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Franzose und Engländer.

(Fortsetzung.)

Der auf die Ankunft der Sonora-Expedition folgende Tag war in gleicher Weise mit offenen und geheimen Vorbereitungen der beiden Parteien vergangen, wie der Nachmittag vorher. Der Gouverneur von San José hatte es – offenbar absichtlich – noch immer versäumt, sich um die Unterbringung und Verpflegung der Expedition zu bekümmern, die entweder auf den Straßen oder dem Hafenplatz kampierte oder in den Schenken und den gastfrei geöffneten Wohnungen lagerte.

Juarez war kein Soldat, er war nie Soldat gewesen und führte den militärischen Titel bloß aus Eitelkeit, wie denn Eitelkeit in den amerikanischen Republiken die Obersten und Generale wie Pilze aus der Erde schießen läßt und die beste Kritik der republikanischen Überhebung ist! Er war in früheren Jahren Advokat in Veracruz und begann seine diplomatische Carrière in den Wirren unter Santa Anna. Ehrgeizig, grausam, neidisch, hinterlistig und schlau, dabei zäh, ausdauernd und nicht ohne Mut, haßte er eigentlich den Stand des Soldaten ebenso wie die spanische Rasse, ja alle Fremden, und schmeichelte ihm nur, wo er seiner zur Ausführung seiner Pläne bedurfte.

Seine spätere Laufbahn hat diese Charakterzüge bestätigt und immer mehr hervortreten lassen und bestärkt. Indianer seiner Abstammung nach, war er eben nur durch den Beschluß des Senates der Staaten Sonora und Chihuahua, in dem die Hacienderos und die Kaufleute den überwiegenden Einfluß auf die Centralregierung übten, genötigt worden, dem Engagement der Expedition des Grafen Boulbon zuzustimmen. Er ahnte, daß die Politik des Präsidenten in Mexiko und der spanischen, das heißt der konservativen Partei, wenn man sie in jenem Lande so nennen kann, noch ganz andere Zwecke damit verband.

Wie gesagt, hegte er außerdem auch einen persönlichen Groll gegen Don Estevan, das bedeutendste Mitglied der spanischen Partei, einen Groll, der durch die Erklärung der Verlobung der Donna Dolores mit dem Anführer der Expedition nur noch vermehrt werden konnte.

Aber obschon der Gouverneur von San Guaymas sich fern hielt von der eigentlichen Hafenstadt, wuchs in dieser im Laufe des Tages das Leben doch in ganz auffallender Weise.

Verschiedene Freunde Don Estevans, begleitet von einer stattlichen Kavalkada ihres Haushalts, trafen ein, je nachdem die Entfernung ihrer Wohnsitze von San José eine nähere oder größere war. Sie fanden in dem Hause des reichen Haciendero, wenn auch nicht Unterkommen, so doch die gastfreieste Aufnahme. Die Versammlung wuchs dort von Stunde zu Stunde, und der französische Graf, der durch das bourbonische Blut ebenso gut Spanien angehörte, war der Löwe des Tages.

Auch in den untern Schichten der Bevölkerung fand ein lebhaftes Zuströmen von außerhalb statt; hier aber schien der Einfluß der demokratischen Partei die Oberhand zu haben. Während die Vaqueros, die Jäger und Bediensteten der Haciendas offenbar zur aristokratischen Partei, das heißt zur Partei ihrer Herren standen, war das nämliche nicht mit den niedern Peons, den Arbeitern von indianischer Abkunft der Fall, die, von der Neugier oder einem geheimen Einfluß getrieben, aus der Umgegend zahlreich herbeiströmten. Gegen abend traf sogar eine Schar der Bergleute von Cochino ein, durch ihre Wildheit und Grausamkeit berüchtigt und gefürchtet. Soldaten kamen nicht in Cadres, sondern einzeln oder in Trupps aber mit voller Bewaffnung, wie von Müßiggang und Neugier getrieben, von San José herüber und verstärkten im stillen die Garnison des Forts.

Von allen diesen Anzeichen erhielten natürlich die Senatoren und Graf Boulbon genauen Bericht; es schien danach gewiß, daß es am andern Tage zu einem Streit, vielleicht zu einem Kampf der Parteien kommen werde.

Der Graf hatte seine Schar, die Hacienderos, ihre Diener und die französischen und spanischen Kaufleute; der Gouverneur seine Soldaten, die Peons und Bergleute, die englischen und amerikanischen Kaufherren, das Fort. Er war also im Vorteil, und es kam darauf an, für wen sich die Bevölkerung des Hafens entscheiden würde.

Don Estevan war überaus unruhig; der Graf vertraute mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit dem Zufall und seinem Glück. Eine ganz andere Sorge, als die um den Ausgang eines etwaigen Kampfes hielt seine Stirn gefurcht. Es hatte all seiner Überredungsgabe, all seines Einflusses bedurft, um während der Stunden der Nacht Suzanne, wenn nicht zu überzeugen, doch zu überreden, daß die Verbindung mit der reichen und vornehmen Mexikanerin für seine Pläne und seine Zukunft unbedingt notwendig sei, und daß er diese Zukunft suche, um damit auch die ihres Kindes zu gründen.

Die Schauspielerin hatte zwar nie darauf gerechnet, daß der Graf sie zu seiner Frau erheben würde; sie hatte vorausgesehen, daß er über kurz oder lang eine seinem Range und seiner Abkunft angemessene Verbindung schließen werde. Aber als der Augenblick da war, als die Wirklichkeit eintreten sollte, gewann das Gefühl des Frauenherzens den Sieg und ließ ihren leidenschaftlichen Schmerz hervorbrechen. Es war weniger die Heirat, die diesen Schmerz hervorrief, als die Eifersucht auf die Person der Spanierin und die Huldigung, die der Graf dieser so offen vom ersten Augenblick an bewiesen hatte.

Nur durch das feierliche, mit seinem Ehrenwort bekräftigte Versprechen, sie in keiner Lage von sich zu entfernen, konnte der Graf, nachdem alle Versuche, sie zur Rückkehr nach Frankreich zu bewegen, vergeblich geblieben waren, sie beruhigen und sie zur Beibehaltung ihrer bisherigen Rolle und Tracht vermögen.

Die Ansichten der mexikanischen Bevölkerung über die Verhältnisse der beiden Geschlechter sind zwar ziemlich frei und ausgedehnt, aber der Graf kannte genügend den Stolz der Donna Dolores, um nicht zu wissen, daß sie als Verlobte und Frau doch niemals eine Nebenbuhlerin neben sich dulden werde.

Um Mittag hatte der Kreuzträger, wie ihm aufgetragen worden, dem Grafen Bericht über den Zustand des Forts gebracht. Man hatte ihm zwar verweigert, das Innere zu betreten, aber der alte Jäger und Wegweiser wußte durch seine scharfe Beobachtungsgabe ziemlich ebenso viel, als wenn er hineingekommen und in allen Winkeln herumgekrochen wäre.

Das Fort bestand danach aus schlecht gehaltenen Erdwällen mit Brustwehr und einem Graben davor, im Innern befand sich ein Blockhaus und einige mehr hüttenartige Gebäude für die Besatzung zum Schutz gegen die Sonne und zum Nachtlager, die Bewaffnung bestand aus vier ebenso schlechten Kanonen, von denen zwei nach der Seeseite, zwei nach dem Lande gerichtet waren.

Aber der Kreuzträger hatte bemerkt, daß man im Laufe des Tages auch den beiden ersteren die letztere Richtung gegeben hatte.

Man fürchtete also eine Gefahr von dem Lande her, nicht von der See.

Dieser Umstand gab dem Grafen zu denken, da doch die beiden Schiffe der Expedition noch im Hafen lagen und man noch nicht Zeit gehabt hatte, die beiden kleinen Kanonen, die er von San Francisco mitgebracht, ans Ufer zu bringen.

Die Geschütze des Forts waren mit Kartätschen geladen worden; diesen Umstand hatte Diego Muñoz berichtet, dessen neue Geliebte die Tochter eines der Sergeanten der Besatzung war und ungehindert ein- und ausging.

Nach den Angaben des Kreuzträgers entwarf der Graf einen rohen Plan des Forts. Dann wandte er sich an ihn mit der offenen Frage, auf welche Weise er glaube, daß man sich im Fall eines Zwiespalts am leichtesten dieser Position bemächtigen könne? Die beiden Männer berieten länger als eine Stunde mit einander.

Über all diesen Beschäftigungen war der Abend herangekommen.

San Fernando Guaymas war so belebt, wie seit langer Zeit nicht; die Männer der Expedition, Peons, Vaqueros, Soldaten, Matrosen – die ganze Bevölkerung des Hafens drängte sich lustig durcheinander – überall Gesang, Spiel, Trinkgelage, Tanz und Zänkerei.

Daß es auch an der letzteren nicht fehlte, dafür bürgte der Nationalcharakter der verschiedenen Mitglieder dieser bunten Gesellschaft.

Aus dem großen freien Hafenplatz brannten wieder die Feuer, um die sich viele der Abenteurer gelagert hatten. An einem dieser Feuer hatten der Methodist und sein würdiger Freund aus Kentucky aus einer Tischplatte und einem grünen Vorhang unter freiem Himmel eine Spielbank improvisiert, um die sich bald die Bewohner der Stadt und die fremden Landleute drängten, da Ehren-Hesekiah eine stattliche Reihe kleiner Ledersäckchen vor sich aufgestellt hatte, die nach seiner Angabe sämtlich mit Goldkörnern aus den Placeros des Sacramento gefüllt waren. In der That hatte Master Slong vor den habgierigen Augen der Vaqueros und Soldaten auch eines der Säckchen, das er absichtslos aus der Mitte herauszugreifen schien, geöffnet und siehe da, sein Inhalt oder wenigstens die obere sichtbare Schicht bestand wirklich aus veritablen Goldkörnern.

Der Ruf von dieser Probe hatte sich blitzschnell verbreitet, und es hätte in der That dabei nicht erst des Plakats bedurft, das der Methodist an einer Stange befestigt hatte und das die bescheidene Inschrift trug:

 

Slong, Meredith und Comp.,
Erste Bank der Goldminen von Kalifornien!

Kapital 10 000 Unzen,
laden die Caballeros von San Guaymas
höflichst ein, ihr Glück zu versuchen
mit Karten und Würfeln.

»Da die Expedition Sr. Hoheit Excellenz des berühmten Generals Don Aimée Grafen von Boulbon schon morgen aufbricht, um die furchtbaren Indianer des Rio Gila zu bekämpfen, können den geehrten Caballeros und Gentlemen nur bare Einsätze oder Darlehen auf Wert gestattet werden.«

 

Die Klausel war vielleicht sehr nötig und zeugte von der Vorsicht des Master Slong. Es war bei dem verlockenden Reichtum der Bank der Herren Slong, Meredith und Comp. nur merkwürdig, daß die besagte Expedition außer zur Bekämpfung der Indianer nach ihrem ersten Programm auch zur Aufsuchung des berühmten Schatzes der Azteken auszog, und daß von den dreihundert Kameraden der Herren Slong und Meredith, die denn doch auch meistens ausgepichte Spieler waren und das Gold in jeder Form sehr liebten, kein einziger sein Heil an dem grünen Tische versuchen wollte, sondern daß sich alle sehr entfernt von der hochachtbaren Compagnie hielten und lieber ihr Glück und ihr Gold der Spielbank zuwendeten, die etwa hundert Schritt entfernt ein spekulativer Chinese zugleich mit einem Ausschank von Gin, Grog und Pulque aufgeschlagen hatte.

Das hinderte aber wie gesagt nicht, daß die Bewohner von San Fernando und die Fremden in Menge den Spieltisch der California-Firma umlagerten und ihre Piaster und Dublonen gegen die Goldsäcke der Herren Slong und Meredith einsetzten.

Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß sie ihre Dublonen und Piaster verloren.

Der Kentuckier war erst kurz vor Eröffnung des Spiels seiner Strafhaft entlassen worden, die er sich durch die zu große Gefälligkeit für seine Freunde zugezogen hatte. Er hatte neben seinem Geschäftsfreund Slong Platz genommen und machte, von dessen Augen bewacht, den Croupier, während ein Revolver vor ihm auf dem Tisch und ein zweiter in seinem Gürtel bewiesen, daß er seinerseits wieder die Spieler überwachte. Überdies befand sich zu diesem Zweck noch einer der beiden englischen Matrosen, die zugleich mit ihnen in die Sonora-Compagnie getreten waren, am Tisch. Jack war ein handfester Boxer erster Sorte, machte keinen Anspruch auf Teilung des Gewinnes oder nähere Einsicht in den Geschäftsbetrieb der Bank und begnügte sich mit dreifacher Grog-Ration gegen die Verpflichtung, bei entstehendem Streit seine Fäuste auf seiten der Herren Slong, Meredith u. Co. zu brauchen.

Die beiden Kreise um die zwei Spieltische boten ein überaus buntes und belebtes Bild, jeder mit verschiedenen Scenen und in einer Unterhaltung aus zehnerlei Sprachen. Die Erhitzung der Spieler stieg immer höher, und es gehörte alle Schlauheit der Bankhalter dazu, um durch den geschickten Wechsel von Gewinn und Verlust, wenn auch nicht die Meinung der Verlierenden, so doch die des Publikums für sich zu behalten und doch einen Gewinn von tausend Prozent zu machen.

Um den Tisch des Master Slong befanden sich in diesem Augenblick namentlich zwei Gruppen.

Die eine bestand aus etwa zehn bis zwölf Männern von verschiedenem Alter, schlanken aber sehnigen Figuren, geeignet, jeder Anstrengung und Mühseligkeit zu trotzen, mit sonngebräunten offenen Gesichtern und fast ganz in Leder gekleidet; es waren Vaqueros der benachbarten Haciendas. Aus ihren mit schweren Sporen belasteten Stiefeln ragte der Horngriff des in dem Knieband steckenden langen Messers hervor, das ihnen jedenfalls eine liebere Waffe war, als die Machete, die jetzt an ihrem Gürtel hing. Einige hatten sogar der gewohntesten Waffe nicht entsagen können und trugen auf der andern Seite dieses Gürtels an einem eisernen Haken befestigt einen sorgfältig zusammengerollten Lasso, als wären sie jeden Augenblick bereit, sich in den Sattel zu schwingen und die gefährliche Leine nach dem Gegner, sei es Mensch oder Tier, durch die Luft sausen zu lassen. Es waren sämtlich muntere lustige Bursche, die ihre Piaster mit Anstand und Sorglosigkeit verloren, denn das Geld kümmerte sie wenig, da für ihre Bedürfnisse der Haciendero sorgen mußte und in der Prairie das Geld ihnen ohnehin von keinem Nutzen war. Obschon mehrere von ihnen einen Weg von zehn und mehr Leguas zu Pferde an diesem Tage zurückgelegt hatten, bemerkte man doch an keinem Spuren der Müdigkeit. Sie scherzten mit den zwischen den Männern stehenden Manolas, gaben ihnen Silberstücke zum Spielen oder tauschten einen Teil ihres zufälligen Gewinnes mit ihnen für ein Lächeln, eine Blume oder ein Scherzwort.

Die den Vaqueros gegenüberstehende Gruppe war ganz das Gegenteil der munteren stattlichen Burschen: finstere wilde Gestalten in dunkler, vernachlässigter Kleidung mit buschigem Haar und rauhem ungekämmtem Bart. Ihr Auge hatte etwas Unheimliches, Lichtscheues, während es doch in der Leidenschaft des Spiels von einer Glut funkelte, die erschrecken mußte; ihre Gestalt zeigte etwas Gedrücktes. Sieches, aber dennoch verkündete das nervöse Spiel der Hand, das häufige Zucken der Finger bei jeder Gelegenheit nach dem Holzgriff ihres langen Messers, daß sie in einem Streit schlimme Gegner sein würden. Die Gesichtsbildung erinnerte größtenteils an ihre indianische Abstammung, doch fand sich auch der verkommene verwilderte Typus jeder andern Nationalität unter ihnen; denn es war ein altes hergebrachtes Recht, daß auch der schlimmste Verbrecher in den Bergwerken – und aus den Bergleuten von Cochino bestand die Gesellschaft Aufnahme und Schutz fand. Während die Vagueros mit der Manier von Caballeros ihr Geld verspielten und verloren, folgten die Männer der Tiefe mit gierigem Blick jedem Piasterstück, das die gewandte Hand des Kentuckiers in die Kasse strich, und ihre Augen ruhten so begehrlich und bedeutsam darauf, daß Slong sich besorgt nach seinem Trabanten umschaute.

Master Jack trank eben behaglich sein sechstes Glas Grog. Die beiden Fäuste des Matrosen beruhigten ihn einigermaßen.

»Zum Spiel, zum Spiel, Señores! Der Herr der himmlischen Heerscharen wird so vortrefflichen und tugendhaften Caballeros sicher nicht seinen Beistand versagen und ihnen die glücklichen Karten zeigen!«

Eine der Manolas, ein hübsches Mädchen in kokettem Kleide von gelber Seide mit blaugestreifter Mantille um das kecke Gesichtchen, war zufällig oder absichtlich zwischen die Gesellschaft der Bergleute geraten. Einer von diesen, ein mürrischer schielender Bursche mit einem fast auf die Brauen herabreichenden Haarwuchs hatte soeben zehn Dublonen von der Bank gewonnen, da der würdige Methodist bei dem besorgten Blick auf seine Kasse und der steigenden Leidenschaft der Bergleute die Volte falsch geschlagen hatte.

Das Mädchen wandte sich an den Gewinner.

»Señor Minero,« Bergmann. sagte sie, »ich hoffe, Ihr werdet einer Dame, die Euch Glück gebracht hat, eines oder zwei dieser Goldstücke verehren, damit sie sich einen neuen Rebozo kaufen kann. Der englische Kaufmann drüben an der Ecke hat eine Sendung wunderschöner mit Silber gestickter erhalten.«

Der Angeredete schob mit einer groben Bewegung die zierliche Hand zurück, die sich ihm zugewandt und warf, nur auf das Spiel erpicht, die verlangten zwei Dublonen auf eine Karte.

» Vá en hora mala, Geh' zum Teufel. Dirne, Du störst mich im Spiel! Komm nachher wieder – Du scheinst mir hübsch genug für eine Nacht!«

» Pu, Sennor! Sie sind kein Caballero!«

Der Bergmann hatte die zwei Dublonen verloren; in dem Eifer, sie wieder zu erlangen, setzte er den Rest seines Gewinnes auf die nächste Karte.

»Heda, kleine Conception!« rief ein Vaquero von der andern Seite des Tisches, »dieser Señor grunidos Brummbär. behandelt Dich nicht, wie eine so hübsche China verdient. Komm zu mir, und Du sollst Deinen neuen Rebozo haben!«

»Mit Vergnügen, Señor, ich sehe, daß Sie ein echter Caballero sind, was man nicht von jedem der hier Anwesenden sagen kann!«

In diesem Augenblick zog der Kentuckier die acht Goldstücke des Minero ein, und dieser wandte sich mit einem wilden Fluch zu dem Mädchen.

»Du wirst hier bleiben, Dirne, ich will es!«

» Quita allá, Pfui! Señor, ich bin ein freies Mädchen! Sie benehmen sich wie ein Gassenkehrer!«

Der wilde Bergmann hob die Faust zu einem Schlage, aber der neue Ritter der Manola sprang mit einem Satz, der den Geldhaufen und die Einsätze durcheinander warf, über den Tisch und mitten hinein in die Gesellschaft.

» Pasito, pasito, Señor Minero!« sagte er, sich vor das Mädchen drängend. »Sie scheinen vergessen zu haben, daß diese Dame bereits meine Einladung angenommen hat und sich daher unter meinem Schutz befindet. Ihre Hand, Señor, würde danach gegen mich erhoben sein!«

»Ich werde mir den Teufel etwas daraus machen!«

»Señores, Señores, ich beschwöre Sie, keinen Streit hier!« schrie der Bankhalter. »Master Roberton,« – dies War der Name des Matrosen, – »seht zu, daß diese Caballeros ihren Zank an einer anderen Stelle abmachen; Master Meredith, halten Sie die Kasse fest!«

Die ängstlichen Vorsichtsmaßregeln des Methodisten hätten aber vielleicht wenig genützt, denn die Bergleute griffen bereits nach ihren Messern, und ein blutiger Kampf wäre entstanden, wenn nicht eine schwere Faust den zornigen Minero zur Seite geschoben hätte.

» Damnation! Was soll der Lärm, Bursche?« sagte eine rauhe Stimme auf englisch. »Habt Ihr keine Fäuste, um Euren Streit wie ehrliche Kerle auszumachen, statt mit den Spicknadeln da gleich zur Hand zu sein? Ich will nicht Tom Watson heißen und nicht der erste Steuermann der ›Najade‹ sein, wenn ich nicht jeden zu Boden schlage, der es wagt, die Hand mit einem Messer zu erheben!«

Es war die derbe Gestalt eines englischen Seemanns, die sich zwischen die Streitenden geschoben hatte. In der That war es der Steuermann des Schiffes Lord Drysdales, der mit einer Anzahl seiner Matrosen ans Land gekommen war, um sich hier zu amüsieren, und dabei zufällig den Streit unterbrach.

Jack Roberton, der von der Kompagnieschaft engagierte Klopffechter, war sogleich dabei. Er streckte dem Landsmann die Hand entgegen.

»Gott soll mich verdammen, alte Seeratte, wenn Ihr nicht zur rechten Zeit kommt! Ich hätte mich mit dem Gesindel wahrhaftig allein herumschlagen müssen. So, gebt Eure Pfote her; und nun wollen wir sehen, wer hier zu mucksen wagt!«

Der Steuermann sah ihn groß an. »Heda, Bursche! wer seid Ihr denn eigentlich, daß Ihr so mir nichts, Dir nichts Tom Watsons Hand und Beistand haben wollt?«

» Goddam – eine Seeratte wie Ihr,« meinte Jack. »Braucht Euch nicht zu sträuben, bin ein ehrlicher Kerl und liebe vielleicht nur ein wenig zu sehr den Grog!«

»So? und von welchem Schiffe seid Ihr denn?«

»Ja, Kamerad,« sagte Jack nicht ohne einige Verlegenheit, »zu einem Schiffe gehöre ich gegenwärtig nicht. Ich war mit der ›Jane Eyre‹ drüben nach San Francisco gekommen, und da sie mir so viel von der Sonora-Expedition erzählten und dem Gold, das da in Haufen zu Tage liegen soll, so habe ich mich anwerben lassen, ich und Will Burns, und jetzt helfe ich hier Master Slong diese spitzbübischen Mexikaner beim Spiel in Ordnung halten!«

» Damned! Ihr und Will Burns seid also von Eurem Schiff davon gelaufen?«

»Nun – meinetwegen, wenn Ihr's so nennen wollt! Es thun's viele, die zu den Goldgräbern in die Placers gehen!«

»Und Ihr landflüchtiger desertierter, versoffener Hurensohn wagt es, dem Steuermann der ›Najade« Eure schmutzige Tatze entgegenzustrecken?« sagte der Seemann. »Da, nehmt das, Ihr Schuft, für Eure Frechheit!«

Und er versetzte Meister Jack einen Faustschlag zwischen die Augen, daß dieser lang zu Boden gestürzt wäre, wenn er nicht auf den wilden Bergmann gefallen, dessen Streit diese Zwischenscene unterbrochen hatte.

Der Minero war keineswegs in der Laune, dies geduldig zu tragen. Er ließ den Griff seines Messers fahren, faßte den Matrosen und stieß ihn unsanft zurück. »Verfluchter englischer Ketzer,« sagte er, »was mengt sich das Schwein in unsern Streit?!«

Jack schaute einige Augenblicke ziemlich verblüfft bald auf seinen Landsmann, dessen Schlag ihn vollkommen nüchtern gemacht hatte, bald auf den Minero; da er aber den Bulldoggenmut der untern englischen Klassen besaß, hatte er sich bald gefaßt und ballte wild die Fäuste, bereit, sich auf den einen oder den andern zu stürzen.

Die Sache sollte aber einen ganz andern Ausgang nehmen und zwar durch den Steuermann der Najade.

Dieser hatte mit sehr großem Mißfallen das Benehmen des Minero bemerkt.

»Hollah, Bursche, Ihr dort mit dem Hundegesicht und der schäbigen schwarzen Jacke,« schrie er, »wie könnt Ihr Euch unterstehen, einen englischen Seemann zu stoßen und zu schimpfen? Glaubt Ihr, weil ich, Tom Watson, Steuermann des Fregattschoners Najade, diesem Gentleman eine verdiente Züchtigung versetzt habe, daß so ein zwiebelfressender, gelbhäutiger Maulwurf, wie Ihr, einen Engländer anrühren darf? Auf die Kniee, Bursche, und bittet den Mann hier hübsch um Verzeihung, wenn Ihr nicht windelweich geschlagen werden wollt!«

» Carrajo! ich denke nicht daran!« kreischte der Mexikaner. »Bleibt mir vom Leibe, Señor, wenn Ihr nicht mein Messer in Eurem ungeschlachten Leibe fühlen wollt. Ihr habt diesen Mann auf mich gestoßen, und er hätte mich zu Boden gerissen, wenn ich ihn nicht zurück geworfen!«

»Als ob das etwas Besonderes wäre, Ihr erdedurchwühlender Schuft, wenn Ihr Euren schmutzigen Sand geküßt hättet, den Ihr ein Land zu nennen beliebt. Ich habe Euch gesagt, daß Ihr Jack Teer um Verzeihung bitten sollt um der Ehre von Alt-England willen!«

»Hipp! hipp! Hurra!« schrie der Matrosenhaufe hinter ihm. »Ihr habt recht, Steuermann Watson!«

»Señor,« sagte zähneknirschend der Minero, indem er sich mit einem auffordernden Blick nach seinen Gefährten umsah, die sich, die Hand am Messer, um ihn drängten, »ich warne Euch, Ihr sucht Händel mit mir!«

»Merkst Du das jetzt erst, Maulaffe? Da – nimm das für Deinen Bratspieß!«

Und er ergriff eine Handvoll der Ledersäckchen, welche die Bank der Herren Slong, Meredith u. Comp. so prahlerisch auf den Tisch gestellt hatte und schleuderte sie dem Bergmann ins Gesicht.

Der würdige Bankhalter hatte beim Beginn des Streites sofort die baren Gelder und das Säckchen mit den verlockenden Goldkörnern in seine weiten Taschen in Sicherheit gebracht, es aber nicht verhindern können, daß von diesem andern Teile seines Reichtums ein so gewaltsamer Gebrauch gemacht wurde.

Als dies nun geschah, drückte er sich rasch in die Menge und verschwand, seine Goldsäcke und seine beiden Compagnons im Stich lassend. Die Ursache wurde auch alsbald klar; denn während die meisten der Mineros, ihren beleidigten Anführer einstweilen im Stich lassend, sich auf die drei oder vier zu Boden gefallenen Säckchen warfen und sich darum balgten, war das eine, das die Stirn des Minero mit aller Kraft getroffen, geplatzt und hatte sein Gesicht und seine Brust – nicht mit Goldkörnern, sondern mit ganz gewöhnlichem Kiessande überschüttet.

Die Vaqueros und mehrere der Umstehenden brachen in ein schallendes Gelächter aus, das den Minero noch wütender machte und mit vorgestrecktem Messer sprang er auf seinen Gegner los und that einen wütenden Stoß nach ihm.

Die Klinge hätte den Steuermann der Najade sicher bis an das Heft durchbohrt, wenn Jack Roberton, der desertierte Matrose, nicht den Arm des Mexikaners mit einem kräftigen Faustschlage zur Seite geworfen hätte. So schrammte die Klinge den Steuermann nur an der Schulter, und der Minero stürzte, das Gleichgewicht verlierend, da er keinen Widerstand fand, selbst zu Boden.

»Brav gemacht, Jack!« schrie der Steuermann, »bist doch ein besserer Kerl, als ich dachte! Tom Watson bittet Dir den Schlag ab. Und jetzt, Gott verdamm ihre schielenden Augen! auf sie, Bursche, und gebt ihnen eine Lektion!«

Der Tisch mit den Lampen und Laternen wurde umgeworfen, die Chinas China, Manola – die spanischen Grisetten. flüchteten schreiend aus dem Gedränge, und eine wilde Schlägerei entstand, in der zwar anfangs die Kraft der britischen Seeleute die Oberhand hatte, in der sie aber bald den Messerstichen und der Übermacht der Mineros, zu denen sich rasch ein Teil des Publikums gesellte, weichen mußte. Sie suchten sich jetzt mit allem, was sie ergreifen konnten, Tischbeinen, Brettern, Holzscheiten und dergleichen zu bewaffnen und wehrten sich auf das tapferste, waren aber dennoch gezwungen, sich zurückzuziehen.

