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Ein Rückblick.

Es ist im Jahre 1862. – Hinter uns liegen die großen Ereignisse der drei vorausgegangenen denkwürdigen Jahre, Ereignisse, die, wenn auch auf italienischem Grund und Boden zum Austrag gebracht, ihre Wellenringe weit über die Grenzen der Halbinsel hinauszogen und das bisherige Gleichgewicht Europas da und dort verrückten. Hinter uns liegen die blutigen Schlachttage von Magenta und Solferino, wo Louis Napoleon, mit Piemont gegen Österreich verbündet als »Makler«, um mit Bismarck zu reden, eine so höchst fragwürdige Ehrlichkeit entwickelte. Hinter uns liegt die von Louis Napoleon erstrebte und erreichte Annexion von Nizza. Cavour hatte, seinen eigenen Grimm unter der Maske diplomatischer Kälte verbergend, gesagt: »Es muß sein« … Garibaldis Zorn war machtlos gewesen.

Gaëta, der letzte Zufluchtswinkel der bourbonisch-neapolitanischen Königsfamilie, hatte unter dem Bombardement der piemontesischen Kriegsschiffe und Landbatterien kapituliert; die mehr als hundertjährige Herrschaft der Bourbonen in Italien war damit zu Grabe getragen und der Hesperidengarten also wenigstens von diesem Ungeziefer gesäubert.

Am Abend des 13. Februar 1861 hatte Gaëta, nach einer hunderttägigen Belagerung, die Flagge gestrichen, und dadurch die Entstehung des neuen, geeinigten Königreichs Italien tatsächlich besiegelt. Auch war Cavour nicht säumig gewesen, das heiße Eisen zu schmieden; schon vor der Kapitulation durfte man ja den Fall der neapolitanischen Festung nur noch als Frage der Zeit betrachten, und demgemäß hatte Cavour, der Katastrophe vorauseilend, das italienische Parlament auf den 18. Februar nach Turin einberufen. Cavours Erwartung traf ein, denn mit den Reichsboten gelangte auch gleichzeitig die Siegespost von Gaëta nach Turin. Mit einer Thronrede eröffnete Viktor Emanuel das erste Parlament des italienischen Volkes.

»Meine Herren,« begann er: »beinahe ganz Italien ist frei und geeinigt durch die wunderbare Hilfe der göttlichen Vorsehung, durch den einträchtigen Willen der Völker und durch die glänzende Tapferkeit der Heere. Ihnen, meine Herren, steht es zu, nun dem neugeschaffenen Reiche gemeinsame Institutionen und feste Ordnung zu geben. Sie werden darüber wachen, daß unsre politische Einheit, die Sehnsucht so vieler Jahrhunderte, niemals gemindert werden kann« … Nach einigen Sätzen, die hier unwesentlich sind, sprach der König mit merklicher Betonung weiter: »Nachdem ein loyaler, ausgezeichneter Fürst den Thron Preußens bestiegen hat, habe ich einen Gesandten nach Berlin beordert, der dem preußischen Monarchen meine Hochachtung und der edeln deutschen Nation meine Sympathie aussprechen soll. Möge sich Deutschland immer mehr und mehr davon überzeugen, daß Italien, in seiner naturgemäßen Einheit aufgerichtet, die Rechte und die Interessen der andern Völker nie verletzen kann.« – –

