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In die Wüste!

Ebnel Isaschar, oder nach seinem Priesternamen Usi-Johannes, der Abuna von Habesch, saß in seinem priesterlichen Gewand auf einer steinernen Bank in einem kapellenartigen, nur von einer Lampe erleuchteten grottenartigen Raum hinter der Krypte der alten Felsenkirche und vor ihm stand einer der Komosars oder Weltpriester und ein Knabe.

Das Auge des Abuna blickte finster vor sich nieder. »Es ist Unheil, daß dieser Brief in die Hände des Königs gefallen ist,« sagte er. »Es nutzt jetzt nicht, daß wir den Rat an den Konsul der Inglese wiederholen, denn wenn wir dem Negus auch ausreden mögen, daß der Brief nicht von mir und ein Schelmenstück dieser schlauen Frankenpriester sei, so ist er doch mißtrauisch geworden und wird morgen selbst gegen den Ras ziehen. Ich möchte wissen, wie jene Männer in den Besitz des Briefes gekommen sind?«

»Der Abba Joseph, den du sandtest,« sagte der Priester, »und dem du so viel Vertrauen geschenkt, muß ein Verräter sein, wenn er nicht erschlagen oder gefangen ist, denn er ist nirgends bis jetzt zu finden. Er hat sich von dem Golde der Franken blenden lassen oder ist ein heimlicher Anhänger des Priesters in Rom. – Du mußt leugnen, den Brief geschrieben zu haben.«

»Das wird nicht schwer sein, da du so klug gewesen bist, ihn mit deinem Gewand zu bedecken und an dich zu nehmen, als er der Hand des Negus entfiel, als ihm die heilige Mariam zur Strafe seine Glieder erlahmen machte, da er die Hand gegen den Gesalbten des Patriarchen erhob.«

»Dennoch, ehrwürdiger Abuna, wäre es zu spät gewesen und der Todesstreich gefallen, wenn jenes Mädchen, die mit den Frankenkriegern gekommen ist, sich nicht zwischen dich und das Eisen der Streitaxt geworfen hätte.«

»Du erinnerst mich in der Tat nicht zur Unzeit daran, daß ich ihr Dank schulde. Sie soll nicht die Beute dieses bösen Mannes werden, für den seine Zeit kommen wird. Wiederhole die Worte, Knabe, die du gehört hast im Zelt des Negus, wo die Königin Tamena dich unter den Kissen versteckt hatte, damit du seine Reden belauschest.«

Der Knabe wiederholte, was er von der Unterredung des Negus mit dem falschen Labrosse in seinem Versteck verstanden hatte. Obschon dies sehr lückenhaft und in manchen Beziehungen für den Abuna wenig verständlich war, ging doch so viel daraus hervor, daß der englische Lord bei seinem Zug durch die Wüste angegriffen und die junge Dame durch Hilfe des französischen Kaufmanns noch in derselben Nacht entführt werden sollte, um in den Harem des Negus gebracht zu werden.

»Die Königin Tamena muß es wissen,« erklärte der Abuna nach einigem Nachdenken. »Wir können die Entführung nicht mehr hindern, aber der Negus kann das Mädchen auf seinem Zug gegen den Ras nicht mit sich führen und wird sie nach Gondar senden. Vielleicht, daß wir ihn dadurch mit den Franken wieder verfeinden. Die List muß uns helfen, da die Gewalt auf seiner Seite ist. Was den Engländer betrifft, so soll er gewarnt werden, Arkiko zu verlassen; er möge sich nach Massauah in den Schutz seiner Freunde begeben. Du, Eleazar, sende sofort einen Boten an den Ras und lasse ihn wissen, was der Negus gegen ihn beabsichtigt, damit er sich in die Schluchten seiner Berge flüchte und unserem gemeinschaftlichen Feinde von dort schaden möge. – Knabe, ich muß deine Mutter, die Königin sprechen, noch ehe das Agape beginnt.«

Die Klänge aus den langen gewundenen Hörnern, die vom Eingang her erschollen, verkündeten, daß die Männer und Frauen des abessynischen Heeres zu dem Liebesmahl gerufen wurden, mit dessen Ankündigung der Abuna so schlau seinen weltlichen Nebenbuhler um die Rache zu bringen verstanden hatte.

Eine Stunde später herrschte in und um die Felsenkirche ein eigentümliches Gewühl. Die wilden Krieger in ihrem besten Waffenputz saßen in Kreisen um die Feuer an denen mächtige Stücke von geschlachteten Rindern und Hammeln brieten, und große Krüge mit dem berauschenden Honigwein gingen von Hand zu Hand. Andere tanzten, schwangen ihre Waffen und schossen ihre Gewehre in die Luft. Zwischen den Reihen und Gruppen aber gingen die Komosars und Abbas, welche das Heer begleitet hatten, umher, sangen geistliche Lieder und segneten das Mahl.

Immer wilder und bacchanalmäßiger wurde die Szene – der süßsäuerliche, rasch berauschende Tetsch wirkte und das Mahl wurde zur Orgie.

Da das Zelt des Negus den Haupteingang zur Felsenkirche versperrte und an diesem die Mohrensklaven Wache hielten, drängte sich die Menge zu den beiden Seitenpforten, um ins Innere zu gelangen oder wenigstens einen Blick da hinein zu werfen, wo der Negus mit seinen Offizieren und Vertrauten das Mahl hielt. Große Matten und Teppiche waren auf dem Steinboden ausgebreitet, Wachsfackeln rings an den Wänden erhellten die widrige Szene, und die Frauen schleppten die rohen Speisen und die Krüge mit den Getränken herbei. Neben dem Negus, der auf Kissen vor dem Emporium des entweihten Gotteshauses saß, seinen Löwen zur Seite, hatte man ähnliche Sitze für die französischen Offiziere bereitet, die sich bei der Szene ziemlich unbehaglich zu fühlen schienen.

»Kapitän Ducasse hat recht gehabt, uns zu warnen,« sagte Boulbon zu seinem Freunde. »Ich wünschte, wir wären mit heiler Haut davon. Dieses viehische Verschlingen der Fleischmassen und Trinken widert an und der Rauch, den die Räucherfässer dieser Priester verbreiten, verdichtet die Luft, daß man kaum zu atmen vermag. Ich habe von den wahnsinnigen Festen der singenden und heulenden türkischen Derwische gehört, aber was man hier von einem sogenannten christlichen Volke sieht, ist schlimmer als das. – Wir wollen Cadett Pierre rufen, der dort drüben sich von zwei braunen Schönen füttern läßt, und ihn bitten, seine Matrosen zusammenzuholen, damit wir uns entfernen können.«

»Das wird schwer halten, denn die Burschen sind überall zwischen den grölenden Halunken zerstreut und ich wundere mich nur, daß es noch zu keinen Händeln gekommen ist. Aber man hat mir gesagt, daß das beste Schauspiel noch kommt, und ich denke, das wollen wir doch abwarten.«

Die Geduld der Europäer sollte auch nicht mehr lange auf die Probe gestellt werden. Die Priester hatten sich um das Sanctuarium versammelt, vor dem der Abuna kniete, und stimmten einen gemeinschaftlichen Gesang an, der von dem Klang der grellen Instrumente begleitet war.

Dann öffnete sich plötzlich der von Teppichen gebildete Vorhang über dem morgenländischen Altar und in dem dunklen Raum erschien wie lichtumflossen ein Bild, eine hohe Engelgestalt in weißem wallenden Gewande mit goldenen Flügeln, die Hand mit dem Palmenzweig ausgestreckt gegen die vor ihr kniende Jungfrau, der zur Seite zwei Engel mit ähnlichen Palmen standen.

Das Haupt der Jungfrau, die in ein blaues Gewand gehüllt war, erschien tief in Demut gebeugt; aus dem weißen Schleier, der es zum Teil verhüllte, flossen reiche blonde Locken zur Erde nieder.

Die wüste Menge hatte sich auf die Knie geworfen, nur wie ein Hauch ging über sie hin der Name des Erzengels, dessen Kultus im Orient sowohl in den christlichen wie in mohammedanischen Kirchen hoch gefeiert wird: Gabriel! Gabriel!

» Ventre saint gris, wie mein Vater nach seinem großen Ahnherrn geschworen haben soll,« flüsterte der junge Kapitän – »diese heilige Maria hat ein Haar, das dem unserer kleinen Fürstin wenig nachgibt, und der Erzengel der Verkündigung gleicht fast unserem Reisegefährten, Lord Frederik!«

»Torheit – aber du hast recht, man kann vor diesem Weihrauchsqualm nichts genau erkennen!«

In der Tat hüllte der Rauch des Myrrhen das ganze Bild in einen Dunstkreis und ehe er verzogen, war es verschwunden und der Vorhang wieder niedergefallen.

In diesem Augenblick, gleich als sollte der übersinnliche Eindruck möglichst rasch verwischt werden, klang die Schellentrommel und die Schar der Ghawazzis eilte hinter dem christlichen Altar hervor und stellte sich im Halbkreis vor dem Negus und seinen Genossen auf.

Ein wüstes Geheul des Vergnügens begrüßte die profanen Tänzerinnen, die sogleich ihr Winden und Drehen begannen, zuerst in buntem Reigen und allerlei Touren durcheinander, dann einzeln, von dem Chor mit einem eintönigen Gesang begleitet.

Es ist merkwürdig, welchen Eindruck dieser eigentlich so wenig graziöse und einförmige Tanz der Bayaderen auf die Orientalen macht. – es liegt förmlich etwas Einschläferndes in diesen einfachen Hüftbewegungen, bei denen der Fuß kaum den Platz verläßt, und doch findet der Orientale dies schön, ja berauschend.

Die träge Sinnlichkeit, die in ihm liegt, entspricht seinem Charakter.

In den von dem Getränk berauschten Männern wurde allmählich diese Sinnlichkeit lauter und lauter, und die schlanken Almen verstanden sie anzuregen. Zulma, die schönste und gewandteste von ihnen, dieselbe, die Lord Frederik Walpole den Schibuk gereicht, sprang aus dem Kreise der Gefährtinnen und näherte sich dem Negus und den Europäern. Dann vor ihnen stehend begann sie aufs neue das Winden des schlanken Oberkörpers, das Drehen und Wenden in den Hüften, das Zurückwerfen des Hauptes, während unter den verschleierten Lidern die schwarzen Augen sehnende verlockende Blitze warfen.

Mit ihrer Vortänzerin zugleich waren die andern Almen hinuntergeeilt in das Schiff der alten Kirche, drängten sich durch die Gruppen, sammelten die Geschenke der Männer und wanden sich in ihren Armen.

Die Wachsfackeln um das Sanctuarium erloschen eine nach der andern, auch die an den Wänden und Pfeilern brannten nur noch vereinzelt und spärlich.

Zu dem Grafen Boulbon hatte sich Meister Bonifaz, der Avignote, sein alter Freund und Diener, der die Gesellschaft zu dem Mahle begleitet hatte, mit Gewalt durch die Menge gedrängt und faßte seinen Arm.

»Graf Louis, mein Kind, ich beschwöre Sie – bei dem Andenken Ihres Vaters, kommen Sie fort von hier! Ich habe Monsieur Pierre gebeten, seine Leute zu sammeln, er ist bereits draußen im Zelt!«

Der Graf erhob sich mühsam. »Du hast recht! auf, Thérouvigne! für französische Offiziere ist hier kein Platz!«

Aber der lustige Husarenleutnant hatte eben den Arm um die schlanke Taille der schönen Tänzerin gelegt und zog sie nieder auf seinen Schoß. »Unsinn, Louis – ich habe dir auch keine Moral gepredigt am Peiho auf den Dschunken der Langzöpfe!« Seine Lippen suchten und fanden die glühenden Küsse der Ghawazzi. Der Negus stieß ein brüllendes Gelächter aus und klatschte wie wahnwitzig in die Hände.

»Agape! Agape!«

Der schrille Pfiff einer Bootsmannspfeife gellte durch den Raum. Durch die Menge brachen sich die fünf Matrosen des Veloce Bahn, geführt von Raoul, dem alten Bootsmann, alles vor sich niederwerfend, das ihnen im Wege war, Männer und Frauen.

