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Nach der Wolfsjagd!

Der Polizeikommissar Drosdowicz war noch immer mit der Sichtung und genauen Durchsicht der Papiere beschäftigt, die man in der entdeckten Schatulle gefunden hatte. Der Kommissar war eine, man möchte sagen ideale Polizeinatur. Es war ihm förmliche Ehrensache, einem Verbrecher oder politischen Komplot auf die Spur zu kommen und die Schuldigen einzufangen, und er scheute dabei keine persönliche Gefahr, kannte auch keine Rücksicht. Aber er verfolgte keineswegs die Person, sondern die Sache, und man hatte häufig Beispiele, daß er für die Personen selbst, die er an den Strick oder in den Kerker lieferte, die größte Nachsicht, ja eine gewisse Teilnahme zeigte und ihre persönlichen Leiden bis zur Verurteilung und nach derselben möglichst zu erleichtern suchte.

Wir haben einen solchen Zug schon bei der Verhaftung des Fräulein von Marowska gesehen.

Sobald der Kommissar seine Aufgabe erfüllt, das heißt die Beweise der revolutionären Verbindung des Hausherrn in seinen Händen sah, war sein Benehmen gegen die unglückliche Frau sofort ein anderes. Er erwies ihr jede Rücksicht, ließ sie von der Dienerschaft nach ihrer Schlafstube zu den Kindern bringen und begnügte sich, eine Wache vor ihre Tür zu stellen. Den schurkischen Kellermeister sandte er mit dem Straßnick Stephanowitsch, um ihn aus ihren Augen zu entfernen, zu dem Bezirkshauptmann mit der Benachrichtigung des wichtigen Fundes.

Das rasche Dunkel des Winterabends war bereits eingetreten, als der Kollegienrat mit seinem Gefangenen auf Bielowica eintraf.

»Bravo, Drosdowicz,« lachte der Beamte, als er aus dem Schlitten stieg und die Wolfsschur abwarf – »ein kostbarer Fang, und ich bringe weiteres Material dazu: den berüchtigten Kapitän Langiewicz, der uns glücklich in die Hände gefallen ist. Heda – paszol – bringt den Gefangenen in die Küche und bewacht ihn wohl! Haben Sie für ein Abendbrot gesorgt und eine gute Bowle Punsch, Kommissärchen? – wir sind tüchtig müde und durchgefroren, und Kapitän Langiewicz soll auch ein Glas haben. – Was sagte unsere hochmütige Hausdame dazu? Ist die stolze Schönheit etwas kirre geworden?«

»Ich habe Frau von Wolawska erlaubt, sich zurückzuziehen, doch ist sie unter Bewachung,« entgegnete ziemlich kühl der Polizeibeamte. »Der Herr Kollegienrat wollen Ihre Befehle geben, was für die Sicherung der Gefangenen geschehen soll. Darf ich fragen, wo Herr von Wolawski ist?«

»Auf dem Weg nach Konin in Begleitung der nötigen Kosaken und unseres wackeren Spions. Morgen früh wollen wir selbst dahin abgehen. Bis dahin müssen wir auf die Vorsichtsmaßregeln des Herrn Kapitäns uns verlassen. Iwan Iwanowitsch, wieviel hast du von deinen Leuten bei dir?«

»Vierunddreißig, und vier, die im Hause zurückgeblieben waren.«

»Das macht mit den beiden Gendarmen, die wir noch haben, den Polizeidienern und uns fünfundvierzig bewaffnete Männer, genug, um jede Gefahr zu beseitigen. In zwei Stunden höchstens muß übrigens das Militär hier sein, das ich zu unserem Schutze requiriert habe. Lassen Sie das Hoftor schließen und stellen Sie um das Haus Posten aus, Kapitän, an allen Türen! Niemand darf sich ohne meine besondere Erlaubnis entfernen. Von allen Vorgängen Rapport in die Halle zu mir. Wir wollen uns ein wenig restaurieren, Herr Kommissar, und dann unsern Fang besehen.«

Die Kosaken banden ihre Pferde im Hofe umher fest, schleppten Heu und Hafer herbei und machten auch für sich ein Biwak im Freien, unweit der Tür, da sie unmöglich alle in der Küche Platz finden konnten. Man ging dabei eben nicht sehr vorsichtig mit dem Licht und Stroh zu Werke.

Fast eine Stunde verging mit dem Nachtessen, – der Kollegienrat hatte es jetzt nicht so eilig, nachdem er die im stillen gehaßte Familie in seinem Netz wußte. Dann erst machte er sich über den Inhalt der Kassette her.

Zunächst ließ er sich die Art und Weise erzählen, wie sie entdeckt worden war. »Ein verteufelt schlauer Hund, der Stephanowitsch,« meinte er; »er verdient zu etwas Besserem benutzt zu werden, als Zucker- und Kaffeeballen an der Grenze zu riechen. Ich werde in unserm Bericht ein Wort zu seinen Gunsten fallen lassen.«

»Ich habe dem Mann versprochen, ihn in mein Bureau in Warschau aufzunehmen. – Was soll mit dem Kellermeister geschehen? – ich fürchte, wenn man ihn hier läßt, wird es ihm schlimm gehen.«

»Ich habe ihn vorläufig mit dem Verbrecher nach Konin geschickt. Wir brauchen ihn natürlich als Zeugen. Nachher mag er sehen, wo er bleibt. – Wo ist das Protokoll mit der Frau?«

»Es war mir unmöglich, mit Frau von Wolawska hier eine Vernehmung auszuführen. Die Entdeckung hat sie zu tief erschüttert,« sagte der menschlich denkende Beamte.

»Bah – Unsinn! Rebellennerven sind stark und wir brauchen ihre Anerkenntnis, daß sie um das Versteck und seinen Inhalt wußte. Sie könnte uns sonst durch die Finger schlüpfen.«

»Wie ich die Dame beurteile,« meinte der Kommissar, »wird sie ihren Stolz darin suchen, die Schuld und das Schicksal ihres Gatten zu teilen.«

»Das Gesetz ist viel zu milde für solche Frauenzimmer – General Haynau traf allein das richtige, als er sie in Brescia öffentlich peitschen ließ. – Ich sage Ihnen, Herr Drosdowicz, – in den intriganten Köpfen der Weiber steckt das Hauptgift der Revolution. Wenn die Polinnen nicht wären, die Polen wären längst gut russisch!«

Der Kommissar nickte zustimmend. »Die Weiber und die Pfaffen.«

»Lassen Sie die Frau holen und den Kapitän Langiewicz – wir wollen sie konfrontieren.«

Der Kommissar tat es ungern, aber er mußte sich fügen, und um den Auftrag so wenig rauh als möglich ausgeführt zu sehen, ging er selbst, die Dame zu holen.

Der Kreishauptmann beschäftigte sich unterdes mit den gefundenen Papieren. Obschon viele der Briefe, besonders die Namen und Adressen der Mitglieder der Propaganda in Polen selbst in jener Ziffernschrift geschrieben waren, deren sich die polnische Agitation vor und während der Rebellion von 1863 in den wichtigen Korrespondenzen bediente, und deren Schlüssel gerade wegen seiner Einfachheit und stetigen Wechsels den russischen Dechiffreuren bei den Prozessen so große Schwierigkeiten geboten hat, – so war der offenkundige Inhalt doch mehr als ausreichend, die Verbindung des Gutsherrn mit dem Pariser Zentralkomitee und seine Teilnahme an den Vorbereitungen für eine neue Erhebung im Lande selbst zu beweisen.

Bei jedem neuen Beweisstück rieb sich der Kollegienrat vergnügt die Hände, die Entdeckung mußte ihm sicher Beförderung und Orden bringen; außerdem diente sie über Erwarten seiner Rache.

In dieser Stimmung traf ihn der Eintritt der Gutsherrin, mit der zu gleicher Zeit der Gefangene von zwei Kosaken zu der Haupttür der Halle hereingeführt wurde.

Frau von Wolawska hatte Zeit gehabt, ihre erste Erregung über die Entdeckung niederzukämpfen und wenigstens ihre äußere Fassung wieder zu gewinnen.

Die schöne Polin war sehr blaß, ihre Lippen fest aufeinandergepreßt, aber ihre dunklen Augen funkelten in energischem Haß.

Ohne eine Anrede des Beamten abzuwarten, trat sie an den Tisch und stützte leicht die schmale, weiße Hand darauf.

»Herr von Timowsky,« sagte sie mit erregter, aber fester Stimme, »wo ist Herr von Wolawski, mein Gatte?«

Der Russe verbeugte sich mit heuchlerischer Freundlichkeit. »Obschon eigentlich das Fragen an mir wäre, schöne Frau, bin ich doch gern bereit, Ihnen Auskunft zu geben. Leider hat mich eine gebieterische Pflicht gezwungen, Ihren Herrn Gemahl unter Begleitung nach Konin zu senden.«

»Ich dachte es. Also ins Gefängnis?«

Der Kollegienrat zuckte die Achseln.

»Und wird es mir erlaubt sein, ihm dahin zu folgen – oder vielmehr habe ich mich auch als Ihre Gefangene zu betrachten?«

»Das wird ganz von Ihnen abhängen, gnädige Frau. Seien Sie versichert, daß ich um alter Bekanntschaft willen bereit bin, die größte Rücksicht obwalten zu lassen. Sie wollen nur die Güte haben, mir einige Fragen zu beantworten.«

»Fragen Sie, mein Herr!«

Der Polizeikommissar hatte einen Stuhl geholt und schob ihn der Dame hin, die ihn jedoch mit einer Bewegung der Hand ablehnte. Ein eben nicht sehr freundlicher Blick des Kreishauptmanns lohnte ihr.

