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Dolores.

In der großen Halle oder Küche der Hacienda del Cerro war einige Stunden vorher fast die ganze Bevölkerung, oder, richtiger gesagt, Besatzung dieser kleinen Feste zur Stunde der Abendmahlzeit versammelt, mit Ausnahme derer, die auf den Mauern des Gehöftes und den flachen, mit einer Art krenelierter Brustwehr umgebenen Dächern der Gebäude Wache hielten.

Um die folgenden Ereignisse besser ergreifen und der Anschauung des Lesers zu deutlicherem Bilde gestalten zu können, müssen wir eine kurze Beschreibung des Schauplatzes geben.

Die Hacienda del Cerro, das Eigentum des Senators Don Estevan, lag, wie schon ihr Name: Cerro, Hügel, verkündete, auf dem Rücken eines ziemlich hohen, die Form eines Dreiecks darstellenden Hügel, dessen nach der Sierra gerichtete Spitze von steil aus breiten Schluchten emporsteigenden Wänden gebildet wurde, während die breitere Basis flacher zu weitem und schönem Weidengrund abfiel. Die Schluchten, die während der Regenzeit zum Abfluß der Gebirgsbäche nach einem der Nebenflüsse des Hyaqui dienten, waren auf der gegenüberliegenden Seite von Felsen und zum Teil dichtem Gehölz begrenzt und bildeten den Anfang der freilich noch sehr rohen Wege nach San Augustin und Los Ures auf der einen, nach Guaymas auf der anderen Seite, in welche Richtungen hier der Weg und Paß von San Miguel jenseits der Sierra sich teilt.

Die Hacienda war durch diese Lage ein wichtiger Punkt sowohl für die Beherrschung der Sierra wie für die Ausgänge in die Ebene.

Die beiden Vorderseiten der Hacienda waren, wie wir bereits erwähnt, schon von Natur befestigt. Ein schmaler Pfad wand sich durch den Felsgrund hier herauf und mündete in ein enges wohlverwahrtes Pförtchen der zwanzig Fuß hohen aus Steinen fest aufgeführten Mauer, die um die beiden Vorderseiten des Hügels lief und nur einen schmalen Fußweg zwischen ihrem Fuß und dem Absturz des Felsens ließ. Ein hölzerner Rundgang im Innern um die Mauer und eine Art von Wachttürmchen über der kleinen Pforte gewährte den Bewohnern der Hacienda auf dieser Seite eine weite Aussicht und ziemlich gesicherte Verteidigung.

In diesem Teil des Hofes befanden sich die Schuppen für die Vorräte, die Wohnungen der Peons und Vaqueros und ein Abschlag für den wertvollen Teil der Herden, wenn die Annäherung einer Gefahr es nötig machte, die Tiere in volle Sicherheit zu bringen.

Die Basis des Dreiecks nahm das Herrenhaus der Hacienda ein. Es erstreckte sich mit seinen Anbauten zu beiden Seiten über den ganzen Raum und schloß so den inneren Hof gegen die leichte Abdachung ab, die zwischen den beiden Schluchten hier zur Ebene niederstieg. Das mittlere oder Hauptgebäude stammte offenbar noch aus der Zeit der spanischen Konquistadoren. Es war wie auch die Außenmauern der beiden Seitenflügel ganz von Stein aufgeführt, und bildete mit der Hinterwand, die nur wenige vergitterte Fenster zeigte, die Befestigung des großen Gehöftes gegen die Ebene. Zwei große Thore von dem Holz der Steineiche, mit Kupfer und großen Nägeln beschlagen, führten durch die beiden Seitengebäude von außen her in den innern Hof. Das Dach des Herrenhauses und seiner niederen Seitenflügel war flach, mit einer steinernen Brustwehr versehen. Die Art dieses einsamen und alten Baues glich in der That der eines für jene Gegend und die Angriffsmittel der uncivilisierten Feinde ziemlich starken Forts.

Der einzige schwache Punkt war durch die Laune der Tochter des jetzigen Besitzers entstanden. Er bestand in einer Art von Veranda oder hölzernem Balkon, welcher an der Außenseite des Hauptgebäudes angebracht war. Mittels dieses Balkons und seiner Thür in das Innere des Hauses war auch bei dem früher erwähnten Angriff der Apachen auf die Hacienda der »Graue Bär« in das Zimmer der Señorita gedrungen. Jetzt aber, da der Eigensinn der Schönen trotz der gefährlichen Erfahrung diese Veranda nicht aufgeben wollte, hatte die Vorsicht des Senators die Thür durch eine Art von mittelalterlichem Fallgitter aus starken Eisenstangen gesichert, das, beweglich in der Steinwand, vor der Thür niederzulassen war.

Der Grund, der Señora Dolores sowohl zu der Anlage wie zur Festhaltung dieser Veranda bewogen hatte, war offenbar die Aussicht auf die Corrals, die sich an die Außenseite des Hauses anschlossen und den ganzen Abhang des Hügels bedeckten.

Hierhin mußten in Zeiten der Gefahr die Pferde und Rinderherden aus der Umgegend getrieben werden. So offen auch diese Corrals oder Umzäunungen einem Feinde waren, so boten sie doch immerhin Gelegenheit zu einer wirksamen Verteidigung; denn eine tüchtige Büchse beherrschte von der Höhe des Hauses das ganze abfallende und offene Terrain, und es ist bekannt, daß der Indianer sich nicht gern ohne Deckung für seine Kriegslisten dem Feuer des Feindes aussetzt.

Im Innern des Hofes lief, wie bei allen Gebäuden spanischer Bauart, eine offene hölzerne Veranda die ganze Hausfront entlang bis zu dem an dem Zusammenstoß der Seitenflügel und der Hofmauern angebrachten Eingangsthoren.

In der Mitte des Hauptgebäudes, etwa 5 bis 6 Stufen über dem Souterrain befand sich die große Halle der Hacienda, dazu bestimmt, sowohl beim Gebet als in den Stunden der beiden Mahlzeiten die sämtlichen Bewohner der Meierei zu vereinigen; denn in den Einöden Mexikos, wo ein Landgut, ein Dorf oft mehr als eine Tagereise von dem andern lag, die Kommunikation also sehr erschwert ist, herrschte noch die gute alte Sitte, daß der Hausherr mit seinen Dienern bis zum geringsten herab an einem Tisch saß und sie so zur Familie zählte. Hinter der Halle, die zugleich als Küche und Aufbewahrungsort der Waffen und verschiedener Geräte diente, lag nach der Seite der Ebene das Gemach der Señorita, an den Balkon grenzend, rechts befanden sich die Frauen- und Staatsgemächer des Hauses, links die des Hausherrn und ein paar Zimmer zur Aufnahme von Fremden. Die beiden niederen Seitenflügel des Hauptgebäudes waren für die Dienerschaft bestimmt.

Don Estevan befand sich mit den meisten seiner Hausgenossen in der großen Halle. Es war, wie schon bemerkt, am fünften Tag, nachdem der Haciendero mit dem Polen Morawski, dem Kreuzträger und den schon berittenen Mitgliedern der Expedition, etwa ihrem vierten Teil, San Fernando Guaymas verlassen hatte. Die Glocke auf dem Wachtturm über dem vorderen Eingang, von dessen Höhe man die Umgebung nach allen Seiten übersehen konnte, hatte schon vor einer Stunde das Ave geläutet und die Bewohner zu der Abendmahlzeit versammelt. Diese war vorüber, die Mägde und Dienerinnen der Hacienda räumten eben die großen Zinnschüsseln und hölzernen Brotkörbe von den Tischen, die sich quer durch die ganze Halle dehnten, und die Männer saßen in verschiedenen bunten und charakteristischen Gruppen auf den Bänken, oder lehnten an den Wänden und Holzblöcken, mit der Sorge für ihre Waffen beschäftigt oder in halblautem Ton von den während des Tages eingegangenen Nachrichten über das Vordringen der Wilden und die getroffenen Verteidigungsmaßregeln plaudernd.

Es waren sonnverbrannte, wilde Gestalten, die sich hier zusammengefunden, etwa fünfzehn Männer, während zehn andere draußen auf den Mauern Wache hielten, oder mit den Tieren beschäftigt waren. Jedes Alter war vertreten. Neben dem greisen Rostreador, unter dessen breitem Sombrero langes weißes Haar hervorhing, während die dunklen Augen noch jugendliche Blitze des Hasses schossen, wenn eine neue Greuelthat der Indianer erzählt wurde, saß ein junger hübscher Vaquero, der kaum die Knabenjahre überschritten, und horchte, den Riemen seines Lasso ausbessernd, aufmerksam auf die Bemerkungen des Alten, indes das scharfe Rad des großen Sporns an seinem linken Fuß ungeduldig sich in das Estrich des Bodens bohrte. Die wüsten verwegenen und abenteuerlichen Reiter des Polen, aus allen Ländern der alten und neuen Welt stammend, ließen sich von den Hirten und Jägern des Gutes die Abenteuer ihres wilden Lebens und die Listen der Indianer berichten, gleichviel, ob ihre Kenntnis des Spanischen ihnen viel davon zu verstehen erlaubte oder nicht. Aber mit einer gewissen Verachtung wiesen sie den thönernen Wasserkrug zurück, wenn er an dem Tisch von Hand zu Hand die Runde machte, während ihre Augen sehr verlangend nach dem Seitenschrank schielten, in den der Mayordomo der Hacienda die große dickbäuchige Flasche mit scharfem Meskal wieder verschlossen hatte, nachdem vorhin jedem der Fremden ein gutes Glas gereicht worden war.

Der Administradore oder Mayordomo der Hacienda war ein alter Mann, dessen Familie schon fast seit ebenso viel Generationen, als die des Señor Montera selbst die Hacienda besaß – das war also seit etwa zweihundert Jahren – im Dienst derselben stand und deshalb die größte Treue und Anhänglichkeit für die Gebieter hegte. Er war in seiner Jugend einer der verwegensten Vaqueros und Reiter gewesen, der mehr als einmal das Kunststück gemacht hatte, auf dem Rücken seines Pferdes stehend in eine Herde wilder Büffel zu galoppieren und dem Tier, das er sich ausersehen, die Bolas um die Hörner zu werfen, und war von dem Posten des ersten Vaquero seit länger als fünfzehn Jahren jetzt zu dem wichtigen eines Ober-Aufsehers und Verwalters der Hacienda befördert worden, als welcher er in der Abwesenheit des Gutsherrn unbedingte Herrschaft übte.

Der alte Mann stand jetzt achtungsvoll zur Seite, während der Gebieter des Hauses mit unruhigen Schritten, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, auf und niederging.

Der Senator, wie seine Gedanken sich bald mit seinem Eigentum, bald mit der Besorgnis wegen des Ausbleibens seiner Tochter und des Grafen beschäftigten, blieb wiederholt vor seinem ersten Diener stehen, eine Frage an ihn richtend. Dies geschah eben jetzt wieder.

»Was sagst Du, Geronimo, das von den Herden eingebracht ist?«

»Die Cavalada aus dem Wald, Señor, ist in dem äußeren Corral. Vusia Vusia wird im Umgang die Anrede an vornehme Herren: Vuestra Sennoria ausgesprochen. könnte sie morgen bei Aufgang der Sonne sehen, so frisch und munter, als hätte keines von ihnen den Lasso oder das Eisen Das Zeichen des Besitzers, mit dem die wilden Pferde gebrannt werden, zu welchem Zweck alljährlich der betreffende Teil der Heerden eingefangen wird. empfunden. Auch die besten Pferde der Weide aus dem Val San-Michael befinden sich vorn im Gehöft. Der junge Diaz dort, ein Knabe zwar an Jahren, aber ein Mann an Mut und Schlauheit – er stammt aus unserer Familie Señor, und ich empfehle ihn Ihrer Gnade – hat sie vor zwei Stunden eingebracht, nicht ohne Gefahr! denn diese Teufel von Apachen, welche die heilige Jungfrau mit ewigem Feuer dafür strafen möge, waren ihm dicht auf den Fersen. Die andern Tiere sind freilich im Gebirge zerstreut, da sie der Leitstute nicht folgen konnten, und die Indianer werden leichtes Spiel mit ihnen haben.«

»Der Verlust ist zu ertragen. Wer hat die Wache für die Nacht im äußeren Corral?«

»Benito, Señor. Euer Excellenz kann ruhig sein, ich habe ihm die zwei besten unseres Peons zugegeben.«

»Ich weiß in der That nicht, was ich von dem Ausbleiben meiner Tochter denken soll. Sie mußte schon vor mehreren Stunden eintreffen, denn der Ritt in der Dunkelheit ist gefährlich bei der Nähe der Indianer.« Er ging wieder auf und nieder. »Wie viele von den Rindern sind eingebracht?«

»Die Herde von der östlichen Weide, Señor Don Senador. Es sind ihrer mit den Kälbern an zweitausend Stück. Ich habe die andern Herden nach den Ufern des Büffelflusses treiben lassen.«

»Wenn Graf Boulbon, mein Schwiegersohn – ich vergaß Dir zu sagen, Padre, daß Señora Dolores mit einem französischen Caballero von königlichem Geblüt verlobt ist! – auch erst am Abend aufgebrochen wäre, müßte er meine Tochter, seine Braut, doch schon gestern eingeholt haben, und sie könnten den Weg, den mich die Besorgnis in doppelter Eile zurücklegen ließ, mit aller Ruhe gemacht haben! Es muß etwas vorgefallen sein, das ihre Ankunft verhindert. Sollten die Indianer bereits die Sierra überschritten haben und den Weg nach Guaymas sperren?«

Ehe der alte Beamte noch eine beruhigende Antwort geben konnte, erschienen in der offenen Thür der Halle drei Personen. Es waren der alte Pole, der Anführer der Reiter des Grafen, der Kreuzträger und ein Peon, dessen Stirn mit einem seidenen Tuch, unter dem Blutstropfen hervorquollen, umbunden war, und dessen Kleidung und Aussehen von einem Handgemenge oder einer noch schwereren überstandenen Gefahr zeugten.