Die besondere Hochachtung, die Viktor Emanuel in seiner Thronrede dem König von Preußen zollte, läßt sich unschwer erklären. Ist ja Preußen für Deutschland ebenso der harte Fruchtkern, wie Piemont für Italien! Haben ja beide Staaten von Anfang an ähnliche innere (militärisch-aristokratische und bürgerliche) Elemente und äußere Lebensstellungen zwischen Frankreich und Habsburg gehabt! Piemont wie Preußen haben seitdem das Wort bewahrheitet, daß festgeordnete Partikularstaaten die natürliche Vorbedingung des Nationalstaates sind. Piemont besaß Fürsten, die, wenn auch feiner geschliffen, dem Großen Kurfürsten glichen. Beinahe gleichzeitig setzten sie sich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Königskrone auf. Der große Oranier (Wilhelm der Dritte, König von England) war es, der damals die Hände Piemonts und Preußens zum Kampfe für Europas Freiheit gegen Ludwig den Vierzehnten ineinanderlegte. Preußische Bajonette wirkten im September 1706 entscheidend mit, unter der Führung des Prinzen Eugen, das von den Franzosen hartbedrängte Turin zu entsetzen. Die Turiner haben dies heute noch nicht vergessen Friedrich der Erste, König von Preußen, hatte damals dem in den spanischen Erbfolgekrieg verwickelten deutschen Kaiser vertragsmäßig eine Bundestruppe von 12 000 Mann unter dem Kommando des Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau gestellt. Heroisch schlug sich das Kontingent mit den Franzosen in Italien herum. In der Schlacht bei Cassano befehligte der Dessauer den linken Flügel des deutschen Reichsheeres; von seinem Ungestüm hingerissen, stürzte sich Leopold, unter dem mörderischen Kugelregen der Franzosen, in den reißenden Ritorto, dessen jenseitiges Ufer er mit mehreren preußischen Bataillonen erklomm. Mit neuem Lorbeer schmückte sich der Dessauer vor den Mauern von Turin. Hier – am 7. September 1706 – erstürmte er, ein Stück Kommißbrot in der einen und seinen Degen in der andern Hand, eine französische Batterie von vierzig Kanonen, zu Fuß, da ihm sein Gaul unter dem Leibe erschossen worden war.
Bei seinem Siegeseinzug bliesen ihm die dankbaren Turiner ein Musikstück entgegen, das heute noch in der preußischen Armee floriert, den » Dessauer Marsch«. Das Tonstück war von einem Italiener komponiert.
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Auch der »alte« Fritz plante eine preußisch-piemontesische Allianz, die aus verschiedenen Gründen allerdings nicht zustande kam; trotzdem aber war und blieb das preußische Militärsystem bis zum französischen Revolutionskriege das Ideal der Könige von Sardinien …

Auf den 18. Februar 1861 hatte also Cavour das italienische Parlament nach Turin einberufen, mit der obenzitierten Thronrede hatte Viktor Emanuel den hochbedeutsamen Reichstag eröffnet. Schon am 21. Februar unterbreitete Cavour dem Senat eine Gesetzesvorlage, kraft welcher, nach tatsächlicher Aufrichtung des nationalen Staates, Viktor Emanuel für sich und seine Nachkommen den Titel eines »Königs von Italien« annehmen solle. Am 26. Februar stimmten 129 Senatoren für – nur zwei Klerikale gegen die Gesetzesvorlage. Am 14. März gab auch die Volkskammer ihr Votum ab, es lautete einstimmig: Ja.

Am 17. März unterzeichnete der König das einen europäischen Wendepunkt einleitende, alle Kabinette in Bewegung setzende Dekret:

»Viktor Emanuel II.,
König von Sardinien, von Cypern und von Jerusalem!

Der Senat und die Abgeordnetenkammer haben beschlossen und Wir sanktionieren und verkünden Folgendes: Einziger Artikel:

Viktor Emanuel II. nimmt für sich und seine Nachkommen den Titel eines Königs von Italien. Er schreibt sich: König durch die Gnade Gottes und durch das italienische Volk.«

Schon zuvor am 2. März, also während in der Abgeordnetenkammer die Abstimmung noch schwebte, war bereits der Protest Österreichs gegen den Titel »König von Italien« eingelaufen. Daran reihten sich die Einsprüche des Großherzogs von Toskana, des Herzogs von Modena, der Herzogin von Parma und des Papstes. Diese Proteste wurden zu Turin als »schätzbares Material« unbeantwortet zu den Akten gelegt. England seinerseits erkannte das neue Königreich an, dem Beispiel folgten die nordamerikanische Republik und die meisten kleinern europäischen Staaten. Die nordischen Mächte und die von ihnen abhängigen, das Beispiel der Annexion durch das Nationalitätsprinzip fürchtenden deutschen Höfe und Höfchen behandelten vorläufig die Sache noch als offene Frage; auch Louis Napoleon, trotz seiner persönlichen Sympathie, zögerte aus politischen Gründen mit der Anerkennung.