»Nun denn, gnädige Frau – was wissen Sie von dem Inhalt dieser Kassette, die wir in Ihrem Schlafzimmer gefunden haben?«

»Durch den Mißbrauch kindlicher Unschuld! – Ich kenne den Inhalt. Die Kassette gehört mir.«

»Ah!« – Der Inquirent rieb sich die Hände – ein Blick von ihm bedeutete den Schreiber, das Geständnis zu protokollieren. »Bei so viel Offenherzigkeit werden wir uns gewiß rasch verständigen. Sie gestehen also zu, um die hochverräterischen Verbindungen Ihres Gemahls gewußt zu haben?«

»Nein – ich konnte nicht darum wissen. Mein Mann hat niemals ungesetzliche Verbindungen unterhalten.«

»Lächerliche Behauptung! – Diese Briefe geben den eklatanten Beweis.«

»Mein Mann weiß nichts von diesen Briefen – sie sind an mich gerichtet.«

»Wie, Madame – Sie wagen …«

»Ich habe Ihnen gegenüber nichts zu wagen, Herr von Timowsky. Ich erkläre Ihnen, da die Herren sich einmal durch die nichtswürdigsten Mittel in den Besitz dieser Papiere gesetzt haben, daß sie mich allein angehen. Es sind ältere Schriften und beziehen sich auf die längst amnestierten Vorgänge von 1846.«

Der Kreishauptmann sah die Dame etwas verdutzt an. »Aber das ist unmöglich! Diese Briefe handeln ganz offenbar von einer neuen beabsichtigten Erhebung. Die Brochüren und Schriften sind neueren Ursprungs! Der berüchtigte Katechismus Mlodeckis …«

»Ist bekanntlich schon 1843 in Brüssel gedruckt. Sehen Sie gefälligst die Daten der Briefe nach.«

Der Kreishauptmann griff hastig nach den Briefen und durchwühlte sie. »Man kennt die Kniffe der Verschwörer,« rief er ärgerlich, – das alte Mittel, nie eine kompromittierende Adresse oder Datumszahl zu setzen. Das wird Ihnen wenig helfen! Kurz und gut, wie kommt diese hochverräterische Korrespondenz hierher?«

»Sie stammt aus dem Nachlaß meines Vaters; es ist Ihnen bekannt, mein Herr, daß er zu der Emigration von 1831 gehörte – ich bin seine Tochter und habe meine Sympathien für mein unglückliches Vaterland nie verleugnet.«

»Das wissen wir eben, und deshalb glauben wir an Ihr Märchen nicht, so geschickt es auch vorgebracht wird. Wenn diese Papiere wirklich aus früherer Zeit sind, so können Sie ja ohne Gefahr den Schlüssel der Ziffernschrift uns mitteilen.«

Er lachte hämisch bei dem Schachzug, mit dem er sie gefangen glaubte.

Die Polin ließ sich jedoch nicht aus der Fassung bringen. »Suchen Sie – ich kenne ihn nicht!«

Ärgerlich schlug der Beamte, der recht gut begriff, daß er von seiner Gegnerin düpiert und verhöhnt wurde, mit der Faust auf den Tisch. »Glauben Sie nicht, mit diesen Lügen durchzukommen, Madame, – Sie werden dadurch höchstens Ihrem Manne Gesellschaft nach Sibirien leisten.«

»Das, mein Herr, wäre alles, was ich wünsche. Es gibt einen Gott über dem russischen Zaren wie über dem geknechteten Polen, und er wird für meine Kinder sorgen!«

»Wenn Sie denn nichts wissen – den werden Sie kennen, und damit ist Ihre ganze Komödie zuschanden! – Bringt den Gefangenen herbei!«

Die Kosaken stießen den jungen Mann näher, der bisher im Dunkel des Eingangs gestanden, und von der Dame nicht hatte bemerkt werden können.

»Wollen Sie auch leugnen, daß Sie den Mann hier verborgen gehalten haben?«

Frau von Wolawska sah mit Erstaunen auf den Fremden, der sich achtungsvoll und mit den Manieren eines Mannes von Erziehung vor ihr verbeugte.

»Ich kenne diesen Mann nicht!«

»Verstellen Sie sich nicht weiter – diese Briefe ergeben wenigstens, daß der Emissär, den wir suchten, der berüchtigte Kapitän Langiewicz ist. Der Kellermeister Nepomuk hat ihn wieder erkannt.«

»Dann weiß der elende Schurke mehr als ich; ich wiederhole Ihnen, ich kenne diesen Herrn nicht, am allerwenigsten ist er der Kapitän Langiewicz, den ich mich erinnere, in Paris gesehen zu haben.«

»So erlauben Sie mir, mich Euer Gnaden vorzustellen,« sagte der Gefangene. »Ich bin der Graf Hippolyt Oginski und freue mich, bei der sonst so unangenehmen Gelegenheit die Ehre zu haben, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Höll' und Teufel,« tobte der Kreishauptmann, – »was soll das bedeuten? Will man die Obrigkeit äffen hier?«

Der Kommissar, der sich bisher ganz ruhig verhalten und dem Verhör der Dame durch den Kreishauptmann als einem Eingriff in seine Funktion eigentlich mit einer gewissen Schadenfreude zugehört hatte, trat jetzt vor und fixierte den Gefangenen, den er vorher noch nicht beachtet hatte, genauer.

»Wenn dies der Kapitän Langiewicz sein soll,« sagte er, »so glaube ich allerdings, daß ein Irrtum vorgefallen ist. Ich kenne den Kapitän zwar nicht von Person, aber das Signalement, das wir von ihm besitzen, und das ich in meiner Brieftasche bei mir führe, spricht von einer ganz andern Persönlichkeit.«

»Aber der Schurke hat ja selbst zugestanden, daß er der Kapitän Langiewicz wäre?«

Der Graf lächelte ironisch. »Verzeihen Sie die kleine Unwahrheit, mein Herr, die Ihnen nur die Beruhigung Ihrer Skrupel erleichtern sollte; ich habe wirklich nicht das Vergnügen, der Kapitän Langiewicz zu sein!«

»Aber wer zum Teufel sind Sie?«

»Ich hatte bereits die Ehre, mich Frau v. Wolawska vorzustellen. Mein bescheidener Name ist Hippolyt Graf Oginski.«

Der Kommissar neigte sich zu dem Ohr des Kollegienrats und flüsterte ihm etwas zu.

» Tschortu! Das ist wahr – einer oder der andere – es ist immer ein Fang. Waren Sie nicht nach Sibirien verbannt?«

»Allerdings. Aber ich bin nach der Amnestie vor 4 Jahren zurückgekehrt und lebte seit der Zeit auf Reisen.«

»Waren Sie vor kurzem in Warschau?« warf der Kommissar ein, der den Grafen aufmerksam beobachtet hatte und mit einem Verdacht kämpfte.

So sehr es dem jungen Edelmann widerstrebte, die Unwahrheit zu sagen, glaubte er sich doch durch die Umstände dazu berechtigt und verneinte die Frage.

»Sie behaupten also, die Familie Wolawska nicht zu kennen?«

»Ich habe Herrn und Frau Wolawska heute zum erstenmal gesehen.«

»Aber wie kommen Sie hierher? in dieser Verkleidung? Das ist höchst verdächtig.«

»Ich halte mich bei meinen Verwandten jenseits der Grenze auf und hörte zufällig von dem Aufgebot zur Wolfsjagd. Ich bin Jäger von Passion und wünschte der Jagd beizuwohnen. Da ich nicht ohne große Schwierigkeiten die Grenze auf gewöhnliche Weise hätte passieren können, riet man mir zu der Verkleidung.«

»Hm – das kann wahr sein, aber auch nicht. Ist der Gefangene untersucht worden?« Die Frage galt einem der Gendarmen.

»Ja, Euer Hochwohlgeboren!«

»Und was hat man bei ihm gefunden?«

»Nichts Väterchen, keinen Fetzen Papier!«

»Der Teufel in deine Seele! Wer sind die Verwandten, bei denen Sie sich aufhalten wollen?«

Ein Rest von Scham verhinderte den Kollegienrat, den Gefangenen, seinen Lebensretter, so brutal zu behandeln, wie er es wahrscheinlich bei jedem andern getan hätte.

»Graf Czatanowski auf Slawice bei Strzalkowo.«

»Ich kenne den gnädigen Herrn Grafen,« mischte sich der Kosakenoffizier ein. »Er kommt zuweilen herüber zu uns.«

Der Name des Posenschen Edelmanns war übrigens so bekannt und geachtet, daß er auch dem Kreishauptmann wohl erinnerlich war, und verfehlte daher seinen Eindruck nicht auf diesen und machte ihn höflicher.

»Ihre Angaben können wahr sein, wie ich Ihnen schon bemerkte,« sagte der Kreishauptmann, »oder auch nicht. Jedenfalls sind Sie strafbar, auf unerlaubte Weise über die Grenze gekommen zu sein. Ich muß Sie daher bis zum weitern Ausweis morgen früh mit in das Gefängnis nach Konin abführen lassen. Frau v. Wolawska treffen Sie Ihre Anstalten, dies Schicksal zu teilen.«

»Aber meine Kinder?«

Der Kollegienrat, der durch die unerwartete Verteidigung der Polin seine Entdeckung und damit die erhoffte Beförderung und Auszeichnung bedroht sah und daher noch mehr erbittert war, begnügte sich mit einem Achselzucken.

Sein Ärger sollte jedoch noch vermehrt werden.

»Wird die gnädige Frau nicht die Güte haben, mir für die kurze Zeit die Sorge für die Kinder zu vertrauen?« fragte eine helle Stimme von der innern Tür her.

»Ah Henrietta – Gott sei Dank! Sie wissen, was geschehen?«

»Halt da – wer ist diese Person?«

Das eingetretene Mädchen machte dem Kommissar eine ziemlich ironische Verbeugung. »Mein Name ist Henriette Pustowojtów, und ich habe die Ehre, die Gouvernante der Kinder des Herrn von Wolawska zu sein.«

»Wo kommen Sie her? wo sind Sie gewesen seit gestern abend?« fragte der Beamte.