»Hierher, Franzosen!«

»Monsieur le capitain!« sagte der Alte, selbst in dem wüsten Geschrei verständlich, zu dem jungen Grafen, »wir haben Befehl, Sie gesund und heil zu den Zelten zurück zu bringen. Ist es Ihnen gefällig – Monsieur Pierre wartet auf Sie.«

Der Graf wies nur auf den Husarenoffizier – der treue Bonifaz zog ihn bereits fort.

»Angefaßt, Leute!«

Er selbst riß die Alme aus den Armen des Offiziers und warf sie zur Seite, daß sie über den unmäßig lachenden Negus und seinen Löwen fiel, der brüllend die Last von sich schüttelte. Im Nu war von zwei kräftigen Armen der widerstrebende Offizier emporgehoben und in die Mitte der Matrosen geschoben. »Vorwärts durch die betrunkenen Schufte, Männer vom Veloce, aber vermeidet die Waffen zu gebrauchen!«

Der letztere Befehl war ein überaus verständiger des alten umsichtigen Matrosen – das Erheben eines blanken Stahls hätte sie unbedingt alle zum blutigen Opfer dieser wilden Masse gemacht, während das Drängen und die Anwendung der Fäuste und Füße nur den tollen Jubel derselben vermehrte. So, durch die Wucht ihres Andrangs brach sich die kleine Schar den Weg bis zum Eingang, wo sie der Cadet erwartete, der trotz seiner Jugend Verstand genug gehabt hatte, sich nicht zu berauschen.

»Blitz und Marssegel,« sagte stöhnend der Bootsmann, »das Bergegeld wäre endlich verdient. Die schwarzen Kerle haben Schädel wie eine Eichenplanke, sonst hätte der Knuff, den ich dem einen Kerl versetzt, ihm die Hirnschale zu Brei schlagen müssen. Aber ich muß es anerkennen, daß sie von ihrer Zahl keinen Mißbrauch gemacht haben.«

»Vorwärts, vorwärts zum Lager!« der Avignot drängte und sein Zögling hatte Einsehen genug, ihn zu unterstützen. Nur Leutnant Thérouvigne ging mürrisch und zankend zwischen den Matrosen her, von dem Kadetten unterstützt.

Als die kleine Gesellschaft der Franzosen das Lager verließ, bemerkten sie, daß vor dem Seitenzelt zur Rechten, das den Frauen des Negus zum Aufenthalt diente, einer jener Palankine von zwei Maultieren getragen stand, dessen man sich zum Transport der Weiber oder der Kranken bedient, die auf den Sätteln der Dromedare nicht Platz finden sollen.

Hinter ihnen drein verhallte der wüste wilde Lärm der Orgie, die in der entsetzlichsten Art ihren Fortgang nahm, bis die Teilnehmer trunken vom Wein und Geschrei durcheinander auf dem Boden der entweihten Kirche oder wo sie gezecht und geschmaust, in voller Erschöpfung ihrer Kräfte gleich leblosen Wesen der Natur Rechnung trugen und in den Schlaf tiefer Betäubung versanken.

Lange vorher waren die Franzosen bereits auf ihrem Lagerplatz und in den für sie eingerichteten Zelten in Schlaf gesunken, der kaum weniger schwer war, als der der wilden Krieger von Habesch. – – –

In der Krypte, in welcher wir bereits früher dem Abuna mit seinem Vertrauten begegnet sind, finden wir in der Zeit der vorgeschrittenen Nacht ihn noch einmal wieder, an der Seite der zweiten Gattin des Negus, der Königin Tamena, einer Frau von sehr energischem und herrischem Charakter und gleichfalls, wie der Abuna, einer Freundin der Engländer. Auf einer Rohrmatte ausgestreckt, von einem Baumwollentuch ganz bedeckt, lagen regungslos zwei menschliche Körper.

Die Augen der Königin funkelten von Haß und Zorn, als sie die Hand erhob und nach einer dieser Gestalten wies.

»Ich habe deinem Willen gehorcht, Abuna von Habesch,« sagte sie, »und jenes Weib, statt sie sogleich zu töten, als die Männer sie zur Zenanah brachten, in deine Hände geliefert. Warum hast du ihren Zustand benutzt zu dem Gaukelspiel der heiligen Mariam?«

»Du weißt, Königin,« sagte der Priester, »daß jede Hand, die sich jetzt gegen sie erheben würde, verdorren müßte wie das Gras unter dem giftigen Hauch des Samum. Unsere Gebräuche haben ihr Leben geheiligt, kein Habesch würde es wagen, das Leben derer anzutasten, welche das Bild der heiligen Mariam gewesen. Sie hat mein Leben gegen den Zorn des Negus verteidigt, und ich schütze das ihre.«

»Aber was soll mit ihr geschehen? Du weißt, daß der König Theodor befohlen hat, sie noch diese Nacht auf den Weg nach Gondar zu senden, während er selbst gegen den Ras von Tigre zieht und du kennst seinen Zorn, wenn seinem Willen nicht Gehorsam geleistet wird. Er ist schlimmer als sein Löwe Abraham.«

Der Abuna lächelte grimmig. »Das Tier der Wüste wird, ehe die Sonne zum zweitenmal sinkt, kein Werkzeug seines Zornes mehr sein. – Wie du sagst, der Befehl des Negus selbst an seine schwarzen Eunuchen, die Fremde nach Gondar zu bringen, gibt dir das Mittel, dich von einer Nebenbuhlerin zu befreien und seinen Willen zu kreuzen.«

»Aber wie?«

»Ein anderes Weib muß ihre Stelle in dem Palankin einnehmen.«

»Aber welche? Jede meiner Sklavinnen ist den Wächtern bekannt und man würde sie vermissen, wenn wir aufbrechen.«

»Der Himmel hat uns die Weiber aus Ägypten gesandt. Wir werden die Ghawazzi wählen, welche die Augen des Negus diese Nacht bestrickt hat. Sie wird mit Freuden ihre Gefährtinnen verlassen, um in der Zenanah eines Königs zu wohnen. Das alte Weib, das sie hierher gebracht, wird dafür sorgen, daß man sie beredet. Ist sie erst auf dem Weg, so ist keine Entdeckung mehr zu besorgen. Der Negus hat, wie du selbst sagst, nur befohlen, das fremde Weib zu entführen.«

Die Königin schüttelte triumphierend das Haupt. »Es sei so wie du sagst, Abuna, deine Worte sind klug und weise. Was kümmert es uns, ob er eine Ägypterin in seinem Grimme erschlägt! – Ich gehe sogleich, das nötige zu bereiten, sende das Mädchen heimlich in mein Zelt. – Aber nochmals, was wirst du mit diesem Frankenweibe machen, dessen Leben du nun einmal bewahren willst? Sie darf dem Negus nicht mehr vor Augen kommen.«

»Auch ihrem Feinde nicht in dem Lager der Franken, der sie dem Negus ausgeliefert. Sie muß verschwinden aus der Nähe ihrer jetzigen Freunde. – Ich habe einen Plan!«

»So sag ihn mir!«

»Er mag dich wenig kümmern, wenn du meinen Rat erfüllt hast, Königin, aber er wird dir und mir zum Vorteil gereichen, denn er wird uns die Dankbarkeit und den Schutz der Inglese sichern, und ihre Hand reicht weit. Sende mir eines deiner Gewänder hierher und einen Schleier. – Wenn der Negus aufgebrochen ist zu seinem Zuge gegen Kassa, wirst du mich bei dir sehen.«

Die Königin hatte sich erhoben. »Halte dein Wort, Ebn Johannes,« sagte sie, »oder fürchte die Rache eines betrogenen Weibes!«

»Törin! wir sind Verbündete durch unseren eigenen Vorteil.« Er machte das Zeichen des koptischen Kreuzes gegen sie, vor dem sie das Haupt beugte. Dann ging sie, noch einen Blick des Hasses und der Eifersucht zurückwerfend auf den noch immer in tiefe Lethargie versenkten Körper der Frau.

Der Abuna klatschte in die Hände und alsogleich erschien sein Vertrauter.

»Lasse sogleich den Faringi, den die tollen Weiber aus Ägypten mit dem Rauch des Opiums betäubt und zu der Person des Engel Gabriel mißbraucht haben, statt des Abbas, den ich dazu bestimmt hatte, – durch den unterirdischen Gang zurück an den Ort tragen, wo er ihnen begegnet ist. Seine Kleider sollen ihm sofort angelegt werden – er wird erst nach vielen Stunden erwachen. Er ist dort sicher und wir wollen später seinen Freunden einen Wink geben, wo sie ihn zu suchen haben. Ich schreibe einen Brief, der ihn von der Gefahr, die ihm droht, benachrichtigt, und ihm die Mittel in die Hand gibt, sich und diese Frau zu retten.«

»Was soll mit dieser geschehen?«

»Dasselbe, wie mit dem Inglese, der ein vornehmer Mann ist in seinem Lande. Der Konsul Munzinger selbst hat es mir gesagt, ehe er mit dem Negus in Streit kam. Die Königin wird sogleich ihre eigenen Gewänder für sie senden. – Schicke die Mutter der Ghawazzis zu mir und komm dann den Brief zu holen, den ich schreiben werde.«

Der Priester entfernte sich eilig, um den nötigen Beistand zu holen, der Abuna aber stieg die Stufen hinauf, die aus der Krypte zu dem Raum hinter dem Sanctuarium der Kirche führten. – – – – – – –

Wir haben die um ihn besorgten Freunde des Lords verlassen, als sie vor der Ruine der alten Christenkapelle auf den Ruf Adlerblicks zu diesem eilten.

Es war zu Beginn der ersten Dämmerung, als die Gesellschaft des Gelehrten jene Stelle erreicht hatte.

Zu den Füßen des Jägers und des Falascha lag der regungslose Körper eines Weibes in einem einfachen Nachtgewand.

» Diantre, Freunde, ich werde die Ärmste doch nicht erschossen haben statt der Bestie?! Aber nein, da liegt die, auf welche ich zielte, im Todeszappeln und die Tiere haben noch nicht einmal Zeit gehabt, ihre Beute zu zerfleischen, denn ich sehe kein Blut an der Leiche.«

Der Arzt und der kleine Professor waren herangekommen und es bedurfte für ihn nur eines Blickes, um die Tote zu erkennen. »Großer Gott, – ein neues Unglück! – Das ist Tank-ki, das arme Mädchen, die chinesische Dienerin der Fürstin! – Wie kommt die Ärmste aus dem Zelt hierher? – Diese abscheulichen Tiere, die hyaenae striatae, wohl zu unterscheiden von der hyaena maculata, dem sogenannten Tigerwolf des Kap, müssen sie geraubt und hierher geschleppt haben. Gott gebe nur, daß ihrer schönen Gebieterin, nicht ein gleiches Unheil passiert ist. Ich muß doch gleich, – sowie wir über meinen edlen Zögling Gewißheit haben, danach sehen.«

Doktor Walding hatte sich auf den Körper niedergebeugt und die Hand auf den Busen des Mädchens gelegt. – »Halt, Freunde,« sagte er, – »keine Übereilung! – Dieser Körper ist warm, das Mädchen ist nicht tot, ich fühle den Schlag seines Herzens. – Helft mir den Körper an diese Steine lehnen, damit ich besser Hilfe leisten kann.«

Der Trapper Ralph hob sie auf und lehnte sie gegen die Quader.

»Diese Erstarrung kann unmöglich von der Kälte der Nacht kommen, denn sie war überaus mild. Sie ist unnatürlich und ich fürchte ein Verbrechen! Lassen sie mich sehen!« – Er hob eines der Augenlider, das Auge blickte matt, aber durchaus nicht mit jener furchtbaren Starrheit des Todes. Doktor Walding schüttelte den Kopf. »Hier muß eines jener Betäubungsmittel angewendet worden sein, welche noch tiefere Wirkung haben, als das Opium. Auch der gewöhnliche Äther ist es nicht. – Treten Sie einen Augenblick zurück, Freunde, damit ich näher prüfen kann.«

Die Männer traten bescheiden einige Schritte abseits. Der Arzt öffnete das Gewand des Mädchens über der Brust und näherte das Gesicht dem entblößten Körper. Er blieb einige Augenblicke darüber gebeugt, gleich als wolle er die Atmosphäre des Körpers einsaugen. Dann schob er das Gewand wieder zusammen und richtete sich auf.

