen, imstande sein, auf einen fernern Verkehr zu verzichten. Ich erlaube mir diese Bemerkung in Ihrem eigenen Interesse, Madame, und bitte, mir darob nicht zürnen zu wollen.«

Die Millionenerbin in spe blickte gedankenvoll vor sich hin. »Was würden Sie mir raten?« richtete sie plötzlich und merklich kleinlaut die Frage an den neugewonnenen Freund.

»Madame,« erklärte dieser, »mein wohlgemeinter Rat geht dahin, dem krankhaften Argwohn der Gräfin Mirafiori vorläufig keine weitere Nahrung zu bieten, sie ist ein höchst leidenschaftliches, zu Gewalttaten geneigtes Weib und scheut, wenn es gilt, vor dem peinlichsten Auftritt nicht zurück.«

»Sie meinen also, ich solle Turin verlassen?«

» Pas du tont, Madame,« gab Paolini zurück, »Sie bleiben ruhig hier in Turin und vermeiden es bloß, mit Seiner Majestät in Berührung zu kommen, oder ein Schreiben irgendwelchen Inhaltes an ihn zu richten. Ich werde inzwischen nicht untätig sein und bezweifle nicht, Ihnen, Madame, schon in wenigen Tagen die Mittel und Wege bezeichnen zu können, wodurch sich der feindselige Schachzug der Gräfin Mirafiori lahmlegen läßt … Aber ich muß ausdrücklich wiederholen, daß ich nur dann, Madame, in Ihrem Interesse wirksam handeln kann, wenn Sie mir das feierlichste Versprechen geben, sich meinen soeben formulierten Bedingungen voll zu unterziehen.« Aus Ton und Blick Paolinis sprach ein so kategorischer Imperativ, daß bei der »Cousine« jede Einrede verstummte: sie gelobte willig, sich bis auf weitere Order weder persönlich noch schriftlich dem König nähern zu wollen. Der Inspektor rückte seinen Fauteuil, um sich zu verabschieden.

»Ich darf doch hoffen, daß Sie Seiner Majestät meine besten Empfehlungen überbringen werden?« erinnerte die Gräfin.

» Mais certainement, Madame,« versicherte Paolini mit seiner artigsten Verbeugung, »ich werde Seiner Majestät einen Bericht erstatten, der Höchstdero Interesse nur noch steigern dürfte.«

»Seien Sie meiner entsprechenden Dankbarkeit versichert!« beteuerte die junge Wittib, indem sie mit einem bezaubernden Lächeln dem wertvollen Verbündeten die Hand reichte.

Mit einem tiefen Bückling hauchte Paolini einen Kuß auf das zarte Samtpfötchen. »Noch eine Frage, Madame, möcht' ich mir erlauben,« bemerkte er wie in einem plötzlichen Gedankensprung: »besitzt der König vielleicht schon Ihr Bildnis?« Die Gräfin verneinte die Frage. »Ich habe übrigens einige sehr gelungene Photographien meiner irdischen Hülle,« lächelte sie kokett und trippelte in das Nebenzimmer. Gleich darauf erschien sie wieder mit einer eleganten kleinen Mappe, welcher sie ein Photogramm entnahm und ihrem Besuch überreichte. Mit der Miene eines Kunstrichters pflanzte Paolini sein Lorgnon auf die Nase. »Ah!« murmelte er wie in Bewunderung versunken: »prachtvolle Aufnahme! Ein wahres Meisterstück der Lichtmalerei, die allerdings,« setzte er galant bei, »nichts zu tun hatte, als sich an das reizende Original zu halten.«

»Schmeichler!« lächelte mit verführerischem Augenspiel die goldhaarige Kirke.

»Seine Majestät soll entscheiden, wieweit meine Kritik von der Wahrheit entfernt ist,« gab Paolini schalkhaft zurück und schob das Photogramm in sein Portefeuille. Mit einem verständnisinnigen Händedruck trennte man sich.

Eine muntere Arie aus dem »Nachtlager von Granada« trällernd, goß sich die Cousine auf das Sofa hin, um in die aromatischen Rauchringel einer Smyrnazigarette allerlei rosige Zukunftsträume zu verweben.

