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»Wüstenkönig ist der Löwe!«

Am Nachmittag gegen 4 Uhr waren die sämtlichen Boote des Veloce ausgesetzt und bemannt, die Matrosen im besten Staat und bewaffnet, die Offiziere in großer Uniform, die Passagiere mit ihren Effekten, die sie für einen längern Aufenthalt am Strande brauchen würden. Kapitän Lacombe hatte seinerseits schon am Mittag die Boote der Imperatrice gesandt, um die Überführung des Gepäcks der Reisenden nach der Brigg zu beginnen, damit diese nach Beendigung ihrer Ausbesserung keine Verzögerung erleiden möge, die Fahrt nach Suez anzutreten.

Der Berliner Professor hatte einen harten Kampf gekämpft, ob er seine angebliche Verlobte und seinen kostbaren Mammutschädel an Bord der Imperatrice begleiten, oder ob er mit Lord Frederic den abenteuerlichen Zug durch die Wüste antreten solle. Der Umstand, daß die beiden amerikanischen Jäger den Lord begleiten sollten, und die Erinnerung an die Erscheinung, die er am Fenster der Deckkajüte gehabt, trugen nicht wenig dazu bei, ihn für die Landreise zu bestimmen, namentlich da Kapitän Boulbon, der am meisten Nachsicht zeigte mit den Schwächen des kleinen Mannes, ihm mit Handschlag und Wort verbürgte, daß er alle seine so sorgsam gesammelten Schätze in Alexandrien bei dem französischen oder preußischen Konsulat unversehrt wieder finden solle.

So siegte denn die Anhänglichkeit an seinen jungen Schüler und Freund und der Eifer für die Wissenschaft über die halb eingebildeten, halb ernsten Gefühle des alten Junggesellen für seine schöne Pflegebefohlene, und er ließ sich von ihr willig bereden, daß sie seines persönlichen Schutzes unter der Obhut Kapitän Boulbons und ihres Vetters entbehren könne und um keinen Preis die Welt der wichtigen Entdeckungen berauben dürfe, die er auf dieser Reise unzweifelhaft machen werde.

Eine volle Salve des Veloce, die den Abessyniern und Samharen den nötigen Respekt vor dem Kriegsdampfer einprägen sollte, begleitete die Abfahrt der Boote, die mit der französischen Nationalflagge geschmückt dem Strande zuruderten, auf dessen Höhe man eine Anzahl Zelte aufgeschlagen sah. Auch in der Stadt selbst schien bereits die Ruhe und Sicherheit wieder hergestellt und der nicht geflüchtete Teil der Bewohner hatte sich auf den Lehmmauern versammelt, um der Ankunft der Fremden beizuwohnen.

Als das erste Boot, in dem sich Kapitän Ducasse mit der Fürstin, Leutnant von Thérouvigne, dem Indier und den beiden Jesuiten befand, den Strand berührte, empfing sie dort der Abgesandte des Negus, von einer großen Schar von Becken- und Trommelschlägern und wild aussehenden Kriegern umringt, mit alten Steinschloß- und Luntenflinten oder Speeren und Schilden bewaffnet.

Es wird einer kleinen historischen Einschaltung bedürfen, um dem Leser die damaligen Verhältnisse jener ihm sonst so fern stehenden und unbekannten Gegenden zurückzurufen.

Das axumitische Reich umfaßte zur Zeit Christi die beiden Küsten des roten Meeres bis zur Wüste von Jemen und Darfur, und setzte im Süden dem Vordringen der Römer einen unbezwingbaren Damm; – jetzt liegt seine Hauptstadt längst in Trümmern, und aus seinem allmählichen Verfall in den Kämpfen gegen die Araber ist das abessynische Reich hervorgegangen: Tigre, Gondar-Schoa und die kleineren Negerstaaten.

Aber obschon, ein Teil des Judentums nach der Zerstörung Jerusalems durch Titus sich hierher flüchtete und später der Koran des großen Propheten von Mekka seine sinnbetäubenden Lehren über die geringe Scheidewand des roten Meeres hierher warf, – war gerade dies Land eine der ersten festen Stätten des Christentums, weit eher als das mittlere Europa sich seinen Lehren öffnete. Schon ums Jahr 333 unter dem König Aizanes kamen von Ägypten her die Apostel der neuen Lehre Frumentius und Adesius, und gründeten die ersten christlichen Kirchen, die – trotz des später sich ausdehnenden Islams – noch heute über ganz Abessynien verbreitet sind.

Die unternehmenden Seefahrten der Portugiesen an den Ostküsten Afrikas stellten im 15. Jahrhundert die schon aus den Zeiten der Kreuzzüge stammende Verbindung Abessyniens mit Europa her und Rom bekehrte sogar durch die Jesuiten die Königsfamilie im Jahre 1603 zum Katholizismus, der freilich nur kurze Zeit die Herrschaft über die alte Landeskirche bewahrte, die mit ihren eigentümlichen, zum Teil selbst dem Islam entnommenen Sitten und Gebräuchen unter einem weltlichen und geistlichen Herrscher, dem Negus und dem Abuna steht.

Die katholischen und protestantischen Missionare machten sich seitdem Konkurrenz und erwarben wechselnden Einfluß. Die Wichtigkeit des Landes für den Handel nach dem inneren Afrika erkennend sandte England seine politischen Trapper, die Missionare ab, wurde aber bald wieder von dem größeren Geschick der französischen Agenten verdrängt, bis es der Mission des Major Harris im Jahre 1840 gelang, wenigstens in Schoa diesen Einfluß wieder herzustellen.

Wir haben bereits aus den Szenen an Bord des Dampfers Veloce ersehen, wie klug die französische Regierung es verstanden hatte, in Verbindung mit dem Bau des Kanals von Suez eine weitere Station auf dem Wege nach Indien durch den Kauf der Bai von Adulis, dem Stapelplatz des alten axumitischen Handels nach Arabien und Indien, zu gewinnen. Um das Eigentums- und Verkaufsrecht stritten sich, wie bereits erwähnt ist, der Naib des nördlichen Samhara, der Ras von Tigre und der Negus von Abessynien. Bei dem letzteren war augenblicklich der englische Einfluß überwiegend, während der Ras oder Unterkönig von Tigre auf Seite der Franzosen stand. – –

Die Menge, welche die Boote am Ufer empfing, bot ein überaus buntes Bild, denn fast alle die verschiedenen Stämme des östlichen Afrikas und Arabiens waren hier vertreten. Moslems und Christen – letztere durch das blaue Band um den Hals kennbar, – Fetischanbeter und Ismaeliten – Männer, Frauen und Kinder ein bunter lärmender schreiender Haufen, über dem die langen Hälse der Kamele hervorragten, umgaben alsbald die Landenden, in zehn verschiedenen Sprachen ihre Dienste anbietend. Nur mit Mühe vermochte eine Anzahl von Soldaten des Negus durch die schonungslose Anwendung der langen überaus zähen Peitschen aus der Haut des Nilpferdes den Franzosen und ihren Gästen Raum zu schaffen.

Lord Walpole, der mit Graf Boulbon, dem Professor und den beiden Amerikanern in dem zweiten Boot ans Land kam, sah sich vergeblich nach seinem Bekannten, dem englischen Missionar um, dieser ließ sich nicht blicken; als er jedoch noch unschlüssig stand, ob er sich der Gesellschaft der Franzosen anschließen sollte, näherte sich ihm ein Mann von schmalen scharfen Zügen, mit klugen Augen und langem Bart, in einen dunklen Kaftan gekleidet, der ihn, sich fast bis zur Erde vor ihm verbeugend, in ziemlich gutem Englisch fragte, ob er der fremde Herr sei, der Kamele und Pferde zu kaufen beabsichtige zu einer Reise an den Nil?

Der Lord bejahte und der Fremde zog einen Brief aus den Falten seiner hohen Mütze und übergab ihm denselben.