Der Senator ging hastig auf die beiden Männer zu. »Nun Signor Teniente, haben Sie etwas zu erkunden vermocht?«

Der Pole, der nur wenig Spanisch sprach, wies auf den Spurfinder. »Fragen Sie diesen Braven hier, Señor,« sagte er, »er wird Ihnen bessere Auskunft geben. Der Henker hole diesen von Rissen und Schluchten durchbrochenen Boden, wo jeder Schritt des Pferdes ein Sprung sein muß. Habt Ihr nicht irgend einen Schluck, Kameraden, an dem man sich erfrischen kann, denn ich bin durstig und hungrig wie ein Wolf.«

Auf einen Wink des Hausherrn holte der Verwalter wieder die große Flasche feurigen Branntweins aus ihrem Verschluß, und der Pole stürzte ein großes Glas hinab, während für ihn und den Spurfinder eine Mahlzeit auf den Tisch gebracht wurde.

Aus dem Bericht des letzteren ergab sich jetzt folgendes:

Leutnant Morawski hatte es durchaus für seine Pflicht gehalten, in Person eine Rekognoscierung nach der Seite hin zu unternehmen, wo man die Indianer wußte, obschon der Senator und der Kundschafter ihm das Unnütze und Gefährliche dieses Verfahrens vorgestellt hatten, da er weder mit dem Lande, noch mit den Gewohnheiten des Feindes vertraut war. Endlich hatten ihn der Spurfinder und einer der Hirten zu Fuß begleitet und die drei waren gegen Abend aufgebrochen. Wie Kreuzträger vorausgesehen, war dem an die Ebenen seines Landes gewöhnten Soldaten der Ritt durch das gebirgige und felsige Terrain bald sehr beschwerlich geworden, und der Kanadier hatte es zuletzt vorgezogen, ihn mit dem Peon an einer gesicherten Stelle zurückzulassen, während er selbst vorwärts drang.

Die Zurückgebliebenen mochten etwa eine Stunde in ihrem Versteck verweilt haben, als der entfernte Knall einer Büchse zu ihnen drang. Sie konnten jedoch nichts thun, ihrem Gefährten, wenn er in Gefahr war, Hilfe zu bringen, und mußten dessen Rückkehr erwarten. Er kam auch bald in Begleitung des verwundeten Mannes, den sie soeben mit in die Hacienda gebracht hatten. Dieser war von Guainapa, das an der Grenze des Staates Chihuahua liegt, geschickt, um auf der Hacienda oder in den weiter zurückliegenden Städten Beistand gegen die Indianer zu erbitten, die bereits einen Angriff auf den kleinen Ort gemacht hatten, der jedoch abgeschlagen worden war. Es war dem Mann glücklich gelungen, zwischen den streifenden Horden der Indianer sich durch die Sierra zu schlagen, als er etwa zwei Leguas noch von der Hacienda entfernt, auf zwei berittene Indianer stieß, die ihn hartnäckig verfolgten. Sein Pferd, ermüdet von dem langen Weg, vermochte das Rennen nicht auszuhalten, und bald waren die Verfolger so dicht hinter ihm, daß der Lassowurf des vordersten ihn erreichte. Er wurde vom Pferde gerissen, über den steinigen Boden fortgeschleift und gab sich verloren, als der Knall einer Büchse an sein Ohr schlug, der Indianer, der ihn fortschleifte, aus dem Sattel stürzte, und der zweite so rasch als möglich entfloh. Kreuzträger, der den Schuß abgegeben hatte, beeilte sich, den jämmerlich auf den steinigen Boden Zerschlagenen aus der Schlinge zu lösen, die ihm die Kehle zuschnürte, und ihn mit Wasser aus dem nächsten Quell wieder zu sich zu bringen. Dann machte er sich daran, die beiden Pferde, das des Mexikaners und das des Apachen einzufangen, was ihm zum Glück bald gelang, und kehrte darauf zu dem Geretteten zurück, den er bereits aufrecht sitzend fand. Eine kurze Untersuchung genügte dem Erfahrenen, um sich zu überzeugen, daß der getötete Indianer, dem die Kugel gerade in die Augenhöhle eingedrungen war, zum Stamme der Mimbrenos gehörte, und da er aus den Nachrichten der Vaqueros in der Hacienda wußte, daß die Indianer, die sich in nordöstlicher Richtung von dieser gezeigt hatten, Gilenos oder Mescaleros waren, so konnte er leicht die Größe der Gefahr, die sie bedrohte, ermessen und erkennen, daß die Hacienda bereits auf allen Seiten vom Feinde eingeschlossen war, oder doch bald eingeschlossen werden mußte.

Und dieser Feind war einer, der kein Erbarmen kannte, wenn er der Sieger blieb!

Kreuzträger begnügte sich damit, den verhängnisvollen Einschnitt in sein seltsames Abrechnungsbuch zu machen. Dann half er dem verwundeten Boten, den er so gut wie möglich verbunden, in den Sattel seines Pferdes, schwang sich auf das Roß des erschossenen Apachen, auf dessen Brust sein Messer das furchtbare, den Indianern wohlbekannte Handzeichen im Querschnitt zurückgelassen, und kam bald mit seinem Schutzbefohlenen zu dem Versteck des Polen zurück, den er ungeduldig genug über seine gezwungene Unthätigkeit vorfand, und mit dem er alsbald zur Hacienda zurückkehrte.

Der Haciendero sah die Gefahr, die er bisher nur gefürchtet hatte, jetzt in drohendster Nähe. Bei all seiner stolzen Förmlichkeit herrschte doch ein Gefühl in ihm vor, die Liebe zu seinem einzigen Kinde, dessen Launen sich zu fügen er gewohnt war, und das sein Ehrgeiz bereits als unabhängige Herrscherin der Sonora gesehen hatte. Eine unbeschreibliche Sorge und Angst um ihr Schicksal ergriff ihn und er war selbst einen Augenblick Willens, die Hacienda mit all ihrer Sicherheit und ihren Reichtümern preiszugeben und mit allen Leuten auszuziehen, um seine Tochter zu suchen.

Von diesem ebenso unpraktischen als übereilten Entschluß hielt ihn nur sein kastilianischer Stolz und sein der Yunta von Guaymas gegebenes Wort zurück, daß er die Hacienda auf das äußerste verteidigen würde.

Don Esteban versammelte daher einen Kriegsrat aus den ältesten und bewährtesten Dienern der Besitzung und den Führern der Reiterabteilung um sich, um mit ihnen über die Schritte zu verhandeln, die in dieser Verlegenheit zu thun waren.

Die Besatzung der Hacienda genügte wohl, um dem Angriff einer plündernden Rotte von Indianern die Spitze zu bieten, aber sie war zu schwach, um der Belagerung der vereinigten wilden Völkerschaften zu widerstehen.

Es konnte dieser Erkenntnis gegenüber kein Zweifel sein, daß die Hacienda in diesem Augenblick von den vereinigten Stämmen der Apachen und wahrscheinlich auch der kriegerischen Nation der Comanchen bedroht war, daß man es also mit einem förmlichen, wenn auch uncivilisierten Heere zu thun hatte.

Dieses feindliche Heer war, nach den Berichten der Flüchtlinge, der ausgesandten Späher und des tapfern Kanadiers, im Begriff, die Hacienda auf allen Seiten einzuschließen, wenn das nicht bereits geschehen war.

Die Ankunft des Grafen Boulbon und seiner Leute, die aller Berechnung nach an diesem Abend hatte stattfinden müssen, hätte die Hacienda in den Stand gesetzt, einen erfolgreichen Widerstand zu leisten.

Der Graf war aber nicht eingetroffen. Er war also entweder durch die Indianer daran verhindert worden, oder es hatte sonst ein unglückliches Ereignis stattgefunden, das ihn aufgehalten.

Doña Dolores endlich befand sich im besten Fall zwei Tagereisen von der Hacienda entfernt auf der Mitte des Weges nach Guaymas, den die Indianerhorden gegenwärtig bereits bedrohten, oder sie hatte in ihrem Mut und ihrem Eigenwillen ihren Weg nach der Hacienda fortgesetzt, und war nun bereits in die Hände der Wilden geraten.

Die Nachrichten über die Fortschritte und die Stellung der Indianer endlich waren ebenso gering, wie die über den Grafen und sein Hilfskorps.

» Carrajo!« meinte einer der ältesten Vaqueros, »die heilige Jungfrau könnte nichts besseres thun, als uns in dieser Not unsere beiden Tigreros wiederzugeben! Der Rat und die Büchse Eisenarms wären fünfzig Mann wert, und jene junge Rothaut würde uns binnen wenigen Stunden so gute Kundschaft bringen, als hätten wir alles mit eigenen Augen gesehen. Es ist schade, Señor Don Geronimo, daß Ihr die beiden Burschen entlassen habt. Ihr werdet nie wieder Tigreros finden wie sie!«

Der Mann, der die Aufsicht über eine entferntere Estancia im Gebirge gehabt und deshalb nur seltener auf der Hacienda verkehrte, bemerkte mit Verwunderung den Wink, zu schweigen, den ihm hastig der alte Verwalter gab, und die finstere Miene seines Gebieters bei dieser Erwähnung.

»Es ist wahr,« sagte der Senator mit einem Seufzer, »daß diese Männer in unserer Not uns hätten wichtige Dienste leisten können. Aber sie sind doch nun einmal nicht hier, und ich weiß selbst nicht einmal, ob ich es wünschen sollte.«

Der Kreuzträger mischte sich in das Gespräch. »Darf ich fragen, Señor, von welchen Personen Ihr redet, und ob ich vorhin die Namen richtig verstanden?«

»Es sind zwei Tigreros, die vor etwa zwei Jahren während eines verräterischen Angriffs der Apachen auf der Hacienda hier dienten,« erwiderte mürrisch der Senator, »ein Trapper, dem man wegen seiner Stärke und der Sicherheit seiner Hand den Namen ›Eisenarm‹ gegeben, und ein junger Indianer von der Nation der Comanchen, der sich in seiner Eitelkeit den ›Großen Jaguar‹ nannte. Es ist wahr, die beiden thaten ihre Schuldigkeit und standen meinen Leuten tapfer bei – ich war damals gerade nicht hier und nur meine Tochter in der Hacienda – aber diese Indianer sind einer wie der andere ein tückisches Volk und vielleicht steht der Bursche – Wonodongah heißt er, glaub' ich – in diesem Augenblick in der Reihe unserer bittersten Feinde und verrät ihnen die schwachen Punkte unserer Verteidigung!«

Der Kreuzträger schüttelte mißbilligend den Kopf. »Ich habe nur Gutes sprechen hören von den beiden in der Einöde,« sagte er, »obschon ich sie nie zu Gesicht bekommen. Parbleu! Ich traue den Apachen verdammt wenig Gutes zu, aber ein Comanche kann ein wackerer Mann sein, und wenn eine Rothaut der Freund eines Mannes ist, kann dieser sicher auf sie zählen. Aber alles dieses fördert unsern Zweck nicht. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, Señor Senador, wenn es von einem so unbedeutenden Manne nicht zu dreist wäre, Vornehmern seine Meinung aufdrängen zu wollen.«

»Reden Sie, Señor Kreuzträger,« bat eifrig der Haciendero. »Man hat Sie mir als einen Mann von großer Erfahrung gerühmt, und ich weiß am besten, welchen Wert diese in einem Fall wie der gegenwärtige hat.«

»Nun denn, Señor,« fuhr der Wegfinder fort, »obschon ich früher nie in dieser Gegend gewesen bin, habe ich doch während unseres Rittes hierher meine Augen offen gehalten, und ich glaube mich genug orientieren zu können, um auch bei Nacht meinen Weg zu finden. Ich bin nicht umsonst zwanzig Jahre meines Lebens der Wegweiser für die Karawanen des Nordens durch die Einöden gewesen. Sie dürfen die Hacienda nicht von ihren Verteidigern entblößen. Aber wenn Sie es mir gestatten wollen – und ich gestehe Ihnen, daß es mich selbst drängt, etwas gewisses über das auffallende Ausbleiben unseres Generals zu erfahren, der ein so tapferes und unerschrockenes Herz hat, wie nur einer, – so mache ich mich in einer Stunde auf den Weg, um zu ermitteln, ob der Señorita und dem Grafen ein Unfall passiert ist oder nicht.«

»Das ist ein vortrefflicher Rat, Señor,« meinte Don Estevan eifrig, »obschon er uns eines unserer besten Männer in der Stunde der Not berauben könnte. Aber ich darf und will Sie nicht allein gehen lassen, wenn sie darauf bestehen, sich der Gefahr auszusetzen.«

»Es ist wahr,« sagte der Kreuzträger, »Sie würden sonst nicht einmal Nachricht erhalten, wenn mir ein Unglück passiert, oder es könnte nötig werden, daß ich Ihnen eine Botschaft zu senden hätte. Nur möchte ich, daß der, welcher mich begleiten soll, dies nicht allein auf Ihren Befehl thut, denn – es könnte allerdings sein, daß wir beide unsern Skalp dabei lassen müssen.«

»Es muß jemand sein,« erwiderte der Senator mit bestimmtem Ton, »der den Weg nach Guaymas und die ganze Gegend vollkommen kennt. Aber es giebt deren genug unter meinen Leuten. Wer von Euch,« wandte er sich an den Kreis, »hat Lust, der Tochter Eures Herrn und diesem selbst einen Dienst zu leisten? Er kann einer guten Belohnung sicher sein.«

Sofort machten mehrere der Vaqueros Miene, sich zu melden, denn diesen kühnen, an die schrankenlose Freiheit des Raumes und tägliche Abenteuer gewöhnten Männern war die Aussicht auf ein solches lieber als der Aufenthalt in dem sichern Gehöft; aber der Jüngling, der vorhin so eifrig auf die Erzählungen gehorcht und den der Verwalter als aus seiner Familie stammend dem Haciendero empfohlen hatte, kam allen zuvor, indem er in den Kreis sprang.