In der Nähe, nach dem Strande zu, wo ihr Boot lag, befand sich das Kontor und das Lagerhaus eines englischen Kaufmanns, desselben, an den die Najade konsigniert war. Die Matrosen hatten dort oft verkehrt, und es war daher sehr natürlich, daß sie hierher ihren Rückzug nahmen, in der Hoffnung, dort Schutz oder wenigstens bessere Waffen zum Widerstand zu finden. Das Kontor war verschlossen, der Eingang des Lagerschuppens jedoch geöffnet, da mehrere Arbeiter und Lastträger unter der Aufsicht eines Kommis wegen einer dringenden Verpackung von Waren, die mit einem am andern Morgen absegelnden Schiff noch versendet werden sollten, darin beschäftigt waren. Hier, an dem Eingang, faßten die britischen Matrosen, von denen einer, durch einen Messerstich ins Herz getroffen, tot auf dem Platz zurückgeblieben und zwei andere leicht verwundet waren, aufs neue Posten, bewaffneten sich mit einigen Eisenstangen, die in der Nähe standen, und wurden durch die Arbeiter und Lastträger verstärkt, die der für seine Waren besorgte Kaufmann ihnen zu Hilfe sandte.

Nach einigen Augenblicken der fortdauernden Schlägerei, während deren die Menge vor dem Gebäude immer mehr anwuchs, erhielten sie überdies einen andern gewichtigen Beistand.

Er kam von dem zweiten Spieltisch, der Spielbank des Chinesen, die in einiger Entfernung von der Gesellschaft Slong, Meredith u. Comp. aufgeschlagen war, und an der deren Kameraden von der Expedition vorzogen, ihr Glück zu versuchen und ihr Geld zu verlieren.

Höchst wahrscheinlich war der langbezopfte Bankhalter Tschu-Tsching ein ebenso großer Spitzbube wie Master Slong, aber er war den Mitgliedern der Expedition unbekannt und genoß daher mehr Vertrauen bei ihnen. Eine große Anzahl der Abenteurer war um den Tisch des Herrn Tschu-Tsching versammelt, der nur einen Landsmann zu seinem Beistand und sonst nur seine Fingerfertigkeit und Schlauheit als sauve-garde hatte.

An den Manolas von San-Fernando fehlte es natürlich hier noch weniger, als an dem Tisch der andern Bank, denn die Fremden waren jedenfalls freigebiger, als die Mexikaner, und in der That hatten sich schon in Zeit von vierundzwanzig Stunden eine Menge jener leichten Verhältnisse angeknüpft, wie sie in diesen Gegenden Sitte und Gewohnheit sind.

Das Silber und Gold rollte an diesem Tisch sehr rasch, und Meister Tschu-Tsching war schlau und vorsichtig genug, sich nicht zu habsüchtig zu zeigen, sondern in klugem Wechsel auch den Spielern häufig Gewinne zukommen zu lassen, wenn auch natürlich das Saldo mit 500 Prozent zu seinen Gunsten blieb. Im ganzen herrschte zwischen manchen wilden Flüchen und Verwünschungen bei dem Wechsel des Spiels doch jene Heiterkeit und Unbekümmertheit, die das Leben der Abenteurer charakterisiert, und zwischen dem Spieltisch und dem nächsten im Freien improvisierten Tanzplatz, wo die Manolas die wilden, leidenschaftlichen Bewegungen eines Bolero beim Klang der Kastagnetten und einer Mandoline mit ihren Verehrern ausführten, war ein fortwährendes Ab- und Zugehen.

Auch an Teilnehmern aus den Ortsbewohnern selbst und den herbeigeströmten Landleuten fehlte es nicht, und die Sonora-Expedition stand bei diesen noch in so gutem Kredit, daß man sich beeiferte, den fremden Caballeros alle mögliche Freundlichkeit zu erweisen.

Das gute Einvernehmen und das Vergnügen sollten indes bald auch hier gestört werden!

Kurz vor Beginn des Streites an dem andern Spieltisch waren zu dem Tisch des Chinesen von verschiedenen Seiten her zwei neue Gesellschaften getreten.

Die eine bestand aus dem jetzigen Leutnant der Expedition Diego Muñoz, dem früheren Capataz der wichtigen Gilde der Lastträger von San Fernando-Guaymas, unter der er trotz der Ursachen seiner Flucht noch viele Anhänger zählte.

Señor Muñoz führte sehr hochmütig ein hübsches Mädchen mit feurigen schwarzen Augen und schlankem Wuchs am Arm und war von dem Perlenfischer von Espiritu-Santo und einem Dutzend der kecksten Bursche seiner Abteilung begleitet. Die Manola an seinem Arm, die sich in dem neuen Putz, den er ihr freigebig im Laufe des Tages gekauft hatte, spreizte, wie eine Pfauhenne, war die schöne Tochter des Sergeanten Perez im Fort, dem die Verschließung der Thore und die Bewahrung der Schlüssel oblag, und die bis zur Ankunft der Sonora-Expedition sich die Huldigungen des gegenwärtigen Capataz der Lastträger hatte gefallen lassen.

Dieser selbst war es denn auch, der mit einer Anzahl Mitglieder seiner Gilde von der andern Seite her dem Spieltische des Chinesen sich näherte. Señor Gomez Herrero war ein Mann von einigen dreißig Jahren, von keineswegs so schlankem und elegantem Wuchs wie sein Rival, aber muskulös und sehnig gebaut und von einer Kraft, die ihm hauptsächlich jenes Ansehen in seinem Gewerbe und unter seinen Gefährten verschafft hatte, das ihn zu dem wichtigen Amte des Capataz erhoben. Er verwaltete es mit rücksichtsloser Strenge und hatte bei mehreren Gelegenheiten dem Interesse der Kaufherren wichtige Dienste geleistet. Aus diesem Grunde war er von den Mitgliedern der Gilde mehr gefürchtet als geliebt, und als dieselben der glänzenden Gestalt ihres früheren Kameraden und Anführers ansichtig wurden, ließen viele einen lauten, munteren Begrüßungsruf erschallen.

Gomez Herrero warf einen finsteren mißbilligenden Blick auf sein Gefolge. Er war von Natur aus ein ernster, hochmütiger und sparsamer Mann und alle wußten überdies, daß die unglückliche Familie, die Señor Muñoz seiner schnell verrauchten Leidenschaft so blutig geopfert hatte, zu seiner Verwandtschaft gehörte. Der diesem geltende Zuruf war daher um so kränkender für ihn.

Jedermann, der die näheren Verhältnisse kannte, war sogleich überzeugt, daß sich aus diesem zufälligen oder absichtlichen Zusammentreffen der beiden Rivalen eine interessante Scene entwickeln würde, und bei der großen Vorliebe dieses Volkes für alle aufregenden Scenen und für die Befriedigung seiner müßigen Neugier hätte keiner der anwesenden Mexikaner freiwillig den Platz verlassen.

Die beiden Gegner begrüßten einander mit jener übergroßen Höflichkeit, die in Mexiko selbst die Begegnung von Todfeinden begleitet.

»Señor Don Herrero,« sagte der neugebackene Leutnant, »erlauben Sie mir, Ihnen ein Leben von tausend Jahren zu wünschen. Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Sie seit meiner Ankunft zu sehen und freue mich, Sie bei so vortrefflicher Gesundheit zu finden!«

Die Behauptung des ehemaligen Capataz war nun allerdings eine Lüge, denn er hatte seinen Nachfolger seit den sechsunddreißig Stunden ihrer Anwesenheit mehrfach gesehen, aber bis zu diesem Augenblick nicht für gut gefunden, Notiz von ihm zu nehmen.

Das gegenwärtige Oberhaupt der ehrenwerten Lastträgergilde verbeugte sich ziemlich kalt. »Ich habe die Ehre, Señor Don Muñoz,« sagte er, »Ihren Gruß mit den gleichen Gefühlen zu erwidern, und wünsche Ihnen das Beste! Wollen Sie mir wohl erlauben, mit der Dame an Ihrem Arm einige Worte zu reden?«

Die Schöne ließ ihren Fächer klappen und breitete ihn mit jenem unnachahmlichen Ausdruck der Spanierin vor ihrem Gesicht aus, der durch seine Verächtlichkeit einen Anbeter zur Verzweiflung bringen kann.

»Wenn Doña Manuela Sie anhören will, Señor,« sagte der neue Offizier vornehm, »ich meinerseits habe nichts dawider.«

»Ich wüßte in der That nicht,« meinte hochmütig die Dame, »was der Señor Capataz mir zu sagen hat! Meine Ohren sind nicht verstopft!«

»Ich komme soeben von Ihrem Vater, Señorita,« sagte ihr Anbeter, »und er hat mich beauftragt. Sie zu ihm zu führen.«

»Ach! sagen Sie ihm, ich sei noch beschäftigt! ich werde später kommen.«

»Das wird nicht gut angehen, Manuele,« antwortete etwas rauh der Capataz. »Die Thore des Forts sollen um zehn Uhr heute geschlossen sein, und er wünscht Sie bei sich zu sehen.«

»Ich werde bei einer Freundin schlafen. Ich habe mich noch zu einem Fandango engagiert und will zuvor dem Spiel zusehen. Sie langweilen mich, Señor Herrero! ich glaube, ich bin noch nicht Ihre Verlobte!«

»Sie sehen, Señor Don Gomez,« nahm der Teniente mit spöttischer Miene das Wort, »daß die Señorita keine Eile hat, zu dem ehrenwerten Señor, ihrem Vater, zu kommen. Als Caballero werden Sie den Willen der Dame respektieren. Sie wünscht einige Dublonen für ihre Toilette zu gewinnen, da der Señor Sergeant sie darin etwas knapp halten soll, und ich möchte ihr diese Gelegenheit um aller Welt willen nicht entziehen.«

Der Capataz biß sich auf die Lippen und blieb an dem Tisch stehen, an den die Manola jetzt getreten war. Ihr Begleiter zog aus der Tasche eine Hand voll Silber- und Goldstücke und bot ihr dieselbe ungezählt. Die anwesenden Frauen klatschten ihm Beifall über diese Freigebigkeit und priesen ihn mit allerlei Redensarten, die nicht ohne verschiedene Sticheleien auf die bekannte Sparsamkeit des gegenwärtigen Capataz waren.

Das Mädchen pointierte mit dem gewöhnlichen Leichtsinn dieser Wesen und der schlaue Chinese, der seinen Vorteil in dieser Gesellschaft kannte, ließ sie sechs Dublonen gewinnen, die er auf der andern Seite reichlich wieder einnahm. Manuela war der Gegenstand der Bewunderung und des Neides unter ihren Genossinnen.

Auch Muñoz hatte wiederholt gesetzt, aber offenbar mit wenig Glück, was ihn jedoch nicht zu bekümmern schien. Er verlor seine Piaster mit großem Anstand.

»Señor Capataz,« wandte er sich aufs neue an seinen Nachfolger, »Sie spielen nicht?«

»Ich habe ein Gelübde gethan, Señor Don Muñoz, keine Karte mehr anzurühren bis zu einer gewissen Zeit.«

» O que lástima! und ist es erlaubt zu fragen, was Sie zu diesem unnatürlichen Gelübde veranlaßt hat, das Ihnen ein großes Vergnügen entzieht?«

»Sehr gern, Señor Don Muñoz! Es geschah infolge der Ermordung eines Artverwandten, Namens Pepe, beim Spiel, und ich gelobte, die Karten nie wieder anzurühren, bis sein und der Seinigen feiger Mörder gehängt ist!«

Ein roter Fleck zeigte sich auf der Stirn des ehemaligen Capataz bei diesem direkten Angriff; denn er selbst war es, der den Bruder seiner Geliebten bei einem Spielerstreit erstochen und dann Vater und Bruder hatte verschwinden lassen, um sich vor ihrer Rache zu sichern. Da die Familie arm war und dem gemischten Blut angehörte, hatte seine Entfernung aus Sonora genügt, die weitere Untersuchung und die Bestrafung des Verbrechens zu beseitigen.

Eine tiefe Stille folgte den Worten, denn selbst die wüsten und rauhen Gefährten des neuen Offiziers begriffen, daß die Worte eine tiefere Bedeutung haben mußten.

» Muy bien, Señor Capataz!« entgegnete nach einer kleinen Pause der Teniente, »ich hoffe mit Ihnen, daß die Heiligen Ihnen noch dies Vergnügen machen werden. Indes bis dahin, daß Sie die Karten wieder anrühren dürfen, bleiben Ihnen zu Ihrer Unterhaltung die Würfel. Sie werden mir eine besondere Ehre anthun, wenn Sie mir das Vergnügen erzeigen, eine Partie mit mir zu machen! Ich schlage vor, daß der Gewinner seinen Gewinn der honorablen Gilde der Ganapanos, der ja auch ich die Ehre hatte anzugehören, zu einem kleinen Fest verehrt.«

So gedrängt konnte der Capataz die Partie unmöglich ablehnen, ohne sich vor seiner Gilde eine starke Blöße zu geben.

»Es sei, Señor Don Muñoz,« sagte er. »Wie hoch setzen Sie die Partie fest?«

»Ganz nach Ihrem Belieben, Señor!«

Der Capataz schwankte einen Augenblick zwischen Stolz und Geiz. Dann, sich überwindend, sagte er: »Wir wollen fünfzig Piaster sagen, Señor Muñoz. Es ist die Summe, die ich bei mir trage.«

»Wie es Ihnen gefällt, Señor, und ich werde die Ehre haben, sie aus meiner Tasche zu verdoppeln, wenn das Glück des Spiels sich für mich entscheiden sollte. In wie viel Einsätzen befehlen Sie, zu spielen?«

»Meinetwegen in zwei,« sagte der Capataz ärgerlich und beschämt bei dem beifälligen Murmeln seiner Untergebenen.

» Buen, Señor, so lassen Sie uns anfangen. Unsere Freunde warten auf Ihren Wurf.«

Muñoz legte eine Hand voll Geldstücke vor sich auf den Tisch und ergriff den Becher mit den Würfeln. Der Capataz zog seinen ledernen Geldbeutel und zählte bedächtig die Summe von fünfzig Piastern auf. Es blieben in der That nur noch einige Pesados in dem Beutel.

»Wollen Sie anfangen, Señor Don Herrero?«

»Der Becher befindet sich in guter Hand!«

»Wohl. Drei Würfe auf jede Partie!« Der Kapitän warf achtlos, er hatte sieben Augen.

» Ay Dios mio, welcher schlechte Wurf! Sie haben Glück, Señor Herrero. Da – elf!«

»Sie verbessern sich,« sagte der Capataz, dessen Augen unwillkürlich zu funkeln begannen.

Die ganze Umgebung nahm zum großen Ärger des Herrn Tschu-Tsching mindestens ebenso viel Anteil an der Partie, wie die Spieler selbst.

»Sechs!«

»Sie haben also vierundzwanzig Augen geworfen,« sagte der Capataz etwas spöttisch. »Es wird mir schwer werden, Sie zu erreichen!« Er warf – die beiden Sechsen lagen oben.

Ay – demonio! Zwölf!«

Ein Laut des Bedauerns ging durch den Kreis.

Der Capataz warf rasch zum zweitenmal. Es waren neun.

»Einundzwanzig!« sagte Muñoz, »Sie haben die erste Partie gewonnen.«

»Noch nicht!« Er warf.

In der That hatte er recht, er hatte nur zwei Augen geworfen – die Chinas klatschten in die Hände.

»Das war in der That ein schlimmer Wurf, Señor Capataz. Aber Sie werden Ihr Glück korrigieren. Haben Sie jetzt die Güte, anzufangen.«

Der Capataz gab sich alle Mühe, ruhig zu scheinen und seinen Verdruß zu unterdrücken. Er warf rasch dreimal hintereinander, konnte es aber nur auf siebenundzwanzig Augen bringen, während die Würfe seines Gegners dreißig zählten. Ein allgemeiner Freudenruf begrüßte dies Resultat.

»Sie haben das Glück aus Ihrer Seite, Señor Don Muñoz,« sagte der Capataz, indem er ihm die fünfzig Piaster zuschob. »Ich hoffe, es wird ein anderes Mal auf der meinen sein.«

»O gewiß! Señores und Señoritas,« wandte der Gewinner sich zu der Umgebung, »Sie werden mir als Ihrem alten Freund und Landsmann die Bitte nicht abschlagen, diesen kleinen Beitrag zu den Festlichkeiten des heutigen Abends anzunehmen. Vielleicht wird Señora Manuela mit ihren Freundinnen die Güte haben, diese Piaster an sich zu nehmen und für ihre Verwendung zu sorgen, nachdem sie der heiligen Beschützerin der ehrenwerten Gilde der Ganapanos eine stattliche Kerze dafür reserviert hat!«

Diese Art des Geschenks, dem durch die Hand der Mädchen jedes den Stolz der Männer Verletzende genommen wurde, erregte einen neuen Ruf der Zustimmung.

»Aber, Señor Capataz,« fuhr der Kapitän fort, der die beiden auf dem Tisch liegenden Einsätze den Mädchen zuschob, »Sie wollen uns doch nicht verlassen? Ich hoffe, Gelegenheit zu haben. Ihnen Revanche zu geben.«

»Ich habe kein Geld mehr bei mir, Señor Muñoz,« sagte der Capataz mürrisch, »und spiele nie auf Kredit!«

»O Señor, meine ganze Habe steht zu Ihren Diensten. Das Wort des Ersten der berühmten Zunft der Ganapanos würde jedem Caballero genügen. Wissen Sie, daß ich da einen merkwürdigen Einfall habe?«

Herrero zuckte ungeduldig die Achseln. »Ich kann unmöglich den Sprüngen Ihrer Phantasie folgen, Señor.«

»O er wäre sehr leicht durch Ihre Güte auszuführen – versteht sich, mit Bewilligung dieser Herren. Sie wissen, daß ich die Ehre hatte, früher Ihrer Zunft anzugehören, ja, sogar Ihr Amt zu bekleiden, bis ein kleines Mißverständnis mich gezwungen hat, es aufzugeben und dafür den auch ganz ehrenwerten Posten eines Offiziers bei der Sonora-Expedition anzunehmen. Aber, was wollen Sie, Señor, der Mensch ist nun einmal ein Gewohnheitstier, und die Erinnerungen seiner Jugend haften an ihm, wie die Stacheln des Kaktus. Diese Begegnung hat in nur eine unüberwindliche Sehnsucht hervorgerufen, und Sie sind allein der Mann, der sie erfüllen kann.«

»Ich verstehe Sie noch immer nicht!«

»Das kommt wahrscheinlich davon, daß meine jetzige kriegerische Stellung mich allzusehr mit anderen Dingen beschäftigt. Genug, um mich kurz zu fassen, ich möchte mit Ihnen um eine kleine Gunst spielen!«

»Um eine Gunst?«

»Ja, Señor Capataz! Ich hege den unbezwinglichen Wunsch, mich noch einmal, und sei es auch nur auf vierundzwanzig Stunden, an der Spitze meiner alten Kameraden zu sehen. Setzen Sie das Amt des Capataz für einen Tag ein, und ich werde jeden Gegensatz halten.«

Der andere sah ihn erst betroffen, dann nachdenkend an.

»Ist das Ihr Ernst, Señor Teniente?«

»Gewiß! so wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Bestimmen Sie nur den Gegenpreis. Wenn meine Mittel oder die meiner Freunde es irgend erlauben, werde ich ihn halten!«

»Ihr Ehrenwort darauf?«

»Das Wort eines Caballero!«

Mindestens die Hälfte der anwesenden ehemaligen Kameraden des Abenteurers jubelten diesem Vorschlag Beifall, denn sie glaubten, daß er gethan werde, um ihnen einen guten Tag zu machen.

Der Capataz Herrero war an den Tisch zurückgetreten und stemmte die Hand darauf.

» Muy bien, Señor Official, ich nehme Ihren Vorschlag an. Ich stelle demnach das Amt des Capataz der Gilde auf einen Tag als Einsatz, und Sie – –«

»Nun?«

»Sie unterwerfen sich, wenn Sie verlieren, der Puñalada!«

Ein Schrei des Schreckens ließ sich aus dem Munde aller Frauen hören, selbst viele der Männer fuhren bestürzt zurück, und die Kameraden Diegos von der Expedition, denen dieser alte gefährliche, von den Gesetzen verpönte, von der Bevölkerung aber noch immer in Ehren gehaltene Brauch unbekannt war, drängten sich herbei, um nach der Bedeutung des Vorschlages zu fragen.

Bei den in Mexiko so häufig vorkommenden Mordthaten, die den Verüber gewöhnlich mehr der Rache der Verwandten der Ermordeten preisgeben, als der Bestrafung durch die Gesetze, kann sich der Mörder dadurch von der ersteren loskaufen, daß er sich dem nächsten männlichen Verwandten, oder der Person, der von diesem dies Recht übertragen wird, zur Puñalada stellt.

Der Schuldige läßt sich den rechten Arm auf den Rücken binden, den linken mit seinem Mantel umwickeln und empfängt, den linken Fuß auf einen Stein befestigt, ohne jede andere Waffe zur Verteidigung seinen Gegner, der das Recht hat, ihm drei Dolchstöße – nicht mehr – bis auf die Hälfte der Klinge zu geben. Gelingt es dem Verbrecher, die Stöße mit dem mantelumwickelten Arm zu parieren, oder wenigstens unschädlicher zu machen, so ist seine That gesühnt, und die Familie der getöteten Person muß jeder ferneren Blutrache entsagen.

Dieser Brauch, der übrigens immer seltener geübt wird, aber doch jedermann bekannt ist, gründet sich noch auf die uralte Sitte des mexikanischen Gottesgerichts, den Kampfstein. Es ist niemals vorgekommen in der Sonora, daß ein Mörder, der die Puñalada bestanden hat, von der Familie der ermordeten Person weiter angefeindet wurde.

Nach dieser Andeutung war der Eindruck, den die Forderung des Capataz machte, sehr erklärlich und in der That so groß, daß der Kreis um den Spieltisch des Chinesen gar keine Aufmerksamkeit für den Lärm und das Geschrei zeigte, das von der andern Spielbank herüberscholl, wo die oben erwähnte Schlägerei soeben begonnen hatte.

Aller Augen richteten sich auf den Leutnant Muñoz.

Dem ehemaligen Capataz fehlte es keineswegs an persönlichem Mut, wenn er von seinen Leidenschaften aufgestachelt war. Der Gedanke jedoch, einem Todfeind – und als solchen kennzeichnete der Blick, der die Forderung Herreros begleitet hatte, zur Genüge seinen Nachfolger, – fast schutzlos gegenüber zu treten und dein beinahe gewissen Tod ins Auge zu sehen, hätte auch den mutigsten Mann einen Augenblick erbeben gemacht. Die Farbe wich aus dem Gesicht des ehemaligen Capataz.

Ein spöttisches Lächeln flog über das Antlitz seines Gegners. »Ich erinnere Sie, Señor Teniente,« sagte er höhnisch, »daß nicht ich es bin, der zu dieser Partie herausgefordert hat. Sie selbst waren es und bestimmten den Preis vor allen diesen Zeugen.«

Diese Mahnung genügte, um den Stolz des Abenteurers siegen zu lassen.

»Ich nehme Ihren Vorschlag an, Señor Don Herrero,« sagte er, »und diese Caballeros haben unsern Vertrag gehört. Lassen Sie uns die Partie beginnen.«

»Nach Ihrem Belieben, Señor!«

Der Capataz wandte das Gesicht einen Augenblick nach der Seite hin, wo der Lärm immer ärger wurde. Schreiende Mädchen und Frauen kamen von dort flüchtend herbeigelaufen und riefen um Hilfe.

»Was geht dort vor, Señores?« fragte der Capataz besorgt.

» Quien sabe! ein gewöhnlicher Spielstreit. Master Slong hat es wahrscheinlich zu arg getrieben, oder wünschen Sie etwa unsere Partie rückgängig zu machen? Ich muß Ihnen bemerken, Señor Capataz, daß es mir viel Vergnügen machen würde, morgen Ihre Stelle zu bekleiden und meinen ehemaligen Kameraden die Gesinnung eines Caballero zu zeigen!«

Der Capataz biß sich auf die Lippen. »Lassen Sie uns beginnen Señor. Es braucht der Worte nicht! Treffen Sie die Bestimmungen, denn Sie sind offenbar im Nachteil bei dem Einsatz.«

Trotz der Bemühung, kalt zu scheinen und trotz der Aussicht, eine blutige Rache an dem Mörder seiner Verwandten nehmen zu können, war der Capataz offenbar sehr unruhig und blickte wiederholt hinüber nach dem mit jedem Augenblick sich vergrößernden Menschenknäuel, der sich gegen die Faktoreien und Lagerhäuser wälzte.

Es gehörte nämlich zu den Pflichten des Capataz der Lastträgerzunft, für die Sicherheit dieser Lagerhäuser zu sorgen. Die Kaufleute und Handelsherren überlassen ihm mit unbedingtem Vertrauen ihr Eigentum, und es ist eine Ehrensache der ganzen Gilde, diesem Vertrauen zu entsprechen. Es ist in der That höchst selten der Fall, daß in den Lagerhäusern ein Diebstahl oder eine Unterschlagung verübt wird, und der Capataz der Gilde übt bei einem solchen Vergehen unbestrittene Gewalt über Leben und Tod. Eine Ausstoßung aus der Zunft gilt als höchste Schande.

Der gegenwärtige und der frühere Vorsteher kannten diese Pflichten sehr wohl, und während es den ersteren drängte, auf seinem Posten zu sein, bemühte sich der andere, ihn festzuhalten.

Herrero winkte einen seiner Vertrauten zu sich und gab ihm einen Auftrag, mit dem er ihn fortsandte. Dann wendete er sich an seinen Gegner.

»Beeilen wir uns, Señor, wenn es Ihnen gefällig ist!«

» De muy buena gana! Sehr gern. Ich schlage deshalb vor, daß wir nur eine Partie von je drei Würfen machen. Die Augenzahl entscheidet. Die Parejas Pasch. zählen doppelt. Die Würfe geschehen abwechselnd. Habe ich das Vergnügen zu gewinnen, so trete ich mit Sonnenaufgang auf vierundzwanzig Stunden in Ihr Amt als Capataz, gewinnen Sie, so bestimmen Sie selbst die Zeit des Puñalada. Ich hoffe, daß Sie mich alsdann nicht zu lange warten lassen werden!«

»Sein Sie unbesorgt, Señor! Sie sollen befriedigt werden!«

» Vamos! fangen wir an!«

Der Lärm des Kampfes zwischen den englischen Matrosen und den Mineros wurde immer gewaltiger. So interessant und anregend auch der eigentümliche Streit war, der sich hier entspann, die Aufmerksamkeit des Kreises, der die Spieler umgab, begann sich doch zu teilen.

Der Leutnant hatte den Becher ergriffen und schüttelte ihn. Neun Augen!

Der Wurf war verhältnismäßig gut, aber der erste Wurf des Capataz überbot ihn sofort, es war ein Pasch von zweimal vier Augen, also nach den Regeln des Spiels sechzehn.

In diesem Augenblick kam der Mann hastig zurück, den der Capataz fortgeschickt hatte.

» Muerte! muerte, Señor! Zu Hilfe, Señor Capataz, die roten Barbaren von den Schiffen schlagen sich mit den Mineros!«

»Ach, was geht das uns an, wenn sie sich die Hälse brechen?« lachte Muñoz. »Zehn!«

Der Capataz raffte hastig die Würfel zusammen und warf sie in den Becher. Aber indem er ihn schüttelte, faßte eine Hand seinen Arm und hielt ihn fest – die Würfel fielen gegen seine Absicht heraus – eine eins und eine zwei.

» Maldito! seid verdammt mit Eurer Unverschämtheit!« Als er sich dabei umsah, schaute er in das von Furcht bleiche, aufgeregte Gesicht des ihm wohlbekannten jungen Faktors des englischen Handelshauses, zu dessen Warenlager sich die Matrosen zurückgezogen hatten.