Auch Paolini, der in seiner Droschke dem königlichen Schlosse entgegenrollte, hatte sich einen Glimmstengel angezündet – auch er blickte träumerisch in die Dampfwölkchen seiner Zigarre – – – träumerisch wie ein Polizeimensch, der einen Griff plant … Kaum eine halbe Stunde später stand er im Kabinett des Königs.

»Nun,« rief ihm Viktor Emanuel entgegen: »hast du die Gräfin gesehen?«

»Jawohl, Sire,« berichtete der Inspektor: »gesehen und gesprochen.«

»Reizendes Frauchen – wie?!« schwärmte der entzückte Landesvater.

» Veramente« bestätigte Paolini: »die Dame hat in solchem Grade meine Neugierde gereizt, daß ich mit Ew. Majestät Erlaubnis heute noch meinen Reisesack packen werde« Der König runzelte die Stirne.

»Zu einem kleinen Abstecher, Sire,« lächelte der Inspektor: »ich bitte Ew Majestät um einen gnädigen Urlaub von ein paar Tagen.«

Der Re galantuomo hatte natürlich sofort den Zweck dieses Urlaubs erraten, er hütete sich daher, eine weitere Frage zu stellen. Er kannte ja die Art und Weise seines so vielfach erprobten Schutzpatrons und war davon überzeugt, daß Paolini auch jetzt die triftigste Veranlassung zu seiner Spritztour hatte.

»Reise zum Teufel!« brummte er mit einem leichten Seufzer, der dem blauen Salon und der pikanten »Cousine« galt …

Abends mit dem Kurierzug verließ der Inspektor Turin. Auch dem König hatte er zuvor das Versprechen abgewonnen, sich bis zu seiner Rückkehr jeden Verkehres mit dem Bäschen enthalten zu wollen. Mit einem derben Jägerfluch hatte sich Viktor Emanuel zu dem Gelübde bequemt.

In direktem Strich sauste Paolini nach – Wien. Das Photogramm, das er der Millionenerbin so arglistig entlockt hatte, war ihm zum hilfreichen Fingerzeig geworden. – auf der Rückseite des Konterfeis stand der Name des Wiener Lichtkünstlers, in dessen Atelier die Aufnahme geschehen war. Ohne sich lange an Trouville – den angeblich vorletzten Aufenthalt der Gräfin – zu kehren, wandte er sich also kurzweg nach der schönen blauen Donau, um zunächst von da aus das mystische Bild von Saïs zu entschleiern. Und wirklich kam er bei dem Polizeipräsidium der Kaiserstadt gleich an die rechte Schmiede: der phantastische Roman der Millionenerbin zerfloß in blauen Dunst – die »Cousine« entpuppte sich als die separierte Ehehälfte eines ungarischen Grafen S…, der es vom Husarenoffizier und Rittergutsbesitzer bis zum blanken Lump gebracht hatte. Von Geburt Französin, war die Schwindlerin, in deren Adern selbstverständlich keine Spur von einem Rohanschen Blutstropfen floß, Ballettänzerin gewesen; von einer ungewöhnlichen Intelligenz unterstützt, hatte sie sich soviel Schliff angeeignet, um im vollendetsten Maße die große Dame spielen zu können.

Wie übrigens aus den Wiener Polizeiakten zu ersehen, hatte die Ex-Ballerina in der Schweiz auch schon einen andern zukünftigen Landesvater, den Kronprinzen von **, nach allen Regeln der Kunst gerupft. Aus guten Gründen war die tragikomische Affäre totgeschwiegen worden.

Nach einer galanten Odyssee durch halb Europa war die Abenteuerin nach Turin gedampft, um hier, ebenso dreist wie erfolgreich, auch an dem liebesbedürftigen Re galantuomo ihren Zauber zu erproben. Die Familiendokumente und Erbschaftsakten, die sie vorgelegt hatte, waren, nebst den beigedruckten amtlichen Siegeln, das Fälscherwerk irgendeines gewandten, mit der Sirene kooperierenden Hochstaplers. – – Gleich mit dem nächsten Eilzug kehrte Paolini nach Turin zurück. Schon am andern Tage siedelte Viktor Emanuel nach seinem Sommerschlosse Moncalieri über: das Pflaster von Turin war ihm auf einmal zu heiß geworden …