»Ich bitte Vostra Señoria um die Gnade, mich zu wählen,« sagte er hastig und mit geröteten Wangen. »Ich möchte so gern etwas für die Señorita thun, die immer nachsichtig und freundlich mit dem wilden Diaz gesprochen. Schlagt es mir nicht ab, Señor Don Estevan, und wenn die Heiligen wollen, daß mir ein Unglück passiert, so seid versichert, daß ich meinem Blute keine Schande machen werde!«

»Aber Du bist zu jung, Diaz,« meinte der Haciendero.

»Nicht zu jung, Señor, um in Eurem Dienst zu sterben! Schlimmsten Falles ist kein Besserer verloren.«

Der Senator sah auf den alten Verwandten des Burschen, wie um seine Meinung einzuholen, aber dieser zuckte die Achseln. » Par amor de Dios, Señor Senador! Die unnützesten Buben haben immer das meiste Glück! Vielleicht bringt er seinen Wald von Haaren zurück. Er hat deren genug zu verlieren.«

»Lassen Sie den Burschen immer mit mir gehen, Monsieur,« sprach der Kreuzträger. »Seine Keckheit gefällt mir, und die Jugend muß Gelegenheit haben, ihre Kraft zu versuchen.«

»Meinetwegen denn! Sie müssen am besten wissen, was ein solcher Gefährte Ihnen nützen kann,« entschied der Senator. »Wann wollen Sie aufbrechen, und wie soll es geschehen?«

»In zwei Stunden, Señor, kurz vorher, ehe der Mond aufgeht. Wir müssen im Dunkel noch die Schlucht passieren.«

»Wollen Sie Pferde nehmen?«

»Nein, Señor. Dieser junge Mann wird gut thun, seine Sporen in die Tasche zu stecken, damit sie keinen unnützen Lärm machen. Eine Büchse und ein Messer werden ihm diesmal bessere Dienste thun, als der Lasso, wenn er ihn auch noch so geschickt handhabt. Er soll uns nur dazu dienen, die Hacienda unbemerkt zu verlassen.«

»Wie meinen Sie das? ich werde Befehl geben, Ihnen das Thor nach dem Corral zu öffnen.«

»Behüte, Señor! das hieße dem Feind am Ende in die Hände laufen. Wenn diese Pferdediebe bereits die Hacienda umschwärmen, werden sie sich sicher vor dem Corral umhertreiben und ihre Pfeile würden jede Christenseele, die ihn verlassen wollte, spicken wie ein Stachelschwein. Lassen Sie uns die Sache nach meiner Manier abmachen und mischen Sie sich nicht darein, Señor Senador. Das einzige, um was ich Euer Excellenz bitte, ist, daß einer Ihrer Leute an derselben Stelle, wo wir die Hacienda verlassen werden, bis zu Tagesanbruch Wache hält.«

Dies wurde sofort angeordnet. Die Ruhe und Vorsicht des Wegweisers flößte allen ein gewisses Vertrauen ein und viele beneideten nunmehr den jungen Vaquero um den Vorzug der Begleitung.

Dieser war mit sichtbarem Stolz jetzt eifrig mit seinen Vorbereitungen beschäftigt. Er schliff sein Messer an dem Schleifstein, der in der Halle stand, obschon es wahrscheinlich schon vorher scharf genug gewesen war, entfernte seine großen Stiefeln, legte Moccasins an, prüfte das Schloß seiner Büchse und versah sein Pulverhorn, ein Geschenk, das ihm die junge Haciendera bei der heiligen Kommunion gemacht hatte, mit frischem Pulver. Auch sein alter Oheim beschäftigte sich mit einem gewissen Stolz mit ihm, gab ihm zahlreiche gute Ermahnungen und hängte ihm ein Amulet über den braunen, kräftigen Hals, das gegen die heidnischen Wilden schützen sollte, ja, als endlich die Stunde des Aufbruchs gekommen war und der Wegweiser sich erhob, drückte er diesem die Hand und bat ihn flüsternd, möglichst auf den Knaben acht zu geben, das heißt, setzte er hinzu, so weit es die Ehre der Familie und der Vorteil des Grundherrn erlauben.

Der Kreuzträger versprach es und traf nunmehr seine Maßregeln für den gefährlichen Gang. Er trug nichts, als seine Kugeltasche, Messer und Büchse und hatte als erfahrener Mann nicht versäumt, seine Waffen vorher gleichfalls zu untersuchen. Begleitet von zwei der älteren Vaqueros gingen die beiden Abenteurer in den Hof und bestiegen den Rundgang der östlichen Mauer.

Es war jetzt ungefähr 11 Uhr. Die Schatten der Nacht schienen noch dunkler über der Umgebung zu liegen, die in einer halben Stunde der aufgehende Mond erhellen sollte. Der Wegweiser empfahl größte Stille und hielt dann, hinter den Vorsprüngen der Mauer versteckt, eine möglichst genaue Umschau. Erst als er durchaus nichts Verdächtiges mit Auge und Ohr bemerken konnte, ließ er in der finstersten Ecke um eine der Krenelierungen zwei aneinandergeknüpfte Lassos schlingen, deren Ende gerade den äußeren Boden erreichen mußte, dann gab er dem Mann, der zur Wache für die Nacht bestimmt war, die Anweisung, nach ihrem Herabsteigen den Lederriemen wieder zu entfernen und ihn nur auf das Signal des dreimaligen Geschreis einer Aaskrähe wieder niederzulassen. Als dies geschehen, befahl er dem jungen Vaguero, ihm erst zu folgen, wenn er durch Schütteln des Strickes ein Zeichen gebe und glitt vorsichtig, um seine Gestalt sich nicht über die Mauer erheben zu lassen, durch deren Krenelierung und ließ sich an dem Lasso nieder, bis sein Fuß den äußeren Feldboden erreichte. Zwei Minuten darauf war Diaz an seiner Seite, der Lasso wurde emporgezogen, und die beiden Abenteurer befanden sich außerhalb der Hacienda und allein ihrem Mut und ihrer Geschicklichkeit überlassen.

Der Kreuzträger hatte sich schon vorher genügend orientiert und konnte seinen Weg daher sofort beginnen. Diesmal aber ging der junge Vaquero voran und zeigte seinem ältern Begleiter mit einer Sicherheit und Geschicklichkeit einen Weg zum Hinabsteigen in die Schlucht, die dem Alten leicht bewies, daß jener nicht zum erstenmal bei Nacht diesen Pfad machte. Die Gefühle des Herzens erwachen früh unter dieser Sonne und hübsche Chinas giebt es auch in den Hacienden.

Als sie die Sohle der Schlucht erreicht hatten, wandte sich das Paar vorsichtig nach dem westlichen Ausgang. Sie vernahmen über sich in den Corrals das Schnauben der Pferde, hin und wieder das Brüllen eines Stiers, aber trotz aller Aufmerksamkeit nichts, was die Nähe eines Feindes verkündete.

Erst als sie über die Strecke des Corrals und der daranstoßenden Weide hinaus waren, erstieg der Kreuzträger wieder die Seite der sich ohnehin hier abflachenden Schlucht, und sie setzten jetzt ihren Weg in südwestlicher Richtung nach der Stelle fort, wo eine Furt durch den Nebenfluß des Yaquil führte, welcher in der Regenzeit die Gebirgsbäche aufnahm.

Der Mond war jetzt aufgegangen und goß in immer helleren Strahlen sein Silberlicht über die hügelige Fläche. Plötzlich blieb der Wegweiser, der sich schon mehrmals zur Erde gebückt hatte, stehen und zeigte auf den Boden.

»Bemerkst Du nichts, Diaz?«

»Es sind Spuren von Pferden. Ich habe sie vorhin schon gesehen, aber das ist hier nichts Seltenes.«

»Überzeuge Dich näher, mein Sohn. Wo unserer Ehre und Aufmerksamkeit das Leben so vieler anvertraut ist, dürfen wir uns keiner Unachtsamkeit schuldig machen.«

Der junge Mann kniete auf den Boden nieder und untersuchte bei dem Mondlicht die Hufspuren näher. »Ihr habt recht, Señor,« sagte er beschämt, »die Spuren sind frisch und kaum eine Stunde alt.«

»Woraus schließt Du das?«

»Der Tau des Abends hat noch keine Zeit gehabt, sich darin zu sammeln.«

» Muy bien! ich sehe. Du hast Anlagen zu einem guten Rastreador. Was schließest Du weiter?«

Der junge Mann sprang empor und sah seinem Begleiter erschrocken ins Gesicht. »Es sind Indianer hier vorübergekommen,« sagte er.

»Ich glaube, daß Du recht hast. Willst Du mir Deine Gründe mitteilen?«

»Die Fesseln der indianischen Pferde sind niedrig und lang behaart, es sei denn, daß sie spanische Pferde gestohlen haben. Die Ränder der Spuren sind daher häufig verwischt.«

Der Kreuzträger nickte. »Es spricht noch ein anderer besserer Grund dafür. Wie viele Reiter meinst Du wohl, daß hier vorübergekommen sind?«

Der junge Mann gestand, daß dafür feine Erfahrung noch nicht ausreiche, und der Wegweiser lächelte mit einer gewissen Befriedigung. »Man darf von der Jugend nicht zu viel verlangen,« sagte er. »Ich kenne diese Schufte von Apachen; selbst wo sie sich sicher dünken, vergessen sie ihre Listen nicht. Der Trupp, der hier vorübergekommen, besteht aus erfahrenen Kriegern. Sie haben es vorgezogen, wie wenn sie einen Weg zu Fuß zurücklegen müssen, was die faulen Schlingel freilich nicht gern thun, eine, indianische Reihe zu bilden, weil dies die Spuren verwirrt. Aber sie haben es mit einem zu thun, der ein scharfes Auge hat für ihre Teufeleien. Sie haben vergessen, daß der Schatten dieses Korkbaumes, unter dem sie zur Beratung gehalten, im aufsteigenden Mondlicht wechselt und die Spuren dann so deutlich wie bei Tage zeigt. Es sind ihrer an die zwanzig gewesen. Ich habe ihre Hufe schon seit einer Weile verfolgt, sie sind von Norden her über die Straße von San-Augustin gekommen und haben sich gleich der südlichen Furt zugewendet, die unser nächstes Ziel ist. Sie sind auf Kundschaft aus, wie wir selbst.«

»Woraus schließen Sie das, Señor?« fragte der Jüngling, dessen Achtung vor der Erfahrung des Alten immer mehr stieg.

»Junger Mensch,« sagte der Kreuzträger, der an dem Platze stehen blieb, wo er unter dem riesigen Korkbaum die Eindrücke der Hufe deutlicher gefunden hatte, »ein bißchen Nachdenken würde Dir gesagt haben, daß die Schelme sonst nicht den Corrals vorübergezogen wären, ohne eine Teufelei zu üben. Da sie von jener Seite der Hacienda kamen und wir wissen, daß dort oben die Mescaleros und Gilenos ihren Unfug treiben, müssen sie zu diesen Völkerschaften gehören und es sollte mich nicht wundern, wenn jener blutgierige Schurke selbst – – Veramente!« unterbrach er sich heftiger, als es seine Art war, »ich sage es ja und habe mich nicht getäuscht. Hier hat dieser gottvergessene Mörder mit seinem Schimmel gehalten. Ich sehe es so deutlich, als hätte ich neben ihm gestanden. Jetzt, mein Junge, glaube ich, daß Du etwas erleben wirst, wovon Du noch in Deinem Alter am Feuer des Biwaks oder am Küchenherd des Rancho erzählen magst.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz!«

Sieh her – hier hat dieser Kannibale den Schaft seiner Lanze auf den Boden gestemmt, während er mit seinen Begleitern gesprochen, die sicher ähnliche Schurken wie er sind.«

»Aber die Spur der Lanze kann Ihnen nicht den Eigentümer nennen?«

»Doch – wenn man fast drei Jahre auf seiner Fährte ist. Hast Du von Makotöh, dem ›Grauen Bären‹ gehört?«

»Dem Häuptling der Gilenos? Die Hand Wonodongahs hat ihn bei jenem Überfall der Hacienda, der beinahe der Tochter unseres Gebieters das Leben gekostet hätte, zu Boden geschlagen.«

»Ich wollte, er hätte den Hieb wiederholt, damit er das Aufstehen vergessen hätte. Aber jener junge Comanche muß eine starke Hand besitzen, denn dieser Teufel ist ebenso wild, wie kräftig und tapfer.«

»So ist es der ›Graue Bär‹, der hier vorübergekommen ist?«

»Du kannst so sicher darauf schwören, als daß mindestens ein Dutzend alter Weiber am Tag Deiner Geburt Dir unter Kreuzschlagen ins greinende Gesicht gespuckt haben um Dich vor dem bösen Blick zu bewahren. Der teuflische Schurke ist so eitel auf seinen Namen, daß er seines Totem an allen Dingen anbringt und selbst den Schaft seiner Lanze mit den langen Klauen des Ungetüms geschmückt hat. Da – hier in dem feuchten Boden kannst Du die Spuren erkennen; und – Mort de ma vie! – dort an dem niedern Zweig hängt eine weiße Feder – lang sie einmal herunter, Junge, denn Du bist größer als ich, damit ich sie genauer betrachte.«

Der Jüngling that, wie ihm geheißen. Nachdem der Wegweiser sie einige Augenblicke betrachtet, steckte er sie zu sich und schulterte seine Büchse.