»Erlauben Sie, mein Herr – ich weiß nicht …«

»Ich bin der Polizeikommissar Drosdowicz und habe das Recht, Sie zu verhören. Ihre Herrschaft, Herr und Frau v. Wolawska, haben sich des Hochverrats verdächtig gemacht und sind verhaftet. Sie werden gut tun, auf alle Fragen die strengste Wahrheit zu sagen, wenn Sie nicht der Mitwissenschaft beschuldigt sein wollen. Ihre Abwesenheit von fast vierundzwanzig Stunden ist verdächtig. Wo waren Sie?«

»Hier!«

»Wie, hier – niemand hat Sie gesehen! Sie haben die Nacht nicht in ihrem Zimmer zugebracht, wie ich schon heute morgen konstatiert habe. Ein Pferd des Herrn von Wolawski fehlt. Sie haben gestern abend das Haus verlassen. Warum? in welchem Auftrag? wo blieben Sie mit dem Pferde?«

»Das wird Ihnen Frau von Wolawska gesagt haben.«

»Frau von Wolawska hat uns nichts gesagt, denn wir haben sie nicht gefragt. Gestehen Sie!« fuhr der Kreishauptmann dazwischen.

Der Kommissar blickte ärgerlich über diese Unvorsichtigkeit, doch war sie nicht mehr zu redressieren, denn die Gouvernante sagte rasch mit lauter Stimme: »Ich gehöre nicht zum Stallpersonale, bin also nicht für die Pferde der Herrschaft verantwortlich. Wenn die Herren Frau von Wolawska gefragt hätten, würde Sie Ihnen wahrscheinlich gesagt haben, daß sie mir noch gestern abend Erlaubnis erteilt hatte, mich in eine Kammer des Gesindehauses zurückzuziehen, da die Herren, die gestern das Haus überfielen, etwas zu aufdringlich gegen junge Mädchen sich erwiesen. Ich wünschte, den Galanterien meiner russischen Landsleute aus dem Wege zu gehen. Nach einigen Proben … der Herr Kollegienrat selbst …«

»Halten Sie das Maul,« unterbrach sie barsch der Kreishauptmann. »Sie sind eine freche Person und man kennt Sie! Antworten Sie, wo Sie gesteckt haben?«

»Ich wiederhole Ihnen, im Gesindehaus, in der Geschirrkammer. Ich versichere Sie, es war sehr kalt, aber was tut ein Mädchen nicht für die Moralität!«

»Fräulein,« sagte der Kommissar streng, – »Sie stehen hier vor Ihrer Obrigkeit, und werden gut tun, nicht Ihren Spott mit dieser zu versuchen. Man setzt sich nicht vierundzwanzig Stunden ohne Nahrung der Winterkälte aus, um sich einer Galanterie zu entziehen.«

»O, mein Herr, ich habe auch nicht zu hungern brauchen. Der Knecht Mateusz hat mir Frühstück gebracht, – befragen Sie ihn nur!«

Der Kommissar biß sich ärgerlich auf die Lippen – er wußte recht gut, daß dies alles erlogen war, aber er hatte im Augenblick nicht die Mittel, das Gegenteil zu beweisen. Er besprach sich leise über die zu ergreifenden Maßregeln mit dem Kreishauptmann. Fräulein Pustowojtów beobachtete sie mit großer Aufmerksamkeit, nachdem sie mit einem raschen Blick den Tisch mit den Papieren überflogen hatte. Sie war ihrer Sache sicher, wenigstens so rasch nicht der Unwahrheit ihres Vorgehens überführt werden zu können; denn als sie durch einen unbeachteten Schlupfweg auf der Rückseite des Gehöftes mit dem Knaben sich in dasselbe unentdeckt zurückgestohlen und in dem Gesindehause verborgen hatte, war sie dem Knecht Mateusz begegnet und hatte von diesem im allgemeinen erfahren, was seither im Hause vorgegangen. Sie war dann offen nach der Halle gegangen in Begleitung des Knechts, während der Junge sich keck unter die Soldatengruppen im Hofe und in der Küche mischte, als gehöre er zum Haushalt.

Bis jetzt hatte das Mädchen sich sorgfältig gehütet, ihre Blicke auf den Gefangenen zu richten, um ihn zu verständigen, denn sie argwohnte mit Recht, daß scharfe Augen sie beobachteten. Sie wartete auf eine passende Gelegenheit, ihm und ihrer Herrin einen Wink von der Nähe der Freunde zu geben, und sie sollte in der Tat nicht lange darauf zu warten brauchen.

Der Polizeikommissar verließ nach der Besprechung mit dem Kreishauptmann die Halle; der letztere ging mit starken Schritten die Arme übereinandergeschlagen, auf und nieder, bis er mit finsterer Miene vor dem Mädchen stehen blieb.

»Die Wahrheit jetzt, das rate ich Ihnen! – Sehen Sie auf den Herrn dort! Haben Sie ihn hier schon früher gesehen?«

Sie sah auf den Grafen. »Nein Pan, ich habe diesen Herrn niemals in Bielawice gesehen.«

»Und Sie wissen auch nicht, wer er ist?«

»Wenn ich recht gehört habe vorhin, als ich eintrat, nannte er Ihnen seinen Namen, Graf Oginski, ein Name, der mir übrigens bekannt ist.«

»Wieso?«

»Ich erinnere mich, ihn noch vor kurzem von sehr treuen und zuverlässigen Freunden des Herrn Grafen gehört zu haben. Sie sagten, er könne sich in jeder Lage auf sie verlassen und sie hätten große Verpflichtungen gegen ihn.«

»Wer waren diese Leute?«

»Ja, Herr Kreishauptmann, wenn ich Ihnen das sagen soll – ich erinnere mich ihrer Namen nicht mehr und weiß blos, daß es in einer ziemlich zahlreichen Gesellschaft war.« Eine fast unmerkliche Neigung des Kopfes bei dem flüchtigen Blick, der den Gefangenen streifte, bewies ihr, daß sie verstanden worden war.

»Elende Ausflüchte! aber ich sage Ihnen, Fräulein, diese Winkelzüge werden Ihnen wenig nützen. Man wird Sie zwingen, zu reden!«

»Ich bin mir keines Vergehens bewußt; es müßte denn sein, daß ich nicht so empfänglich bin für gewisse Zärtlichkeiten …«

»Still! – was geht da vor?«

Draußen auf dem Flur vor der Halle war ein arger Tumult – man hörte die laute Stimme des Polizeikommissars, welcher rief: »Haltet den Jungen fest! – Laßt ihn nicht entwischen! – Fangt den Galgenstrick!«.

Der Kreishauptmann eilte nach dem Eingang – Aller Augen hatten sich dorthin gewendet. Diesen Moment benutzte die Gouvernante, sich ihrer Herrin zu nähern. »Unsere Freunde sind in der Nähe« flüsterte sie ihr zu »es wird ein Angriff erfolgen, Sie zu befreien!« – »Wenn man die Papiere vernichten könnte – sie sind der einzige Beweis! – Mein Mann …« – Einen Moment dachte die Gouvernante daran, sich auf die Briefe zu stürzen, sie zusammen zu raffen und in die Flammen des Kamins zu werfen, aber ein Blick belehrte sie, daß sie dafür zu zerstreut lagen und der Schreiber zwischen ihr und dem Tisch saß.

Dieser hatte sich gleichfalls umgedreht, nach der Tür zu sehen, – ihre Blicke trafen auf sein Gesicht, es mußte ihr bekannt sein, denn ein neuer Gedanke durchzuckte sie offenbar.

»Haben Sie Gold?« flüsterte sie.

»Fünfhundert Rubel – in meinem Schreibtisch. Er ist offen! Meinen Schmuck« –

Jedes weitere Gespräch wäre in diesem Augenblick zu gefährlich gewesen, denn der Kommissar Drosdewicz trat hastig in die Halle, sein Gesicht zeigte große Aufregung.

»Herr Kreishauptmann« sagte er – »ich habe gegründete Ursache zu glauben, daß wir von Verrat umgeben sind und alles erwarten müssen. Ich habe eben in der Küche einen Jungen erkannt, der einer der gewandtesten Spione der Agitation in Warschau ist. Wo der Galgenstrick ist, befinden sich seine erwachsenen Helfershelfer sicher in der Nähe.«

»Wo ist die Kanaille?«

»Leider ist mir – zum zweitenmal schon! – der Taugenichts unter den Händen verschwunden. Der Junge ist entwischt, trotzdem wenigstens zwanzig Leute hinter ihm her waren. Aber ich hoffe, man findet ihn noch. Zunächst wollte ich Sie bitten, die Posten verdoppeln zu lassen und die größte Aufmerksamkeit anzuempfehlen. Wir wollen diese Papiere wieder in die Kassette schließen, und wenn Sie meinem Rate folgen, die schärfste Aufsicht üben.«

Der Kreishauptmann legte die Schriften und Dokumente selbst zusammen und in die Kassette. »Jan, ich gebe sie in deine Verwahrung; laß den Kasten nicht aus den Händen! – Habt auf die Gefangenen Acht! – Wo ist die Gouvernante?«

Fräulein Pustowojtów hatte in der Tat die Halle verlassen, doch eh' man sich noch weiter mit ihr beschäftigte, trat sie schon wieder herein, auf einem Teller ein Glas Wasser tragend, gleich als habe die Herrin dasselbe gewünscht.

