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Nur ein Traum ist dieses Leben.
Und das Träumen selbst ein Traum!

(Bruchstücke aus Briefen und Tagebüchern.)

 

Max von Waldenfels an den Leutnant
Otto von Cronenberg
.

Gaëta, den 26. Januar 1861.

Die alte Camburg, das Stammschloß deiner Väter, liegt ja wohl im schönen Land Tyrol, wenigstens erinnere ich mich, daß du mir einst von jenem Felsplateau, der stets mein Lieblingsplatz war bei unseren Ausflügen – die alte graue Steinmasse in weiter Ferne zeigtest, wo sich das Tal nach Landek hinein engt. Wie träumten wir dann, die Gletscherwände des Oetztals zur Rechten, die wunderbare Felsenwand des Türgant vor uns, von jenen Tagen, als Herzog Friedel lieber Land und Leute ließ, ehe er die Treue brach, als der ritterliche Habsburger die schöne Bürgertochter von Augsburg auf Ambras barg, oder der Engel den kaiserlichen Waidmann von den Klüften der Martinswand niederführte zu seinen Getreuen. Ja, Treue und Glauben an das Hohe und Ideale, das war es, was wir uns gelobten im stürmischen Jünglingherzen für das künftige Leben, und was stets ein Heiligtum war der Söhne unserer Berge von den Männern, die um Thassilo fielen, bis zum Tobe des Sandwirts auf den Wällen von Mantua, und Treue wollen wir halten bis zum letzten Hauch der Sache und der Person, denen wir unser Leben geweiht.

Wie träumten wir doch als Knaben von der Wiederkehr ritterlicher Zeit – wie sahen wir im Geist die mächtigen Reiter im schwarzen Eisenharnisch einsprengen in die Schranken zum Gottesgericht für Unschuld und Recht, – wie blitzten die Schwerter und klangen die Schilder im Kampf für die Damen unseres Herzens, – wie bliesen die Trompeten den Sieg und legte die Herrliche ben Lorbeerzweig auf die Todeswunde, die für sie empfangen ward! – Träume! – was ist das Leben? ein Traum – was ist die Treue? ein Eigensinn für einen Schatten! was ist alle Begeisterung? – ein Rausch mit nüchternem Erwachen.

Und diese Gedanken, diese mißmütigen Verzichte auf Glück und Ideal – diese Träumereien von dem Traume unserer Jugend – sind es die drückenden Gewölbe der Kasematte, ist es der neblige, widrige Dunst der Lampe, die mir leuchtet zum Schreiben, ist es das harte Wundlager, auf dem Toni, der brave Schütz, mich aufgerichtet? ist es der Donner des schweren Geschützes, das Krachen und Wühlen der eisernen Boten, welche der feige Cialdini aus sicherer Ferne niedersendet auf die Felsenwände des letzten Horts des Königtums? Ist es all der Schmerz der Wunde, das Leid, die Verzweiflung, die Not, die ich um mich sehe und mit den Händen greife, die meine Stimmung und deinen Freund fast zum Feigling macht, zum verzagten Aufgeber alles dessen, was ihm hoch und teuer war? Machen zufällige Umstände, getäuschte Hoffnungen, Krankheit und Entbehrung den Mann zu dem, was er ist? O, über den elenden Körper, der auf die Seele drückt; o, über den jämmerlichen Mut, der des blauen Himmels und ihres Blickes im goldenen Sonnenschein bedarf, um seine Ideale festzuhalten, um die Treue zu üben, die er gelobt!

Ist es dir nie passiert, daß dir eine Melodie – vielleicht die einfachste, gewöhnlichste, an die du Jahre nicht gedacht – plötzlich in den Sinn kommt und dich wie mit Klammern umpackt, daß Du sie gar nicht los werden kannst, daß sie mit Dir geht und steht, daß sie Dir durch alle fremden Eindrücke hindurch klingt, mit Dir sich zum Schlaf legt und mit Dir aufsteht – bis sie plötzlich eben so rasch verschwindet, wie sie gekommen?!

So ist es auch mit den Gedanken. So kommt uns ein Gedanke, ein Vers, ein Spruch und heftet sich an unsere Seele und erfüllt sie. Kommen überhaupt die Gedanken aus uns, oder kommen sie uns von außen? Ich erinnere mich, daß mir das Fehlen eines Wortes in Tells Monolog vor der Tat einmal das Leben rettete. Der Sturm brauste durch die Felsen und rüttelte die mächtigen Tannen in ihren Wurzeln, als ich in den Mantel gehüllt den engen Pfad der Klamm emporstieg, was ich so gern tat, wenn der Nordsturm herüberheulte in unsere Berge und die Wellen des Sees an die Ufer schlugen. Was war es, das mir damals den langvergessenen Monolog in die Gedanken trieb und mich ihn zitieren ließ? – Und warum fehlte mir gerade das Wort, daß ich stehen blieb und dachte: wie heißt es doch? Da krachte und dröhnte es über mir und der Felsblock, den die Wurzeln des brechenden Tannenstammes gelöst, krachte vor mir nieder auf den Weg, gerade auf die Stelle, die mein Fuß erreicht hätte, wenn ich nicht eben stehen geblieben wäre. Wie kam nur gerade der Gedanke – Zufall? – Bestimmung? Habe ich wirklich noch eine Bestimmung, und ist sie nicht gesühnt mit dem Mordstoß des böhmischen Buben dort drüben in Santa Agatha, von dem aufs neue die Feuerschlünde donnern das Sterbelied des legitimen Königtums?!

»Nur ein Traum ist dieses Leben – und das Träumen selbst ein Traum!« Was hängen mir diese melancholischen Verse des großen spanischen Dichters wie Klammern an der Seele – habe ich wirklich nur geträumt? War es ein Traum, als wir an den Ufern des lieblichen Bergsees spielten, ich – Du – die Schwester und siesie – war es ein Traum, jener Abend im Hochwald, sie auf dem weißen ungarischen Roß, dem Geschenk der Kaiserin, um uns der rote Schein der sinkenden Sonne auf dem herbstlichen Blätterwerk der Eichen und Buchen und dem prächtigen Bau der fernen Benediktenwand – von den Klosterkirchen des Ammergaus trugen warme Lüfte die fernen Glockenklänge des Abendsegens – durch das Moos raschelte die schlanke Gestalt der Eidechse und in dem Laub sangen die Vögel ihr Nachtlied. Drüben aber über Schloß Berg stieg langsam die weiße Sichel des Mondes – – war es ein Traum, wie unsere Pferde damals die schlanken Hälse so dicht aneinander legten und sie die Hand mit dem silbergrauen Reithandschuh auf meinen Arm und ihre Stimme flüsterte: Freund – bald wird dies alles uns ein Traum sein; – wenn unter der Schnee- und Eishülle dieser Berge sich wieder das Leben regt – wird es Winter bei uns, dann werden wir scheiden! »Und das Träumen selbst – ein Traum!«

Es ruht ein Handschuh auf meiner Brust, silbergrau wie jener, der mir das Ende des Traumes kündete, und wiederum glaube ich nur geträumt zu haben einen schönen Traum. Was sind Wunden und Tod – was sind Schmerzen und Leiden, wenn die Engel im Traume an unsere Seite treten und zeigen: dort oben!

Auch die Menschen, die wir lieben, sind nur ein Traum – sie schwinden flüchtig wie dieser und wir können sie nicht zwingen und halten die bunten wechselnden Gestalten, sie kommen und gehen ohne unseren Willen. Alle Vergangenheit ist ein Traum, und alle Zukunft ist Träumen!

Für welche Wirklichkeit ist der brave Soldat dort drüben an der anderen Wand, dem gestern die Granate den Fuß wegriß, und dessen starre Züge jetzt der graue Mantel deckt, gestorben? War es nicht auch ein Traum, für den er die schöne Heimat an der Loire verließ? Was ist der Glaube, was ist das Ideal anders als ein Traum – aller Glaube ist Träumen, alles Fühlen ist Träumen – es ist nichts wirklich unter den Sternen bis wir erwachen!

Eben kommen die Kameraden, die seinen verstümmelten Leib in das Felsengrab legen wollen, das sie allen gegraben, die gestern und heute den Traum des Lebens ausgeträumt, – und es sind ihrer viele, die das letzte Bombardement gefordert hat.

Mein treuer Toni! – ja die Liebe mag ein Traum sein, wie das ganze Leben – aber es gibt etwas, das über das Leben hinausreicht und über alle Liebe, das ist die Treue und die Treue ist kein Traum, das bekunden die blutgetränkten Felsen der Meerburg Gaëta!

»Sei getreu bis in den Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben!« sagt der Apostel, und diese Krone wird kein Traum sein, denn sie ist verheißen nach dem Erwachen.

Sei getreu bis in den Tod! – kennt Ihr mich so wenig, Du und Josepha, daß Ihr mir schreiben dürft, die Hoffnung, die letzte Burg des Königtums zu halten gegen den Verrat sei ein törichter Traum, und ich möge den nächsten Dampfer benutzen, ehe es zu spät sei, mich nach Terracina bringen zu lassen, um in der Heimat Genesung zu finden! – Pfui über die Verräter, die scharenweise jenen Dampfer füllen und die sinkende Fahne verlassen! – kann ich mit der wunden Brust nicht kämpfen mehr für den Traum unserer Jugend – auf diesem Felsen kann ich wenigstens sterben dafür in unverbrüchlicher Treue – und Treue, sie ist kein Traum!

 

Aus dem Rundschreiben des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten Graf Casella an die europäischen Höfe.

Gaëta, den 18. Januar 1861.

»… Von morgen an bleibt der Hafen von Gaëta blokiert und der Weg steht den Angriffen des Platzes von der Seefeste offen. Von morgen ab werden die eigenen Schiffe Sr. Majestät, durch die infamsten Verrätereien dem König von Piemont überliefert, ihre Bomben auf hierher geflüchtete wehrlose Familien, auf den rechtmäßigen König und auf die Königin der beiden Sizilien werfen.

Man vermag nicht zu glauben, daß Europa bei einem Schauspiel länger untätig bleiben könne, welches ein von allen Mächten anerkannter König darbietet, der seiner Staaten durch den ungerechten Angriff beraubt wurde, und nun allen Schrecknissen eines langen Bombardements preisgegeben ist, und zwar wegen keines anderen Verbrechens, als wegen des Mutes, welchen er besitzt, den letzten Wall der Monarchie gegen eine niederträchtige Invasion tapfer zu verteidigen. Die Souveräne und die Völker werden zuletzt begreifen, daß man in Gaëta etwas mehr als die Krone einer alten Dynastie verteidigt; man verteidigt die Verträge, kraft deren alle Souveräne regieren, das öffentliche Recht, auf dessen Stärke die Sache und die Unabhängigkeit der Völker ruhen … Das Gesetz und das öffentliche Gewissen, das moralische Gefühl aller redlichen Herzen werden sich in dieser entscheidenden Lage für den König erklären. Und wenn Europa Se. Majestät aufgibt, so gibt Se. Majestät doch sich nicht auf; seine Souveränitätspflicht wird der König bis zum Ende erfüllen … – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –«

Gegeben in den Gewässern von Gaëta,
20. Januar 1861.

»In Anbetracht dessen, daß die regelmäßige Belagerung von der Landseite durch die königlichen Truppen Sr. Majestät vor Gaëta bereits angehoben ist; in Betracht usw. usw. wird von mir, dem unterzeichneten Vizeadmiral, Oberkommandant der vor Gaëta liegenden Seemacht Sr. Majestät Viktor Emanuels, im Einverständnis mit Sr. Exzellenz, dem General Cialdini, Oberkommandanten des Belagerungskorps, mit Gegenwärtigen, im Namen meiner Regierung erklärt und allen jenen, die es angehen kann, kund und zu wissen getan: daß ich die effektive Blokade des Platzes von Gaëta und seines Strandgebietes von Torre Sant Agostino einerseits bis Mola andererseits in der Absicht aufgestellt habe, um den Belagerten jegliche Zufuhr abzuschneiden …«

Der Vizeadmiral Persano.

 

Aus dem Tagebuch des Leutnant Baron Ch…

Gaëta, den 20 Januar 1861.