Das Schreiben war in der Tat an ihn gerichtet und von Sr. Ehrwürden dem Missionar Cameron. Er schrieb ihm mit kurzen Worten, daß ein heftiger Streit zwischen Herrn Munzinger und dem König Theodor stattgefunden und daß der erstere sich mit ihm in die Stadt Arkiko begeben habe, wohin er wohltun werde, ihnen zu folgen, da es leicht zu blutigen Auftritten zwischen der englischen und französischen Partei kommen könne. Der Überbringer des Briefes sei einer der jüdischen Falaschas und ein vertrauter und kundiger Mann der ihm zu seinem Unternehmen am besten behilflich sein könne. – Der Engländer entschloß sich rasch, dem Rat des Missionars zu folgen und sofort seinen Landsleuten sich anzuschließen, und der Falascha, der sich Hassan ben David nannte, hatte schnell einige der kleinen Esel besorgt, die in Ägypten zum Transport von Menschen und Gepäck dienen und jetzt den Engländer mit seinen Begleitern zu der etwa eine halbe Stunde entfernten Stadt brachten, wobei jedoch der Kanadier Ralph nebenher ging, da keines der Tiere groß und stark genug war, ihn zu tragen.

In der großen Karawanserei von Arkiko, dessen Bewohner trotz der rasch verbreiteten friedlicheren Nachrichten noch immer in teilweiser Besorgnis schwebten vor einem Angriff der wilden Soldaten des Negus, fand Lord Walpole den englischen Agenten Munzinger, den Missionar Cameron und einige andere Engländer mit den Vorbereitungen beschäftigt, sich nach der gegenüberliegenden Insel Massauah einzuschiffen, auf der sie gegen eine befürchtete Tücke des Negus Schutz suchen wollten, bis ein englisches Schiff angekommen sei, das nach ihrer Meinung den König bald wieder zur Vernunft bringen und den englischen Einfluß in seiner Umgebung herstellen sollte. Aus den Mitteilungen Munzingers ging hervor, daß bereits in den letzten Tagen durch die Intrigen des französischen Konsuls und der Jesuitenpriester – mehr aber wahrscheinlich noch durch das anmaßende Auftreten der Engländer selbst, die ihm wahrscheinlich auch die gemachten Versprechungen nicht gehalten hatten – die Stimmung des Negus sich sehr geändert hatte, und als in der Nacht das französische Kriegsschiff eingetroffen, war alles, was die britischen Missionare erreichen konnten, daß einer der Ihren zur Begleitung der Abgesandten an Bord gewählt wurde.

Wir haben gesehen, wie der Zweck dieser Begleitung vereitelt wurde. Nach der Rückkehr Reverend Camerons mit dem von der Gegenpartei gewonnenen Abgesandten und nach einer geheimen Unterredung desselben mit dem Negus hatte ein heftiger Streit Munzingers mit diesem stattgefunden. Der König Theodor beschuldigte die Engländer, daß sie ihn getäuscht hätten und gegen sein Interesse intrigierten. Er drohte, sie alle aus dem Lande zu treiben oder gefangen zu setzen, erklärte, daß ihre bisherigen Privilegien keine Gültigkeit mehr haben sollten, und daß alle Fremden mit gleichen Rechten im Lande Handel und Wandel treiben und sich niederlassen könnten, wenn sie nur dem Negus das Schutzgeld bezahlten.

So verständig und billig nun eigentlich auch diese Entschließungen waren, so wenig paßten sie dem anmaßenden Engländer, und es kam zu einer so schlimmen Szene, daß es schließlich die Missionare für das beste hielten, vorläufig das Feld zu räumen und ihre Personen in Sicherheit zu bringen. Herr Munzinger wollte noch am selben Abend eine arabische Praua mit einem Bericht an den Gouverneur von Aden abschicken und hätte aus seiner Niederlage am liebsten gleich eine englische Kriegserklärung gegen Frankreich gemacht. Er bot alles auf, den Lord zu bewegen, mit ihnen nach Massauah zu gehen, aber Walpole erklärte ihm, daß er sich um politische Angelegenheiten nicht kümmere, daß er gerade, um diesen zu entgehen, seine Reisegesellschaft verlassen habe, und zeigte sich entschlossen zu seinem Unternehmen, daß Herr Munzinger endlich, um sich einem Pair des Reichs möglichst gefällig zu beweisen, daran ging, mit Rat und Tat ihm Beistand zu leisten. Er fertigte sogleich die nötigen Papiere und Requisitionen aus, die ihm auf ägyptischem Gebiet nützlich sein konnten, machte ihn mit zweien der angesehensten muhamedanischen Kaufleute bekannt und gab ihm einen Empfehlungsbrief an einen solchen in Chartum. Dann ließ er den Kadi der Stadt rufen und ersuchte ihn, dafür zu sorgen, daß der Lord bei den Einkäufen für die Reise nicht allzusehr übervorteilt würde und zu seinem Gefolge zuverlässige und des Landes kundige Personen engagieren könne.

Es war eine Stunde nach Sonnenuntergang, als alle diese Geschäfte beendigt waren und die Missionare sich nach Massauah einschifften, das sie in Zeit von einer Stunde erreichen konnten.

Lord Walpole befand sich jetzt in dem traurigen arabischen Nest mit seinen beiden Gefährten allein und hatte nunmehr Muße, sich nach seinen Reisegefährten wieder umzusehen, von denen er nur wußte, daß sie nach dem Lager des Negus gezogen waren und ihre Zelte auf dem Hochplateau zwischen dem Lager und dem Strande aufgeschlagen hatten. Jedenfalls wollte er ihnen Nachricht geben über sein Verbleiben und den Professor über sein Verschwinden beruhigen. Indem er seine beiden amerikanischen Begleiter aufforderte, zur Überwachung des Gepäcks zurück zu bleiben, warf er seine Flinte über die Schulter und befahl dem Faluscha, ihn zu begleiten und zu dem Lager der Fremden zu führen. Die Wachen des Naif am Tor wagten nicht, den Engländer aufzuhalten, dessen Freigebigkeit und Großmut bei den Einkäufen am Nachmittag bereits überall bekannt geworden war, und so schritt er, von seinem Begleiter gefolgt, ungehindert hinaus in die tropische Nacht, deren Myriaden Sterne mit wunderbarem Glanz über ihm funkelten.

Auf der mächtigen Terrasse der Berge glühten wie in der Nacht vorher die Feuer der wilden Krieger des Gebirges und über die glitzernden Wellen der Bucht und des weiten Meeres warf der aufsteigende Mond seine weißen Strahlen, in denen die schwarzen Masten der ankernden Schiffe wankten.

Die Stadt Arkiko liegt in der Abdachung des Strandes, da ihr Haupterwerb der Handel aus dem Binnenland nach der Weltstraße des roten Meeres ist. Der Lord stieg, ohne den Faluscha zu fragen, sich auf seinen eigenen Ortssinn verlassend, an dem Terraingelände zur Höhe des Plateaus und schritt gegen die Feuer zu, die das Lager der äthiopischen Krieger kennzeichneten.

Eine Strecke unterhalb derselben sah man ein anderes großes Feuer, um welches einige Zelte und mehrere leichte Hütten aufgeschlagen waren. Gestalten bewegten sich um das Feuer, ohne daß man erkennen konnte, ob es Europäer waren. Der Lord rief den Faluscha an seine Seite.

»Geh' zu jenem Feuer,« befahl er, »und überzeuge dich, ob dort die Männer vom Schiffe lagern. Ist dies der Fall, so übergieb diese Karte dem kleinen Mann mit der Brille, den du im ersten Boot hast landen sehen. Ich werde deiner an jenem Gemäuer dort warten.« Er wies auf die Trümmer einer alten Kirche, deren dunkle Umrisse man im Schein des Mondes leicht erkennen konnte. Wahrscheinlich war es eine der Kirchen aus den ersten Jahrhunderten der Einführung des Christentums, die später bei dem Vordringen des Islam von den fanatischen Bekennern dieser Lehre zerstört worden war.