Auch behielt man wenig Zeit, sich mit ihr zu beschäftigen, denn der Kosackenkapitän eilte herbei. »Väterchen, Iwan Iwanowitsch hat dir zu melden, daß man draußen auf dem Schnee verdächtige Gestalten sich um das Gehöft bewegen sieht!«

»Laß Feuer auf sie geben, wenn sie auf den Anruf nicht stehen!«

Es bedurfte nicht erst des Befehls: ein Schuß knallte im Hof und von draußen her antwortete eine ganze Salve. Eine Kugel schlug in eines der Fenster und schmetterte die Glasscherben auf den Boden.

»Das ist ein ernster Angriff!« rief der Kreishauptmann. »Das Gehöft ist zu weitläufig, um es zu verteidigen. Wir müssen die Fenster und Türen verrammeln und uns halten, bis das Militär kommt!«

Der Kommissar schien nicht der Meinung. »Das kann später geschehen. Zunächst müssen wir ermitteln, wie stark unsere Angreifer sind. Der Schüsse waren nur wenige.«

Der Kosakenkapitän war derselben Meinung; – er wäre am liebsten mit seinen Leuten zu Pferde gestiegen und hätte sich davon gemacht – oder wenigstens einen Angriff im freien Felde versucht. Man befahl den Dienstleuten, sich in der Halle zu versammeln und sich ruhig zu verhalten, weil man sie hier besser bewachen und übersehen konnte. Auch die Kinderfrau mit den schreienden Kindern mußte herein und der alte Kammerdiener lief händeringend umher und beschwor in französischen und polnischen Ausrufungen die Messieurs les soldats, doch seiner gnädigsten Herrschaft nichts zuleide zu tun.

Die erste allgemeine Verwirrung hatte die Gourvernante benutzt, sich dem Schreiber des Kreishauptmanns zu nähern.

»Jan Zielewicz« flüsterte sie – »Du bist ein kluger Mann! Willst du 500 Rubel verdienen?«

Die Augen des dürren halb verhungerten Schreibers funkelten. » O moia bana Henrietta, ich weiß, Sie meinen es gut mit dem armen Jan! Sie haben mich nicht gleich angezeigt bei Gericht, als mir das kleine Versehen passierte …«

Sie hatte ihn einmal dabei attrappiert, als er im Gasthof in Konin bei einem Amtstage, zu dem sie mit Herrn und Frau Wolawska gekommen war, sich in die Stube ihrer Herrschaft geschlichen und ein goldenes Armband der abwesenden Dame gestohlen hatte.

»Fünfhundert Rubel, sagen Sie? – Meinen Sie Rubel Schein?«

»Nein, in Gold – in guten Imperials. Ich habe die Rolle hier in der Tasche!«

»Gnadenreiche Mutter Gottes von Czenstochau – das ist ja ein Vermögen! Aber was muß ich tun? Soll ich dem Herrn Kreishauptmann einen Paß für Sie stehlen?«

»Nein – aber die Kassette dort!«

»Gott soll mich bewahren – was verlangen das gnädige Fräulein? Er ließe mich hängen bei ledendigem Leibe!«

»Ja dann ist's auch mit den fünfhundert Rubeln nichts. Sie wären ein Vermögen für dich gewesen Jan!«

Der Schreiber kraute sich den Kopf. »Gott – lassen Sie mir doch Zeit – ich kann ihnen unmöglich die Kassette geben – aber – der Herr Kreishauptmann hat vergessen, sie zuzuschließen – würden die Briefe und die Papiere darin nicht genügen?«

Die Gouvernante hätte ihm fast ins Gesicht gelacht. »Gewiß – die sämtlichen Papiere für 500 Rubel!«

»Und Sie bezahlen sie gleich?«

»Auf der Stelle!«

» Dobre Pani – ich will's wagen. Nur stecken Sie mir heimlich einen Pack anderer Papiere und Briefe zu! – Jetzt – still – kein Wort mehr!«

Die Verwirrung im Hause war jetzt ziemlich groß geworden. Der Kapitän Iwan Iwanowitsch verstand zwar vorzüglich seinen Grenzdienst, oder vielmehr seinen Vorteil bei diesem, aber er war sicher nicht der Offizier, um eine regelmäßige Verteidigung zu leiten. Das Feuer der Kosaken gegen den aus dem Dunkel angreifenden Feind war sehr unregelmäßig und bisher konnte nur ihre Überzahl diesen von einem ernstlicheren Sturm zurückhalten.

Wir haben bereits früher erwähnt, daß der Kreishauptmann keineswegs ein Mann war, dem es an Eifer fehlte, wo es die Aufrechterhaltung seiner Amtspflichten galt, wenn auch sein persönlicher Mut nicht sehr groß war. – Er und der Kommissar waren überall tätig und leiteten die Verteidigung, die sich bis jetzt eben nur auf einzelne Schüsse, meist ins Dunkle hinein ohne jeden sichern Erfolg beschränkt hatte. Es war klar, daß unter diesen Umständen an eine regelmäßige Absonderung und Bewachung der Gefangenen nicht zu denken war und der Verkehr unter ihnen nicht gehindert werden konnte. Auf diese Weise gelang es der Gouvernante leicht, dem Schreiber eine Partie alter gleichgültiger Briefe und Zeitungen zuzustecken.

Während der Zeit hörte man draußen fortwährend Schüsse wechseln, der Kommissar und der Kreishauptmann gingen ab und zu, letzterer sah etwas blaß aus und hielt sich sehr vorsichtig hinter den Wänden, um nicht etwa von einer abirrenden Kugel erreicht zu werden. Draußen flüsterte er häufig mit dem Kapitän der Kosaken, der bereits Befehl gegeben hatte, sämtliche Pferde zu satteln und in den Schutz eines der Wirtschaftsgebäude aufzustellen.

Das nächtliche Plänklergefecht hatte etwa eine Viertelstunde gedauert, als der kleine Schreiber der Gouvernante einen Wink gab; sie näherte sich ihm sogleich. »Haben Sie das Geld, Pana?«

»Und die Papiere?«

»Ich habe sie, sie sind in das Sacktuch hier geknotet. Kein einziges fehlt. Es war ein Glück, daß ich sie schon hatte, denn der gnädige Herr hat eben selbst die Kassette verschlossen und sie an einen andern Platz gestellt. Aber um Himmelswillen, verraten Sie mich nicht!«

Das Mädchen reichte ihm die Geldrolle. »Ohne Sorge, Kleiner. Mach deine Sache geschickt.«

Sie schlüpfte mit dem Bündel unter ihrer Jacke aus der Halle. Man hatte die Lichter bis aus zwei oder drei ausgelöscht, um kein Ziel zu geben, es war also ziemlich dunkel in der Halle. Draußen in dem Gange hörte sie Herrn von Timowsky und den Kosakenoffizier sprechen.

»So glauben Sie also, daß die Schufte einen Angriff auf das Haus machen werden?«

»Ich zweifle nicht daran, Väterchen. Es sind offenbar waghalsige Burschen darunter, die schon Pulver gerochen haben. Sie schossen von allen Seiten, so daß man nicht schätzen kann, wie viele ihrer sind.«

»Aber wenn sie das Haus angreifen, wird ein Handgemenge entstehen und sie würden sich an jedem vergreifen, den sie finden, ohne Unterschied der Person!«

»Ich fürchte es auch – jeder muß sich seiner Haut wehren!«

»Sehen Sie denn nicht ein, Kapitän, daß dies nicht geht! Ich bin der Regierung für wichtige Entdeckungen verantwortlich, die ich gemacht habe. Ich darf unter keinen Umständen in die Hände der Rebellen fallen!«

Der Kapitän kraute sich am Kopf. »Was ist da zu machen, Väterchen. Ich wüßte wohl ein Mittel, dich in Sicherheit zu bringen, aber …«

»So sag' es – sprich! Du kannst auf eine Belohnung rechnen!«

»Unsere Pferde stehen bereit – wenn sie das Haus angreifen – ein Pfiff – und meine Kerle sitzen im Sattel und brechen durch! Hui – zum Tor hinaus – über das Feld! sie verstehen das – ehe du ein Gebet sprechen kannst zur heiligen Mutter von Kasan, sind wir auf und davon und fragen dich, wohin du willst!«

»Ja – das wäre ein kluger Streich, Sie haben recht, Kapitän. Wir wollen den Soldaten entgegen, oder gleich nach Konin. Den Hauptrebellen haben wir dort – wenn wir nur die Beweise in Sicherheit haben! – Aber wie willst du mich fortbringen, Kapitän?«

»Du kannst doch reiten, Gospodin?«

»Gewiß!«

Wir nehmen ein Pferd aus dem Stall für dich, Väterchen, und nehmen dich in die Mitte – der Teufel soll meine Mutter fressen – wenn wir den gnädigen Herrn nicht ohne Loch in der Haut davon bringen. Es wird dir auf einen Schnaps für meine Kerle nicht ankommen!«

»Soviel sie saufen wollen! Aber die Gefangenen …«

Der Kosak zuckte die Achseln: »Das ist freilich schlimm!«

»Tut nichts – die Frau bekommen wir schon in die Hände – was den andern betrifft, so weiß ich ohnehin nicht, ob es nicht besser ist, wenn er entwischt. Aber den schurkischen Bauern hier in der Gegend will ich's eintränken. Es bleibt dabei! ich verlasse mich auf Sie, Kapitän!«

Das würdige Paar trennte sich – die Gouvernante schlüpfte weiter, um die verhängnisvollen Schriften in Sicherheit zu bringen. Da fühlte sie sich plötzlich am Kleid festgehalten.

»Pana – der Janko ist's!«

»O bist du's? ich hatte tausend Angst um dich – wenn sie dich gefangen hätten!«

»Die Duraks – nur der Kommissar war gefährlich! Er ist ein schlimmer Mann, und hätt' ich gewußt, daß er hier war – wär' ich ihm sicher aus dem Weg gegangen. Aber die andern können lange laufen, ehe sie den Janko erwischen!«

»Ich hoffte, du wärst bereits bei unsern Freunden – es muß jetzt rasch geschehen. Komm mit, es muß gewagt werden.«

Sie zog ihn mit fort und, mit allen Gelegenheiten des Hauses vertraut – brachte sie ihn am Ende des Ganges glücklich zu einer Tür im Souterrain, die für gewöhnlich nur von dem Gesinde benutzt wurde, um nach den gegenüberliegenden Ställen zu gehen.

