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Ihn schlugen die Häscher in Bande.

Wir verließen Garibaldi und seine Legion in dem tragischen Moment, als sie, von den piemontesischen Truppen ringsum eingeschlossen, auf den Höhen des Aspromonte die Waffen strecken mußten. Der »heilige Kreuzzug« – wie Garibaldi in einer glühenden Proklamation an das italienische Volk seine waghalsige Expedition bezeichnet hatte – war kläglich im Sande verlaufen und Louis Napoleon, der ja, durch seinen zwingenden Hochdruck auf Viktor Emanuel und das Turiner Kabinett, dieses Resultat herbeigeführt hatte, durfte sich zufrieden die Hände reiben, denn nun war doch Garibaldi, der unbequeme Tollkopf, einstweilen besorgt und aufgehoben. Auch der Papst konnte erleichtert aufatmen, denn der rebellische Funke, der, von Garibaldi angefacht, Rom und den Kirchenstaat hatte entzünden sollen, war bis auf weiteres unschädlich geworden. Soviel über die politischen Konsequenzen der Kapitulation … Entwaffnet und von den piemontesischen Regimentern eskortiert, stieg die Legion von dem Gipfel des Aspromonte talwärts, in ihrer Mitte der Condottiere, den seine Wunde weniger schmerzte, als die im Herzen brennende Erbitterung. Er hatte bei der Kapitulation den Wunsch geäußert, mit seinen Legionären auf ein an der Küste kreuzendes englisches Schiff gebracht zu werden, er verpflichtete sich, ungesäumt nach London unter Segel zu gehen. Oberst Pallavicini, der Kommandant des piemontesischen Zernierungskorps, wies das Ansinnen zurück, denn er hatte seine bestimmten Instruktionen.

Um jedem unliebsamen Nachspiel vorzubeugen, war von Turin der Befehl eingetroffen, Garibaldi sofort von der Legion abzusondern und beide an verschiedenen Orten zu konfinieren. Demgemäß trennten sich gleich unten am Fuße des Gebirges ihre Wege. Mit dem donnernden Scheidegruß » Evviva Garibaldi! Evviva Roma!« wandte sich die gefangene Schar gen Reggio, in dessen Fort sie bis auf weitere Order interniert werden sollte. Garibaldi aber ward nach dem zwei Meilen nordöstlich von Reggio entfernten Städtchen Scilla dirigiert, wo ihn General Caldini, obgleich sein persönlicher Feind, mit ritterlicher Achtung empfing. Schon am folgenden Tage bestieg, von Cialdini an Bord geleitet, der grollende Condottiere eine italienische Kriegsfregatte, die ihn nach Varignano, am Nordufer des Golfes von Spezzia, trug, wo ihn, auf telegraphischen Befehl Viktor Emanuels, die kundigsten Ärzte umgeben und seine Fußwunde in Behandlung nehmen sollten. Sein Sohn Menotti und seine Stabsoffiziere begleiteten ihn.