»Schande über Euch, Señor Herrero!« sagte der junge Mann, seinen Arm schüttelnd, »daß Ihr hier dem Spiel frönt, während Master Walkers Speicher von diesen Schurken vor Euren Augen geplündert wird, ohne daß Ihr einen Finger für ihn erhebt! Thut Ihr so Eure geschworene Pflicht, Mann?«

Der Capataz erbebte bei diesem Anruf an seine Ehre. Leutnant Muñoz hob den Becher.

»Einen Augenblick, Señor, einen Augenblick!« rief der Capataz.

Der neue Offizier lachte spöttisch. »Jedem sein Recht, Señor Capataz!«

Er warf – zwei dreien! – »Zwölf!«

Der britische Kaufmann schleppte mit Gewalt den Gildemeister fort, denn in demselben Augenblick erscholl von den Speichern her der Schreckensruf: » Fuego! Fuego!« Feuer!

Ein heller Lichtschein verbreitete sich plötzlich.

Der ehemalige Capataz und jetzige Teniente warf einen raschen spähenden Blick hinüber. » Ha – demonio! gut gemacht!« murmelte er zwischen den Zähnen. Dann wandte er sich zu den wenigen, die noch umher standen: »Sie sind Zeugen, Caballeros – einunddreißig gegen neunzehn! – Jetzt, Señorita, entschuldigen Sie mich auf eine halbe Stunde. Es scheint, diese Spitzbuben von Engländern haben selbst ihr Magazin in Brand gesteckt, und wir müssen die Ehre von Guaymas aufrecht erhalten!« Er neigte sich einen Augenblick zu dem Ohr des Mädchens. »Gehen Sie nach dem Fort! Auf Wiedersehen morgen!«

Er eilte davon, mit Wort und Wink seine Kameraden zur Folge rufend.

An dem Lagerhaus des englischen Kaufmann Walker hatte die Scene unterdes einen anderen Verlauf genommen.

Wir haben bereits bemerkt, daß der Capataz der Zunft der Ganapanos oder Lastträger, denen allein die Ausladung und Beladung der Schiffe im Hafen zusteht, für die Sicherheit der Magazine zu sorgen hat, und daß dieser Posten mit rücksichtsloser Energie und Strenge verwaltet wird, da es in Guaymas, wie in ganz Mexiko nicht an raubsüchtigem und verbrecherischem Gesindel aller Art fehlt. Als der Capataz Herrero, dem Ruf seiner Pflicht folgend, herbeieilte, fand er, daß das Magazin an einer Ecke brannte, während am Haupteingang der mutige Steuermann der Najade mit seinen Kameraden und den im Magazin beschäftigten Arbeitern sich noch immer wacker gegen die Mineros und das Gesindel schlug, das sich diesen angeschlossen hatte. Die Männer der Sonora-Expedition waren zwar zahlreich unter die Menge gemischt, aber sie hielten sich, den strengen Befehlen des Grafen gemäß, von jeder Parteinahme an einem Streit zurück.

Herrero, ein ebenso entschlossener wie umsichtiger Mann, rief seinen Begleitern zu, sich mit der Löschung des Feuers zu beschäftigen und eilte nach dem Eingang, um in dem Innern des Gebäudes zu retten, was möglich wäre.

Aber der Kampf, der hier stattfand, hielt ihn zurück; denn er sah, daß die Verteidiger in der größten Bedrängnis waren und, wenn es den verrufenen Mineros gelang, ihren Widerstand zu bewältigen und einzudringen, von einer Sicherung der Güter nicht mehr die Rede sein konnte. Er versuchte daher, sein Ansehen geltend zu machen, mit Güte oder Gewalt die Gegner auseinander zu bringen und die gegen die britischen Seeleute Partei nehmende Menge zurückzudrängen.

Indem er dies that, sah er sich plötzlich seinem Gegner vom Spiel, dem Teniente Muñoz, gegenüber, der neben dem bereits mit Blut bedeckten Minero stand, der den Streit veranlaßt hatte, und der vor Wut und Erbitterung wie ein wildes Tier schrie und heulte, während die gewichtigen Schläge der Eisenstange des Steuermanns ihn in Entfernung hielten und Raum vor dem Eingang schafften.

Diego Muñoz hatte die Arme gekreuzt, ein spöttisches, herausforderndes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Das des Capataz rötete sich dunkel, als er sich von seinem Rivalen so beobachtet sah.

»Soll ich Ihnen helfen, Señor Herrero?«

»Gehen Sie zum Teufel, Señor! ich bedarf Ihrer Hilfe nicht! Zurück, Spitzbuben! auseinander sag' ich, treibt sie zurück, Leute! schlagt sie zu Boden, die Diebe und Mordbrenner, wenn sie nicht weichen!«

Ein wütendes Geschrei der Mineros antwortete ihm, aber sie wichen in der That zurück, denn jeder kannte die Person des Capataz und seine Macht.

In diesem Augenblick senkte sich der Arm des Teniente und seine Hand drückte einen Gegenstand, den sie aus dem Gürtel gezogen, in die des Anführers der Mineros. »Es scheint, man beleidigt Euch mit dieser Bezeichnung, Caballero, statt Euch Recht zu verschaffen gegen jene Ketzer!«

Der Bergmann drängte sich ungestüm vor. »Ihr lügt in Euren Hals hinein, Capataz!« schrie er. »Gebt uns den Schuft dort heraus, der uns beleidigt hat, oder par Dios! wir verbrennen Euch mit ihnen!«

Herrero wandte sich um – eine Anzahl der Lastträger hatte sich bereits zu ihm durchgedrängt, ihm Beistand zu leisten.

»Greift den Burschen da – ins Gefängnis mit ihm! er ist der Anführer der Schurken!«

»Schurke Du selbst!« Die Hand des Minero hob sich, ein Blitz des Revolvers, ein Knall – der Capataz drehte sich um sich selbst und stürzte zu Boden.

» Muerte! muerte!« Mord!

» Muy bien!« murmelte der Leutnant Muñoz, »ich glaube, die Puñalada wird nicht stattfinden und der Augenblick ist gekommen, von meinen einunddreißig Points Gebrauch zu machen!« – Mit einem Sprung war er mitten im Gewühl zwischen den Ringenden und den Männern, die dem Verwundeten zu Hilfe eilten und ihn aufzuheben suchten, während andere nach dem Mörder faßten, um den seine Kameraden sich drängten. Mit einem Griff hatte er dem sterbenden Capataz, der durch die Lunge geschossen, mit jedem Atemzug einen Strom von Blut auswarf, sein Amtszeichen, die silberne Pfeife, die er an einer Schnur um die Brust trug, abgerissen und ließ einen gellenden Pfiff ertönen.

»Caballeros der zweiten Kompagnie, hierher!«

Die Abenteurer, die ihm gefolgt waren, sammelten sich rasch um ihn. Zugleich drängten sich mit Gewalt die Ganapanos von allen Seiten auf das ihnen wohlbekannte Signal herbei.

»Führt diese Männer fort, Jack Roberton!« befahl der Abenteurer, der sich so keck des Kommandos bemächtigt hatte. »Bringt sie zu ihrem Boot! Haltet den Zugang besetzt, Leute – stellt Posten um das Magazin, indes wir den Brand löschen! An die Arbeit, Amigos, und beweist, daß Ihr Euren früheren Capataz nicht vergessen habt!«

Trotz des eben vorausgegangenen Mordes wurde der Befehl doch mit einem freudigen Zuruf begrüßt, und die Arbeiter folgten Muñoz willig in den Speicher, um das Feuer zu löschen und die Vorräte in Sicherheit zu bringen, während Leutnant Racunha das Gebäude rasch mit Posten aus den Mannschaften der Expedition umgab und die Menge zurücktreiben ließ. In Zeit von einer Viertelstunde war bei der Nähe des Wassers der Brand, der zum Glück nur in einem Anbau des Hauptspeichers ausgebrochen oder offenbar angezündet worden war, mit dem Opfer dieses Anbaues gelöscht und der Speicher selbst gerettet.

Man hatte den unglücklichen Capataz in das nächste Haus getragen, aber noch ehe der Sieg seines Rivalen sich so vollständig zeigte, war er verschieden.

Den Mörder zu greifen war natürlich keinem Menschen eingefallen, er hatte volle Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, und am andern Morgen fand sich, daß die ganze Bande der Mineros es vorgezogen hatte, während der Nacht San Fernando zu verlassen, ohne die Ereignisse des nächsten Tages, für die ihnen eine Rolle bestimmt war, abzuwarten.

Obgleich Scenen eines blutigen Streites und selbst eines Mordes in der Hafenstadt gerade keine Seltenheiten waren, hatte das Vorgegangene doch die Besorgnis der Bewohner erregt und ihnen die Lust zu Spiel und Tanz verleidet. Jeder eilte, sich in seine Behausung zurückzuziehen, und bald waren es nur Biwakfeuer der Männer der Expedition, die den Platz beleuchteten, und auf die sich das nächtliche Leben beschränkte. Der Adjutant hatte schon früher den Leutnant Muñoz zu dem Grafen beschieden und den Befehl gebracht, daß überall Posten ausgestellt und strenge Ordnung gehalten werden sollten.

Der Graf, bei dem sich sein künftiger Schwiegervater befand, empfing jenen mit sehr befriedigter Miene. Beide hatten sich absichtlich gehütet, sich irgend in den entstandenen Streit zu mischen, aber genaue Nachricht von allem erhalten, was geschehen.

» Ventre saint gris, Teniente Muñoz!« sagte der Graf lachend, »ich muß gestehen. Sie sind ein geschickter und rascher Mann! Wie ich höre, ist der Capataz der Lastträger, der zu unsern Gegnern gehörte, tot?«

»So ist es, Excellenz. Die Zunft hat mir so eben das Amt ihres Capataz wieder angetragen!«

»Und was werden Sie thun?«

»Es auf vierundzwanzig Stunden annehmen, ich hoffe, während der Zeit Eurer Excellenz gute Dienste leisten zu können und werde meinen Nachfolger mit Vorsicht zu wählen wissen, wenn es Eurer Excellenz dann beliebt, mich in geeigneter Weise zu belohnen!«

»Was wünschen Sie denn, Señor?«

»Ich werde die Ehre haben, es Euer Excellenz zu sagen. Ich glaube, ich würde mich nicht schlecht eignen zu einem Kommandanten des Forts von San Fernando-Guaymas mit einem entsprechenden Titel.«

Die ganze lächerliche Eitelkeit der Mexikaner lag in der Antwort. Die militärischen Chargen schießen bei den zahlreichen Pronunciamentos wie die Pilze aus der Erde, und wer heute noch Sackträger war, kann sich morgen schon zum Obersten der Miliz gemacht haben und in einer prunkenden Uniform umherstolzieren.

»Gut, gut!« sagte lachend der Graf, »ich finde Ihren Wunsch Ihren Ansprüchen gegenüber sehr bescheiden; vor allen Dingen aber gehört dazu, daß wir in San Fernando die Macht für solche Ernennungen haben und dazu im Besitze Ihres Forts sind, das man uns gegenwärtig versperrt.«

»Euer Excellenz werden es sein, sobald Sie es wünschen. Ich habe wichtige Verbindungen darin!«

»Darf ich fragen, welche?«

»O Señor Generale, gewiß! ich liebe die Tochter des Sergeanten Perez und werde von ihr wieder geliebt!«

Der Graf lachte hell auf. »Was zum Teufel, Señor Capataz, Ihre ganze Verbindung beschränkt sich auf einen Unterrock?«

Der würdige Leutnant-Capataz drehte sich ruhig eine neue Papiercigarette. » Pardiez, Excellenz,« sagte er, »die Unterröcke sind die besten Verbündeten, die man haben kann, und haben schon ganz andere Dinge zu Wege gebracht. Sie werden es erfahren, wenn Sie uns morgen brauchen. Indes, Señor, muß ich mir erlauben, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß die hundert Piaster, die Sie mir gestern vorzustrecken die Güte hatten, heute abend vollständig darauf gegangen sind, und ein Spitzbube von Mineur mich außerdem um meinen vortrefflichen Revolver bestohlen hat!«

»Der Verlust läßt sich leicht ersetzen,« sagte höflich der Graf. »Ich begreife, daß Sie als Capataz sich morgen nicht lumpen lassen dürfen, und bitte Sie, diese weiteren hundert Piaster anzunehmen. Bonifaz wird Ihnen aus meinen Vorräten einen anderen Revolver geben und dafür sorgen, daß Sie morgen bei der Besichtigung der Expedition Ihren neuen Pflichten nicht entzogen werden. Jetzt, Señor Muñoz, habe ich die Ehre, Ihnen gute Nacht zu wünschen, denn ich bin müde, und wir alle werden der Ruhe bedürfen!«

Als der neue Teniente-Capataz sich mit zahllosen Höflichkeitsbezeigungen entfernt hatte, sah der Graf den Senator lachend an.

»Wahrhaftig,« sagte er, »ich glaube, Señor, wir haben da ein vortreffliches Exemplar Ihrer Landsleute. Was fangen wir mit der Unverschämtheit des Burschen an, der uns indes vortreffliche Dienste leisten kann?«

Der Haciendero zuckte die Achseln. »Es ist, wie Sie sagen, Señor Conde, der Mensch hat alle Fehler und guten Eigenschaften eines echten Mexikaners. Wenn ihm nicht etwa der verrückte Gedanke in den Kopf kommt, Gouverneur der Sonora werden zu wollen, werden wir allerdings nichts besseres thun können, als ihn zum Kommandanten von San Fernando zu machen: er ist dann wenigstens Ihr Geschöpf, und Sie müssen hier für alle Fälle festen Fuß behalten. Anderenfalls wird er sich auch mit einer Aufseherstelle auf einer meiner Haciendas begnügen. Und nun gute Nacht, mein Sohn! Der morgende Tag wird entscheiden, ob meine Enkel die Krone der Ynkas tragen werden!«

Er reichte dem Franzosen die Hand, der ihm schweigend nachschaute. Die letzten Worte des Haciendero regten Bilder in ihm auf, gegen welche die ehrgeizigen Wünsche des Capataz wie das Flüstern des Windes gegen das Brausen des Sturms sich verhielten.


Die Nachricht von den Ereignissen des Abends gelangte noch in der Nacht nach San José natürlich mit den gehörigen Entstellungen, welche den fremden Abenteurern den Angriff auf die Magazine und die Brandstiftung zuschrieben. Dies diente natürlich nur dazu, die Spannung und den Groll zu vermehren.

Juarez hatte die Stunde der Musterung boshafter Weise auf die unangenehmste Zeit des Tages, auf die heißen Mittagstunden verschoben, indem er damit die Abenteurer zu peinigen dachte, hauptsächlich aber, um bei den von ihm getroffenen Anstalten möglichst Zeit zu gewinnen. Als Eingeborenem war ihm die andern unerträgliche Hitze keine sonderliche Strapaze, und als er sich mit seiner zahlreichen Begleitung um 12 Uhr San Fernando näherte, die kleine hagere Figur in eine mit Goldtressen bedeckte Uniform gekleidet, war er so munter und frisch, daß er sich wie ein boshafter Affe auf den Anblick der erschöpften und erhitzten Schar freute, die unter ihren Waffen nun schon stundenlang auf der Plazza den Sonnenstrahlen ausgesetzt gewesen sein mußte.

Aber er sollte sich in sehr ärgerlicher Weise getäuscht fühlen!

Der Graf hatte recht gut die Bosheit erkannt, die in dieser Verschiebung der Zeit lag, aber auch das Mittel gefunden, ihr zu begegnen. Bereits in den frühesten Morgenstunden hatten seine Offiziere ihre Abteilungen versammeln müssen, jeder war ihre Stelle auf das genaueste angewiesen und die Aufstellung zwei oder dreimal wiederholt worden, und dann hatte der Graf sie entlassen, um erst auf das gegebene Signal wieder ihre Reihen zu bilden. Bis dahin bewegten sie sich in gewohnter Weise unter der Menge, die den Platz füllte, denn halb San José-Guaymas hatte sich bereits am Morgen eingefunden, um das Schauspiel der Musterung der Expedition anzusehen.

In der Mitte des Hafenplatzes war ein großes offenes Zelt aufgeschlagen, unter dem eine Tafel mit Erfrischungen für den Gouverneur und seine Begleitung stand. Ein zweites, kleineres Zelt war weiterhin aufgestellt, um als Muster derer zu dienen, die man von San Francisco für die Expedition in das Innere der Prairien und der Gebirge mit gebracht hatte. Hier befanden sich auch die beiden Karonaden, die Leutnant Weidmann über Nacht aus dem Schoner ans Land geschafft und aufgestellt hatte, so wie das weitere Gepäck der Expedition. Ein Posten stand dabei und wies jede Annäherung von Neugierigen zurück. Die Schiffe im Hafen hatten geflaggt; die ganze Bevölkerung, mit dem Hang aller Südländer gar zu gern jede Gelegenheit zu einem Festtag ergreifend, bewegte sich in ihrem besten Putz, und von den Balkonen und Dächern der Häuser wehten bunte Fahnen und Teppiche.

Die Besatzung des Forts war schon vor zwei Stunden ausgerückt und teils auf den Erdwällen postiert, teils in einer Kompagnie auf dem Platze selbst aufgestellt. Es zeigte sich jetzt, daß sie seit dem vorgestrigen Abend um mehr als das Doppelte verstärkt worden war und über 200 Mann betrug. Die Bosheit des Gouverneurs in der Wahl der Zeit fiel jetzt auf die armen Soldaten zurück, die zwei Stunden lang murrend und fluchend den vollen Sonnenbrand aushalten mußten. Endlich verkündete ein Kanonenschuß von den Wällen des Forts die Annäherung des Gouverneurs mit seiner Begleitung. Diese bestand aus der Kompagnie Dragoner, etwa 70 oder 75 Mann, von denen ein Teil, wie der Gouverneur so zuvorkommend dem Grafen angedeutet, die Expedition nach den Grenzen des Indianergebiets begleiten oder vielmehr eskortieren sollte.

Die Hälfte der Reiter mit einem halben Dutzend Trompeter an der Spitze, die einen martialischen Lärm vollführten, kam voran, dann der Gouverneur mit seinen Offizieren und Beamten in großer Uniform und hinterdrein der Rest der Dragoner, beiläufig gesagt, der besten und einzig guten Truppe, welche die mexikanische Regierung je gehabt hat.

Bei dem Donner des Kanonenschusses sah man von dem auf der Außenreede liegenden Fregattschoner »Najade« ein stark bemanntes Boot abstoßen und sich mit eiligen Ruderschlägen dem Lande nähern.

Aber schon lange hatte die auf dem Platz versammelte nach einem möglichst prächtigen und bunten Schauspiel lüsterne Menge sich nach dem » Conde«, dem » grande tigrero« und Pferdebändiger umgeschaut, dessen Ruhm in aller Munde war, von dem man die wunderbarsten Geschichten erzählte, und den man heute bei dieser feierlichen Gelegenheit im größten europäischen Militärpomp auftreten zu sehen erwartete.

Merkwürdigerweise aber hatten sich seit dem Morgen, seitdem die verschiedenen Abteilungen oder Kompagnieen der Expedition nach dem kurzen Exerzitium ihrer Aufstellung wieder entlassen worden waren, weder der Graf noch seine Offiziere sehen lassen. Die Thüren des Hauses Don Estevans, wo sie versammelt waren, blieben verschlossen und man bemerkte nicht einmal etwas von den Pferden, auf denen sie doch dem Gouverneur zum Empfang entgegen reiten mußten.

Dies schien auch Don Juarez erwartet zu haben, denn er schaute wiederholt den Weg nach der Stadt entlang, und ließ zuletzt an ihrem Eingang einen kurzen Halt machen.

Aber obschon seine Trompeter sich die Lunge ausschmetterten – es zeigte sich niemand zu seiner Begrüßung, und er mußte sich entschließen, mit finsterer Stirn und beleidigter Miene weiter zu ziehen. Sein Staunen wurde noch größer, als er die Plazza erreichte und dort zwar die Reihen der Milizkompagnie fand, von einer Aufstellung der Expedition aber keine Spur bemerkte.

» Carrajo!« sagte er zu seinem Adjutanten, dem Dragoner-Leutnant, »ich glaube, dieser Schuft von Franzose untersteht sich, meine Befehle zu mißachten oder hat sich mit seiner Räuberbande bereits wieder auf und davon gemacht!«

»Es wäre das Beste, was er hätte thun können,« erwiderte der Teniente, »aber er scheint mir leider nicht der Mann dazu. Und sehen Euer Excellenz, dort kommt man eben aus dem Hause dieses Spaniers, den der Himmel verderben möge!«

In der That hatten sich in dem Augenblick, als der Gouverneur mit seiner Kavalkade den Eingang der Plazza erreichte, die Thüren des Hauses Don Estevans geöffnet und der Graf Raousset-Boulbon, begleitet von seinen Offizieren, dem Senator und mehreren angesehenen Hacienderos aus der Nähe, trat heraus und schritt über den Platz nach dem Zelt, unter dem die Diener Don Estevans eine Kollation für den Gouverneur bereitet hatten.

Hier blieb der Graf stehen und erwartete offenbar dessen Annäherung.

Zu aller Verwunderung trug der Graf nicht die französische Obersten-Uniform, in der er bei seiner Ankunft dem Gouverneur seinen Besuch gemacht hatte, oder eine andere seinem Range angemessene militärische Tracht. Seine hohe kräftige Gestalt war vielmehr mit dem gewöhnlichen und einfachen Anzug der Trapper oder Jäger bekleidet. Er trug ein einfaches, mit Frangen besetztes Lederhemd, in dessen Gürtel Revolver und die Dschambea, das Geschenk Nena Sahibs nach dem Kampf im Cirkus von San Francisco steckten, hohe Reiterstiefeln von weicher Hirschhaut mit den schweren mexikanischen Sporen und einen grauen Jagdhut, auf dem als einziges Unterscheidungszeichen zwei der weißen Schwanzfedern des Seeadlers prangten. Ein Hirschfänger hing an seiner Seite, Pulverhorn und Kugelbeutel über seiner Brust und am breiten Lederriemen die Büchse über seiner Schulter.

Ähnlich wie ihr Anführer waren auch die Offiziere der Expedition ausgerüstet, nur daß jeder zur Auszeichnung eine weiße Schärpe über der Brust trug.

Obschon diese Erscheinung alle Erwartungen von militärischen Glanz und prächtigen goldstrotzenden Uniformen täuschte, erkannte doch jedermann sogleich die Bedeutung der Wahl dieser Tracht, der Uniform der Wüste, und ein donnerndes » Viva el Generale!« erscholl auf dem Platz.

Der Gouverneur biß sich auf die Lippen, und indem er seinem Adjutanten befahl, die Dragoner abschwenken und zur Seite der Miliz Stellung nehmen zu lassen, ritt er mit seinen Begleitern gegen das Zelt.

Der Graf trat drei Schritte über dessen Umkreis hinaus und erwartete hier den ersten Würdenträger von Guaymas.

In dem Augenblick, wo der ehemalige Advokat sein Pferd anhielt, zog der Graf höflich seinen Hut und begrüßte ihn mit einer tiefen Verbeugung.

»Señor Gobernador,« sagte er, »ich habe die Ehre, Sie bei mir willkommen zu heißen. Mögen Euer Excellenz nach dem reichen aber leider seit der Zeit der Patriarchen niemals mehr sich erfüllenden Wunsche tausend Jahre leben! Euer Excellenz wolle es gefallen, abzusteigen.«

Der leichte Spott, der in dem Ton der Begrüßung lag, entging dem Gouverneur nicht, der wohl begriff, wie der Franzose mit diesem Empfang öffentlich die Unabhängigkeit der Expedition von den Behörden des Landes zeigen und ihm den eigenen schlechten Empfang vergelten wollte. Er versteckte jedoch seinen beleidigten Stolz unter der Maske kalter Ruhe.

»Ich danke Ihnen, Señor Conde, und freue mich, Sie so wohl und, nach Ihrem Äußern zu urteilen, bereits mit den Pflichten der Expedition angelegentlich beschäftigt und zum Abmarsch bereit zu sehen. Da ich gekommen bin, die Mannschaften zu besichtigen, über die mir leider bereits schwere Klagen zugegangen sind, so werde ich, mit Ihrer Erlaubnis, vorziehen, gleich im Sattel zu bleiben. Aber ich sehe mich vergeblich um, wo es Ihnen beliebt hat, diese Leute aufzustellen!«

Der Graf lächelte. »Bedenken Sie, Señor Gobernador,« sagte er, »es sind freie Männer und sie nicht gewöhnt, gleich Ihren Soldaten sich ohne Zweck einer unnützen Belästigung aussetzen zu lassen. Das stundenlange Stehen in der Sonnenhitze würde sie, nachdem sie seither die Nächte im Freien kampierten, belästigt haben, und ich habe ihnen daher die Erlaubnis gegeben, nach ihrer Bequemlichkeit den Augenblick abzuwarten, wo ich sie Euer Excellenz vorstellen kann.«

Don Juarez machte eine zustimmende Bewegung. »Ich kann mir denken, Señor Conde, daß bei einer solchen zusammengewürfelten Schar die Disziplin noch nicht groß ist,« sagte er hochmütig. »Aber es wird notwendig sein, sie strenger zu handhaben und die Frevler von gestern abend ernst zu bestrafen. Wir sprechen nachher weiter darüber, und, wie Sie sehen, habe ich Ihnen den nötigen Beistand mitgebracht!« Er wies nach den Dragonern.

Man sah, daß es dem stolzen Franzosen harte Mühe kostete, dem kleinen giftigen Advokaten gegenüber seine Ruhe zu bewahren, aber ein Blick des Senators erinnerte ihn zu rechter Zeit.

»Ich werde Euer Excellenz darauf antworten, wenn Sie uns die Ehre erwiesen haben, aus dem Sattel zu steigen, um auf gleichem Boden zu verhandeln,« sagte er kalt, »und unter dem fliegenden Dach eines alten Soldaten Platz zu nehmen und von seinem Brot zu essen. Unterdes erlauben mir Euer Excellenz wohl, einen andern Gast zu begrüßen, Lord Drysdale, der, wie ich sehe, im Begriff ist, zu landen!«

Und mit einer höflichen Verbeugung es dem Gouverneur überlassend, vom Pferde zu steigen oder darauf zu bleiben, reichte er seine Büchse zurück an den Avignoten, der in seiner Nähe stand, und ging nach der Landungstreppe, den vornehmen Engländer zu bewillkommnen, dessen Gigk soeben am Ufer anlegte.

Don Juarez empfand recht wohl, welcher Unterschied in der Begrüßung seiner Person und der ausgezeichneten Höflichkeit lag, die der Graf dem Lord erwies; aber er fand es doch zweckmäßiger, sie vorläufig nicht zu bemerken und die Höflichkeitsbezeigungen Don Estevans anzunehmen, indem er mit seinen Begleitern vom Pferde stieg und sich nach dem ausgeschlagenen Zelte geleiten ließ.

Graf Boulbon, dem Lord gegenüber ganz der französische Kavalier der alten Schule, führte in diesem Augenblick den englischen Gast zur Gesellschaft.

Lord Drysdale war von dem Kapitän der Najade, einem alten durchwetterten Seemann und dem Malayen begleitet. Der arme Krüppel, der sich mit großer Gewandtheit und sogar ziemlich leicht am Boden fortbewegte, blieb in einiger Entfernung von dem Zelte hocken, seine dunklen Augen nach seiner Gewohnheit fest auf seinen Freund und Gebieter geheftet, von dem er sie nur selten abwandte, um sie mit eigentümlicher Schnelle umher rollen zu lassen. Das Boot der »Najade«, das sie bis zur Landungstreppe gebracht, hatte auf den Wunsch des Lords sofort wieder abstoßen und sich außer Rufweite vor Anker legen müssen, und die Bootsmannschaft den strengen Befehl erhalten, jeden Verkehr mit dem Ufer zu meiden, um keinen Anlaß zur Erneuerung der Streitigkeiten vom vorigen Abend zu geben.