Die riesige Arbeitskraft Cavours hatte in jenen stürmischen Tagen ihre glänzendsten Triumphe gefeiert, sein Gehirn war nicht zur Ruhe gekommen. Jetzt wich mit einemmal der widernatürliche Überreiz einer ebenso intensiven Abspannung. Dazu kam noch, daß ihm sein Zerwürfnis mit Garibaldi tief zu Gemüte ging. Wie nur einer wußte Cavour die unvergeßlichen Dienste zu schätzen, die der tapfere Patriot mit seinen Freischaren der nationalen Sache geleistet hatte. Garibaldi war der »Mann mit dem Löwenherzen«, er war aber auch zugleich der »Mann mit dem Büffelkopf« und die subtilen Rösselsprünge der Diplomatie waren für den schlichten Haudegen ein ihm fremdes Operationsgebiet.

Wie Blücher, fluchte auch er in allen Tonarten über die leidige »Federfuchserei« und Säbel und Bajonett galten ihm als die besten Argumente. So lag es denn auch einfach in den gegebenen Verhältnissen, daß, als nach dem Kampf die regulierende Feder an die Reihe kam, Garibaldi mehr und mehr in den Hintergrund geschoben wurde. Schmollend und grollend brütete er wie Achilles in seinem Zelte. Am 18. April (1861) erschien er in seinem phantastischen Freischärlerkostüm im Parlament, um der Erbitterung seiner Legion, die sich der regulären Armee gegenüber zurückgesetzt sehe, Ausdruck zu verleihen. Der heißblütige Agitator ließ es in allen Tonarten über seine Lippen sprudeln; die Besonneneren im Parlamente bebten, denn mächtig war der Anhang, den der populäre Kondottiere in allen Gesellschaftsklassen zählte, und an seinem Zorn konnte sich ein Bürgerkrieg entzünden. Zum Ministertisch sich hinwendend, erklärte er mit Donnerstimme, einem Minister (Cavour), der seine (Garibaldis) Vaterstadt Nizza an die Franzosen verschachert habe, könne, noch wolle er jemals die Hand der Versöhnung bieten! Die herbe Rede rief im Saale einen echt südländischen Tumult hervor. Mit scheinbarer Ruhe hatte Cavour den leidenschaftlichen Angriff pariert, nach aufgehobener Sitzung aber ließ er die Maske fallen und kam nach Hause in einer geistigen und körperlichen Aufregung, wie sie seine Vertrauten noch niemals an ihm wahrgenommen hatten. Schon seit Monaten und infolge seiner Überarbeitung hatte der Staatsmann an Schlaflosigkeit gelitten; bald nach jener stürmischen Parlamentssitzung ergriff ihn ein Fieber, das übrigens anscheinend einigen Aderlässen wich. Am 29. Mai kam die Garibaldsche Freischärlerfrage im Parlament nochmals zu einer langen, animierten Debatte; erschöpft und traurig kehrte Cavour in seine Wohnung zurück. Schon am gleichen Abend stellte sich das Fieber wieder ein. Zwischen Delirien und lichten Momenten gingen die nächsten Tage dahin. In angstvollem Schweigen umstanden die Turiner das Ministerpalais. Ein Besuch des Königs Viktor Emanuel erfreute nochmals den Sterbenden. In der Nacht, die seinem Ende voranging, kehrte ihm das volle Bewußtsein zurück und wie Sokrates in seiner Todesstunde besprach der geniale Staatslenker mit seiner Umgebung die Zukunft seines großen nationalen Werkes. Auch seines unversöhnlichen Widersachers gedachte er dabei: »Garibaldi,« sagte er, »ist ein Ehrenmann und ich habe ihm verziehen. Er will nach Rom und Venedig – ebbene, ich auch! Nur sind unsre Wege verschieden« …

Seine letzten Worte waren an seinen Beichtvater Pater Jakob gerichtet: » Frate, frate, libera chiesa in libero stato!« Bruder, Bruder, eine freie Kirche im freien Staate.

Donnerstag, den 6. Juni 1861, um die siebente Morgenstunde starb Cavour.

Ganz Italien trauerte.