Der Faluscha kreuzte die Hände auf der Brust. »Hamed ben David,« sagte er in seinem gebrochenen Englisch, »ist der Sklave deines Willens – aber Herr, es ist übel sein in jenem Gemäuer – die Hyäne hält dort ihr Nest, und die Geister der von den Moslems Erschlagenen wandeln da in dem Schatten der Nacht. Christ und Muselmann scheut die Stätte. Mein Gebieter wird besser tun, mich zu begleiten.«

»Torheit,« meinte der Lord – »die Hyäne wagt sich nicht leicht an einen Mann, und deine Geister fürchte ich nicht. Geh und beeile dich – ich habe mit meinem Freunde zu sprechen, ehe er sich zum Schlaf niederlegt.«

Der Faluscha warf einen scheuen Blick nach den Trümmern, wagte aber nicht weiter zu widersprechen und eilte davon.

Lord Frederik blieb einige Minuten stehen, um das Schauspiel des aufsteigenden Mondes und seiner Spiegelung in der weiten ruhigen Fläche des Meeres zu genießen. Die aufregende Tätigkeit des Nachmittags hatte ihn wenig zum Nachdenken kommen lassen und nur seinen Entschluß bestärkt, die Gesellschaft der Franzosen rasch zu verlassen und möglichst zu vermeiden, um nicht als ein Beobachter ihrer politischen Mission zu erscheinen. Er wünschte sich deswegen noch am Abend mit dem Professor zu besprechen. Das Verhältnis, in das Leutnant Thérouvigne sich zu ihm gestellt hatte, legte ihm außerdem diese Zurückhaltung auf, die freilich nicht so weit gehen durfte, kalt und unhöflich gegen die bisherigen Freunde zu erscheinen. Eine persönliche Gefahr, selbst wenn Lord Frederik auf eine solche geachtet hätte, konnte für ihn in dem nächtlichen Gange nicht liegen, da der Abend noch nicht so weit vorgeschritten und das Lager der Abessynier weit höher an den Bergen hinauf gelegen war. Von dort herüber tönte nur entfernt und undeutlich das Lärmen der schwarzen Krieger.

Ein eigentümliches Winseln und Grunzen erweckte den Engländer aus seinen Gedanken. Mit dem Instinkt des geübten Jägers ließ er die Flinte von seiner Schulter gleiten und sah um sich – aber nichts bewegte sich auf der weißen Sand- und Steinfläche um ihn her. Erst bei schärferein Hinschauen erkannte er zwei schwarze Punkte, die langsam über den Sand sich bewegten; von dieser Richtung her kam auch der Ton und er begriff sogleich, daß es ein paar Hyänen sein müßten, jene feigen und gefräßigen Raubtiere, die in der Nähe von Lagerplätzen und bewohnten Orten umherzustreifen pflegen gleich den Schakals, um irgendeinen Gegenstand des Fraßes zu rauben.

Der Engländer ließ den Lauf seiner Flinte in die linke Hand fallen, um sich fertig zum Schuß zu machen, als er bedachte, daß er dadurch leicht unnötiges Lärmen und einen Irrtum der ausgestellten Wachen hervorrufen könne. Überdies machte ihn das Benehmen der feigen und grausamen Tiere stutzen.

Die Bestien waren außer Schußweite von ihm und anscheinend ohne ihn zu bemerken, da der Wind vor ihnen her strich, in der Richtung des Gemäuers fortgetrottet, das der Lord zu dem Rendezvous bestimmt hatte, als sie plötzlich in der Nähe der Ruinen stehen blieben, ein lautes klägliches Geheul ausstießen und dann rasch Kehrt machten und davon liefen. Zugleich kam es dem Lord vor, als hätte er, jedoch nur für wenige Augenblicke, ein intensives grünes Licht in den Ruinen aufstrahlen sehen.

Der Vorgang fesselte seine Neugier, und um sich zu überzeugen, ob er recht gesehen, ging er jetzt rascher, aber doch mit der von der fremden Umgebung gebotenen Vorsicht auf die Ruinen zu.

Wir haben zunächst zu der Gesellschaft vom Veloce zurückzukehren, von der Lord Walpole sich bald nach ihrer Landung getrennt hatte.

Eine wilde Musik von Zimbeln, Becken, Pfeifen und Trommeln begrüßte sie, und der Abgesandte des Negus, der am Morgen an Bord des Schiffes gekommen war, empfing sie mit mehreren andern ziemlich ähnlich kostümierten Offizieren des König Theodor, während weiter hinauf am Strande mehrere Sklaven prächtig geschirrte Pferde, Esel und Reitkamele hielten.

El Maresch näherte sich mit einer orientalischen Verneigung dem Kapitän Ducasse und seinen Begleitern, und hielt eine Anrede an den Kapitän und die Offiziere, bei der er sich jedoch mehr, als verstehe sich dies von selbst, an den französischen Kaufmann wandte, der mit dem Konsul Laya hinter dem Kapitän stand.

»Was sagt der schwarze Kerl?« fragte der Kapitän.

»Er überbringt Ihnen die Einladung des Königs Theodor,« berichtete der Konsul, der einigermaßen das Amhara verstand, »ihn mit Ihren Begleitern in seinem Lager zu besuchen. Der Negus freut sich, die Gesandten des großen Sultan von Frangistan zu empfangen und ist bereit, den Vertrag mit ihnen zu schließen. Ich denke, Kapitän, wir können uns nichts Besseres wünschen und müssen eilen, ihn in dieser guten Stimmung zu benutzen – denn – er ist nicht immer in solcher!«

»Wieso?«

»Sie mögen selbst sehen. Es ist eine riesenhafte Natur und von merkwürdigen Geistesanlagen. Aber das Danaërgeschenk der englischen Politik ist sein Verderben.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Erinnern Sie sich nicht, durch welche Mittel diese schmachvollste Politik Europas den Sohn des Kaisers in Schönbrunn vergiftet hat?«

»Die Weiber, sagt man!«

»Es gibt der Wege mancherlei – hier ist es der Rum! – Doch Sie mögen selbst sehen: welche Antwort darf ich dem Abgesandten geben?«

»Versteht sich, wir nehmen an. Sollen uns die Mariniers begleiten?«

»Je mehr, je besser! Der Negus hat allein Achtung vor kriegerischem Gepränge. Aber es ist meine Pflicht, Sie alle darauf aufmerksam zu machen, daß Sie in die Höhle des Löwen gehen und irgend ein Zufall seine ganze dämonische Natur zum Ausbruch bringen kann. Man erzählt schauderhafte Dinge von seinen Wutausbrüchen.«

»Es ist unsere Pflicht, wir müssen es darauf ankommen lassen,« erklärte nach einigem Besinnen der Kapitän. »Aber diese ehrwürdigen Herren und Sie, Fürstin, sind durch nichts dazu verpflichtet, uns zu begleiten. Ich sehe dort oben einen geeigneten Platz, der noch unter den Kanonen des Veloce liegt und in passender Entfernung von dem Lager des Negus. Dort werde ich unsere Zelte aufschlagen lassen.«

»In dem Dienst der heiligen Kirche,« sagte der Superior, »gibt es keine Menschenfurcht. Die heilige Jungfrau wird unser bester Schutz sein. Ich und dieser Diener des Herrn werden Sie begleiten. Pater Cyprianus redet die Sprache des Volkes.«

»Wenn Sie mir gestatten, Monsieur le Capitain,« erklärte die Fürstin, »möchte ich wohl diesen Löwen in der Nähe sehen. Nach der Probe, die wir hier vor Augen haben, dürfte es nicht uninteressant sein. Da Mylord Walpole und mein gelehrter Anbeter hier schon mit den Eisbären im Norden zu tun gehabt haben, werden sie sicher keinen Anstand nehmen, auch die Bekanntschaft der Ungeheuer der tropischen Zone zu machen. Aber mein Himmel, ich sehe Mylord Walpole nicht – wo in aller Welt kann er geblieben sein?«

Einige Nachfragen ergaben, daß der Lord sich gleich nach der Landung von der Gesellschaft getrennt und den Weg nach der Stadt genommen hatte, um dort die englischen Missionare aufzusuchen.