»Jetzt, Knabe, merke auf!« sagte sie, »erinnerst du dich der Luke im Stall, durch die wir hereingekommen sind?«

»Ich will sie mit verbundenen Augen finden!«

»Ich muß es dir überlassen unentdeckt bis zum Stall zu kommen. Suche den Kapitän Langiewicz auf und sage ihm, sofort das Haus anzugreifen, er wird leichtes Spiel haben. Er soll dreist über die alte Mauer auf dieser Seite dringen – die Tür hier wird unverriegelt sein. Sage ihm, die gefährdenden Briefe wären gerettet, es handle sich nur noch um die Befreiung des Grafen Oginski. – Doch halt – es könnte trotzdem unglücklich gehen – und ihrem Spürtalent würden dann die Briefe in die Hände fallen. – Hier, nimm dies zusammengeknotete Tuch, übergieb es dem Kapitän – aber wahre es mit deinem Leben!«

»Geben Sie, Pani!«

Sie reichte es ihm, dann öffnete sie leise die Tür und stieß ihn hinaus. Der Knabe drückte sich im Schatten des Hauses ein.

»Halt – steh, Kanaille! – steh oder ich schieße!«

Sie erkannte die Stimme des Kommissars, die aus dem Fenster über der Tür kam. Sie hielt die Tür halb geöffnet, um zu sehen.

Wie ein Blitz flog der Junge über die Schneefläche, den dunklen Ställen zu.

»Hierher – faßt den Burschen!«

Ein Revolverschuß knallte – der Knabe stürzte auf den Schnee – schon wollte die Gouvernante hinausspringen, um auf jede Gefahr hin die Papiere zu retten, als sie sah, daß der Junge sich wieder aufraffte und weiter eilte; im nächsten Augenblick hatte er die gegenüberliegenden Ställe erreicht, ohne von den Kosaken bemerkt worden zu sein, die bereits das Pferd des Gutsherrn herausgezogen hatten, das dem Kreishauptmann zur Flucht dienen sollte. Vergebens rüttelte der Kommissar an den Eisenstäben, die das Fenster des Korridors schlossen, von wo er den Schuß getan hatte. Die Gouvernante schloß hastig die Tür und eilte in das Innere des Hauses zurück. Sie war bereits wieder in der Halle, als der Kommissar noch immer vergeblich nach dem Entflohenen suchte.

Ihr Wink beruhigte Frau von Wolawska, daß alles in Ordnung – es vergingen einige Minuten, dann schwieg plötzlich das Feuer der Angreifenden.

»Gott sei Dank« stöhnte der Kollegienrat, »die Schurken sind zurückgeschlagen oder die Soldaten kommen, und sie machen sich aus dem Staube!«

Ein lauter allgemeiner Schreckensruf aus dem Hofe antwortete ihm – durch die Fenster drang ein heller Schein – aus dem Strohdach der zur Rechten liegenden Scheune schlug die Flamme empor und verbreitete sich im starken Windzug rasch über die Fläche trotz des Schnees, der auf dem Dach lag.

»Es brennt! es brennt! –

Der Kollegienrat hatte doch nicht so unrecht gehabt – es war der Augenblick gewesen, wo auf den Befehl des Majors die auf der Eisfläche gefährdete Soldatenabteilung hinter den Vorübereilenden eine Salve abgegeben hatte, und die Bedränger des Gutshofs hatten notwendig das entfernte Feuern hören müssen.

Die Führer der kleinen Angreiferschar waren rasch zusammengetreten.

»Wir müssen ein Ende machen, sonst kommen uns die verfluchten Soldaten über den Hals! Also drauf und dran!« rief der Oculiarnik.

»Ich fürchte, wir müssen es darauf hin wagen,« bemerkte der Kapitän. »Fräulein Pustowojtów muß durch Gewalt verhindert worden sein, uns ein Zeichen zu geben. Wir hätten sie nicht der Gefahr aussetzen sollen.«

»Bah – was kümmert uns ein Weib! Ich sagte es im voraus, daß sie zu nichts nütze sind!«

Einer der vorgeschobenen Männer kam in diesem Augenblick herbeigelaufen, den Knaben Janko an der Hand, dessen Wange blutete. Die schwache Revolverkugel hatte ihn leicht gestreift, nur der erste Schreck ihn niedergeworfen.

»Gott sei Dank Junge, du kommst von dem Fräulein?«

»Ja, Pan, sie sendet Euch das – Ihr sollt es in Sicherheit bringen, Tod und Leben hinge davon ab.«

Der Kapitän befühlte das Paket, das er hier im Dunkel nicht anders untersuchen konnte. »Papiere – wäre es möglich? sollte es Henriette gelungen sein?«

»Die Pani sagt, die Herrin dort aus dem Gut hätte nichts mehr zu fürchten, es gälte nur, meinen Herrn, den Grafen, aus den Händen der Kosaken zu befreien. Ich weiß einen Schlupfweg in die Ställe – sie wird die Tür des Hauses offen halten, durch die ich entkommen bin. Der warschauer Polizeikommissar Drosdowicz war mir hart auf dem Leib!«

»Ha, die Kanaille!« rief der Okuliarnik – »wenn wir ihn fangen, hängen wir ihn an den Beinen auf!«

Der Kapitän antwortete der Drohung nicht – er überlegte einige Augenblicke. »Wo ist der Zugang zu dem Gehöft?«

»Dort – gerade vor uns.«

»Du bist schlau genug – kannst du uns sagen, wie hoch sich die Zahl der Russen beläuft?«

»Über vierzig – ich habe sie gezählt! Die Pferde der Kosaken stehen gesattelt im Hofe.«

»Das ist zuviel für uns – dann müssen wir ihre Aufmerksamkeit abzulenken suchen.«

»Einen Brand in die Häuser – dann im Mordio auf sie los – das ist das Kürzeste!«

»Ich fürchte, es bleibt uns kein anderes Mittel – doch möchte ich Herrn von Wolawski nicht gern Schaden bereiten.«

»Bah – glauben Sie etwa, daß die Russen ihn nicht verurteilen werden, weil es den Weibsleuten gelungen ist, ein Paar kompromittierende Papiere zu stehlen? Jeder Büchsenschuß, der hier gefallen, ist eine Anwartschaft auf Sibirien.«

»Sie haben Recht und das erinnert mich an eine andere notwendige Vorsicht. Lassen Sie alle unsere Leute sich auf irgendeine Weise die Gesichter schwärzen oder entstellen, damit sie später niemand wieder erkennen kann!«

Der Brillen-Ludwig stieß einen wilden Fluch aus. »Zum Teufel – ich hoffe, es wird keiner übrigbleiben, der sich dessen erinnern könnte. Aber dennoch ist der Rat gut und kann auch für meine Person nicht schaden!« Er rief Woyczek herbei, teilte ihm die Order mit, und in einigen Augenblicken hatten sich alle mit Pulver und Schnee die Gesichter bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt.

»Jetzt einen Büschel Moos oder Lumpen als Zunder und hinein in das Dach!«

»Bei der heiligen Jungfrau – wir haben's nicht nötig – sehen Sie dahin!« Der Unteroffizier Woyczek wies nach dem Gehöft.

Aus dem auf der andern Seite des Herrenhauses liegenden Strohdach stieg die Flamme empor. Einer der früheren Schüsse aus dem Innern oder von Außen her mußte gezündet haben; vielleicht auch die Unvorsichtigkeit der Kosaken selbst.

»Das ist mehr als wir brauchen,« befahl der Kapitän. »Jetzt, Kameraden – vier Mann nach jener Seite und Feuer auf sie – und dann Knabe zeige uns hier den Eingang!«

Der Polizeikommissar war durch den Feuerschein erschreckt aus den links liegenden Ställen getreten, wo er noch immer vergeblich nach dem Knaben gesucht. Hätte er wenige Augenblicke gewartet, so würde er ihn in gefährlicher Gesellschaft haben einsteigen sehen.

»Höll' und Teufel – sie haben das Haus angezündet!« Er flog über den Hof. »Löscht Leute, Wasser herbei!«

Schüsse knallten auf jener Seite, die Pferde der Kosaken standen dort, weil sie da weniger einer Kugel ausgesetzt gewesen waren. In der Tür des Hauses drängten jetzt der Kosakenoffizier, der Kreishauptmann, die Knechte und Mägde des Hauses. Selbst der Graf und die Hausfrau waren hinter ihnen sichtbar – die Gefahr hatte ihre Wächter die Aufsicht vergessen lassen.

Der Kollegienrat trug die Kassette unterm Arm; er war sehr bleich, als er dem Kapitän einen Befehl zuraunte. Iwan Iwanowitsch steckte den gekrümmten Finger in den Mund und ließ einen schrillen Pfiff ertönen – die Kosaken sprangen in die Sättel und tummelten ihre Gäule, der eine führte dem Offizier sein Pferd zu, ein anderes zur Hand!