»Es ist kein gewöhnliches! Narkotikum,« sagte er zu dem Professor. »Sie verstehen genug von Medizin, Freund, um beurteilen zu können, daß ein solches nur innerlich angewendet werden kann. Ich dachte erst an Morphin – aber ich bin überzeugt, daß eine äußerliche Einwirkung auf die Geruchsorgane stattgefunden hat, und zwar …«

»Man hat wichtige Entdeckungen mit dem Chloroform gemacht, seit Sie Europa verlassen, Freund,« unterbrach ihn der Professor.

»Sie sind mir nicht unbekannt – nein, das ist es nicht! – Es ist,« und er wechselte die Sprache und sagte das Nächste lateinisch: »es ist die Auflösung eines nur in Indien bekannten Harzes, dessen Wirkungen ich dort wiederholt beobachtet habe, und ich erkenne es aus dem Geruch der Transpiration.«

»Aber was ist da zu tun – haben Sie nicht ein belebendes Mittel bei sich? In meinem Gepäck habe ich allerdings Salmiakspiritus, aber es ist etwas weit bis zu dem Schiff.«

»Ich führe ihn selbst hier bei mir – aber er hat keinen Nutzen. Die Wirkung hört nur nach einer bestimmten Zeit auf.«

»Aber was ist da zu tun? Wir wollen das arme Mädchen nach dem Lager unserer französischen Freunde bringen lassen, indes wir unsere Nachforschung fortsetzen.«

»Nein!« sagte der Arzt mit einer den Professor überraschenden Energie. »Sie darf nicht dahin zurück. – Es ist nur nötig, daß wir sie an einen ruhigen, nicht von den Sonnenstrahlen getroffenen Ort bringen, weil sonst leicht eine dauernde geistige Störung daraus entstehen kann, selbst bis zum Wahnsinn. Diese Trümmer bieten hoffentlich einen solchen Platz. – Wollen Sie Freund,« er wandte sich zu dem Trapper Adlerblick, »wohl die Ruine untersuchen, ob ein genügender Raum darin vorhanden ist, diese Kranke unter Bewachung einige Stunden darin ruhen zu lassen?«

»Sogleich Doktor! – Hast du die Schwefelfäden, Kamerad?«

Der frühere Bärenjäger holte aus seiner Tasche ein Päckchen Schwefelfäden, aber der Professor kam ihm zuvor. »Wenn Sie Licht brauchen, und es ist in der Tat noch etwas dämmrig, sonst hätte ich dieses merkwürdige Gebäude bereits näher untersucht, das wahrscheinlich aus den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung stammt …«

Der Trapper nahm ihm, ohne das Ende der Erklärung abzuwarten, das Feuerzeug aus der Hand, das er glücklicherweise bereits hervorgezogen, und trat in das verfallene Portal, wo er die kleine Wachskerze, die er in dem Etui gefunden, anzündete. Dann ging er vorsichtig weiter.

Eben wollte der Professor seine Auseinandersetzungen über den Baustil der axumitischen Epoche wieder beginnen, als ein Ausruf Adlerblicks ihn unterbrach und man den Trapper mit dem Licht, das er mit der freien Hand anscheinend gegen einen Luftzug aus dem Innern schützte, sich tief auf den Boden bücken sah.

»Kamerad – komm einmal hierher. Hier im Staub ist die deutliche Fußspur eines europäischen Stiefels.«

Der Bärenjäger war sogleich bei ihm: » Caramba – du hast recht und scharfe Augen. Laß mich die Spur messen!«

»Es ist unnütz,« sagte der Jäger – »ich bin meiner Sache so sicher, als unser alter Kamerad Joacquin Alamos, der Pfadfinder, nur sein könnte! – Der Henker hole sein Andenken, daß er damals dem Herrn den Weg durch das Gehege in den Garten der stummen Leute verriet, wo wir den armen Schelm aufbrachten. Nena Sahib, III, Teil. S. 292. – Es ist der Fußtritt des englischen Lords, ich habe die Spur seines Stiefels oft genug auf dem nassen Verdeck gesehen.«

»Dann vorwärts, Mann – er muß hier hinabgestiegen sein.«

Adlerblick leuchtete in die Tiefe. »Richtig – es fehlen einige Stufen – und dort – par Dieu! – wir sind auf der rechten Spur, da steht eine Flinte!«

Er war mit einem Sprung hinunter und an der Felsenwand, an die der Viscount, als er hinabstieg sein Gewehr gelehnt hatte.

»Hurra! jetzt wissen wir, wo er zu suchen ist und wollen ihn finden, tot oder lebendig! – Sag es dem Knochensucher, daß wir die Spur haben.«

Die Rufe der beiden Trapper hatten ohnehin schon die drei bei dem Körper des bewußtlosen Mädchens Zurückgebliebenen in den Eingang der Ruine geführt. Der kleine Professor gab sich ganz aufgeregt. »Bei allen Mirakula der Weltgeschichte, was redet ihr da, würdige Venatores? eine Spur von meinem Zögling und Freunde Lord Frederik? Eheu – wehe mir – er wird in einen Abgrund gestürzt sein!« und er wollte vorwärts in das Gewölbe.

»Ruhig, ruhig, Mann,« sagte der Bärenjäger. »Bleibt wo Ihr seid, damit Ihr hier unten nicht tüchtig auf die Nase fallt, wozu alle Gelegenheit vorhanden ist. – Hier geht die alte Treppe weiter und wir werden Euch sofort benachrichtigen, wenn wir etwas gefunden haben.«

Der schwache Lichtschein war in der Biegung des Gewölbes verschwunden. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten alle in das Dunkel hinunter, selbst der Falascha, dem man die Bewachung des Mädchens übertragen, hatte in der Gesellschaft der beherzten Männer und bei dem Beginn des Tageslichts seine Gespensterfurcht soweit überwunden, daß er in den Eingang der Ruine trat und das Maultier nachzog.

Dann hörte man die Stimme des alten Trappers im Näherkommen. »Doktor Clifford! – hier herunter, Mann – es ist für Euch zu tun hier! – Wartet, ich will Euch leuchten, oder Euch herunter helfen!« und die riesige Gestalt des Bärenjägers tappte aus dem Dunkel die ausgebrochenen Stufen hinauf.

»Um Gotteswillen, Ralph – ist ein Unglück geschehen?«

»Das nicht – ich hoffe es nicht, – aber es ist eine seltsame Geschichte. Hört, Doktor – es wird vielleicht am besten sein, wenn wir alle hinuntersteigen und das Mädchen mitnehmen. Es ist Platz genug für sie unten, gerade wie Ihr wünschtet, und sie findet Kameradschaft. Laßt den jüdischen Kerl, der sonst ein ganz zuverlässiger Bursche zu sein scheint, das Tier im Eingang festbinden und Euch helfen, mir das Mädchen herunter zu reichen. Kommt hierher, alter Scherbensucher, daß ich Euch derweil auf festen Boden setze.«

»Aber sagt mir zunächst, Mann,« fuhr der Arzt dazwischen: »was habt Ihr gefunden, wo ist der Lord?«

»Gerade so steif und ohne Willen und Vernunft wie das arme Kind hier, und neben ihm die russische Lady, die Fürstin, die immer so freundlich mit mir altem Burschen war, in gleichem Zustand.«

Damit hob der alte Jäger den einigermaßen sich sträubenden Gelehrten zu sich nieder und setzte ihn in den Gang. »Nehmt Euch in acht, Mann, und schießt nicht gleich, wie eine Fledermaus, auf das Licht zu, es fehlen dort hinten wieder ein Paar Stufen. – Nun, Doktor, gebt das Mädchen her, es ist eine Kleinigkeit, sie zu tragen, obschon ich nachgerade anfange, alt zu werden.«

Er hob die Chinesin, die ihm der Arzt und der Falascha reichten, wie ein Kind in seinen kräftigen Armen empor und trug sie hinunter, den Professor bedeutend, wo er hinabklettern mußte. Doktor Walding, nachdem er dem Falascha noch den Befehl erteilt, sich am Eingang der Ruine aufzuhalten und alles, was auf den unteren Terrassen etwa vorgehen sollte, genau zu beobachten, folgte dem Trapper.

Wenige Minuten darauf waren alle in der weiten Felsgrotte versammelt, in welcher der Viscount in den ersten Stunden der Nacht das Abenteuer mit den Ghawazzis gehabt hatte.

An der Seite des längst erloschenen Feuers lag die männlich schöne Gestalt des Lords in seiner gewöhnlichen Kleidung lang ausgestreckt; den Rücken gegen den Stein gelehnt, auf welchem die alte Ägypterin gesessen und die Toilette ihrer lockeren Zöglinge besorgt hatte. Ihm zur Seite, das schöne, jetzt halb in einen orientalischen Schleier gehüllte Haupt auf seine Brust gelehnt, den Leib von einem blauen Feredschi oder Frauenmantel umschlungen, die Fürstin.

Die Augen des Engländers waren weit aufgetan, aber ohne Ausdruck, gleich als träume er mit offenen Augen. Seine Hand hielt ein Papier in Form eines großen Briefes. Dieses alles beleuchtete nicht bloß das schwache Wachslicht des Trappers, sondern auch eine dicke Wachsfackel, die in der Nähe des Steins von unbekannter Hand an der Wand befestigt war.

Der Arzt trat sofort zu dem Briten, dessen Puls er prüfte. »Es ist keine Gefahr,« sagte er hastig zu dem Gelehrten, »dieser Mann, wenn das Ihr verschwundener und gesuchter Freund ist, leidet nur an den Folgen von genossenem Hadschis. Ich werde mich sogleich mit ihm beschäftigen und hoffe, ihn alsbald wieder zur Besinnung zu bringen. Jetzt lassen Sie mich nach der Frau sehen. Die Sache ist höchst geheimnisvoll und es scheint mir ein schändlicher Anschlag hinter dem Ganzen verborgen zu sein.«

»Es ist die Fürstin, es kann kein Zweifel sein!« rief der Professor die Hände ringend. »Aber wie kommt sie hierher und in diesem Zustand?«

»Unzweifelhaft durch dieselbe feindselige und schlimme Hand, die jenes arme Mädchen, ihre Dienerin, vor den Eingang dieser Ruine gelegt hat, damit sie eine Beute der Raubtiere werde.« Er untersuchte in gleicher Weise den Körper Wéras wie vorhin den der Chinesin. »Es ist dasselbe Mittel, das beide in diesen Zustand versetzt hat und ich glaube, die Hand zu kennen. Aber auffallend ist es mir, daß hierbei offenbar mehr Personen mitgewirkt haben müssen, denn es ist unmöglich für eine einzige, diese beiden Körper von der unteren Amba bis hierher zu bringen. – Freilich – man könnte sie getäuscht, und auf irgendeine Weise bewogen haben, sich hierher zu begeben. Mit dieser Dame muß man einen bestimmten Zweck verbunden haben, denn diese Kleider sind solche, wie sie die Frauen der vornehmen Abessynier zu tragen pflegen, und ich möchte fast behaupten, daß ich die Verzierung dieses Feredschi schon früher gesehen habe. Aber wie kommt der Engländer hierher und in diesem Zustand? – Die Hand, die bei den Frauen mitgewirkt, würde sein Leben sicher nicht verschont haben.« Eine böse Erinnerung schien seinen Körper erschaudern zu machen.

Die Männer schienen ratlos, und keiner wußte eine Erklärung zu geben.