»Gestern Abend mit der schwindenden Sonne ist die französische Flotte davongesegelt – die selbstsüchtige Politik des Bonaparte hat die Königsburg ihren Vorteilen geopfert und das Schicksal des königlichen Paares ist entschieden, denn auch die spanische Escadre ist den Franzosen gefolgt.

Ich sprach heute den spanischen Gesandten Don Bermudez de Castro, der treu mit dem bayerischen bei dem königlichen Paare ausgehalten und soeben die anmaßende von einem Dampfer unter Parlamentärflagge überbrachte Notifikation der Blokade als dem Völker- – wie dem Seerecht widersprechend zurückgewiesen hatte. Er zuckte traurig die Achseln, als ich ihn um die Ursache dieser plötzlichen Abberufung fragte: »Ich weiß es selbst nicht zu deuten – man spricht von einer neuen Erhebung der Karlisten unterm Schutz der Kurie. In der Tat, ich bin selbst überrascht.«

O gewiß, diese englische Perfidie und diese napoleonische Falschheit – über kurz oder lang werden sie ihren Lohn in der Geschichte finden!

Es ist jetzt bekannt, daß der König den Vorschlag, mit General Bosco sich in die Abruzzen zu werfen und Gaëtas Verteidigung den Generalen Marulli und Latour zu überlassen, zurückgewiesen hat, um nicht die Getreuen, die hier bei ihm ausgehalten, zu verlassen. Ein Gutes haben wenigstens die dringenden Bitten seiner Umgebung gehabt, das königliche Paar hat seine bisherige von den Kugeln der piemontesischen Batterien durchlöcherte und zerstörte Wohnung verlassen und ist in die überwölbten, aber düsteren und engen Räume der Batterie della Granguardia übersiedelt. Ich war heute Mittag in diesen – königlichen Gemächern! – Zwei von Bretterverschlägen gebildete Kammern, so eng, daß kaum für Bett, Stuhl und Tisch darin Raum ist, die kalten Steinfliesen des Fußbodens mit einer halb zerrissenen Strohmatte bedeckt. Obschon während des Bombardements alle Türen und Schießscharten-Öffnungen mit schweren Eichenbohlen versetzt wurden, schlug doch eine Bombe in die königlichen Gemächer; zum Glück waren die Bewohner abwesend. Unwillkürlich erinnert man sich beim Anblick dieses Zimmers der jungen Königin an jene Zelle der Conciergerie, die vor siebenzig Jahren Marie Antoinette bewohnte! Was können wir klagen um unser Biwak in den Gewölben der Batterie della Regina, wenn die Königin selbst so jammervoll wohnt!

Als ich von dort kam, begegnete ich auf der Straße dem jungen deutschen Offizier des zweiten Fremden-Bataillons, der bei dem Überfall der Villa Albano einen Messerstich in die Brust erhielt von einem seiner eigenen Soldaten. Saint Bris erzählte, daß der König auf die Bitte des Verwundeten den elenden Verbrecher begnadigt habe und sich begnügte, ihn aus der Festung jagen zu lassen – eine unglückliche Milde, wie sie der königlichen Sache schon so viel Nachteil gebracht hat! Es war Sonnenschein und der arme Kranke schlich, auf den Arm eines Jägers gestützt, am Strande in der Nähe der Batterie. Zum Glück hat das Messer des Buben nicht die Lebensadern durchschnitten und ist an den Rippen hingeglitten, und nur der starke Blutverlust hatte ihn an den Rand des Grabes gebracht. Es war in jener Nacht, von der Saint Bris und Chesnaye so wunderbare Abenteuer erzählen. Niemand kennt den deutschen Offizier genauer, aber er soll ein Kavalier aus der Heimat der Königin sein und diese sich besonders für seine Herstellung interessieren. – –

Eben hat ein Kriegsrat stattgefunden, der Vicomte von Puyferrat, unser ewig lustiger Quartiermeister, wie er es früher im Kürassierregiment der kaiserlichen Garde war, verlangt, daß wir unsere letzte Flasche Wein opfern zu Ehren des Entschlusses, von unserer Seite selbst das Feuer zu beginnen. Die Befehle sind für übermorgen gegeben.

Soll ich eine Beschreibung geben von dem Zustande der Stadt, wie er schon jetzt ist? Die Straßen von tiefen Furchen durch die Vollkugeln zerrissen, an vielen Stellen wie geackert; kaum vermögen die dazu kommandierten Jäger sie wieder notwendig passierbar zu machen. Die Kirchen ohne Kuppeln, wie enthauptet, – Mauern, als wären sie mit Absicht kreneliert; viele Gebäude so durchschossen, daß man durch sämtliche Wände hindurch die Flugbahn der Kugeln verfolgen kann! An der porta di terra die Gebäude wie Filigranarbeit durchlöchert, jeden Augenblick dem Zusammensturz drohend – wo man hin sieht, auf Tritt und Schritt Massen von Kugeln jeder Art! Selbst die Zinnen des Orlandoturmes sind zerrissen! In den Straßen irren halb verhungerte Pferde und Maultiere, oder liegen die Kadaver der von den Kugeln zerrissenen und müssen ins Meer geschleift werden!

Gegen Abend hat die piemontesische Flotte sich vor den Hafen gelegt, das Linienschiff Re Galantuomo, vier Schrauben- und 3 Räderfregatten, 3 Korvetten und sechs Kanonenboote. Auf der »Marie Adelaide« weht die Flagge Persanos. Sie schließen einen Halbkreis von 2½ Stunden Ausdehnung um die Stadt. Es wird einen tollen Lärm geben, wenn sie ihre Breitseiten eröffnen, aber unsere kalabrischen Matrosen, die wackeren Burschen, lachen dazu.

Der König will vor der Eröffnung des Feuers noch eine Musterung der Garnison halten – er will den Freiwilligen anheimstellen, ob sie gehen oder bleiben wollen! Die Feigen, die uns verlassen, mögen die gemieteten Marseiller Dampfer benutzen, die auf ihrer letzten Fahrt morgen 600 Frauen und 800 Kranke nach Terracina bringen sollen. Die Dampfer dürfen nicht wiederkehren, obschon der Hunger bald unser Koch sein wird – Admiral Persano hält die Sperre und das humane Europa sieht ihr zu!

Gaëta, den 23. Januar 1861.

»Allmächtiger Gott, welchen furchtbaren Tag hast du mich glücklich durchleben lassen! – Ich bin kein Kopfhänger und sonderlicher Kirchengänger, aber wer diesen Höllentag und diese Höllenmacht bestanden, der hat erkennen lernen, daß jedes Haar auf unserem Haupte gezählt ist und in Seiner Hand Tod und Leben liegt.

Ich weiß jetzt, warum die Wiedereröffnung des Feuers um 24 Stunden verschoben wurde. Man erwartete in der Nacht zum Montag noch ein Marseiller Schiff, den »Sphinx«, mit Mehl und Gußeisen beladen, und es ist dem wackeren Dampfer glücklich gelungen, die piemontesische Sperre zu durchbrechen. Um seine Ladung zu löschen mußte der Wechsel der eisernen Boten verschoben werden.

Die Morgensonne des 22. Januar tauchte klar aus dem blauen tyrrhenischen Meer – keine Wolke am Himmel – ruhig schlug der kurze Schwall der Wogen an die felsige Küste.

Alles Ruhe, alles Frieden in der erhaben schönen Natur.

Nur die Menschen standen zum Kampf, zur Zerstörung bereit, jeder von uns an seinem Posten.

Mochte es der gelegene Platz sein, den meine Pflicht mir anwies, und von dem man weit hinausschaute auf den Spiegel des Meeres und auf die mit Batterien geschmückten Berge des Isthmus – an dieser Batterie standen seit einer halben Stunde in der Erwartung des befohlenen Signals auch der König und die Königin.

Die junge, königliche Frau hatte sich fest in ihren grauen Mantel gehüllt und stand gegen ihre Gewohnheit schweigsam, ohne mit einem der Kanoniere oder einem Mitglied ihrer Umgebung zu sprechen. An ihrer Seite befand sich das Mädchen aus den bayerischen Alpen, das – wie ich hörte, – ihre Milchschwester ist und sich stets in ihrer nächsten Nähe befindet.

Als ich mich zufällig umsah, erblicke ich auch den verwundeten, bayerischen Legionär, der krank noch und schwach, in einiger Entfernung an einer Mauer lehnte, und den Soldaten, der ihn gewöhnlich begleitet und unterstützt, neben sich.

Es schien ein allgemeines Schweigen über die ganze wüste Stadt und ihre festen Vorwerke ausgebreitet – die Offiziere schauten ungeduldig auf ihre Uhren.

Da – von dem Dom dröhnte der erste Schlag dieser Morgenstunde und wiederholte sich in lang verhallenden Schlägen.

Es schlug neun Uhr!

Der Kommandierende der Landseite, Generalleutnant Riedmatten trat zu dem König. »Euer Majestät zu Befehl, alles ist bereit!«

Der junge König zeigte ein sehr sorgenvolles, trauriges Gesicht. Mit einer fast bittenden Miene wandte er sich an die Königin.

»Denken Sie an Ihre Ehre, an Ihre Pflicht Franz!« sagte die Königin.

Ohne ein Wort weiter zu sprechen, erhob der König die Hand und wehte mit dem Taschentuch.

Der General Riedmatten kommandierte selbst: »Feuer!«

Die Erde schien zu erbeben von dem furchtbaren Krachen der Geschütze der Batterie Regina, und der eiserne Hagel rasselte gegen den Feind; – als hätten sie auf das Signal nur gewartet, zuckten fast zugleich rechts und links an den Felsenwänden hin die feurigen Strahlen, und Schuß um Schuß donnerte durch die Dampfwand und zerriß sie in gewaltige Flocken. Über 300 Feuerschlünde brüllten ihren Morgengruß und schleuderten den eisernen Fehdehandschuh der bedrohten Veste den Piemontesen entgegen, ihnen verkündend, daß der Mut der Kämpfer für das legitime Königtum noch nicht gebrochen sei.

Aber auch drüben auf den Höhen des Monte Atratina, Lombone, Capucini, Tortone und Agatha und in den Tälern bis zu der Batterie der riesigen Cavalli-Geschütze an der Mola zuckte es auf, Blitz an Blitz. Der Pulverdampf, erst in weißen Wölkchen emporbrechend, floß nach und nach zusammen in ein Wogen von Dampf, Rauch, Blitz und Flamme; die Berge mit ihren fünfzehn arbeitenden Batterien schienen zu feuerspeienden Kratern geworden, und auch vom Meer her hob sich's in krachenden Feuerwolken. Das Krachen verschmolz zu immerwährendem gewitterähnlichen Donnerrollen, in dem sich kein einzelner Schuß mehr unterscheiden ließ. Nur selten, nur in langen Zwischenräumen trat eine sekundenlange Pause ein, wie ein kurzes Atemholen, und ließ ein vereinzeltes Entladen der Geschütze hören, doch gleich darauf wieder brach der Tod und Verderben brüllende Chor los und schüttete seinen eisernen Hagel über Stadt und Berge.

Aber mitten in dieser Eisen speienden Hölle ereigneten sich seltsame Szenen.

Während die feindlichen Bomben und Granaten in die Batterien und Straßen einschlugen, hörte man zwischen dem Krachen der explodierenden Geschosse fortwährend den Ruf: »Es lebe der König!«

Die Marinieri – die treugebliebenen Matrosen – stiegen in langen Zügen aus ihren Kasematten empor, um die Bemannung der Geschütze zu verstärken. »Es lebe der König! Es lebe die Königin!«

Aus der Gegend des Hospitales Sant Katharina kam ein Adjutant. Vier Bomben hatten kurz nacheinander in die Krankensäle durch das Deckengebälk geschlagen; die springenden Stücke hatten eine der barmherzigen Schwestern und mehrere Kranke zerrissen und getötet. Auf ihren Lagerstätten erhoben sich die Verschonten und riefen ihr: »Es lebe der König«.

Wir hatten auf der Batterie della Regina zunächst unser Feuer auf den Monte Capuccini konzentriert und die Genugtuung, daß das Gegenfeuer der Feinde dort immer schwächer wurde, bis es endlich ganz aufhörte. Erst am Abend wurde es matt wieder aufgenommen.