Den Schlußakt der arkadischen Schäferidylle wickelte der »Oberjustizvollstrecker« nicht minder prompt ab. In derselben Reisetoilette, die er für Wien gemacht hatte, fuhr er nach kurzer Rast zum »Hotel Europa«, wo ihm die ahnungslose Cousine lächelnd entgegentänzelte. Urgemütlich ließ er sich von ihren zarten Händchen in einen Fauteuil niederdrücken und begann ebenso munter über Wind und Wetter zu plaudern. Plötzlich seine Rede unterbrechend und einen Blick auf seine Uhr werfend, bemerkte er leichthin: »Madame, es ist Zeit, daß Sie Ihre Koffer packen – in einer Stunde reisen wir.«

»Wir reisen?!« stammelte sie unwillkürlich erbleichend.

»Gewiß, meine Gnädige!« bestätigte er mit einer artigen Verbeugung: »Wir machen wie zwei Turteltauben unser Nest in einem behaglichen Coupé erster Klasse, wo niemand unsre Unterhaltung stören wird.«

Die Landstreicherin hatte sofort begriffen, daß sie entlarvt sei: Blick und Ton des unerbetenen Reisebegleiters zeugten dafür. Noch ein letzter Trumpf blieb ihr auszuspielen. Sie tat's mit einer Gebärde voll pathetischer Grandezza.

»Ich ahne, mein Herr, daß ich das Opfer einer niederträchtigen Intrige geworden bin, zu welcher, aller Wahrscheinlichkeit nach, Sie – Sie edle Polizeiseele! die Hand geboten haben … Ich werde mich sofort zu Seiner Majestät begeben, um mich zu rechtfertigen!« Sie griff nach der Klingel.

»Madame,« bemerkte der Inspektor mit seiner unerschütterlichen höflichen Ruhe: »keine Szene, wenn ich bitten darf! Befehlen Sie Ihrer Cameriera, die Koffer zu packen, denn in einer Stunde müssen wir am Bahnhof sein.«

»Ich werde hier bleiben, mein Herr!« trotzte die Pseudo-Cousine des Königs.

»Wir werden,« bemerkte Paolini gelassen: »während der Fahrt Ihren Erbschaftsprozeß besprechen, der eventuell auch den Polizeipräsidenten von Wien in hohem Grade interessieren dürfte.«

Ein Blick voll Haß und Angst zugleich, der in den Augen der Hetäre aufzuckte, ließ erkennen, daß sie das an die Wand gemalte Mene teckel sehr wohl verstanden hatte. Der Inspektor erhob sich von seinem Fauteuil. »Madame, wir haben wirklich keine Minute mehr zu verlieren, wenn wir zu dem Zuge noch zurecht kommen wollen.« Die Dame maß ihn mit einem Blick voll bodenloser Indignation. »Soll ich vielleicht meinen Wirt um sein Guthaben prellen? Ich erwarte eine Geldsendung, die mich in den Stand setzen wird, dieses Hotel durch die Vordertüre zu verlassen. Bis dahin fesselt mich meine Ehre an Turin.«

»Meine Gnädige,« versicherte mit einem sardonischen Lächeln der ritterliche Reisegesellschafter: »der Knoten Ihrer Ehrenfessel läßt sich sehr leicht lösen – es wird mir zum besondern Vergnügen gereichen, Ihre Hotelrechnung zu begleichen.«

Von der Kammerfrau gefolgt, erreichte das Paar noch rechtzeitig den Bahnhof und den nordwärts gehenden Eilzug. Die Zofe ward anderweitig untergebracht; die beiden »Turteltauben« nisteten sich in einem Coupé erster Klasse ein.

Ein greller Pfiff der Lokomotive und – Adieu Turin!