»John Bull ist doch klüger, als ich gedacht,« meinte spöttisch Thérouvigne, – »er weiß, was sich schickt und ist seiner Wege gegangen.«

»Doch Ihnen gewiß nicht aus dem Wege, mein schöner Cousin?« sagte scharf die Fürstin.

Der junge Offizier wollte eine Bemerkung machen, unterdrückte sie aber unter dem ernsten Blick seines Freundes.

Der Professor hatte der Unterredung mit großer Aufmerksamkeit zugehört und viele Unruhe gezeigt, weniger um seinen jungen Gefährten, dessen selbständigen Charakter er zur Genüge kannte, als über die Andeutungen in betreff des Negus. Er trippelte von einem Fuß auf den andern, nahm verschiedene Prisen und sagte endlich: »Sollte der geehrte Beherrscher dieses merkwürdigen Landes nicht vielleicht geneigt sein, einem freilich noch unberühmten Forscher auf den Gebieten der Natur und Geschichte einen Einblick in die unzweifelhaft aufbewahrten Archive zu gewähren, die freilich wohl in der mir zurzeit noch nicht geläufigen Lesana Geez Die alte äthiopische Schriftsprache. geschrieben sind, doch habe ich eifrig den seit dem Propheten Mohamed, fälschlich Mahomed geschrieben, verdrängten himjaritischen Dialekt studiert, dessen Schriftzeichen mit der Lesana Geez eine unverkennbare Gleichheit haben sollen, und so wäre es immerhin möglich, mit Hilfe des Synaxar und vornehmlich des Keber za Negeste, jener traditionellen Geschichte des einst so mächtigen Reiches Axum, so wie des nicht minder hochwichtigen Tarek Negushti, der Chronik der Könige, etwas näheres über die fünfundzwanzigste Dynastie der Ägypter, gegründet von Schewek oder Sabakon, zu erfahren, oder wenigstens über jenen unerforschten und doch so wichtigen Priester oder König Johannes …«

Kapitän Ducasse hatte unterdes die für nötig erachteten Befehle erteilt. Er schickte einen seiner Kadetten zu seinem an Bord gebliebenen ersten Leutnant mit neuen Instruktionen zurück, die dahin gingen, den Veloce so nahe als möglich ans Land zu legen und den Platz, an dem das Lager aufgeschlagen werden sollte, unter seiner Breitseite zu halten, sowie alle entbehrlichen Mannschaften zu bewaffnen und bei den geringsten Zeichen von Feindseligkeiten zur Unterstützung zu senden. Dann ließ er vor den Augen der Äthiopier die Eskorte von Marinesoldaten die Gewehre scharf laden und die Matrosen ihre Waffen in Ordnung bringen. Ein Teil derselben mit einigen Schildwachen sollte auf dem gewählten Terrain zurückbleiben, um dort die Zelte aufzuschlagen. Als diese Vorsichtsmaßregeln getroffen waren, wandte er sich wieder zur Gesellschaft und unterbrach den Professor in seinen gelehrten Spekulationen.

»Wenn Sie mit wollen, Monsieur, so kommen Sie; nur muß ich Sie bitten, in unsere Unterhandlungen mit dem Negus nicht ihren gelehrten Schnickschnack einzumischen. Ich fürchte, daß alle toten Könige von Axum oder sonst einem alten Trümmernest Seiner Majestät dem Kaiser der Franzosen nicht einen Fußbreit Landes verschaffen können, wenn es nicht einige Dutzend alter zurückgesetzter Musketen tun werden.«

Der Konsul Laya lachte. »Sie haben recht, Kapitän, das Beste müssen die Geschenke machen, welche Lacombe auf der Imperatrice mitgebracht hat, und deren Rest wir eben dem Negus anbieten wollen, nachdem der Prinz oder König Kassa und der alte Schurke von Naib dort drüben in Arkiko bereits den besten Teil geschluckt haben.«

»Deshalb,« bemerkte der Kapitän, »glaube ich im Sinne meiner Vollmacht gehandelt zu haben, indem ich die Zahl dieser Geschenke aus unserer Beute in China etwas ergänzt habe. Und nun vorwärts, meine Herren, sonst dürften unsere schwarzen Wirte doch etwas ungeduldig werden.«

Auf ein Zeichen des Kronoffiziers führten die schwarzen Diener die Pferde und Esel herbei, die von den französischen Offizieren, den Geistlichen und der Fürstin bestiegen wurden. Auch der Professor wurde trotz einigen Sträubens seitlings auf einen der Esel gesetzt, den ein Knabe gegen alle Bitten des Gelehrten von hinten stachelte, und so setzte sich der Zug endlich in Bewegung, das terrassenartige Gelände empor, voran die äthiopischen Musiker, die einen Höllenlärm vollführten, hinter ihnen die Offiziere des Negus und die französischen Gesandten, umgeben von den Soldaten und Matrosen. Eine Menge Volks und schwarzer Krieger beschlossen den Zug.

Sie mochten etwa eine halbe Stunde aufwärts gestiegen sein, als sie auf dem Plateau anlangten, auf dessen Höhe eine alte christliche Kirche stand, deren weithinragendes Kreuz die Reisenden schon am Morgen gesehen hatten, vom Bord des Veloce. Hier hatte der Negus Negassi sein Lager aufgeschlagen. Eine große Menge von braunen und schwarzen Kriegern war hier versammelt und in zwei Reihen aufgestellt. Die meisten von ihnen waren zwar noch mit Speer und Schild bewaffnet, die vordern Glieder trugen jedoch Flinten mit Steinschlössern, denen man von weitem ansah, daß die englische Regierung sie schon vor Jahrzehnten ausrangiert hatte.

Vor der Tür der Kirche hatte der Negus sein Zelt aufschlagen lassen, um hier mit möglichstem Gepränge die Franzosen zu erwarten.

»Ich hatte gehofft,« sagte lachend Leutnant Thérouvigne zu dem Offizier der Marinen, »daß der würdige König der Könige gleich seinem schwarzen Kollegen in Dahomey wenigstens eine Leibwache von Amazonen unterhalten und uns präsentieren würde. Aber die Bande schwarzer Schurken ohne Strümpfe und Schuhe, die er hier zu unserem Empfang aufgestellt hat, gleicht nichts weniger als Frauenzimmern, und sie sehen so wild und schmutzig aus, daß man sich scheuen muß, sie nur mit der Zange anzufassen. Seine Exzellenz der Herr Kriegsminister von Gondar scheint sich nicht viel mit dem Departement der Uniformen zu schaffen zu machen. – Aber zum Teufel, was ist das?«

Er hätte bei einem Haar den Sattel geräumt von dem Seitensprung, den sein Pferd bei dem furchtbaren Ton getan, der sich hören ließ und die wilde Musik übertönte.

Es klang wie das entfernte Rollen des Donners und doch wieder ganz anders: ein schnaubendes Brüllen, das selbst die stärksten Nerven erschütterte.

Kapitän Ducasse und Graf Boulbon hielten erstaunt ihre Pferde an, die übrigens nur leichte Zeichen der Furcht durch Erzittern gaben und den schrecklichen Ton mehr gewohnt schienen, als das junge Roß des Husarenoffiziers. Dagegen prallte der Esel, der die Ehre hatte, den gelehrten Entdecker zu tragen, so gewaltig zurück, daß er den Reiter auf den Sand setzte.

»Oh – es ist nur Abraham,« sagte lächelnd der Konsul auf den fragenden Blick der Offiziere.