Um 11 Uhr trat die sardinische Flotte in das Bombardement mit den 4 Räder-, einer Schrauben-Fregatte und 4 Kanonenböten. Der »Garibaldi« eröffnete das Feuer, indem er sich vor die Südostseite der Halbinsel legte und die Forts der Seeseite und die Stadt bestrich, zuerst mit den gezogenen Boogkanonen, dann in der Drehung um sich selbst die Breitseiten gebend.

Der Kommandant der Regina sandte mich mit der Meldung zum König, der schon vor Eröffnung der Kanonade der Flotte sich nach den Bastionen der Seeseite begeben hatte, und ich bahnte mir über die Trümmer den Weg, während der Eisenhagel um mich niederschmetterte.

Merkwürdigerweise – in einer der kurzen Pausen des Bombardements hörte ich die Musik einer lustigen Tarantella!

Und richtig, als ich näher kam an die Batterien der Seeseite, wo ich den König antreffen sollte, da stand auf der großen Batterie San Antonio die Musikbande des 8. und 9. Bataillons ungedeckt und spielte die munteren Weisen der Neapolitaner und die bourbonische Hymne, und die Matrosen, die nicht an den Kanonen beschäftigt waren, tanzten die Tarantella um eine eben eingeschlagene, nicht krepierte Bombe und schwangen die Wachshüte und jubelten ihr Evviva il Re!

An der vom Meer umspielten Batterie »Ferdinande« fand ich den König und die Königin in lebhaftem Wortwechsel. Die junge, heldenmütige Frau verlangte ihren Gemahl in die Batterie zu begleiten, die in heftigem Feuer gegen die Schiffe stand. Der König weigerte es, weil die Gefahr zu augenscheinlich war – aber die tapfere Maria von Bayern bestand darauf und General Baron Schumacher redete dem König zu, bis er es gestattete.

Mit triumphierendem Lächeln wendete sich die Königin nach der Batterie, als ihr Auge zugleich mit dem meinen auf den bleichen, deutschen Offizier fiel, der auf einen Stock und den Arm des ihn leitenden Soldaten gestützt, wieder in ihrer Nähe stand und Miene machte, ihr zu folgen.

Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Was tun Sie, hier, Herr? Ich dächte, Sie hätten genug des Blutes für uns vergossen und hier ist nicht Ihr Platz.«

Ich konnte nicht verstehen, was der Offizier entgegnete, aber die Königin wandte sich etwas heftig an ihren Gemahl. »Ich bitte Euer Majestät, dem Leutnant Max hier Arrest geben zu lassen wegen seines Ungehorsams gegen die ärztlichen Vorschriften. Wir bedürfen des Lebens treuer Offiziere zu dringend, um ihnen gestatten zu können, krank und wund sich unnützen Gefahren auszusetzen.«

Sie stieg die Stufen zur Batterie empor, während der arme Kranke von seinem Wärter hinweggeführt wurde. Auf seinem blassen Gesicht lag eine helle Röte war es Beschämung über den Verweis – oder Freude über die ehrenden Worte der Königin?

Ein wahrer Jubel begrüßte die junge Heldin, als sie in die Batterie trat; die Matrosen, die hier an den Kanonen arbeiteten, schwangen die Hüte und küßten den Saum ihres Mantels, die Offiziere salutierten mit Begeisterung – jedes Auge, das nur einen Moment sich wegwenden konnte von der blutigen Arbeit, hing enthusiastisch an der jungen königlichen Frau, wie sie voll hohen Mutes, ruhig in der Mitte der Batterie stand und das Feuer beobachtete. Vergeblich mahnte der König sie, sich nicht länger zu exponieren – ihre Hand zitterte nicht, als sie das Glas an das Auge hielt und die feuerspeienden Schiffe visierte, während der Boden unter ihr zu erzittern schien.

Ich hatte meine Meldung gemacht, aber ich zögerte noch zurückzukehren. Der Anblick, der Mut dieser königlichen Märtyrerin fesselte mich an die gefährliche Stelle.

»Wie heißt die Fregatte dort, die eben wendet?«

»Es ist die ›Marie Adelaide‹.«

»Arme Königin! – König Viktor Emanuel hat kein Glück mit dem Namen – sehen Sie, das Schiff muß starke Beschädigung erlitten haben – es zieht sich aus der Gefechtslinie zurück.«

»Ha – man läßt die Admiralsflagge nieder!«

In der Tat kam die Flagge Persanos herab – eine Stunde später sahen wir sie an Bord des »Carlo Alberto« aufgehißt.

»Granate von der Mola-Batterie!« rief der Signalist.

Alles blickte in der Richtung.

Hoch im Bogen kam das mächtige Geschoß herübergeschrillt, man konnte seinen Flug deutlich verfolgen, schlug zu den Füßen des Walles ins Meer und krepierte auf dem Grunde, eine wahre Kaskade von schäumendem Wasser emporschleudernd bis hoch auf die Esplanade der Batterie. Als der Wasserstaub, der uns alle bespritzt hatte, verflogen war, lagen zu den Füßen der Königin vier kleine zappelnde Silberfische.

»Ei wie artig von Herrn Cialdini,« sagte lächelnd die Königin, – »ganz gegen seine Gewohnheit! – Aber um Himmelswillen, was tut der Mann dort?«

Einer der Seeleute, ein wackerer Bursche, Falconiere mit Namen, wie ich später hörte, hatte sich über die Brustwehr geschwungen und war im Begriff, sich herunter zu lassen auf den Strand. Er hatte gesehen, daß der eiserne Gruß mit der aufkrachenden Wassermasse noch mehrere Bewohner der Tiefe aufs Trockene geschleudert hatte, darunter eine »Spinola«, einen der größten Fische, die man im Golf fängt.

Der Bursche führte wirklich ein tollkühnes Unternehmen glücklich aus, er holte den größten Fisch und brachte ihn dem Könige.

Major Solimene, der Kommandant von San Antonio ist gefallen, Hauptmann von Filippis, der Kommandant der Batterie Dente di Sega hat sieben Blessuren. Doch ist der Verlust des Feindes an Menschenleben sicher größer als der unsere. Die Regina – die allein 2000 Schuß getan Die Festung tat an diesem blutigen Tage 11 400 Schuß, davon allein 1700 gegen die Flotte; er kostete den vierten Teil aller noch vorhandenen Munition. – hat nur 29 Tote und Verwundete.

Um 5 Uhr kam der Befehl zur Einstellung des Feuers die Rohre der Geschütze waren durch die achtstündige Arbeit dermaßen erhitzt, daß sie der Abkühlung dringend bedurften – auch die Bedienungsmannschaften, die seit dem Morgen nichts genossen, bedurften der Ruhe.

Aber die Batterien der Gegner setzten ohne Pause ihr Feuer fort und spieen die ganze Nacht ihre Bomben und Granaten.

Der König hatte während der ganzen Zeit die Wälle nicht verlassen; nach dem Aufhören des Feuers der Festung besuchte er mit der Königin die Lazarette – der Rapport lautet auf 20 Tote und 110 Verwundete; – ich traf beide im Spitale Torrione Francese. Als sie an der Hauptwache vorbeikamen, spielte die Musik die bourbonische Hymne und alle Anwesenden entblößten das Haupt und riefen: »Es lebe der König!« Die Marinieri aber sangen den Gassenhauer der Lazaroni von Neapel beim Einzug Victor Emanuels. – –

 

Max von Waldenfels an den Baron Otto von Cronenberg.

Gaëta, den 5. Februar.

»Ob und wann diese Zeilen noch Dich erreichen werden, – ich weiß es nicht, es ist auch gleichgültig, – den Lebenden werden sie nicht mehr mit dem Lebenden verbinden!

Die Ärzte sagen, die Gefahr sei vorüber für mich, ich sei auf dem Wege der sicheren Genesung, und seit zwei Wochen schon habe ich das Lazarett verlassen und mit Hilfe meines getreuen Toni – den ihre Veranstaltung mir zugesellt – durch die Stadt wandern und den beginnenden Hauch des Frühlings genießen dürfen, ja seit acht Tagen wandere ich allein nur auf einen Stock gestützt, um den braven Burschen nicht länger dem Dienst des Königs zu entziehen, der in diesem Jammer ringsum jedes Getreuen bedarf.

Du in Deinen Bergen unter Eis und Schnee wirst lächeln, wenn ich heute vom Frühling spreche, und doch liegt sein Hauch in diesem wunderbaren Lande auf Berg und See.

Auch meine wunde Brust fühlte ihn belebend – glaubst Du etwa, daß es mir leicht wird, diesem Boten des Lebens gegenüber zu sagen: – rausche weiter, – nicht für mich bist Du, schöner Hauch!

Und doch ist mir lieber, unter Frühlingsduft diesen Traum: Leben zu enden, als wäre es geschehen unter dem strengen Leichentuch des Winters, der allein noch die Kuppen der Apenninen jenseits Mola bedeckt, – in jener Nacht von Albano. Jetzt werden dort Gräser sprießen auf dem Felsengrab, das mich deckt, und vielleicht – vielleicht legt ihre Hand eine Blüte des irdischen Frühlings auf jenes Beet des ewigen und ihre Stimme sagt: »Er war getreu bis in den Tod!«

Ja, getreu bis in den Tod will Dein Freund sein und deshalb wird er sterben auf diesem Felsen!

Vergebene Sorge, und doch wie freundlich und lieb! Seit dem Tage der Wiedereröffnung des Bombardements, jenem Tage, an dem sie mich so hart von sich wies, als ich ihr an der Kehle der Bastion »Ferdinand« auf die Höhe der Batterie folgen wollte, ist ein neuer Feind uns entstanden, schlimmer als die platzenden Granaten Cialdinis: der Typhus!

Aus den Höhlen der überfüllten Kasematten ist das Ungeheuer hervorgekrochen, an dem Hunger und der Not hat es sich gemästet, an den Kadavern der toten Tiere sich großgesäugt, bis die erwachsene Hyäne hinaussprang und die gierigen Zähne schlug in das warme Leben. Am 25. wurden bereits 93 Typhuskranke ins Hospital San Catharina geschleppt, und am Tage darauf 90, am 27.: 69, am 29.: 64! und der Tod hält seinen Rundgang. Über tausend Kranke und Verwundete füllen die Spitäler und die Zahl der frommen Schwestern, die auch für ihr Gelübde treu in den Tod gehen, ist auf drei geschmolzen!

Toni hat nur erzählt, daß auch der Beichtvater der Königin, der fromme Schweizer Eichholzer der Seuche zum Opfer gefallen und die Hohe schwer um ihn trauert, der oft ihr sorgenvolles Herz mit der Weisung auf Den getröstet, der gelitten am Kreuz!

Man hat mich aus San Katharina gewiesen, – Toni sagt, weil die Genesenden den Kranken nicht den Platz nehmen dürfen, ich aber fürchte, die Königin hat es befohlen, denn der treue Mensch hatte bereits an einer Stelle, die weniger den Geschossen ausgesetzt ist, an der Transilvania ein Gemach für mich bereit.

Aber die Entfernung von den Hauptzielen der sardinischen Batterien darf mich nicht hindern, über sie zu wachen, da ich nicht für sie fechten kann.

Wenn die Nacht kommt, da leidet's mich nicht in meiner Kammer und es treibt mich hinaus in die Straßen hinüber nach der Stadt, und der Gran-guardia, wo die Königin wohnt. Die Granaten und Bomben zischen über mir, denn das feindliche Feuer, wenn auch lässiger betrieben, schweigt Tag und Nacht nicht mehr und gönnt nicht den Kranken, nicht den Sterbenden Ruhe.

Am dritten Tage nach dem Bombardement hat man aus einem Gewölbe unter den Trümmern eines eingeschossenen Hauses noch drei Lebende hervorgeholt, die dort mit einem Toten ohne Trank, ohne Nahrung zugebracht. Am 30. Januar wurde der Befehl gegeben, alle Hunde, die noch in der Stadt sich befanden, zu töten; für jeden wird ein Karlin bezahlt, um Suppe aus dem Fleisch für die Kranken zu kochen – und doch hat Toni immer eine Nahrung für mich. Wo nimmt er sie her, der treue Bursche?!