Als der Graf und der Lord unter dem Zelt angekommen waren, bat er die Gesellschaft zunächst, die Erfrischungen anzunehmen. Man konnte sagen, daß die Tafel mit den Delikatessen aller Zonen bedeckt war, denn der Reichtum des Haciendero und die Vorsorge des Grafen in San Francisco hatte es an nichts fehlen lassen. Aber obschon der Champagner in vollem Strom floß, waren es doch nur die Fremden, die von der Kollation einen reichlicheren Gebrauch machten, denn die Mäßigkeit der Mexikaner, wie überhaupt der spanischen Rasse ist sehr groß. Don Juarez indes trank mehrere Gläser Champagner, den er sehr liebte, und schien recht munter gestimmt zu werden, denn auf eine heimlich dem Lord zugeflüsterte Frage, ob man jenseits des Cap Haro noch kein Fahrzeug bemerkt habe, hatte ihm dieser kurz erwidert, daß ein solches, unzweifelhaft die »San Trinidad«, in Sicht sei und in Zeit von einer Stunde auf der Reede eintreffen müsse.

Es war jetzt zwei Uhr – die mexikanischen Soldaten standen seit drei Stunden in der Sonnenglut und selbst die schaulustige Bevölkerung begann sich vor dieser zurückzuziehen, um ihre Siesta zu halten, als der Gouverneur den Bambussessel zurückstieß und sich erhob.

»Ich denke, Señor Conde,« sagte er, »es wird Zeit, daß wir an unsere Geschäfte gehen. Während Ihre Offiziere die Leute zusammenrufen und einigermaßen in Ordnung bringen, sofern dies ihr Zustand erlauben wird, will ich die Klage untersuchen, die Señor Walker, der englische Kaufmann, gegen Sie angebracht hat.«

Der Graf blieb ruhig sitzen, sich eine Cigarre drehend. »Eine Klage gegen mich, Señor Gobernador?« fragte er mit gut geheucheltem Erstaunen. »Ich habe vorhin schon einige ähnliche Worte gehört, die mich in Verwunderung gesetzt! Wollen Euer Excellenz nicht noch einige Augenblicke Platz behalten? Die Aufstellung der Expedition wird in zehn Minuten vollzogen sein!«

Er zog seine Uhr und legte sie auf den Tisch. Dann wandte er sich zu seinem Adjutanten: »Monsieur de Kleist, lassen Sie die Signale geben! An Ihre Posten, meine Herren! Nun, Señor Gobernador« – der Graf vermied stets, dem ehemaligen Advokaten einen militärischen Titel zu geben – »bin ich zu Ihrem Befehl.«

Juarez zögerte noch einige Augenblicke, dann, als er sah, daß sein Gegner keine Miene machte, sich zu erheben, ließ er sich wieder nieder. Er fühlte sich zum zweitenmal gedemütigt – der Versuch, den Franzosen in die Stellung eines Angeklagten vor seinem Richter zu bringen, war gescheitert.

Zugleich hörte man die langgezogenen Töne zweier Waldhörner und bemerkte unter dem noch auf der Plazza versammelten Publikum eine lebhafte Bewegung. Von allen Seiten eilten bewaffnete Männer von kühnem, trotzigen Aussehen über den Platz in bestimmter Richtung.

»Nun, Señor Gobernador, ich warte auf Ihre Anklage, um Ihnen nachher meine gerechten Beschwerden mitteilen zu können. Ist es Euer Excellenz gefällig, noch ein Glas Rosoli zu nehmen«

Der Mexikaner machte eine ungeduldige ablehnende Bewegung, Graf Boulbon schenkte sich gelassen ein Glas des beliebten Branntweins ein. Mit Ausnahme des Lords hatte sich die ganze Gesellschaft erhoben und stand um die drei.

»Das Magazin des englischen Kaufmanns Walker,« sagte endlich der Gouverneur, der fühlte, daß es an ihm war, »ist nach einer mir zugegangenen Anzeige infolge eines von den Fremden angezettelten Tumultes geplündert und in Brand gesteckt worden. Man hat britische Seeleute, die es verteidigten, angegriffen. Einer ist dabei erschlagen und sogar der Capataz der Lastträger-Gilde, ein sehr ehrenwerter, loyaler Mann, mir persönlich bekannt, ermordet worden!«

»Und wer soll das alles gethan haben?«

»Wer anders, Señor Conde, als die zuchtlosen Abenteurer, die Sie uns zugeführt!«

»Señor Gobernador,« sagte der Graf stolz, »die Männer, die ich anzuführen die Ehre habe, sind zwar Abenteurer – und ich nenne mich selbst einen solchen! – aber daß sie an Zucht und Ordnung gewöhnt sind, davon werden Sie selbst sich alsbald überzeugen. Wer jene Anklage erhoben, der hat gelogen. Ich habe die Sache sorgfältig untersucht, und hier ist das Ergebnis. Englische Matrosen der Najade sind mit den ihres streitsüchtigen Charakters halber bekannten und gefürchteten Mineros von Cochino, von denen eine Horde aus Neugier oder unbekannter Ursache sich gestern hier eingefunden, in Streit geraten, von diesen mit Messerstichen angegriffen worden und haben sich zu ihrer Rettung nach dem Lagerhaus des englischen Kaufmanns, an das ihr Haus konsigniert ist, zurückgezogen, wobei ein Matrose getötet worden ist.«

Der Graf warf einen fragenden Blick auf die englischen Gäste. »Es ist so, wie Sie sagen,« bemerkte der Lord. »Kapitän Hearton hat eine strenge Untersuchung angestellt. Einem Mitglied Ihrer Expedition, Sir, verdankt unser Steuermann sogar sein Leben.«

Mit dem Widerstreben, das jeden echten Engländer charakterisiert, wenn er irgend eine Schuld seiner Landsleute, namentlich Fremden gegenüber, zugeben soll, bestätigte der Kapitän der Najade die Worte.

»Es ist ferner erwiesen,« fuhr der Graf unbarmherzig fort, »und es sind zahlreiche Zeugen dafür vorhanden, daß Ihr Capataz der Lastträger, nachdem er sogar einen meiner Offiziere zu einem Zweikampf herausgefordert hatte, bei dem er allein der bewaffnete Teil sein sollte, von dem Anführer der Mineros erschossen worden ist!«

»Ja, aber mit einem Revolver, und wie käme ein armseliger Bergmann zu einer solchen Waffe?« unterbrach ihn hastig der Gouverneur.

» Ventre saint gris! was geht das mich an? er wird sie wahrscheinlich gestohlen haben, wie das in der Gewohnheit seiner Kameraden liegt! – Da Euer Excellenz ins Detail unterrichtet sind, werden Sie auch den Schuldigen zu finden wissen. Diese Erklärungen haben schon zu lange gedauert und die Signale meiner Offiziere bereits gemeldet, daß die Abteilungen des Expeditionskorps formiert sind. Wenn Euer Excellenz es noch für nötig finden, mögen Sie von diesem Schreiben des Master Walker Kenntnis nehmen, das ich diesen Morgen erhielt, und in dem er mir Dank sagt, daß meine Leute den Brand seines Magazins löschen geholfen und sein Eigentum vor Plünderung gesichert haben!« Er warf den Brief auf den Tisch. »Was meine eigenen gerechten Beschwerden und Forderungen betrifft, Señor Gobernador. so werde ich sie Ihnen nach der Besichtigung der Expedition vorlegen, zu der ich mir jetzt erlaube Sie einzuladen.«

Der Graf hatte sich bei diesen Worten erhoben, und eine energische Bewegung der Hand, indem er die ihm von Bonifaz gereichte Büchse wieder über die Schulter warf, nötigte den Gouverneur, sich ihm anzuschließen.

Ohne des eben verhandelten Gegenstandes weiter mit einer Silbe zu gedenken, schritt der Franzose mit dem Lord und Juarez voran, während der Senator mit seinen Freunden folgte. Diese konnten ihr Vergnügen über die Lektion, die der tyrannische ihnen verhaßte Gouverneur soeben erhalten hatte, kaum verbergen.

Die fünf Abteilungen der Expedition – der Kreuzträger mit seinen Leuten hatte sich der des Kapitän Antonio Perez angeschlossen – standen in voller Ausrüstung und bester Ordnung auf dem Platz. Ein an den strengen Dienst der europäischen Armeen gewohntes Auge, wie das des jungen Leutnant von Kleist mochte freilich vieles auszusetzen finden, aber auch dieser hatte sich längst überzeugt, daß für einen Kampf, wie er ihnen bevorstand, diese Männer gewiß weit geeigneter waren.

Es war allerdings eine Schar von Abenteurern, aber jeder von ihnen in einer Hand, welche den rechten Posten für ihn zu finden wußte, gewiß ein ganzer Mann, der jeder Gefahr ins Auge schauen mochte, und dem es weder an Mut noch an Hilfsmitteln fehlte. Die ganze Expedition bewahrte zu dieser Zeit noch ein unbedingtes Vertrauen auf ihren tapfern und edlen Anführer und dies wirkte auf ihre ganze Haltung.

Jeder Mann war ähnlich wie der Graf selbst ausgerüstet, ohne daß deshalb von einer Gleichmäßigkeit oder Uniformierung die Rede sein konnte. Er war mit Büchse, Hirschfänger oder Machete und Messer bewaffnet, die meisten noch mit Pistole oder Revolver, und das Leder oder Wollenhemd mit Pulverhorn und Kugelbeutel nebst einer Zarape oder einer wollenen Decke, Proviantsack und Feldflasche die allgemeine Bekleidung.

Die ganze Ausrüstung war so in die Augen fallend praktisch, daß für die tadelsüchtige Laune des Gouverneur Juarez jede Gelegenheit schwand. Er ging stumm und mißvergnügt durch die Reihen, einzelnes musternd, und enthielt sich jeder Bemerkung.

So waren sie durch die Abteilungen des Kapitän Perez und der Tenientes Racunha, Weidmann und Morawski gekommen und näherten sich der des neuen Capataz, der auf den ausdrücklichen Willen des Grafen, wenn auch zur großen Kränkung seiner Eitelkeit, den Befehl über sie an den Leutnant von Kleist für diesen Tag hatte abtreten müssen. Die Abteilung des Señor Muñoz enthielt ein ganz besonderes Ensemble der wildesten und berüchtigtsten Mitglieder der Expedition, und sowohl die Kompagnie Slong-Meredith als Jack, der Matrose, und der alte Seeräuber gehörten dazu.

Der Gouverneur schritt in mürrischem Schweigen voran, kaum den Gruß des preußischen Leutnants erwidernd. Der Graf folgte anscheinend in eifrigem Gespräch mit Lord Drysdale, und die andern Offiziere und Begleiter schlossen sich ihnen an.

Plötzlich, am Ende der letzten Reihe, blieb der Graf vor einem Mann stehen, der sich durch häufiges Abwenden seines Gesichts und allerlei andere kleine Künste der Aufmerksamkeit entziehen zu wollen schien und über dem linken Auge eine breite schwarze Binde trug, die das halbe Antlitz verbarg.

»Zum Henker, was haben Sie mit Ihrem Auge angefangen, Monsieur Squale rouge?« frug der Graf mit erhobener fester Stimme.

» Squale rouge!«

Der Lord, der sich eben zu einem seiner Begleiter gekehrt hatte, wendete sich rasch um. In demselben Augenblick auch hörte man einen gellenden wilden Ruf, und die verkrüppelte Gestalt des Malayen brach sich mit Gewalt Bahn durch die Reihen der anderen Zuschauer und der Abenteurer.

»Bei Mahomed und dem weißen Christ, Sahib, dort! dort!«

Die Augen Henry Norfords erweiterten sich, sein ohnehin bleiches Gesicht nahm die Farbe eines Leichentuchs an, alles Blut schien aus seinen Adern zum Herzen zu strömen – dann plötzlich verzerrte sich sein Gesicht mit einem dämonischen Ausdruck, und, mit einem Griff dem Verbrecher die schwarze Binde vom Kopf reißend, hatte er ihn, wie ein wildes Tier seine Beute, mit der andern Hand gefaßt und riß ihn aus den Reihen der erstaunten Abenteurer.

Der Bösewicht ließ sich fast willenlos, widerstandslos fortschleifen, sein Antlitz war so aschbleich, wie das des Lords, seine Zähne klapperten, und nur in heisern Tönen vermochte er den Ruf herauszustoßen: »Zu Hilfe! man ermordet mich!«

Norford, der Lord von Drysdale, hatte sein Opfer aus dem Haufen der Aufgestellten geschleppt, die jetzt unruhig zu werden begannen, und unter denen man namentlich die näselnde Stimme Slongs und den heiseren Baß des Kentuckiers zu Gunsten ihres Kameraden hörte. Er hatte den Räuber darauf mit einer Bewegung zu Boden geschleudert und stand jetzt vor ihm, die Hände geballt, die Zähne auf einander gebissen, während ein konvulsivisches Zittern seinen ganzen Körper bewegte und ein Tropfen von kaltem Schweiß an jedem seiner Haare perlte.

»Kapitän Hawthorn! Endlich! Endlich! Gott oder Teufel, ich danke Dir!«

Die Worte waren mehr zwischen den Zähnen hervorgezischt als gesprochen, aber sie hatten einen so furchtbaren Klang, daß der wilde Seeräuber wie hoffnungslos seinen Kopf sinken ließ.

»Was soll das bedeuten?« fragte erstaunt der Gouverneur, »was haben Sie, Mylord, mit diesem Menschen?«

Der Engländer schien die Frage gar nicht zu hören. »Mahadröh!«

»Hier, Sahib!«

»Binde ihn!«

In dem Malayen, dem Krüppel mit den kräftigen Gliedern schien ein seltsamer Kampf vorzugehen, nachdem der erste Augenblick des Erkennens vorüber war. Seine schwarzen Augen rollten mit der Blutgier des Tigers, der sich auf seinen Raub stürzen will, über das Opfer, dann richteten sie sich wieder zum Himmel empor, und seine Fäuste schlugen die nackte Brust und krallten sich in das Fleisch, während sein ganzer Körper in nervösen Zuckungen erbebte.

»O Sahib! Sahib! Mein ist die Rache, sagt der weiße Gott! Bedenke, Sahib, ich bin ein Christ!«

»Und ich ein Moslem! Binde ihn!«

Der Malaye löste die Schnur, die sein weißes Gewand hielt und kroch scheu zu dem Opfer.

Aus dem Haufen der Abenteurer, die sich jetzt, alle Ordnung aufgelöst, um die Gruppe im Kreise drängten, erschollen laute Rufe. Der brutale Pirat war wenig beliebt, und meist waren es nur Ausrufungen des Erstaunens oder der Neugier, die erschollen; aber es fehlte auch nicht an Stimmen der Mißbilligung, daß ein Fremder sich eine solche Handlung ungestraft gegen ein Mitglied der Expedition erlauben dürfe und an der Aufforderung, Hawthorn zu schützen – die meisten sahen fragend und erstaunt über seine Unthätigkeit auf ihren Führer.

Der Graf hatte bis jetzt ruhig, die Arme übereinandergeschlagen, der Scene beigewohnt, nur wer ihn genau kannte, wie Bonifaz, der seine Büchse an sich genommen hatte und sich im Innern freute, daß der nach seiner frechen Erzählung aufs höchste von ihm verabscheute Bösewicht endlich in die Hände eines Rächers seiner Unterthanen gefallen war, sah aus dem spöttischen Zucken der Mundwinkel und der eigentümlichen, zwinkernden Bewegung der Augenlider seines Herrn und Freundes, daß derselbe einen vorher gefaßten Entschluß verfolgte.

Graf Boulbon trat zu dem noch immer bewegungslos am Boden liegenden Mann, über den sich eben der Malaye beugte, die unzerreißbare Schnur in der Hand. Mit einem Fußtritt schleuderte er diesen, gleich einem giftigen Gewürm, zur Seite.

»Euer Herrlichkeit irren sich,« sagte er kalt, »Sie sind hier nicht auf Ihren indischen Besitzungen, und diese Männer sind keine Ryots, denen ein britischer Nabob oder Steuerempfänger nach Belieben den Kilt geben lassen kann!«

»Sir, mein Herr, Sie sollen alles erfahren! Sie selbst werden das Gericht Gottes anerkennen, das dieses Scheusal endlich in meine Hände geliefert hat!«

»Das gibt Eurer Herrlichkeit kein Recht, zu handeln, wie Sie gethan.« Er wandte sich zu dem Piraten »Steht auf, Mann!«

»Sir« – die ausgestreckte Hand des Lords zitterte – »dieser Mann ist ein Mörder, ein hundertfacher Mörder, ein Bösewicht, wie die Erde keinen zweiten trägt!«

»Ich weiß es! – Was weiter?«

»Seit drei Jahren suche ich diesen Mann, durch alle Länder und Meere dieser Hemisphäre, er hat mir mein alles geraubt, er hat Verbrechen begangen, die einen Teufel weinen machen würden! – Hören Sie nicht, Sir, Sie selbst sprachen es aus, und der ewige Rächer dort oben legte das Wort auf Ihre Lippen – es ist Squale rouge, der ›Rote Hay‹ der berüchtigtste blutgierigste Pirat der indischen Meere, der Kapitän des ›Satan‹!«

»Ich weiß es! Was weiter, Mylord?«

»Ich habe einen heiligen Eid gethan, daß diese Hand das zuckende Herz aus seinem Leibe reißen soll, ich habe mein ganzes Dasein, meine Seligkeit eingesetzt für diesen Augenblick, wo ich ihn fassen, wo ich ein heiliges Wesen rächen kann, das dieser Bösewicht für hier und dort vernichtet hat. Hören Sie es, Sir, hören Sie es alle, die Sie hier um mich stehen und mir Gerechtigkeit gewähren werden, dieser Mensch mordete unschuldige Frauen, er ließ sie von den Teufeln, seinen Genossen, den Tigern des Meeres hinabwerfen, deren Namen er trägt, er ließ sie kalten Blutes hinabschleudern, nachdem sie an ihren Leibern ihre niedere Lust gekühlt! Ich selbst, wie jener arme Krüppel dort an die Wand unseres versinkenden Schiffes geknebelt, sah die Geliebte meiner Seele, meine Braut, geschändet versinken in den blutgeröteten Wellen!«

Die schreckliche Erinnerung überwältigte den Unglücklichen, er preßte die Ballen seiner Hände gegen die brennenden Augen.

Tiefe Stille herrschte in dem Kreise umher, selbst die rohesten dieser Abenteurer empfanden tiefes Mitgefühl mit dem unglücklichen Mann, und der schreckliche Ruf des Piratenschiffes »Der Satan« war, obschon Jahre seitdem vergangen waren, noch manchen im Gedächtnis.

Der Graf hatte mit finsterm Blick die Lippen fest aufeinander gepreßt. »Mylord«, sagte er endlich mit teilnehmender ernster Stimme, »auf das Wort eines Edelmannes, ich bedaure Sie von ganzem Herzen!«

Der Engländer ließ die Hände sinken, seine Augen fuhren mit wildem Ausdruck umher. »Dann, Sir, werden Sie meiner Rache – nicht meiner Rache, der Gerechtigkeit nicht in den Weg treten. Dieser Mann ist mein, ich werde ihn töten, ich habe es geschworen!«

Jetzt zum erstenmal richtete Hawthorn den Kopf in die Höhe, er schien sich mit Gewalt zu ermannen. »Sie werden es nicht dulden, Señor General,« rief er mit heiserer Stimme, »Sie sind verpflichtet, mich zu schützen – ich habe Ihr Wort!«

Der Graf atmete schwer. »Mylord,« sagte er, »ich fühle ganz mit Ihnen, aber dieser Mensch steht leider unter meinem Schutz, er hat das Wort eines Bourbons. Es ist unmöglich, daß Sie ihn jetzt mit sich fortführen!«

»Wie, Sir, Sie würden es wagen, mir Gerechtigkeit zu verweigern? Sie wollen einen Verbrecher, der tausendfachen Tod verdient hat, schützen?«

»Er hat mein Wort! fragen Sie ihn selbst, fragen Sie diese Männer umher, wie ich ihn behandelt habe! Aber er hat an meine Ehre appelliert, und ich bin verpflichtet, ihm den Kontrakt zu halten. In weniger als einem Jahre ist dieser zu Ende, dann, Mylord, nehmen Sie Ihr Opfer, und nicht ein Mann von allen diesen umher wird einen Finger zu seiner Verteidigung erheben!«

»Glauben Sie, daß ich ein Thor bin, diesen Schurken aus meiner Hand zu lassen, nachdem sein böser Geist ihn in die meine geführt hat? Niemals! Was geht mich Ihr Kontrakt mit Räubern und Mördern an? Gott sei Dank sind Sie nicht die oberste Behörde dieses Landes. Señor Gobernador, ich fordere Sie auf, Ihre Pflicht zu thun! Dieser Mensch ist der Mörder britischer Unterthanen, er ist zahlloser Verbrechen überwiesen, ich verlange, daß er mir zur Stelle ausgeliefert wird!«

»Sie haben recht, Mylord,« sagte der Gouverneur. »Man rufe ein Paar der Alguazils und lege diesen Kerl in Ketten!«

Der Graf trat einen Schritt vor. »Sie vergessen, Señor,« sagte er streng, »daß nach meinem Kontrakt mit der Mexikanischen Regierung die Gewalt über meine Soldaten, das Recht über Leben und Tod, mir allein zusteht!«

»Ihre Soldaten, Señor? Der Unsinn muß aufhören – Sie stehen im Solde der Regierung und haben sich den Gesetzen zu fügen!«

Boulbon war mit einem Schritt zwischen dem Dänen und seinem Todfeinde. Er hob den Finger. »Die Büchsen zur Hand, Gentlemen, an Ihre Posten, meine Herren!«

Die sechs Offiziere des Grafen sprangen in den Kreis, die Männer ergriffen wie mit einem Schlage ihre Waffen, ringsum hörte man das Klirren der Gewehre.

»Señor Gobernador,« sagte der Graf und seine Stimme hatte bei voller Ruhe einen furchtbaren Klang, »ich bitte Sie, wohl zu überlegen, was Sie thun. Diese Männer gehorchen meinem Wink, und ich bin nicht gesonnen, einen Fingerbreit von den Rechten unseres Vertrages abzugehen. Herr von Morawski!«

Der alte Pole trat vor, die Hand am Griff seines Säbels. »Was befehlen Sie, Oberst?«

»Nehmen Sie fünf Mann und diesen Menschen hier in Ihre Mitte, bis ich weiter über ihn bestimme. Sie bürgen für seine Sicherheit!«

Der Pole drehte sich ohne ein Wort der Erwiderung um und winkte fünf der Seinen, aber ehe dieser hervortreten konnten, sprang der Lord zwischen sie und sein erkorenes Opfer.

»Einen Augenblick! hören Sie mich,« rief er mit keuchender Stimme. »Ich darf, ich werde von ihm nicht lassen! Dieser Mensch würde hundert Mittel finden, seiner Strafe im Laufe eines Jahres aufs neue zu entfliehen. Ich bin reich, Sir, nehmen Sie mein halbes Vermögen, nehmen Sie fünfzigtausend Pfund, nehmen Sie alles, was ich habe, aber lassen Sie mir meine Rache!«

Der Graf winkte. »Thun Sie Ihre Pflicht Leutnant Morawski! – Mylord, ich warne Sie! Das Wort des Grafen Aimé Boulbon ist kein Handelsartikel!«

»Nun denn, so helfe mir Gott oder der Teufel! lebendig soll er nicht von hier!« Und ohne Waffen, wie der Tiger im Sprung auf seine Beute, stürzte er sich auf den entsetzt zurückweichenden Mörder und versuchte, seinen Hals zu umklammern.

Der Franzose machte eine rasche Bewegung, man sah seinen Arm sich ausstrecken und die hagere, hohe Gestalt des Engländers, vom Boden erhoben, in seinen Händen sich winden, dann flog sie wie ein Ball zurück, wohl fünf, sechs Schritte weit und wäre zu Boden gestürzt, wenn nicht der Gouverneur selbst und mehrere seiner Begleiter herbeigesprungen wären und den Lord gehalten hätten.

Ein Schweigen des Entsetzens folgte dieser raschen, gewaltsamen That, dann hörte man die feste Stimme des Grafen: »An Ihre Order, Leutnant Morawski!«

Der Pole mit seinen Leuten umgab schützend den Mörder und führte ihn in die Mitte der Schar, die ihm scheu Platz machte, jede Berührung meidend, und sich dann wieder um ihn schloß, eine Mauer gegen jeden neuen Versuch bildend.

Aber es hätte dessen gar nicht bedurft.

Henry Norford, der Lord von Drysdale, hatte sich erhoben, sein Gesicht war fast noch bleicher, als vorhin bei der ersten Entdeckung des Mörders. Er wehrte die Hilfe der Umstehenden, selbst die Hand des Gouverneurs hastig von sich ab, während er sich aus ihren Armen emporraffte. Dann ging er mit langsamen Schritten wieder auf den Grafen zu, ein furchtbarer Ernst lagerte auf seiner wachsbleichen Stirn.

Der Graf erwartete ihn, ohne eine Bewegung der Verteidigung zu machen.

Als der Lord kaum noch auf Armeslänge von ihm entfernt war, erhob er die Hand und legte den Finger auf die Brust des Franzosen.

»Sir,« sagte er, »Sie sind ein Edelmann!«

»Ich bin es, Mylord!«

»Wohl, so werden Sie wissen, daß Ihr Schlag mich entehrt hat, daß ich, der englische Edelmann, das Recht habe, Ihr Blut zu fordern. Sie haben mich behandelt, wie einen Hund, Sie sind mir Genugthuung schuldig!«

»Ich bin vollständig bereit, sie Ihnen zu geben!«

»Das erwarte ich und danke Ihnen dafür. Sie werden also begreifen, Sir, was die Worte mich kosten, die ich Ihnen zu sagen habe, und die mich entehren vor den Augen der Welt!«

»Sprechen Sie, Mylord, und was es auch ist, seien Sie meiner Hochachtung gewiß!«

» Well! Sir, ich, der ehemalige Offizier, der Edelmann, der Brite, verzichte auf die mir von Ihnen zustehende Genugthuung, ich will die Schmach Ihres Schlages geduldig hinnehmen, wenn Sie mir jenen Bösewicht ausliefern wollen.«

Der Graf fühlte inniges Mitleid mit dem Schmerz, mit dem Leiden dieses Mannes.

»Mylord,« sagte er bewegt, »nehmen Sie mein aufrichtiges Bedauern, daß ich Ihr Verlangen nicht erfüllen kann. Wäre dies überhaupt möglich gewesen, auf mein Ehrenwort, so wäre es sofort geschehen!«

»Dann, Herr, bleibt mir nur ein Kampf mit Ihnen auf Leben und Tod.«

Der Graf verbeugte sich.

»Sie sind hier der Herr,« fuhr der Engländer fort, »Ihre Ehre möge die Bedingungen bestimmen. Nur erinnern Sie sich, daß ich Sie zugleich als den Vertreter jenes Scheusals betrachte, an dem ich die Pflicht einer furchtbaren Rache zu üben habe!«

» Pardieu! ich denke, Monsieur Hawthorn kann seine Geschäfte selbst besorgen!«

»Wie, Sir?«

»Ich hoffe, Mylord, daß der Schuft einige persönliche Courage besitzt. Bringt den Mann näher herbei, daß er unsere Worte deutlich hören kann!« befahl der Graf.

Die Männer, welche Hawthorn umgaben, gehorchten. Alle waren aufs höchste gespannt auf die Entwicklung dieser Scene.

»Ich habe die Pflicht, Mylord,« sagte der Graf mit erhobener Stimme, »diesen Mann, solange er in meinen Kompagnieen steht, zu schützen und ihn nicht seinen Feinden auszuliefern. Aber ich hoffe, daß es unter meinen Soldaten und Kameraden keinen Feigling geben wird, der sich weigert, einem Manne, dem er Unrecht zugefügt, mit der Waffe in der Hand dafür Genugthuung zu geben!«

Ein stürmischer Zuruf der Seinen begrüßte die Worte des Anführers, man begann seine Absicht zu begreifen.

»Wie Sir,« rief der Engländer freudig überrascht, »Sie wollen mir den Roten Hay zum Zweikampf gegenüberstellen?«

»Das ist Hinterlist, das ist Wortbruch,« brüllte der Däne. »Es ist so gut wie offene Hinschlachtung, denn mein Arm ist schwach und wehrlos!«

»Still, Bursche! Mylord, dieser Mann ist allerdings infolge einer Verletzung noch nicht fähig, mit voller Manneskraft Ihnen gegenüber zu stehen. Aber es giebt einen Ausweg. Sie haben einen Begleiter, der, soviel ich weiß, bei jener traurigen Angelegenheit mit beteiligt war?«

»Mahadröh! Jener Bösewicht hat ihn zum Krüppel gemacht.«

»Wohl, so stehen sich beide ziemlich gleich. Ich bin Ihnen Genugthuung schuldig, Mylord, ich schlage Ihnen einen Kampf zwischen uns vieren vor!«

Drysdale starrte ihn bei dem seltsamen Vorschlag an.