* * *

Es war am 19. August 1860 gewesen, also zwei Jahre vor der Tragödie auf Aspromonte, als mit Einbruch der Nacht die beiden Dampfer »Torino« und »Franklin«, die Garibaldi und 4000 Getreue von Taormina nach Kalabrien bringen sollten, die Anker lichteten. An Bord des alten, lecken »Franklin« befand sich Garibaldi mit 1000 Mann; im »Torino« waren, unter Führung Bixios (Garibaldis tapfern Waffenbruder), dreitausend Legionäre aufgestapelt. Als Landungsort hatte man das Stranddorf Melito bestimmt, an der äußersten Südspitze Kalabriens, zwischen den Vorgebirgen dell' Armi und Spartivento. Es war Neumond und in seinem bleichen Lichte erglänzten Land und Meer. Soviel ihrer das Verdeck nur fassen konnte, standen auf den beiden Dampfern die Legionäre zusammengedrängt, um der mehr und mehr entweichenden Küste Siziliens einen letzten Scheideblick zu spenden. In seinen Poncho gehüllt, der schon drüben in Südamerika so manchen Strauß mitgemacht hatte, lehnte mit gekreuzten Armen Garibaldi am Geländer der Kommandobrücke. Sein Auge ruhte sinnend auf einer dunkeln Masse, die sich dort an der Küste gegen den tiefblauen Sommernachtshimmel emportürmte. La rocca di Taormina – der Fels von Taormina – heißt der wildzerklüftete Porphyrkegel, und in zahllosen Romanzen hat ihn die sizilianische Volkspoesie verherrlicht, denn als vor mehr als acht Jahrhunderten der mohammedanische Halbmond siegreich über die eroberte Insel hinleuchtete, da blieb für das verdrängte Christuskreuz dieser Fels die letzte Zitadelle und monatelang brach sich der grimmige Ansturm der Araber an dem ehernen Widerstand der christlichen Paladine. Dem gellenden Afrikanergeheul » Allah hu« antwortete der hallende Streitruf » Gesù e Santa Maria«. Halbverhungert, von brennendem Durst gefoltert, durch die Geschosse des übermächtigen Feindes mehr und mehr gelichtet, zogen die Verteidiger ihren eisernen Wall um das auf den Felsgipfel gepflanzte Kreuz immer enger und enger, und erst mit dem letzten Manne sank – gebrochen, nicht gebeugt – das Christenzeichen in den Staub, aus dem es aber als die Zeit erfüllt war, desto glorreicher wieder erstehen sollte. Dieses heroische Bild zog an Garibaldis sinnendem Geist vorüber, und der Glaubensmut jener bis zum Ende aushaltenden Kreuzritter konnte auch für ihn eine Mahnung sein, noch mit dem letzten Schwertstreich das Palladium seines Volkes zu schützen und zu schirmen. Damals leuchtete den Rittern das Christuskreuz zu Sieg oder Tod – jetzt galt es, als Patriot für das Kreuz von Savoyen zu stehen und zu fallen. Damals lautete die Parole: »Jesus und Sankt Maria!«

Jetzt: »Rom und Viktor Emanuel!« – – –

Weiter und weiter dampften, den Bugspriet nordwärts gerichtet, der »Franklin« und der »Torino« in die offene See hinaus, mehr und mehr verschleierte sich der Fels von Taormina in Duft und Nebel und immer bleicher und bleicher flimmerten die sizilischen Leuchtfeuer herüber. Auch auf den beiden Dampfern war es stiller und stiller geworden. Von des Tages Hitze und seinen Strapazen ermüdet, hatten sich, so gut es eben der überfüllte Raum ermöglichte, die Legionäre zur Ruhe niedergelegt. Selbst Garibaldi, das personifizierte Bild der Wachsamkeit, nickte bei dem monotonen Gepumpe der Dampfmaschine und dem leisen Klatschen der vom Schiffsbug aufgewühlten Wogen unbewußt ein, denn seit zwei Tagen und Nächten war er in beständiger Bewegung gewesen. In der Kiellinie des »Franklin« folgte der »Torino«.