Der 27. war der Geburtstag des Königs – der Todestag eines anderen königlichen Bourbonen, den auch die Treue nicht schützen konnte gegen den Sieg des Verrats – des 16. Ludewigs. Und liefert nicht dieses verräterische Paris wiederum einen Bourbonen auf die Schlachtbank? Die Gesandten und der päpstliche Nuntius waren herübergekommen von Rom, dem Könige ihre Wünsche zu bringen – Worte! Worte! Aber als sie wieder davon gefahren nach dem spärlichen Mahl, das jedem einzelnen unter den krachenden Geschossen nach seiner Kasematte geschickt worden, brachte mir Toni vom bayerischen Gesandten Deinen Brief, der wie immer unter seiner Adresse gekommen war – der letzte Gruß wohl, den ich aus der Heimat erhalte; denn die Sperrung wird immer enger, und selten noch gelingt es einer Barke, in dunkler Nacht von Terracina herüber durch den Cordon der sardinischen Schiffe zu schlüpfen.

O Heimat – Heimat! wie sind meine Gedanken bei dir, wie mahnt mich dieser letzte Gruß an deine mächtigen Berge und deine blauen Seen, – Heimat; Heimat! mein schönes Vaterland!

Ob wir – erwacht aus dem Traum, wohl seiner Gestalten und Gebilde gedenken und uns zurücksehnen nach ihnen?

Aber wohin schweifen meine Gedanken – ich wollte Dir von einem Traum erzählen, einem Traum im Traum.

Hast Du je von der Rocca Spaccata gehört? Ich wenigstens habe Dir nicht, so viel ich mich erinnere, davon geschrieben. Doch ist die Rocca Spaccata eine der bedeutendsten Merkwürdigkeiten von Gaëta. Die Rocca Spaccata ist ein ungeheurer, von oben bis unten gespaltener Felsen. Die Legende erzählt, daß in jenem Augenblick, als durch den Tod des Herrn am Kreuze zu Golgatha der Welt die Erlösung ward, der Felsen von oben bis unten sich spaltete. Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind! – das Wunder sah ich wohl – allein mir fehlt der Glaube, der fromme Seelen bewog, auf dem Vorsprung des Felsens die Kirche zu bauen, die wie ein Nest über dem Abgrund schwebt, und zu der eine in die Wand der Schlucht eingehauene Stiege empor führt. An die Kirche gelehnt steht das Kloster des heiligen Johann von Alcantara. Am Abend des 27. zelebrierten die Brüder die heilige Messe, und König und Königin wohnten ihr bei.

Du weißt, wie gern ich mit geschlossenen Augen träume bei Musik und Orgelspiel. Ich hatte mich in einen der uralten Beichtstühle gesetzt und bald den Zusammenhang mit dem Irdischen verloren. Nur wie aus weiter Ferne drang der Spährenklang der Orgel in mein Ohr, im blauen Äther sah ich eine Lichtgestalt von weißen Tauben getragen, die mir die Palme entgegenstreckte, und die Gestalt trug ihre Züge.

Und es drängte mich hinauf, hinauf ihr entgegen; aber mit Riesengewicht hing die Erde an mir und lähmte mein Emporstreben und hielt mich fest. Da kroch es heran, langsam unter der Erde her, ein häßlicher Schlangenleib, und der Kopf der Schlange trug ein wohlbekanntes tückisches Gesicht, das Gesicht des Verräters, der mir das Messer in die Brust stieß, und er öffnete den Mund, und aus dem häßlichen Rachen des menschlichen Schlangenkopfs quoll ein Feuerstrom, und die Erde, die mich festhielt mit ihrer Schwere, erbebte und öffnete sich wie der Krater des fernen Vesuvs, und schleuderte mich in einen Strom von Feuer und Flammen empor. Da wuchsen mir Flügel im Feuerstrom, und hoch und höher schwang ich mich aus ihm hinweg, und die weißen Tauben der Königin kamen mir entgegen und trugen mich empor zu den Füßen der himmlischen Maria mit den Zügen der irdischen.

Du siehst

»und das Träumen selbst – ein Traum!«

Als ich erwachte, war die Kirche beinahe schon finster – am nächsten Pfeiler stand mein getreuer Toni, mir hinab zu helfen.

Seitdem hat sich der Traum noch einmal wiederholt, und zwar in dieser Nacht, an deren Morgen ich dir schreibe. Mag es die aufgeregte Phantasie sein, die ihn mit einem eigentümlichen Ereignis in Verbindung bringt.

Höre mich an, was mir begegnete!

Ich habe Dir bereits geschrieben, – vielleicht auch nicht! meine Gedanken verirren sich jetzt oft! – daß die piemontesische Flotte seit ihrer Niederlage am Tage des Bombardements durch unsere tapferen Seebatterien sich vorsichtig außer Schußweite, meist selbst im sicheren Hafen der Mola hält, und nur in immer strengerer Durchführung der Blokade ihre Tätigkeit zeigt. Selbst einer spanischen Korvette mit Regierungsdepeschen für den Gesandten und einem Briefe der Kaiserin Eugenie an die Königin wurde der Eingang verweigert – Admiral Persano hat seinen Rückhalt in Paris!

Dagegen umschwärmen des Nachts die piemontesischen Dampfer die Festung von allen Seiten und schleudern im Schutze der Dunkelheit ihre Ladungen auf die unglückliche Stadt.

Auch in der vergangenen Nacht weckte mich Kanonendonner von der Seeseite aus Schlaf und Traum, und da ich nicht mehr ruhen konnte, kleidete ich mich an und ging hinaus auf die Straßen, obschon das Schießen wieder aufgehört hatte. Wie mir Offiziere der Transilvania am Morgen erzählten, rührte das Feuern von einem seltsamen, unaufgeklärten Gefecht her, das während der Nacht stattgefunden. Vor den Batterien Transilvania und Malpasso begann plötzlich auf dem Meere eine Kanonade zwischen einer piemontesischen Fregatte und einem unbekannten Dampfschiff, das wahrscheinlich die Blokade zu durchbrechen suchte. Der Dampfer flüchtete sich unter unsere Batterien und schon machten diese sich fertig, auf den Piemontesen zu feuern, als plötzlich das Dampfschiff alle seine Laternen aufleuchten ließ und dann wieder verdunkelte. Darauf plötzlich waren Dampfschiff und Fregatte im Dunkel der Nacht verschwunden.

Es war etwa 4 Uhr morgens, als ich meine Kammer verließ, und in den Mantel gehüllt nach der Stadt pilgerte. Alles noch in tiefem Dunkel und nur hin und wieder warf der Funkenbogen einer aus den Belagerungsbatterien, mehr zur Beunruhigung als des Angriffs wegen, geschleuderten Bombe einen kurzen Lichtstreif am Himmelsgewölbe.

Zweimal hatten mich die Patrouillen angehalten und ich Losung und Feldgeschrei gegeben, als ich mich ermüdet zur kurzen Rast auf einem Trümmerhaufen niederließ.

Denselben Weg wie ich kamen zwei Männer, beide Soldaten, der eine ein Offizier – doch war es unmöglich, sie in der Dunkelheit zu erkennen unter den aufgeschlagenen Mantelkrägen.

»Er hat die Wache am inneren Landtor.« sagte eine Stimme auf italienisch – »doch wird er um 12 Uhr abgelöst, wie Sie wissen müssen.«

»Ich denke, Signor Colonello, das genügt. Ich kenne gut genug die Cappeletti, um Sicherheit zu gewinnen, wenn es Zeit. Gefährlicher ist's mit San Antonio.«

Die Stimme, die ich hörte, machte mich erbeben – ich mußte sie kennen, obschon ich sie niemals hatte italienisch sprechen hören. Mit dieser Stimme rief der Mörder mich an: »Geh' Du voran!«

Und wie ich näher hinsah – die Gestalt neben dem Offizier, wie sie eben der karge Lichtschimmer mir zeigte, war unter dem Militärmantel kurz – gedrungen; – aber doch konnte es nur eine Ähnlichkeit sein, denn ich wußte ja, auf Befehl des Königs war der um unseres treuen Geschwisterpaars willen begnadigte Bösewicht am hellen Tag aus dem Festungstor gepeitscht worden, wenige Tage schon nach dem bübischen Verrat! Er konnte also nicht mehr in der Festung sein!

Dennoch quälte mich der Gedanke, und um mich selbst zu beruhigen, stand ich auf und ging eilig den beiden nach. Doch ich hatte meiner Kraft zu viel zugetraut, auf dem unebenen, von den Kugeln zerrissenen Boden stolperte ich und fiel und verletzte mir den Fuß. Als ich wieder aufgestanden war und weiter ging, war nichts mehr von ihnen zu sehen.

Die Cavallikanonen von Mola her haben das Alcantaristenkloster zu Rocca Spaccata in Trümmer geschossen. Schlimmer noch wütete eine der Kugeln im Palast des Erzbischofs. Die geistlichen Bewohner, welche sich gewöhnlich in einem unterirdischen Gemach aufhielten, hatten vorgestern nur auf einige Augenblicke die oberen Geschosse betreten, als die gewaltige Kugel einschlug und explodierte. Dem Domherrn Criscuolo wurde die Kinnlade, ein Arm und ein Bein zerschmettert, der Dompfarrer Nocatariano und ein zu ihnen geflüchteter Alcantaristenpater wurden gleichfalls schwer verwundet. Eben hörte ich, daß alle drei heute morgen gestorben sind.

Ich habe die Königin heute morgen nicht sehen können, obschon ich hörte, daß sie mehrere Lazarette besucht hat – ein verlorener Tag!

Eben habe ich mich wieder zum Dienst gemeldet. Um den Unteroffizieren und Mannschaften, welche von Krankheiten und Wunden zwar rekonvalesziert, aber zur strengen Dienstleistung noch nicht tauglich genug sind, eine Gelegenheit zur Tätigkeit zu geben, hat General Ritucci neben dem schon bestehenden Schweizer Veteranenkorps zum Dienst auf den Wällen noch ein zweites Korps für den gleichen Dienst in den Kasematten und den Gängen gebildet und man hat mir das Kommando angeboten. So will ich denn …

Heiliger Gott – was war das? – die Erde bebte unter mir – die Tinte beschüttete das Papier – es muß ein Unglück geschehen sein – ich will hinaus …«

 

Aus dem Tagebuch des Leutnants Baron von Ch…

Gaëta, den 7. Februar 1861.

Armes Königspaar – alles verschwört sich gegen dich – vergeblich ist der Mut, die Opferung deiner Getreuen – noch ein solches Unglück – und die Festung ist verloren!

Es ist ein gräßlicher Anblick – der Jammer, der noch jetzt, nach vollen 24 Stunden, auf allen Seiten zum Himmel steigt, unsäglich. Kaum finde ich Zeit, diese Zeilen in mein Journal zu tragen, nachdem ich die ganze Nacht über und bis jetzt geholfen habe, Verwundete und Sterbende fortzuschaffen, Verschüttete aus ihrem Grabe zu befreien.

Schon die erste Explosion war schrecklich genug und von den traurigsten Folgen.

Am Freitag (den 4.) Nachmittag gegen 5 Uhr ward in der Gegend des Landtors die Erde durch eine Eruption erschüttert. Der Munitionsvorrat der Batterie Fianco Basso Cappeletti, zwischen dem inneren und äußeren Landtor gelegen, war mit 700 Geschützladungen in die Luft geflogen, die Bastion stark erschüttert, ein Stück ihrer Mauer eingestürzt; die benachbarten Batterien fühlten die Erde unter ihren Füßen beben. General Schumacher eilte sogleich mit drei Kompagnien Jäger und Pionieren herbei und tat das Möglichste, um schleunig die Bresche auszufüllen, welche der Feind hätte ersteigen können, wenn das Vorwerk genommen war.

Aber es war nur das Vorspiel der Tragödie!

Am Dienstag gegen Mittag hatte der Feind sein Feuer sehr verstärkt. Die Explosion vom Tage vorher konnte ihm nicht verborgen geblieben sein, und er wollte offenbar unsere Arbeiten hindern.