Dr. Walding war der erste, der seine Tatkraft wieder zusammenraffte. »Helfen Sie mir die beiden Frauen in eine Lage bringen, in der wir ihr Erwachen abwarten müssen. Wie ich früher beobachtet, werden sie von allem, was mit ihnen geschehen, keine Silbe wissen, selbst wenn sie in diesem Zustand gleich den Nachtwandlern allerlei getan haben sollten. Dann wollen wir uns mit Ihrem jungen Freunde beschäftigen.«

Mittels der Wolldecke, in welche sich der Professor bei seiner nächtlichen Expedition gehüllt hatte, und der Taschen der beiden Trapper wurde für die beiden Frauen ein notdürftiges Lager zurecht gemacht, dann wandte der Arzt seine Sorgfalt dem jungen Engländer zu. Er empfahl den Jägern, ihm Hände und Füße zu reiben, und benetzte ihm die Schläfe mit dem starken Salmiak, den er bei sich führte.

»Wollt Ihr dies Papier an Euch nehmen, das Mylord in der Hand hält?« fragte Adlerblick den Gelehrten.

»Geben Sie her, würdiger Venator – vielleicht eine jener Papyrusrollen des Altertums, für deren Erwerbung sich mein Zögling in diese Gefahr gewagt hat. Man kann nicht wissen!«

Der Arzt lächelte. »Es scheint eine ganz gewöhnliche Schrift und ist auf dem englischen Papier geschrieben, dessen sich die Missionare zu bedienen pflegen. Lassen Sie sehen, mein Freund – es hat eine Aufschrift und könnte uns vielleicht Auskunft geben.«

Er nahm dem Professor das Papier aus der Hand und näherte es der Wachsfackel, indes die beiden Trapper eifrig ihr Belebungswerk fortfetzten.

»Hören Sie selbst, Herr! Die Aufschrift lautet:

An den Inglesi-Effendi, der mit dem Schiff der Franken gekommen ist, den Freund des Munzinger.

»Das ist seltsam – ich habe gleiche Schrift erst vor kurzem in Händen gehabt und das gleiche Papier. – Ha – jetzt weiß ich, bei welcher Gelegenheit. In der Tat, mein werter Landsmann, die Sache wird immer verwickelter. Das Papier ist nur gefaltet – ich glaube, wir begehen keine Indiskretion, es unter den obwaltenden Umständen zu lesen, denn der Inhalt könnte von Wichtigkeit sein. Sie sind der Freund dieses Herrn – Ihnen kommt es zu und ich bitte Sie darum – denn ich wiederhole Ihnen, es kann Tod und Leben davon abhängen.«

Der kleine Professor wehrte höchst erschrocken das Blatt ab. »Bewahren mich die Götter davor – ich könnte doch nicht helfen. Aber Sie, mein werter Landsmann und Schüler, ich bitte Sie, zu lesen, ja ich beschwöre Sie darum.«

»Sie übernehmen die Verantwortung?«

»Mit Freuden!«

Der Arzt schlug das Blatt auseinander und übersah es flüchtig. Ein schwerer Ernst legte sich über sein Gesicht und die Falten seiner Stirn prägten sich noch tiefer aus. »Es ist von der höchsten Bedeutung – hören Sie selbst!« und er las den Inhalt des Blattes mit halblauter Stimme vor, gleichsam als müsse er sich selbst an diesem Orte vor Lauscherohren hüten.

Die Schrift lautete:

 

»Ein Freund, der Dir und der Frau wohl will, die Du an Deiner Seite findest, wenn Du von dem Rausch des Hadschis erwachst, den törichte Weiber über Dich verbreitet, warnt Dich vor großer Gefahr. Die Frau, die sie eine Fürstin nennen, wird in die Hände des Negus fällen, wenn sie zu dem Schiffe der Franken zurückkehrt, denn ich kann sie nicht immer retten, und sie hat mächtige Feinde in diesem Land, wie Du selbst. Verweile an diesem Ort, bis die Nacht wieder auf die Erde sinkt, dann wird der Negus zurückgekehrt sein in die Gebirge, und ich werde Deine Freunde benachrichtigen, daß sie Dich holen und nach Arkiko führen. Verweile dort nicht, und nimm die Frau mit Dir. Wenn Du nach Ägypten ziehst, so wähle den Weg durch die Wüste, denn auf dem Pfade nach Chartum harren Deiner schwere Gefahren, die Eure Feinde bereiten. Zweifle nicht an diesem Rat, bei dem Gott der Christen und der heiligen Mariam, er ist von Eurem Freunde gegeben. Gott sei mit Euch. Es ist besser, dem Löwen der Wüste zu begegnen, als dem Negus Theodor. Denke daran, wenn Du in Dein Vaterland zurückkehrst und laß Dein Volk nicht geizig sein gegen die Freunde, welche die Nation der Inglese in Habesch hat.«

 

Professor Peterlein hatte mit Aufmerksamkeit der Vorlesung des Briefes zugehört und trippelte ängstlich von einem Bein auf das andere. » Me Hercule, Freund und Schüler, was sind das alles für unheilvolle Geschichten! Ich muß gestehen, ich verstehe eigentlich die Sache nicht recht und begreife nur, daß meinem sehr edlen Freund und Zögling eine große Gefahr droht!«

»Ihm und der Lady,« sagte der Arzt.

»Ich wollte wahrhaftig, ich wäre mit meinem Mammutschädel – ich habe Ihnen von diesem wichtigen Schatz noch nicht erzählt, würdiger Freund, – auf jenem französischen Schiff, das seinen Weg in einigen Tagen nach Suez nehmen soll, obschon, wie ich gestehen muß, die Gesellschaft darauf mitunter gerade nicht die angenehmste ist!«

»Wollen Sie Ihren Freund und diese junge Dame im Stich lassen? Sie haben gehört, daß beiden dort schwere Gefahr droht. Ich versichere Sie auf meine Ehre, der Mann, der diese Warnung geschrieben, hat dies nicht ohne Grund getan.«

»Kapitän Ducasse ist ein Ehrenmann,« wandte zweifelnd der Professor ein. »Auch jener junge Mann, der Kapitän Boulbon, würde sicher seine Reisegefährten in Schutz nehmen, und wenn auch sein Freund Monsieur de Thérouvigne ein etwas leichtfertiger und spottsüchtiger Mensch ist, der vor Alter und Wissenschaft nicht den gebührenden Respekt hat, so zweifle ich doch keinen Augenblick …«

Ein schwerer Seufzer unterbrach ihn. Lord Frederik hob seine Hand zur Stirn und schaute mit verstörten Blicken um sich her. »Was ist mit mir geschehen – wo bin ich?«

»Gott sei innig gepriesen, daß Sie endlich wieder zu sich gekommen sind, mein teurer Freund und Zögling,« rief hocherfreut der Professor die Hand des Erwachenden ergreifend. »Ich sollte Sie eigentlich schelten, daß Sie uns allen diese Sorge gemacht haben. Aber Jugend hat nun einmal nicht Vorsicht und Tugend, das ist ein altes Sprichwort. Wenn Sie denn« – und die Meinung des kleinen Gelehrten kam dabei zutage – »unsere liebenswürdige Fürstin und Mündel im Geheimen sprechen wollten, ehe wir gemeinsam ausbrechen nach jenen Quellen des Nil, warum wandten Sie sich nicht offen an mich und ließen mich erst vergeblich Sie hier aufsuchen? Unsere Wéra wäre dann nicht in gleiche Gefahr geraten wie Sie!«

»Wéra – Wéra Tungilbi? die Fürstin Wolkonski? was ist mit ihr?« – ich habe sie gesehen in meinem Traum – wo bin ich hier? – droht der Fürstin Gefahr?«

Er versuchte aufzuspringen, doch wirkte die Betäubung des ungewohnten Hadschis noch nach, er taumelte und wäre gefallen, wenn der Trapper Ralph ihn nicht gehalten hätte.

»Beruhigen Sie sich, Mylord,« sagte der Arzt – »Sie sind in Sicherheit und die Dame, nach der Sie fragen, gleichfalls. Hier riechen Sie an diesem Fläschchen, es wird Ihren Kopfnerven gut tun und Ihnen bald den vollen Gebrauch Ihrer Geisteskräfte zurückgeben, was – ich darf es nicht verhehlen – dringend notwendig ist!«

Der junge Pair roch an dem scharfen Salz und rieb sich die Stirn. »Ich danke Ihnen, Herr – es ist mir bereits bedeutend freier im Kopf. Aber darf ich fragen, wer Sie sind und wie Sie alle hierherkommen? Ich sehe nichts mehr von jener – ich muß es zu meiner Schande sagen – eben nicht sehr passenden Gesellschaft, in die mein Vorwitz mich geraten ließ.«

»Ich habe die Ehre, Mylord,« erklärte der Professor, »Ihnen in diesem Herrn meinen Landsmann und sogar einen meiner frühesten Schüler vorzustellen, als ich noch Dozent der Naturwissenschaften in Göttingen war, den Doktor medicinae Hermann Walding aus Thüringen, Leibarzt Sr. Majestät des Königs oder Negus Theodor von Abessynien, einen durch seinen Aufenthalt in diesem Lande äußerst qualifizierten Begleiter auf unserer projektierten Reise zu den Quellen des Nil, der sich mit Ihrer gütigen Erlaubnis anzuschließen wünscht.«

»Aber wie haben Sie mich hier gefunden? ich muß viele Stunden in bewußtlosem Zustande zugebracht haben.« Er griff nach seiner Uhr – und errötete, als. er sie nicht fand. »Ah so – ich erinnere mich und muß den Verlust auf Konto meiner Torheit verschmerzen.«

»Mylord,« sagte der Arzt – »erlauben Sie mir einige notwendige Worte. Wie mir Professor Peterlein erzählte, ließen Sie ihn durch einen Falascha gestern abend – denn der Tag ist bereits angebrochen, – aus dem Lager Ihrer französischen Reisegefährten zu dieser Ruine bescheiden.«

»So ist es – der Vorwitz und einige andere Umstände veranlaßten mich, sie unterdes zu untersuchen.«

»Als Professor Peterlein, den ich begleitete, Sie nicht fand, glaubten wir Sie nach Arkiko zurückgekehrt. Wir gingen dort hin, fanden Sie aber auch dort nicht und waren in großer Besorgnis, bis es diesen braven Männern unter sehr ernsten und geheimnisvollen Umständen gelang, Ihre Spur in das Innere dieser alten Felsenkapelle zu verfolgen. Wir trafen Sie in einem Zustand völliger Betäubung infolge des ungewohnten Genusses von Opium oder Hadschis.«

»Sie haben ganz recht, mein Herr, und ich bin gezwungen, meine Torheit oder meinen Leichtsinn einzugestehen. Ich geriet hier unten in eine Gesellschaft, wie ich glaube, ägyptischer Bayaderen oder Almen – die sich meiner Börse und Uhr bemächtigt haben – wie ich eben bemerke, hat man mir zum Glück wenigstens mein Portefeuille gelassen! – und mich mit einem Getränk, das ich töricht genug genoß, in einen Zustand gänzlicher Geistesabwesenheit gebracht haben müssen, aus dem ich mich nur seltsamer Träume und Bilder erinnern kann, bis Sie mich glücklicherweise aufgefunden haben. Wahrscheinlich wäre ich sonst erst weit später erwacht und zum Bewußtsein meiner Lage gekommen.«

»Mylord,« sagte der Arzt, – »wir haben Sie nicht allein gefunden!«

»Wie – sollten jene frechen zügellosen Weiber …«

»Nein, Sir – haben Sie die Güte, vor allem diesen Brief zu lesen.« Er reichte dem Engländer das Papier. »Wir fanden ihn in Ihrer Hand – ich glaube den Schreiber zu erraten, und muß Ihnen sagen, daß ich den Inhalt von der höchsten Wichtigkeit finde, denn wir haben es für eine Pflicht gehalten, die Indiskretion zu begehen und ihn vor Ihnen zu lesen.«

Lord Walpole nahm hastig den Brief und las ihn am Schein der dicken Wachskerze.

»Was soll das bedeuten – wer ist hier gemeint?«

Der Arzt nahm das Licht empor und leuchtete nach der Stelle, wo die beiden Mädchen lagen.