Der Morgen begann zu grauen als sich die Küste von Calabrien zeigte. Garibaldi war bereits schon wieder auf den Beinen und stand bei dem Kapitän auf der Kommandobrücke; vor ihnen reckte sich die schroffe Klippenwand des Capo dell' Armi. Mit einem Mal erdröhnt wie aus der Tiefe des Meeres ein dumpfer, wuchtiger Stoß – im gleichen Moment gellt auch schon vom »Torino« ein hundertstimmiges Geschrei herüber. Mochte es Leichtsinn oder Unkenntnis verschuldet haben – genug, der »Torino« war mit vollem Dampf auf ein Riff gelaufen, und dort saß er nun fest. In wenigen Minuten schon kletterte Garibaldi an Bord des verunglückten Fahrzeuges, um die nötigen Maßnahmen zu treffen. Der nächste Versuch, den »Torino« mit Kontredampf loszumachen, blieb erfolglos, und so ließ der Condottiere die Boote aussetzen, um vor allem die für Italien so kostbare Menschenfracht in Sicherheit zu bringen. Die See war glücklicherweise ruhig, mit Blick und Wort stellte Garibaldi die soldatische Disziplin wieder her, und ohne jeden weitern Unfall vollzog sich die Ausschiffung der dreitausend Legionäre. Man durfte aber den gescheiterten Dampfer nicht kurzweg im Stiche lassen, denn im Fall der Not repräsentierte er ja für die Dreitausend die Rückzugslinie nach Sizilien. Garibaldi, von einem alten Schiffergeschlecht abstammend, war ein ausgezeichneter Seemann und kannte all die praktischen Griffe und Hilfsmittel dieses Berufes. Mit der ihm eigenen Energie ging er sofort ans Werk, den unseligen »Torino« wieder flott zu machen – doch alles umsonst! Die »Nadel« saß zu tief im Rumpf, und selbst als der alte »Franklin« vorgespannt wurde, blieb es beim Alten.

Trotz seiner tausendfach erprobten Kaltblütigkeit geriet der Condottiere allgemach in gelinde Verzweiflung. Über der Rettungsarbeit war es inzwischen heller Tag geworden, und von Moment zu Moment ließ sich das Erscheinen eines feindlichen (neapolitanischen) Kriegsschiffes erwarten, deren mehrere in den dortigen Gewässern kreuzten und die es nur eine Salve gekostet hätte, um die beiden geschützlosen Dampfer in den Grund zu bohren. Und dennoch war Garibaldi entschlossen, für die Erhaltung des so unentbehrlichen Fahrzeuges das Äußerste zu wagen. Nach einer kurzen Unterredung mit seinem Adlatus Bixio kehrte der Condottiere an Bord des »Franklin« zurück, um die Zurüstungen für sein keckes Unternehmen zu treffen. Der »Franklin«, wie schon berichtet, beherbergte zirka tausend Legionäre, die jetzt sofort unter Deck kommandiert wurden, mit der strengsten Order, sich dort ganz ruhig zu verhalten. Oben an Deck blieb niemand zurück als Garibaldi, der Kapitän und die Matrosen des Dampfers; seinen Freischärlerhut und seine rote Bluse vertauschte der Condottiere mit den entsprechenden Bekleidungsstücken des Seemannes, dann sagte er unverzagt zu dem Kapitän:

»Vorwärts mit Gott!«

Und wohl konnte der Tollkopf einen schirmenden Gott brauchen, denn der ganzen feindlichen Flotte zum Trotz wollte er die Meerenge hinaufdampfen, um von Messina, wo jeder Schiffer für ihn durchs Feuer ging, Hilfe für den gestrandeten »Torino« herbeizuholen! Also vorwärts mit Gott! …

Kaum hatte der alte »Franklin« um das Kap dell' Armi herumgeschwenkt, um in den Sund hineinzusteuern, da packte auch schon der Kapitän, der mit Garibaldi auf der Kommandobrücke stand, den Condottiere krampfhaft beim Arm und seinen Lippen entrang sich der Schreckensruf: » Ahi, misericordia de' cieli!« Mit zitternder Hand deutete er über Backbord hin.

Auch Garibaldi fühlte, wie ihm das tapfere Herz schneller schlug, aber ebenso rasch bedachte er auch, daß jetzt nur noch kaltes Blut helfen könne und so beruhigte er den Patron und die Matrosen mit dem gelassenen Zuruf: » Corragio!«

Mehr konnte er nicht sagen, denn schon qualmten von der sizilischen Seite her zwei neapolitanische Kriegsdampfer auf den »Franklin« los.

» Ferma!« scholl's von dem vordersten der beiden Kreuzer durch das Sprachrohr herüber und Garibaldi, dem Befehl gehorsam, ließ stoppen. Wie die Leiche eines Walfisches schaukelte der »Franklin« auf den Wogen.

» Donde? … dove?« Woher? wohin? hallte die kategorische Frage herüber.