Es war Nachmittag 3 Uhr, als ich mit mehreren Offizieren auf der Zitadelle stand. General Traversa vom Genie hatte soeben auf diesem Platz, von dem man den am Tage vorher angerichteten Schaden vollkommen übersehen konnte, mit General Riedmatten über die schnellste Ausbesserung beraten und beide Führer hatten die Bastion verlassen. Ich war in einem Auftrag des Generals zurückgeblieben. General Traverso, der alte 78 jährige Greis mit der rastlosen Tätigkeit eines Jünglings – er hatte schon der Belagerung Gaëtas von 1806 durch Massena unter dem ritterlichen Prinzen von Hessen-Philippsthal beigewohnt – ging nach dem Landtor. Wir alle waren voll Bewunderung für den kleinen alten Herrn mit dem weißen Haar, dessen scharfes Auge unter den Brillengläsern hervor noch so begeistert funkelte, und dessen energischen Widerspruch wir es verdanken, daß bei dem Absegeln der französischen Flotte die von dem pariser Kabinett gemachten Vorschläge zur Kapitulation abgewiesen wurden. Ich sah ihn eben sich nach der Bresche wenden, nachdem General Riedmatten ihm die Hand gereicht und mit seinem Adjutanten Urban de Charette, Granier und einigen neapolitanischen Soldaten den Weg nach den Batterien genommen hatte.

In meiner Nähe stand der deutsche Offizier, den ich schon neulich auf diesen Blättern erwähnte – Leutnant Max nennt man ihn; er kommandiert jetzt als Rekonvaleszent, – und man sieht dem armen Burschen an, daß es langsam mit seiner Herstellung vorwärts geht! – die Invalidenkompagnie, welche die Wachen in den Gängen und Kasematten der linken Front gibt. Seine Augen waren auf eine Gruppe von Soldaten geheftet, die am Eingang der Zitadelle stand, und an denen eben mehrere Arbeiter sich vorüber drängten in der Richtung nach der Kathedrale.

Plötzlich wandte er sich an mich. »Ihr Glas, Herr Kamerad, bitte einen Augenblick Ihr Glas.«

Ich reichte ihm meinen Stecher, den er hastig auf jene Gruppe richtete.

»Beim Himmel – er ist es! das ist der Mann! Nehmen Sie – diesmal darf er mir nicht entgehen!« und den Säbel aus der Scheide reißend, eilte er hastig dem Ausgang der Zitadelle nach der Stadt hin zu. Gleich darauf sah ich ihn einen der Arbeiter verfolgen, dem er zuzurufen schien, zu halten, während der Mann seine Eile verdoppelte.

In diesem Augenblick fühlte ich die Erde unter mir wanken und beben. Eine nachtschwarze Wolkensäule stieg kaum hundert Schritt von mir entfernt in den Himmel und verfinsterte alles ringsum – zugleich erschütterte ein Knall die Luft, als würden tausend Geschütze in derselben Sekunde gelöst, und minutenlang krachte und platzte es von allen Seiten über und neben mir in der Luft, als stießen und fielen Eisen- und Felsstücke gegeneinander. Ein heißer Luftstrom stieg aus der Tiefe und umwehte alles Lebendige – dann eine Totenstille, nur unterbrochen von dem Schwirren einer einzelnen Granate, die herüber von der Mola her über das Meer sauste gegen die unglückliche Stadt.

Dann ein Jammer- und Wehgeheul, wie ich es nie gehört und zu hören hoffte, es müßte denn sein am jüngsten Tage, wenn der Engel mit dem feurigen Schwert die Verdammten zurückschleudert in den höllischen Pfuhl.

Das Pulvermagazin Dente di Sega San Antonio bei der Zitadelle war mit 4000 Ladungen schweren Kalibers in die Luft geflogen.

Erst nachdem sich der Pulverdampf und der Qualm des Schuttes verzogen, erkannte man die furchtbare Verwüstung.

Ich fühlte mich auf der Erde liegen, wie ich später sah einige Schritte von der Stelle, an der ich vorhin gestanden; der Kopf war mir ganz wirr und wüst – doch konnte ich die Glieder bewegen, was ich sogleich, als ich die Besinnung wieder fand, probierte. Mein erster Gedanke war: Dank an Gott, der mich so glücklich beschirmt, denn um mich her sah es in der Tat furchtbar aus. Dicht neben mir lag ein abgerissener, menschlicher Arm und einige Schritte weiter ein Soldat, dem ein Steinklumpen den Kopf in Atome zerschmettert hatte. Von den Kameraden, die vorhin um mich gestanden, war glücklicherweise nur einer schwerer verletzt, zwei andere hatten leichte Verwundungen davon getragen, aber jeder wunderte sich offenbar, sich und den anderen noch lebendig wieder zu finden.

An der Stelle, wo sich das Landtor und die Hauptwache befanden, gähnte ein weiter Schlund, ein blutiger Krater, in dem sich Staub und zerrissene Menschenleiber wälzten. Der Wall, die Bastion und die meisten der angrenzenden Gebäude waren ein ungeheurer Schutthaufen, aus welchem heraus herzzerreißender Jammer und Gestöhn erscholl. Eine 30-40 Meter breite Bresche war an jener Stelle geöffnet, wo zur Seeseite gehörig sonst die Batterie Dente di Sega San Antonio sich befand. Alle angrenzenden Batterien waren gleichfalls zertrümmert, die Geschütze oft weit hinweggeschleudert, und man glaubte anfangs, daß die ganze Zitadelle zerstört und alle darauf befindlichen Offiziere und Mannschaften umgekommen wären. Zum Glück bestätigte sich das nicht, wir waren wie durch ein Wunder gerettet. Das Bollwerk selbst war nur gewaltig erschüttert worden, und überall klafften in den Mauern tiefgehende Risse und Spalten. Die hier befindlichen Truppen hatten sich minutenlang wie im Krater eines ausbrechenden Vulkans befunden, und nur der Regen von Trümmern und explodierenden Geschossen hatte viele Verletzungen veranlaßt und mehrere Menschenleben gekostet.

Desto entsetzlicher sah es unterhalb der Bastion aus. Schaudererregend ist das Los jener Arbeiter gewesen, die zur Ausfüllung der tags vorher entstandenen kleinen Bresche kommandiert waren. Die Mannschaften zweier Kompagnien sind verschüttet, zerschmettert oder in die Luft geschleudert; ganze Familien, Männer Frauen und Kinder sind bis auf den letzten zugrunde gegangen. So ist eine aus 11 Personen bestehende Familie, welche sich unter das Landtor geflüchtet, verschüttet und zermalmt worden. Es war ein gräßlicher Anblick, den von Blut geröteten, vom Pulver geschwärzten Schutt sich bewegen zu sehen, in dem verstümmelte Arme, Beine und Köpfe mit der Kraft der Verzweiflung sich empor ans Tageslicht zu ringen suchten, um auch hier namenlosen Leiden entgegenzugehen oder zu erliegen.

Dazu krachte und wetterte es von den feindlichen Batterien ohne Unterlaß, die bloß auf dies furchtbare Signal gewartet zu haben schienen, um ihr ganzes Feuer auf diesen Punkt zu konzentrieren.

Und auf dem Meere segelte in langer Linie die piemontesische Flotte von Mola herbei – voran o Schmach! die treubrüchige Fregatte »Monarca« von der ehemaligen neapolitanischen Marine, und legte sich vor die Festung und begann aus ihren Breitseiten ein furchtbares Feuer gegen die Seeseite der Festung und die halbzerstörte Zitadelle, der sie sich sonst nicht zu nahen wagte.

Unwillkürlich hatte man den Gedanken, daß dieser mörderische Angriff wohl vorbereitet war, daß der Feind die Explosion erwartet haben mußte, und dann konnte nur Verrat, der schändlichste Verrat sie veranlaßt haben.

Wahrlich, in dieser Stunde galt es, den kaltblütigen unerschütterlichen Soldaten zu bewähren. Und er wurde bewährt in tausend glänzenden Beispielen vom König herab bis zu dem geringsten Krieger. General Riedmatten, der in größter Gefahr gewesen, denn eine Bombe war auf seinem Wege in Entfernung von wenig Schritten niedergekracht und krepiert und hatte das Erdreich auf ihn und seine Begleiter geschleudert, – eilte sofort nach den Batterien der Landseite und ließ sie eine scharfe Kanonade auf die Feinde eröffnen, um das Feuer derselben von dem bedrängten Punkte abzulenken, was endlich auch gelang. In gleicher Weise verfuhr in Stelle des General Sigrist, welcher ziemlich die ganze Dauer der Belagerung erkrankt mit seinen zwei Söhnen zubrachte, der tapfere Kommandant der Seeforts und die sardinischen Schiffe mußten bald außer Schußweite flüchten, später nach Mola, das treulose Schiff in größter Havarie.

Während so der Kampf nach außen tapfer aufgenommen wurde, war alles in Tätigkeit um den engeren Schauplatz des Schreckens, der König, die Königin, die ganze Generalität, Offiziere und Mannschaften arbeiteten ohne Rücksicht auf den Kugelhagel, der manches eben erst gerettete Opfer wieder vernichtete, die lebendig Begrabenen aus dem Schutt zu räumen, die Verwundeten in die Spitäler zu schaffen. Ganze Züge verstümmelter Soldaten, von Blut bespritzte halbzerrissene Frauen und Kinder wurden fortgetragen, oder schleppten die zerbrochenen, zerquetschten Gliedmaßen weiter, die Luft mit Jammergeschrei erfüllend. Es waren entsetzliche Minuten!

General Traversa hat den Tod gesunden, er ist in der Bresche verschüttet worden, erst heute gelang es, seine Leiche aus den Trümmern herauszuholen. Major Sanseverino dem tapferen Kommandanten der Batterie Cazeletti, wurde ein Schenkel zerschmettert, er starb gestern, nachdem er gefaßten Mutes noch eine Stunde vorher an seine ferne Mutter geschrieben, sie um ihren Segen gebeten und sie getröstet hatte, daß ihr Sohn für die heilige Sache des Königtums treu seinem Eid blute und sterbe.

Auch dem jungen Grafen Auersperg vom Generalstab ward ein Bein durch eine Kugel zerschmettert und es mußte amputiert werden.

In all diesem Jammer und Elend war die junge Königin treu ihrem Gatten zur Seite, und wich nicht bis spät in die Nacht von ihrem Posten der Barmherzigkeit.

An der Bresche selbst war man unausgesetzt bemüht, den Schutt wegzuräumen, die Toten zu begraben und die lebendig Verschütteten wieder ans Licht zu fördern. Leider ist es bis heute nur mit zweien gelungen. Vierhundert Mann halten Tag und Nacht die Bresche besetzt, um einen so leicht möglichen Angriff von der Seeseite her abzuschlagen. Aber die Piemontesen scheinen selbst zu viel gelitten zu haben, um daran zu denken. Sie töten lieber aus der Ferne mit ihren weittragenden Kanonen oder durch den heimtückischen Verrat; – denn von Mund zu Munde geht es, daß der schändlichste Verrat an all diesen Unglücksfällen die Schuld trägt, und bereits beginnt sich das Mißtrauen in die Gemüter zu nisten und die Stimme der Soldaten beschuldigt höhere Offiziere ganz offen dieses Verrats. Ein Oberst, der mit einem Teil der Verproviantierung beauftragt war, ist gestern wegen Unterschleif verhaftet worden.

Da die Arbeit der Totengräber an der Bresche unter dem fortwährenden Bombardement – gestern Morgen ist eine dritte Explosion erfolgt und das kleine Pulvermagazin der Batterie San Giacomo in die Luft gegangen, – zu langsam vorwärts geht und die unbegrabenen Leichen ihren Pestgeruch aushauchen, sandte mich der Gouverneur General Ritucci gestern Abend ins Lager von Castellone, um von Cialdini einen Waffenstillstand von 48 Stunden zur Beerdigung der Toten und die Erlaubnis zu fordern, wegen Überfüllung der Spitäler unsere Kranken nach Terracina bringen zu dürfen. Ich schreibe die Unterredung und Verhandlung hier nieder, wie ich sie noch im Gedächtnis habe.

Man hatte mir bei Betreten des Borgo die Augen verbunden und ein Dampfer führte mich von der Vorstadt hinüber nach Castellone. In der Villa Reale fand ich den General – ich darf sagen: weit von dem Schuß! – bei einem wohlbesetzten Souper in Gesellschaft von Offizieren und Damen.