»Aber wer ist Abraham?«

»Ich vergaß Sie darauf vorzubereiten. Es ist der stete Begleiter des Königs, ein gezähmter Löwe. Die Nähe so vieler Fremden wird ihn unruhig gemacht haben.«

»Dieses Untier felis leo, berberiscus oder senegallus,« sagte sehr kleinlaut der Professor, indem er sich seine Sitzteile rieb, »befindet sich doch hoffentlich hinter gehörig starken Eisenstäben?«

»Ich glaube nicht, doch da sehen Sie selbst!«

Der Kreis, der bisher den König Theodor umringt hatte, öffnete sich und der Negus mit seiner nächsten Umgebung zeigte sich in dem weit geöffneten Zelt den Fremden.

Der König Theodor saß in der Mitte des Zeltes auf einem großen, mit rotem goldbordierten Samt überzogenen Lehnsessel, einem Geschenk der Königin Viktoria. Er war eine große kräftige und breitschultrige Gestalt mit einem starken Kopf, um dessen kräftiges, lang herabfallendes Haar sich der alte abessynische goldene Königsreif schlang. Seine Farbe war so dunkelbraun, daß sie fast negerartig wurde, doch zeigte die Bildung seines wilden, aber durchaus nicht unedlen Gesichts alle Kennzeichen des semitischen Stammes, wenn auch vermischt mit einigen charakteristischen Zügen der Negerrasse, den stärkeren Backenknochen und den dicken Lippen. Aus seinen ziemlich feurigen Augen sprach eine Intelligenz, die damals noch nicht von dem häufigen Genuß berauschender Getränke zerstört war, dagegen zeigte der kräftige, aber niedere Bau der Stirn von gewaltigen tierischen Leidenschaften.

Der König trug über einem weißen Hemd und gleichen, bis an die halben Waden reichenden leinenen Beinkleidern eine Uniform von rotem Tuch, reichlich mit Gold gestickt und mit zwei großen schwergoldenen Epauletten auf den Schultern. Um den unbedeckten Hals schlang sich ein breites blaues Band, das Zeichen des christlichen Glaubens, an dem ein goldenes, mit kostbaren Steinen besetztes Kreuz hing, während darüber an einem grünen und roten Bande weit auf der Brust herunter ein ebenso besetzter großer Stern von Silberfiligran schaukelte. Die Füße des Negus waren nackt und nur in gelbe Halbpantoffeln gesteckt. Er trug an einem goldenen Bandelier einen schweren Kavalleriesäbel, auf dessen Korb er seine Linke stützte, während die Rechte auf einem kleinen Tisch zur Seite lehnte, der mit Papieren, einem Schreibzeug und zwei großen silberbeschlagenen Reiterpistolen bedeckt war. Außerdem stand auf dem Tisch eine jener Flaschen von dunklem Glase und bauchiger Gestalt, wie sie für die Versendung des echten Jamaikarum gebraucht zu werden pflegen.

Hinter dem Stuhl des Negus stand zur Linken ein Mann von mittelgroßer Gestalt und unverkennbar europäischen germanischen Gesichtszügen, wenn auch die Farbe der Haut durch wahrscheinlich langen Aufenthalt unter der Sonne der Tropen stark gebräunt war. Man hätte ihn für kaum von mittleren Jahren halten können, wenn ihn nicht das ganz ergraute Haupthaar hätte älter erscheinen lassen. Dazu paßte der tiefernste Ausdruck des Gesichts und die schweren, von Leiden und bittern Erfahrungen zeugenden Falten auf seiner Stirn. Er trug eine halb europäische, halb orientalische Kleidung von dunkler Farbe, wie sie die ägyptischen Offiziere zu tragen pflegen, und den Fez, jedoch sonst keinerlei Schmuck und Abzeichen. Sein ernstes, aber überaus gutmütiges blaues Auge sah mit mehr Teilnahme als Neugier den ankommenden Europäern entgegen.

Auf der andern Seite des Stuhls hinter demselben stand ein kleiner magerer Mann in blauem Kaftan mit langem, grauen Bart und hochmütigem, aber zugleich arglistigem Gesicht. Er trug ein besonderes dreieckiges Zeichen von Lapis Lazuli am langen blauen Bande auf der Brust und sah mit finstern Blicken auf die Ankommenden. Vier oder fünf ähnlich in Blau und Braun gekleidete, ihm großen Respekt bezeigende Männer mit geschorenem Haupthaar umstanden ihn.

Im nähern Halbkreis standen um den Negus seine Offiziere, dunkle abenteuerliche Gestalten in seltsamem Aufputz bis zum bloßen Hemd des Gallas herab.

»Ruhig Abraham!«

Der bloße Fuß des Negus setzte sich auf die lange braunschwänzige Mähne eines mächtigen Löwen, der zu seinen Füßen gelegen und der sich bei der Annäherung der Fremden aus seiner apathischen Ruhe ausgedehnt, den Rachen zu einem weiten Gähnen und Brüllen aufgerissen hatte und jetzt, auf die Vorderpranken erhoben, die kleinen halbgeschlossenen grünlichen Augen schläfrig umherblitzen ließ!

»Ruhig Abraham!« Die dunkle Faust des Königs griff nach einem Gegenstand, der zwischen Tisch und Sessel lehnte. Es war eine große altertümliche Streitaxt mit langem, mit silbernen Buckeln beschlagenem Stiel, das breite Eisen mit dem Rückstachel von einer Form, die es unzweifelhaft machte, daß sie noch aus den Zeiten der Kreuzzüge stammte. Es war die Lieblingswaffe des Negus. Er drückte mit dem schweren Kolben den Kopf des mächtigen Tieres nieder und der Löwe Abraham streckte sich gehorsam wieder aus und ließ seinen Kopf auf die Vorderpranken sinken. Nur ein ungeduldiges Krümmen des Schwanzes mit dem schwarzen Büschel zeigte, daß das Tier noch mißtrauische Wachsamkeit übte.

Die eigentümliche Szene hatte auf die Gesellschaft der Franzosen ihren Eindruck nicht verfehlt, und der übermütige Spott, mit welchem namentlich die jüngern Offiziere der Zusammenkunft mit einer »schwarzen Majestät« entgegen gesehen, machte einer bescheidenen Neugier und gewissen Scheu Platz.

Die Offiziere waren auf das Ersuchen des Konsuls etwa fünfzig Schritt von dem Zelt des Negus vom Pferde gestiegen und auf das Kommando des Kapitän Ducasse traten die Marinesoldaten und Matrosen in zwei Gliedern zusammen. El Maresch nahte sich dem Negus mit der Nachahmung des europäischen militärischen Grußes und schien seine Meldung zu machen, welcher der König mit einer Gebärde nicht ohne Würde antwortete. Der schwarze Offizier machte dann einige Schritte zurück nach den Franzosen und winkte ihnen, näher zu treten, worauf Kapitän Ducasse mit dem Konsul de Laya zur Seite sich unter dem betäubenden Klang der afrikanischen Musik näherte und etwa fünf Schritt vor dem Negus stehen blieb, ihn salutierend. Die anderen Mitglieder der improvisierten Gesandtschaft folgten in bunter Reihe, die Fürstin an dem Arm des Grafen Boulbon.

Die Augen des Königs hafteten einige Augenblicke auf dem Kapitän des Veloce, indem er den Gruß mit einer Neigung des Kopfes erwiderte, dann flogen sie über die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft hinweg und blieben offenbar nicht ohne Erstaunen und Interesse an der Gestalt der Dame hängen.

Die Kleidung der Fürstin war nicht ohne Koketterie gewählt. Sie trug die russische Nationaltracht, das kurze, kaum bis über die Wade reichende Kleid mit Mieder von grauem Seidenstoff, vorn durch goldene Schnüre zusammen gehalten, weite faltige Ärmel vom feinsten Battist über die Arme herunterfallend und um den eleganten Handschuh schließend, kleine rote Stiefeln mit Pelz besetzt und über der Stirn den breiten dreieckigen Goldreif, nicht unähnlich dem Königszeichen des Negus, aus dem das prächtige blonde Haar in zwei starken banddurchflochtenen Zöpfen weit über die Hüften herunter fiel. Eine freilich zu dem Anzug nicht ganz passende Mantille aus prächtigem Kaschmir, den die Fürstin in Bombay gekauft, hing über dem Arm der dicht hinter ihr folgenden Chinesin, die nach der Laune der Fürstin gleichfalls in ihre Nationaltracht gekleidet war.