* * *

Die Sonne war untergegangen – die kleinern oder entferntern Lichter am parlamentarischen Himmel Italiens traten jetzt bestimmter hervor. Ricasoli war der ministerielle Erbe Cavours geworden. Cavours Parole: L'Italia, farà da se (Italien wird für sich selber handeln) war auch der Leitfaden für Ricasolis Politik; diese selbstbewußte Haltung paßte aber wenig in Louis Napoleons Kram, und seinen Machinationen gelang es denn auch, den ihm unbequemeren Ministerpräsidenten zu Falle zu bringen und das Portefeuille in die Hände des geschmeidigern, nach der Pariser Pfeife tanzenden Rattazzi zu spielen.

Dies geschah im März 1862 …

Mit bitterm Grimm saß Garibaldi immer noch in seinem Schmollwinkel. Rattazzi beeilte sich, dem knurrenden Löwen das Fell zu streicheln, und es gelang ihm auch, den verstimmten Alten soweit herumzukriegen, daß dieser die Aufgabe übernahm, die National-Schützenvereine in Oberitalien in einen organischen Verband zu bringen. Der Ministerpräsident und der Agitator hatten übrigens dabei einen und denselben Hintergedanken: jeder wollte den andern ins Schlepptau nehmen. So kurzsichtig Garibaldis diplomatischer Blick auch sein mochte – so weit reichte er dennoch, um zu erfassen, daß die napoleonische Politik so bald nicht gestatten würde, den Faden zu lösen, der Italien in der Hand Frankreichs festhielt. Dieser Faden war die französische Garnison, die zu Rom lag. Um aber die Ewige Stadt von den verhaßten Rothosen zu säubern, erschien Garibaldi kein Umweg zu weit. In diesem Gedanken stimmte er ganz und gar mit Mazzini überein.

Noch glaubte man den »Schützenkönig« droben in Oberitalien – – da, im Juni 1862, tauchte er mit einemmal drunten in Sizilien auf!

Die »Garibaldiner« bildeten auf der Insel eine zahlreiche Partei, sie standen den »Piemontesen« offen entgegen. Der insulare Partikularismus war der Grundton dieser Opposition. Wie ein Gott wurde der alte Kondottiere von seinen Partisanen empfangen. In donnernden Reden entlud er seinen glühenden Haß gegen Louis Napoleon, diesen »Betrüger und Freiheitsmörder, diesen Roma-Räuber«. Durch eine neue sizilianische Vesper müsse diesem gekrönten Briganten die Tiberstadt aus den Klauen gerissen werden!

Wie aus der Erde gestampft, tauchten in Stadt und Land die Rothemden auf. Noch wilder als 1860 sollte der Tanz losgehen. Zu Paris blieb natürlich diese Demonstration nicht lange verborgen und von den Tuilerien flog eine bündige Depesche nach Turin, die zur Folge hatte, daß Rattazzi den tüchtigen General Cugia mit Truppen und allen möglichen Vollmachten nach Palermo beorderte. Diese Stadt hatte Garibaldi am 29. Juli verlassen und seine Freiwilligen dreißig italienische Meilen weitergeführt, nach dem Park von Ficuzza, wo er vorläufig die Rothemden von morgens bis abends exerzieren und nach der Scheibe schießen ließ. Die eiserne Mannszucht, die er von jeher übte, und die mit der Standrechtskugel gar nicht lange scherzte, hielt auch die wildesten Gesellen in Rand und Band.

Zu Ficuzza richtete Garibaldi bei einer Parade eine seiner zündendsten Ansprachen an die Legion: »Hunger und Durst werden unsre Quartiermacher sein,« sagte er darin: »dafür verspreche ich euch reichliche Gefahren.« Eine zweite Depesche blitzte von Paris nach Turin und öffnete diesmal dem König Viktor Emanuel selber den bisher verschlossenen Mund.