»Aufgesessen, Herr!«

Der Kapitän und der Kollegienrat waren rasch aufgestiegen. »Erinnere dich, Kapitän Iwan Iwanowitsch, daß ich in die Mitte deiner Leute kommen muß.«

In diesem Augenblick kam der Polizeikommissar herbeigeeilt. »Was ist geschehen? was wollen Sie tun, Herr von Timowsky?«

»Ich fürchte, die Mordbrenner werden uns bald auf dem Halse sitzen, wir müssen die Beweise in Sicherheit zu bringen.«

»Aber ich?«

»Sie haben meine Gendarmen und die Polizeidiener. Verrammeln Sie das Haus – das Militär muß jeden Augenblick hier sein – ich eile ihm entgegen!«

Der Kommissar prallte zurück, als hätte er einen Schlag erhalten. »Sie wollen uns im Stich lassen –? das wäre schändlich! Kapitän – ich befehle Ihnen …«

Ein wildes Geschrei von der Seite der Ställe her unterbrach ihn – im Schein des gegenüber leuchtenden Brandes sah er aus einer der Türen einen dunklen Haufen Menschen hervordringen, Waffen der verschiedensten Art blitzten – doch hielt offenbar der Anblick der überlegenen Reiterschar den raschen Überfall auf.

»Da sehen Sie – da sind sie – fort Kapitän, um Himmels willen! keine Zögerung!«

Der Kosakenkapitän rief einige Befehle – die Reiter, an blinden Gehorsam gewöhnt, schwenkten rechts und links um ihn und den Beamten zur dichten Kolonne.

»Besetzt das Tor – laßt sie nicht durch! Feuer auf sie!« klang eine kräftige befehlende Stimme aus dem Haufen der Eingedrungenen. » Zgie Polska!«

Aber der Befehl kam zu spät – dem polnischen Ruf antwortete ein Hurrah der Kosaken. Zwei Schüsse fielen auf ihre Kolonne und einer der Reiter stürzte vom Pferde, aber die andern galoppierten mit eingelegten Lanzen quer über den Hof – die wenigen Polen, die sich ihnen entgegenwarfen, wurden niedergeritten – im nächsten Augenblick war das Tor erreicht, der im Innern versperrende Balken ausgehoben, das Tor aufgerissen und hinaus über die Schneefläche jagte der Schwarm der Flüchtenden.

Der Kommissar stieß einen Fluch aus – dasselbe Schimpfwort, das am Nachmittag der verkleidete Treiber dem Kollegienrat zugerufen, als er vor dem anstürmenden Ur in die Knie sank – nur in polnischer Sprache: Feigling! – er war ein entschlossener Mann – hier galt es vor Allem Geistesgegenwart. Fast im selben Augenblick, wo die Kosaken davonjagten, noch ehe sie das Tor öffnen konnten, sprang er in die Haustür und stieß die Ausdrängenden zurück.

»Hierher Leute – schließt die Tür – verrammelt sie! Es gilt unser Leben!«

Der Schein aus der Küche und von dem Feuer fiel auf das triumphierende Gesicht der Hausfrau – im nu wußte er, was zu tun war, denn ein Seitenblick zeigte ihm, daß die beiden Gendarmen um das Schließen der Tür mit dem Knecht und einigen anderen rangen.

Der Kommissar Drosdowicz war zwar kein großer starker Mann, aber alles an ihm war Sehne und Muskelkraft. Rasch wie der Gedanke, der ihm gekommen, war er auf Frau Wolawska zugesprungen, hatte sie umfaßt und trug sie trotz alles Sträubens und Schreiens, noch ehe Graf Oginski ihn aufhalten konnte, durch die offene Tür in die Halle.

Einer der beiden Polizeidiener befand sich in der Nähe der Tür.

»Luczek – schließ die Tür – es gilt unser Leben!«

Der Sergeant hatte geschwind die Tür ins Schloß geworfen, und da kein Riegel im Innern einen Verschluß bot, stemmte er sich mit dem Rücken dagegen.

Graf Oginski war, ehe dies geschah, mit in die Halle gedrungen – in der sich jetzt nur der Kommissar mit der halbohnmächtigen Frau, der alte französische Diener, ein Mädchen mit den Kindern und der zitternde Schreiber befand, der sich eiligst unter den Tisch verkroch.

Man hörte durch die Tür, gegen die mit der ganzen Wucht seines riesenhaften Körpers der Polizeidiener sich stemmte, wildes Geschrei, das Klirren blanker Waffen, – Flüche – Todesschreie –

Dann klang die schrille Stimme des Fräulein Pustowojtów: »Hierher – sie ermorden meine Frau – den Korridor lang – suchen Sie durch die andere Tür einzubrechen!«

Graf Oginski war mit einem Sprung bei dem Polizeikommissar, der die Frau auf einen Sessel niedergeworfen hatte und jetzt neben ihr stand – blaß, ein Bild kaltblütiger, aber furchtbarer Entschlossenheit, die Läufe seines Revolvers gegen die Schläfe der halbohnmächtigen Dame gedrückt.

»Einen Schritt weiter, Herr Graf, und ich feuere!«

»Mensch – Mann! – wollen Sie ein Weib ermorden?«

»Ich will mein Leben retten! – Sie sind durch Verrat und die Feigheit des Herrn von Timowsky Herren der Situation. Ich habe hier nur meine Pflicht getan, aber ich will nicht sterben wie ein Hund von Rebellenhänden!«

»Was wollen Sie – hören Sie unsere Freunde? Sie sind gefangen – ergeben Sie sich!«

»Nicht ohne Sicherheit – oder bei Gott – diese stirbt zuvor mit mir!«

Der Rücken des Polizeidieners bog sich unter der Wucht der Anstürmenden!

»Sie sind ein Edelmann,« sagte der Kommissar. »Geben Sie mir mit Ihrem Ehrenwort – mir und diesen Leuten da – Sicherheit und Freiheit unserer Personen, und ich ergebe mich Ihnen und Sie retten das Leben dieser Dame!«

»Mein Ehrenwort!«

Der Kommissar warf den Revolver auf den Boden.

»Stehen Sie auf, Madame, Sie haben nichts mehr zu fürchten. – Luczek, lassen Sie die Tür frei und kommen Sie her zu mir.«

Der Polizeidiener sprang herbei – in dem Augenblick brach die Tür des Haupteinganges vom Flur her aus ihren Angeln; zugleich flog eine der Seitentüren auf – die Gouvernante stürzte herein, Männer hinter ihr – ebenso durch die Haupttür Gestalten mit geschwärztem Gesicht, – bluttriefende Waffen schwingend.

Man hörte die tiefe Stimme des Okuliarnik: »Tötet! tötet! nieder mit ihnen – reißt sie in Stücke!«

Er schwang einen Säbel, mit dem er eben das Haupt des zweiten Gendarmen gespalten, der tapfer den Eingang verteidigt hatte.

Der Graf hatte Zeit gehabt, den Kommissar in einen Winkel zu drängen – er warf sich mit ausgebreiteten Armen vor ihn. »Kapitän – Freunde – haltet ein! Kein Blut weiter!«

Der Polizeisergeant Luczek hatte die Mitte der Halle erreicht – an dem Tisch, an dem vorher der Kreishauptmann die kompromittierenden Schriften durchgesehen, erreichte ihn einer der Polen – einen Augenblick funkelte die schwere Axt, die er trug, in der Luft, dann fiel sie nieder und das Gehirn des Unglücklichen bespritzte die Tafel.

»Nieder mit allen – kein Erbarmen den russischen Schergen!«

Der Graf sprang ihnen entgegen. »Halten Sie ein, oder Sie ermorden mich selbst!«

In diesem Augenblick war der Kapitän Langiewicz in die Halle getreten, der bisher draußen Anordnungen zur Besetzung des Hauses und zur Verfolgung der geflüchteten Kosaken getroffen hatte.

»Halt! ich befehle es! – Subordination, Leute!«

Der Okuliarnik warf ihm einen bösen Blick zu. »Hier hat mir niemand zu befehlen! der dort steht, das ist der schlimmste Feind der polnischen Freiheit und hat schon vielen nach Sibirien geholfen.«

»Wer ist der Mann?«

»Der Polizeikommissar Drosdowicz!«

Der Name machte selbst auf den Kapitän Eindruck. Der Kommissar galt, wie schon erwähnt, als der gewandteste und gefährlichste Verfolger der revolutionären Propaganda in Warschau.

»Wir wollen ein Beispiel an dem Hund statuieren!« rief der Okuliarnik – »wir wollen ihn ins Feuer werfen, ihn und das Aas hier, daß es allen Verrätern polnischen Blutes zur Warnung dienen soll!«

Der Graf trat einen Schritt vor. »Hören Sie nicht auf diesen Mann,« sagte er französisch zu dem Kapitän – »es ist schon genug Blut vergossen, um uns alle zu gefährden!«

»Sprechen Sie polnisch, Herr,« sagte der Kapitän – »diese Leute müssen hören, was wir zu reden haben.«

»Es ist richtig! Nun denn Männer, ich habe mein Ehrenwort verpfändet, daß diesem Herrn, und wer von den Seinen sich noch hier befindet, Leben und Freiheit gesichert ist. Nur so konnte ich größeres Unglück verhüten. Leider hat die blinde Hitze schon mein Versprechen gebrochen!« Er wies auf den Erschlagenen.

»Und sie wird es ferner tun – was kümmert uns Ihr Ehrenwort,« brüllte der Okuliarnik – »das Volk hat zu entscheiden. Ergreift ihn!«

»Halt!« der Kapitän sprang vor den Gefangenen, auch Frau von Wolawska, die sich von ihrer Ohnmacht erholt, trat zu ihm. »Kein Blut mehr, – dieser Mann ist unser Feind, aber er hat sich doch nicht unfreundlich betragen,« – rief sie.

»Bringen Sie den Gefangenen in eines der Zimmer, Herr Graf,« sagte der Kapitän, »und stellen Sie eine zuverlässige Wache zu ihm, indes wir hier das weitere beraten. Schnell – wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Der Graf faßte den Kommissar am Arm. »Kommen Sie – ich werde selbst bei Ihnen bleiben.« Er führte ihn fort.