»Sehen Sie selbst!«

»Barmherziger Gott – die Fürstin! Wéra! tot!«

»Nicht tot, Mylord, nur betäubt wie Sie, aber in schlimmerer Weise und von anderer Hand. Beruhigen Sie sich, Mylord, nach dem Pulsschlag, den ich hier fühle, stehe ich Ihnen dafür, daß beide Frauen in zwei Stunden zum Leben zurückgekehrt sein werden. Bis dahin aber müssen wichtige Entschlüsse gefaßt werden und muß vieles geschehen. Wollen Sie mir erlauben, Sie von dem Geschehenen, soviel ich es selbst erraten kann, näher zu unterrichten und Ihnen meinen Rat zu geben?«

»Ich bitte dringend darum. Nur sagen Sie mir noch eins. Von wem glauben Sie, daß dieser Brief herrührt?«

»Von dem Abuna von Habesch, dem Patriarchen der abessynischen Christen, einem Freunde der Engländer.«

Der Lord war durch diese Auskunft stutzig geworden. Mit dem raschen Feuer und Entschluß der Jugend hatte er der Warnung wenig Beachtung schenken wollen, aber der Name des Warners machte ihn nachdenken.

»Ich habe von Konsul Munzinger gehört, daß er ein Anhänger der Engländer und überdem ein kluger Mann sei, der einzige, der es wagt, dem wilden und rachesüchtigen Negus die Spitze zu bieten. Ich bitte Sie, Sir, sagen Sie mir, was Sie wissen von diesen Dingen.«

»Ich muß Ihr Vertrauen dabei in Anspruch nehmen, Mylord,« erklärte der Doktor, »denn es gibt Umstände dabei, über die ich Sie bitte, mir keine Fragen vorzulegen, da ein Eid mich bindet zum Schweigen. Zunächst – wie kommen diese beiden Männer in Ihren Dienst?« fragte er deutsch.

Der Engländer erzählte es kurz.

»Ich bin den beiden bereits im Leben begegnet – fragen Sie nicht wie und wo, Mylord, ich kann es Ihnen nicht sagen. Haben Sie mit ihnen ein Engagement geschlossen?«

»Sie haben sich verpflichtet, mir zu dienen, auf die Zeit von sechs Monaten oder bis ich sie in Paris ihrem früheren Dienstherrn zurückgegeben.«

»Dann können Sie sicher auf ihre Treue und ihre Dienste bauen. Ich fürchtete schon, daß es anders wäre. Dennoch, Sir, schlagen Sie jene Warnung über die Richtung unseres Zuges nicht in den Wind, und – wenn Sie es gestatten – begleite ich Sie. Der Abuna muß auf eine oder die andere Weise sichere Kunde erhalten haben, daß man beabsichtigt, Sie zu überfallen oder zu verfolgen.«

Obschon der Lord erklärte, gar keine Ursache zu haben, eine solche Gefahr befürchten zu müssen und – selbst als der Arzt ihm mitgeteilt, in welcher Weise man die beiden Frauen fern von dem Lager der Franzosen aufgefunden hatte und von seinem Verdacht, daß die Fürstin bestimmt gewesen wäre, in die Hände des Negus gespielt zu werden, – konnte sich die grade und kühne Natur des Engländers nicht mit dem Gedanken einer heimlichen Flucht befreunden. Erst als der eingeschüchterte Gelehrte ihm erklärte, daß er nur auf diese Bedingnis hin sich ihm anschließen und gern die Expedition zur Aufsuchung der Quellen des Nil darangeben wollte, und Doktor Walding ihm zu bedenken gab, ob er es auf sich nehmen könne, seine Schutzbefohlene, die Fürstin, den Anschlägen eines unbekannten aber offenbar mächtigen und mit besonderen Mitteln ausgerüsteten Feindes auszusetzen, gegen die selbst der Schutz der französischen Offiziere, wie die Erfahrung bewies, nichts nützte, entschloß er sich, dem erhaltenen Rat zu folgen. Nur machte er zur Bedingung, daß die Fürstin selbst nach ihrem Erwachen mit allen Umständen bekannt gemacht, freiwillig sich seinem Schutz anvertraue.

Nachdem dies beschlossen, beriet man zunächst die Vorsichtsmaßregeln, die zu ergreifen waren, um ihren jetzigen Zufluchtsort und später die Richtung ihres Zuges zu verbergen. Es ließ sich annehmen, daß der Abuna nicht ohne Grund die unterirdische Grotte für ungefährdet erklärt hatte, eine nähere Untersuchung derselben durch die beiden Trapper ließ außerdem den Eingang zu dem unterirdischen Gange entdecken, in den man sich bei einer Gefahr zurückziehen konnte. Es ließ sich allerdings annehmen, daß die französischen Offiziere, von Ehre und Pflicht getrieben, eine ausgedehnte Nachforschung nach den beiden Frauen anstellen würden, sobald ihr Verschwinden erst entdeckt worden sei. Aber diese Entdeckung konnte nach der übereinstimmenden Meinung des Arztes und des Professors noch mehrere Stunden anstehen, da offenbar während der Nacht selbst ihre Entführung oder ihre Entfernung – man wußte noch nicht, was in dieser Beziehung geschehen – nicht bemerkt worden war, und schwerlich in den ersten Vormittagsstunden jemand ihr Schlafzelt betreten würde. Unterdes hoffte man auf das Erwachen und den eigenen Entschluß der Fürstin. – Es wurde ferner beschlossen, daß einer der Trapper mit dem Falascha alsbald nach Arkiko zurückkehren und dort die weiteren Vorbereitungen zur Reise mit Hilfe Doktor Waldings treffen solle, der sich alsbald zu dem Lager des Negus begeben wollte, um von dort sein Pferd und sein weniges Gepäck abzuholen.

In gleicher Weise sollte der Professor zu dem Lager der Franzosen zurückkehren, dort erzählen, daß er den Lord in der Stadt gesprochen und sich doch entschlossen habe, seinen abenteuerlichen Zug durch das Land zu teilen. Einige Zeilen, die der Viscount auf ein Blatt seines Taschenbuchs an den Grafen Boulbon schrieb, sollten diesem und dem Kapitän Dank sagen für die Überfahrt und ihn mit den eingetretenen Verhältnissen entschuldigen, daß er diesen Dank nicht persönlich abstatte. Der Falascha, dem eine reiche Belohnung für sein Schweigen verheißen wurde und der sich ohne Verdacht in der Gegend umhertreiben konnte, sollte einige Lebensmittel herbeischaffen und am Abend mit Adlerblick und zwei Reittieren zurückkehren, um die Verborgenen zur Stadt zu holen.

Doktor Walding empfahl dem Engländer noch einige Vorsichtsmaßregeln bei dem Erwachen der Frauen, das er als nahe bevorstehend ankündigte, und da keine Zeit zu verlieren war, um zu früher Stunde, ohne beobachtet zu werden, die Ruinen verlassen zu können, machten sich die dazu bestimmten vier Personen alsbald auf den Weg.

Als der Arzt die Höhe der Amba erreichte, auf der das Lager des Negus Theodor stand, fand er dasselbe bereits in vollem Aufbruch begriffen. Die wüste Orgie der Nacht machte die meisten der wilden Krieger zwar müde und plump, sie waren aber doch zu sehr an die Folgen des berauschenden Honigweins gewöhnt, um beim Blasen der Hörner mit dem Aufbruch zu säumen. Die einfachen mit Ochsen bespannten Karren wurden beladen, die Frauen und Kinder auf die Dromedare gepackt oder wie das Vieh vorausgetrieben und die Krieger, die den König auf seinem Zuge gegen den Prinzen Cassa begleiten sollten, machten ihre kleinen, wilden, aber ausdauernden Pferde bereit oder fetzten ihre Waffen in Stand. Der Arzt, der – weil wohlbekannt – unbekümmert und unbehelligt, aber mit scharfem Auge durch das Lager schritt, bemerkte den Feldherrn des Königs, Fittorari, einen umsichtigen und tätigen Mann, mit all' diesen Anstalten und Anordnungen beschäftigt, wobei der Säbel nicht selten gebraucht wurde, und ward auf seinem weitern Weg von EI Maresch, dem Vertrauten des Königs, angesprochen.

»Will der weise Hakim,« sagte der Mohr, »uns in der Tat verlassen, wie mir der Negus Negassi verkündet hat? Es ist nicht gut getan, und er möge bedenken, welche Dienste er dem Negus leisten mag.«

»Ich wünsche in mein Vaterland zurückzukehren und die Gelegenheit, die sich dazu bietet, zu benutzen. Du weißt, Aga, daß ich mich in Gondar bemüht habe, einige fähige Schüler für den Heildienst unter den Kriegern des Negus auszubilden und man wird mich daher weniger vermissen.«

»Der Mond ersetzt nicht das Licht der Sonne,« entgegnete höflich der Mohr und fuhr dann lauernd fort: »Mein weiser Vater, der die Macht hat über das schwindende Leben, will mit dem Inglese, der mit den Franken kam und den ich auf ihrem Schiffe gesehen, auf dem Karawanenwege nach Chartum?«

»Ich habe mich allerdings Lord Walpole angeschlossen und mit einem Landsmann, den ich, wie du weißt, gestern im Zelte des Negus gefunden, die Nacht bei ihm in Arkiko zugebracht, um das nötige der Reise zu bereden.«

»Wenn der Hakim seinen Entschluß gefaßt, so ist es gut. Ein Mann ist ein Mann. Aber sein Freund möchte ihm raten, einen sichern Weg zu wählen, denn die Beduinen streifen durch die Wüste, und wenn sie die Karawanen zur Küste geleitet haben, plündern sie auf dem Rückweg die Reisenden. Wann gedenkt der weise Hakim seinen Zug nach Chartum anzutreten und kann ein Freund ihm behilflich sein?«

Der Arzt erwiderte mit einer Gegenfrage. »Wird der Kronoffizier des Negus seinen Gebieter nicht begleiten nach Gondar? – Ich sehe, daß das Lager im Aufbruch ist.«

»Der Negus hat befohlen, daß ich den Nachtrab des Heeres befehlige, um die Säumigen anzutreiben. Auch dürfen die Franken, die dort unten lagern, nicht ohne Schutz bleiben, bis sie wieder auf ihre Schiffe zurückgekehrt sind. Du selbst warst Zeuge, daß der König mit ihnen den Vertrag geschlossen hat, und El Maresch soll den Tribut ihm nachführen, den die Franken ihm dargeboten. Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Freund Hakim, wann du aufzubrechen gedenkst und welchen Weg deine Begleiter gewählt haben nach Chartum?«

»Es kann wohl noch eine Woche währen, bevor alle Vorbereitungen beendet sind. Du kennst das Land, welchen Weg würdest du raten?«

»Wenn der Inglese nach dem Sennar will, muß er am Tacatze entlang ziehen. Der andere führt durch das Betcum über den Mareb, er ist die Straße der Karawanen nach Chartum. Wenn es dir genehm, will ich dir einen Führer senden, der mit dem Wege vertraut ist und ihn oft gemacht hat. El Maresch wird es sich zum Glück rechnen, dir seine Freundschaft beweisen zu können. Sage mir, wo der Mann dich treffen soll?«

»Du bist voll Güte,« antwortete der Arzt, »und ich werde mit Dank dein Anerbieten annehmen. Aber es eilt damit nicht, der Lord wünscht nicht so bald Arkiko zu verlassen.«

Unter erneuten Freundschaftsversicherungen trennten sich die beiden Männer, der Arzt, welcher zur Genüge die Treulosigkeit und Heuchelei des orientalischen Charakters kennen gelernt hatte, mit Besorgnis und Mißtrauen und zufrieden mit sich, daß er dem Abessynier keine Spur ihrer Absicht verraten zu haben glaubte.

Aber der Mohr empfand dieses Mißtrauen in noch höherem Grade. »Der Hakim redet mit gebundener Zunge,« murmelte er im Weitergehen. »Ich werde ihm morgen schon einen Homeini zusenden, damit er ihn in unsere Hände liefere, wie der Negus und der Träger des grünen Steins geboten haben. – Ich möchte wissen, ob er der Bruder des Priesters Johannes ist, denn wie die Überlieferungen sagen, existieren nur zwei solcher Ringe, die Dei Hassan an seine obersten Jünger diesseits und jenseits des Meeres gegeben hat,« und in tiefen Betrachtungen ging der Assassine weiter.