»Es ist Zeit, daß wir aufbrechen. Du hast Glück, Bursche, und mancher wird Dich um Deinen ersten Kriegspfad beneiden. Jene Feder stammt von einem weißgeschwänzten Falken und ist von dem Zweig der Skalplocke eines Häuptlings der Mimbrenos entrissen worden. Gebe die heilige Jungfrau, daß wir noch zur rechten Zeit kommen, um eine ihrer Teufeleien zu stören. Der ›Graue Bär‹ und der ›Fliegende Pfeil‹ zusammen können nichts Gutes brauen!«

Sie machten sich jetzt eilig auf den Weg, und da sie nun die Feinde beritten vor sich wußten, brauchten sie weniger Vorsicht anzuwenden und konnten rascher vorwärts kommen.

Sie waren aber noch keine Viertelstunde in der genommenen Richtung marschiert, als sie in der Entfernung den Knall einer Büchse vernahmen. Sofort machte der Wegweiser Halt und lauschte. Es folgte ein zweiter Schuß, dann ein kurzes, unregelmäßiges Feuern – aber es war noch zu weit entfernt, um ein genaueres Urteil zu gestatten. Nur so viel war sicher, daß der Indianertrupp in einem Überfall oder Gefecht begriffen sein mußte.

»Jetzt, Junge,« rief der Kreuzträger, seine Waffe in die bequemste Stellung bringend, »zeige, daß Du nicht durchaus vier Beine unter Dir zu haben brauchst, um Deinen Weg rascher zurückzulegen, als das Faultier. Vorwärts, Diaz, und kaltes Blut!«

Der alte Jäger sprang mit den leichten, elastischen Bewegungen weiter, die er dem Lauf der Wilden abgelernt, und mit denen er die größere Zähigkeit und Ausdauer der Muskeln eines Europäers verband; der junge Mann folgte ihm ohne Anstrengung.

So waren sie eine ziemlich weite Strecke gerannt und näherten sich der Furt, als die einzelnen Schüsse, die sie näher und näher gehört, verstummten und der Wind, der von den Ebenen herstrich, ein gellendes Geheul bis zu ihnen trug.

Kreuzträger blieb erschrocken stehen. »Gott erbarme sich ihrer Seelen,« sagte er keuchend. »Wir kommen zu spät! Die Teufel haben den Sieg davon getragen und all unsere Eile kann den Ärmsten jetzt nichts mehr nützen und nur uns selbst gefährden. Sie müssen sehr unvorsichtig gewesen sein, daß sie sich so haben überraschen lassen, während sie doch den Fluß zwischen sich und jenen haben konnten.«

»Bei der heiligen Ursula, meiner Schutzpatronin,« flüsterte mit verbissenen Zähnen der junge Mann, »wenn sie meine schöne Herrin ermordet, will ich Rache haben, und wenn sie mich in Stücke hauen sollten.«

»Narr! es würde weder Dir noch ihr nützen. Wir wissen ja noch gar nicht, wem der Überfall gegolten, und überdies töten die Indianer nur selten die weißen Weiber, wenn sie jung und hübsch sind; sie wissen einen anderen Gebrauch von ihnen zu machen,« fuhr er fort, während seine Stirn sich finster zusammenzog und seine Faust sich ballte. »Aber das ist vorbei! Doch sieh, da ist eine helle, stärker als der Widerschein des Mondlichts, – das ist Feuer!«

In der That schlug etwa eine englische Meile von ihnen entfernt eine Lohe in die Höhe.

»Es ist die Hütte Josés, des Fährmanns, sagte der Vaquero, »sie liegt in dieser Richtung.«

Die beiden Kundschafter hatten während ihrer Beobachtungen nicht inne gehalten und sich der Furt bis auf etwa taufend Schritt genähert, während immer noch das Siegesgeheul der Apachen fortgellte und die brennende Hütte ihre Flammen in den Nachthimmel sandte, als der Wegweiser rasch den Arm seines Gefährten faßte und ihn mit sich hinter einen großen Steinblock zog, in dessen Schatten er ihn niederdrückte.

»Keinen Laut, Bursche! bei Gott! da kommen sie, nachdem sie ihre blutige Arbeit gethan! Spanne den Hahn Deiner Büchse, damit der Laut uns dann nicht verrät, aber schieße nicht, ehe ich Dir's sage, oder Dein Skalp ist verloren.«

Er hatte die gleiche Vorsicht beobachtet und seine treue Waffe schußbereit im Schatten des Steinblocks erhoben, als die wilde Schar herantobte.

Es war in der That der ›Graue Bär‹ mit seinen beiden Gefährten, den Häuptlingen der Lipanesen und Mimbrenos, und den Kriegern, die er aus dem Lager auf seinen Streifzug mitgenommen. Aber vier der letzteren fehlten und ihre Plätze waren jetzt von andern Gestalten eingenommen, von denen zwei quer über die Sättel ihrer Pferde festgeschnürt waren. Außerdem führten die wilden Reiter mehrere Rosse an der Hand.

Wie eine Schar finsterer Nachtgespenster kam der Trupp dahergejagt, mit gellendem Geschrei, die Lanzen schwingend, voran auf seinem weißen Pferde die mächtige Gestalt Makotöhs.

Die Büchse des Wegweisers fuhr an seine Wange, der Finger krümmte sich nach dem Drücker, da warf eine plötzliche Bewegung des Pferdes den vollen Mondstrahl auf den dunklen Schatten, der vor der Brust des Wilden lag, von seiner Hand auf dem Pferde festgehalten: Frauenkleider flatterten im Nachtwind – nieder senkte sich der Lauf der Büchse – im nächsten Augenblick waren die finstern Gestalten dahingestoben, wie der Sturm über die Steppe fährt, und nur der Hufschlag ihrer Tiere klang noch herüber – schwächer und schwächer.

Der Kreuzträger erhob sich, seine Hand drohte hinter den davonsprengenden Indianern her. »Ich werde Dich finden,« sagte er, »ehe die Welt um zwei Tage älter ist. Komm, Bursche – ich glaube, wir werden Schreckliches sehen!«


Am dritten Morgen nach ihrer Abreise von Guaymas hatte der Senator seine Tochter mit ihrer Zofe und der Hälfte seiner Diener unterwegs zurückgelassen, um die Ankunft ihres Bräutigams mit dem Haupttrupp der Expedition zu erwarten, die sich zu ihrer aller Verwunderung bisher verzögert hatte.

Dies geschah etwa auf der Hälfte des Weges zwischen San Fernando Guaymas und Hacienda del Cerro.

Der Charakter der schönen Señora gehörte gerade nicht zu den geduldigsten, und die Zögerung des Grafen, deren Grund ihr unerklärlich blieb, versetzte sie bald in eine sehr schlimme Laune, die ihrer Umgebung nur allzu fühlbar wurde. Der Ort, wo sie verweilte, war eine kleinere Hacienda, einem Freunde ihres Vaters gehörig, und die Familie bemühte sich nach Kräften, ihr den Aufenthalt angenehm zu machen, war aber selbst schon von der Besorgnis ergriffen, welche die Gerüchte von dem Einfall der Indianer hervorgerufen, und beschäftigt, ihre besten Sachen nach Guaymas in Sicherheit zu bringen.

Daher kam es denn, daß Doña Dolores nur 24 Stunden ihre Ungeduld zu zügeln vermochte und am vierten Tage trotz der Bitten und des Widerspruchs ihrer Gastfreunde ihren Dienern den Befehl gab, sich zur Fortsetzung der Reise fertig zu machen. Ihr Stolz fühlte sich schwer dadurch verletzt, daß der Graf es nicht einmal der Mühe wert gehalten, ihr Nachricht über die Ursache seiner Zögerung zu senden, und sie dachte nicht daran, selbst einen Boten zur Erkundigung zurückzuschicken, sondern beschloß, ihn ihren vollen Unwillen fühlen zu lassen.

Die kleine Reisegesellschaft machte sich daher am vierten Tage wieder auf den Weg, nahm ihr Nachtlager in einem Ranch und gedachte, am Abend des fünften Tages, also zur Zeit, wo sie der Haciendero bereits mit Ungeduld erwartete, in der Hacienda einzutreffen. Verschiedene Zufälle und die Laune der Gebieterin, die gegen den Rat des ältesten Dieners eine lange Siesta machte, verspäteten den Zug jedoch, und so war die Sonne bereits untergegangen und die Dunkelheit eingetreten, als sie sich dem Flüßchen näherten, an dessen jenseitigem Ufer die Hütte des Fährmanns José stand.

Die Ufer des Bergstroms sind steil und zum Teil mit dichtem Gestrüpp bedeckt, so daß, obschon das Bett selbst nicht tief und jedenfalls für einen an dergleichen Hindernisse gewöhnten Reiter ohne Gefahr zu passieren wäre, auf weite Entfernung hin der Übergang nur durch diese Furt geschehen kann. Einer der Peons wurde beordert, durch das Wasser zu reiten, um den Fährmann mit seinem Kahn für die beiden Frauen und das Gepäck herüber zu holen, und Doña Dolores verließ unterdes ihren Sattel und ging, ihren Gedanken nachhängend, am Ufer hin und her.

Sie wurde erst wieder aufmerksam, als der Peon mit dem Fährmann zurückkam und die beiden zu dem ältester der Diener traten und eine eifrige Beratung hielten, an der sich bald sämtliche männlichen Mitglieder der kleinen Reisegesellschaft beteiligten. Die Doña trat näher und befahl dem Diener, zu sagen, was es gebe.

Der Mann, mit Namen Sanchez, trat mit abgezogenem Hut heran.

»Eure Signorina,« sagte er demütig, »mögen selbst entscheiden, ob es bei den Nachrichten, die José uns bringt, ratsam ist, vor Tagesanbruch den Fluß zu passieren. Die Apachen sollen bereits mit großer Macht die Sierra überschritten haben, und wenn sie auch noch nicht bis hierher gekommen sind, so ist doch zu befürchten, daß sie in der Nähe der Hacienda umherstreifen.«

»Um so dringender ist es für mich, dahin zu gelangen,« befahl die Dame. »Schicke José selber her.«

Auf einen Wink des Dieners trat der Indianer heran. Er war ein Bild der Not und des bittern Kampfes mit dem Leben. Als er vor seiner jungen Gebieterin erschien, küßte er demütig ihr Kleid.

Fast alle Indianos-manos, das heißt, alle friedlichen, in den Dienst der Weißen getretenen Indianer, nennen sich José: Joseph; es ist dies ihre Liebhaberei bei der Taufe, und sie werden nur durch die Beinamen unterschieden. Der hier gemeinte gehörte zu den Insassen der Hacienda, wohnte mit seiner Familie an der Furt und hielt ein Boot, das er zum Fischfang oder zum Übersetzen der Fußwanderer benutzte. Er war ein stiller, fleißiger Mensch, aber es ist bekannt, daß die »zahmen Indianer«, wie sie die Volkssprache nennt, von ihren wilden Landsleuten in den Einöden fast noch bitterer gehaßt werden, als ihre Feinde, die Weißen.

»Die Feuerlilie der Sonora sei willkommen in ihrer Heimat,« sagte er unterwürfig. »José ist erfreut, daß seine Augen sie nach der langen Abwesenheit Wiedersehen. Aber er und sein Weib und alle seine Kinder würden sich diese Augen ausweinen in Thränen, wenn ihrem Liebling etwas Schlimmes passieren sollte. Möge die Feuerblume es vorziehen, auf dieser Seite des Flusses zu bleiben, bis die Sonne ihren Weg erhellt. José wird für sie wachen, daß keine Gefahr ihr nahen kann.«

»Wann hat Don Estevan die Furt passiert?«

»Gestern, eine Stunde vor Sonnenuntergang. Der Señor war frisch und munter und hatte Männer in seiner Gesellschaft, die den Apachen Verderben bringen werden, wenn sie gegen die Hacienda ihre Hand erheben.«

»Seitdem hat kein anderer Zug die Furt passiert?«

Der Fährmann that, als habe er die Frage nicht gehört. »Heute Mittag war Diego, der einäugige Rastreador hier. Der Herr hatte ihn ausgeschickt, nach dem Stolz seines Herzens auszuschauen. Er hat die Nachricht gebracht, daß die Indianer keine drei Leguas von hier gesehen worden sind und nicht bloß die armen Manos töten, sondern auch alle Wohnungen der Weißen mit Feuer und Blut verheeren. Nicht das Kind im Mutterleibe wird von ihnen verschont, und morgen will ich mit den Meinen Eure Excellenza begleiten und Schutz für unser Leben hinter den Mauern der Hacienda erbitten.«

»Dann wirst Du es noch diese Nacht thun müssen,« sagte die Señora kurz. »Die nach uns kommen, mögen sehen, wie sie sich ohne Dich hier zurecht finden. Nimm Dein Ruder und fahr uns über.«

Der Indianer kraute statt dessen ängstlich und verlegen in seinem langen schwarzen Haar, das in nassen Strähnen um sein Gesicht hing. »Die heilige Mutter Gottes möge einen armen Indianer in Ewigkeit in dem höllischen Feuer lassen,« bat er, »wenn er der Feuerblume nicht die Wahrheit berichtet hat. Selbst der finstere Mann dort drüben, der weißer ist, als alle Bleichgesichter, die José sein Lebelang gesehen, wird die Nacht neben seiner schlechten Hütte zubringen.«

Die Dame hatte bereits ihren Fuß auf dem Rande des Kahns gesetzt. »Wen meinst Du?«

»Die gnädige Herrin wolle ihrem Knecht verzeihen, aber es sind drei Männer dort drüben, wenn der eine von ihnen ein Mann zu nennen ist, da Gott und die Heiligen ihm nicht die Beine zum Gehen gegeben haben. Sie sind vor einer Stunde gekommen mit ihren Pferden und haben manches gefragt, was ihnen mein armer Kopf nicht beantworten konnte.«

»Vorwärts,« sagte ungeduldig die junge Haciendera. »Wir werden selbst sehen!«

Sie trat in den Kahn und ließ ihre Zofe folgen. Der Entscheidung der Gebieterin gemäß, wenn auch keineswegs sehr davon erbaut, folgten die Diener mit ihren Pferden durch das Wasser.