 

»Setze dich und zünde dir eine Zigarre an!«

Mit dieser kordialen Bewillkommnung hatte, wie sich der Leser erinnert, Viktor Emanuel seinem polizeilichen Schutzengel das auf dem Tisch liegende Etui hingeschoben, und ebenso ungeniert hatte dieser der Aufforderung Folge geleistet. Kaum eine halbe Stunde zuvor war Paolini zu Moncalieri eingetroffen, und er hatte gerade soviel Zeit gehabt, seine Toilette zu wechseln, als er auch schon durch Tommaso, den alten Leibkammerdiener, in das Kabinett Seiner Majestät beschieden worden war … Schweigend saßen sich jetzt die beiden gegenüber. Silvano, der treue Gesellschafter des Monarchen, hatte sich seitwärts hingestreckt, um, als wohlbestallter »Reichshund«, gleichfalls seinen stillen Gedanken nachzuhängen. Ruhig seine Regalia rauchend, ließ Paolini zeitweise einen flüchtigen Blick nach dem König hinüberschweifen, als erwarte er, daß dieser das Gespräch eröffne. Das Gesicht dem Fenster zugewandt, durch das vom Po herauf ein erquickender Nachtwind in das Gemach säuselte, verfolgten die Augen Viktor Emanuels die blaugrauen Dampfwolken, die er aus seiner Zigarre sog und die im Lichtschein der Lampe auf und nieder wogten, um dann in allerlei Ringel und Schnörkel zu zerfließen. Mit einemmal kehrte er sich seinem Geheimagenten zu: »Nun, Paolini, wie hast du dich unterwegs mit meiner Ex-Cousine amüsiert?«

Ein humoristisches Schmunzeln zuckte um die Mundwinkel des »Oberjustizvollstreckers,« dann sagte er trocken: A la guerre comme à la guerre! Man muß die Feste feiern, wie sie fallen, Sire.« Der drollige Ton und Gesichtsausdruck Paolinis reizten den König zu einem lauten Lachen; seine momentane Verstimmung war verflogen und mit einem launigen Augenzwinkern strich er seinen martialischen Schnurrbart. »Ah, bricconcello! Du hättest wohl mir das Vergnügen gönnen können, mein Bäschen bis zur Grenze von Italien zu begleiten.«

»Für die Hinreise, Sire, wäre mir in diesem Falle nicht bange gewesen – aber der Rückweg!

»Der Rückweg! Wie so, signore ispettore?«

» Ebbene,« schmunzelte Paolini, »beim Abschied hätte der galanten Dame leicht der Gedanke kommen können, eine Ehre sei der andern wert.« Die Stirne Viktor Emanuels runzelte sich. »Aha!« sagte er, »du meinst wohl, aus lauter Artigkeit hätte mein Bäschen gleich wieder mich nach Turin zurückbegleitet! Dann ich als Galantuomo wieder sie an die Grenze – sie wieder mich zurück, und so fort in diesem Perpendikeltempo bis zum jüngsten Gericht!«

Der Inspektor nickte. Ein joviales Lachen dröhnte aus der breiten Brust des Re galantuomo. »Kannst schon recht haben, birbante!« meinte er – und wieder erschütterte ein helles Lachen den allerhöchsten Bauch. » Ebbene winkte er mit einer tragikomischen Gebärde, »so laß denn hören, wie du deine Henkerarbeit besorgt hast.«

»In dem Coupé, das ich für uns reserviert hatte,« rapportierte der Inspektor, »ging der Tanz von neuem los! Ich erwartete von Moment zu Moment, die grimmige Dame werde mir wie eine wilde Katze an die Gurgel fahren und die Augen auskratzen. Sie überschüttete mich mit einem Hagel der schmeichelhaftesten Titulaturen – – ja, sie spie nach mir.«

»Armer Polizeiteufel!« kondolierte der joviale Rex.

»Meine kühle Ruhe,« fuhr Paolini fort, »erbitterte die Dame mehr und mehr; sie drohte, sie werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die ihr angetane Schmach zu rächen – sie werde an die europäische Presse appellieren, damit es bekannt werde, wie eine grausam verfolgte Dame, die sich vertrauensvoll an den König von Italien gewendet habe, behandelt worden sei.«

Das lachende Gesicht Viktor Emanuels wurde plötzlich ernst.