»Es scheint, daß Sie mich noch nicht recht verstehen, Mylord,« sagte der Graf. »Sehen Sie die Sonne, die den Zenith bereits seit vier Stunden überschritten hat. Wenn sie in den großen Ocean gesunken ist, der einst Ihr Unglück gesehen, wenn die Dunkelheit eingetreten ist, werden wir vier, Sie, ich, der arme Mensch dort mit den gelähmten Beinen und den kräftigen Armen und jener mörderische Schurke, jeder mit einer Machete oder einem Bowiemesser, nach seinem Belieben, bewaffnet, ohne Feuergewehr uns nach Art der Herren Yankees, deren Gewohnheiten ich im übrigen herzlich verachte, in einem dunkeln lichtleeren Raum einschließen. Nach einer halben Stunde werden unsere Freunde die Thür öffnen, und ich hoffe. Sie werden dann Ihre Genugtuung haben, wenn Gott es so gewollt hat!«

Einige Augenblicke stand die ganze Gesellschaft stumm und wie erstarrt bei dem furchtbaren Vorschlag. Nur die Augen des Engländers funkelten, er ergriff die Hand des Franzosen und drückte sie an seine Brust. »Ich danke Ihnen, Sir!«

»Herr Graf,« sagte der preußische Offizier vortretend, »wir können es unmöglich zugeben, daß Sie sich einem solchen Kampfe aussetzen. Sie sind unser Anführer, von Ihrem Leben hängt unser aller Wohl, die ganze Expedition ab. Lassen Sie mich an Ihre Stelle treten!«

»Mich! Excellenz, mich!« wiederholten mehrere Stimmen.

»Ich protestiere! ich will nicht kämpfen!« schrie der Korsar dazwischen.

»Still, Männer!« gebot der Graf. »Monsieur de Kleist, ich danke Ihnen, Sie sind ein wackerer Mann. Aber ehe ich Euer Anführer wurde, meine Braven, war ich Edelmann; es bleibt demnach bei meinem Wort. Jenen Schurken da, Leutnant Morawski, bringen Sie in mein Quartier und bewachen ihn wohl bis zum Abend. Pardioux! wenn er sich weigert, ein Mann zu sein, will ich ihn mit Ruten durch die ganze Sonora peitschen lassen!«

Ein donnerndes Hurra, Hipp! Hipp! ein langanhaltendes Viva! folgte der Entscheidung des kühnen Franzosen und zwar so laut und mächtig, daß nur wenige auf den Schall eines Kanonenschusses achteten, der von der See her herüberdonnerte.

Während Hawthorn von seiner Eskorte, bald tobend, bald erschaudernd und zerknirscht fortgeschafft wurde, begann der Enthusiasmus über den Vorschlag des Grafen endlich einen ruhigeren Ausdruck zu finden und rings umher wurde eifrig über diesen unerhörten Kampf debatiert, der am Abend folgen sollte und jetzt mehr das Interesse der leichtherzigen Abenteurer und der ganzen Bevölkerung in Anspruch nahm, als das Schicksal von Guaymas überhaupt.

Überall hörte man Vivas auf den tapferen Conde, und die Frauen drängten sich mit Gewalt durch die Reihen der Männer, um ihn zu sehen, oder ihm Blumen zuzuwerfen.

Aber der Auftritt war noch keineswegs zu Ende.

Señor Juarez bemerkte mit Erbitterung die reißenden Fortschritte, die der verhaßte Franzose in der Volksgunst machte. Aber sein scharfes Ohr hatte sehr wohl den Kanonenschuß vernommen, und indem er zugleich an die Gefahr dachte, der sich sein Gegner leichtsinnig selbst in dem vorgeschlagenen Duell aussetzte, überflog ein Lächeln boshaften Triumphes sein Gesicht. Er sprach eben mit dem Lord, der sich anschickte, nach seinem Schiff zurückzukehren, um noch einige Anordnungen zu treffen, als Graf Boulbon durch die zurückweichende Menge auf ihn zukam.

»Euer Excellenz,« sagte der Graf gemessen, »haben infolge dieser unerwarteten Unterbrechung noch nicht die Güte gehabt, mir zu sagen, wie Sie über die Ausrüstung meiner Leute urteilen.«

»O, Señor, sie ist vortrefflich, sie ist einfach, aber ich hoffe, daß sie sich bestens bewähren wird,« entgegnete der Mexikaner geschmeidig. »Nur eins scheint mir ziemlich überflüssig, und Sie erlauben, Señor Conde, daß ich Sie darauf aufmerksam mache.«

»Euer Excellenz werden mich damit verbinden!«

Der Gouverneur stand in der Nähe der beiden kleinen Geschütze, deren Mündung gegen die noch immer ziemlich ungeduldig auf der Plaza haltenden Dragoner gerichtet war. Er deutete mit der brennenden Cigarre auf die Rohre.

»Die beiden Puffer hier, Señor,« sagte er lachend, »werden Ihnen nicht viel helfen. Sie kennen unsere Gebirge und unsere Einöden nicht! ich wette Tausend gegen Zehn, daß Sie sie schon nach den ersten drei Tagemärschen in der Prairie als nutzlos stehen lassen würden. Die Apachen geben keine Zielpunkte für Kanonenkugeln ab!«

»Wenn sie auch gegen die Wilden gerade keine besonderen Dienste leisten sollten,« erwiderte der Graf ruhig, »so wäre es doch sehr möglich, daß sie sich für andere Gelegenheiten als keineswegs überflüssig beweisen. Aber haben Euer Excellenz die Güte, mit dem Feuer Ihrer Cigarre dem Zünder nicht zu nahe zu kommen, es könnte ein Unglück geben.«

Der kleine Gouverneur prallte erschrocken zurück.

» Caramba! – die Kanonen sind doch nicht etwa geladen?«

»Mit Kartätschen, Señor Gobernador! Es ist dies eine notwendige Vorsicht, man kann nie wissen, was passiert.«

Der Gouverneur hatte sich gefaßt, aber er hielt sich weislich mehrere Schritte von den Geschützen entfernt, indem er zugleich verstohlene Blicke nach der Seeseite warf.

»Sie sprachen von Beschwerden, Señor Conde,« sagte er gleichgültig, »für sich und die geworbenen Leute?«

»Ja, Señor, und mit Recht. Obschon wir drei Tage hier sind, hat man versäumt, für die Expedition die geringste Sorge zu tragen. Wir sind allein auf uns selbst und auf das Wohlwollen der Bewohner von Guaymas angewiesen gewesen.«

» Caramba, Señor,« unterbrach ihn der Gouverneur spöttisch, »wenn diese Herren geglaubt haben, hier alle Bequemlichkeiten zu finden, haben sie sich freilich geirrt. Die Sonora ist ein Land von noch ziemlich wenig Komfort, Sie werden in dem Kriege gegen die Indianer wenig Gelegenheit finden, unter Dach und Fach zu logieren.«

»Meine Leute sind der Strapazen gewöhnt und wünschen sie,« sagte der Graf stolz. »Lassen Sie uns nicht länger mit Worten spielen, Señor. Nach meinem Abkommen mit der Regierung habe ich hier Verproviantierung der Expedition, die nötige Anzahl von Pferden und für zwei Monate Sold, also 20 000 Dollars, in Empfang zu nehmen!«

»Zwanzigtausend Dollars! Das ist eine starke Summe für – diese Herren!« bemerkte spöttisch der Gouverneur. »Aber zum Glück für die Regierungskassen haben, wenn ich mich des Vertrages recht erinnere, nicht diese, sondern Ihre guten Freunde, die Herren Kaufleute, und die Junta der großen Grundbesitzer sie zu zahlen?«

»So ist es, Señor Gobernador, aber durch die Regierung. Euer Excellenz werden es also gerechtfertigt finden, wenn ich für diese und die anderen Bedingungen des Vertrages eine Garantie fordere.«

»Und welche wäre das, wenn es Ihnen gefällig ist, Señor Conde?«

»Zunächst die Einräumung des Forts San Fernando-Guaymas und seine Besetzung durch meine Leute! Dann …«

Der Gouverneur lachte spöttisch auf. » Caramba, Señor Francese,« rief er, »Sie sind ein Mann von allzugroßer Bescheidenheit! Bedenken Sie auch, daß der Besitz des Hafenforts die Herrschaft über Guaymas ist?«

»Das ist ganz meine Meinung, Señor!«

»Aber zum Teufel, man wird sie Ihnen nicht so gutwillig geben! Ich habe die Ehre, hier Gouverneur zu sein und kenne meine Pflichten und meine Rechte!«

»Euer Excellenz werden die Güte haben, für diesen Teil Ihres Gebietes mir diese Rechte abzutreten. Ich habe für die Sicherung der Expedition zu sorgen und bedarf eines Haltepunktes an der See.«

»So müssen Sie diesen wo anders suchen! Entweder Ihre Truppe steht im Solde der Regierung, dann hat sie sich den Befehlen derselben zu fügen, und diese bestehen darin, daß sie morgen nach den Grenzen des Indianergebiets aufbricht und dort sich an die Posten verteilt, die Ihnen angewiesen werden. Oder sie verweigert den Gehorsam, und dann bin ich gezwungen, zu meinem großen Bedauern, sie nach den Gesetzen zu behandeln.«

»Und das wäre, Señor Gobernador?«

»Ich bitte Euer Excellenz, mich nicht zu zwingen, einem Mann von Ihren Verdiensten dies auseinander zu setzen.«

»Euer Excellenz meinen als Vagabonden und Eindringlinge,« sagte lächelnd der Graf. »Genieren Sie sich nicht, ich weiß, Señor Gobernador, daß Sie ein Mann des Gesetzes sind und als solcher dessen Ausdrücke lieben.«

Der ehemalige Advokat zuckte ungeduldig die Achseln.

»Euer Excellenz verweigern mir also die verlangten Garantieen?«

»Diese? – ganz gewiß.«

»Dann bin ich gezwungen, sie mir selbst zu nehmen.«

Juarez hatte sein Taschentuch gezogen und gab ein Zeichen damit.

»Sie würden die Folgen sich selbst zuzuschreiben haben, Señor Francese,« sagte er stolz. »Das Militär der Regierung würde jeden solchen Versuch blutig zurückweisen. Selbst Ihre beiden Kanönchen dort,« fügte er spöttisch hinzu, »würden, wie ich fürchte, wenig ausreichen gegen die Geschütze der San Trinidad. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Fort und jenes Kriegsschiff« – er wies nach dem Meer, – »strengen Befehl haben, im Fall von Unordnungen Gewalt mit Gewalt zu vertreiben.«

Ein Kanonenschuß, ein zweiter, dritter vom Meere her schien gleichsam die drohende Rede zu bestätigen. Der Graf, der in der That keine Ahnung von der Nähe des Kriegsschiffes und auf das Herankommen eines Fahrzeugs nicht geachtet hatte, sah sich erstaunt um und erblickte jetzt die Korvette. Die »Santa-Trinidad« kam mit vollen Segeln in den Hafen, von ihrer Gaffel wehte die mexikanische Flagge, die grün-weiß- und roten Streifen mit dem Adler, und der Pulverdampf wälzte sich in weißen Spiralen aus den Luken, als sie zur Seite des Forts, in der Entfernung von etwa hundert Faden, vor Anker ging und ihre Segel reffte.

Zugleich, und als hätten sie nur auf das Signal gewartet, verließ die Kompagnie Dragoner ihre Aufstellung neben der Miliz und kam rasselnd über die Plaza, bis auf etwa zwanzig Schritte heran, wo ein Zeichen des Gouverneurs ihr Halt gebot. Von der andern Seite brachten die Ordonnanzen und Diener die Pferde für Juarez und seine Begleiter herbei. Der kleine Gouverneur schwang sich mit der Behendigkeit eines Affen in den Sattel und schien sich erst dort recht sicher zu fühlen, denn sein unschönes Gesicht überflog ein boshafter Triumph.

Der Graf hatte bei dem unerwarteten Anblick des Kriegsschiffes allerdings gestutzt, denn er begriff sogleich, daß dessen Ankunft nicht eine zufällige war, aber er vermochte es über sich, seine äußere Ruhe zu behalten und wandte sich mit dieser zurück zu seinem Gegner.

»Euer Excellenz wollen uns verlassen? Ich hoffte, Sie würden mir die Ehre anthun, der Feier meiner Verlobung mit Doña Dolores da Sylva Montera nebst diesen Herren beizuwohnen!«

»Wie Sie sehen, Señor Conde. Ich bedauere unendlich, diesen Abend auch nicht dem höchst interessanten Duell beiwohnen zu können, das Sie den Bewohnern von San Fernando zum besten geben. Aber ich hoffe zu Gott und den Heiligen, daß Euer Excellenz doch glücklich davon kommen werden und daß Sie mich morgen früh in San José aufsuchen, um mir den Gehorsam der Expedition anzuzeigen und die weitern Instruktionen der Regierung in Empfang zu nehmen. Was Ihr Familienfest anbetrifft, das mein alter Freund Don Estevan heute begehen will, so bitte ich zuvörderst, der schönen Dame meine aufrichtigen Glückwünsche melden zu wollen und ihr zu sagen, wie sehr ich mich unglücklich fühle, durch Regierungsgeschäfte verhindert zu sein, dies persönlich schon heute zu thun. Mögen Sie tausend Jahre leben, Señor Conde, und sich eines steten Glücks zu erfreuen haben!«

»Euer Excellenz erwidere ich diesen Wunsch und verspreche Ihnen, daß Sie mich morgen wiedersehen sollen, wenn Gott bis dahin nicht anders über mich verfügt hat.«

Er erwiderte den übertrieben höflichen Gruß mit einer ruhigen Verbeugung und wandte sich dann zu Don Estevan, während der Gouverneur zu der Miliz sprengte, dort noch verschiedene Befehle an die Offiziere zu erteilen schien und hierauf an der Spitze seiner Dragoner San Fernando verließ.

Jetzt erst kam Don Estevan dazu, seinem künftigen Schwiegersohn ernste Vorstellungen über den thörichten Kampf zu machen, in den er sich zu einer Zeit eingelassen, wo seine Thatkraft, sein Leben von so großer Wichtigkeit für die Erreichung ihrer Pläne war, die durch die Ankunft der Korvette ohnehin beinahe als im Keim erstickt angesehen werden mußten. Boulbon jedoch mit dem ganzen chevaleresken Leichtsinn des französischen Charakters erwiderte ihm, daß die Sache nicht mehr zu ändern sei, und daß er auf sein gutes Glück vertrauen müsse. Er verlangte, daß keine der getroffenen Vorbereitungen zurückgenommen werden dürfe und wußte zuletzt bei dem ohnehin abenteuerlichen Charakter der spanischen Mexikaner seinen Willen durchzusetzen, ohne daß er seine nähern Pläne verriet.

Bereits im Laufe des Vormittags waren durch die Diener des Senators zahlreiche Einladungen an die angesehensten und reichsten Bewohner von San Fernando zur Feier des Verlobungsfestes ergangen, das der Graf für diesen Abend verlangt hatte. Die Nachricht von dem schrecklichen Duell, das gleichsam als blutige Illustration dieses Festes dienen sollte, hatte selbst diejenigen vermocht, die Einladung anzunehmen, die sie früher aus politischen oder persönlichen Gründen abgelehnt hatten. Bonifaz, der sehr wohl wußte, daß jeder Widerspruch vergeblich sein würde und der übrigens ein eisernes Vertrauen auf das Glück und die Energie seines Herrn in der Stunde der Gefahr hatte, war mit Hilfe des neuen Capataz eifrig mit den Vorbereitungen zu dem Feste beschäftigt; denn der Senator hatte beschlossen, daß die Bevölkerung von San Fernando daran teilnehmen sollte, um ihre Aufmerksamkeit von andern Dingen abzuziehen. Die Magazine der Kaufleute lieferten Fässer französischen Weines und Branntwein, und auf der Plaza wurden lange Tafeln aufgeschlagen, an denen die ärmeren Bewohner von San Fernando Speise und Trank in Überfluß finden sollten.

Ehe der Graf mit dem Senator nach seiner Wohnung zurückkehrte, besichtigte er den Platz, der zu dem Zweikampf bestimmt war. Er hatte dem Capataz Muñoz den Auftrag erteilt, für einen geeigneten Raum zu sorgen, und dieser hatte ihn aufs beste erfüllt. Es war ein von Holz und Steinen aufgeführtes Gebäude, das größtenteils zu einem Warenlager diente, und dessen hinteres schmales Ende fast unmittelbar an den Hafen stieß. Auf der Vorderseite nach der Plaza zu befand sich ein abgeschlossener Raum, der die ganze Breite des Hauses einnahm und etwa 12 Schritte lang war, mit einem kleinen Vorbau. Dieses Gemach wurde unter der Leitung des Capataz völlig ausgeleert, so daß nur die vier kahlen Wände blieben, und die vergitterten Fensteröffnungen wurden mit Brettern und Decken derart verbarrikadiert, daß kein Strahl von Licht von außen hereinzudringen vermochte und eine absolute Finsternis hier am Abend herrschen mußte.

Erst nachdem er alle Anordnungen getroffen, folgte der Franzose seinem Schwiegervater zu Señora Dolores, zu welcher der Ruf des schrecklichen Abenteuers bereits gedrungen war, in das er sich aufs neue verwickelt hatte. Aber weit davon entfernt, die Angst und Besorgnis einer Liebenden zu verraten, schien die stolze Spanierin in dieser Gefahr nur einen neuen Triumph für den Mann ihrer Wahl, also für sich zu sehen und wies selbst mit einer gewissen Härte die Befürchtungen ihres Vaters zurück. Übrigens verweilte auch der Graf nur kurze Zeit bei ihr; er hatte zur Bedingung gemacht, daß ihm die unbedingte und alleinige Leitung des Schlages überlassen bliebe, den man gegen die Juaristen vorbereitete, und er wußte, daß die Augenblicke kostbar waren.

In seinem Zimmer fand er den alten Polen mit dem Korsaren. Der von dem Blut unschuldiger Menschen triefende, durch hundert grausame und entsetzliche Thaten verhärtete Pirat, dem es gewiß an rohem Mut nicht fehlte und der so oft dem Tode und allen Gefahren getrotzt hatte, saß jetzt wie verstört und gebrochen auf einer Bank, die Hände auf seinen Knieen zusammen gepreßt, und als der Graf eintrat, warf er diesem einen haßerfüllten drohenden und doch wieder verzweifelnden Blick zu.

Boulbon sprach einige Worte leise mit dem Leutnant, dann entfernte sich dieser – er blieb mit dem Piraten allein.

»Sie wissen, was diesen Abend geschehen wird, Kapitän Hawthorn?« sagte er.

»Verflucht sei Ihr bübischer Verrat – wie konnte ich auch einem glatten Franzosen trauen! Dieser Schurke von Engländer wird mich ermorden – es ist eine abgekartete Sache!«

»Sie haben Furcht, Kapitän Hawthorn!«

Der Pirat sprang empor, auf seiner Stirn zitterte der kalte Schweiß, seine Augen rollten mit entsetztem Ausdruck umher, während er die Hände weit von sich streckte, als wolle er, andern unsichtbare, drohende Gestalten von sich abwehren.

»Ja, Sir, ich fürchte mich! Ich bin ein Mann, und ich zittere wie ein Schulknabe; meine Hand wird machtlos sein gegen ihn, denn er ist nicht allein – nicht allein! Ein blutiger Nebel ist vor meinen Augen, und durch ihn hindurch sehe ich ein weißes Gesicht – so weiß, wie es mir in vielen Nächten erscheint, auf dem Meer und auf dem Land! Ich weiß – dies Gesicht wird bei ihm sein! – mögen zehntausend Teufel Ihre Seele zerreißen, hochmütiger Graf, und wehe Ihnen, daß Sie Niels Hawthorn in seiner Schwäche gesehen! Aber – ich fürchte mich, ich will nicht mit ihm kämpfen! Erbarmen, Graf, schützen Sie mich, oder ich werde wahnsinnig!«

Und der wilde, wüste Mensch fiel gebrochen auf seine Kniee und umfaßte wie ein Kind heulend die Füße des Franzosen.

»Stehen Sie auf, Kapitän Squale rouge,« befahl der Graf, »seien Sie ein Mann!«

Der Pirat richtete sich empor: »Beim Satan, der meine Seele haben wird, wenn es ein solches Ding giebt,« sagte er mit wildem Ausdruck, »ich bin es, und ich sage Ihnen, Gräflein, es ist nicht gut für Sie, daß Sie mit meiner Schwäche spielen! Ich fürchte, beim Teufel, den Tod nicht und keinen lebendigen Menschen auf der Welt außer ihm, denn – er ist nicht allein, über seine Schulter grinsen mich jedesmal, wenn ich mit ihm zusammentreffe, hundert bleiche Fratzen an mit den stieren Augen und den weißen Zähnen; all meine Manneskraft sinkt wie mein Arm, und ich weiß, daß er mich töten wird, wenn ich ihn nicht auch vernichte, und daß ich ihm nicht entgehen kann!«

»Aber dann bietet dieser Kampf Ihnen ja Gelegenheit, sich für immer von ihm zu befreien,« sagte der Graf.

»Nein – nein! Jener Schatten würde bei ihm sein, meine Hand vermag nichts gegen ihn; Niels Hawthorn, der hundertmal dem Tode getrotzt hat, ist eine Memme in seiner Nähe, und Fluch Ihnen, daß Sie mich zu dieser Schmach gezwungen haben! Wäre dies nicht, so wäre morgen jener Dämon eine Leiche gewesen so gut wie die andern. Dann hätt' ich der Gespenster gelacht!«

»Keinen Meuchelmord!« sagte der Graf streng, »wehe Ihnen, wenn ich von einem solchen Versuch auch nur höre! Ich ließe Sie und Ihre Spießgesellen an die Schweife wilder Pferde binden und durch die Wüste jagen, bis kein Atom Ihres Leibes mehr am anderen hinge! Aber genug davon. Sie behaupten, daß Ihr Mut, Ihre Kraft nur diesem einen Manne gegenüber Sie verließen?«

»Bei der Hölle, so ist es! Stellen Sie mich auf die Probe und – Gott verdamme meine Seele zehntausendmal! ich wollte niemand raten, dem Roten Hay diesen Abend in Finsternis oder Licht entgegen zu treten!«

»Aber Ihr Arm?«

»Was die Linke thut, braucht die Rechte nicht zu wissen!« lachte, frech den heiligen Spruch verspottend, der Bösewicht. »Ich führe die Axt oder das Messer so gut mit der Linken wie mit der Rechten, und überdies, wenn ich erst will, wie ich kann – sehen Sie her!« Er ergriff die an der Wand lehnende Doppelbüchse des Grafen und schwang sie um den Kopf. »Wenn Ihre Faust nicht die Stärke eines Riesen gehabt hätte – beim Satan, meinem von diesem Hurensohn verbrannten Schiff! – ich wollte diesen Tisch mit einem Schlage zerschmettern und Ihren Schädel dazu.«

Der Graf lachte. »Es freut mich, daß Ihre Muskeln und Ihr Armgelenk so weit wieder in Ordnung sind, denn ich denke allerdings, sie auf die Probe zu stellen!«

»Nur nicht …«

»Nein! ich hoffe Ihnen vielmehr dies etwas zu unangenehme Rendezvous zu ersparen und Ihnen eine andere Beschäftigung zu geben.«

»Dann sagen Sie mir, ich solle die Hölle stürmen, und Gott verdamme mich, wenn ich's nicht thue!«

»Haben Sie die mexikanische Korvette gesehen?«

»Die sich heute mittag in dem Hafen vor Anker gelegt hat? Nun, Sir, Sie wissen, ich hatte verflucht wenig Zeit und Lust dazu, mich umzusehen. Aber man hat mir seitdem davon erzählt, und ich warf einen Blick auf sie aus dem Fenster des Zimmers, durch das mich dieser polnische Schurke hierher führte.«

»Das muß für ein Seemannsauge, wie das Ihre, genügen. Was denken Sie von dem Schiff?«

»Zum Henker, was ich denke? Nun, ich meine, daß es ein ziemlich schmuck gebautes Fahrzeug ist, wahrscheinlich auf einer englischen oder amerikanischen Werft, denn diese Lumpen hier verstehen weder ein Schiff zu bauen, noch zu führen!«

»Ich meine seine Bewaffnung?«

»Nun die kann ein Blinder sehen. Das Ding führt 16 Kanonen und einen langen Neunpfünder auf dem Vorderkastell. Wär' es in guten Händen, könnte man etwas damit machen; aber diese mexikanischen Zwiebelfresser verstehen kaum eine Pirogue zu lenken, viel weniger ein Kriegsschiff!«

»Die Zahl der Besatzung?«

»Es ist immer viel überflüssiges Gesindel an Bord. Ich schätze sie mit den Offizieren auf siebenzig bis achtzig Mann!«

»Gut! Nun, Kapitän Hawthorn, kommt meine Frage. Getrauen Sie sich, wenn ich Sie von dem Rencontre mit Lord Drysdale und dem armen malayischen Krüppel befreie, die Korvette zu nehmen?«

Der Pirat sah ihn einige Augenblicke verblüfft an; selbst ihm, dem Mann eines abenteuerlichen, verzweifelten Lebens erschien dieser Vorschlag absurd. Dann aber schlug er lustig in die Hände. »Nun, beim Satan in der Hölle!« schrie er lachend, »an Euch wird's nicht liegen, wenn Ihr nicht ganz Mexiko in die Tasche steckt! Ein Kriegsschiff von siebzehn Kanonen zu nehmen, im Angesicht einer feindlichen Batterie? Aber Gott verdamme meine Augen und der Teufel soll meine Mutter haben, die alte Vettel, wenn das Ding mir nicht gefällt. Es wäre kein schlechtes Stücklein, wenn Niels Hawthorn Euch hülfe, diesen gelbhäutigen Schuften eine Nase zu drehen. Ich habe es nicht vergessen, daß der gallige kleine Halunke, der sich den Gouverneur von Guaymas nennt, mich auf das Wort des verfluchten Engländers ihm ausliefern wollte, am liebsten an Händen und Füßen gebunden! Aber wie denkt Ihr Euch, Sir, daß das Wagstück geschehen kann? Ich allein vermag doch bei aller Lust dazu die siebenzig oder achtzig Mexikaner mit ihren Kanonen nicht aufzufressen?«

»Ich bewillige Ihnen dreißig Mann, die Sie sich selbst aus unseren Kompagnieen auslesen können!«

»Nun, das wäre schon etwas; es sind Kerle genug darunter, um mit ihnen den Teufel aus der Hölle zu peitschen. Und auch an solchen fehlt's nicht, die sich auf der See versucht haben. Laßt sehen! Da ist Axel Oldenskron, der Walfisch-Harpunier, er nimmt es mit Zehn auf und kommt sicher an Bord! Die beiden englischen Teers – und der Satan Racunha – aber Ihr habt einen Offizier aus ihm gemacht!«

»Er wird Ihnen bei dieser Expedition untergeordnet sein!«

» Well! Ich weiß noch zehn andere, die sich auf der See manches versucht haben! Doch dieses Schiff ist nicht zum Spaß hier, und Sie werden sicher einen verteufelten Ausguck halten. Eine einzige Lage ihrer Breitseite könnte da die Boote in Grund bohren!«

»Das ist Ihre Sache, Monsieur Squale-Rouge,« sagte kalt der Graf. »Sie müssen entweder die San Trinidad nehmen, oder sich mit Lord Drysdale schlagen!«

»Nein! nein! Ich habe es Ihnen gesagt, lieber der Batterie eines Linienschiffes entgegen! Und, wenn ich die Korvette kapere – es wäre bei allen neunzigtausend Teufeln kein schlechtes Stück Arbeit – wollen Sie diesen Lord zum Henker schicken, und ich brauche mich nicht mit ihm und den weißen Gesichtern da hinter ihm einzuschließen? Ich soll von ihm befreit sein auf immer?«

»Das kann ich nicht versprechen, Kapitän Hawthorn. Was ich sage, ist: Ich habe versprochen, Ihnen während der Dauer Ihres Kontrakts den Schutz zu gewähren, den jeder Mann der Expedition von mir fordern kann und werde mich heute an Ihrer Stelle schlagen, indes Sie die San Trinidad entern.«

»Wie, Sir, Sie wollen den Kampf wirklich ausfechten?«

»Das ist meine Sache; kümmern Sie sich nicht darum! Erklären Sie jetzt, ob Sie die Aufgabe übernehmen wollen?«

»Zum Henker, gewiß! Was bleibt mir übrig? Ich kenne Ihre Hand und verlasse mich darauf, daß Sie es den Schurken auszahlen werden! Und da fällt mir auch ein Gedanke ein, bei dem uns Muñoz, der neue Capataz helfen kann. Die Korvette wird Wasser oder Lebensmittel einnehmen, er muß die Abfahrt der Boote bis zur Dunkelheit verzögern, und wir müssen als Lastträger oder meinetwegen als Soldaten verkleidet sie überrumpeln.«

»Immerhin! Treffen Sie Ihre Anstalten von hier aus, denn Sie dürfen das Haus nur mit mir verlassen. Ich stelle den Leutnant Racunha und Muñoz zu Ihrer Disposition. Gehen Sie jetzt und sagen Sie, daß ich den letzteren sprechen will.«

Der Pirat verließ das Gemach und wurde draußen wieder von dem Polen in Empfang genommen, den der Graf zu seinem Wächter bestimmt hatte. Nach kurzer Zeit trat der Capataz ein.