» I don't understand Italian!« Ich verstehe kein Italienisch. brüllte Garibaldi lakonisch zurück, und schon im nächsten Moment flatterte an seiner Besangaffel die Flagge mit den nordamerikanischen Sternen und Streifen.

Der »Franklin« war auf der Werft von New-York gezimmert worden und erst durch Kauf in den Besitz eines sizilischen Reeders gelangt; das Fahrzeug trug also in Bau und Ausrüstung all die charakteristischen Merkmale seiner transatlantischen Herkunft. Ob nun der Neapolitaner wiederum seinerseits kein Englisch verstand, oder sich überhaupt in keine längere Sprachrohr-Konversation einlassen wollte, genug, Garibaldi, der, seine Zigarre zwischen den Zähnen balanzierend und die Ellbogen auf das Geländer der Kommandobrücke gestemmt, eine möglichst sorglose Haltung heuchelte, gewahrte zu seiner nicht geringen Bestürzung, wie drüben der neapolitanische Kreuzer eine Schaluppe aussetzte, die sich rasch mit einem Offizier, fünf oder sechs Marinesoldaten und der nötigen Rudermannschaft füllte. Garibaldi hörte, wie der hinter ihm stehende Patron des »Franklin« alle Heiligen seines Kalenders anrief. Auch die Matrosen falteten unbewußt die Hände zu einem inbrünstigen Paternoster.

Kein behagliches Gefühl, von Augenblick zu Augenblick den Donnergruß einer vollen Breitseite zu erwarten!!! –

Von strammem Ruderschlag getrieben, tanzte unterdessen die Schaluppe näher und näher: binnen wenigen Minuten mußte sie am »Franklin« beilegen.

Je näher aber die Katastrophe heranrückte, eine desto stoischere Ruhe überkam den Condottiere, und sie ließ ihn einen letzten Versuch wagen. Sich über die Luke hinbeugend, die in den Maschinenraum hinabführte, rief er dem Heizer ein paar Worte zu. » Si, si, generale!« antwortete der Zyklop, und zugleich hörte man, wie seine Faust mit flinkem Ruck an dem Hebelwerk der Maschine herumriß. Schon stand auch, den Schifferhut grimmig in die Stirne gedrückt, Garibaldi hinten am Steuerruder. Noch zwei Dutzend Ruderschläge brauchte die Schaluppe und schon erhob sich der Leutnant von seinem Sitz – – da geht auf einmal ein Zischen und Heulen los, als sausten hunderttausend Teufel zum Höllenschlund heraus – an Steuerbord und Backbord des alten »Franklin« quillt's in weißgrauen Ballen hervor und schwillt's zu einer Wolke an, die sich wogend über das Schiff hinlegt! Dem ihm erteilten Befehle getreu, hatte der Heizer den Dampf abgelassen …

So unerwartet war das Spektakelstück in Szene getreten, daß die Schaluppe gleichsam verblüfft einen Seitensprung machte; der Leutnant, der aufrecht im Boote stand, verlor das Gleichgewicht und purzelte zwischen seine Leute hinein. Zischend und fauchend wie ein zorniger Kater, begann der »Franklin« seine Schaufelräder zu drehen; von dem Dampfgewölke halb umhüllt, griff Garibaldi mit eiserner Hand in die Speichen des Steuerruders. Drüben in der Schaluppe hatte sich der Leutnant wieder aufgerappelt; seine Stimme verlor sich im Zischen der Dampfröhren und im Klappern der eisernen Räder; so ließ sich nur sehen, wie er eifrig die Kinnladen auf und zu, und mit der Hand allerlei Bewegungen machte. Um den Schein gekränkter Würde zu wahren, schrie auch der Condottiere ein paar Kraftworte in den Höllenlärm hinein und deutete dabei mit einer Gebärde voll zermalmender Grandezza nach seiner amerikanischen Flagge hinauf, die sich trotzig an der Gaffel blähte, als wollt' sie sagen: Wer mich touchiert, bekommt das ganze Yankee-Wespennest auf den Hals! – –