» Caso maledetto!« brummte er vor sich hin und zupfte dabei an seinen Schnurrbartspitzen herum, »höre, Paolini, die tolle Person macht am Ende ihre Drohungen wahr! Affè di Dio! Die Cousinengeschichte wäre mir recht unangenehm, es gäbe ein Gelächter von Madrid bis nach Petersburg … Eh! eh!« Er kratzte sich den kurzgeschorenen Kopf. Unter dem Schutze seiner buschigen Augenbrauen schnellte der Inspektor einen Blick herüber, der sich in die Worte übersetzen ließ: »Ja, wären Majestät nur zur rechten Zeit so bedachtsam gewesen!!« Ein paar Sekunden lang gestattete er sich den Genuß, den Landesvater in der Klemme zu lassen, dann sagte er trocken: » Senza affanno, Sire! Die Dame hat sich inzwischen eines Bessern besonnen und Europa ist um eine pikante Zeitungsnotiz geprellt.«

Viktor Emanuel kannte seinen Mann hinlänglich, und sofort erriet er, daß Paolini Mittel und Wege gefunden haben müsse, dem desperaten Weiberkopfe ein wirksames Paroli zu bieten. Erleichtert hob sich die Brust des Re galantuomo. » Grazie a Dio!« entfuhr es seinen Lippen – dann fixierte er mit einem forschenden Blicke seinen Erlöser aus der Not. »Mit wie viel Tausenden hast du dieser Revolvervenus ihr Schweigen abkaufen müssen?«

»Sire,« antwortete Paolini ruhig: »es hat mich keinen roten Centesimo gekostet und trotzdem wird sie schweigen wie die Stumme von Portici in der Oper des Monsieur Auber.« Mit einem feinen, halb schelmischen, halb mysteriösen Lächeln, wie es dem Südländer so eigen ist, parierte er die Frage, die der König offenbar stellen wollte. »Sire, lassen Sie mir meine kleinen Geheimnisse! Sie wissen ja wir Polizeimenschen öffnen nicht gern die letzte Tüte … Ich erinnerte die Frau Gräfin an eine gewisse Episode ihres dunkeln Vorlebens, die mir zu Wien durch eine merkwürdige Fügung bekannt geworden ist. Ich nannte ihr einen Namen und – die Widerspenstige war gebändigt. Sie weiß jetzt, daß ich sie wie einen Schmetterling am Faden zappeln lasse: hält sie über ihren Ausflug nach Turin reinen Mund, so ist es gut für sie – wahrt sie ihre Zunge nicht, so ist, wie sie ganz genau weiß, die scharfe Zuchtrute für sie gebunden.«

Gelassen, wie immer, hatte Paolini diese Worte gesprochen; unerquickliche Gedanken mochten durch den Kopf des Monarchen gehen, denn er erhob sich und durchschritt schweigend das Gemach. Mit einer raschen Wendung kehrte er wieder zu seinem Sitze zurück. »Und der Rest deiner Reise?« fragte er sichtlich verstimmt. Ein leichtes Lächeln flog über das hagere Gesicht Paolinis.

»Der Rest, Sire, ist amüsanter. Tief in ihren Schleier gehüllt und mir den Rücken zukehrend, drapierte sich die Dame in ein intensives Schmollen. So ging's drei oder vier Stationen weit. Die Situation war eine herzlich langweilige – zuletzt aber gelang es mir, das Eis zu brechen. Der Schleier fiel ruckweise, dann machte die Dame in langsamen Schwenkungen Front gegen mich und in der Bahnhofsrestauration zu Biella feierten wir bei einer Flasche Champagner unsre Versöhnung.«

»Wie Hund und Katze!« lachte der wiederum erheiterte Monarch.

» In niun modo,« erklärte im trockensten Ernst der Inspektor: »Wir wurden, wie man zu sagen pflegt, die dicksten Freunde, und nur allzu rasch für unsre Unterhaltung winkte der italienische Grenzpfahl, wo wir uns trennen mußten.«

» Ah, perfido!« brummte der Re galantuomo, indem er mit einer komischen Grimasse die Faust ballte. »Wo hat sie sich hingewandt?« wollte er wissen.