Am 3. August erschien eine von ihm unterzeichnete Proklamation, die jeden eigenmächtigen Handstreich gegen Rom als einen Akt der Rebellion bezeichnete. »Die Verantwortung und die Strenge der Gesetze werden auf das Haupt der Ungehorsamen fallen. Ich werde die Würde der Krone und des Parlaments unverletzt zu erhalten wissen, um dafür das Recht zu haben, von Europa volle Gerechtigkeit für Italien zu fordern.«

Gerade der diktatorische Ton der Warnung war dazu angetan, Garibaldi nur noch mehr aufzureizen. Mehr als jemals zeigte er sich jetzt in seinem ureigensten Ich: Löwenherz und Büffelkopf. Mit der zähen Energie, die den Grundstock seines Wesens bildet, betrieb er seine Rüstungen weiter. Er selber war mittellos nach Sizilien gekommen, aber eine Kollekte unter seinen Anhängern und Verehrern hatte rasch ein paar tausend Lire ergeben, die die Beschaffung des Nötigsten ermöglichten. Unverdrossen ließen die Frauen und Töchter der Parteigenossen die Nadel fliegen, um rote Wollhemden und Mäntel zusammenzunähen, andere Freunde sorgten für die Munition und Armatur der täglich noch herbeiströmenden Freiwilligen. Einige leichte Gebirgskanonen, die die Schützengilde von Palermo von früher her besaß und jetzt an die Legion abgetreten hatte, wurden zu einer Batterie formiert und mit Maultieren bespannt.

Die Mehrzahl der Legionäre waren Sizilianer, den Kern aber bildeten fremdländische Abenteurer, Polen, Ungarn, Deutsche und Franzosen, die sich früher schon unter Garibaldi geschlagen hatten, oder in einer regulären Truppe geschult worden waren. Wie schon bemerkt, vereinigte die Legion die verschiedensten Alters- und Gesellschaftsklassen: Edelmann und Proletarier, die jüngsten waren fast noch Knaben, die ältesten fast schon Greise. Der Offizier war auf die gleiche Ration angewiesen wie der Gemeine, Sold gab es nicht. Garibaldi war der General der abenteuerlichen Schar, sein Sohn Menotti führte als Kapitän die Scharfschützenkompagnie. Der Oberst Nullo, ein alter Haudegen von Fach, bildete anfänglich in seiner Person den ganzen Generalstab, der sich erst zu Ficuzza durch den Eintritt des Obersten Marchese della Mirandola zu einem Dualismus erweiterte.

Der Riese Luigi Pianciani endlich, ein vormaliger Offizier der päpstlichen Grenzgendarmerie, fungierte als Kriegskommissar und Intendant des so bunt zusammengewürfelten Freikorps. Schon in den Jahren 1848 und 1849 hatte er als blutroter Republikaner im Kirchenstaat und in der Lombardei herumgefuchtelt und war dabei »Oberst« geworden. Der italienischen Phantasie genügten ein borstiger Schnurrbart und ein rasselnder Sarras, um aus diesen beiden Ingredienzien einen »Colonnello« zusammenzubrauen. Allerdings gehörte damals zu den Epauletten solch eines »wilden« Obersten noch etwas: eine schneidige, keinen Gott und Teufel fürchtende Bulldoggen-Courage, denn darin stak das ganze Oberst-Patent. Und nach diesem Gradmesser hätte Pianciani den Federhut eines Generalfeldmarschalls verdient.

* * *

Inzwischen war der königliche General Cugia mit seinen Truppen zu Palermo eingetroffen und ungesäumt zur Verfolgung der Freischar geschritten. Garibaldi, von seinen Spionen trefflichst bedient, wich den Streifkorps aus. Er tat dies keineswegs aus Furcht, sondern er ging den Regierungstruppen aus dem Wege, weil es für ihn keinen Zweck hatte, auch nur einen Mann in die Schanze zu schlagen. Rom war sein Ziel und bis dorthin galt es, Pulver und Blut zu sparen. In forcierten Märschen suchte er die Nordostküste der Insel zu erreichen, um von da nach Kalabrien überzusetzen. Am 18. August kam er nach Catania. Auf den Eilmärschen über Stock und Stein hatte die Legion, buchstäblich genommen, Schuhe und Strümpfe verloren, nicht aber die Begeisterung und Hingebung für den geliebten Führer. Zu Catania erwartete den abenteuerlichen Haufen eine neue Post: die Regierung, zweifelsohne unter dem Hochdruck Louis Napoleons, hatte Sizilien in Kriegszustand erklärt. Sechs Tage rastete die ermattete Schar zu Catania, die Bürgerschaft pflegte die Romafahrer wie Halbgötter, die Regierungsbehörden beobachteten eine Haltung, die allerdings die Frage zuließ, ob es ihnen wirklich so Ernst damit sei, die Expedition nach Rom zu verhindern. Es verbreitete sich das Gerücht, Garibaldi habe durch den königlichen Präfekten von Catania ein Schreiben Viktor Emanuels erhalten, worin mehr der besorgte Freund als der zürnende Monarch von dem Handstreich gegen Rom abrate. Andere wollten wissen, die Regierung beabsichtige, den Tollkopf auf ein Schiff zu locken und zu entführen. Dies war auch tatsächlich der Plan, aber Garibaldi ersparte sich diesen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen. In der Nacht des 24. August bestieg er mit dreitausend Mann, unter denen einige hundert Deserteure der königlichen Truppen, zwei Dampfer, die ihm ein befreundeter Reeder zur Verfügung gestellt hatte. Eine königliche Kriegskorvette, die draußen ankerte, ließ es geschehen. Noch am Tage vor seiner Abfahrt hatte Garibaldi zu Catania eine Proklamation an das italienische Volk drucken lassen. Sie lautete:

»Mein Programm ist noch immer dasselbe. Ich beuge mich vor der Majestät des erwählten Königs der Nation, aber ich bin ein Feind des munizipalistischen (piemontesisch-partikularistischen) Ministeriums in fremder Livree, das im Süden nur Haß gesät hat und erntet. Diese Wahnsinnigen wollen auf dem Altar des Despotismus (Napoleons) wohlgefällige Opfer schlachten. Möge abermals das Plebiszit Italien retten, damit die Einheit Wahrheit werde! Nach Rom! nach Rom! Herbei zum heiligen Kreuzzug! Ich will in Rom als Sieger einziehen, oder unter seinen Mauern fallen. Sterbe ich, so werdet ihr, Italiener, meinen Tod würdig rächen und mein Werk vollenden. Es lebe Italien! Es lebe Viktor Emanuel auf dem Kapitol!«

Der kühle nordische Leser mag vielleicht über dieses südliche Pathos lächeln, und dennoch war es im Munde Garibaldis alles, nur keine hohle Phrase. Roma, die Hauptstadt Italiens – sein ganzes Denken und Träumen konzentrierte sich in diesem Schlagwort und zu jeder Stunde war er bereit, für diesen Siegespreis sein Leben einzusetzen.

Unbehelligt landete die Legion am Kap Spartivento, der Südostspitze von Kalabrien. Auch diese Provinz, überhaupt das ganze neapolitanische Festland, war in Kriegszustand erklärt worden; hier aber konnte Garibaldi sofort merken, daß die Sache für ihn ungleich schiefer lag. Aus guten Gründen. Die zweideutige Haltung der Regierungsbehörden in Sizilien war natürlich dem beobachtenden Auge Louis Napoleons nicht verborgen geblieben, und der gereizte »Vormund Italiens« hatte nicht gesäumt, eine noch schärfere Schraube anzusetzen. Während Garibaldi mit seiner Legion noch zu Catania rastete, war von den Tuilerien ein kategorisches Ultimatum nach Turin geflogen: entweder macht das italienische Ministerium sofort und ernstlich Front gegen die römische Freischaren-Expedition, oder aber werden die Franzosen umgehend in Neapel einrücken und die Pazifizierung auf eigene Faust besorgen. In loderndem Grimm mag, angesichts dieses herrischen Diktums, der heißblütige Viktor Emanuel seinen martialischen Schnurrbart gestrichen haben, mit der geballten Faust in der Tasche mußte er aber gehorchen, denn keinem Zweifel unterlag es, daß der Kaiser entschlossen war, seiner Drohnote Folge zu geben …