Der Konsul de Laya war der Sprache von Amhara, die hauptsächlich in Tigre und der Samhara gesprochen wird, genügend mächtig, um eine kurze Anrede an den Negus zu halten, in der er ihm erklärte, daß Kapitän Ducasse mit seinen Offizieren im Auftrag des mächtigen Sultan von Frangistan erscheine, um den Negus Negassi von Abessynien zu begrüßen. Der König schien das Kompliment mit Wohlgefallen entgegen zu nehmen; er sprach außer dem Amhara nur Arabisch und einige englische Worte und erwiderte in der ersten Sprache, daß der Gesandte des Sultan von Frangistan ihm willkommen sei, worauf auf seinen Wink schwarze Sklaven eine Anzahl diwanartiger Kissen herbeitrugen und im Halbkreis aufstellten, auf welche man die Fremden einlud, sich niederzulassen.

Schwarze Sklaven mit der stumpfsinnigen Physiognomie der Dokos und der andern Stämme, auf welche die Gallas hauptsächlich ihre Menschenjagden machen, brachten den Kaffee von Gondar in kleinen, mit kostbarer Filigranarbeit umgebenen Schalen auf großen Präsentierbrettern von ziseliertem Messing, andere trugen Pfeifen herbei, brachten sie den Gästen und legten brennende Kohlen auf den Tabak.

Es war nach der ersten Begrüßung eine kurze Pause entstanden, die eben mit der Bewirtung der Gäste ausgefüllt wurde. Jetzt gab der Negus ein Zeichen, daß er sprechen wolle. In der nachfolgenden Unterredung machten abwechselnd der Konsul und der jüngere Jesuit, der aus dem berühmten Sprachenkollegium Roms hervorgegangen, sich seit zwei Jahren in Tigre aufhielt und der Amharasprache vollkommen mächtig war, die Dolmetscher.

»Hat der Sultan von Frangistan,« fragte der Negus den Kapitän, »viele solcher Schiffe mit großen Kanonen?«

»Die französische Flotte ist vollkommen der englischen gleich, die französische Armee ist doppelt so stark. Der Krieg gegen Rußland und neuerdings wieder in China hat bewiesen, daß Frankreich die stärkste Macht der Welt ist und England keinen Krieg ohne unsern Beistand unternehmen kann.«

Der Negus schüttelte zum Zeichen der Zustimmung das Haupt, als ihm die Worte übersetzt worden waren. »Ich habe davon gehört; die schwarzen Väter,« er deutete auf die Jesuiten, »haben mir von der Macht des fränkischen Sultans erzählt, dessen Oheim vorzeiten die Pyramiden erobert hat. Aber die englischen Missionare und der Abuna« – er wies aus den Mann im blauen Kaftan zu seiner Rechten – »erinnern daran, daß der Sultan von Frangistan in Ägypten und im eigenen Lande von den Faringi besiegt worden und als ihr Gefangener gestorben ist.«

Der Jesuit übernahm, ohne die Worte erst zu übersetzen, die Antwort. »Der Negus Negassi ist ein weiser Fürst. Er weiß, daß die Geschicke und die Macht der Nationen ebenso wechseln, wie die Schicksale der einzelnen. Die Engländer sind nur von einem Weibe regiert.«

»Die Engländer reden mit Weiberzungen, sie sind Lügner! Sie haben mir Kanonen versprochen, deren Kugeln über die Berge tragen, und sie halten nicht Wort. Sie sind wie die Priester, die alles allein haben wollen und ihre Worte im Munde verdrehen.« Er warf dem Abuna einen finstern Blick zu.

Der Jesuit benutzte geschickt diese Äußerung der Mißstimmung. »Der König ist zu weise, um dies auch von den Dienern des wahren christlichen Glaubens zu sagen, welche wie er die heilige Mariam verehren. Sie beschäftigen sich bloß mit den Seelen der Christen, während die englischen Missionare auch dem Negus in weltlichen Dingen gebieten wollen. – Warum treiben sie ihn sonst an, seinen wahren Freunden die Erlaubnis zu verweigern, sich an dieser Küste niederzulassen, wie doch seine Väter gestattet hatten, und gewiß nicht zu ihrem Nachteil?«

Der Negus schlug so heftig mit der Hand auf die Lehne seines Sessels, daß der Löwe Abraham die Augen öffnete und den Kopf hob.

»Der Negus Negassi hat allein zu befehlen im Lande Habesch,« zürnte er, »und wird sich weder von den Priestern noch den Ras's gebieten lassen. Ich werde die Engländer aus dem Lande jagen und ihre Häuser den Frangis geben, wenn sie mir Flinten und Kanonen schicken. Aber bis jetzt habe ich auch nur Worte gesehen.« Er ergriff ärgerlich die Rumflasche, die neben ihm stand und tat einen starken Schluck daraus. Der Europäer an seiner linken Seite mit der ernsten Miene und dem ergrauten Haar legte leicht die Hand auf den Arm des Negus. »König Theodor weiß, was er seinem Arzt versprochen hat,« sagte er langsam in englischer Sprache. Der Negus antwortete einige Worte im Amhara, die wie eine Entschuldigung klangen und setzte die Flasche nieder.

Während des kleinen Intermezzos hatte der Konsul an Kapitän Ducasse die letzten Worte des Negus übersetzt und auf einen Wink des Kapitäns schleppten vier Matrosen einen großen, mit der Schiffsflagge verhüllten Tragekorb herbei.

»Der Abgesandte des Kaisers Napoleons,« sagte der Konsul, »erlaubt sich dem Negus Negassi die Geschenke zu überreichen, welche sein Gebieter ihm als Zeichen der Freundschaft übersendet.« Damit zog er die Flagge von dem Korb und begann mit Hilfe der Matrosen die Geschenke auszubreiten.

Die Augen des Königs und seiner Offiziere funkelten habsüchtig beim Anblick der Gaben, die mit ziemlich genauer Kenntnis seines Charakters ausgewählt waren. Sie bestanden in einem Säbel und einem Reiterschwert von wertvoller Arbeit, Küraß und Helm eines französischen Kürassierregiments, mehreren Pistolen mit prächtiger eingelegter Arbeit, Uhren, Porzellan, einem kostbaren Kruzifix, einem Bildnis des Kaisers und der Kaiserin und verschiedenen jener Schmucksachen und Tändeleien, worin die Pariser Industrie so unübertrefflich ist, desgleichen schöne Lyoner Seidenbrokate.

Der König folgte aufmerksam allen Gegenständen, schien aber trotz des großen Wertes und der Kostbarkeit derselben nicht ganz befriedigt.

»Ich habe gehört,« sagte er endlich, »daß der Prinz Cassa von dem fränkischen Schiff, das zuerst hier gelandet ist, viele Flinten erhalten hat.«

Der Konsul schien auf den Vorwurf gefaßt, denn er überreichte ihm sogleich ein Papier.

»Der Negus Negassi möge nicht glauben, daß dies die einzigen Gaben seines kaiserlichen Bruders von Frankreich sind. Wenn der König morgen Pferde zum Strande senden will, werden zwei Kanonen dort bereit sein, zu ihm geführt zu werden, von jener berühmten Art, die der Kaiser, unser Herr selbst erfunden hat, und die von hinten geladen werden können.