»Nun, Señor Commandante,« fragte der Graf, der bereits auf ein zufälliges Wort des Korsaren seinen Plan entworfen, heiter: »wie stehen unsere Angelegenheiten?«

»Vortrefflich, Señor Generale! Die Zunft meiner Kameraden würde sich für Euer Excellenz in Stücke reißen lassen, so bewundert man Ihren Mut und Ihre Kraft!«

»Das ist nicht, wonach ich frage. Wie weit sind Ihre Einverständnisse im Fort?«

» Ay Dios! Ich kenne meine Leute! Die meisten der Bursche haben verdammt wenig Lust zum Fechten, und wenn Euer Excellenz das Fort angreifen wollen, habe ich Ihnen eine besondere Überraschung bereitet.«

»Aber sie haben ihre Geschütze alle nach der Stadtseite gebracht, da das Kriegsschiff den Hafen beherrscht.«

» Quien sabe! Was schadet es! Euer Excellenz können auf meine Ehre dreist das Thor stürmen. Sie sollen sehen, daß Sie nicht umsonst den klügsten Kopf von ganz San Fernando zum Kommandanten machen!«

Der Graf lachte über die Eitelkeit. »Nun gut, Señor Capataz, ich nehme diesen klügsten Kopf beim Wort. Können Sie mir diesen Abend zwanzig oder dreißig jener schäbigen Uniformen und Mützen der mexikanischen Miliz verschaffen?«

Der Capataz dachte einige Augenblicke nach. » Muy bien!« sagte er dann, »es muß gehen! Manuele muß Rat schaffen. Aber wozu brauchen Euer Excellenz diese Röcke?«

»Das, Señor Muñoz, ist meine Sache. Es ist jetzt 6 Uhr. Um 8 Uhr sind die Gäste meines Schwiegervaters geladen, natürlich auch Sie. Um 10 Uhr wird nach der Verabredung Lord Drysdale sich einfinden, um unsere kleine Angelegenheit zu ordnen. Eine halbe Stunde vorher müssen die Uniformen an einem etwas entlegenen Teil des Hafendammes bereit sein. Sie werden zugleich dafür sorgen, daß vier tüchtige Barken an derselben Stelle liegen, jede mit vier Ruderern, auf die wir uns verlassen können! Um 8 Uhr erwarte ich Ihre Anzeige, daß alles bereit sein wird. Wenn Sie Geld brauchen, so lassen Sie es mich wissen!«

Der Capataz lachte pfiffig. »Es ist ein verteufeltes Stück, was Euer Excellenz da unternehmen,« meinte er, »aber wenn es gelingt, haben Sie die ganze Sonora in der Tasche. Wenn Euer Excellenz mich etwas näher ins Vertrauen ziehen wollten, nachdem ich doch die Sache erraten, könnte ich vielleicht gute Dienste leisten!«

»Wenn Sie meine Absichten erraten, Señor Commandante,« sagte lächelnd der Graf, »so wird es Ihre Sache sein, danach zu handeln. Bestimmte Instruktionen können meine Offiziere erst empfangen, wenn der Augenblick gekommen ist. Noch eins, Señor Muñoz. Wir haben zusammen den Ort besichtigt, an dem heute abend dieser Zweikampf stattfinden wird.«

»Ja, Excellenz! Möge dieser englische Ketzer tausend Leben unter Ihrer tapferen Hand lassen!«

»Das wäre um neunhundertneunundneunzigmal und vielleicht noch mehr zu viel! In der hinteren Wand führt eine Tür nach dem anstoßenden Magazin?«

» Cierto, Señor Generale! Ich habe Sie auf Ihren Befehl gerade wie die zwei Fenster mit Brettern vernageln lassen.«

»Gut. Aber die Wand ist von Holz?«

»Ja!«

»Und in der linken Ecke befindet sich ein Brett das ziemlich morsch ist?«

»Euer Excellenz müssen vortreffliche Augen haben, um dergleichen zu bemerken.«

»Ich habe es bemerkt. Nun hören Sie, Señor Capataz. Sie werden dies Brett, das heißt Sie selbst, derart zurichten, daß eine Person aus dem Innern sich leicht und ohne Geräusch aus dem Gemach entfernen kann, und daß man weder vorher, noch nachher den geheimen Ausgang bemerkt!«

Der Mexikaner rieb sich vertraulich nickend die Hände. »Ich verstehe; Euer Excellenz wollen dem Ketzer eine Nase drehen. Das ist vortrefflich! Mögen sie immerhin dieses Vieh, den alten Piraten, abschlachten, es ist nichts an dem Kerl gelegen.«

Der Graf zuckte ungeduldig und verächtlich die Achseln. »Ich bitte Sie, Señor Muñoz, Ihre Vermutungen für sich zu behalten. Sie werden, wenn der Augenblick dieses Rendezvous kommt, sich in dem Speicher verbergen, einen Mantel bereit und jene Öffnung zum Durchgang fertig halten. Auf ein zweimaliges Klopfen öffnen Sie und nehmen die Person, die den Raum verläßt, in Empfang, verschließen die Öffnung und führen jene heimlich aus dem Speicher und nach dem Ort, wo Sie die Boote und die Soldatenkleidungen in Bereitschaft halten.«

»Es soll geschehen, General!«

»Noch eins. Sie müssen für diese Person, die Sie ohne zu fragen oder zu sprechen, begleiten, Waffen mitbringen, Pistolen und einen Säbel oder ein Enterbeil!«

» Muy bien! es wird geschehen! Euer Excellenz sollen die besten Waffen haben!«

Der Graf machte wiederum eine ungeduldige Bewegung. »Wenn Sie diese Ausgaben ausführen und das Glück nicht gegen uns ist, habe ich das Vergnügen, Sie morgen als Señor Commandante von San Fernando zu begrüßen. Und jetzt an Ihre Geschäfte! Vor allem aber Schweigen bis dahin gegen jedermann, denn dem Schwätzer wird eine Kugel von meiner Hand, wer es auch sei.«

Eine deutliche Bewegung der Hand verabschiedete den Capataz und schnitt ihm alle Beteuerungen seiner Diskretion und Treue ab. Der Graf wußte, daß der Köder, der seiner Eitelkeit hingeworfen war, genügende Bürgschaft für ihn leistete.

Er hatte darauf noch eine geheime Unterredung mit seinem künftigen Schwiegervater und suchte Suzanne auf, jedoch ohne sie zu finden; denn die kleine Schauspielerin hielt sich unter dem Vorwande eines Unwohlseins in ihrer Kammer eingeschlossen. Im Grunde des Herzens dankte er ihr dafür, daß sie ihm die Aufgabe erspart hatte, sie von einer Begleitung bei den Gefahren abzuhalten, denen er im Begriff stand, entgegenzugehen.

So verging rasch die noch kurze Zeit bis zum Abend und bis zu der Stunde, wo sich die zur Verlobung geladenen Gäste einfanden.

Dem geheimen Zweck der Verbündeten entsprechend waren die Einladungen des Haciendero sehr ausgedehnt und umfaßten außer den speziellen Freunden und politischen Gesinnungsgenossen der Familie sämtliche angesehene Persönlichkeiten von San Fernando. Ja, Don Estevan hatte selbst nicht versäumt, neben den Offizieren der Garnison auch die der angekommenen Fregatte einzuladen, und da die Nachricht von dem seltsamen, durch den berühmten Anführer der Sonora-Expedition provozierten Zweikampf sich bereits bis an Bord der ankernden Schiffe verbreitet hatte, überwog die Neugier selbst die militärische Disziplin, und mehrere Offiziere befanden sich am Land, um der Festlichkeit und dem Duell beizuwohnen.

Die Führer der Expedition zeigten sich überaus beschäftigt im Verkehr mit ihren Leuten. Diese standen in Gruppen zusammen und flüsterten heimlich mit einander – jeder Mann war bis an die Zähne bewaffnet. Auch die Bevölkerung von San Fernando ging unruhig umher; jedermann fühlte, daß ein Ereignis bevorstand und die Stimmung war nur unter der Jugend, den Frauen und den unteren Klassen, die sich keine Sorgen zu machen pflegen, eine leichtherzige. Dennoch gingen die Vorbereitungen für das Fest ungestört vor sich, und als mit dem Schlag 8 Uhr zwei Böllerschüsse den Beginn der Festlichkeit verkündeten, und auf der Plaza zahlreiche bunte Laternen und zwei große Feuer angezündet wurden, an denen der Haciendero ein Dutzend feiste Hammel braten ließ, während Wein und Aguardiente reichlich von seinen Dienern ausgeschenkt wurde, ergriff bald der alte Leichtsinn die Menge, überall klangen die Mandolinen und Kastagnetten. Der kleine Chinese hatte rasch wieder seinen Spieltisch arrangiert, laute Fröhlichkeit herrschte wieder in all ihren Stadien, und während die Frauen unter Tanz und Lust die Schönheit und den Reichtum der Braut rühmten und sie beklagten, daß sie in Gefahr sei, schon am Tage ihrer Verlobung wieder zur Witwe zu werden, wetteten die Männer auf den Ausgang des Zweikampfs und erzählten die fabelhaftesten Geschichten von den Thaten des schrecklichen Piraten und den Abenteuern des Señor General. Aber wenn auch die Stimmung für Lord Drysdale keineswegs eine sehr günstige war, dachte doch gewiß kein Mensch daran, auch nur einen Finger zur Verhinderung der Metzelei zwischen vier Mitmenschen zu erheben, und man wäre gewiß über jeden hergefallen, der einen solchen Vorschlag gemacht hätte.

Auch Bonifaz hatte keinen Versuch gemacht, seinen Gebieter von dem Duell zurückzuhalten; er wußte zu gut, daß dies vergeblich sein werde, und war nur bemüht, die Nachricht der armen Frau zu verbergen, die jetzt in ihm ihren besten und einzigen Schutz hatte. Wir haben bereits gesehen, daß Suzanne selbst es ihm leicht machte, indem sie sich als krank in ihre Kammer einschloß, um an dem Sieg ihrer Nebenbuhlerin keinen Teil zu nehmen.

Der Graf und sein Schwiegervater empfingen die Gäste, und während der letztere sie mit all jenen Phrasen spanischer Höflichkeit begrüßte und für ihre Unterhaltung sorgte, gewann der Graf Zeit, mit jedem seiner Offiziere eine Unterredung zu halten, ihre Berichte entgegen zu nehmen und ihnen kurze und bestimmte Instruktionen zu erteilen, die mehrere sehr zu überraschen schienen.

Der Letzte, der erschien, war der neue Capataz, und der Bericht, den er erstattete, schien für den Grafen von besonderer Wichtigkeit. Das alles geschah, während der Graf zugleich fortwährend mit den Gästen des Hauses konversierte und namentlich den erschienenen Damen mit der ganzen Courtoisie eines französischen Edelmanns den Hof machte. Dies dauerte, bis das Zeichen zur Tafel gegeben wurde, zu welcher der Graf Doña Dolores führte, während der Hausherr der Gattin des englischen Konsuls seinen Arm bot, an dessen Magazinen am vergangenen Abend die Brandstiftung versucht worden war. Master Walker, der Konsul selbst, schien aber etwas unruhig zu sein, denn er blickte wiederholt nach der Thür.

Eine Stunde war bei der Mahlzeit vergangen, als ein Bote des Haushofmeisters dem Grafen eine Meldung brachte. Der Graf sah nach der Uhr und warf auf den Senator einen Blick. Dieser hatte ihn verstanden.

Er erhob sich.

»Señores und Señoras,« sagte er mit Grandezza, »unter der Gnade Gottes und der Heiligen habe ich Ihnen, meine Freunde, eine Nachricht mitzuteilen, die das Haus da Sylva Montera, das, wie Sie wissen, sich der unverfälschten Abkunft von den Conquistadoren Mexikos und der Verwandtschaft mit dem königlichen Geblüt von Kastilien rühmt, in seinen höchsten Interessen berührt. Gott hat es gewollt, daß der letzte Sprosse der Montera eine Jungfrau sei, mit welcher der alte Name zu Grabe getragen würde, wenn sie nicht einen edlen Gatten wählt. Nun hat der gegenwärtige hochedle Señor und Seigneur Aimé Graf Raousset Boulbon aus dem erlauchten Hause Lusignan, Grand von Frankreich und verwandt dem Blute der Könige unsers alten Landes, General en chef der tapfern Sonora-Expedition, bei mir geziemend um die Hand der edlen Señora Doña Dolores da Sylva Montera angehalten, und ich habe sie ihm mit dem Beding gewährt, daß die Sprossen dieser Ehe seinem Namen den der Montera beifügen. Edle Señores und Señoras, ich verlobe im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau dieses Paar!«

Ein jubelndes Viva, ein überschwänglicher Segenswunsch, das Klingen der Gläser folgte dieser längst erwarteten Ankündigung und draußen auf dem Platz antwortete die Menge mit Jubelruf und Freudenschüssen.

Der Graf hatte den Arm um seine schöne Braut gelegt und drückte den Verlobungskuß auf ihre Stirn. Das schöne und stolze Gesicht der Doña drückte einen gewissen Triumph aus, als ihr Blick über die glückwünschende Gesellschaft glitt, blieb aber sonst unbeweglich und kalt. Nur um ihre zusammengepreßten Lippen zuckte es wie ein schmerzlicher Gedanke, der aber alsobald wieder von ihrer großen Willenskraft unterdrückt war.

In diesem Augenblick hörte man wie plötzlich das Vivaschreien der Menge draußen auf dem Platz verstummte; ein Murmeln und Grollen, wie das Geräusch der heranschwellenden Woge, drang statt dessen immer näher und näher.

Der Graf war stehen geblieben, er hielt die Hand seiner Braut noch in der seinen, die andere stemmte sich auf den Tisch – ein gewisser spöttischer Trotz zeigte sich in dem Blick, den er auf die jetzt weit geöffnete Thür der Halle gerichtet hielt, die hinaus auf die Plaza führte.

Ein Menschenstrom flutete heran, in seiner Mitte gingen drei Männer.

Die drei waren Henry Norford, Lord von Drysdale, der unglückliche Malaye und der Kapitän des Fregattschoners »Najade«.

So viele Verwünschungen aus der Menge auch auf das Haupt der Engländer fielen, so wagte doch niemand, sie anzurühren oder ihrem Wege ein Hindernis entgegen zu stellen.

Als Kapitän Hearton, der voran ging, die Thür der Halle erreicht hatte, blieb er stehen, und erhob die Hand.

Wie mit einem Zauberschlage beruhigte sich die Woge der Menge, jeder wollte hören.

»Mylord von Boulbon,« sagte der alte Seemann, »die Zeit ist da, die Sie selbst bestimmt haben, Lord Drysdale Genugthuung zu geben. Er wartet!«

»Nicht einen Augenblick soll der edle Lord dies nötig haben,« erwiderte der Graf rasch. »Leutnant Morawski, lassen Sie Hawthorn herbeiführen.«

»Meine Damen und Herren,« wandte er sich dann gegen die Gesellschaft, »Sie werden mich wegen eines dringenden Geschäftes auf eine halbe Stunde entschuldigen müssen, wenn Sie nicht vorziehen, mir Ihre Begleitung zu schenken.«

»Wir begleiten Sie, Señor Conde!« erscholl es von allen Seiten. Selbst die Frauen hätten mit jener grausamen Neugier, die auch die sanfteste beseelt, gar zu gern diesem Aufbruch sich angeschlossen, wenn es die Schicklichkeit und die Rücksicht auf die Braut irgend zugelassen hätten.

Diese bewahrte vollkommen ihre kalte und stolze Haltung. Der Senator, ihr Vater, schien weit unruhiger als sie.

In der Begleitung des Polen und des Kentuckiers Meredith erschien in der Nebenthür der Seeräuber. Sein Gesicht zeigte wilden Trotz und geheime Besorgnis in widrigem Gemisch. Er warf einen scheuen Blick auf seine beiden Todfeinde am Eingang und dann auf den Grafen.

Dieser nahm mit ruhiger Galanterie die Hand seiner Verlobten und führte sie an seine Lippen.

» Au revoir, Madame!« sagte er, »in einer Stunde werde ich die Ehre haben, Sie wiederzusehen, oder Sie werden meinem Andenken eine Messe lesen lassen und einen Ihrer süßen Gedanken weihen!«

Ohne nach seinen Waffen zu fragen ging er, wie er von der Verlobungstafel sich erhoben, nach der Thür. Auf ein Zeichen von ihm bildete die Menge davor eine weite Gasse, indem sie ihn mit einem Ruf der Bewunderung und des Beifalls empfing. Don Estevan begleitete ihn, die sämtlichen Männer der Gesellschaft schlossen sich an.

Als der Graf an der Thür war, begrüßte er mit einer höflichen Verbeugung seinen Gegner. »Mylord Drysdale,« sagte er, »ich durfte Ew. Herrlichkeit nicht einladen, meine Schwelle zu überschreiten, so lange diese Wolke zwischen uns ist. Haben Sie die Güte, voran zu gehen – mein verehrter Freund und künftiger Schwiegervater wird uns den Weg zeigen!«

Er ließ den Senator, der trotz alles Vertrauens auf den Grafen seine offenbare Besorgnis nicht verhehlen konnte und wiederholt aber vergeblich den Versuch machte, mit ihm zu sprechen, sich dem Engländer nähern, der ihm mit schweigendem Gruß folgte. Hinter ihm drein humpelte der Krüppel.

Dieser war mit seinem malayischen Krys, der Engländer mit einem breiten Jagdmesser bewaffnet. Während der seltsame Zug langsam durch die Menschenreihen vorwärts schritt, winkte der Graf seine beiden Adjutanten, den Torero Perez und den ehemaligen preußischen Offizier an seine Seite und sprach leise mit ihnen.

»Sie haben Ihre Instruktionen,« sagte er, »für alle Fälle. Wenn mir ein Unglück begegnet, wird Don Estevan mein Vermögen unter die Mitglieder der Expedition verteilen, und Sie mögen dann aufs neue Ihre Bedingungen mit der mexikanischen Regierung und der Consulta der Kaufmannschaft und der Grundbesitzer machen oder nach San Francisco zurückkehren. Die beiden Schiffe unserer Expedition stehen dazu bereit. Bis dahin halten Sie fest zusammen, und deshalb bleibt es in jedem Fall bei meiner Bestimmung in betreff des Forts, denn es ist nötig, daß Sie eine Garantie und eine sichere Position haben, um Ihre Forderungen stellen, oder Ihre Rückkehr sichern zu können. Monsieur de Kleist bitte ich, in diesem Fall für meinen alten Freund und Diener und für meinen jungen Verwandten zu sorgen.«

»Es soll geschehen, Herr Graf. Aber – –«

»Kein aber, Monsieur! Sie haben Ihre Ordres. In dem Augenblick, wo Sie vom Meere aus eine blaue Rakete empor steigen sehen, öffnen Sie die Thür des Gemachs, in dem der Kampf statthat, und geben, was Sie auch finden mögen, das Signal zum Angriff.«

»Es soll geschehen, Oberst, wie Sie befehlen!«

»Wir sind an Ort und Stelle!« sagte der Graf ruhig. »Ein jeder von uns denn an seinen Posten!«

Sie befanden sich in der That vor der Thür des Magazins, dessen vorderen Teil man zum Kampfplatz bestimmt hatte. Die Menge hatte sich umher gesammelt: Soldaten, trotz des Verbots, das sie an das Fort bannte, Lastträger, Frauen und Mädchen, Vaqueros, Seeleute, Indianer und Weiße bunt durch einander, all die verschiedenen Klassen und Farben der Bevölkerung von Guaymas. Mehr als zwanzig Fackeln brannten ringsumher und verbreiteten Helle vor dem Gebäude.

Eine große Wolldecke hing über der Eingangsthür, um jeden Lichtstrahl zurückzuhalten.

Der Graf blieb stehen, als er den Lord und seinen Begleiter zur Seite der verhängnisvollen Thür Halt machen sah. Er trug die reiche französische Uniform zu Ehren des Festes, das er so eben verlassen, sein volles krauses Haar war unbedeckt.

Er wandte sich zu der Menge, die trotz ihrer Unruhe und Bewegung ein gewisses Schweigen bewahrte. »Ist einer von den Señores so freundlich, mir seine Machete zu leihen und eine der Señoritas ihre Schärpe?«

Im Augenblick streckten sich ihm mehr als ein Dutzend Waffen entgegen, und Frauen und Mädchen rissen ihre Schärpen ab, um sie ihm zu reichen.

Der Graf nahm mit einer höflichen Verbeugung zwei der roten chinesischen Seidenschärpen und schlang sie sich leicht um die Hüfte, um die Waffe hindurchstecken zu können, dann wählte er sorgsam unter den gebotenen Macheten. Bonifaz hatte ihm vergeblich die Dschambea gebracht, die er anfangs für den Kampf bestimmt hatte.

Seine Wahl fiel auf eine kurze aber starke und schwere Machete von deutscher Arbeit, deren Silberbuckeln am Griff sie fest in der Hand ruhen ließen. Er dankte dem Eigentümer mit einem freundlichen Wink und wandte sich dann an den Polen.

»Es ist Zeit – lassen Sie den Kapitän Hawthorn herantreten!«

Der alte Pirat wurde in den Kreis gestoßen; seine Gebärden waren ziemlich widerwillig, sein Gesicht verstört und mit roten Flecken bedeckt. Der Graf sah ihn finster an, während der Engländer von seinem Platz am Eingang scheu um einen Schritt zurückwich, als hätte er die Berührung eines giftigen Gewürms vermeiden wollen, obwohl er doch in der nächsten Viertelstunde vielleicht Brust an Brust mit ihm um das Leben ringen mußte.

»Ich bitte unsere Sekundanten,« sagte der Graf, »den Raum zu betreten und sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung ist!«

Kapitän Hearton und der ehemalige Torero traten mit einer Fackel in den Raum. Durch den zurückgeschlagenen Vorhang konnte sich die Menge überzeugen, daß das Gemach ganz leer war. Die Thür nach dem Magazin war vernagelt und geschlossen, der Schlüssel steckte im Schloß; der englische Schiffskapitän probierte die Thür und zog dann den Schlüssel ab. Dann verließen sie das Gemach, das wieder in die undurchdringliche Finsternis zurückfiel.

»Mylord,« fuhr der Franzose fort, als die Untersuchung beendet war, »ich schlage Ihnen folgende Bedingungen vor. Wir betreten einer nach dem andern das Gemach. Zuerst dieser Mann hier, dann Ihr Diener, ich und zuletzt Sie selbst. Die Sekundanten werden hinter uns die Thür schließen. Wir verpflichten uns auf Ehrenwort, daß keiner von uns den Kampf beginnt, bevor unsere Sekundanten fünf Minuten nach dem Eintritt durch einen Pistolenschuß ein Zeichen geben. Ferner, daß der Kampf schweigend erfolgt, ohne daß einer der Kämpfer sprechen, seinen Namen nennen, oder um Hilfe rufen darf. Die Sekundanten werden, die Uhr in der Hand, eine halbe Stunde nach dem Zeichen, das sie gegeben, warten, bevor sie das Gemach öffnen und unter keinen Umständen zugeben, daß dies eher geschieht. Dann wird Gott entschieden haben!«

Der Lord nickte. »Ich nehme die Bedingungen an,« sagte er, »lassen Sie uns beginnen!«

Mahadröh hob die Hände flehend zu ihm empor. »O Sahib, bedenke, was das heilige Buch sagt, Du sollst vergeben Deinem Feind!«

»Mensch, mache mich nicht rasend! Wenn Du vergessen hast, was Dir geschehen, Deine eigene Krüppelgestalt – hast Du auch vergessen, wie Deine Herrin in den Fluten versank?«

»Nimmer, Sahib, nimmer!« rief der Krüppel, sein Gesicht verhüllend.

»Dann sei der Mann, der Du warst, ehe Du ein Christ wurdest! Räche Dich und sie, und Henry Norford wird Dein Bruder sein im Leben oder Sterben, wage es, zu zögern, und …«

»O Sahib …«

»Ich will Dich von mir stoßen wie einen räudigen Hund und allein die Vergeltung üben!«

Er trat entschlossen einen Schritt gegen den Eingang, – der Krüppel kam ihm zuvor und warf sich mit einer raschen Bewegung seiner Krücken an die Tür. Hier ließ er sie fallen, und als Kapitän Perez schaudernd die verhängnisvolle Pforte öffnete, kroch er wie eine Schlange in den dunklen Raum.

»Sir, an Ihnen ist die Reihe!«

Der Graf reichte dem zitternden Freunde, dem alten Diener Bonifaz, die Hand. »Warte des Ausgangs und vertraue auf mich!« sagte er leise im Patois der Provence und erhob dann mahnend den Finger. »Achtung, Kameraden, ein jeder an seine Pflicht! Señor Don Estevan grüßen Sie meine Dame!« Er war hinter dem Vorhang verschwunden.

Der Menschenkreis umher war so still, daß man das Rauschen der Wogen deutlich hörte, die kaum hundert Schritt entfernt gegen den Hafendamm rollten.

Ohne ein Wort zu sprechen, reichte der Engländer seinem Kapitän die Hand, gleich darauf war er hinter der Thür verschwunden.

Der Schiffskapitän und der ehemalige Torero stellten sich vor diese, der erste die Uhr in der Hand, der zweite eine Pistole erhoben.

»Jetzt, Sir!«

Der Pistolenschuß knallte.

Die Köpfe beugten sich lauschend nieder, die Ohren der Nächststehenden preßten sich an die Wand.

»Still, Amigos, hörtet Ihr nichts?«

»Das waren Schritte!«

» Demonio! – ein Klirren von Stahl auf Stahl –«

»Kein Schrei! kein Laut! Bei der heiligen Jungfrau! solchen Kampf hat man noch nie erlebt, so lange San Fernando steht!«

»Wackere Caballeros! ich wette eine halbe Unze, daß jeder von ihnen mindestens drei Wunden davon tragen wird!«

»Wir werden das Blut unter der Schwelle hervorrinnen sehen! Heiliger Antonio, habt Ihr die teuflischen Augen gesehen, Señoritas, welche dieser Lump von Ketzer machte, als er hineinstürzte? Er hat das Maio ojo, den bösen Blick!«

»Möge das Fieber seine Hand beben machen, daß sie den Generale nicht treffen kann! Wir hätten es nicht dulden sollen! ein so vornehmer und freigebiger Caballero!«

»Sie werden ihn sicherlich ermorden, denn dieser verfluchte Seeräuber, für den er sich opfert, ist eine Memme!« hieß es unter den Frauen.

Hundert ähnliche Redensarten kreuzten sich.

Es waren zehn Minuten vergangen, die Offiziere der Expedition, die seit der Schließung der Thür durch die Menge hin- und hereilten und ihre Leute mit Zeichen und Worten sammelten, begannen besorgt und zweifelnd zu werden, man hörte bereits Stimmen der Abenteurer, welche die Öffnung der Thür verlangten.