»Nun, was bringen Sie, Herr?« fragte der General. »Hoffentlich die Übergabe der Festung. Man verdiente eigentlich keine Schonung, denn es war eine Torheit, sie nicht längst zu übergeben und so lange Menschenleben zu opfern. Wir wollen aber großmütig sein und der Garnison die Waffenehren bewilligen. Meinen Sie nicht, Königliche Hoheit?« Er wandte sich dabei an einen älteren Offizier in Admiralsuniform, der zuoberst der Tafel saß.

»Eure Exzellenz irren,« sagte ich ruhig, »die Festung ist keineswegs in der Lage zu kapitulieren und mein Auftrag ist ein anderer.« Ich erstattete denselben, wobei die Stirn des Generals sehr unangenehme Falten zog. Ohne sich um die Gegenwart seines hohen Gastes zu kümmern, schlug der General auf den Tisch, daß die Gläser klirrten. » Corpo di Christi – wenn ich den Herren bis jetzt Kugeln geschickt habe, dann sollen Sie künftig Feuer fressen für ihren Eigensinn. Mögen sie alle zum Teufel fahren vor Gestank, was geht das mich an!«

Der Herr in der Admiralsuniform – wie ich später hörte, der Prinz von Carignan, der Vetter des Königs Victor Emanuel – erhob warnend den Finger. »Wir wollen über den Antrag verhandeln, General,« sagte er höflich – »einstweilen Herr, haben Sie die Güte, Platz bei uns zu nehmen und unser Souper zu teilen.«

»Sie werden ohnedem nicht zu viel in der Festung zu beißen haben,« meinte höhnisch der General.

»Eure Königliche Hoheit wollen entschuldigen,« sagte ich gemessen, »aber mein Auftrag gestattet mir nicht, vor seiner Erledigung an mich zu denken und Ihre Einladung anzunehmen.« Es schien mir, man hatte mich mit derselben zur Unterhaltung über den Zustand der Festung bringen wollen.

»Das eine schließt das andere nicht aus, Herr Baron,« sagte höflich der Prinz, »und beraubt uns nur vorläufig des Vergnügens Ihrer Gesellschaft, da Se. Exzellenz gewiß sogleich über den Antrag des Herrn Gouverneurs Kriegsrat halten wird. Major Sismondi, Sie werden die Güte haben, sich einstweilen dem Herrn Parlamentär zu widmen und den Wirth zu machen.«

Der ziemlich deutliche Wink des königlichen Prinzen vermochte den kommandierenden General, alsbald aufzustehen und sich mit demselben zurückzuziehen. Noch zwei oder drei Offiziere folgten ihnen in ein anderes Gemach, die anderen, sowie die Damen blieben sitzen. Auch der Offizier, welcher mich aus dem Borgo hierher begleitet hatte, wurde eingeladen, an dem Souper teil zu nehmen.

Graf Sismondi war äußerst höflich, ich natürlich sehr auf meiner Hut. »Der Herr Kamerad sind Franzose?« – »Ich denke, mein Name beweist meine Nationalität. Einstweilen habe ich die Ehre, Neapolitaner zu sein.« »Oh,« sagte lachend der Graf, »mißverstehen wir uns nicht – meine Frage sollte nur andeuten, daß, wie sehr wir es uns zur Ehre schätzen, Ihre Bekanntschaft zu machen, der Umstand doch beweist, wie wenig man in der Festung die Verhältnisse hier kennt.« – »Wieso Herr Major? ich glaube allerdings, daß dies umgekehrt bei ihnen nicht der Fall ist!« – » Cospetto,« lachte einer der anderen Offiziere sehr ungeniert, »da haben Sie Ihre Abfertigung, Kamerad. Wir machen auch gar keine Heimlichkeit daraus, daß wir vortreffliche Spione in der Festung haben und sehr gut bedient sind. Freund Rafael meinte nur, daß es keine besondere Empfehlung bei Cialdini für einen Parlamentär und seine Anträge ist, ein Franzose zu sein. Der General hat einen besonderen Groll auf Ihre Landsleute.« – »Von Castelfidardo her?« konnte ich mich nicht enthalten, zu fragen. – »Bah, Herr Kamerad, ich sehe, mit Ihnen ist schlimm anbinden. Aber auch der Major hier ist nicht gut darauf zu sprechen, Sie sehen, er trägt noch verschiedene Andenken an die Nacht von Santa Agatha.«

In der Tat trug der Artilleriemajor, der zu meiner Begleitung, wohl mehr zu meiner Beaufsichtigung mir beigegeben worden, den Arm in der Binde und auch den Kopf noch verbunden. Ich erinnerte mich, daß Graf St. Brie mich gebeten hatte, wenn Gelegenheit sich dazu fände, nach dem Schicksal unseres wackeren Gauthier zu fragen, und ob derselbe seiner Wunde erlegen sei. Ich benutzte dazu die Wendung des Gesprächs und frug die Offiziere.

»Sie meinen den Offizier, der Ihren, ich gestehe es gern, mit wunderbarem und uns noch unerklärlichem Geschick ausgeführten Überfall der Batterie von San Agatha kommandierte,« erklärte der Major. »Ich erinnere mich seiner sehr wohl, und daß wir ihn tätlich verwundet in dem Refektorium fanden, als es uns gelang, Ihren Angriff zurückzuwerfen. Wie ich mich erinnere, ist er in ein Lazarett nach Neapel gebracht worden, – denn die Sache war mir damals von Interesse, weil eine – nun, eine Dame ihn dahin begleitet hat, nach der ein Verwandter von mir mich beauftragte, Nachforschungen anzustellen. So viel ich gehört, ist der Offizier bald nach seiner Überführung gestorben und das Mädchen verschwunden.«

Es fiel mir auf, daß eine der anwesenden Damen, die mir schräg gegenüber saß und wie ich vernahm, eine berühmte Sängerin war, eigentümlich bei dieser Mitteilung lächelte. Überhaupt waren die etwas trägen aber wunderbar schönen Augen der Sängerin häufig mit besonderem Ausdruck auf mich gerichtet, und als die Tafel jetzt aufgehoben wurde, machte sie sich in meiner Nähe zu schaffen.

Man wußte in der Gesellschaft bereits, daß General Traversa ein Opfer der Explosion geworden war, die sich ja doch nicht verheimlichen ließ. Die sardinischen Offiziere sprachen übrigens ziemlich ungeniert über die Erfolge der Belagerung, und kritisierten die Anstalten der Oberleitung, doch sprach aus allen die Überzeugung, daß die Festung verloren sei und es nicht auf einen Sturm ankommen lassen dürfe.

In einem Augenblick des allgemeinen Gesprächs ging die Sängerin hinter mir vorüber und ich hörte sie leise aber deutlich in französischer Sprache flüstern: »Verrat – hüten Sie die Bastion …« Leider konnte ich den Namen nicht verstehen, denn es entstand eine Bewegung unter den Offizieren, als die Tür des Speisesaals sich öffnete und einer der Adjutanten des kommandierenden Generals eintrat mit den Worten: »Ich bitte den Herrn Parlamentär, näher zu treten.«

Ich fand im zweiten Zimmer den Prinzen, General Cialdini und drei andere höhere Offiziere. »Sagen Sie General Ritucci,« sagte der Kommandierende, »daß ich auf die Vorbitte Seiner Königlichen Hoheit der Festung einen vierundzwanzigstündigen Waffenstillstand von heute Nacht 12 Uhr ab gerechnet bewilligt habe, unter der Bedingung, daß der status quo auf beiden Seiten erhalten bleibe. Ich hoffe, daß man die Zeit benutzen wird, um sich klar zu machen, daß jeder weitere Widerstand über die Forderungen der militärischen Ehre hinausgeht und strafbarer Trotz wäre. Was die Entleerung der Spitäler mittelst Ihrer Schiffe nach Terracina betrifft, so muß ich dies verweigern …«

Der Prinz unterbrach ihn. »So gern Se. Exzellenz auch den Geboten der Menschlichkeit Gehör gibt, so lassen militärische Rücksichten doch die Bewilligung nicht zu. Dagegen ist der General en chef bereit, mit einem unserer Dampfer den Transport der Kranken in die Lazarette von Neapel zu übernehmen.«

Ich verbeugte mich schweigend – ich hatte kaum so viel erwartet, und das Resultat ist bei dem bekannten Charakter Cialdinis offenbar nur der Einwirkung des Prinzen zuzuschreiben, der sich vielleicht der unwürdigen Rolle erinnern mochte, welche der Gemahl seiner Schwester, der Graf von Syrakus, um den er noch die Trauer trug, in der Rebellion gegen seinen rechtmäßigen König und nahen Verwandten gespielt hatte.

Nachdem kurz die Bedingungen der Kapitulation zu Papier gebracht und ausgewechselt worden waren, wurde ich entlassen und auf die nämliche Weise nach dem Borgo und der Festung zurückgebracht. Schade, daß es mir nicht möglich war, mich der Sängerin nochmals zu nähern, doch würde schwerlich ihre Mitteilung von Wichtigkeit gewesen sein, denn im Grunde zweifeln wir alle ohnehin nicht, daß Verräterei unter der Garnison herrscht, die aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist. Kurz nach 11 Uhr kehrte ich in die Festung zurück – um 12 Uhr schwieg auf allen Punkten das Feuer.

Gaëta, den 9. Februar 1861.

Der Waffenstillstand ist um 12 Stunden verlängert worden, weil es uns nicht gelang, mit dem Begräbnis der Leichen in der kurzen Zeit fertig zu werden. Ein piemonteser Dampfer hat 200 Kranke, freilich nur die Hälfte der transportfähigen, nach Neapel gebracht. Gestern abend fand, auf Befehl des Königs, noch ein Kriegsrat statt, um die Meinung der Generale und Korpschefs über die Möglichkeit des längeren Widerstandes einzuholen. Wie ich von Ritucci selbst höre, ist es scharf dabei hergegangen; er selbst scheint schon in der Fragestellung den Wunsch der Kapitulation ausgesprochen zu haben, General Polizzi hatte gleiche Meinung, selbst General Bosco widersprach nicht, da täglich der Mangel an Munition und Proviant drückender wird. Aber der tapfere Kommandant der Batterie Regina, Graf Ussani, widersprach auf das äußerste und General Riedmatten, der wackere Schweizer, sprach energisch gegen jeden Gedanken der Übergabe. Er erklärte, daß wenn auch durch die Explosion am 5. die Bastion San Antonio mit ihrer Courtine zertrümmert worden, doch die entstandene Bresche dadurch keineswegs leicht ersteiglich sei, da sie nach der Meerseite sich öffnet. Sollte ein Sturm trotzdem gewagt werden, so gäbe es ja noch Kartätschen, Bajonette und tapfere Soldatenherzen genug, um die Bresche zu verteidigen. Im schlimmsten Fall möge man sich lieber unter dem Schutt der Festung begraben, als sie, noch widerstandsfähig, dem Feinde übergeben.

Seine Entschlossenheit hat gesiegt, heute Vormittag 5 Minuten nach 10 Uhr ist das Feuer wieder eröffnet worden.

Hat die Not auch auf das äußerste zugenommen, so ist der Mut der Soldaten, die seit zwei Monaten keinen Bissen Fleisch zu sich genommen und entkräftet sind, doch nicht gebrochen. Nur ihr Vertrauen auf den endlichen Sieg ist durch die rätselhaften Explosionen wankend geworden – selbst wir Offiziere beginnen, auf alles mit Mißtrauen zu sehen.

Auch der Pulvervorrat hat durch das Feuer der letzten Tage und unglücklichen Explosionen derart abgenommen, daß wir ein Bombardement wie am 22. kaum noch 5 oder 6 Tage erwidern können.

Überall Mangel – überall Not – und dennoch – wo das königliche Paar erblickt wird, donnert der begeisterte Ruf ihm entgegen: »Es lebe der König!!«

Wahrlich, es ist doch ein heiliger Nimbus um das legitime Königtum und die Männer, die dafür geblutet, sind nicht vergebens gestorben.«

 

Max von Waldenfels an Otto von Cronenberg.

Gaëta, den 12. Februar 1861.