»Kanonen?« Diesmal schien der Abessynier hoch erfreut und schlug in die Hände. »Mein Bruder, der große Sultan der Franken ist ein anderer Mann, als diese Engländerin.«

»Wenn der König dem Gesandten die Ehre schenken will,« fuhr der schlaue Franzose fort, »das Schiff zu besuchen, das in seinem Meer ankert, mag er die Flinten unserer Soldaten prüfen. Kapitän Ducasse hat den Auftrag, ihm fünfhundert Stück anzubieten, die bereits nach Suez unterwegs sind.«

Die Augen des Negus funkelten vor Freude, aber er wandte sich zornig zu dem Priester an seiner Rechten.

»Was sagst du nun, Eben el Isaschar, Abuna von Habesch, du falscher Prophet der Inglesi, der du nichts gehabt hast als Worte der Verdächtigung gegen die Franken!«

Der Priester zog die Brauen hochmütig zusammen.

»Ich rate nur zu deinem Besten, Negus Theodor. Gedenke der Verträge, die du geschlossen hast!«

»Fluch dir und ihnen!« Die Hand des Negus faßte nach dem Stiel der Streitaxt. Dann aber ließ er sie los und griff ehe noch der Arzt an seiner Seite es verhindern konnte, nach der gefährlichen Flasche und heftete sie in langem Trunk an seine Lippen.

»Der Kaiser, mein Herr,« fuhr der Konsul fort, einen kleineren Korb herbeiwinkend, »läßt den Negus Negassi durch den Kapitän Ducasse bitten, diese kleinen Geschenke an seine Offiziere und Ratgeber verteilen zu wollen.«

Aller Augen hafteten habgierig an dem Korbe, als dieser geöffnet wurde, und folgten mit Neid der Hand des Königs, als dieser die Uhren, Waffen, goldene Medaillen und Ketten an seine Getreuen verteilte, wobei er jedoch auffällig den Abuna überging. Ein wertvolles chirurgisches Besteck erhielt, als ihm dessen Bedeutung klar gemacht wurde, der Mann zu seiner Linken.

»Nimm das, wackerer Hakim; Arzt. da ich weiß, daß du alle anderen Geschenke verschmähst und nicht einmal ein Weib von mir nehmen willst zur Verkürzung deiner Nächte. – Ist jene Frau dort, die so schön ist, wie Judith gewesen sein muß, die den Holofernes schlug, die Frau des Gesandten von Frangistan?«

Er wies auf den Kapitän, der herzlich lachte, als man ihm die Frage verdolmetscht hatte.

»Nein, Hoheit, die Dame ist unvermählt. Es ist eine junge, russische Fürstin, wie man mir sagt, sie kommt aus einem sehr kalten Lande wo der Schnee niemals schmilzt und das man Sibirien nennt.«

»Wenn sie nicht verheiratet ist,« sagte rasch der Negus, »so sage ihr, daß ich ihr die Ehre antue, sie zu meiner Frau zu machen.«

Der Konsul sah ziemlich erschrocken aus. »Deine Hoheit wolle bedenken, daß du bereits vier Frauen hast.«

Der Negus, der aus den ihm überbrachten Geschenken einen silbernen Pokal entnommen, ihn mit Rum gefüllt hatte und häufig, trotz aller Warnungen des Arztes, daraus trank, lachte auf. »Bist du solange in Tigre, daß du noch nicht weißt, daß die Könige von Habesch das Recht haben, so viele Frauen zu nehmen, als ihnen beliebt? Hat der Ras von Schoa ihrer nicht fünfhundert? Frage den Abuna, er wird dir's sagen. Sie gefällt mir und soll mein Lager teilen, auch ohne beschnitten zu sein. Wenn sie die anderen Weiber nicht dulden will, werde ich diese von dem Felsen von Magdala hinunterstürzen lassen Merkwürdigerweise gestattet die christliche Kirche von Abyssinien, deren nominelles Oberhaupt zwar der Negus, deren wirkliches geistliches aber der vom koptischen Patriarchen in Allessandrien eingesetzte Abuna ist, den Königen die Vielweiberei, überhaupt ist das Christentum in Abyssinien mit vielen orientalischen Gebräuchen und Lehren vermischt, so mit der Taufe der Erwachsenen (erst mit 25 Jahren), der Beschneidung beider Geschlechter, der Feier des Sonnabends, den mosaischen Gesetzen in betreff der Speisen und der Reinigung usw.

Der Konsul war offenbar in nicht geringer Verlegenheit diesem Vorschlage des Königs gegenüber, da es wie er wußte, gefährlich war, seinen oft sehr plötzlich ausbrechenden Leidenschaften zu widersprechen. Zum Glück kam ihm der Jesuit zu Hilfe.

»Das Mädchen, das Gnade vor deinen Augen gefunden, ist nicht ihre eigene Herrin. Wir werden mit ihren Vormündern sprechen. – Möchte der Negus Negassi jetzt nicht von dem Vertrage reden, der die fremden Schiffe hierhergeführt hat?«

Der Negus hörte entweder die Frage nicht, oder er hatte noch keine Lust, sie zu beachten. »El Maresch hat mir von einem Kaufmann gesagt, der Arabisch mit ihm gesprochen hat?«

Der Konsul präsentierte ihm Labrosse. »Der Herr hat weite Reisen gemacht und mag dem Negus vieles erzählen.«

Der König betrachtete einige Augenblicke den Fremden mit Aufmerksamkeit, dann sagte er in arabischer Sprache: »Dein Antlitz trägt eine Maske, bist du ein Franke?«

Einen Augenblick schwieg der Unbekannte, dann sagte er mit tiefer Stimme: »Ich bin ein Feind der Engländer. Der Negus Negassi möge sich damit begnügen. Will er mehr wissen, so möge er mich in seinem Zelt behalten.«

Bei dem Ton dieser Stimme hob der Arzt, der eben das Besteck prüfte, als hätte ihn ein elektrischer Schlag berührt, den Kopf und faßte den Sprecher ins Auge.

Aber der Schirm verbarg das halbe Angesicht, und die blaue Brille mit den Seitenwänden ließ nicht erkennen, daß das funkelnde Auge des Fremden auch auf ihn gerichtet gewesen.

»Ich werde dich rufen lassen, denn ich höre gern Geschichten von fremden Ländern, und ich hasse gleichfalls die Engländer.« – Der Negus wandte sich wieder an den Konsul. – »Ist der Mann dort,« er wies auf den Gelehrten, »ein Hakim? Warum spricht er nicht mit einem Freunde, der ein weiser Arzt ist?«

»Ich habe die Ehre, dem Negus Negassi den Doktor, einen berühmten Gelehrten aus dem Lande der Brennibor vorzustellen. Er ist mit einem vornehmen Engländer auf einer Erforschungsreise durch viele Länder gezogen und möchte die Quellen des Nils auffinden.«

Doktor Peterlein machte dem Negus drei tiefe Verbeugungen, als von ihm die Rede war und begann sofort eine Anrede in englischer Sprache: Erlauchter, erhabener König jenes Landes, das schon im klassischen Altertum zu den Kulturvölkern der Erde gehörte, ein bescheidener, aber ich darf wohl sagen, in der gelehrten Welt Europas nicht mehr ganz unbekannter Jünger der Wissenschaft nähert sich deinem Throne, um dir die Bitte vorzutragen, ihn durch die Öffnung der Archive deines Reiches zu unterstützen in seinen Erforschungen über jene Völkerschaften, welche unter dem Namen der semitischen aus dem Stamme Abrahams …«