Zehn Minuten darauf waren sie an dem andern Ufer. Vor der Hütte des Manos, die seitwärts in einem Mangrovegebüsch stand, brannte ein Feuer.

In seinem Scheine erblickte man in einiger Entfernung ein kleines Zelt, wie es wohl von Reisenden durch die Einöde, wo man auf weite Strecken hin nicht auf eine menschliche Wohnung rechnen kann, mit sich geführt wird.

Dieses indianische Zelt – nur daß es, statt von Büffelhäuten, von Segeltuch war – schien auf allen Seiten verschlossen.

Vor der Hütte des Fährmanns, auf einem Stierschädel, die hier statt der Sessel dienen, saß ein Mann in mexikanischer Kleidung, gleichgültig seine Cigarre rauchend. Der Schnitt seines Gesichtes, die Farbe seiner Haut, das Gelb seiner Augen verriet, daß es ein Mestize war, eine Rasse von Menschen, die meist die schlechten Eigenschaften der Weißen und der Indianer in sich vereinigen und die ebenso häufig, gleich als ein Erbteil ihres vermischten Blutes, die Verbindung zwischen beiden erhalten.

Doña Dolores betrachtete nicht ohne Verwunderung diese eigentümliche Umgebung. Dann schritt sie ohne weiteres auf den Mann zu, der wider alle spanische Sitte, keine Miene machte, sich von seinem Sitz zu erheben.

»Wer sind Sie, Señor?«

»Die Frage ist eigentümlich, Madoña!« sagte der Mensch mit einem frechen Lächeln. »Ich wüßte nicht, daß ich Sie schon um Ihren Namen gefragt hätte.«

»Ich habe ein Recht dazu, denn Sie befinden sich hier auf dem Gebiete meines Vaters, des Senators Don Estevan da Sylva Montera.«

»Soviel ich weiß, braucht man auf den Straßen von Mexiko, auch wenn sie nicht der hohen Regierung dieses Landes gehören, keinen Paß,« meinte spöttisch der Fremde. »Indes der Name, den Sie mir genannt, ist ein zu vornehmer, als daß ein so unbedeutender Mensch wie Euer Excellenza unterthäniger Diener sich weigern sollte, den seinen zu nennen. Ich heiße Volaros und bin meines Gewerbes ein Kurier, zuweilen auch ein Führer fremder Reisender.«

»Aber wie kommen Sie hierher?«

»Euer Gnaden haben es bereits gehört. Ich beschäftige mich, wenn die hohe Regierung meine Dienste gerade nicht anderweitig in Anspruch nimmt, mit der Geleitung von Reisenden.«

»So führen Sie Reisende auf diesem Wege?«

Statt der Antwort deutete der Mestize, dem wir bereits in dem Hause des Gouverneurs Juarez begegnet sind, mit einer Bewegung seines Kopfes nach dem verschlossenen Zelt.

»Das ist seltsam genug. Aber wer sind diese Reisenden, daß sie sich in einer solchen Zeit in diesen gefährdeten Landstrich wagen?«

» Quien sabe! was kümmert's mich! Ich habe sie nicht nach ihrer Adresse gefragt, sondern folge meinem Auftrag. Euer Excellenza vergessen, daß Sie selbst sich in diesem Augenblick hier befinden, und daß dies für eine Dame noch gefährlicher erscheint.«

»Ich begebe mich zu meinem Vater,« sagte die Doña stolz. »Aber mich kümmern die Beweggründe wenig, die Sie und Ihre Begleiter hierherführen. Ich möchte Sie nur fragen, ob Sie vielleicht genauere Kunde über die drohende Nähe der Indianer gehört haben, als der verwirrte Bericht jenes Halbwilden sie geben kann?«

» Caramba! was ich weiß, stammt aus derselben Quelle. Aber es scheint mir genug, um jeden vernünftigen Menschen, der seine Schädelhaut lieb hat, zu veranlassen, die Nacht lieber an diesem Ufer sich zu behelfen, als sich im Dunkel der Felsen und Büsche einem Pfeil zwischen den Rippen und einem Kreisschnitt um seinen Kopf auszusetzen.«

Doña Dolores war nachdenkend geworden, ihr Verstand und die Kenntnis der Gefahr sagten ihr, daß es thöricht sei, die Warnungen mißzuachten. Dennoch wollte sie ihre Absicht nicht ganz aufgeben.

»Der Mond muß in einer Stunde aufgehen,« sagte sie, »dann beabsichtige ich, meine Reise fortzusetzen, da die Hacienda meines Vaters kaum noch anderthalb Leguas entfernt ist, und wenn Ihre Gebieter sich uns anschließen wollen, hoffe ich ihnen noch für diese Nacht ein besseres Unterkommen bieten zu können, als sie es hier gefunden haben.«

»Euer Gnaden sind allzugütig,« erwiderte der Kurierin dem früheren spöttischen Ton, »und ich werde nicht verfehlen, den Señores Extrangeros Fremde. von Ihrem Anerbieten Meldung zu machen; darf ich unterdessen Euer Excellenza meinen Sitz anbieten?«

Er hatte sich von dem Stierschädel erhoben, aber die Dame winkte mit vornehmer Ablehnung und sah sich nach ihren Dienern um.

Während José einen alten kleinen Rohrsessel aus der erbärmlichen Hütte hervorholte, in die einzutreten die junge Haciendera mit Recht Anstand nahm, und diesen neben das Feuer stellte, worauf die Diener ihn mit ihren Ponchos so bequem wie möglich machten, bemerkte Dolores, daß der Kurier in dem Eingang des Zeltes verschwand, hinter dem drei Pferde und zwei starke Maultiere angepflöckt waren. Die Sättel, darunter, was besonders ihre Neugier erregte, einer von der Form eines Damensattels, lagen neben dem Zelt.

Die Frau des Indianers war indes, in ihre Lumpen gehüllt, aus der Hütte gekommen und hatte sich auf das demütigste der ihr wohlbekannten jungen Gebieterin genähert, während ihre beiden ältesten Kinder scheu in gehöriger Entfernung stehen blieben. Sanchez, von dem Entschluß seiner Herrin benachrichtigt, hier den Aufgang des Mondes abzuwarten, hatte eine Schildwache in der Richtung der Hacienda aufgestellt und benutzte die Gelegenheit, um die durch einen ziemlich langen und anstrengenden Ritt erschöpften Tiere tränken und füttern zu lassen, damit sie bei dem neuen Aufbruch wieder frisch und zu einem scharfen Galopp tüchtig wären. Juanita, die Zofe, bereitete unterdes an dem Feuer Chokolade für ihre Herrin.

Die Nacht war schön. An dem dunklen Himmel blitzte unter Myriaden von Sternen das Sternbild der südlichen Zonen, das Kreuz; murmelnd rauschte über das Steinbett das Wasser des Bergstroms und durch das Dunkel flogen zahllose Leuchtkäfer, während von fern zwischen den Hügeln her von Zeit zu Zeit das Gekläff eines umherschweifenden Coyoten oder das langgedehnte Geheul eines Jaguars klang, den die Nähe der Herden herbeigezogen hatte.

Doña Dolores war, in ihren Poncho gehüllt, in tiefe Gedanken und Träume versunken. Zum erstenmal seit jener schrecklichen Gefahr, die sie bei dem Überfall der Apachen auf die Hacienda erfahren, kam sie in diese Gegend, in der sie einen großen Teil ihrer Jugend zugebracht hatte. – – –

Fast eine Stunde war vergangen, und der mattere Glanz der Sterne verkündete das Aufsteigen des Mondes, als sie von jenseits des Flusses her den Galopp nahender Reiter zu hören glaubte.

Das scharfe Ohr der jungen Mexikanerin hatte sich nicht getäuscht. Als Doña Dolores ihr Haupt emporrichtete und ihr Auge dem Flusse zuwandte, sah sie dort bereits Sanchez horchend stehen und neben ihm den Mestizen. Der Galopp der Pferde – es schien eine Truppe von mindestens zehn oder fünfzehn Reitern zu sein – kam immer näher und bald zeigte sich eine dunkle Gruppe auf der Höhe des gegenüberliegenden Ufers.

Da sie von der Seite von Guaymas herkamen, konnten es unmöglich Feinde sein, und bald bestätigte sich auch diese Annahme, denn es erscholl von denen drüben, als sie das Feuer bemerkten, in spanischer Sprache ein Zuruf und die Frage, ob Christen und Mexikaner, also Freunde, sich am jenseitigen Ufer befänden, und ob es vielleicht der Reisezug der Tochter des Don Montera sei? Auf die Antwort, daß dies wirklich der Fall, lenkte einer der Reiter, der mit dem Weg einigermaßen vertraut schien, sofort sein Pferd in den Fluß, und die anderen folgten ihm.

Doña Dolores hatte, als sie die Fremden als Freunde erkannte, keinen Augenblick daran gezweifelt, daß es Graf Boulbon selbst sei, und sich nur gewundert, den befehlenden und mächtigen Ton seiner Stimme nicht gleich zu hören.

Um so mehr erstaunte sie daher, als der kleine Trupp in den Schein des Feuers ritt und sich aus den Sätteln schwang. Es waren zwar meist ihr nicht unbekannte Gesichter, an ihrer Spitze der junge Deutsche, der Adjutant des Generals, Baron Arnold von Kleist, aber von dem General selbst war nichts zu sehen, und ihr Vornehmen, ihn mit größter Kälte zu empfangen, ging daher in einer zum erstenmal in ihr aufsteigenden Besorgnis unter, daß ihm irgend ein schlimmer Unfall begegnet sein könnte.

Dies fand sie denn auch sofort bestätigt, als der junge Offizier jetzt zu ihr trat und sie um einige Worte im Geheimen bat.

Sie ging mit ihm zur Seite, und hier berichtete ihr der Preuße folgendes.

Graf Boulbon war am Mittag des Tages ihrer eigenen Abreise im Begriff gewesen, an der Schwelle des Hauses eben sein Roß zu besteigen, um ihr an der Spitze einer zweiten Abteilung der Expedition zu folgen und den Senator noch in seinem ersten Nachtquartier zu erreichen, als sich vor den Augen seiner Leute und der ganzen Bevölkerung etwas Seltsames und Schreckliches mit ihm ereignete.

Die Hand, die sich ausgestreckt hatte, den Zügel zu fassen, war unbeweglich in der Luft schweben geblieben, eine plötzliche marmorähnliche Erstarrung schien sich aller seiner Glieder bemächtigt zu haben, das Blut aus seinen Wangen hatte einer totenähnlichen Blässe Platz gemacht, das Auge starrte regungslos vor sich hin, die Lippen, auf denen noch das Wort des Abschieds schwebte, blieben geöffnet. Alle Willenskraft, alles physische Leben schien wie mit einem Blitzschlag aus der kräftigen Gestalt entwichen und eine vollständige Lähmung, wenn nicht gar der Tod selbst, eingetreten.

Alles war sofort zugesprungen, zunächst der deutsche Arzt, der kopfschüttelnd und mit besorgter Miene den Kranken in das Haus zurück und aus sein Lager zu bringen befahl. Der Knabe Jean hatte sich wie verzweifelt auf den starren Körper seines Verwandten geworfen, kaum daß Bonifaz ihn mit Gewalt von der lebendigen Leiche fortzubringen vermochte.

Denn mit einer solchen hatte man es zu thun, wie sich alsbald zeigte. Vergeblich wandte der Arzt alle gewöhnlichen Hilfsmittel gegen den Starrkrampf an, die geschlagene Ader gab kein Blut, das Reiben und Erwärmen der Glieder zeigte nicht die geringste Empfindung, der Geruch scharfer Essenzen übte keine Wirkung auf die Nerven. Und doch konnte man kaum zweifeln, daß der Unglückliche in diesem schrecklichen Zustand bei vollem Bewußtsein sei. Denn wenn auch der Augapfel starr und unbeweglich blieb, zeigte sich in der Starrheit dieses Blickes doch zuweilen ein Ausdruck von Leben und Empfindung, der nicht zu verkennen war.

Das war übrigens auch das einzige, was dem Arzt, der sich wirklich mit großer Teilnahme um den Kranken bemühte, Hoffnung gab. Er wiederholte seine Behauptung, daß dieser Zustand von Katalepsie unzweifelhaft von der Wunde durch den Krys des Malayen und die Aufregung der vergangenen Scenen entstanden sei, er hoffe, daß die Krisis glücklich vorübergehen und nicht wie in anderen Fällen von Starrsucht mit dem wirklichen Tod enden würde, aber er vermochte eben nichts, als der Natur ihren Lauf zu lassen, und als man ihn weiter befragte, ob die Vergiftung des Dolches, von der er gesprochen, noch spätere Folgen haben werde, zuckte er schweigend die Achseln.

Während nun Jean und Bonifaz abwechselnd Tag und Nacht bei ihrem Herrn Wache hielten, auf ein Zeichen wiederkehrenden Lebens lauschend, waren die Offiziere der Expedition zu einer Beratung zusammengetreten, was unter diesen Umständen geschehen solle. Die Meinungen waren sehr geteilt. Viele, darunter der junge Preuße, wollten unter keinen Umständen ihren General verlassen, bis sein Schicksal entschieden sei, andere, und an ihrer Spitze stand namentlich Don Carboyal, drängten darauf, die Expedition auf das schleunigste ganz in derselben Weise abgehen zu lassen, wie es der Graf angeordnet hatte.