Vergeblich sah sich Doktor Walding nach dem Abuna um, die Komosars und Abas und selbst die Mönche vom Orden des heiligen Antonius waren wie verschwunden, wahrscheinlich aus Furcht vor dem Zorn und der Rache des Königs, sobald der Schutz des Agape vorüber war; denn es gilt für ein mehr als todeswürdiges mit ewiger Verdammnis der Seele bestraftes Verbrechen, während der Feier desselben Blut zu vergießen. Auch von den Frauen des Königs sah der Arzt nichts weiter – ihre Zelte waren abgebrochen und nur das des Negus selbst stand noch, von den schwarzen Eunuchen bewacht, die jedem den Eintritt wehrten.

So ging er denn nach den seinen und packte hier mit seinem schwarzen Sklaven, den er als einen treuen und guten Diener längst erprobt hatte, die wenigen Sachen zusammen, die ihm nebst seinen Waffen für die Tour durch die Wüste zweckmäßig erschienen, und ließ den ersten Gehilfen rufen, den er für den Heildienst auszubilden sich bemüht hatte, während er einen Brief an den deutschen Maler Zander in Gondar schrieb, denselben, der ihn in Axum getroffen und in den Dienst des Negus gebracht hatte, worin er ihn bat, sein in Gondar zurückbleibendes Eigentum und seine Sammlungen über Suez nach Alexandrien zu senden. Diesen Brief gab er dem Gehilfen zur Besorgung und schenkte ihm das französische Besteck, die letzte Gabe des Negus, unter Hinzufügung mancher Unterweisungen für die Gesundheit des Königs. Mit seinem Gepäck und seinem vortrefflichen Pferde sandte Doktor Walding dann seinen schwarzen Diener nach Arkiko voraus, wo er ihm, wie er beschlossen, mit einem Geschenk die Freiheit geben wollte.

Ziemlich ähnlich hatte Professor Peterlein es im Lager der Franzosen gefunden. Die beiden Offiziere, welche die Orgie der Abessinier besucht hatten und selbst die ihnen beigegebene Mannschaft lagen zu der frühen Stunde noch in tiefem Schlaf, Kapitän Ducasse jedoch hatte sich an Bord des Veloce begeben und der Kaufmann Labrosse ihn dahin begleitet; die Jesuitenväter aber waren vollauf beschäftigt, von den erlangten Rechten des Vertrages sofort Nutzen zu ziehen und die Anlage einer französischen Kolonie zu betreiben. Bereits wurden unter Leitung des Ingenieurs, der mit der »Imperatrice« gekommen war, auf dem erkauften Boden die Pläne einer Ansiedelung mit Befestigungen und Magazinen ausgesteckt.

Niemand hatte bisher nach den beiden Frauen gefragt, die man in ihrem Zelt der Ruhe pflegend wähnte.

Unter diesen Umständen begnügte sich der jeder Nachfrage gern entgehende Gelehrte, sich nach dem Dampfer rudern zu lassen, um dort einige Instrumente und sonstige Sachen an sich zu nehmen, das übrige aber, namentlich seinen geliebten Mammutschädel, der weiteren Verladung nach Suez anzuempfehlen und dem Kapitän Ducasse seinen und des Lords Dank für die Überfahrt abzustatten, der bei der freigebigen Art, mit welcher er ihre Rechnungen regulierte und dem reichen Geschenk, das er im Auftrage seines jungen Freundes für die Mannschaft zurückließ, mit besonderer Freundlichkeit ausgenommen wurde und ihm bei der Abfahrt vom Schiff sogar ein dreimaliges Hoch der Matrosen eintrug.

Der Kaufmann Labrosse, vor dem er von jeher eine gewisse Scheu und Furcht gehegt, hatte er zu seiner Freude bei diesem letztem Besuch an Bord nicht getroffen. Als das Boot aber eben vom Schiff abstieß, um ihn an den Strand von Arkiko zu fuhren, wäre er beinahe vor Schreck über Bord gefallen, denn an einer der Luken glaubte er ganz deutlich das schreckliche drohende Antlitz wieder zu sehen, dessen Erscheinen ihn an jenem Abend am Fenster der Deckkajüte so in Furcht gesetzt hatte. Er begann in der Tat sich wirklich erst sicher und ruhig zu suhlen, als am Strand zwischen dem Lärmen der arabischen Matrosen, der Handelsleute und Hamals Doktor Walding ihn empfing, der bereits eine Stunde vorher in Arkiko eingetroffen war, und ihn jetzt zur Karawanserei brachte.

Es. war bereits den Bemühungen des umsichtigen Trappers und des Arztes mit Hilfe des Falascha gelungen, einen großen Teil der Bedürfnisse für die Karawane herbeizuschaffen, vor allem die nötige Zahl und Ausrüstung der erforderlichen Reittiere anzukaufen. Eine Beratung mit dem alten Beduinen-Scheikh, dessen Enkel noch immer in ruhigem, offenbar sehr wohltätigen Schlaf lag, hatte zu dem Resultat geführt, daß Abu Beckr versprochen hatte, seinen Rückweg gleichfalls durch die nubische Wüste zu nehmen und gegen reichliche Bezahlung sie zu geleiten. Da er aber nicht vor dem dritten Morgen aufbrechen konnte, schon um des kranken Knaben willen, kam man überein, daß die Gesellschaft des Lords unter Führung eines der Beduinen am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang im stillen aufbrechen und ihren Weg allein durch das Bedja nehmen, später aber die Eskorte des Scheikh an einem bestimmten Punkt erwarten sollte, um unter ihrem Schutz das Langaygebirge zu passieren und dann den mehr von den Karawanen durchzogenen Teil der nubischen Wüste oder den Nil, der hier eine große Biegung macht, zu erreichen. Es fiel dem Arzt auf, daß der Scheikh ihn so dringend warnte, ihre Richtung zu weit nach rechts zu nehmen und ihn bat, ja nicht über das Gebirge hinaus zu gehen, ohne doch die Ursache dazu näher angeben zu wollen.

Der Falascha, den am wenigsten ein Verdacht treffen konnte, hatte wiederholt die Gegend rekognosziert und kam jetzt mit der Meldung zurück, daß in dem Lager der Franzosen eine unruhige Bewegung stattfinde – der Augenblick mußte eingetreten sein, in dem man die unerklärliche Abwesenheit der Fürstin und ihrer Dienerin bemerkt hatte.

In der Tat war dies der Fall gewesen. Kapitän Boulbon war bald nach Mittag von seinem Schlaf erwacht, hatte den von Professor Peterlein überbrachten Brief des Engländers gefunden und zu seinem Staunen von dem Avignoten gehört, daß die Frauen noch nicht ihr Zelt verlassen hätten. Eine unbestimmte Unruhe wie von einem Unglück überfiel ihn, er weckte halb gewaltsam den Freund und man rief an dem Eingang ihres Zeltes die Namen der Fürstin und ihrer Dienerin. Aber niemand antwortete. Endlich, als Thérouvigne mit dem Recht der angeblichen Verwandtschaft den Vorhang zurückzog und das Zelt öffnete, fand man den kleinen Raum leer. Keine Spur von einer Gewalttat zeigte sich, die Bänder und Pflöcke des Zelttuchs waren in Ordnung und in dem ersten Staunen beachtete man es wenig, daß die meisten Stücke der Kleidung, welche Herrin und Dienerin am Tage vorher getragen hatten, sich im Zelte vorfanden.

Der Husarenleutnant, den schon früher der Graf von dem Briefe Lord Walpoles in Kenntnis gesetzt hatte, tobte wie ein Unsinniger. »Gib acht, Louis, dieser Schuft von Engländer, den du stets verteidigst, hat sie entführt. Aber bei Gott, es soll ihm nicht so hingehen und er muß mir vor die Klinge, er mag wollen oder nicht!«

»Du bist ein Tor!« sagte ärgerlich Boulbon. »Zunächst wissen wir gar nicht, ob die Fürstin nicht, ohne daß man auf sie geachtet, zum ›Veloce‹ zurückgekehrt ist, – ober selbst, wenn sie auf eine unerklärliche und allerdings gerade nicht sehr höfliche Weise uns verlassen hätte, um sich Lord Walpole und dem alten Herrn anzuschließen, waren dies ihre ersten und natürlichen Begleiter und es steht uns nicht das geringste Recht zu, sie daran zu hindern. – Übrigens ist die Sache noch nicht klar und wir werden jedenfalls von ihr hören, denn wie ich von Bonifaz weiß, hat die Fürstin diesem gestern morgen noch eine Kassette mit bedeutenden Werten zur Aufbewahrung anvertraut. Daß die Fürstin und Tank-ki gestern abend, als wir törichterweise zu dieser Orgie der Schwarzen aufbrachen, sich zur Ruhe begeben, wissen wir. Keine der Wachen hat sie überdies in der Nacht das Zelt verlassen sehen.«

Der Meinung des Grafen war übrigens auch Kapitän Ducasse, als die beiden Offiziere an Bord fuhren, um sich dort nach den Verschwundenen umzusehen, oder die seltsamen Umstände ihrer Abwesenheit anzuzeigen. Der Kapitän erklärte, daß er Wichtigeres zu tun habe, als sich um zwei abenteuernde Damen, die ohnehin nicht sehr zu seinem Behagen an Bord gekommen und seine beste Kajüte usurpiert hätten, weiter zu kümmern. Monsieur Labrosse wußte durch verschiedene Winke die Meinung zu bestätigen, daß die Fürstin sich in ihrer selbständigen, launenhaften Weise anders besonnen habe und dem Lord gefolgt sei, und nur auf die dringenden Bitten des Grafen ließ sich der Kapitän Ducasse herbei, ein Boot mit einem der Kadetten nach Arkiko abzusenden, um dort Nachfrage nach den Frauen zu halten; doch verbot er ernstlich, daß einer der beiden Offiziere die Fahrt dorthin mitmache.

Zwei Stunden später kehrte das Boot zurück, man hatte nichts von den Frauen in Arkiko erfahren, doch meinte der Cadet, Monsieur le Professeur hätte sich auffallenderweise nicht besonders erstaunt oder erschrocken über ihr Verschwinden gezeigt und gemeint, seine schöne, aber sehr eigenwillige Mündel werde wohl wieder, sobald es ihr beliebe, zum Vorschein kommen. Mylord Walpole – für welchen Leutnant Thérouvigne dem jungen Seemann im geheimen ein Billett anvertraut hatte – hatte niemand zu Gesicht bekommen – man vermutete ihn auf der Insel Massauah.

Um den festgeschlossenen Mund des falschen Labrosse zuckte ein dämonischer Hohn, als er dieser Meldung beiwohnte – er glaubte besser zu wissen, wo die Verschwundenen waren.

Um so grimmiger war seine Wut, die er doch nicht zeigen durfte, als am anderen Vormittag Graf Boulbon, den er vorher in der Nähe des Lagers mit einem Falascha hatte sprechen sehen, mit munterem Antlitz herbeikam, zwei Briefe in der Hand und Thérouvigne, mit dem er eben sprach, schon von fern zuwinkte.

»Ich sagte es ja – Nachricht von deiner schönen Cousine, unserer Reisegefährtin. Sie hofft, uns in Paris wiederzusehen, auch Sie, Herr Labrosse!«

»In Paris?«

»Sie ist bereits auf dem Wege dahin, freilich auf einem etwas langweiligen und beschwerlichen! übrigens hast du recht gehabt, Madame la Princesse Wolkonski ist mit Mylord und ihrem gelehrten Verlobten auf und davon und hat die kleine Tank-ki mitgenommen. Hier ein Brief an Kapitän Ducasse mit Danksagungen und Entschuldigungen – und da, zwar an mich gerichtet, aber für dich allerlei Aufträge, für ihre Garderobe und ihre Toilette zu sorgen. Nun, ich denke, auf ihren Kamelpromenaden wird sie nicht viel Staat machen können und hat ihn daher zurückgelassen!«

»Unmöglich!« – Das Gesicht des Kaufmanns war fahl geworden, wie der Sand, auf dem er stand.