Mit klopfendem Herzen spähte Garibaldi nach den beiden Kreuzern hinüber, die sich bis jetzt als passive Statisten im Hintergrunde gehalten hatten und zu denen nun die ausgeschickte Schaluppe eiligst zurückruderte. Wohl wußte der Condottiere, daß die neapolitanische Kriegsmarine sich noch zu keiner Zeit durch besondere »Schneidigkeit« hervorgetan hatte, und ebenso wußte er auch, daß gerade die amerikanische Flagge in den neapolitanischen Gewässern auf ganz besondere Respektierung pochen durfte, denn die Kanonen und Musketen, womit König Franz seinen schon halb zusammengekrachten Thron überhaupt noch im Leime hielt, waren ihm von spekulativen Yankees, die den Teufel darnach fragten, daß diese Waffen dem scheußlichsten Despotismus dienen sollten, zugeführt worden. Immerhin aber boten diese Umstände dem Condottiere noch lange keine Gewißheit, ob dort bei den beiden Kreuzern die Galanterie gegen Amerika wirklich so weit gehen könne, daß sie sich von dem »Franklin« eine solche dreiste Mißachtung ihrer staatspolizeilichen Autorität ruhig gefallen lassen durften … Die nächsten Minuten mußten die Entscheidung bringen. Minuten – und doch qualvolle Ewigkeiten! Seiner Rolle gemäß hatte Garibaldi den leisesten Anschein von Hast oder Unruhe zu vermeiden und so ließ er denn auch den »Franklin« ganz phlegmatisch weiterdampfen. Die Schaluppe war mittlerweile bei den Kreuzern angelangt, und das scharfe Auge des Condottiere konnte bemerken, wie der Leutnant unter lebhaften Gestikulationen den beiden Kapitänen Rapport erstattete. Gleich darauf kletterte der Leutnant und seine Mannschaft an Bord hinauf, die Schaluppe wurde ebenfalls in die Höhe gehißt, und Seiner neapolitanischen Majestät wackere Kriegsdampfer steuerten treu und furchtlos dem »Franklin« aus dem Wege! Die Namen dieser zwei urgemütlichen Seewächter verdienen der Nachwelt überliefert zu werden: es waren der »Endymion« und der »Pelikan«. Die unvergleichliche Bonhomie ihrer Kapitäne erklärte sich später dahin, daß – worauf Garibaldi ja auch rechnete – die zwei biedern Seewölfe sich durch die echt amerikanische Physiognomie des »Franklin« hatten bestimmen lassen, von weitern Recherchen abzustehen … Wahrlich, mit vollem Recht durfte, als diese Marinehumoreske bekannt wurde, ein legitimistisch-klerikales Blatt in einem Anfall von Wut die Worte hervorsprudeln: »An den höchsten Mast müßten diese beiden Schafsköpfe aufgeknüpft werden, wenn man bedenkt, daß sie mit ihren schweren acht Geschützen kaum eine Minute gebraucht hätten, um den alten Rumpelkasten mitsamt seiner Fracht von Banditen in Splitter und Fetzen zu verwandeln!«

Die beiden Kreuzer hatte Garibaldi soweit glücklich abgeschüttelt, denn er sah sie südwärts dampfen – also nach einer der seinigen entgegengesetzten Richtung. Es wäre aber geradezu Frevel gewesen, die Götter zum zweitenmal zu versuchen, denn von einer Rettung des gestrandeten »Torino« konnte jetzt ohnedies keine Rede mehr sein. Die Kreuzer steuerten ja direkt aus das Kap dell Armi zu, in längstens einer halben Stunde hatten sie es erreicht und dann mußten sie auch den »Torino« entdecken.