Ohne am Kap Spartivento Halt zu machen, marschierte Garibaldi, die Berge quer durchschneidend, mit seiner Legion auf die an der kalabrischen Westküste liegende Stadt Reggio los. Der unbeugsame Kondottiere fragte den Teufel nach Kriegszustand und napoleonischen Drohnoten. »Wir müssen nach Rom«, sagte der Büffelkopf auf seinen Schultern und das Löwenherz in seiner Brust antwortete: nach Rom! Bevor er aber Reggio erreichte, kam ihm bereits eine Deputation der dortigen Bürgerschaft entgegen, die ihm zwar die vollste Sympathie der Reggianer und einen »Ehrentrunk« darbrachte, ihn aber auch zugleich beschwor, die Stadt nicht unglücklich zu machen, denn eine starke Garnison unter dem Kommando des königlichen Generals Cialdini sei zum Äußersten entschlossen. Wiederum war es nicht Feigheit, die den Agitator bestimmte, von seinem Wege abzuschwenken. Nicht mit den königlichen Truppen, sondern mit den päpstlichen Schlüsselsoldaten wollte er sich herumschlagen und demzufolge galt es, die Grenzen des Kirchenstaates ohne jeden Aufenthalt zu erreichen. Garibaldi wußte, daß im Herzen jeder patriotische Italiener seinen Gedanken teilte und billigte. »Rom, die Hauptstadt von Italien« – diese stille Parole ging von Seele zu Seele; mit dem ihm eigenen flammenden Ungestüm und phantastischen Optimis hatte Garibaldi auf diesen nationalen Traum seinen ganzen verwegenen Handstreich gegründet.

Der »heilige Kreuzzug nach der Ewigen Stadt« wird und muß den König, das Heer, das ganze italienische Volk mit sich fortreißen. Rom oder der Tod! – – Getröstet hatte die Deputation den Rückweg nach Reggio angetreten; Garibaldi linksumkehrt machend, schlug sich mit seiner Legion wieder in die Berge zurück, um auf Nebenwegen den Truppenkordon zu durchbrechen.

Der königliche General Cialdini, schon von früher her mit Garibaldi persönlich verfeindet, war gewillt, dessen Plan um jeden Preis zu durchkreuzen. Seine Streifkorps, glücklicher als die des Generals Cugia drüben in Sizilien, gewannen bald mit der vorwärtshastenden Legion Fühlung, und schon am 27. August kam es zwischen Regierungstruppen und Garibaldis Nachhut zu einem Scharmützel. Unter strömendem Regen und von bitterem Hunger geplagt, zwei Dutzend magere Schafe waren die letzte Nahrung gewesen, hetzte die Freischar über Stock und Stein weiter, um der drohenden Umklammerung zu entrinnen, aber die Pässe, durch die Garibaldi sich durchzuschlängeln suchte, waren alle schon besetzt und abgeschnitten, und so drängte ihn die Taktik seines (auch numerisch überlegenen) Gegners immer mehr und mehr in die Mausefalle. Aber noch immer blieb die Zähigkeit Garibaldis ungebrochen, und immer höher kletterte er in die Bergwildnis hinauf, in der Hoffnung, seine Verfolger zu ermüden oder irrezuführen. Fieber und Entkräftung lichteten die Reihen der flüchtigen Schar, um die sich Cialdinis eiserner Ring immer enger und enger zusammenzog. Am Morgen des 28. August hielt Garibaldi bei den Sennhütten von San Stefano im strömenden Regen eine Revue über seine Legionäre ab, er zählte die Häupter seiner Lieben, und von den Dreitausend, mit denen er in Kalabrien gelandet war, antworteten noch Fünfzehnhundert auf den Appell: die andere Hälfte war zersprengt, oder tot und blessiert, erschöpft und fieberkrank zurückgeblieben. Unter dem erbarmungslos fort und fortprasselnden Regen schleppte sich die Legion noch höher in das wildzerklüftete Gebirge hinauf, nach dem sogenannten Piano forestale d'Aspromonte, einem öden Hochplateau, das sich fünftausend Fuß über den Meeresspiegel erhebt. Der Sache Garibaldis zugetane Hirten hatten versprochen, Lebensmittel hierher schaffen zu wollen. Sehnsüchtig lauerte die ausgehungerte Schar auf das Eintreffen des Proviants, aber Stunde um Stunde verrann, ohne daß sich einer der so heiß erwarteten Eliasraben zeigen wollte. Doch auch die verfolgenden Regierungstruppen blieben unsichtbar. Hatten sie, nicht minder erschöpft, die wilde Jagd aufgegeben, oder rüsteten sie sich zum entscheidenden Streich? …

So verging unter Harren und Hoffen der Tag, so senkte sich der Abend auf das trübselige Biwak herab, von dem der nächste Abschnitt erzählt.


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