»Warum drängt es mich immer und immer wieder, diese Blätter an Dich mit den Gedanken, die mich bewegen, zu füllen, da ich doch weiß, daß sie mit mir vergehen werden und nie in deine Hände kommen. – Aber Du bist der einzige Mensch außer dem treuen Geschwisterpaar, zu dem ich sprechen kann, und sie verständen mich doch nicht, wenn ich ihnen sagen wollte, weshalb ich das Erwachen ersehne.

Es liegt Verrat in der Luft – er kommt auf den Granaten geflogen, – die blauen Wellen tragen ihn ans Ufer, – die Erde speit ihn aus, und doch kann ich ihn nicht fassen, nicht erreichen. Es liegt mir wie ein Alp auf der Brust und doch wage ich nicht davon zu sprechen, zu niemand außer dir. Als ich nämlich Toni fragte, ob er den Böhmen, seinen Ohm, nicht wieder gesehen in der Stadt, lachte er mir ins Gesicht. »Der ist klug genug, sich nicht wieder blicken zu lassen, wo ihm der Strick gewiß.«

Und doch weiß ich, daß der Bösewicht hier umherschleicht, ich fühle seine Nähe, ich weiß, daß er mich beobachtet, mir auflauert und wenn ich ihn greifen will, ist der Schatten verschwunden.

Ich weiß nicht, ob mein Kopf so schwach geworden, aber manchmal verwirrte sich mir wirklich der Sinn in der Sorge um sie, denn ich deute und tue nichts anderes, als wachen für ihren Schutz.

Ich muß und muß diesem Verrat, der sich im Dunkel durch alle Teile der Festung spinnt, auf die Spur kommen, – sie darf so nicht untergehen, und koste es zehnfach mein Leben.

Mein Leben! was ist Leben? was ist Tod? ein Übergang, – vom Stein zur Pflanze, von der Pflanze zum Tier, vom Tier zum Menschen – vom Menschen zum Geist, zum Boten Gottes in der Weltregierung? Werden wir wiederkommen zu unseren Lieben als der Sturmwind, der über das Meer braust, oder als der Duft, den die Rose haucht? Oder gehen wir über in eine andere Form auf einen anderen Stern? Wer löst das dunkle Rätsel, – nicht die Philosophie, nicht der Glaube, nicht die Wissenschaft.

Und doch von allem kommt ihm der Glaube am nächsten; widerspricht dieser Wanderung der Seele in anderen Formen auf andere Welten das Christentum? Gewiß nicht, nur unsere Priester tun es und nennen es Fegefeuer und Hölle oder Engelschar.

Es ist eine Stelle im Paulus, die deutlich verheißt unsere Wanderung in anderer Form. Und ist es nicht Gottes Güte und Weisheit entsprechend, daß wir streben zur Vollendung auf tausend und aber tausend Radien des Weltalls? Steht der gereifte Geist beim Scheiden von der irdischen Form auf derselben Stufe, wie das Kind, das nur wenige Tage gelebt hat?

Und wenn wir dessen gewiß sind, der Fortdauer nach diesem Erdentraum – gibt es ein Wiedersehen in den künftigen Formen? Wäre all die Liebe, die Hingebung, die Begeisterung, die wir hier für ein Wesen gleich uns empfunden, nur bloße Phantasie, die mit dem Traum endet und keinen Gegenstand mehr hat? – Nein es gibt eine Sympathie der Seelen und eine Sympathie der Körper; wir werden wiederfinden, was wir geliebt, und wie wir es geliebt, nur reiner, vollkommener auf einem anderen Stern: der Gatte sein Weib, der Vater sein Kind, der Liebende die Geliebte – es ist nichts vergänglich in uns, als die Form des Menschenleibes, die verfällt nach den Gesetzen Gottes und wiederersteht mit dem Frühlingserwachen des neuen Lebens, wie das Gras und die Blume.

Der Leib kann vermodern, aber auch er wird erstehen; in welcher anderen Form könnte ich sie mir wohl denken, wenn wir beide uns im Äther begegnen?! –

Wiederum habe ich jenen Traum gehabt, der mich so seltsam angriff in der Nacht vor der Explosion der Cappeletti: ich aufsteigend für sie in einer Feuersäule zum Himmel!

Der Traum ist ein Trost, denn die Wirklichkeit scheint mir das Glück nicht zu gönnen, für sie zu sterben.

Ich fürchte, die eiserne Tragödie, die wir gespielt fast hundert Tage lang auf diesem Felsen am Meer, damit die nüchterne Zeit erfahre: es gibt doch noch Treue auf Erden! – dies Spiel geht zu Ende – der Vorhang fällt, und alles geht nach Hause – die Tragödie wird zur bürgerlichen Komödie, die Festung kapituliert.

Noch ist es Gott sei Dank nicht so weit – o daß ich es nie erleben, daß mein Traum eher enden möchte, als sie herunter gezerrt zu sehen, die Heldin – zur Hausfrau des entthronten Königs! Haben darum Tausende gerungen und geblutet? – sollten Könige nicht sterben wie ihre Soldaten auf der Bresche ihres letzten Walles?

Und doch – wie soll das Herz auch eines Königs solchen Jammer ringsum ertragen? Tag und Nacht kracht und braust und schmettert und heult der eiserne Regen auf Häuser und Wälle, überall Berge von Schutt und tiefe bombengerissene Abgründe, Häuser ohne Dach, Gewölbe ohne Decke – Kirchen ohne Türme, und immer wieder darum und darauf der furchtbare Eisenhagel! Die Schaufel des Totengräbers ermattet – verhungerte, zerlumpte Gestalten der Bewohner, lebende Gerippe schleppen sich mühsam an den Häusern entlang und wimmern um Brot. Schon ist die Festung der Felsensarg für mehr als fünftausend Leben – und so viele Liebe und Treue deckt ein gemeinsames Grab, in dem der einzelne verschwindet. Wahrlich, ich kann dem Könige nicht zürnen, daß er bereits seine Offiziere zu dem großen Schlächter Cialdini gesandt hat, Am Abend des 10. Februar sandte der König den Oberstleutnant della Franci zu Cialdini, um nochmals wegen des Forttransportes von 200 Kranken zu unterhandeln und die Bedingungen der Kapitulation zu erfragen. Am 11. folgte zu gleichem Zweck General Antonelli und der treugebliebene Kommandant der »Parthenope« Contre-Admiral Pasca. – nur das eine zuvor, ehe das Erniedrigende geschieht«

»Maria, heil'ge, bitt' für mich
Und nimm mich zu dir in dein himmlisch Leben!«

 

Bericht des Kommandanten der Vorposten, Major Abrucci an das Hauptquartier.

Batterie am Monte Atratina,
Dienstag, den 12. Feb., abends 8 Uhr.

»Das Feuer ist von den Belagerten während des Tages nur aus den Batterien Regina, Sant Andrea und Philippstadt erwidert worden. Das Feuer unserer Batterien gegen die Zitadelle hat alle Arbeiten an der Bresche der Seeseite verhindert. Eine kurze Zeit war unsere Batterie auf dem Monte Capuccini verhindert, das Feuer fortzusetzen, aber unsere gezogenen Kanonen haben dasselbe alsbald wieder hergestellt. Die Breschbatterie am Borgo ist so weit vollendet, daß sie morgen früh auf 1000 Meter Entfernung mit 4 vierzigpfündigen Cavallis und 2 Vorderladern das Feuer eröffnen kann.

Von den Vorposten unserer rechten Flanke gegenüber der Transilvania ist die Meldung eingegangen, daß gegen Abend eine Barke von Terracina her die Blokade zu durchbrechen versucht hat und von der Corvette »Aquila« gejagt wurde. Man bemerkte, daß, als die Barke sich zurückzog, ein Mann von ihrem Bord sich in das Meer warf, um schwimmend das Vorgebirge zu erreichen, und von der Bastion Transilvania unterm Schutz ihrer Batterien ein Boot ausgesetzt wurde, ihn aufzunehmen. Der Mann ist jedoch nicht mehr zum Vorschein gekommen und wahrscheinlich ertrunken.

Um 7 Uhr nach Dunkelwerden hat einer der neapolitanischen Posten vor dem Glacis in der gewöhnlichen Weise den beifolgenden Brief unseren Vorposten zukommen lassen. Da es zur Zeit des gewöhnlichen Rapports ist, habe ich unterlassen, denselben mit besonderer Ordonnanz einzusenden.

gez. Abrucci

 

An General Cialdini Exzellenz

Mola di Gaëta Eilig!

»Euer Exzellenz die gehorsamste Anzeige, daß es der bewußten Person endlich gelungen ist, den von Major G. bezeichneten Ausgang der Drahtleitung nach den Minengängen der T. zu finden und mit dem Magazin in Rapport zu setzen. Von morgen mittag 3 Uhr ab wird die volle Verbindung hergestellt sein, da es gelungen ist, die Person unter die Zahl der Arbeiter einzureihen. Eile ist nötig, da man Verdacht zu schöpfen scheint. Oberst C. ist bereits verhaftet. Die Verhältnisse sind auf dem Äußersten. Ich bitte um das gewöhnliche Zeichen von der Batterie C., daß dieser Brief angekommen ist.

Respektvoll
***«

 

Auszug aus der Depesche des Minister-Präsidenten Grafen Cavour an den Oberbefehlshaber der Belagerungskorps vor Gaëta, Generalleutnant Cialdini.

Turin, den 9. Februar 1861.

»… Ich kann Euer Exzellenz nicht verhehlen, daß die Verzögerung der Einnahme von Gaëta hier den übelsten Eindruck macht. Seine Majestät der König sind sehr ungnädig. Ich muß darauf bestehen, daß die Einnahme, sei es durch Kapitulation oder Erstürmung, unter allen Umständen vor der Eröffnung des Parlaments, die auf den 18. festgesetzt ist, erfolgt sein muß. Euer Exzellenz persönliches Interesse wird es sein, mir bis dahin die Übergabe melden zu können …

 

Max von Waldenfels an Otto von Cronenberg.

Gaëta, Dienstag, den 13. Februar, früh.

»Ein Sterbender grüßt Dich! Gott sei gepriesen – die Hoffnung lebt wieder in unseren Herzen, daß wir mit Ehren und nicht ungerecht fallen werden. Eine Versammlung von Offizieren hat gestern beschlossen, eine Deputation zu General Bosco zu senden, damit er vom König die Erlaubnis erhalte, die Truppen der Garnison in einem allgemeinen Ausfall gegen die zunächst gelegenen Batterien des Monte Capuccini und Monte Tortone zu führen. Wir wissen, daß wir unterliegen werden, aber wir werden mit Ehren fallen im offenen Kampf, statt hier wie die Ratten in der Falle zu verhungern oder zerrissen zu werden durch den ungreifbaren Feind. Wir alle, die deutschen, die französischen, die schweizer Legionäre brennen vor Begierde, mit Säbel und Bajonett an diese Mörder zu kommen, die uns aus der sicheren Ferne töten, ohne einen Sturm zu wagen.

Daher meine veränderte Stimmung! Fort mit dem Brüten und Träumen – der Traum mag ein Ende nehmen, – sei es auch die Vernichtung.

Es ist ein Glück, daß der Schlächter Cialdini die Verhandlung einer Kapitulation geweigert hat, außer unter dem Donner seiner Kanonen. Deshalb rast das Feuer ungehindert weiter und der eiserne Todesengel rasselt hinüber und herüber. Welcher Todesmut, welche Aufopferung selbst bei halben Knaben. Den sechzehnjährigen Leutnant Rosso sah ich in seiner Batterie mit zwei Kanonieren, die allein noch von der ganzen Bemannung übrig geblieben, die vier Geschütze bedienen und in unvermindertem Feuer halten.

Vulkane ringsum seit den drei Tagen, daß der letzte Waffenstillstand aufgehoben, während dessen gegen alles Recht die Piemontesen neue Batterien erbaut und bewaffnet haben, müssen, nach dem Urteil unserer Artillerieoffiziere mindestens 60 000 Kugeln in die Festung gefallen sein. Mit Eisen sind Bastionen und Wallgang, mit Eisen sind Höfe, Markt und Straße gepflastert.