»Frau von Wolawska,« sagte der Kapitän – »wir haben keine Zeit zu vergeuden. Jeden Augenblick kann das Militär hier sein – wir haben bereits sein Feuern auf dem See gehört, Gott weiß, weshalb. Packen Sie mit Fräulein Henriette das Nötigste zusammen – Sie müssen mit uns in die Wälder flüchten, bis wir Sie über die Grenze bringen können.«

»Aber mein Mann?«

»Gott möge ihn schützen. Wir können im Augenblick nichts für ihn tun. Ich denke, wir behalten den Gefangenen als Geißel für ihn – wäre es der Kreishauptmann selbst, würde es freilich besser sein.«

»Wir haben nichts zu fürchten, wie Ihnen Henriette sagen kann, Herr Kapitän,« sprach die Edelfrau. »Wir dürfen dem Haß des Herrn von Timowsky Trotz bieten – er hat keine Beweise mehr in der Hand – es ist meiner braven Henriette gelungen, alle uns kompromittierenden Papiere wieder beiseite zu schaffen.«

»Das ist ein Glück – für die andern, für die Mitglieder der Liga – nicht für Sie! – Oder glauben Sie, daß dies den russischen Behörden nicht Beweis genug sein wird, um Sie alle aufs Schaffot zu bringen?« Er wies auf die blutige Stelle am Boden, von der man den Leichnam des erschlagenen Polizeidieners fortgenommen und zur Seite geschoben hatte.

Die Dame schauderte – gleich darauf aber sagte sie entschlossen: »Ich gehe nicht anders fort von hier, als zu meinem Mann!«

»Dann hast du nicht weit und wirst mit ihm gehen!«

Die Worte wurden von dem Eingang der Halle her gerufen, – sie drehte sich hastig um: »Heilige Jungfrau der Gnaden – Maxim, du selbst?«

Er war es wirklich, der Hausherr, der Gefangene, Entführte, in dessen Arme sich die heroische Gattin stürzte. Hinter ihm sah man die finstere Gestalt des Waldwärters Stenko.

Der Kapitän eilte, ihn zu begrüßen. »Das ist ein unerwartetes Glück! Wie ist es Ihnen gelungen, Freund, sich zu befreien?«

»Ein glücklicher Zufall und die Hilfe eines wackeren Mannes. Hier – Stenko – benachrichtigte mich von Ihrem Angriff auf das Bialowice – aber leider ist unser Feind entkommen – die unglücklichen Papiere!«

»Keine Sorge – sie sind gerettet!«

»Wie – Sie haben sie hier noch gefunden?«

»Sie waren schon vorher in meinen Händen! – Doch davon später – jetzt gilt es, uns zu salvieren. Das von Timowsky requirierte Militär kann jeden Augenblick hier sein – wir haben nicht einmal Zeit, Ihr Eigentum vor den Flammen zu retten!«

»Lassen Sie es brennen – lieber gönn' ich es dem Feuer als den Händen der Feinde. Aber die Gefahr ist nicht so nahe, als Sie fürchten – das Militär kann unter drei Viertelstunden nicht hier sein.«

»Woher meinen Sie das?«

»Weil wir ihren Rückzug vom See sahen – die Russen haben eine schlimme Lektion bekommen und hier steht der Mann, der sie ihnen gegeben hat. Während sie den Rückweg vom Eise suchten, flogen wir auf dem flüchtigen Eisen an ihnen vorbei, ohne daß ihre Kugeln uns trafen. Sie müssen jetzt auf dem Landweg um das ganze Ende des Sees marschieren und können Bialowice nicht eher erreichen, als ich gesagt habe.«

»Dann wollen wir mit allen Kräften versuchen, das Feuer zu löschen.«

Der polnische Edelmann machte eine abwehrende Bewegung: »Ich sagte ihnen bereits – lassen Sie! Unsers Bleibens ist hier nach meiner Flucht und Ihrem Angriff doch nicht mehr und jeder polnische Patriot muß an das Exil gewöhnt sein – in Sibirien oder Paris! Haben die Kosaken alle Pferde gestohlen? – meine treue Domcerka ist, wie ich von Stenko weiß, ein Opfer der Wölfe geworden – aber sie hat Sie wenigstens gerettet, Kapitän.«

Langiewicz drückte ihm die Hand.

Mateusz der Knecht meldete, daß die Ackerpferde noch in dem Hofe ständen.

»Dann rasch zwei Schlitten bespannt! Lodoiska, fasse dich und packe unsere wertvollste Habe zusammen, nur was wir und die Kinder vorläufig an Wäsche und Kleidern brauchen. Was ich an Wertpapieren besitze, ist zum Glück bei einem Bankier in Posen deponiert, und über die Grenze müssen wir, so rasch als möglich. Mathurin begleitet uns, sonst niemand – ich hoffe, meine andern Leute sind nicht gefährdet?«

»Ich glaube nicht!«

»Laßt sie das Vieh und was sonst von Wert fortschaffen nach den nächsten Dörfern. Dort mögen sie es bewahren – dann mag das Feuer das übrige tun. Legt rasch Hand an – in einer Viertelstunde müssen wir aufbrechen. Kapitän – begleiten Sie uns?«

»Ich folge morgen – ich muß diese Männer erst entlassen, die uns so wacker gedient, und habe Pflichten zu erfüllen. Ich gehe nach Littauen. Der einzelne ist weniger der Entdeckung ausgesetzt, als eine ganze Familie.«

»Ha – zu Traugut!« sagte der Okuliarnik – »ich begleite Sie, sobald wir den Schurken von Polizisten gehangen haben.«

Der Kapitän Langiewicz antwortete ihm nicht – es schien ihm wenig an der Begleitung gelegen; er beeilte sich, einige Befehle zu erteilen. Der Hausherr sammelte rasch, was wertvoll von seinem Eigentum – die Gouvernante hüllte die Kinder ein – die Mägde heulten und schluchzten – draußen prasselte die Flamme in roten Garben zum Himmel.

»Und du, Stenko, – was wird mit dir? Man wird Verdacht hegen gegen dich!«

»Ich geh' nach Warschau, Pan, wenn du erlaubst, – muß dahin, – eine Pflicht erfüllen, ehe der Tod kommt!«

Der Gutsherr drückte ihm einige Imperials in die Hand. »Geh mit Gott Alter – in bessern Zeiten sehen wir uns wieder!«

Und der russische Spion – der Polizist?« beharrte der Abgesandte des Warschauer Revolutionskomitees.

»Wo ist er?«

»Mit dem Aristokraten dort drinnen. Ich verlange seine Bestrafung, seinen Tod – im Namen der Revolution. Unsere Sicherheit hängt davon ab.«

Der Kapitän war eben zurück gekommen. »Wir müssen uns in der Tat leider mit ihm beschäftigen,« sagte er. »Er war Zeuge alles dessen, was hier geschehen. Ich weiß wirklich nicht, was mit ihm tun?«

»Sein Leben hat keinen Nutzen mehr, seit der Herr dort sich selbst ranzioniert hat. Er muß sterben!« rief der wilde Republikaner.

»Keinen Mord mehr, wenn wir es vermeiden können,« bestimmte der Gutsherr.

»Wir wollen den Grafen rufen.«

Erst jetzt erfuhr der Gutsherr den Namen des Mannes, der den Kreishauptmann von dem Ur gerettet hatte und zum Dank dafür mit ihm verhaftet worden war.

Der Graf Oginski wurde mit dem Gefangenen gerufen.

Zwischen den beiden hatte in dem Zimmer, in das der Graf den Kommissar geführt, eine Unterredung stattgefunden.

Der Kommissar hatte sich nach einiger Überlegung an seinen Wächter gewendet.

»Mein Herr – wer Sie auch sein mögen, ob der Graf Oginski oder …«

»Ich bin der Graf Oginski!«

»Gut – jedenfalls sind Sie ein Ehrenmann, eine Sache, die ich von dem Herrn, der Sie verhaftet hat, leider nicht sagen kann. Ich rechne Ihnen meinen Tod nicht zu, wenn ich trotz Ihres Beistandes sterben muß, aber ich bitte Sie, mir vorher noch eine Frage zu beantworten.«

»Zunächst Herr Drosdowicz, sollen Sie nicht sterben, ich habe Ihnen mein Ehrenwort verpfändet.«

»Sie sind einer gegen viele, und Sie haben gesehen, zu welcher fanatischen Wut diese Leute aufgestachelt sind. Aber – meine Frage!«

»Fragen Sie!«

»Sie behaupteten vorhin dem Kreishauptmann gegenüber, Sie wären nicht in Warschau gewesen, und dennoch möchte ich darauf schwören, Sie vor etwa drei bis vier Monaten dort gesehen zu haben.«

»Interessiert Sie dies so sehr?«

»Ja – ich gestehe es! ich glaube ein vortreffliches Gedächtnis für Physiognomien zu haben, Sie mögen es meinetwegen polizeilichen Scharfblick nennen, – aber es gehört zu meinem Amt, und es sollte mich verdrießen, wenn ich mich geirrt hätte.«

Der Graf hätte fast lachen müssen über den Mann, dem in diesem Augenblick, der sein Leben bedrohte, das Polizeigenie über die Gefahr ging.

»Sie haben sich in der Tat nicht geirrt ich war vor einiger Zeit in Warschau, aber ich erinnere mich nicht, da Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.«

»Und wann war dies, Herr Graf – so ungefähr?«

»Im Oktober des vergangenen Jahres.«

»Richtig – jetzt hab' ich's. Es war am Abend, an dem der Student Aßnik und die Marowska verhaftet wurden. Erinnern Sie sich eines betrunkenen Bauers, der in der Bernhardiner Straße an Sie antaumelte? Der Mantelkragen verschob sich – ich sah Sie nur einen Augenblick, Sie hatten eine Reisetasche unter dem Mantel – aber als vorhin der Lump von Kollegienrat Sie mir als den Kapitän Langiewicz vorstellte, wußte ich doch, daß ich Sie schon irgendwo gesehen haben mußte.« Der Kommissar rieb sich vergnügt die Hände über sein gutes Gedächtnis.