»Zunächst nach Genf.« Paolini zog sein Portefeuille hervor, dem er ein Blatt Papier entnahm. »Dem Auftrag Ew. Majestät gemäß hab' ich der Dame auf der Grenzstation das Reisegeld von dreitausend Lire eingehändigt. Hier, Sire, die Empfangsbescheinigung.« Mit einer Verbeugung überreichte er dem König die von der Abenteurerin ausgestellte Quittung. Viktor Emanuel nahm das Blatt, hielt es ungelesen über die Lampe und warf es dann brennend in den vor ihm stehenden Aschenbecher, wo es vollends in Rauch aufging. Dann reichte er über den Tisch hin dem treuen Schirmvogt die Hand, die dieser in ungeheuchelter Gemütsbewegung küßte. »Paolini,« sagte er kurzab: »du weißt es jetzt ja selber, sie war eine verführerische Schlange.«

»Und dabei, Sire, eine hochgefährliche Schlange!« ergänzte mit ernstem Nachdruck der Inspektor: »wenn Tote reden könnten, so würden sie bezeugen, daß diese gleißende Schlange nicht nur den süßen Paradiesapfel, sondern auch, wenn es gilt, den mörderischen Giftbecher zu reichen weiß.«

Der König erbleichte unwillkürlich. »Zum Teufel!« scherzte er mit einem erzwungenen Lächeln: »da hätte am Ende auch ich zu einem Sokrates wider Willen werden können.« Er erhob sich und trat an das offene Fenster, vor dem sich die mondbeglänzte Landschaft weitete. Nach einer Weile wandte er sich langsam um. »Was sie wohl in der Schweiz beginnen wird?« brach er das gedankenvolle Schweigen. Paolini zuckte gleichmütig die Achsel. »Die Saison ist noch nicht abgelaufen, und auf jeder Alpenspitze sitzt noch ein Engländer.«

Viktor Emanuel lachte hell auf. »Nun, so mag irgend ein Lord Beefsteak den Erbschaftsprozeß weiterführen – – und jetzt felice viaggio, Frau Cousine!« Er machte dabei eine Handbewegung, als wolle er fortan die Akten über diese Affäre als geschlossen betrachten … Auf dem Tische lag noch der telegraphische Rapport, der kaum eine Stunde zuvor eingelaufen war, und worin der Kommandant von Spezzia die Ankunft der Korvette meldete, an deren Bord Garibaldi die unfreiwillige Überfahrt von Calabrien nach Varignano, dem Orte seiner vorläufigen Internierung, gemacht hatte. Der König schob seinem Vertrauten die Depesche hin; rasch überflog Paolini die wenigen Zeilen, dann blickte er fragend auf. Die jovialen Gesichtszüge Viktor Emanuels hatten sich verfinstert, mit einer Art von dumpfem Grimm zerstieß er seine Zigarre auf dem scharfen Rande des Aschenbechers.

»Du siehst,« begann er: »Giuseppe »Joseph«. Im vertrauten Gespräch bezeichnete der König Garibaldi meistens mit seinem Vornamen. speit Gift und Galle, weil seine Expedition nach Rom gescheitert ist. Der Sprudelkopf! Was konnt' ich anderes und besseres tun, als ihm noch rechtzeitig den Paß abschneiden! Will er es denn gar nicht begreifen, daß Badinguet Der bekannte Spitzname, den die Franzosen ihrem Kaiser Louis Napoleon gegeben hatten. nur auf die ersehnte Gelegenheit lauert, seinen Fuß noch weiter hereinzuschieben? Wäre es Giuseppe gelungen, auf dem Aspromonte den Kordon meiner Truppen zu durchbrechen, so würde jetzt zu Neapel auf dem Kastell San Elmo die französische Trikolore flattern.«

»Die Trennung von seiner Freischar mag dem Condottiere der bitterste Moment gewesen sein,« bemerkte Paolini.

Der König nickte in sichtlicher Gemütsbewegung. »Auch das geschah nur zum Heile Italiens! Hätte man ihm die wilden Gesellen mitgegeben, so wäre er, trotz seiner Verwundung, imstande gewesen, irgend einen tollen Handstreich auszuführen und meiner Regierung neue Verlegenheiten zu bereiten.« Er blickte sinnend vor sich hin. »Paolini,« brach er das Schweigen: »halte dich mobil, daß du morgen zu jeder Stunde nach Varignano abreisen kannst. Es liegt mir daran, den armen Giuseppe zu besänftigen und auf eine bessere Zukunft zu vertrösten. Ich werde dir einen Brief mitgeben, den ich noch heute abend schreiben will. Das weitere magst du mündlich besorgen, denn ich weiß ja, daß der Condottiere schon von Südamerika her, wo ihr beide zusammen Freud und Leid durchgemacht habt, große Stücke auf dich hält.«

Ein wehmütiges Lächeln erhellte die hagern Züge des Inspektors.