»Warum unmöglich, Monsieur? Überzeugen Sie sich selbst oder hören Sie vielmehr!« Und er las in munterer Laune!

 

»Mein schöner Graf!

Schicksal und Weiberlaune spielen seltsam! – Wenn Sie diese Zeilen lesen, sitzt Ihre ergebene Dienerin bereits auf hohem Dromedar und reitet zu Löwen- und Krokodilenjagden! Verzeihen Sie meinen französischen Abschied, den vielleicht Monsieur Labrosse erläutern wird, und sagen Sie ihm, ich hoffe ihn in guter Freundschaft in Paris wiederzusehen, bis dahin aber zögen ich und Tank-ki, die beiläufig ein großes Faible für Sie zu haben scheint, es vor, mit unseren beiden gesetzten Vormündern und Verehrern die Tour durch Ägypten zu machen, statt Ihnen und meinem hitzköpfigen Cousin länger zur Last zu fallen. Da man aber nicht umsonst Anspruch auf meine Verwandtschaft machen darf, so beauftrage ich Monsieur de Thérouvigne vorläufig mit dem ehrenvollen Posten meiner Kammerfrau und empfehle ihm meine zurückgelassene Garderobe, Kämme, Bürsten und Pomaden – sehen Sie, wie die wilde Sibirianka in Ihrer Gesellschaft sich bereits kultiviert hat! – zur getreuen Fürsorge und Ablieferung in Cairo oder Alexandrien. Sollten mich und Mylord Walpole und, was Gott verhüte, unseren lieben Professor die Löwen und Krokodile nicht fressen, so bringe ich Ihnen allen was Schönes mit – vor allem mich selbst. Und wenn es geschieht, sollen Sie und mein kleiner, eitler Vetter meine Erben sein, nachdem Ihr braver Bonifaz eine tüchtige Handvoll Sovereigns meinen wackeren Matrosen des ›Veloce‹ gespendet hat.

Also grüßt Sie
Wéra Tungilbi Wolkonski.«

 

»Wahrhaftig, der Brief ist sie selbst!«

Der Husarenoffizier biß die Zähne zusammen. – »Also deshalb wartete ich heute vergeblich – fort wie eine Memme, auf und davon, ohne mir Genugtuung und Rechenschaft zu geben! – Was sagen sie nun, mein Herr Labrosse, mit Ihren falschen Versprechungen?«

Aber Monsieur Labrosse war nicht mehr dort. Die Freunde sahen ihn nur die Amba hinaussteigen zu der Terrasse, auf der noch einzelne Zelte der Abessinier standen und eine Anzahl Pferde die mageren Mimosen abweideten.


Der Tag ist auch in dieser Jahreszeit in diesen Breiten nur wenig kürzer. Bald nach Eintritt der Dunkelheit erschien Doktor Walding mit Adlerblick und dem Falascha nebst zwei Pferden an der Ruine der alten Felsenkapelle, wo er das verabredete Zeichen gab.

Als dieses sogleich erwidert wurde, stieg der Arzt hinab. Wie er vorausgesagt, war es geschehen. Gegen die Mittagzeit des Tages war die Fürstin und bald nach ihr die junge Chinesin langsam zum Bewußtsein zurückgekehrt und ganz erstaunt, sich in dieser Umgebung zu finden; denn beide hatten nicht die geringste Erinnerung an ihren Zustand. Die Fürstin hörte mit Aufmerksamkeit die Mitteilungen des Lords an, der ihr auch den geheimnisvollen Brief zu lesen gab. Als er ihr sagte, welchen Anteil der fränkische Arzt, den sie sich erinnerte, im Zelt des Negus gesehen zu haben, an ihrer Sicherheit genommen und welchen Entschluß man auf seinen Rat gefaßt habe, tat sie mancherlei Fragen, die der Lord nicht recht begriff, – versank in Nachdenken und erklärte dann nach einem längeren, geheimen Gespräch mit Tank-ki ihren Entschluß, nicht in das französische Lager und auf das Schiff zurückkehren, sondern ihn auf dem Wege durch die Wüste begleiten zu wollen, wenn er ihr seinen Schutz gewähren könne. Auch die Chinesin zeigte einen besonderen Widerwillen gegen die Rückkehr zu ihrer bisherigen Reisegesellschaft, und so wurde denn beschlossen, in allen Stücken den Warnungen des Briefes und dem Rat des Arztes zu folgen.

Als dieser erschien, brauchte es daher keiner weiteren Verhandlungen und Überredung, und in wenig Minuten war die unterirdische Kapelle verlassen und hatten die Frauen die für sie mitgebrachten Tiere bestiegen.

Mit aller Vorsicht, der Falascha und Adlerblick voran, der Schluß von dem Trapper Ralph gebildet, stieg der kleine Zug in die Ebene nieder und wandte sich der Stadt zu.

Als sie sich bereits derselben näherten und vor jeder Verfolgung sicher waren, bat die Fürstin den Lord, der ihr Pferd führte, den Platz mit dem Arzt zu tauschen.

Als dies geschehen, beugte sich die Fürstin zu ihrem neuen Führer nieder. »Ich habe einige Fragen an Sie zu richten, Herr, und bitte um Ihr Wort als Mann, sie mir aufrichtig beantworten zu wollen'.«

»Ich bitte zuerst um die Fragen.«

»Gut denn! Wie Lord Walpole mir gesagt, haben Sie die beiden Jäger, unsere künftigen Begleiter, ihm als treu und zuverlässig empfohlen?«

»So ist es, Mylady!«

»Sie kennen also dieselben von früher?«

Der Arzt zögerte einen Augenblick – dann sagte er: »Ja!«

»Und ihren früheren Gebieter?«

»Ich glaube ihn bei der Audienz der Gesandtschaft im Zelt des Negus gesehen zu haben.«

»Sie kannten ihn?«

Der Arzt schwieg.

»Wenn Sie nicht reden wollen, so werde ich es tun. Allein merken Sie wohl, daß das ein Geheimnis zwischen uns beiden ist und Mylord Walpole nichts davon erfahren soll. – Ich weiß jetzt, daß jener Mann auch mein und jenes Kindes Feind ist und unser Verderben wollte, weil wir sein Geheimnis entdeckt. Es ist …« und sie beugte sich noch tiefer zu dem Ohr des Arztes und nannte den seiner Erinnerung so furchtbaren Namen.

Doktor Walding senkte das Haupt – er antwortete nicht. –

So kam man an das Tor der Stadt, das sich auf den goldenen Schlüssel öffnete, um die Reisenden einzulassen. Eine Viertelstunde später war man in der Karawanserei und Lord Walpole eilte, die Frauen in dem von ihm eingenommenen Gemach unterzubringen.

Zu seinem großen Verdruß fand der Arzt den kleinen Gelehrten, dem er die möglichste Zurückhaltung während seiner Abwesenheit anempfohlen, neben dem Scheikh und einem fremden Mann von finsterem Ansehen in der Kleidung eines Kopten sitzen und mit ihnen so gut als es anging, schwatzen. Der kranke Knabe war bereits erwacht, aus seinem Schwitzbad erlöst und saß, noch etwas blaß von dem Blutverlust, aber sonst ganz wohl und munter, neben seinem Großvater.

Der Scheikh erhob sich sogleich und trat auf den Arzt zu. »Die Gnade Allahs und des Propheten war mit dir und deiner Hand, wie du siehst. Du hast des Knaben Leben gerettet und Abu Beckr ist dein ewiger Schuldner.«

»Es war meine Pflicht, wackerer Scheikh, und ich freue mich, daß meine Hilfe noch rechtzeitig kam. – Aber wer ist jener Mann, ich sah ihn früher nicht bei dir?«

»Er sagt, daß ein Freund von dir ihn gesendet als Wegweiser deiner Karawane. – Ich habe mit ihm gesprochen und er kennt die Wüste. Wenn du ihm trauen kannst, wirst du Achmed kaum brauchen.«

Eine Verwünschung schwebte auf den Lippen des Arztes, denn er begriff sogleich, daß der Fremde ein Spion von El Maresch war, und ebenso, daß mit großer Vorsicht gehandelt werden mußte. Als der Fremde daher zu ihm trat und ihm sagte, daß der Aga El Maresch ihn sende und er bereit sei, die Gesellschaft des Inglese nach Chartum zu führen, stellte er sich erfreut darüber und erklärte, daß er gleich dableiben und am andern Tage bei den Vorbereitungen helfen könne. Er befahl ihm, sich zu den bereits geworbenen Führern der gekauften Tiere zu gesellen und versprach ihm reichlichen Lohn. Dabei entging es ihm nicht, daß der Mann nur ungern dem erhaltenen Befehle gehorchte und lieber bei ihm geblieben wäre, um seiner weiteren Unterhaltung mit dem Scheikh zuzuhören. Ein Wort rief den Trapper Adlerblick an seine Seite.

»Habt Ihr den Mann gesehen, mit dem ich eben gesprochen?«

»Gewiß. Ich höre, daß er einen der Führer abgeben soll, aber ich muß sagen, daß sein Auge mir nicht sonderlich gefällt.«

»So haltet das Eure streng auf ihm, denn mir gefällt es noch weniger. Aber wir dürfen ihn vor der Hand nicht von uns lassen, wenn nicht unser ganzer Plan vereitelt werden soll. – Also paßt auf und sorgt dafür, daß bei Tagesanbruch alles bereit ist.«

»Verlaßt Euch auf uns, Doktor!«

Der Arzt besprach nun noch einiges mit dem Scheikh, gab seinem Verdacht Worte und bat, alles so zu belassen, wie bereits besprochen war. Zu seiner Beruhigung vernahm er, daß der Scheikh nichts gesagt, was auf den raschen Aufbruch der Reisenden hätte schließen lassen können, dagegen alle Vorbereitungen dazu getroffen hatte: dann suchte er, den Professor mit sich nehmend, Lord Walpole auf, um diesem über die während des Tages gemachten Einkäufe und Anwerbungen zu berichten. Der Arzt hatte mit seiner Kenntnis des Landes und mit Hilfe des Scheikh und des Falascha eifrig für alles gesorgt. Es waren zehn Dromedare und mehrere Pferde und ägyptische Maultiere gekauft, Führer dafür geworben und Lebensmittel und drei Zelte angeschafft. Außer Waffen und Munition hatte der umsichtige Mann selbst für orientalische Frauengewänder und für zweckmäßige Kleider der Männer zum Zug durch die Wüste gesorgt. Bei den reichen Geldmitteln, die ihm der Lord zur Verfügung gestellt hatte, war selbst die gewöhnliche Langsamkeit der muhamedanischen Kaufleute leicht überwunden.

Mit dem ersten Schein der falschen Dämmerung war nach wenig Stunden Schlaf zur Verwunderung des fremden Führers bereits alles auf den Beinen und die Beduinen des Scheikh Abdul Beckr's halfen bei dem Beladen der Tiere.

Zadek, wie sich der fremde Mann nannte, sah anfangs eine Weile dem Treiben zu, dann trat er zu dem Arzt, der ruhig in der Mitte des Hofes stand und seine Befehle erteilte.