Endlich einigte man sich, da der zugezogene Arzt erklärte, nicht angeben zu können, ob die entscheidende Krisis in Stunden oder in Tagen eintreten werde, dahin, daß man noch vierundzwanzig Stunden warten wolle, und daß dann der größere Teil der Expedition unter Führung des Kapitän Perez und Leitung des mexikanischen Offiziers aufbrechen müsse, um dem Abkommen gemäß die Hacienda del Cerro zu besetzen. Dies verlangten auch die Kaufleute der Stadt und die noch anwesenden Hacienderos, die auf einer Aufrechthaltung des Kontrakts zum Schutz gegen den Einfall der Wilden bestanden.

Zugleich wurde bestimmt, daß einer der Offiziere mit einigen Begleitern bereits am andern Morgen aufbrechen solle, um dem Haciendero von dem Geschehenen und der Nachfolge der Expedition Nachricht zu bringen. Da keiner das Amt dieses Boten freiwillig übernehmen wollte, wurde nach mexikanischer Sitte gelost, d. h. die Würfel entschieden, und der niederste Wurf, den ein anderer für ihn that, da er ein Gelübde vorschützte, das ihm zu spielen verbot, traf den Preußen. Die Anordnungen waren im ganzen so verständig, daß er fühlte, daß er mit einer Weigerung sich dem schweren Tadel des Grafen bei dessen Wiederherstellung aussetzen würde. Auch empfand er, daß er seiner höheren Bildung wegen wohl die allein geeignete Person war, der Verlobten des Generals und ihrem Vater die traurige Botschaft mitzuteilen.

Unter diesen Beratungen war übrigens der Tag vergangen, und am andern Morgen traf erst spät der erste Transport der Pferde ein, welche die benachbarten Hacienderos für die Expedition versprochen hatten. So kam es, daß Leutnant von Kleist erst nach der Mittagshitze mit seinen Begleitern, sechs Mitgliedern der Expedition und einem Peon, aufbrechen formte. Kapitän Perez hatte zu den ersteren unter andern die würdigen Freunde Slongh und Meredith bestimmt, da sich die edle Kompagnie bereits durch ihre Betrügereien im Spiel bei der Bevölkerung der Stadt ziemlich bekannt gemacht hatte und in Gefahr war, mit einem guten Dolchstich belohnt zu werden.

Durch diese Verzögerungen war es dem Preußen auch nicht mehr gelungen, die Señora an dem Orte anzutreffen, wo sie der Senator zurückgelassen hatte, und obschon er alsbald von dort wieder aufgebrochen und ihr gefolgt war, schien die Kenntnis des ihn begleitenden Peons von dem Wege nicht sehr groß gewesen zu sein, denn sie hatten mehrfach eine falsche Richtung eingeschlagen und erst um diese späte Stunde war es ihnen gelungen, die Furt und damit den Reisezug der Dame aufzufinden.

Dies waren die Mitteilungen, die so vorsichtig wie möglich der junge Offizier der Verlobten seines Generals machte.

Doña Dolores hatte die Nachrichten des Offiziers nicht ohne große Bewegung ausgenommen. Wenn auch in der Verlobung mit dem Franzosen nicht ihr Herz, sondern mehr ihr Stolz im Spiel war, so drohten die darauf gebauten Erwartungen doch jetzt plötzlich zu scheitern, und das Ausbleiben oder die Verzögerung der Expedition setzten ihren Vater und sein Eigentum schweren Gefahren aus. Sie beeilte sich daher, dem Offizier die Nachrichten mitzuteilen, die sie hier erhalten und nur ihren Wunsch anzudeuten, daß sie so bald als möglich nach der Hacienda gelangen möchten.

Der Mond war unterdes aufgegangen und erhellte mit seinem Schein die ziemlich öde Gegend, deren Gestaltung nicht erlaubte, einen weiten Überblick zu thun. Leutnant von Kleist hatte sofort die fernere Leitung der Expedition übernommen, aber er hatte Verstand genug, der Erfahrung der mit den Umständen und der Gegend vertrauten Männer, wenn sie auch von untergeordneter Stellung waren, mehr zu vertrauen als seiner eigenen Ansicht. Nachdem er daher den in der Entfernung eines Büchsenschusses aufgestellten Posten hatte ablösen lassen und von diesem nichts Verdächtiges gehört hatte, ließ er sich von Sanchez und dem Fährmann nochmals alles mitteilen, was vorgefallen, befragte sie auf das genaueste über die noch zurückzulegende Wegstrecke und beriet mit ihnen noch einmal, ob es nicht besser sei, am andern Ufer des Stroms das Tageslicht abzuwarten.

Bei dieser Beratung fiel sein Blick auf das kleine Zelt, das trotz der Ankunft der neuen Gesellschaft bisher noch immer verschlossen geblieben, und er fragte die Señora, für deren Eigentum er es hielt, ob die Diener es abbrechen sollten.

»Sie irren, Señor,« erwiderte die Dame, »jenes Zelt gehört nicht mir, und die Personen, die es benutzen, sind mir unbekannt.«

»Wie,« sagte der Offizier erstaunt, – »diese Leute sind nicht einmal so höflich gewesen, Ihnen dies Obdach gegen den Tau der Nacht anzubieten? Ich möchte doch sehen, wer sich eines solchen Mangels an Achtung und Galanterie schuldig gemacht hat. Überdies erfordert die Vorsicht und meine Pflicht gegen Sie, daß wir wissen, in wessen Gesellschaft wir uns befinden.«

Er that einige Schritte auf das Zelt zu, aber der Mestize stellte sich ihm in den Weg.

»Verzeihen Sie, Caballero,« sagte er, »aber meine Patrones wünschen ungestört zu bleiben. Ich habe ihnen vorhin von dem Anerbieten dieser Dame gesagt, die Gastfreundschaft der Hacienda del Cerro noch in dieser Nacht zu genießen, aber sie ziehen es vor, hier den Tag zu erwarten und ihre Reise allein fortzusetzen.«

Der Offizier fühlte in diesem Augenblick, daß ihn jemand hinten am Rock zog, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und als er sich umwandte, fand er, daß es der würdige Methodist war.

Master Slongh hatte sich nach seiner Gewohnheit alsbald damit befaßt, umher zu spionieren, und weil das Zelt seine Aufmerksamkeit erregt, sich hinter dasselbe geschlichen. Was er da durch einen Spalt und den Mondstrahl erlauscht oder gesehen, schien so absonderlicher Natur, daß er sich alsbald ebenso heimlich wieder zurückzog, einige Minuten mit dem Freund seiner Seele, dem Kentuckier Meredith sprach, der alsbald seine Büchse zur Hand nahm, und sich dann, wie wir gesehen, in das Gespräch seines Offiziers mischte.

»Was wollen Sie?« sagte dieser.

Slongh winkte ihn geheimnisvoll beiseite. »Der grimmige Löwe geht herum bei Nacht und suchet, wen er verschlinge,« näselte der Methodist. »Es ist Gefahr im Reiche Israel!«

»Halten Sie mich mit Ihren Thorheiten nicht auf,« befahl der Offizier streng, »sagen Sie klar, was es giebt!«

»Ich habe eine Entdeckung gemacht!«

»Welche?«

»Es wird gut sein, wenn Sie auf der Durchsuchung jenes Zeltes bestehen. Die Schlange der Verderbnis lauert im Verborgenen, und die Bösen folgen der Spur der Gerechten.«

Der Baron ließ ihn unwillig stehen und wandte sich zu dem Mestizen. »Es ist meine Pflicht, jenes Zelt zu untersuchen und die Personen kennen zu lernen, die sich so auffällig unsern Augen entziehen wollen. Machen Sie also Platz!«

Der Kurier zuckte die Achseln. » Vamos!« sagte er mit der Gleichgültigkeit eines Mannes, der weiter kein Interesse an der Sache hat, »ich bin nicht dazu gemietet, ein Inkognito mit Gewalt zu verteidigen und habe das Meine gethan.«

Der Offizier trat an das Zelt und streckte die Hand nach der Leinwand aus, die den niederen Eingang bedeckte.

»Wer Sie auch sein mögen, die Sie dieses Zelt bewohnen,« sagte er, »es ist nötig, daß Sie einige Auskunft über sich geben, oder wir müssen Sie mit Gewalt dazu zwingen.«

Der Vorhang öffnete sich, ein Mann trat in gebückter Haltung heraus und richtete sich empor.

Eine andere unförmliche Gestalt folgte ihm und blieb am Boden kauern.

Der Leutnant trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er diesen Mann und seinen Begleiter erkannte, und machte eine Bewegung mit der Hand, als suche er den Griff seines Hirschfängers. Die Personen, die er vor sich sah, und die er bereits weit entfernt auf dem Meere glaubte, waren der unglückliche Lord von Drysdale und der malayische Krüppel.

»Mylord – Sie hier?« stammelte bestürzt der junge Offizier.

»Wie Sie sehen, Herr! Was wollen Sie von mir? Ist es einem englischen Gentleman nicht gestattet, durch dieses Land zu reisen, ohne jedem fremden Abenteurer Rechenschaft geben zu müssen?«

»Einem Gentleman wohl, Mylord,« sagte der junge Mann heftig, »aber nicht einem feigen Meuchelmörder!«

»Wahren Sie Ihre Zunge, Sir,« rief der Engländer, »Sie stehen hier nicht unter dem Schutz Ihres ehrlosen Athleten mit dem hochtrabenden Namen, der den Abschaum der Menschheit um sich versammelt.«

»Und den ein Gentleman, wie Lord Drysdale, sich nicht scheute, mit vergifteten Waffen zu bekämpfen!«

Der Engländer fuhr offenbar betroffen zurück bei dieser Anklage.

»Was sagen Sie da, Sir, Graf Boulbon tot – vergiftet?«

»Wenigstens vergiftet, wehrlos gemacht durch den Dolch Ihres Kumpans,« sagte der Deutsche streng. »Seine Klinge muß früher vergiftet gewesen sein, und Gott allein weiß –« er unterbrach seine Worte und wandte sich horchend nach der Seite, wo die Schildwache stand.

Es war ihm, als hätte er einen leichten Schrei, ein Stöhnen des Schmerzes von dort her vernommen.

Auch Sanchez, der Begleiter der Señora, hatte einen ungewöhnlichen Laut gehört und war horchend vorgetreten

Der Engländer jedoch hatte nichts vernommen. Er faßte den Arm des Offiziers. »Auf meine Ehre, Sir, was Sie mir sagen, ist mir ganz unbekannt. Wie unritterlich und schmachvoll für uns auch jener Kampf ausgefochten wurde, nie ist es weder mir noch meinem unglücklichen Gefährten eingefallen, von einer unehrlichen Waffe Gebrauch zu machen. Ich habe Guaymas nicht wieder betreten, als ich vor vier Tagen den Bord der Najade jenseits des Kap Horn verließ und meinen Weg hierher nahm, um Ihrem Anführer wieder zu begegnen und mein Gelübde zu lösen. Wenn Lord Boulbon ein Unglück betroffen hat, muß er es der Schuld beimessen, einen hundertfachen Mörder gegen einen ehrlichen Mann verteidigt zu haben, ich aber

Ein Schrei, der Knall einer Büchse unterbrach ihn – Sanchez, der alte mexikanische Diener, stürzte in Todeszuckungen nieder auf das Gesicht. Durch das Geschrei der wie eine Herde auseinander Flüchtenden: Die Indianer! Die Apachen!« gellte ein Höllenmordio und dunkle, furchtbare Gestalten zu Roß und zu Fuß flogen mit teuflischem Geheul über den kurzen Raum und warfen sich auf die Erschrecken.

Der Kentuckier, der, die Büchse im Arm, allein imstande war, sich zu verteidigen, war auch der erste, der von seiner Waffe Gebrauch machte, und sein Schuß stürzte einen der heransprengenden Wilden vom Pferde. Dann aber riß die Hand seines vorsichtigeren Gefährten ihn in das Dunkel, um einen Schlupfwinkel zu suchen.

Den Lord hatte bei dem unerwarteten, schrecklichen Auftritt die Kaltblütigkeit des alten Seeoffiziers nicht verlassen, und er sprang bei dem ersten Mordio nach dem Zelte, wo mit den Sätteln der Tiere seine Waffen lagen, von einer Decke gegen den Nachttau geschützt. Aber der Mestize war ebenso rasch als er, und indem er ihn an dem Ergreifen der Büchse oder der Lochaber Axt, die auch hier ihn begleitet, hinderte, stieß er ihn und den Malayen in das Zelt.

»Bei der heiligen Jungfrau, Señor! was wollen Sie thun? Sie haben mich gedungen, Sie in das Lager der Apachen zu geleiten,« flüsterte er, »und jetzt wollen Sie ihnen Ihr Bündnis mit Kugeln und Axthieben antragen? Rühren Sie sich nicht, oder Sie sind verloren! Überlassen Sie alles mir!«

Er hatte zugleich einen großen Zweig von dem nächsten Busch gerissen und kauerte sich damit waffenlos vor den Eingang des Zeltes nieder.

Dies alles war das Werk weniger Sekunden.

Mit der Bewegung des Engländers zusammen war auch Leutnant von Kleist zurückgesprungen. Mit raschem Blick überflog er das Terrain, während die Indianer mit geschwungenen Lanzen und Tomahawks heranstürmten, ihnen voran auf weißem Pferde eine mächtige furchtbare Gestalt, der Graue Bär. Der Leutnant erblickte die Señora, halb zusammengebrochen vor Schreck, die Augen mit Entsetzen auf den grimmigen Reiter gerichtet, und hatte eben nur noch Zeit, sich vor sie zu werfen und mit dem rasch gezogenen Hirschfänger den Stoß der Lanze zu parieren.