»Ich erinnere mich wirtlich der Sache nicht mehr. Aber von Fräulein v. Marowska habe ich gehört …«

»Und die Tasche,« unterbrach ihn der Beamte – »ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht auch die Tasche wieder erkannt hätte!«

»Ich bitte, wechseln wir nicht die Rollen, Herr Polizeikommissar,« sagte der Graf stolz – »wenn jemand einem Verhör unterliegen soll, so dürfte ich es nicht sein.«

Der Beamte veränderte sogleich den Ton und sagte mit Wärme: »Verzeihen Sie, Herr Graf – die Erinnerung an jene Entdeckung riß mich hin. Ich bin Ihnen, was auch noch geschehen möge, zu hohem Dank verpflichtet. Nehmen Sie daher den Rat, so rasch als möglich sich über die preußische Grenze in Sicherheit zu bringen und nehmen Sie Frau von Wolawska mit sich, denn die Dame ist, trotz ihrer nicht ungeschickten Ableugnung sehr kompromittiert durch die Papiere, die man bei ihr gefunden und die Herr von Timowsky mit sich genommen hat, – und nach dem, was hier geschehen, – dürften sehr ernste und ausgedehnte Maßregeln der Regierung erfolgen.«

Der Graf lächelte: »Wenn diese auf die hier saisierten Papiere sich gründen sollten, dürfte die Gefahr nicht groß sein! Indes Herr Drosdowicz, Ihr Rat ist gut und es wird besser sein, wenn Frau von Wolawska sich auf einige Zeit entfernt. Als redlicher Mann werden Sie übrigens bezeugen müssen, daß weder die Dame noch ihr unglücklicher Gemahl an den traurigen Taten in diesem Hause eine direkte Schuld tragen.«

»Ich fürchte, ich werde schwerlich dazu Gelegenheit haben! – Hören Sie – man kommt!«

Es war in der Tat der Kapitän, welcher die beiden zu holen kam.

Der Polizeikommissar trat hinter den Grafen in die Halle und befand sich dem Haufen seiner erbitterten Feinde gegenüber.

Wir wollen nicht sagen, daß sein Herz ruhig geschlagen und sein Gesicht die gewöhnliche Farbe bewahrt hätte, aber er hatte in den Höhlen des Verbrechens kaum geringeren Gefahren Trotz geboten im Gefühl seiner Amtspflicht, und auch diesmal zeigte er keine unmännliche Furcht. Mit Erstaunen sahen er und der Graf, daß Herr von Wolawski sich unter den Anwesenden befand, da ihnen die glückliche Flucht desselben bisher unbekannt gewesen war.

Der Kapitän übernahm das Wort. »Sie sind der Polizeikommissar Drosdowicz aus Warschau?«

»Der bin ich!«

»Einer der gefährlichsten Verfolger und Aufspürer der polnischen Patrioten! Sie befanden sich hier mit Herrn von Timowsky zu gleichem Zweck, um Unglück in eine ehrenwerte Familie zu bringen!«

»Ich war in meinem Amt und erfülle meine Pflicht gegen meinen Herrn, den Kaiser!«

»Es ist das Amt eines verfluchten Spions und Schergen!« schrie der Okuliarnik dazwischen.

»Still, Herr! – Kennen Sie mich?«

»Ich habe Sie nie gesehen, aber ich kann mir denken, wer Sie sind!«

»Und wer bin ich?«

»Der Kapitän Marian Langiewicz, ein Abgesandter des revolutionären Zentralkomitees in Paris,« sagte der Beamte kühn.

Der Graf machte eine Bewegung des Schreckens über diese unvorsichtige Offenherzigkeit – aber gerade ihre Kühnheit schien dem Soldaten zu imponieren.

»Sie zeigen wenigstens Mut bei Ihrem traurigen Amt,« erwiderte der Kapitän. »Ich mache mir nichts daraus, ob Sie mich kennen oder nicht; ja wohl, ich bin Marian Langiewicz. Aber kennen Sie auch diese Männer?«

Der Kommissar ließ seinen Blick über den Haufen der Polen schweifen. »Außer dem Herrn Grafen von Oginski und Herrn von Wolawski, den ich allerdings nicht hier wieder zu sehen glaubte, habe ich nicht die Ehre – die Herren haben ja dafür gesorgt, sich unkenntlich zu machen!«

In der Tat wäre es schwer gewesen, in der absichtlich vorgenommenen Entstellung dieser Gesichter durch Pulver, Schmutz und Rauch ein Gesicht wieder zu erkennen.

»Geben Sie Ihr Wort, daß Sie niemand kennen?«

»Das Wort eines Mouchards, eines Tyrannenschergen! Wollen wir einem Henkersknecht trauen?«

Der Kommissar wandte sich rasch zu dem Sprecher, dem Okuliarnik.

»Hüten Sie sich, mein Herr – ich kenne Sie zwar nicht, aber ich habe nicht bloß Augen, sondern auch ein scharfes Ohr.«

»Ich bürge für den Mann mit meiner Ehre!« rief Graf Oginski. »Ich habe mit meinem Ehrenwort ihm Leben und Freiheit garantiert, wollen Sie mich ehrlos machen, Kameraden?«

»Was kümmert das uns – er ist ein Feind – er muß sterben!!« Der Okuliarnik erhob ein Pistol gegen den Gefangenen.

Wiederum deckte ihn der ritterliche junge Pole mit dem eigenen Leib. »Sie tun am besten, mich vorher niederzuschießen. Denn wenn Sie diesen Mann töten, werde ich sofort mich der russischen Regierung stellen!«

»Was hat das Volk auch anders von den Aristokraten zu erwarten, als Verrat!«

»Ein Schuft, der das sagt!«

Ein Krachen draußen unterbrach den Streit – das Scheunengebäude stürzte zusammen – die Funkengarben flogen hoch auf in die Nacht – Frau von Wolawska stürzte in die Halle und eilte zu ihrem Gatten.

»Um der heiligen Jungfrau willen – fort! fort! – Das Haus brennt! Die Flamme vom Stall hat gezündet!«

Einer der preußischen Polen kam eilig herein. »Pan Kapitän – man hört in der Richtung vom See her Signale blasen.«

»Sind die Schlitten bereit?«

»Sie stehen auf der andern Seite des Hofes!«

»Hinaus denn – fort! Alle! – wir haben keine Zeit zu verlieren! – Gehorchen Sie, Herr – hier befehle ich!« Die letzten Worte des Kapitäns galten dem Okuliarnik, – »treib sie hinaus, Woyczek!«

Der an Gehorsam gegen seinen Offizier gewöhnte frühere Unteroffizier faßte den Agenten des Warschauer Komitees und drängte ihn trotz seiner Flüche und seines Widerstandes aus der Halle. Einen Augenblick noch blieb der Kapitän zurück.

»Auf Ihre Gefahr, Graf Oginski – tun Sie, was Sie für Recht halten! – Aber schnell – wir können nicht auf Sie warten!« Der Graf hielt ihn noch einen Augenblick fest. »Senden Sie die Familie zu meinem Oheim jenseits der Grenze,« flüsterte er ihm zu. »Dort findet sie vorläufigen Schutz!«

Der Kapitän eilte hinaus – gleich darauf hörte man den ersten Schlitten abfahren.

Der Graf trat zu dem Kommissar. »Mehr kann ich nicht tun für Sie – doch ich glaube nicht, daß Sie von den Leuten, die zurück bleiben, etwas zu fürchten haben. Handeln Sie menschlich, wenn Ihnen einer der unseren in die Hände fällt!«

Der Kommissar hielt ihn zurück. »Soweit es sich mit meiner Amtspflicht verträgt – gewiß! Aber Ihnen Herr Graf – Sie sind ein Ehrenmann, ich danke Ihnen mein Leben – kann ich Ihnen je einen Dienst erweisen, so rechnen Sie auf mich!«

Der junge Edelmann war bereits an der Tür – es schien ein Gedanke ihm durch den Kopf zu fliegen, er wandte sich rasch um – und faßte den Arm des Beamten.

»Sie könnten es, Herr – ich müßte nach Warschau es gilt eine Ehrenpflicht! – eine Dame …«

»Sie rennen dem Wolf in den Rachen! – Aber – doch – ich weiß, daß Sie Ihr Wort halten – wollen Sie es mir geben, innerhalb dreier Monate sich an keiner Agitation gegen die Regierung zu beteiligen?«

»Mein Wort darauf!«

Der Beamte sprang an den Tisch und nahm aus seiner Brieftasche eine gedruckte Karte, auf die er einige Worte schrieb, während man bereits das Feuer über der Decke knistern und krachen hörte.

»Hier – nehmen Sie! wenn Sie in Gefahr kommen, zeigen Sie dies – und es wird Sie niemand belästigen. Gott mit Ihnen, Herr – und lassen Sie sich nicht von falschen Freunden verleiten – die Freiheit Polens ist ein Wahnsinn! – Ich sorge schon für mich selbst.«

Der junge Edelmann eilte hinaus. Wie zum Hohn klang draußen durch die Nacht das Knistern der Flammen, das Brüllen des Viehes, das die Knechte des zerstörten Gutshofs davon schleppten, ein lautes: Zgie Polska! – dann waren sie alle, draußen im Dunkel verschwunden, zerstreut, die Männer, die das erste Blut vergossen in dem furchtbaren Kampf, der bald noch einmal das unglückliche Land zerfleischen sollte für den törichten und doch so edlen Gedanken der polnischen Freiheit.

Zehn Minuten später empfing am Tor des vollständig in Flammen stehenden Gehöftes der Polizeikommissar Drosdowicz das Infanteriedetachement.



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