Und in der Tat: um das Kap schwenkend, sahen die beiden Kreuzer den »Torino« auf dem Riff sitzen, ohne daß sich an Bord ein Lebenszeichen rührte. Auch drüben am Strande ließ sich nichts sehen und hören, denn der Instruktion Garibaldis gemäß hatte sich Bixio mit den gelandeten Freischärler-Bataillonen in eine naheliegende alte Küstenschanze zurückgezogen und auf der Düne nur ein paar Vorposten ausgestellt, die den gestrandeten Dampfer im Auge behalten sollten. Vom »Endymion« stieß ein Boot ab, um das Wrack näher zu besichtigen. Der Offizier fand das Schiff verlassen; Gepäckstücke aber, die bei der eiligen Debarkation von einzelnen Legionären verloren oder nicht mitgenommen worden waren, auch die vorgefundene Brieftasche eines Legionsfeldwebels gaben hinlänglich Aufschluß über die Ladung und Bestimmung des »Torino«.

Hier hatte man es mit keinem großschnauzigen »Amerikaner« zu tun, und in diesem tröstlichem Bewußtsein schwoll den neapolitanischen Helden der Kamm. Mit echt neapolitanischen Spitzbubenfingern ward der Dampfer ausgeplündert und dann zur Zielscheibe einer furiosen Kanonade. Als sich die Wackern satt geknallt hatten, steckten sie die Ruine in Brand.

Bixio, der kein Geschütz bei sich führte, war außerstande, das Zerstörungswerk zu verhindern und so ließ er, ohne unnützerweise seine Gewehrmunition zu vergeuden, die siegreichen Seehelden gewähren, die dann stolz davon dampfen. »Kinder, seid ruhig!« sagte Bixio, der narbenreiche Schlachtenlöwe, zu seinen Legionären: »Seid ruhig! die Halunken müssen den armen Torino noch mit blutigen Tränen beweinen!«

* * *

Kaum hatten die düpierten Kreuzer Garibaldi verlassen, als er auch schon mit einer Wendung nach der rechtsliegenden calabrischen Küste hinübersteuerte, um ohne jeden Zeitverlust seine Mannschaft in Sicherheit zu bringen. In einer kleinen Bucht geschah die Ausschiffung, und kaum mag weiland der Prophet Jonas vergnügter aus dem Walfisch hervorgekrochen sein, als jetzt die schwitzenden Burschen aus ihrem so unbehaglichen Versteck. Mit donnerndem Evviva begrüßten sie die Freiheit und ihren kecken Befreier. Der seiner Schmuggelfracht entledigte »Franklin« dampfte nach Reggio weiter, dessen Reede er auch unangefochten erreichte. Einige Stunden später waren Garibaldi und Bixio wieder bereinigt, und lachend und scherzend über das glücklich bestandene Abenteuer brach die Legion auf, um, die Küste entlang marschierend, zunächst in dem einige Meilen nordwestlich gelegenen Reggio die ersten Nüsse zu knacken. Obwohl der strategische Schlüssel zu Süd-Italien, war in unbegreiflichem Leichtsinn diese Stadt mit einer neapolitanischen Garnison von kaum dreitausend Mann belegt, und auf diese sträfliche Sorglosigkeit hatte Garibaldi den Plan seiner verwegenen Expedition gebaut.

Gegen Abend erreichte die Freischar Reggio und eröffnete ohne Säumen den Angriff. Die alarmierten Neapolitaner schlugen sich anfangs mit ziemlicher Bravour, als ihnen aber der Condottiere, nach seiner beliebten Weise, mit dem Bajonett auf den Leib ging, zogen sie sich nach der Zitadelle zurück. Garibaldi führte, wie schon erwähnt, kein Geschütz bei sich, er konnte also nichts weiter tun, als sich wie eine Katze vor das Mauseloch hinsetzen. Gefangene neapolitanische Soldaten hatten ihm willig verraten, daß das Kastell in keinerlei Weise verproviantiert sei, und demzufolge durfte Garibaldi dem Hunger das Weitere überlassen. Um die Stadt Reggio zu schonen, kampierte die Freischar vor den Toren. Wie die Narren knallten die Neapolitaner von der Zitadelle herüber und schossen grausame Löcher in die Natur, nach zwei Tagen aber predigte ihnen schon der Küchenmeister Schmalhans Raison, und sie steckten die weise Kapitulationsfahne auf. Die erste Etappe auf dem Marsche nach Neapel war damit glücklich zurückgelegt. Wie Garibaldi, einer Lawine gleich, von Reggio aus vorwärts drang, wie er die ihm entgegengeschickten neapolitanischen Regimenter aufrollte und versprengte, wie er endlich, am 7. September 1860, von nur fünf seiner Offiziere begleitet, seinen Vortruppen vorauseilend, seinen heute schon wie ein Märchen sich anhörenden Einzug in die noch von achttausend Mann der königlichen Garde besetzte Stadt Neapel hielt – darauf werden wir an geeigneter Stelle zurückkommen.