Der Fechtunterricht der Kriegsschule in Berlin kam ihm hierbei trefflich zu statten, die scharfe Klinge zerschlug die Lanze des Häuptlings und während dieser im wilden Ansprung des Pferdes an ihm vorüberschoß, umfaßte der Offizier Dolores und trug sie gegen das Ufer hin, um mit ihr den Kahn zu erreichen.

Aber seine tapfere That sollte leider nicht durch Erfolg belohnt werden.

Während der Graue Bär, wütend über den verfehlten Stoß, in seinem Rennen einhielt, waren der Springende Wolf und zwei der Krieger, die ihre Pferde in der nötigen Entfernung zurückgelassen hatten, um zu Fuß heranschleichen und die Wache überfallen zu können, bereits auf den jungen Preußen zugestürzt. Dieser mußte, um sich der furchtbaren Feinde erwehren zu können, die Doña loslassen, die halb ohnmächtig zu Boden sank; er ließ den Hirschfänger an dem Riemen um seine Hand fallen und riß den Revolver aus seinem Gürtel.

»Teufel! Bestien in Menschengestalt! Nicht lebendig!«

Die erste Kugel des Revolvers durchbohrte die Brust des nächsten Indianers, der eben seinen Tomahawk zum zerschmetternden Schlage erhoben, die zweite lähmte den Arm des »Springenden Wolf«, aber der dritte Wilde, ein kräftiger und gewandter Krieger, warf sich auf den Leutnant, ehe dieser noch seine Waffen gebrauchen konnte und umfaßte ihn mit den Armen. Ein wildes Ringen, so blitzschnell in den Bewegungen, daß keiner der Kämpfenden nach der einen oder anderen Seite hätte helfend eingreifen können, erfolgte, während dessen die beiden Gegner immer näher zum Fluß drängten.

Der Apache war ein starker Krieger von etwa vierzig Jahren, und der junge Preuße fühlte bald, daß er ihm an körperlichen Kräften überlegen war. Aber die ungeschlachte Stärke wurde durch die Gewandtheit des jungen Soldaten vollkommen aufgewogen, der übrigens begriff, daß er doch unterliegen müsse, selbst wenn er in dem Ringen Sieger bliebe, und daß nur ein besonderes Glück noch sein Leben retten könne.

Während dieses Einzelkampfes hatte das Gemetzel fortgedauert, die Apachen töteten alles, was ihnen in dem ersten Anlauf unter die Schneide der Tomahawks oder die Spitzen ihrer Lanzen kam. Die Mexikaner und die vier Abenteurer der Freischar, die noch mit dem Offizier gekommen waren, hatten sich zwar nach der ersten Überraschung zur Wehr gesetzt und namentlich die letzteren verkauften ihr Leben teuer genug. Aber obschon noch drei oder vier der Apachen fielen, vermochten sie doch nicht der Übermacht zu widerstehen, und sie sanken unter den Messern und Beilen ihrer Gegner, die mit den blutrauchenden Skalps ihre Gürtel schmückten.

Nachdem die erste Mordgier vorüber war, der unter den Trümmern ihrer in Brand gesteckten Hütte auch der Fährmann José mit seiner ganzen Familie zum Opfer gefallen war, thaten die Häuptlinge selbst dem Morden Einhalt, denn es lag ihnen vor allem daran, einige Gefangene mit in das Lager zurückzubringen, um denselben nötigenfalls durch alle Qualen der indianischen Folter Geständnisse über die Zahl und die Absichten der ihnen noch unbekannten Feinde zu erpressen, von denen Wonodongah gesprochen.

Der Stolz des würdigen Methodisten Slongh auf seinen berühmten Mantel war sein Verderben gewesen; denn der Wiederschein desselben in der Glut der brennenden Hütte, ließ einen spionierenden Wilden die beiden Freunde in einem Gebüsch entdecken, wohin sie sich verkrochen hatten und wo sie wahrscheinlich ohne das glänzende Kleidungsstück unentdeckt geblieben wären. Sie wurden von rohen Händen herausgeholt und ihr Glück war, daß der Methodist weislich vorher ihre Waffen beiseite gebracht hatte. Der rote Mantel fiel als erstes Opfer, indem er von dem Entdecker sehr unsanft dem frommen Mitglied der Expedition von den Schultern gerissen wurde, wobei sich dieser bei der versuchten Verteidigung seines Lieblings-Kleidungsstückes einen so gewaltigen Schlag vor den Kopf zuzog, daß eben nur sein harter Schädel ihm Widerstand leisten konnte. Der Methodist und der Kentuckier wurden zu einer hilflosen Masse zusammengeschnürt und als solche über zwei Pferde geworfen.

Unterdes war der Fliegende Pfeil mit anderen gegen das Zelt gestürmt, dessen ihnen noch verborgener Inhalt den Indianern als ein besonders wünschenswerter Teil der Beute erscheinen mochte. Sie fanden sich daher sehr getäuscht durch die Zeichen des Friedens, mit denen der Kurier sie empfing, der genug von der Sprache der Apachen verstand, um sich zugleich auch durch diese ihnen verständlich zu machen.

Alsbald begann sich der Haufen der Mörder, nachdem ihre blutige Arbeit gethan, hier zu sammeln, und auch Makotöh, der die noch immer ohnmächtige Dolores vor sich auf das Pferd gehoben hatte, lenkte sein Roß hierher. Zwölf Leichen, einschließlich der des alten Fährmannes, lagen gräßlich verstümmelt umher, aber unter ihnen fehlte der junge Offizier und sein Gegner, mit dem er so tapfer gerungen.

»Meine roten Brüder sind willkommen,« hatte der Kurier gerufen, »sie haben uns den Weg erspart, sie aufzusuchen. Ein großer Krieger des Ostens ist gekommen, sie zu sehen, um mit ihnen zu rauchen und zu jagen.«

Trotz dieser Versicherung der Freundschaft wäre dem Mestizen seine Absicht vielleicht doch nicht geglückt, wenn nicht der junge Häuptling der Mimbrenos ihn von früheren Zügen durch sein Gebiet und allerlei Handelsgeschäften gekannt hätte.

Mechocan zügelte sein Pferd, befahl seinen Begleitern inne zu halten und redete den wegen seiner Ausdauer zu Pferde und auf Reisen der »Eilende Wind« genannten Kurier an.

»Mein Bruder redet süße Worte, aber ich finde ihn bei denen, die auf dem Kriegspfad sind gegen die Apachen.«

»Der Häuptling ist im Irrtum,« entgegnete mit möglichster Ruhe der Führer. »Volaros ist nie weiter davon entfernt gewesen, seinen Freunden, den Apachen, zu schaden, als in diesem Augenblick. Er führt ihnen zwei Bundesgenossen zu, von denen der eine von der großen Mutter jenseits der Wüste kommt und ein Feind ist des Unkle Sam und der Schwarzhaarigen.«

Der Indianer that, als ob er sich nach diesen Personen umsähe. Dann sagte er: »Der Mann mit zwei Vätern Von zwei verschiedenen Racen stammend. heißt nicht umsonst der ›Wind‹, denn er redet Wind. Die Apachen schauen umher, wo die Freunde sind, von denen er spricht, und sie sehen Luft.«

»Die Männer, von denen ich rede, sind weit hergekommen,« erklärte der Kurier. »Mein Bruder möge seine Freunde und seine Krieger versammeln, dann werden sie erscheinen und sprechen. Sie sind nicht mit leeren Händen gekommen, als sie über das große Wasser fuhren, um ihren Freunden, den Apachen, beizustehen gegen die Fremden und ihre großen Donnerbüchsen.«

Die Worte, die mit der Nachricht des »Jaguar« und dem eigentlichen Zweck ihres Späherrittes so sehr übereinstimmten, veranlaßten den jungen Häuptling, seine Neugier zu unterdrücken und die Sache als eine, die Nation angehende zu behandeln. Er rief daher noch den »Springenden Wolf« herbei, der eben seine Wunde mit einem Tuch verbunden, das er der heulenden Zofe der jungen Haciendera abgenommen hatte, und die drei Häuptlinge standen jetzt zusammen vor dem Kurier.

»Kennt mein Bruder diesen Mischling?« fragte der Graue Bär den jüngeren Häuptling.

»Es ist der ›Eilende Wind‹,« sagte dieser. »Er ist schon oft durch das Gebiet der Mimbrenos gekommen auf dem Weg nach der großen Stadt der Schwarzhaarigen und hat uns Nachrichten von unseren Feinden gegeben. Seine Mutter war die Tochter eines Häuptlings. Diese Büchse ist sein Geschenk.«

»Es ist gut. Er ist willkommen; die Worte meines Bruders haben seinen Skalp gerettet. Aber was redet er von einem Krieger der großen weißen Mutter jenseits des Salzwassers?«

Statt aller Antwort zog Volaros die Decke des Zeltes zurück. Hinter derselben stand ruhig, auf seine Axt gestützt, der Lord.

Die bleiche Farbe seines Gesichts, die finstere Schwermut, die auf seiner Stirn lag, der Ernst seines Blickes waren in nichts geändert durch die drohende Gefahr und die schreckliche Scene, die sich um ihn her ereignet hatte. Er trat einen Schritt vor, ließ sein Auge langsam über die blutige und schreckliche Bande schweifen und wandte sich dann zu seinem Führer und Dolmetscher.

»Sind dies die Häuptlinge der Apachen?« fragte er.

»Ja, Mylord, es sind die Häupter ihrer drei tapfersten Stämme.«

»So sage ihnen, daß Henry Norford, Lord von Drysdale, gekommen ist, um mit ihnen gegen den Grafen Raousset Boulbon zu fechten, der sich einen Abkömmling der Könige Frankreichs nennt, gegen ihn und die Mörder, die ihn begleiten.«

Der Mestize zuckte unmerklich die Achseln. Er wußte, daß die Gesellschaft, an die er diese Worte richten sollte, aus Mord und Grausamkeit selbst ihren Feinden keinen Vorwurf machte und änderte daher die Botschaft in seinem Sinn.

»Der große Krieger der weißen Mutter,« sagte er, »grüßt die Häuptlinge der berühmten Nation der Apachen. Er hat gehört, daß sie in das Land seiner Feinde eingefallen sind und ist gekommen, um ihnen beizustehen.«

»Hugh! Was brauchen wir die Hilfe der Bleichgesichter? Die Apachen sind Männer. Die Schwarzhaarigen fliehen vor ihrem Angesicht!«

Der Mestize fühlte, auf welchem gefährlichen Boden er sich befand. »Es ist wahr,« entgegnete er, »die Mexikaner können so tapferen Kriegern nicht widerstehen. Deshalb haben sie die stärksten Männer des Unkle Sam für Gold kommen lassen, um ihnen beizustehen.«

Ein Lächeln des Hohns glitt über die finsteren Züge des Gileno. »Der Mischling redet Luft,« sagte er. »Der Unkle Sam ist ein Freund der Apachen, er hat ihnen Büchsen gegeben und Pulver zu diesem Kriege. Wie kann er seine Krieger gegen sie senden?«

Diese freundnachbarliche Politik der nordamerikanischen Freistaaten lag zu sehr in ihrer ganzen Handlungsweise gegen das von Parteien zerrissene Mexiko, als daß der Kurier die Tatsache im geringsten bezweifelt hätte. Es galt nur, sich aus der Schlinge zu ziehen.

»Der Unkle Sam ist eine große Nation,« sagte er daher gelassen, »sie zählt viele Stämme, wie die der Apachen; sein Arm reicht weit, aber nicht so weit, daß er alle Fremdlinge hindern könnte, wenn sie im Norden kein Gold gefunden, hierher zu kommen, um das Gold im Lande der Apachen zu suchen und sie zu bekriegen. Ein großer Krieger aus dem Osten führt sie, und diese Augen haben gesehen, daß sie zwei mächtige Donnerbüchsen mit sich gebracht haben.«

Wir haben bereits angeführt, daß die Übereinstimmung dieser Nachrichten mit den kurzen Andeutungen Monodongahs großen Eindruck auf die Indianer gemacht hatte. Dies zeigte sich auch in dem Schluß der Verhandlungen, denn der Graue Bär begnügte sich, nach kurzer Überlegung zu fragen:

»Ist dieser Mann ein berühmter Krieger in seiner Heimat?«

»Du wirst es erfahren in dem Kampf. Er folgt seinem Todfeind seit zwei Jahren über die großen Salzwässer, die kein Ende haben.«

»Hugh! Die Apachen haben von der großen weißen Mutter gehört. Und Du sagst, daß er ihnen Geschenke bringe von ihr?«

»Die Häuptlinge werden sie im Rat der Nation erhalten.«

»Gut!« Der Gileno trat einen Schritt auf den Engländer und seinen Diener zu, den die Indianer mit mehr Neugier noch betrachtet hatten, als den Herrn.

Makotöh legte seine flache Hand auf die Brust des Lords. »Mein Bruder ist willkommen,« sagte er, »›Der wandernde Tod‹« – dies war der Name, den er dem bleichen und finstern Aussehen des unglücklichen Pairs gab und der diesem während seines ganzen Verkehrs mit den Indianern blieb, »wird mit uns die Pfeife rauchen und an unserer Seite seinen großen Tomahawk schwingen Es ist Zeit zur Rückkehr!«

Fünf Minuten darauf war die Bande auf dem Wege zu dem Lager der Mescaleros. Der »Graue Bär« hielt seine Beute, die ohnmächtige Dolores, vor sich auf dem Pferde, der Lord, der Malaye und der Kurier ritten auf den ihren, und der würdige Methodist mit seinem kentuckyschen Freunde wurden in höchst unangenehmer Weise quer über zweien der erbeuteten Pferde befördert, während die Zofe der Doña von einem der anderen Krieger in derselben Weise, wie ihre Gebieterin, fortgeführt wurde.