Aber Perez und der Schiffskapitän standen unbeweglich vor ihr und hatten jetzt Beistand bekommen, denn neben ihnen, auf seine Büchse gestützt, stand der Kreuzträger, und die kleine Abteilung, die er sich ausgesucht, war in seiner Nähe.

Wäre die Menge nicht so voll gespannter Neugier auf die geheimnisvollen Vorgänge im Innern des Hauses gewesen, sie hätten bemerken müssen, daß die Kompagnieen der Expedition sich immer fester sammelten und eine finstere, entschlossene Haltung annahmen, daß aber ihre Reihen sehr gelichtet erschienen, und wohl der vierte Teil fehlte.

Don Estevan hatte bisher bald mit seinen Freunden, bald mit den Offizieren gesprochen, er konnte die große Unruhe, die ihn hin- und hertrieb, nicht mehr verbergen.

Zehn, zwanzig Minuten waren vergangen!

Jetzt war er wieder bei der Wache an der Thür. »Bei der unbefleckten Empfängnis, Señores, beschwöre ich Sie, hörten Sie nichts?«

»Es kam mir vorhin vor,« sprach der Kapitän, »als hätte ich einen schweren Fall vernommen – hören Sie – carrajo – das ist ein Stöhnen! Gott sei der armen Seele gnädig!«

»Der Wahnsinnige!« rief der Haciendero, »in diesem Augenblick alles so aufs Spiel zu setzen! Lassen Sie uns die Thür öffnen; wir müssen ihnen Beistand leisten!«

»Zurück, Sir,« sagte der Schiffskapitän drohend. » Goddam! ich habe mein Wort gegeben und werde jedem den Schädel zerschmettern, der es wagt, vor zehn Minuten einzudringen! Sehen Sie selbst.« Er hielt ihm die Uhr entgegen, die andere Hand umfaßte den Kolben einer Pistole.

»Aber das ist Thorheit; ich werde Sie zwingen, Señor, herbei, Ihr Leute! Die Thür muß geöffnet werden, selbst mit Gewalt!« Er hatte sich zu Kapitän Perez gewendet, der in der That schwankend wurde, was er thun solle.

Aber der Kreuzträger streckte seine Büchse vor den Eingang. »Halten Sie ein, Señor,« sagte er, »wir sind Soldaten und müssen vor allem dem Befehl unsers Anführers gehorchen. Es ist ein ehrlicher Kampf, und niemand darf sich einmischen!«

Doch der besorgte Senator erhielt jetzt von zwei andern Seiten her Beistand. In der Richtung seines Hauses wurde der Kreis der Menge durchbrochen, die zierliche Gestalt eines Knaben schien die Kraft eines Kriegers zu haben, wie sie Männer und Frauen zur Seite schob und sich Bahnmachte.

»Aimé? Wo ist Aimé? wo ist der Graf? Bonifaz, mein Vater, mein Freund, ich beschwöre Dich – was haben sie mit Aimé gemacht?«

Es war Jean, der kleine Vetter des Grafen, oder vielmehr Suzanne, die jetzt atemlos mit dem Ausdruck des Schreckens und der Angst sich an der Arm des alten treuen Dieners klammerte. Zugleich drängte sich von der anderen Seite her Diego Muñoz, der Capataz, durch die Menge und rief nach dem deutschen Teniente.

Der alte Avignote hatte den Arm um den zitternden Knaben geschlungen. »Was willst Du hier, Jean,« sagte er finster, »warum bist Du nicht in Deiner Kammer geblieben? Du solltest ihn kennen und wissen, daß er keine Einmischung duldet, selbst von Dir und mir nicht! Wer hat Dir seine neue Tollheit verraten?«

»Wer? wer anders als sie, die kein Herz hat! die stolze kalte Schönheit, die in der Stunde ihrer Verlobung den Verlobten in den Tod gehen läßt, bloß um ihren Stolz zu befriedigen!«

Es war in der That Señora Dolores gewesen, die, unruhig über den Ausgang, den Verwandten ihres Verlobten aufgesucht und ihn mit der Erzählung des Vorgefallenen aus seinem Schmerz und Leid aufgejagt hatte. Ihre kalte Haltung hatte Suzanne empört, die nahe daran kam, sich der Nebenbuhlerin zu verraten, und ohne sich von ihr halten zu lassen, davon gestürzt war.

Bonifaz beugte sich zu ihrem Ohr. »Ich bitte Dich um Himmelswillen, Kind, verrate Dich nicht. Noch habe ich Hoffnung!«

»Was Hoffnung? ich will Gewißheit! – Öffnet die Thür, Männer! seid Ihr Memmen geworden, daß Ihr Euren Anführer ermorden laßt und geduldig zuseht?«

»Zurück, Bursche!« befahl der Schiffskapitän, »noch drei Minuten!«

»Sie können ihn töten in ebenso viel Sekunden! Fort, Mensch, ich habe ein Recht dazu, ich bin sein …« Die Hand des Avignoten preßte sich auf ihren Mund, er riß sie mit Gewalt zurück.

In diesem Augenblick hörte man entfernte Schüsse von der See her, erst einzeln, dann in Menge. Der Capataz hatte den Preußen gefunden und hielt ihn fest. »Der General hat mich an Sie gewiesen, Señor, sie müssen jetzt handgemein sein! Um des Himmels willen! benachrichtigen Sie den Grafen, oder alles ist verloren!«

Die Schüsse von der Seeseite wurden immer heftiger, eine wilde Unruhe ließ die Menge hin- und herwogen, die drei Offiziere der Korvette, die sich unter den Gästen der Verlobungsfeier befunden, drängten sich nach der Hafentreppe und riefen nach dem Boot.

»Die San Trinidad! Die San Trinidad!«

Der Ruf klärte auf einmal die Ursache der Schüsse auf, die Soldaten drängten sich durch die Menge und eilten nach der Richtung des Forts.

Leutnant von Kleist stürzte nach der Thür des Speichers. »Oberst Boulbon, wenn Sie am Leben sind, öffnen Sie!«

Der Kapitän der Najade steckte die Uhr in die Tasche und wandte sich zu seinem Gefährten. »Die Zeit ist um, Gentlemen, Sie sind Zeuge, daß wir unser Wort gehalten! Öffnen Sie die Thür, Sir, Fackeln herbei!«

Perez hatte die Decke herabgerissen, er drehte mit zitternder Hand den Schlüssel um, ein Fußstoß warf die Thür auf, der Schein der vorgestreckten Fackeln – denn niemand wagte die Schwelle zu überschreiten – fiel in langen glutroten Lichtern in den verhängnisvollen Raum.

In der Mitte des Gemachs stand ein Mann, es war der Graf! Er sah angegriffen aus, die goldgestickte Uniform hing in Fetzen um seine Brust; von der Stirn und vom linken Arm rieselte Blut und bildete eine Lache zu seinen Füßen, in der die Machete lag.

Rechts und links an den Wänden lagen zwei Körper – Warenballen gleich, gekrümmt, zusammengeschnürt, ohne Bewegung; die seidenen Schärpen, die der Franzose von den Chinas genommen, schlangen sich zweimal um jeden dieser Leiber und preßten wie mit ehernen Ketten die Arme auf den Rücken.

Wenige Momente genügten, den hundert Augen das Resultat dieses furchtbaren und merkwürdigen Kampfes zu erklären. Der Graf hatte mit seiner Riesenkraft die beiden Gegner gebunden, geknebelt; er war dabei verwundet worden, ob leicht, ob schwer – man konnte es nicht wissen, ebenso wenig, ob die regungslosen Körper tot oder lebendig waren.

Aber – der vierte Mann, Hawthorn, fehlte! – wo war der Rote Hay?

Die Blicke der Herandrängenden suchten in allen Winkeln, nirgends eine Spur; der große Körper hätte sich nicht verbergen können!

Bonifaz wäre auf seinen Herrn zugeeilt, aber Suzanne hing ohnmächtig in seinem Arm. Der Leutnant von Kleist kam ihm jetzt zuvor. »Hurra für Boulbon!« er sprang über die Schwelle, er faßte die Hand des Grafen »Gott sei Dank, Herr, daß Sie leben, aber Sie sind verwundet – Sie bluten?«

»Ich hoffe, nur leicht! Wie steht unsere Sache, Leutnant?«

Er schritt nach dem Eingang, die Antwort wurde dem Preußen erspart. In das wahrhaft fanatische Viva-Geschrei der Menge mischte sich der Ruf des Capataz: »Die Rakete, General, die Rakete!«

Ein blaues Licht glänzte in den roten Fackelschein, hoch in den Himmel auf der Seite des Meeres stieg eine Rakete in die Nacht und warf ihre blauen Sterne.

Der Graf war mit einem Schlage wieder ganz er selbst, die Röte des Triumphes färbte neben dem quellenden Blut seine Stirn.

»Wo ist der Signalist? Hierher, Mann! Blast zum Sammeln! die Offiziere an ihre Abteilungen! Die Santa Trinidad ist unser, der Korsar hat sein Wort gehalten! Vorwärts denn zum Fort!«

Die Verwirrung war ungeheuer! Die Frauen kreischten auf und stoben zur Seite, die Männer rotteten sich hastig in Gruppen zusammen, für und wider Partei zu nehmen – Geschrei – Lärm überall! Dazwischen die Hornsignale der Abenteurer.

Suzanne, wieder zum Bewußtsein erwacht, hing an dem Grafen, dessen Gestalt auf der Schwelle noch immer den Eingang zu dem Raum sperrte, in dem der Kampf stattgefunden. »Barmherziger Gott, Du blutest, Aimé!«

»Nichts, Kind, nichts von Bedeutung! Nimm sie fort mit Dir, Bonifaz, keine Unvorsichtigkeit. Hier, Kapitän Perez, schnüren Sie ein Tuch um meinen linken Arm – das genügt – und gieb mir Dein Taschentuch, Jean!«

Er beugte den Kopf zu ihr nieder und küßte sie auf die Stirn, während sie mit bebenden Händen das Tuch um seine blutende Stirn schlang. »Vorsicht, Liebe, es steht alles auf dem Spiel! Was wollen Sie, Monsieur?«

Die rauhe Frage galt dem Schiffskapitän, der sich an ihm vorbeizudrängen suchte, um das Innere zu betreten.

»Meine Pflicht thun, Sir, hier scheint mir schändlicher Verrat geübt, nicht ehrlich Spiel! Was ist mit Lord Drysdale geschehen?«

»Sie haben es gesehen,« sagte der Graf mit Hoheit. »Nennen Sie mein fließendes Blut ein unehrlich Spiel? Ihre Freunde sind unverletzt, so viel ich weiß, aber sie müssen bleiben, wo sie sind, bis diese Sache entschieden ist. Señor Don Estevan,« er reichte ihm die Hand, »Sie sehen, der Sieg ist mit uns! Bewachen Sie mit Ihren Freunden dies Haus, und töten Sie jeden, der den Eintritt vor meiner Rückkehr zu erzwingen sucht. Sagen Sie Doña Dolores, meiner Braut, daß in fünfzehn Minuten Guaymas unser ist! Und nun vorwärts, Kameraden, nach dem Fort!«

Er streckte die Hand aus nach einer Waffe und nahm jetzt die dargebotene Dschambea; im nächsten Augenblick eilte die Schar im Sturmschritt, den Grafen an ihrer Spitze, von dem Capataz begleitet, in der Richtung des Forts davon.

Bonifaz hielt mit Gewalt die Schauspielerin fest, die dem Vater ihres Kindes nacheilen wollte, er zog sie mit sich fort nach ihrer Wohnung, während der Senator und seine Freunde ihre Leute sammelten, um den Pöbel im Zaum zu halten, und die Lastträger sich der früheren Anweisung ihres Capataz gemäß zur Bewachung der Magazine verteilten.

Alles war Verwirrung und Lärm, und durch diesen hindurch glaubte man jeden Augenblick den Donner der Kanonen des Forts zu hören.

Aber merkwürdigerweise knallten nur Flintenschüsse von dort herüber, vereinzelt, dann plötzlich eine kräftige Büchsensalve, – ein donnerndes » Viva! Victoria!« das Fort war genommen!

Graf Boulbon hatte mit seiner gewöhnlichen kühnen Sicherheit nicht an dem Erfolg gezweifelt, aber auf einen starken Verlust seiner Leute gerechnet. Doch jetzt bewährte sich die Klugheit des Capataz, und er hatte nicht mit Unrecht gerühmt, daß sein Verhältnis zu der hübschen Tochter des Sergeanten Pepe Wunder thun würde. Die schlaue Manola hatte mit Hilfe eines andern ihr ergebenen Mädchens die verlangten Uniformen ohne Mühe aus ihres Vaters Wohnung, die zugleich das Magazin des Forts bildete, über die Mauer nach dem See-Ufer geworfen, wo die zur Expedition gegen die San Trinidad bestimmten Männer mit den Barken unentdeckt verborgen lagen, da die mexikanische Nachlässigkeit nicht einmal für nötig gehalten, hier Wachen auszustellen. Hawthorn und seinen Gefährten war es dann in der That gelungen, unter der Maske abgeschickter Soldaten, die auf Befehl des Gouverneurs die Besatzung der Korvette verstärken sollten, an das Schiff anzulegen und auf Deck zu gelangen, ehe die Offiziere den ihnen gespielten Verrat begriffen. Und wenn der Seeräuber auch, von der Macht des Gewissens erfaßt, in fast weibischer Furcht sich weigerte, der rächenden Hand Norfords zu begegnen, so war er andern Feinden gegenüber doch der Mann, der jahrelang der Schrecken der indischen Meere gewesen war und manchen schweren Kampf siegreich bestanden hatte. Sobald er seinen Fuß an Bord der San Trinidad gesetzt hatte, war auch deren Schicksal entschieden; Hawthorn wütete gleich einem verwundeten Eber mit der Axt in seiner Linken unter der bestürzten Schiffsmannschaft, schlug selbst den Kapitän zu Boden, der an Bord der Korvette geblieben war, und hatte nach fünf Minuten eines blutigen und grausamen Gemetzels das ganze Schiffsvolk unter Deck getrieben und die Luken über ihm geschlossen.

Aber nicht bei diesem Angriff allein hatte die schöne Manuela ihrem Liebhaber und somit der ganzen Expedition genützt.

Die Schar des Grafen war vor dem wasserleeren, von dem Seewind halb zugewehten Graben angekommen, der das Fort auf seinem Landvorsprung von dem Hafenort abschnitt, als das erste » Alto!« vom Wall her erscholl, denn dort war der ganze Teil der Besatzung, den die Offiziere von der Desertion nach der Plaza abzuhalten vermocht hatten, schon aus Neugier versammelt, um möglichst rasch zu erfahren, was dort vorging. Das Feuern an Bord der San Trinidad hatte die Unruhe vermehrt, und da sich die nach der Plaza entlaufenen Soldaten bei dem unerwarteten Ausgang des Zweikampfes und dem Aufruf zum Sturm des Forts, weislich gehütet hatten, sich dahin zurück zu flüchten und die Garnison von der drohenden Gefahr in Kenntnis zu setzen, herrschte die größte Verwirrung, und die sonst zur Verteidigung völlig genügend starke Mannschaft lief kopflos durcheinander.

Der Kommandant des Forts, ein alter Soldat aus dem Revolutionskriege, ein treuer Anhänger des Gouverneurs und seiner Partei, aber sonst ein Mann von wenig Umsicht, stand auf dem Wall, neben einer der Kanonen.

» Alto! was wollt Ihr?! Bleibt zurück, oder ich lasse Feuer auf Euch geben!«

Der Graf hielt sich nicht auf mit einer Antwort. » Adelante! Adelante!« rief er.

»Nun, so möge Euch San Ignacio ins Fegefeuer helfen, Ihr ketzerischen Halunken!« brüllte der alte Major und stieß selbst die Lunte auf den Zünder der Kanone.

Aber zu seinem großen Staunen erfolgte keine Entladung, dasselbe war bei den andern drei Geschützen der Fall, die man auf dieser Seite aufgestellt hatte, und während der würdige Offizier scheltend und fluchend mit seinen Leuten nach der Ursache forschte, waren der Graf und die Seinen bereits unter der Schußlinie.

Es ergab sich später, und Commandante Muñoz erzählte es mit großem Stolz auf die Schlauheit seiner Geliebten, daß diese und ihre Helfershelferin am Abend mit den Schildwachen bei den Geschützen geplaudert und dabei das Zündkraut verdorben hatten – durch ein Mittel, das schon früher im Aufstandskriege gegen die Spanier eine enthusiastische Frau in ähnlicher Lage mit Glück angewandt hatte. Kurz, als die Kanoniere mit den bereit gehaltenen Lunten ihre Geschütze abfeuern wollten, versagte das Zündkraut seinen Dienst.

Die mißlungene Salve, die leicht, wenn sie ihren Eisenhagel gegen die Abenteurer geschleudert hätte, den ganzen Angriff hätte scheitern machen, steigerte die Verwirrung, einzelne Schüsse fielen und verwundeten drei oder vier der Stürmenden – als aber diese mit einem Büchsenfeuer erwiderten und zugleich von der Seeseite des Forts her ein Siegesruf erscholl, und Kreuzträger mit seiner kleinen Abteilung dort den Wall erstiegen hatte, wurde der Widerstand auf der Vorderseite immer geringer, die wackere mexikanische Miliz warf ihre Gewehre fort und flüchtete in alle Winkel, und ehe fünf Minuten vergangen, war der Graf Herr des Forts und nahm den mit großem theatralischen Anstand überreichten Degen des bisherigen Kommandanten in Empfang, ohne sich viel um seine Rede von Kriegsunglück und tapferer Verteidigung zu kümmern, und ordnete die anderweite Besetzung des Forts an.

Señor Muñoz wurde dem Versprechen gemäß mit dem Titel eines Kommandanten des Forts beehrt und erhielt den Auftrag, aus der Schar der tapferen Gefangenen die zur Verstärkung seiner Mannschaft auszuheben, die sich geneigt zeigen würden, für Handgeld und Sold gegen die bisherige Regierung von Guaymas zu dienen, was denn sofort die Folge hatte, daß fast die ganze Miliz sich meldete und einstimmig erklärte, jeden beliebigen Eid der Treue leisten zu wollen, worauf denn der neue Kommandant, dessen Ämter in den letzten drei Tagen sehr rasch gewechselt hatten, etwa ein Drittel auswählte und die anderen zum Teufel jagte.

Jetzt war auch Don Estevan herbeigekommen und die ganze Bevölkerung von San Fernando hatte sich mit Ausnahme der amerikanischen und englischen Kaufleute vor dem überrumpelten Fort gesammelt. Aber eine der ersten Maßregeln des Grafen war, das Gesindel, das nun auf allgemeine Plünderung hoffte, im Zaum zu halten. Wachen aus seinen besten Leuten mit dem strengen Befehl, jeden niederzuschießen, der Hand an fremdes Eigentum zu legen wagte, wurden vor die Häuser und Magazine der Kaufherren gestellt, und nachdem zwei- oder dreimal der Befehl rücksichtslos befolgt worden war, fand sich bei Sonnenaufgang zu ihrem großen Erstaunen die Stadt zum erstenmal nach einem der schon zahlreich erlebten Pronunciamentos in einem Zustand der Sicherheit und Ordnung, wie man ihn früher nicht für möglich gehalten hatte.

Mehr noch als die Büchsen der Abenteurer hatte allerdings dazu das Ansehen gethan, das sich der Graf durch seine Kühnheit und persönliche Kraft erworben hatte. Bekanntlich wirkt nichts bestechender oder beherrschender auf weniger civilisierte feurige Naturen, als Beispiele kaltblütiger Todesverachtung und das Übergewicht körperlicher Eigenschaften. Das » Viva el Conde!« hallte aus allen Kehlen, und wer jetzt gewagt hätte, ein Wort gegen den Grafen zu sagen, der hätte sicher das Messer des ersten besten seiner Umgebung in der Kehle gefühlt. Man betrachtete die Abenteurer jetzt wirklich als förmliche Befreier, belegte das bisherige Regiment mit Verwünschungen und Beschimpfungen, und selbst Kapitän Hawthorn, der Rote Hay, mit dessen Namen noch am Tage vorher die Mütter ihre schreienden Kinder zur Ruhe geschreckt hatten, wurde jetzt als ein Befreier und Held gefeiert.

Es war eine Stunde nach Sonnenaufgang, als Don Estevan dem künftigen Schwiegersohn und jetzigen unbestritten Gebieter von San Fernando Guaymas im Triumph in sein Haus zurückführte, an dessen Schwelle ihm die schöne Doña Dolores mit einem Lorbeerkranz entgegenkam, den sie dem Grafen, der schnell sein Knie vor ihr beugte, mit stolzer Anmut und nicht ohne sichtliche Bewegung auf die Stirn drückte, denn die Erinnerung daran, wie hochmütig und kalt sie ihn am Abend vorher in den blutigen Kampf geschickt, verfehlte ihre Wirkung nicht.

»Señora,« sagte der Graf galant, während dennoch bei dieser Huldigung seines Mutes und seiner Kraft sein Blick mit einer gewissen Besorgnis über die Umgebung der stolzen Spanierin flog, bis er zu seiner Beruhigung das trauernde und vorwurfsvolle Gesicht des Knaben Jean nirgends darunter sehen konnte, »Señora, ich lege Guaymas zu den Füßen seiner Königin der Schönheit – und der künftigen Königin der Sonora,« setzte er flüsternd hinzu.

Eine hohe Röte überflog das stolze Gesicht der Haciendera. »Stehen Sie auf, Señor Conde,« sagte sie mit aller Liebenswürdigkeit, die ihr zu Gebote stand, »der Sieger einer solchen Nacht darf selbst nicht vor seiner Dame knieen. Ich nehme Ihre Gabe an, um sie mit Ihnen zu teilen, und bitte Sie, vor allem für Ihre kostbare Gesundheit zu sorgen, denn dieser Verband Ihrer Wunden scheint nur sehr ungenügend.«

In der That schien der Graf erst jetzt sich seiner Verwundung zu erinnern, denn als er die Hand nach dem Tuch um seine Stirn hob, sah er mit einem gewissen Erstaunen, daß sie blutig wurde, und er zögerte, sie in die Hand der Dame zu legen, die diese ihm bot.

»Señor Conde,« sagte die Doña, »dies kostbare Blut ist für Mexiko geflossen!« und ohne ihm Zeit zu lassen, es abzutrocknen, ergriff sie die Hand und führte ihn unter dem Viva der Menge, die sich dem Zuge angeschlossen, in das Haus.

Hier bat der Graf um die Erlaubnis, sich für eine halbe Stunde zurückziehen zu dürfen, und beauftragte seinen Schwiegervater, unterdes die Führer ihrer Partei zu einer Beratung über die jetzt zu ergreifenden Schritte zu versammeln. Er selbst ging dann festen Schrittes nach den ihm angewiesenen Zimmern des Hauses; als er aber das Schlafgemach erreicht hatte, übermannte endlich die Natur die bisherige Anspannung aller Nerven, und er sank fast ohnmächtig von dem Blutverlust und der Aufregung erschöpft auf einen der Rohrsessel.

Als der Graf wieder Herr seines Bewußtseins wurde und emporblickte, fand er neben sich die Mutter seines Sohnes, die mit frischem Wasser seine brennende Stirn kühlte und seine Wunden verband, und den treuen Freund und Diener, der ihr mit kummervollem Blick darin Anleitung gab und ihn seiner blut- und schmutzbedeckten Kleider entledigt hatte. Das sanfte Auge Suzannes war mit Thränen gefüllt, die über ihre blassen Wangen rollten.

»O Aimé,« schluchzte sie, »war dies alles nötig, und hattest Du keinen Gedanken an ihn gehabt, als Du Dein Leben preisgabst?«

Er drückte ihr zärtlich die Hand. »Gute Suzanne,« sagte er, »Du weißt, welches Ziel ich mir gesteckt habe, und daß ich nicht zurückweichen kann! Aimé Boulbon wird seinem Sohne Reichtum und Ehre sichern, oder im Kampf darüber zu Grunde gehen. Du allein bist es, die aus Liebe zu mir ein Opfer bringt! Aber mache uns beiden das Opfer nicht noch schwerer. Nur unter dieser Bedingung habe ich eingewilligt, Dich bei mir zu lassen, und bin bereit, mein Wort zu halten. Aber niemals sollst Du es wagen, Dich in mein Thun zu drängen, wie gestern Abend. Bedenke, daß die Entdeckung Deines Geschlechts unter den jetzigen Umständen leicht meine besten Pläne scheitern machen und Dir und mir wirkliche Gefahren bringen könnte, während die, welche Du jetzt für mich träumst, nur eingebildete sind, denen jeder Mann von Mut leicht begegnen kann und denen ich begegnen werde, wie ich ihnen bis jetzt getrotzt habe.«

Als wollte ihn das Schicksal beim Worte nehmen und ein Zeichen dafür geben, vernahm man ein scharfes Klopfen an der Thür.

»Sieh nach, Bonifaz, wer draußen ist!« befahl der Graf, indem er Suzanne einen ernsten Wink gab, sich zu erheben.

Der Avignote öffnete; es war Leutnant von Kleist mit einem Fremden.

»Herr Graf,« sagte der junge Mann, »ich bringe Ihnen Doktor Schönfeld, einen deutschen Landsmann, der als Arzt hier angesiedelt, aber diesen Morgen erst von einer entfernten Hacienda zurückgekehrt ist. Wir bitten Sie alle dringend, sich seiner Geschicklichkeit anzuvertrauen, wenn nicht um Ihrer, so doch um unserer Willen.«

Der Graf reichte dem jungen Manne lächelnd die Rechte. »Ich weiß. Sie meinen es aufrichtig, Baron,« sagte er freundlich, »das haben Sie schon damals in San Francisco bewiesen, als Sie sich zwischen mich und jenen grauen Mörder werfen wollten. Auch fühle ich, daß ich wirklich eines anderen Beistandes bedarf, als Bonifaz mit all seiner Anhänglichkeit ihn mir erweisen kann. Sehen Sie also zu, Doktor, ob der Knochen von dem Stoß verletzt ist, er muß von unten herauf gegangen sein, denn er kam von dem malayischen Krüppel, der sich wie eine Schlange um mich wand, als ich ihn mit dem Fuß auf dem Boden festhielt, bis ich seine Arme zusammengeschnürt. Aber – Ventre saint gris! – ich sage Ihnen, keine Ihrer gewöhnlichen ärztlichen Tücken von Bett und Krankenlager, ich habe gerade jetzt am wenigsten Zeit dazu!«

Der Arzt begann mit der Versicherung, sein möglichstes thun zu wollen, den Verband zu lösen.

»Übrigens sind Sie gerade der Mann, Monsieur von Kleist, den ich haben wollte,« fuhr der Graf fort. »Sind die Posten gegen San José ausgestellt?«

»Ja, Sir! Kapitän Morawski mit den Reitern rekognosciert die Straße.«

»Das ist gut; wir können jeden Augenblick den Angriff erwarten, und wenn Don Juarez etwas weniger Advokatenkniffe und mehr Courage hätte, müßten wir ihn bereits hier haben, denn unmöglich kann ihm unbekannt geblieben sein, was hier geschehen ist. Hat Hawthorn Botschaft gesandt?«

»Nein, Sir!«

»Dann müssen Sie selbst das Geschäft übernehmen; Sie sind Soldat gewesen, und ich kann mich auf Ihre Pünktlichkeit verlassen.«

»Euer Excellenz,« unterbrach ihn der Arzt, »muß ich bitten, möglichst jede Aufregung zu vermeiden, ich fürchte, sie könnte schlimme Folgen haben!«

»Zum Teufel mit Ihrer Besorgnis! Es ist nicht viel mehr als ein Nadelstich! Nehmen Sie sechs zuverlässige Leute, Monsieur de Kleist, und begeben Sie sich an Bord der San Trinidad.«

»Herr Graf – –«

»Still, Doktor, einen Augenblick noch, dann will ich Sie meinetwegen anhören. Verhaften Sie diesen alten Schurken sofort wieder, er hat seinen Dienst gethan, und ich traue dem Satan nicht, daß er nicht die Bande, die ihm das Schiff nehmen half, zu irgend einem Schurkenstreich überredet und die Korvette zu einem Raubschiff macht, mit dem er auf und davon geht. Wenn er sich zur Wehr setzt, so schießen Sie ihn über den Haufen, oder sagen ihm, daß es zu seinem Schutz gegen diesen verteufelten Engländer wäre. Apropos! Was ist aus Lord Drysdale geworden?«

»Er und sein Diener sind, Euer Excellenz Befehl gemäß, bei Sonnenaufgang in Freiheit gesetzt und dem Kapitän der Brigg übergeben worden. Er hat …«

»Übergeben Sie dem Schweden Swen Sture das Kommando der Korvette,« unterbrach ihn der Graf, »er scheint mir von allen der Tauglichste, darf aber nicht mehr Mannschaft behalten, als unumgänglich nötig ist, das Schiff segelfertig zu halten. Die Korvette muß so nahe wie möglich an das Fort gelegt, und die Kanonen müssen sämtlich bis auf eine von Bord auf die Wälle gebracht werden. Wir müssen diese Position als unseren Rückhalt in jeder Weise verstärken. Ich verlasse mich ganz auf Ihre Energie, Monsieur de Kleist!«

Der Preuße verbeugte sich.