»Will der weise Hakim mit seinen Freunden denn bereits an diesem gesegneten Morgen die Reise nach Chartum antreten?«

»Du siehst es. Es wird dir nicht unbekannt sein, daß die Inglese seltsame Leute sind und viele tolle Launen haben. Der Herr, für den ich gestern abend deine Dienste angeworben, hat sich plötzlich entschlossen, abzureisen.«

Der Kopte schüttelte mißtrauisch den Kopf. »Dann muß ich eiligst zu meinem Hause gehen, um mein Pferd und meine Waffen zu holen. Ich werde in zwei Stunden zurück sein.«

»Es ist unnötig, daß du dir die Mühe machst,« bemerkte kaltblütig der Arzt. »Es ist ein Tier für dich da und es fehlt uns nicht an Waffen.«

»Aber ich muß mit meinem Weibe sprechen, ich muß ihr Bescheid sagen und das Geld geben, das ich von dir empfing, damit sie leben kann, solange ich fort bin.«

»Das kannst du bequemer haben, wenn du dem Wächter dieser Karawanserei das Geld und deinen Willen anvertraust, das Weib wird sicher kommen, nach dir zu fragen. – Es ist die Bestimmung des Lords, daß keiner seiner Diener sich mehr entferne. Wir haben dich nicht gerufen und du hast sein Geld genommen, der Kontrakt ist geschlossen. Wenn es deine redliche Absicht ist, uns zu führen, so füge dich. Übrigens weißt du, daß das Tor der Karawanserei erst geöffnet wird, wenn der Muezzim den Sonnenstrahl von dem Minareth verkündet und zum ersten Gebet ruft.«

Er wandte sich ab und erteilte seine weiteren Anordnungen; knirschend schlich der Kopte zur Seite, unschlüssig, was er tun solle, und ohne Hand anzulegen alles belauernd. Er bemerkte nicht, daß das Auge Adlerblicks fortwährend aus ihn gerichtet blieb.

Bei den getroffenen Vorbereitungen und dem Eifer, mit dem alles betrieben wurde, war die Sonne noch nicht über dem Horizont, als die sämtlichen Tiere bereits beladen und fertig standen und auf die Meldung des Arztes der Lord die beiden Frauen von der Gallerie in den Hof der Karawanserei herab führte. Beide waren in orientalische Gewänder gehüllt und wurden auf die Sättel der zwei für sie bestimmten Reitdromedare gehoben; ein Gleiches geschah mit dem Professor, der sich dabei sehr widerspenstig gebärdete und hundert Fragen nach all den Dingen hatte, die er mitzuschleppen für nötig gehalten. Doktor Walding beruhigte ihn mit der Versicherung, daß er sich nach dem Überwinden der Übelkeit, die das erste Reiten dieser Tiere gewöhnlich den Europäern verursacht, rasch an diesen bequemen Transport gewöhnen werde und daß alle seine Instrumente – von denen er im Stillen den größten Teil einem nach Alessandrien handelnden Kaufmann zur Absendung übergeben hatte – eingepackt wären; dann aber rief er Kumur, feinen bisherigen Sklaven, zu sich.

»Du weißt, Kumur, daß der König dich mir geschenkt hat, daß ich dich aber nie als Sklaven behandelt habe. Du hast mir treu und gut gedient und es ist daher nur recht und billig, daß ich jetzt, wo ich von dir scheide, für dich sorge. Nimm diese Schrift, sie enthält deine Freilassung, ich habe sie von dem Kadi dieser Stadt bescheinigen lassen, und diesen Beutel mit fünfzig Theresien-Talern. Es ist nicht viel, aber ich bin kein reicher Mann, und die Summe wird hinreichen, dir eine Badstube zu kaufen, wo du die kleinen Fertigkeiten, die du von mir gelernt, ausüben kannst, oder sonst dir weiter zu helfen. – Ein weißer Mann drückt dir die schwarze Hand und wünscht dir den Segen seines Gottes.«

Der schwarze Sklave, statt nach dem Beutel und der Schrift zu fassen, warf sich dem Arzt zu Füßen. »Herr,« sagt er, »warum willst du Kumar von dir stoßen? – Ich mag dein Geld und dies Papier nicht, laß mich mit dir gehen, wohin du gehst, damit ich für alles sorge, was du brauchst. Du bist gütig gewesen, wie mein Vater gegen den armen Kumur und er würde verderben mit all diesem Geld, wenn du von ihm gehst.«

Die Anhänglichkeit rührte den Arzt, noch riet die Überlegung ihm ab, auf die Bitte zu hören. »Es ist ein kaltes Land, wohin ich gehe, mein armer Kumur, und mein Weg ist zu weit, als daß du ihn teilen könntest. Nimm was ich dir bieten kann, und sage mir Lebewohl.«

Der arme Schwarze schluchzte laut. »Wo du auch hingehst, Herr, Kumur wird hinter dem Schweif deines Pferdes sein. Du kannst mir nicht verbieten, in der Wüste zu sterben.«

Lord Walpole, der bereits sein Pferd bestiegen, kam heran und frug nach der Ursache der Zögerung, da bereits der erste Sonnenstrahl die Spitze des nahen Minarets vergoldete und von seiner Höhe sich eben der Ruf erhob: Allah il Allah, Mahomed il Allah!

Mit kurzen Worten erklärte ihm der Arzt den Vorgang.

» By Jove, Sir,« rief der Viscount, »so lassen Sie den schwarzen Burschen mit uns gehen, man soll Treue und Dankbarkeit niemals zurückweisen, und wer weiß, welche Dienste er uns unterwegs leisten kann!«

Der Schwarze sprang vor Entzücken wie ein Kind umher, als er die Entscheidung des Lords hörte und sein Herr ihm gebot, sich zu den Treibern zu gesellen. Das Tor der Karawanserei öffnete sich, und von den Segnungen des mit einem reichen Geschenk bedachten Wächters begleitet, bewegte sich der Zug hinaus, an der Spitze der Beduine, welchen der Scheikh, der mit seinem Knaben und dem Falascha die Reisenden bis zum Tore der Stadt begleiten wollte, ihnen zum Führer gegeben.

Auf einen Wink des Arztes hatte Adlerblick dem Kopten das Maultier zugeführt, was für ihn bestimmt war. »Nun aufgesessen, Freund, und halte dich hübsch mir zur Seite.«

Der Mann gab keine Antwort, er hatte die Worte nicht verstanden, machte aber auch keine Miene, der sehr verständlichen Gebärde Folge zu leisten.

»Heda – Taylor! – komm einmal hierher und hilf mir den Burschen in den Sattel bringen.«

Der große Trapper kam mit zwei Schritten herbei, hob mit seiner Bärenkraft den schmächtigen Kopten in die Höhe und setzte ihn auf das Tier. Der Griff mußte wohl so derb gewesen sein, daß der Kopte sich überzeugt hatte, von Widerstand könne solchen Muskeln und Gliedern gegenüber nicht die Rede sein, und sich in sein Schicksal ergab. Er hütete sich dabei sehr wohl, dem Wächter der Karawanserei das erhaltene Geld zurückzulassen.

Am Tor el Mareb, das aus der Stadt gegen Westen führt, schieden der alte Scheikh und der Falascha, der mit seinem erhaltenen Lohn sehr zufrieden schien und versprochen hatte, den noch in der Nacht geschriebenen Brief der Fürstin dem fränkischen Offizier im Lauf des Vormittags überbringen zu lassen und sich selbst für einige Tage aus dem Wege zu halten, um allen Nachfragen zu entgehen, von der Gesellschaft, die jetzt im Trab den Weg nach dem Ausläufer des Gebirges einschlug, über welchen der Karawanenweg nach Chartum führt, sehr zur Befriedigung des koptischen Führers, der sich mit grimmigem Lächeln aus freien Stücken, aber wohl bewacht von dem Trapper Adlerblick, dem Beduinen an der Spitze des Zuges sich anschloß.

Der falsche Labrosse war, wie die beiden französischen Offiziere bemerkt hatten, mit ungewöhnlicher, seinen sonst so abgemessenen Bewegungen ganz entgegengesetzter Hast zur Amba emporgestiegen, auf welcher noch die Reste des Lagers der Abessynier standen. Sein glühendes Auge fuhr überall suchend umher, bis es den Gegenstand, nach dem es fahndete, gefunden hatte.

Es war dies der Kronoffizier des Negus, El Maresch, der behaglich seinen Schibuk rauchend auf einer Decke vor dem Eingang einer Hütte von Zweigen saß und in der Behaglichkeit des Selbstbewußtseins und der erfüllten Aufgabe dem Herankommenden entgegensah.

Dieser blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn mit zornfunkelnden Augen.

»Steh auf und entferne jene dort!« – er wies mit einem Wink des Hauptes nach einer Gruppe von Reitern, die in der Nähe beschäftigt waren.

Der Kronoffizier hatte sich erhoben – ein Wink von ihm entfernte alle aus dem Bereich des Hörens.

»Wo sind die beiden Weiber?« frug der Kaufmann mit drohender Stimme.

»Das Mädchen, das der Negus begehrt hat, ist, wie du befohlen in seine Zenanah gebracht worden und befindet sich seit zwei Morgen auf dem Weg nach Gondar. Ich habe selbst die Sänfte gesehen, die sie mit vertrauten Sklaven davon trug. Die andere ist den Hyänen zum Fraß geworfen worden!«

»Du lügst, meineidiger Schurke! Eblis und die Dunkeläugige sollen dich verdammen! Beide Weiber sind mit dem Inglese entwichen, den ich dir zu verderben befahl mit all seinen Begleitern. Du hast ihn aus Arkiko entkommen lassen.«

»Das ist unmöglich! Ich habe meinen besten Spürhund, Zadek den Homeini, noch gestern abend unter sie gesandt, um sie mir auf dem Weg nach Chartum in die Hände zu führen.«

»So sende einen andern und du wirst hören, daß sie Arkiko bereits verlassen haben.«

»Dann haben die bösen Geister ihr Spiel mit uns getrieben. Ich selbst war dabei, als die Weiber aus dem Zelt der Franken geholt wurden und habe sie gesehen. – Bei meinem Eid, ich spreche die Wahrheit. Ich habe den Hakim des Negus ausgeforscht, der mit dem vornehmen Inglese ziehen will, und er hat mir gesagt, daß noch viele Sonnen untergehen, ehe sie bereit sind. Dennoch sandte ich einen Sohn des Bruders zu ihm, das Auge aus ihn gerichtet zu halten.«

»Du redest von jenem Arzt? Fluch ihm und dir – er ist der schlimmste Feind und hat unser Tun zuschanden gemacht! Wann sahst du ihn zuletzt?«

»Gestern morgen!«

»Warum hast du nicht zu mir davon gesprochen?«

»Du bliebst auf dem Schiff der Franken. Ich glaubte gut zu handeln.«

Labrosse sah ihn finster an. »Das Schicksal ist wider uns gewesen aber noch ist es nicht zu spät. Ich habe den Brief gesehen, worin das russische Mädchen – die Kali vernichte ihre Seele! – schreibt, daß sie mit dem Inglese und dem schwachköpfigen Mann, ihrem Vormund, durch das Land zum Nil zieht. – Ziehe Nachricht ein, ob der Brief des Weibes die Wahrheit sagt, lasse deine Reiter, wie der Negus befohlen, die Sättel besteigen und verfolge sie. Keiner von ihnen allen darf den Nil erblicken, bei dem Eide der Söhne Ismaels und der Kali, oder ihr Fluch treffe dich und sende deine Seele ins nichts! – Bei dem Ringe, der mir die Macht verliehen – gehorche!«

Er wandte ihm den Rücken und seinen Schritt zurück, während El Maresch seinen Reitern befahl, sich eilig zu rüsten und zwei Boten nach Arkiko sandte. –

An dem Hange der Amba blieb der Unheimliche stehen und schaute finster hinüber über das Meer nach Morgen, in jener Richtung, wo der Indus und Ganges ihre gelben Fluten rollen.

Vor seinem inneren Auge tauchten zwei Gräber auf – zwei Gräber dort drüben in der Schlucht von Kokospalmen und Tamarinden überwölbt, dort an dem frischen rieselnden Quell zwischen der grünen Wand der Lianen und Cycadeen – wo auf dem Teppich des ewig grünen Rasens die duftige Rose von Schiraz und das dunkle Laub der Myrthe die Marmorbank überwölben, auf der so oft die Tochter des fernen Irlands gesessen! – zwei Gräber und die vielen Tausende, die seine Rache ihr gegraben.

»Warum,« sprach er finster vor sich hin, – »muß er mir begegnen auf meinem Pfad? Warum streut die dunkeläugige Göttin Asche auf das Haupt ihres Sohnes? Soll die heilige Spitzaxt begraben sein und mein Weg zu Ende, weil ein Weib es wagte, ihrem Schwunge zu trotzen? – Nimmermehr; Tod den Faringi und allen, die vom Nena wissen!«

Und drohend streckte sein Arm sich hinüber nach der Wüste in der Richtung des Nil!



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