»Ja, Sire,« sagte er: »an den Ufern des La Plata habe ich mit dem Condottiere mancherlei erlebt und war er vor der Front mein Vorgesetzter, so war er mir im Zelt und am Biwakfeuer Vater.«

Im selben Moment öffnete sich leise die Flügeltüre, und auf der Schwelle zeigte sich die soldatisch stramme Figur Tommasos.

»Was gibt's, Alter?« rief ihm der König entgegen.

»Sire,« berichtete der Leibkammerdiener: »Signore Aghemo ist soeben von San Rossore eingetroffen und läßt Ew. Majestät ergebenst ersuchen – – –«

»Zum Henker!« fuhr Viktor Emanuel dazwischen: »kann er nicht bis morgen warten?«

»Sire,« erklärte Tommaso: »ich habe mir erlaubt, dem Herrn Kabinettschef die gleiche Bemerkung zu machen, aber er kommt, wie er mir sagte, im direkten Auftrag der Frau Gräfin und soll gleich morgen frühe wieder nach San Rossore zurückkehren.«

»Aha!« brummte halb ärgerlich der Re galantuomo: »Frau Rosina läßt mir mal wieder ein zärtliches Lebenszeichen zukommen! Entweder handelt es sich um eine Gardinenpredigt wegen der Cousine, oder – –« matt lächelnd markierte er mit Daumen und Zeigefinger die Bewegung des Geldzählens. Solch vertrauten Dienern gegenüber, wie Paolini und Tommaso es waren, legte der burschikose Monarch seinen Worten und Witzen keinerlei Zwang auf. » Ebbene,« entschied er nach einigem Sinnen: »ob heute noch, oder morgen – der Apfel bleibt gleich sauer! So laß in Gottes Namen den Postiglione d'amore vor!«

So leise, wie er erschienen war, verschwand Tommaso.

»Nun,« wandte sich Viktor Emanuel an Paolini, der bereits von seinem Sitze aufgestanden war: »Ich hätte noch manches mit dir zu plaudern gehabt, aber du siehst ja, ich kann Aghemo nicht warten lassen, sonst ist bei Rosina gleich wieder der Teufel los.« Ein schwerer Seufzer verlor sich in den buschigen Schnurrbart des Re galantuomo. »Ob ich jetzt heute noch an Garibaldi schreiben kann, steht dahin – nun, dann morgen frühe, denn in allen Fällen machst du dich morgen auf den Weg nach Varignano.«

Der Inspektor verbeugte sich stumm. Viktor Emanuel hielt ihm kordial die Hand hin: »Jetzt gute Nacht, Paolini und« – setzte er lachend bei – »wenn du draußen an Aghemo vorübergehst, so könnt ihr euch ja gleich ans Herz drücken.«

In der Galerie, die zu den Gemächern des Königs führte, kam Paolini ein Herr von etwa dreißig Jahren entgegen: eine dünne, aalglatte Figur in schwarzem Frack und weißer Halsbinde, im Knopfloch drei oder vier bunte Ordensbändchen; das schmale, nicht unschöne Gesicht trug den Ausdruck diplomatischer Schlauheit, gepaart mit einer Dosis bureaukratischen Dünkels. Der späte Gast war Signore Aghemo, der Chef des königlichen Privatkabinetts. Unter den vielen Feinden, die Paolini bei Hofe hatte, rangierte Aghemo in erster Linie, und mit Wucherzinsen gab ihm der Inspektor diese negative Freundschaft zurück, denn längst schon hatte Paolini mit seinen scharfen Augen durchschaut, daß gerade der Kabinettschef, als Werkzeug der geldgierigen Maitresse, einer der schlimmsten unter den vielen Blutegeln war, die sich unersättlich an der Börse des Re galantuomo fest- und fettsogen. Mit stummem, eiskaltem Gruß kreuzten sich in der Galerie die beiden unversöhnlichen Gegner: der eine der gute – der andere der böse Genius des Königs von Italien. Der eine der treue, selbstlose Diener – der andere der listig, kalt rechnende Spekulant.


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