»Ihre Befehle sollen vollzogen werden. Hier, Herr Graf, habe ich Ihnen noch dies Billett zu geben.«

»Von wem?«

»Kapitän Hawthorn sandte es mit einem Matrosen, ehe sein Boot vom Hafendamm abstieß!«

»Geben Sie her!«

Der Arzt legte sich jetzt ernstlich ins Mittel.

»Herr Graf,« sagte er mit bestimmtem Ton, »ich muß darauf bestehen, daß Sie sich einige Ruhe gönnen, ich kann sonst nicht dafür bürgen, daß das Fieber Sie nicht wirklich auf das Krankenlager wirft!«

»Aber – Pardioux! ich wiederhole Ihnen, ich habe andere Verletzungen gehabt und noch einen ganzen Tag lang gefochten, damals, als wir mit Bugeaud die Marokkaner jagten.«

»Dies mag sein, indes – erinnern Sie sich, welche Waffe Ihr Gegner trug, der Ihnen diesen Stich in den Arm beibrachte!«

»Es wird ein malayischer Krys gewesen sein,« sagte der Graf sorglos. »Der arme Teufel, den dieser Schurke Hawthorn zum Krüppel gemacht, ist selbst ein Malaye, so viel ich gehört habe.«

Er entfaltete das Billet, das der Adjutant ihm gebracht, es enthielt nur wenige mit Bleistift geschriebene Zeilen.

Suzannes Auge hing mit Besorgnis an dem Gesicht des Arztes, während der Graf las. Sie war wieder einige Schritte näher getreten.

Der Doktor wandte sich zu dem Offizier, er redete ihn in der Sprache ihrer beiderseitigen Heimat an, da er glaubte, die anderen verständen sie nicht.

»Wenn Sie irgend einen Einfluß auf Ihren Chef besitzen,« sagte er ernst, »so wenden Sie ihn an, damit er sich wenigstens vierundzwanzig Stunden Ruhe gönnt, es können sonst die schlimmsten Folgen entstehen.«

»So sind die Wunden gefährlich?«

»Nein, an und für sich nicht, aber man hat sie viele Stunden vernachlässigt und überdies …«

»Nun?«

»Das Aussehen dieser Wunde am Arm gefällt mir nicht. Sie hätte an und für sich nichts zu bedeuten, aber es ist eine bekannte Sache, daß die Malayen häufig ihre Waffen in Pflanzensäfte tauchen, die eine giftige Wirkung haben.«

»Wie? Sie glauben, daß die Wunde vergiftet wäre? dann um Himmels willen …«

Boulbon hatte das Blatt, das er mit einem verachtenden Lächeln gelesen, fallen lassen und wandte den Kopf nach dem Arzt.

»Lord Drysdale ist ein Ehrenmann,« sagte er in deutscher Sprache, »und er würde unehrliche Waffen niemals wider seinen Gegner brauchen oder gestatten!«

»Ich wußte nicht, daß Euer Excellenz unsere Sprache verstehen,« bemerkte entschuldigend der Doktor. »Ich kann auch nicht behaupten, daß die Waffe, welche die Wunde hervorgebracht hat, absichtlich vergiftet gewesen ist, denn wenn sie in frisches Gift getaucht worden wäre, würden Sie wahrscheinlich bereits eine Leiche sein. Aber es ist möglich, daß die Klinge früher, vielleicht vor Jahren, in eines jener geheimen Pflanzengifte getaucht worden ist, die uns Europäern meist noch unbekannt sind, und die, wenn sie auch durch die Zeit ihre tötende Kraft verlieren, doch selbst nach vielen Jahren noch schwere Entzündungen oder Lähmungen herbeiführen können. Es ist deshalb immer gefährlich, sich mit den malayischen Messern selbst im Zufall zu verwunden. Ob dies hier der Fall ist, kann ich nicht behaupten, ich müßte dazu die Klinge untersuchen. Aber jedenfalls hat der Blutverlust aus der sonst ungefährlichen Wunde den Fieberzustand verschlimmert.«

»Und was muß geschehen, um die Folgen zu beseitigen?«

»Ich muß Euer Excellenz drei oder vier Tage beobachten, und Sie müssen während dieser Zeit jede Aufregung vermeiden und Ihr Lager nicht verlassen.«

Die letzten Worte waren wieder in französischer Sprache gesprochen worden. Der Knabe Jean, der mit ängstlicher Miene den fremden Lauten gehorcht, legte jetzt bittend die Hand auf den Arm des Grafen. »Folge dem Rat, Vetter Aimé,« flehte er, »ich beschwöre Dich, und ich will Dich aufs beste pflegen, damit Du bald wieder bei voller Kraft bist!«

Der Graf hob lächelnd die Hand auf ihren Kopf. »Ich will es gern glauben, mein Bursche, und auch, daß es Dir selbst Vergnügen machen würde. Aber Don Juarez und noch ein anderer dürfte mir wenig Zeit dazu lassen. Sieh, da ist schon ein Bote, daß ich notwendig bin!«

In der That war einer der Diener des Senators eingetreten, der den Grafen ersuchen sollte, möglichst bald der Versammlung seine Gegenwart zu schenken, da eben wichtige Nachrichten eingelaufen wären.

»Da sehen Sie selbst, Doktor,« sagte der Franzose, »wie wenig Zeit ich habe. Aber seien Sie nicht unwillig darüber, und wenn Sie eine halbe Stunde hier verweilen können, sollen Sie mich ernstlich dazu bereit finden, eine medizinische Konsultation mit Ihnen zu halten, nur dürfen Sie nicht zu streng mit mir verfahren.«

Er winkte dem Adjutanten und entfernte sich weiter scherzend mit ihm.

Der deutsche Arzt sah ihm besorgt nach.

» Carbioux, Doktor,« meinte der alte Diener – »ich sage Ihnen, er hat anderes überstanden als die leichten Risse in seiner Haut. Er hat eine Gesundheit, fast so zäh, wie die meine! Aber – heilige Mutter Gottes von Avignon! – was ist Dir geschehen, Kind!«

Der Ausruf galt dem Knaben Jean, der bleich und zitternd in den soeben von dem Grafen verlassenen Sessel zurückgesunken war und die Hände auf das Herz gepreßt hielt. Zwischen seinen Fingern zitterte das Blatt, das der Graf achtlos hatte fallen lassen und das er aufgehoben.

»Lies, Bonifaz, lies – er wird sich und uns verderben mit seiner Verachtung jeder Gefahr!«

Der Haushofmeister hatte das Blatt genommen, drehte es aber verlegen hin und her, indem er mit einem halb komischen, halb ängstlichen Blick bald auf Suzanne, bald auf den Arzt schielte. »Der heilige Petrarka soll mich im Fegefeuer schwitzen lassen,« brummte er endlich, »wenn das nicht eine Aufgabe ist, die über meine Kräfte geht! Du weißt, Kind, daß die Sackträger von Avignon wenig Zeit haben, Eure verdammten Schnörkel zu lernen. Da, lesen Sie mir den Wisch vor, Doktor, der den armen Jungen so ins Bockshorn jagt!«

Der Arzt nahm mit Teilnahme das Blatt, indem er einen fragenden Blick auf den Knaben warf, um nicht indiskret zu erscheinen. Suzanne winkte zustimmend. Er las:

»Dem Verteidiger des Mörders Hawthorn: Krieg auf Leben und Tod!«

Henry Norford, Lord Drysdale.

»Darunter ist noch eine Art von Kreuz oder Namenszug gemalt, aber ich vermag ihn nicht zu entziffern!«

»Pah,« sagte der Avignote ruhig, »das ist ja nur eine Kriegserklärung des verrückten Engländers und wahrscheinlich hat sein gelber Krüppel von Kammerdiener für nötig befunden, seine Unterschrift darunter zu kritzeln. Die Burschen scheinen an der Lektion, die sie erhalten, noch nicht genug zu haben.«


Als der Graf in das geräumige Gemach trat, in dem ihn Don Esteban mit seinen Freunden erwartete, fand er, daß nicht bloß die großen Grundbesitzer, die am Tage vorher mit ihren Leuten eingetroffen waren, sondern auch mehrere der angesehensten Kaufleute sich dort versammelt hatten.

In der Mitte des Zimmers, auf den Säbel gestützt, das Gesicht noch von der Anstrengung eines raschen Rittes gerötet, stand der Teniente des Gouverneurs, Don Carboyal, mißtrauisch und finster auf die Versammlung schauend, durch deren Hände ein offener Brief die Runde machte.

»Es müssen schleunigst Maßregeln ergriffen werden,« sagte der Doyen der Kaufherren, ein alter Holländer. »Wir alle wissen noch recht gut, welchen Schaden wir durch den Einfall der Indianer im Jahre Sechsundvierzig erlitten haben, und es scheint diesmal schlimmer zu sein, als damals. Welchen Schutz oder Schadenersatz würden wir von der Regierung in Mexiko zu erwarten haben, wenn die Indianer die Sierra überschreiten und die Straße von Opusura sperren sollten! Die Señores Hacienderos und Argéntifodineros Die Besitzer der Silberbergwerke. werden mit uns übereinstimmen, denn die Gefahr und der Verlust wird sie zuerst treffen.«

»Die Mauern der Hacienda del Cerro sind stark genug,« sagte der Senator stolz, »es ist nicht das erste Mal, daß sie eine Belagerung der Apachen ausgehalten haben.«

»Aber diesmal haben sich alle die Stämme vereinigt,« beharrte der nicht von dem Nationalstolz verblendete ältere Handelsherr, »und die Gefahr ist dringender als je. Ich schlage daher vor, daß wir dem Beispiele des Señor Gobernador folgen, der heute in der That zum erstenmal aufrichtig in unserem Interesse handelt, und alle noch über die Expedition streitigen Punkte fallen lassen.«

Selbst die anwesenden englischen Kaufleute stimmten diesem Vorschlag zu.

In diesem Augenblick war der Graf eingetreten.

»Darf ich fragen, Señores, um was es sich handelt?«

Alle erhoben sich von ihren Sitzen und drängten sich um ihn. Die Kaufleute und Konsuln der verschiedenen hier handeltreibenden Nationen waren zu sehr an den Wechsel der Machthaberschaft gewöhnt, wenn der revolutionierende Teil der Bevölkerung auch aus Furcht vor den Folgen gewöhnlich den Schutz ihrer Flagge respektierte, um nicht anzuerkennen, daß Graf Boulbon mit seinen Abenteurern gegenwärtig der unbestrittene Gebieter von Guaymas war, und den meisten war es wahrscheinlich nicht unlieb, daß es so gekommen, da sie sich von seiner strengen Mannszucht bereits überzeugt hatten, und unter dem Schutz des ritterlichen Franzosen Leben, Eigentum und Verkehr gesicherter glauben durften, als unter den Launen und Erpressungen irgend eines emporgekommenen Eingeborenen. Überdies fühlten sie, daß er allein der Mann war, sie gegen die so rasch hereingebrochene Gefahr an den wilden Grenzen zu schützen.

Der Empfang des Grafen war daher sehr freundlich, und alle drängten sich um ihn, ihn mit Komplimenten über seinen raschen und so wenig Blut kostenden Sieg zu überschütten und ihm jede Unterstützung zuzusagen.

»Aber was ist geschehen, welche Nachrichten haben Sie denn?« fragte der Graf. »Wenn Don Carboyal gekommen ist, uns eine offene Kriegserklärung des Señor Gobernador zu überbringen, so wird er mich bereit finden, sie entgegen zu nehmen.«

Der Ayudante des Gouverneurs nahm den Brief aus der Hand eines der Anwesenden und überreichte ihn mit einer Verbeugung dem Grafen.

»Señor Don Juarez,« sagte er, »bedauert, Euer Excellenz vor seiner Abreise nach Arispe nicht mehr haben sprechen zu können, aber die Botschaft des Generals Paredos war dringend und keine Zeit zu verlieren.«

»Und wußte Monsieur Juarez denn, was diese Nacht hier geschehen ist?« fragte der Graf erstaunt.

»Er hat es heute morgen vor seiner Abreise erfahren und bedauert, daß Euer Excellenz so viel Mühe gehabt haben. Ich war bereits beauftragt, dem Kommandanten des Forts den Befehl zur sofortigen Übergabe desselben an Ihre Kompagnie zu überbringen.«

Der Franzose empfand wohl den versteckten Hohn, der in den Worten lag, aber er war zu ehrlich, um die Falschheit und Hinterlist des mexikanischen Charakters sogleich zu begreifen.

»Don Juarez,« fuhr der Teniente fort, »erhielt um Mitternacht einen Eilboten des General-Gouverneurs aus Arispe, welcher die Aufforderung brachte, sofort mit aller disponiblen Macht nach Tepache aufzubrechen, um die Pässe der Sierra Espuelas gegen die Indianer zu verteidigen. Sie sind in großer Anzahl in das östliche Gebiet eingedrungen und haben Casas Grande und das Presidio von Yanos überfallen und der Erde gleich gemacht, indem sie alle Bewohner töteten.«

»Aber Sie sind unzweifelhaft nicht nur deshalb hierher gekommen, um uns dieses Unglück zu melden, Señor Teniente,« sagte der Graf. »Haben Sie eine Botschaft an mich?«

Der junge Mexikaner wies auf den Brief.

»Er scheint wenigstens nicht bloß für mich bestimmt,« sagte der Graf, darauf anspielend, daß der Brief bereits geöffnet war. »Lassen Sie uns denn sehen, was Don Juarez von uns will.«

Er las den Brief, ein Lächeln überflog dabei sein Gesicht.

Die Depesche war in den höflichsten Worten abgefaßt und an die versammelte Yunta der Hacienderos und Kaufleute gerichtet. Sie enthielt die Benachrichtigung von dem Einfall der Indianer, und die Bitte, dem General der Föderation, Don Raousset Boulbon auf das Schleunigste alle Mittel zu gewähren, damit er mit seiner Schar so bald wie möglich nach dem Osten aufbrechen könne, um die Forts oder Presidios an der Grenze zu verstärken und die Indianer zurückzutreiben. Der Brief erklärte ferner die Bereitwilligkeit, der Expedition jede gewünschte Sicherheit in Guaymas zu geben und alle Bedingungen des Vertrages seitens der Regierung später zu erfüllen, wenn sie auch augenblicklich bei der obwaltenden Gefahr außer stande sei, Vorschüsse an Geld und Kriegsbedürfnissen zu machen, und appellierte deshalb an den Patriotismus und das eigene Interesse der Hacienderos und Kaufleute. Schließlich war der Plan ausgesprochen, die Expedition möge den Teil der Grenze von Hermita bis zum Maya verteidigen und sich in die dortigen Forts verteilen, während die Truppen der Regierung die nördliche Grenze bis zum Rio Gila besetzen würden.

»Darf ich Sie bitten, Monsieur de Kleist,« sagte der Graf, »sich von Bonifaz meine Karte der Sonora geben zu lassen und die Offiziere der Expedition hieher zu bescheiden!«

Während der Offizier dem Befehle Folge leistete, besprach sich der Graf mit den Versammelten.

»Ich habe mich vor allen Dingen verpflichtet, Ihr Eigentum zu schützen,« sagte er. »Ich bitte Sie daher, mir zu sagen, welchen Sie für den gefährdetsten und exponiertesten Punkt halten, gleichviel, ob er in dem Gebiet liegt, das Señor Juarez so gütig gewesen ist, mir anzuweisen, oder nicht.«

»Soviel ich weiß,« meinte Master Walker, der Kaufmann, dessen Lager man am Abend vorher in Brand zu stecken versucht hatte, »wird es die Hacienda del Cerro sein.«

Die meisten stimmten bei.

»Wenn ich nicht irre, Señor Don Estevan,« fragte der Graf, »so ist dies Ihre Besitzung?«

»So ist es, Señor Conde. Ich wollte nicht selbst darauf aufmerksam machen, aber es ist unzweifelhaft, daß die Indianer sie angreifen werden, da sie den Paß deckt, der von San Miguel durch Sierra nach San Augustin in der Ebene führt, schon zweimal hat sie einem Angriff der Indianer Widerstand geleistet, und, bei San Jago, meinem Schutzpatron! sie wird es auch zum drittenmal thun, wenn es noch Zeit ist; denn in einer Stunde will ich dahin unterwegs sein, um meine Vaqueros und meine Jäger zu verstärken.«

»Nicht ohne mich, Señor Senator.« Der Offizier hatte die Karte gebracht, der Graf beugte sich über sie und suchte den Punkt nach den Angaben der Hacienderos, die sich schwerlich selbst auf einer Karte ihres Landes zurecht gefunden hätten. » Ventre saint-gris! das läge ja gerade in der Mitte unserer Stellung, und es ließe sich kein besseres Hauptquartier für unsere Operationen finden, Señor Don Esteban, wenn Sie uns aufnehmen wollen.«

Die Offiziere kamen hastig einer nach dem anderen.

»Mein Haus ist zu Ihren Diensten,« sagte der Senator höflich und sichtlich erfreut über diesen Entschluß. »Erlauben Sie, daß ich meine Vorbereitungen zur Abreise treffe!«

»Einen Augenblick noch, Señor; wir haben noch einiges zu besprechen, und ich bin ein zu alter Soldat, um nicht zu wissen, daß übertriebene Eile nur schadet. Wann gedenkt Ihr, Señores, meine Leute mit Pferden versehen zu können?«

»Nicht vor zwei Tagen,« sagte ein alter Haciendero. »Wir müssen sie aus dem nächsten Corral holen, und der ist zwölf Leguas entfernt.«

»Dann muß aufbrechen, was einstweilen beritten zu machen ist. Monsieur de Morawski!«

»Hier, Pan!«

»Lassen Sie sofort Ihre Leute, die bereits dienstfähig sind, satteln. In einer Stunde müssen sie auf der Piazza stehen. Wie viel Pferde können Sie erübrigen, Señor Senator?«

»Nicht mehr als sechs, Señor Conde, meine Tochter mit ihren Dienerinnen braucht allein ein halbes Dutzend.«

»Wie, Señor? Sie wollten die Señorita der Gefahr aussetzen, sie mit nach der Hacienda zu nehmen, statt sie hier in Sicherheit zu lassen?«

»Ich sehe, Sie kennen Dolores noch wenig,« sagte der Senator lächelnd, sie würde um keinen Preis hier zurück bleiben. Überdies,« fügte er flüsternd hinzu, »wird sie in unserer Gesellschaft sicherer sein, als hier allein – wir wissen nicht, was Don Juarez im Schilde führt.«

Der Graf bedachte sich einen Augenblick, dann gab er ein Zeichen der Zustimmung.

»Meister Kreuzträger!«

Der Spurfinder ließ aufhorchend den Kolben seiner Büchse auf den Boden fallen.

»Ich darf einen Mann wie Sie nicht fragen,« fuhr der Graf fort, »ob Sie ein tüchtiger Reiter sind. In diesem Lande scheint jeder Mann im Sattel geboren zu sein.«

Der Wegweiser lächelte. »Sie wissen, Monsieur, daß ich kein geborener Mexikaner bin. Aber obschon ich mich lieber auf meine Füße verlasse, habe ich doch zu oft meine Beine über den Rücken eines Pferdes geschlagen, um nicht einen tüchtigen Ritt zu machen, wenn die Sache Eile hat. Und ich muß gestehen, es drängt mich, wieder einige Worte mit diesen roten Schurken zu sprechen!«

»Dann machen Sie sich bereit, uns mit Ihren Gefährten zu begleiten. Ich weiß, daß Sie der Mann sind, die besten Dienste zu leisten, Kapitän Perez, sorgen Sie für die Ausrüstung der Leute und dafür, daß Sie in zwei Tagen uns mit dem Rest folgen können. Monsieur Weidmann, ich hoffe, daß kein Glas Meskal an Ihre Lippen kommt, bis Ihre Geschütze unterwegs sind. Señor Teniente, sagen Sie dem Gouverneur, daß meine Kompagnie in fünf Tagen den Indianern gegenüber stehen wird.«

Der Mexikaner verbeugte sich kalt. »Verzeihen Sie,« sagte er, »ich habe von Sr. Excellenz den Befehl, Sie zu begleiten, um Ihnen als Führer zu dienen und in den Presidios Eingang zu verschaffen, wo man nicht weiß, welcher wichtige Beistand ihnen zu teil werden soll.«

Der Graf biß sich auf die Lippe – er begriff, daß der schlaue Mexikaner selbst bei seinem Rückzug alle Vorsichtsmaßregeln zu seiner Beobachtung getroffen. Eine kurze Überlegung zeigte ihm jedoch, daß er den Offizier der Regierungstruppen nicht zurückweisen durfte.

Es wurden jetzt rasch noch alle übrigen Anordnungen getroffen, um den Aufbruch der Schar zu beschleunigen. Die Mexikaner wußten jeder, daß die höchste Eile notwendig war, wenn sie den Indianern noch zuvorkommen wollten, und der Senator von allen beschleunigte mit fieberhafter Eile die Anstalten, denn ein großer Teil seines Vermögens stand in der befestigten Hacienda del Cerro auf dem Spiel, die nicht allein gegen die Einfälle der Apachen als Fort diente, sondern ihn selbst schon mehrmals in Stand gesetzt hatte, bei den politischen Intriguen und Parteikämpfen sich in ihren Schutz zurückzuziehen und der Regierung Trotz zu bieten. Der Graf wiederholte seine Anordnung, daß Perez zurückbleiben und die Kriegsbedürfnisse und den Rest der Expedition ihnen nachführen sollte, sobald die nötigen Pferde angekommen, während zwei andere Abteilungen sich bereits im Lauf des Tages zu Fuß auf den Weg machen sollten, um so weit wie möglich vorauszugelangen. Der ehemalige Capataz und jetzige Kommandant des Forts erhielt nochmals seine strengen Instruktionen, und der Graf erinnerte sich hierbei des Auftrages, den er dem jungen Preußen gegeben, und befahl seine sofortige Ausführung. Die Hacienderos bestiegen ihre Pferde und jagten davon, um ihre Leute zu bewaffnen und die versprochenen Rosse zu liefern, und die Kaufleute beeiferten sich, die anderen Bedürfnisse der Expedition herbei zu schaffen.

Auf den Wunsch des Grafen hatte sich der Senator bereits mit seiner Tochter und seiner Dienerschaft, begleitet von dem Polen Morawski und Kreuzträger auf den Weg gemacht, um noch in den kühleren Morgenstunden eine möglichst große Strecke zurück zu legen.

Er hatte bei dieser Anordnung außerdem noch einen wichtigeren Grund. Er wollte Suzanne überreden, wenigstens bis zu dem letzten Transport der Expedition zu verweilen und unter dem Schutz ihres alten Freundes und des jungen preußischen Offiziers nachzukommen. Dies hätte er unmöglich unter den Augen seiner stolzen Braut unbemerkt thun können, und es gehörte in der That die Anwendung seiner ganzen Gewalt über ihre Hingebung und Liebe dazu, um sie seinem Verlangen gefügig zu machen.

So war es bereits spät am Vormittag, als er endlich mit den nötigsten Einrichtungen fertig war und die Pferde vorzuführen befahl. Don Carboyal harrte bereits an der Thür und Leutnant von Kleist beabsichtigte, ihnen bis San José das Geleit zu geben. Die halbe Bevölkerung von San Fernando und alle noch zurückbleibenden Abenteurer hatten sich vor dem Hause des Senators versammelt, um dem General enthusiastisch Lebewohl zu sagen; auch der deutsche Arzt befand sich unter den Anwesenden, um dem ungehorsamen Patienten wenigstens noch einige heilsame Ermahnungen auf den Weg zu geben.

Unter dem Viva-Geschrei der Menge erschien der Graf auf der Schwelle des Hauses. Er sah etwas bleich aus von dem Blutverlust und den Anstrengungen der Nacht, aber sein dunkles Auge flog mit der gewohnten Schärfe über die Menge hin und mit stolzem befriedigtem Lächeln dankte er für ihre Grüße und für die Blumen, die man ihm zuwarf.

Auch der Enthusiasmus der wilden Schar, über deren Leben und Tod er nach ihrem Vertrag zu gebieten hatte, hatte durch die raschen Erfolge und die Demütigung des Gouverneurs, sowie durch die Aussicht auf Abenteuer und Reichtum ihren Höhepunkt erreicht; denn der Graf, schon um sich ihrer besseren Manneszucht in Guaymas zu versichern, hatte nicht verfehlt, unter ihnen verbreiten zu lassen, daß der Kampf mit den Indianern und ihre Zurücktreibung in das Innere der Prairien die Bahnung des Weges zu den geheimnisvollen Gegenden wäre, wo der Schatz der Ynkas verborgen sein sollte, und daß sofort nach der Besiegung der Wilden ihr Marsch in die Wüste angetreten werden würde.

Mit von Thränen geröteten Augen, doch gefaßter als der Graf zu hoffen gewagt, folgte Suzanne und der Mayordomo ihm bis auf die Veranda, von der aus man einen Blick über die Hafenstadt und die Reede hatte. Bis zu der steinernen Schwelle hatten die Diener den schwarzen Hengst geführt, das hinterlistige Geschenk des Gouverneurs, das erste Zeichen seiner Niederlage. Die Frauen und Mädchen aus dem Volke hatten den Zaum und die Mähne des Tiers mit Granatblüten geschmückt und das ungeberdige Pferd bewies durch sein Schlagen und Beißen die alte Natur, bis es bei einem Seitensprung seinen Herrn und Meister erblickte und sofort wie ein Lamm stillstand. In diesem Augenblick donnerten, auf den Wink des neuen Capataz, den die zarte Aufmerksamkeit seines ehemaligen Kollegen, des neuen Kommandanten, besonders dazu angestellt hatte, die Kanonen des Forts, und an den Gaffeln der Korvette und der beiden Transportschiffe im Hafen entfaltete sich die weiße Flagge mit den Lilien Frankreichs.

Dann dröhnte gleich einem Echo von der Reede herüber ein einzelner Kanonenschuß.

Die Augen des Grafen und aller Umstehenden wandten sich nach jener Richtung; von der Seite der englischen Brigg, die dort vor Anker gelegen und an deren Bord Lord Drysdale und sein Diener sich wieder eingeschifft, quoll der weiße Rauch des Signalschusses empor. Dann bedeckten sich die Raen und Masten mit einer Wolke von Segeln, die der Wind schwellte, der zierliche Bau der Brigg begann sich zu bewegen, und das Schiff verließ seinen Ankerplatz, sein Bugsprit nach Kap Horn gewendet.

Es konnte kein Zweifel darüber sein: die »Najade« segelte nach Californien ab.

Diese Thatsache war so augenscheinlich, daß selbst Suzanne begriff und einen dankbaren Blick dafür zum Himmel empor hob.

Auch dem Grafen war es, als würde eine Last von seiner Brust genommen, denn nur gezwungen durch sein Wort hatte er dem unglücklichen Manne Gerechtigkeit verweigert. Sein Auge flog jetzt stolz und siegesgewiß über die Menge, und indem er den Torero herbeiwinkte, faßte er den Zügel des Renners.

»Kapitän Perez,« sagte er, »da Lord Drysdale dort drüben davon segelt, können Sie den Schurken Hawthorn aus seiner Haft entlassen, und es ihm anheim stellen, ob er Ihnen folgen oder sein schuftiges Gesicht uns aus den Augen tragen will. A Dios! Señores und Señoritas – auf ein fröhliches Wiedersehen!«

Er hob den Fuß, um ihn in den Steigbügel zu setzen –

In diesem Augenblick geschah etwas Seltsames – Furchtbares – – –



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