Gestern geleitete mich der Oberfeuerwerksmeister Pirrel, einer der braven Franzosen, in die unterirdischen Gewölbe der Transilvania, da ich von heute Abend ab den Dienst der Bewachung des auf der linken Flanke des Felsens liegenden großen Pulvermagazins und der Laboratorien übernehmen soll. Mir wurde es fast unheimlich in den finsteren Gängen, wie die dunklen Gestalten der Arbeiter und Artilleristen gleich Bewohnern der Gräber an uns vorüberstrichen – dem Himmel sei Dank, daß ich sterben kann für sie im lichten Sternenschein statt in jenen Grüften – soeben erhalte ich von meinem getreuen Toni die Nachricht, daß der Ausfall auf diesen Abend 7 Uhr beschlossen ist, und es wird mir nicht schwer fallen, einen Vorwand zu finden, den Dienst in der Bastion einem anderen übertragen zu sehen und mich der Kolonne anzuschließen. Man wird, man darf es mir nicht weigern! – Ich gehe zu Pirrel, ihn in Kenntnis zu setzen!

Nachmittag 3 Uhr.

Es lebe die Königin! – Morituri te salutant! Monsieur Pirrel ist ein Ehrenmann und ein guter Kamerad! Er wird für meinen Ersatz sorgen und Toni, mein treuer Toni, hat mir versprochen, mich in seine Kolonne zu schmuggeln, – da der Ausfall in der Dämmerung geschieht, wird es nicht schwer halten – außerdem kennen mich die Leute meiner Kompagnie, die noch übrig sind, und lieben mich!

Vor mir auf dem Tisch liegt mein Säbel und mein Revolver, Dein Geschenk, als ich schied. Einige Abschiedsworte an die Schwester und eine kurze Verfügung über einige Dinge auf »meiner Väter Burg« lege ich zusammen mit diesen Zeilen in eine kleine Blechbüchse, die ich eben am Strande von einem der Fischer, der sie in dem Ufersand gefunden, zu diesem Zweck kaufte, ein Ding, wie es die Seeleute und Handwerksburschen zur Aufbewahrung ihrer Papiere zu tragen pflegen. Ich will das Päckchen an Dich adressieren, hoffentlich hat einer, der nach mir kommt, Freund oder Feind, Redlichkeit und Gelegenheit, die sonst so wertlosen Papiere an unsere Gesandtschaft in Rom zu senden.

So wäre denn dieser Traum des Lebens ausgeträumt und zu Ende! Über unser Felsengrab wird der Skirokko drüben von Afrika her seinen heißen Odem hauchen, und der Wogenprall des tyrrhenischen Meeres uns das Grablied singen. Und wenn sie zurückkehrt, die Tochter unserer Berge, eine entthronte Königin, und dennoch für alle und alle Zeit die königliche Märtyrerin von Gaëta! und hinabblickt auf den blauen See und den kleinen Friedhof, den seine Wellen bespülen, wird sie dann auch wohl denken an den großen Friedhof an blauer See, wo die schlafen, die getreu gewesen bis zum Tode?

Ja, die Treue – sie ist kein Traum – sie ist die ewige Wahrheit! – –

Welches Krachen – eine neue Explosion! Vorübereilende hör' ich sagen: Das Pulvermagazin der Bastion Philippsstadt und St. Andrea!

Lebe wohl! lebe wohl – auf Wiedersehen – dort! – ich öffne die Kapsel, diese Zeilen zu schließen! – – – – – – – – – –«

 

Inhalt der Büchse: »An den ersten Offizier der königsgetreuen Garnison von Gaëta

Im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau! Es ist keine Zeit zu verlieren – eilen Sie sofort angesichts dieses zu General Riedmatten, oder wem Sie vertrauen dürfen. Der Verrat ist in der Festung, in der nächsten Nahe des königlichen Herrn. Die Explosionen am 4. und 5. sind keineswegs Sache eines unglücklichen Zufalls – sämtliche Pulvermagazine, die der frühere Major vom Geniekorps Guanarelli unter König Ferdinand II. erbaut hat, sind absichtlich entweder so wenig fest konstruiert, daß sie schwerem Geschütz nicht widerstehen können, oder durch eine elektro-magnetische Leitung unter der Erde mit gewissen Punkten des Vorterrains verbunden. Major Guanarelli, der Abtrünnige, kommandiert in den Batterien der Piemontesen. Um den letzten Widerstand rasch zu brechen – man weiß, daß eine russische Note unterwegs und der Befehl an die Flotte zum Auslaufen gegeben ist, – soll morgen nachmittag 4 Uhr die Transilvania in die Luft gesprengt werden. Es befindet sich ein abscheulicher Bösewicht in der Festung, ein böhmischer Deserteur oder Entlassener, der vor 8 oder 9 Tagen Mittel gefunden hat, in die Festung heimlich zurückzukehren und, da er als früherer Artillerist die Werke genau kennt und vielerlei Verbindungen hat, – man sagt, bis in die unmittelbare Nähe der Königin – den dortigen Leitern des Verrats zum ausführenden Werkzeug dient. Er muß sofort aufgehoben werden. Wenn sich die Festung noch 14 Tage zu halten vermag, kann ich für die Aufhebung der Belagerung bürgen. – Der Fischer, der diese Warnung mittelst Barke überbringt, – hat geschworen, die Festung zu erreichen.

Im Namen des Dreieinigen!
Abbé Calvati


Es war 15 Minuten vor 4 Uhr, als eine entsetzliche Erschütterung, noch gewaltiger, andauernder als die Explosion von San Antonio am 5., die Festung erzittern machte und ihre Felsenwurzeln aus dem Meere zu reißen schien. Das große Pulvermagazin der Transilvania auf dem linken Flügel der in das Meer vorspringenden Felsenklippe war mit 400 Zentnern Pulver in die Luft geflogen und mit ihm das Laboratorium von den drei Batterien Transilvania, Malpasso und Picco de Malpasso. Alles, was an diesen Orten oder in der Nähe befindlich gewesen: Offiziere, Kanoniere, Kanonen, Mörser, Lafetten, Maschinen, Gebäude und Gerätschaften, alles war verschwunden, zerstört, verschüttet, erschlagen! Ein hundert Donnern gleicher Krach, als ob sich die Erde öffnen wolle, um Gaëta zu verschlingen – und sie hatte sich aufgetan, weit und gräßlich gähnte, schaudervoll, der Schlund des Riesengrabes, – ein tiefer Krater, darinnen es zuckte und wühlte von zerfleischten Gliedmaßen – sonst nichts – nichts – leeres Nichts!

 

Aus dem Tagebuch des Kapitän Baron Ch.

Gaëta,
den 13. Februar, abends 6 Uhr.

Ich komme von dem Grabe, das die letzte Hoffnung Gaëtas verschlungen hat – ein entsetzlicher, grauenvoller Anblick. Selbst die Felsen haben sich bis zum Grunde gespalten und das Meer wühlt zwischen den Trümmern.

Barmherziger Gott! welche Menschenleben – alle noch frisch, kräftig, vielleicht jung vor einem Augenblick, im nächsten in Stücken gegen die Wolken geschleudert!

Man sagt ganz offen, daß Verrat im Spiel gewesen bei dem entsetzlichen Unglück – ja man nennt einen deutschen Offizier, den blassen, kranken jungen Mann, den ich seither öfter an Orten gesehen, wo die Königin war, – man will in seiner Wohnung Papiere gefunden haben, die wenigstens auf seine Mitwisserschaft schließen lassen!

Selbst der Oberfeuerwerksmeister Pirrel war einen Augenblick in ungerechtem Verdacht – er befand sich bei der Explosion in der Nähe der Transilvania, ward zu Boden geworfen und blieb mehrere Minuten lang ohnmächtig liegen, ehe er von den zu Hilfe Eilenden aufgehoben wurde. Seltsam ist, was er erzählt – ich hörte ihn selbst. Danach hatte heute der erwähnte junge Offizier, nur bekannt unter dem Namen Leutnant Max, schon am Vormittage ihn ersucht, ihn von dem ihm übertragenen Dienst der Beaufsichtigung der Arbeiten im Pulvermagazin und den Minengängen zu dispensieren, und als er eben wenige Minuten vor der Explosion aus der Bastion zurückgekommen, sei derselbe Offizier wie ein Wahnsinniger an ihm vorbeigestürzt, den Revolver in der Hand, dem Zugang der Souterrains zu, in welchen die Pulvervorräte lagern. Erstaunt, was dem sonst so stillen jungen Mann begegnet, sei er stehen geblieben und habe ihm nachgesehen und zu seinem Schrecken bemerkt, daß der Offizier sich auf einen eben eilig jenen Zugang verlassenden Artilleristen oder Laboratorienarbeiter gestürzt und ihn schreiend zu Boden gerissen habe. Der Angefallene sei offenbar stärker gewesen, als sein Gegner und habe sich wütend kämpfend von ihm loszumachen gesucht – aber dieser habe ihn festgehalten wie ein wildes Tier, und auf sein Geschrei sei die im Gang postierte Schildwache herbeigekommen. Er selbst habe nicht verstehen können, was der Offizier gerufen, weil zu weit entfernt, – und gerade als mehrere Soldaten herbeigeeilt wären und er selbst schon den Fuß erhoben hatte, sich nach der Ursache des Auftritts zu erkundigen, sei die Explosion erfolgt und er bewußtlos zu Boden geworfen worden.

Auch der König und die Königin waren bald nach dem furchtbaren Ereignis auf dem Schauplatz des Unglücks. Wahrlich, wenn je eine Fürstin erhabenen Mut gezeigt hat, so ist es diese junge deutsche Frau. Von den schrecklichen Szenen, denen sie beiwohnte, deren Anblick sie sich aussetzte, mußte doch gewiß vieles so schwer erschüttern. Dennoch sah ich nur einmal ihre Fassung zusammen brechen.

Sie hatte den Arm des Königs losgelassen und war um einen der Steinblöcke getreten, welche die Explosion hierher geschleudert hatte.

Ich stand in der Nähe und sah sie plötzlich erbeben und den Arm ihrer steten Begleiterin, einer bayerischen Dienerin erfassen, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht, und die ihre Milchschwester sein soll.

Auf dem Stein lag eine vom Gelenk abgerissene Menschenhand mit den Fingern die Reste eines halbverbrannten, grauen Handschuhs festhaltend. An dem kleinen Finger dieser linken Hand blinkte ein schmaler Goldreif mit einem Vergißmeinnicht von Türkisen.

Die Königin war so plötzlich um den Stein gebogen, und dieses traurige Zeichen der Explosion lag so nahe vor ihren Augen, daß sie es deutlich sehen mußte. Obschon gewiß viele schrecklichere Spuren des Unglücks ihr bereits vor die Augen gekommen waren, schien sie doch gerade dieser plötzliche Anblick aufs höchste zu erschüttern, denn sie stieß einen Schrei aus und sank ihrer Begleiterin in die Arme.

Der König und der Graf Caserta waren sofort an ihrer Seite und ich hörte, wie der letztere seinem königlichen Bruder noch Vorwürfe machte, gestattet zu haben, daß die junge zarte Frau die Schreckensstätte besuche. Man führte sie sogleich hinweg.

Bald darauf, als die königlichen Herrschaften bereits nach ihrer traurigen Wohnung zurückgekehrt waren, kam ich zufällig noch einmal an jene Stelle, an welcher die Königin endlich von ihrer weiblichen Natur übermannt worden war. Dicht dabei begegnete ich wieder der bayerischen Dienerin der Königin, begleitet von ihrem Bruder, einem jungen Unteroffizier des deutschen Fremdenbataillons.

Der junge Mann trug einen in ein Tuch gehüllten kleinen Gegenstand, den ich nicht erkennen konnte, – die Geschwister weinten.

Abends 7 Uhr.

Was ist das? – So eben schweigt wie auf Kommando das feindliche Feuer auf allen Bergbatterien und drüben von der Mola her – und auch die Geschütze der Festungsbatterien verstummen – kein Schuß mehr, ein unheimliches, die Nerven widrig berührendes Schweigen nach dem gewohnten Donner dieser Mordarbeit von hundert Tagen. Es ist wie die Stille des sich schließenden Grabes.


Es ist so! – Das Grab schließt sich über dem Königtum! Die Kapitulation ist unterzeichnet!«



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