Damals im Sommer 1860 war er hier wie ein Halbgott begrüßt, von patriotischen Bürgern und schwärmerischen Frauen gefeiert worden, seine Freischar hatte hier eine Bewirtung gefunden, wie weiland der odysseische Troß bei den Phäaken und Lotophagen.

Und jetzt, zwei Sommer später?!

Dort ostwärts türmte sich der Aspromonte wie eine dunkle Wetterwolke! Nicht durch neapolitanische Söldner war der Condottiere besiegt worden – nein! In den Tuilerien hatte eine diktatorische Hand gewinkt, knirschend hatte Viktor Emanuel dem übermächtigen Druck gehorsamen müssen und piemontesische Soldaten waren gezwungen worden, sich zu napoleonischen Polizeibütteln zu degradieren! …

Das war es, was an jenem unseligen neunundzwanzigsten August des Jahres 1862 dem gefangenen Condottiere die bittern Tränen in die Augen trieb! Das erfüllte sein Herz mit einem so brennenden Schmerz, als sich unten am Fuße des Aspromonte für ihn und seine Schicksalsgefährten die Wege schieden! Nicht einmal die Gefangenschaft durfte er mit ihnen teilen – nicht einmal durfte er an ihrer Spitze, gebeugt, aber nicht gebrochen, das liebe Reggio wiederbegrüßen, und stolz als Gefangener, als Besiegter jenes Kastell betreten, das ihm vormals seine Schlüssel zu Füßen gelegt hatte.

Mit einem donnernden Hochruf auf Garibaldi und Rom war die entwaffnete Freischar ihres Weges weitergezogen und nach und nach im Abendduft entschwunden. Von seiner Sänfte aus hatte der verwundete Condottiere die treuen Rothemden an sich vorüberdefilieren lassen, und die piemontesische Eskorte, die ihn selber nach Scilla geleiten sollte, war, den Seelenschmerz des gebeugten Patrioten ehrend, taktvoll zurückgetreten.

» Evviva Garibaldi! Evviva Roma!« scholl's noch einmal aus der Ferne her wie ein geisterhaftes Echo. Der Gefangene erwachte aus seinem düstern Sinnen und fuhr sich mit der Hand über die Augen.

» Avanti!« winkte er seinen Wächtern zu, und der stille Zug setzte sich in Bewegung. Die Straße führte die Küste entlang. Das Rauschen des Meeres brauste aus der Tiefe herauf wie eine dumpfe Klage, droben am blauen Sommernachthimmel aber funkelten die Sterne im wunderbaren Glanz des Südens. Dichterphantasie und Christenglaube ahnen in diesen geheimnisvollen Ätherfunken die Boten einer andern und schöneren Welt: mochten sie in jener melancholischen Nacht für den trauernden Condottiere die tröstlichen Boten einer schönern Zukunft sein!

Zu später Stunde erreichte der Zug das Städtchen Scilla.

Schon am folgenden Tage bestieg Garibaldi, in Begleitung seines Sohnes Menotti und seiner Stabsoffiziere, eine Kriegsfregatte, die ihn nach Varignano, dem Käfig für den gefangenen wunden Löwen, brachte.


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