Dies war der Zug der wilden Nachtgespenster, der an dem Kreuzträger und dem jungen Vaquero vorübersauste und in dem Dunkel der Nacht verschwand.


Der Kanadier hatte dem Reitertrupp drohend nachgeschaut, dann wandte er sich in eiligem Laufe der Stelle zu wo die letzten brennenden Trümmer der Hütte des armen friedlichen Fährmannes eben in sich zusammensanken.

Der erste traurige Gegenstand, auf den sie stießen, war der in der gewöhnlichen Weise verstümmelte Leichnam der Schildwache. Die indianischen Krieger, die auf den Befehl ihrer Häuptlinge in so weiter Entfernung von den Pferden gestiegen waren, daß deren Hufschlag auf dem hier nach dem Flußufer weicheren Boden nicht gehört werden konnte, hatten sich mit der gewohnten Schlauheit an den Mann geschlichen und ihn, ehe er einen warnenden Ruf ausstoßen konnte, ermordet. Sein Todesseufzer war der Laut, der den jungen Offizier zuerst aufmerksam machte.

Weiter hin fanden sie um die glühenden Trümmer der Hütte die Leichname der erschlagenen Begleiter der Señora und des Offiziers. Das Gepäck der Dame war teils auseinandergerissen, umhergestreut und geraubt, wie die Habsucht und der Geschmack der Indianer es ausgewählt hatte, die Toten allein bewachten die Überreste.

Während der Wegweiser sich davon überzeugte, daß hier kein Menschenleben mehr zu retten sei, hatte der junge Mann einige Holzstücke der verbrannten Hütte zusammengestoßen und aufs neue aufflammen lassen. In dem Licht untersuchten die beiden Männer nochmals auf das sorgfältigste die Umgebung, und ein Ruf des jungen Mexikaners verkündete alsbald einen Fund. Es waren die beiden Büchsen des Methodisten und seines Gefährten nebst den Kugeltaschen, welche die vorsichtige Furcht Slonghs gleich nach dem ersten Angriff versteckt hatte, um den Anschein jedes Widerstandes zu beseitigen. Aber indem sie die Waffen zu dem Feuer brachten, vernahm das scharfe Ohr des Wegweisers das Knacken eines Zweiges im nahen Gebüsch, und im Nu lag seine Büchse in der linken Hand bereit, sich zum tödlichen Schuß zu erheben.

Noch einmal knackten die Zweige, es ließ sich indes nichts sehen, und der Wegweiser hob ungeduldig seine Waffe.

» Parbleu!« sagte er laut, »die Wölfe können es unmöglich schon sein, die der Blutgeruch herbeilockt, ein Indianer würde vorsichtiger seinen Fuß setzen. Also heraus was da drinnen im Gebüsch ist, oder ich gebe Feuer!«

»Kreuzträger, seid Ihr es wirklich?« ertönte da eine matte Stimme.

»Zum Henker, ja! Wer sollte es anders sein? Aber wer ist der Jemand, der mich hier kennt? Heraus mit Euch!«

Die Gebüsche nach dem Ufer hin hatten sich bereits geöffnet, und heraus schwankte kraftlos und von Wasser triefend die Gestalt des preußischen Offiziers.

Der Wegführer sprang auf ihn zu. »Um Himmels willen, Monsieur,« rief er, den Adjutanten des Grafen erkennend, »Sie hier? wo ist der General?«

»In Guaymas, er liegt schwer krank danieder!«

»Und Sie? Was ist geschehen mit Ihnen?«

»Man hat mich gesendet, der Señora und dem Senator die Ursache der Verzögerung mitzuteilen. Leider konnte ich sie hier erst erreichen, und kaum eine Viertelstunde nachher geschah das Unglück. Meine Ehre ist auf immer verloren, ich kann dem Grafen nie wieder vor Augen treten.«

»Señor,« sagte der Veteran, »die Ehre des Mannes hängt nicht von äußeren Zufällen ab, sondern kann nur durch ihn selbst verloren gehen. Ich bin überzeugt, daß Sie ein tapferer Mann sind, und was geschehen ist, kann nur dem Eigensinn eines Weibes zugeschrieben werden. Erzählen Sie mir, wenn es Ihnen gefällig, was vorgefallen ist.«

Der Offizier berichtete kurz die plötzliche Erkrankung des Grafen, seine Mission und die Scene des Überfalles. Fühlend, daß er nicht imstande war, den Kräften des Wilden länger Widerstand zu leisten, hatte er in dem Ringen seinen Gegner nach dem steilen Ufer des Bergstromes gedrängt und mit einer plötzlichen Anstrengung sich mit ihm in das Wasser geworfen. Da er ein geübter Schwimmer war, so war es ihm hier gelungen, den Indianer so lange unter Wasser zu halten, bis dessen Umklammerung sich im Todeskampf löste, worauf er sich befreite, sein Messer zog und sich des Feindes durch einen sichern Stoß gänzlich entledigte. Zerschlagen und blutend von dem Sturz und den Griffen des Wilden hatte er mit großer Mühe sich am Ufer emporgearbeitet und in den Mangrove-Gebüschen sich verborgen. Der Kampf war längst zu Ende, und seine mutwillige Opferung wäre eine Thorheit gewesen.

Jetzt aber, so zerschlagen und entkräftet er war, verlangte er dringend, die indianischen Räuber zu verfolgen, um sein Leben einzusetzen für die Dame.

Doch Kreuzträger war keineswegs dieser Meinung. »Allzugroße Hast, Señor,« meinte er, »schadet dem Erfolg. Merkt Euch die Lehre für Eure künftige Laufbahn, die hoffentlich an Jahren und an Erfolgen noch reich sein wird. Was nützt es uns, jetzt die Spuren jener Räuber und Mörder mühsam aufzusuchen, ohne sie erreichen zu können? In drei Stunden bricht der Tag an, und dann werden sie so deutlich vor uns liegen, als wären sie mit Wegsteinen oder mit der Axt an den Bäumen gezeichnet. Dann auch wird es uns eher gelingen, die ermüdeten Pferde aufzufinden, die sie unterwegs werden zurücklassen müssen, und wir werden sie desto rascher verfolgen können. Bis dahin, Señor Teniente, nützen Sie die Zeit, durch einen kurzen Schlaf Ihre Kräfte zu stärken, nachdem ich erst einmal nach Ihren Wunden gesehen habe.«

»Schlafen? jetzt? und in dieser Umgebung?« fragte der junge Mann schaudernd.

Der Wegweiser zuckte die Achseln. »Ein Soldat kommt oft genug in die Lage, auf dem Schlachtfelde zu schlafen, und jene Toten tun uns nichts mehr. Aber Diaz wird Sie eine Strecke weit in ein sicheres Versteck geleiten, wo weder Geister noch Menschen Sie finden sollen, bis wir selbst kommen. Sie zu wecken. Hier haben wir glücklicherweise auch schon eine Waffe für Sie gefunden.«

Der junge Offizier fühlte selbst, daß ihm nach dem anstrengenden Ritt des Tages und dem Kampf eine Wiederherstellung seiner Kräfte dringend Not that. Die Indianer hatten zwar die Toten bis auf die Haut geplündert, aber an der Stelle, wo die Pferde nach der Ankunft abgezäumt worden waren, um sich an Gras und Zweigen selbst ihr Futter zu suchen, fand sich zum Glück der kleine dunkle Mantelsack des Deutschen noch vor, der den räuberischen Augen in der Eile des Aufbruchs entgangen war, und der Offizier war wenigstens so imstande, die nassen Kleider gegen trockene zu vertauschen.

Doch ließ er sich von dem Vaquero nicht eher wegführen, bis er dem Kanadier noch den Vorschlag gemacht, diesen nach der Hacienda zurückzuschicken, um vielleicht von dort aus eine Diversion zu Gunsten der Gefangenen zu veranstalten. Aber auch hierzu schüttelte der Kreuzträger ablehnend den Kopf.

»Wenn Sie es befehlen, Señor Teniente,« sagte er, »so muß es allerdings geschehen. Aber bedenken Sie selbst, daß der Bote unterwegs in die Hände der mörderischen Schurken fallen kann, und daß selbst im besten Fall seine Nachricht keinen andern Erfolg haben wird, als die Angst und den Kummer des Senators zu vermehren; denn er darf auf das Ungewisse hin unmöglich die Hacienda von ihren Verteidigern entblößen, während sie jeden Augenblick angegriffen werden kann. Verlassen Sie sich auf einen Mann, Señor Teniente, der noch stets das Ende des Weges erreicht hat, dessen Anfang er betreten. Wir wollen Doña Dolores ihrem Vater zurückbringen, oder wenigstens die sichere Nachricht, wo sie zu finden ist, so wahr ich mein Gelübde in diesem Kriege zu erfüllen hoffe!«


Der Leser weiß jetzt, was Wonodongah bei der Rückkehr des indianischen Streifkorps in solche Aufregung versetzt hatte. Bei dem Schein des Feuers hatte er in dem Arm des grauen Bären jene Frau erkannt, deren Bild tief in seinem Herzen wohnte, die ihm ihr Leben verdankte, und die er jetzt wieder in der Gewalt seiner Feinde sah, während er ein machtloser Gefangener war.

Mit einem Blick hatte er alles begriffen, und seine Erbitterung, sein Schmerz waren um so größer, als er sich selbst sagen mußte, daß seine Andeutung von der bevorstehenden Ankunft der Freischar die Veranlassung zu dem nächtlichen Streifzug der Wilden, also auch zur Gefangennahme der Señora gegeben hatte.

Es war übrigens gut für ihn, daß alles im Lager in diesem Augenblick mit der Ankunft der Gefangenen beschäftigt war, die alsbald von den Pferden gehoben wurden; denn hätte einer der Krieger seine drohende Bewegung gesehen, so hätte leicht ein Hieb mit dem Tomahawk sein Lohn sein können.

Der junge Häuptling faßte sich jedoch bald wieder, er sah ein, daß die Opferung seines Lebens für die stolze Spanierin, die ihn mit Verachtung von ihrer Schwelle getrieben, gänzlich nutzlos sein würde; aber er blieb mit gekreuzten Armen stehen, finster den Kreis betrachtend, der sich um die Gefangenen und die gemachte Beute gebildet, begierig, was jetzt geschehen würde und sinnend auf Mittel, die Dame zu retten.

In diesem Augenblick fühlte er seine Schulter leicht berührt und, zur Seite blickend, sah er im Schatten der Felsen die zierliche und liebliche Gestalt seiner Schwester.

Obschon es nach ihrer Erziehung und Sitte gegen das Ansehen des Mannes ist, daß ein Krieger den weiblichen Mitgliedern der Familie jene Zeichen der Liebe und Freundlichkeit giebt, die im civilisierten Leben einen so großen Wert haben, konnte sich der Toyah doch nicht enthalten, die willkommene Annäherung des jungen Mädchens mit einem liebevollen Lächeln und einer freundlichen Bewegung seines Hauptes zu erwidern.

»Meine Schwester ist willkommen,« sagte er flüsternd. »Windenblüte möge ihre Ohren öffnen und den Auftrag ihres Bruders hören, wenn sie nicht belauert wird von den Weibern der Apachen.«

»Sie sind dort, mein Bruder möge reden, Comeo wird gehorchen.«

»Sieht meine Schwester jenes Mädchen der Bleichgesichter, das der ›Graue Bär‹ auf seinem Pferde getragen?«

»Ich sehe sie.«

»Es ist die ›Feuerblume‹. Meine Schwester hat von ihr gehört und von dem Hause ihres Vaters. Sie ist gestohlen worden, und Wonodongah will, daß sie frei sei! Meine Schwester ist die Tochter eines großen Häuptlings, sie wird klug sein, wie die Schlange. Kann sie das Lager der Apachen verlassen?«

»Ich hoffe, es mit Dir zu thun.«

»Windenblüte wird allein gehen. Sie muß sich fortstehlen, ehe die Sonne aufgeht, und das steinerne Haus des großen Haciendero zu erreichen suchen. Dort wird sie sagen, was sie gesehen, und wo die Feuerblume sich befindet.«

Das Mädchen faltete demütig die Hände über ihrem Busen.

»Mein Bruder wird nicht verlangen, daß Windenblüte ihn verläßt in der Stunde der Not. Sie wird ausharren bei ihm und mit ihm fliehen oder sterben. Was ist das Leben Comeos ohne ihn!«

Die Worte waren so hingebend und rührend, daß selbst das feste Herz des jungen Kriegers davon bewegt wurde. »Meine Schwester redet thörichte Worte,« sagte er mild. »Junge Mädchen wissen nichts von den Plänen der Krieger. Hat Windenblüte vergessen, daß ein Freund des Jaguars in der Nähe ist, und daß die Bleichgesichter, wenn sie die Feuerblume befreien, auch dem Jaguar das Leben bringen? Comeo wird dem Wort des letzten aus ihrem Stamme gehorchen.«

Die junge Indianerin versuchte keinen Widerspruch, sie beugte demütig das Haupt zum Zeichen ihres Gehorsams und verschwand in dem Schatten des Felsens.

Unbeweglich gleich diesem blieb der Toyah auf seinem Platze stehen und sah den Häuptlingen entgegen, die jetzt auf ihn zukamen, hinter ihnen, halb getragen von zwei Kriegern, die stolze Tochter des Haciendero und Lord Drysdale, gefolgt von der ganzen Rotte, die in ihrer Mitte die andern Gefangenen und den Malayen führte.



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