Der unglückliche Gelehrte war in dem Eifer seiner Rede ein oder zwei Schritte vorgetreten, aber er wurde auf eine entsetzliche Weise unterbrochen, als der Löwe des Negus bei der Nennung seines Namens sich plötzlich vor ihm aufrichtete und bei dem nahen Anblick der seltsamen Gestalt des wackeren Naturforschers ein furchtbares Brüllen ausstieß. Der unglückliche Gelehrte, dem sich alle Haare sträubten, die er etwa noch hatte, machte einen so gewaltigen Satz rückwärts, daß er an den Diwan prallte, die Balance verlor und über das Kissen hinweg auf den Rücken fiel, so daß seine mageren Beine in der Luft zappelten. Der Anblick war so komisch, daß trotz der gewöhnlichen Zurückhaltung der Orientalen die ganze Gesellschaft dem Beispiele des Negus folgte, der in ein tobendes Gelächter ausbrach, und nur der Hakim hatte die Kraft, nicht einzustimmen. Er verließ vielmehr seinen Platz und kam dem unglücklichen Professor zu Hilfe, der keine Bewegung machte, aufzustehen, sondern mit entsetzter Miene und starren Augen erwartete, daß das Ungetüm ihn zerreißen würde, und indem er ihn aufhob, sagte er höflich in deutscher Sprache: »Stehen Sie auf, Herr, und fürchten Sie sich nicht. Der Löwe ist Ihnen nicht gefährlich und zahm wie ein Hund. Erlauben Sie mir, Sie zur Seite und vielleicht in mein Zelt zu führen, bis Sie sich vollständig beruhigt haben.«

Der kleine Professor starrte den freundlichen Helfer fast nicht minder verblüfft an wie vorhin das sich aufrichtende Untier, als er sich hier im wilden Lande so plötzlich in deutscher Sprache angeredet hörte, stieß einen tiefen Seufzer aus, schob die abgefallene Brille wieder auf ihren alten Platz und ließ sich gehorsam aus der Nähe des Zeltes führen.

»Es vergeht keine Sonnenwende,« sagte der Negus, nachdem er mit einem kräftigen Faustschlag seinen gefährlichen Schoßhund wieder zur Ruhe gebracht hatte, – »ohne daß allerlei törichte Menschen aus den Frankenländern hierher kommen, um nach Dingen zu forschen, die Gott in seiner Weisheit den Menschen verborgen hat. Aber was sagtest du von einem vornehmen Engländer, der mit dieser Krähe von Mann hierher gekommen ist?«

»Es ist ein englischer Lord, der aus Indien oder China kommt,« berichtete der Konsul – »und der auf unserem Schiffe Überfahrt gesucht hat. Wie ich höre, ist er sofort nach der Landung nach Arkiko gegangen, um den Konsul Munzinger aufzusuchen oder den Schutz des Naïb zu erbitten.«

»Er ist ein Spion von Aden,« unterbrach der fremde Kaufmann den Bericht des Konsuls in arabischer Sprache. »Er ist ein Feind des Negus und der König möge sich vor ihm hüten.« Seine Stimme, als er die anklagenden Worte sprach, war fester, voller, als vorhin in der Gegenwart des fränkischen Arztes.

Kapitän Ducasse begann, obschon er die Gewohnheiten der Orientalen kannte, nachgerade etwas ungeduldig zu werden, daß bisher keinerlei Anstalten gemacht wurden, wegen des Vertrages zu unterhandeln, und er gab dies dem Konsul zu erkennen.

Der Superior der Jesuiten legte die Hand auf seinen Arm. »Bitte Herr – eine kurze Geduld. Herr de Laya und Pater Cyprianus verstehen, diesen Halbwilden, der sich einen Christen nennt, genügend zu behandeln, und wir werden bald die Resultate sehen.«

Der Konsul hatte mehrere Papiere aus seinem Portefeuille genommen.

»Ist es deiner Hoheit gefällig, den Traktat, welchen die französische Regierung mit dem Naïb von Arkiko und dem Ras von Tigre über die Abtretung der Bai in Voraussetzung der Billigung des Negus Negassi geschlossen hat, anzuführen?«

»Weder der Ras noch der Naïb haben ein Recht dazu,« polterte der König. »Der Negus von Habesch allein ist Herr des Landes vom Darfur bis zum Meer. Der Abuna ist ein Schriftgelehrter, der die alten Rechte und Pergamente kennt, er wird es bestätigen.«

»Wenn der Negus auf geschriebene Rechte hält,« sagte finster der Priester, »so wird er die seiner wahren Freunde, der Engländer, anerkennen müssen. Er möge sich erinnern, was er dem großen Major Harris versprochen hat. Kein Priester von Rom und kein Franke darf in Habesch ein Haus bauen oder Handel treiben und Land besitzen. – Es ist gut so, denn die alten Pergamente erzählen, daß sie schon vor länger als zweihundert Jahren Unglück und Zwietracht gebracht haben. Unter König Sicinius, der 1632 die katholischen Priester vertrieb und hinrichten ließ. Die Engländer sind die Feinde des Ras und die treuen Freunde des Negus. Ihre Macht ist groß und wird es strafen, wenn der Negus Negassi sein Versprechen bricht.«

Der jüngere Pater wandte sich mit höhnischem Ausdruck zu dem Redner: »Wieviel Goldstücke hat der Abuna von Abessynien von der englischen Königin bekommen, daß er also spricht?«

»Mögest du verdammt sein, du frecher Lügner!« rief der erzürnte koptische Priester und drohte dem Jesuiten mit der Faust.

Dem Negus schien die Sache großes Vergnügen zu machen, denn er schlug sich auf die Schenkel und schrie: »Hoho! bei der heiligen Maria, die Pfaffen zanken sich!«

Pater Cyprianus schien sich jedoch eines guten Hinterhaltes bewußt, denn ohne seinem Gegner zu antworten, wandte er sich also gleich an den Negus. »Wenn dieser Mann, der die Priester des heiligen Vaters in Rom zu verdächtigen sucht, die alten Rechte der Könige von Habesch kennt und zu wahren hat, so wird er wissen, daß Todesstrafe darauf steht, mit den Feinden des Negus verräterisch zu verkehren.«

»Ich würde jeden, der es tut, von Abraham zerreißen lassen!«

»Dann möge deine Hoheit den Abuna fragen, was in dem Briefe gestanden hat, den er vor zwei Stunden an den Engländer Munzinger nach Arkiko gesendet hat.«

»Du lügst, falscher Römer,« schrie der Kopte – »es waren bloße Worte wegen seines zurückgelassenen Eigentums, und die Engländer sind nicht die Feinde des Negus.«

»Er gesteht also ein, mit den Engländern in Briefwechsel zu stehen.«

»Verleumderischer Hund, der du bist! was geht das dich an? Ich speie vor deiner falschen Kirche aus und besudle die Gräber deiner Väter!«

Wieder blieb ihm der Jesuit die Antwort schuldig und wandte sich an den König, indem er ein mit blauem Bande umknotetes Papier aus der Tasche zog und es ihm hinreichte. »Deine Hoheit mag sich selbst überzeugen, ob in diesem Briefe, der durch Zufall in meine Hände gekommen ist, nur von dem zurückgelassenen Eigentum der Engländer gesprochen wird.«

»Spitzbube! mein Brief!« Der Abuna stürzte sich wie ein Tiger auf den Brief und wollte ihn den Händen des Jesuiten entreißen, aber der Negus streckte seinen Arm vor und warf ihn zurück.

»Stille – ich bin ein König und werde Gerechtigkeit üben! – Abraham!«

Der Löwe richtete sich bei dem ihm bekannten Anruf auf die Vorderpranken empor, öffnete den Rachen und blinzelte nach seinem Herrn.

»Hab' acht, Abraham, auf deinen Freund hier – rührt er sich, so reiß' ihn nieder, als wäre er eine Antilope.«

Der furchtbare Wächter knurrte und leckte sich mit der langen roten Zunge das Gebiß. Er heftete die kleinen, halbgeschlossenen Augen auf den unglücklichen Priester, der sich nicht zu rühren wagte.

»Was steht in dem Briefe, Pfaff'?« fragte mit einem finstern Blick der Negus, indem er ihn hin und her drehte.

»Deine Hoheit mag selbst lesen, ich habe den Brief nicht geöffnet.«

Der Negus blickte ihn mißtrauisch an. Dann zerschnitt er das Band, das den Brief zusammenhielt, öffnete ihn und drehte ihn um und um. »Bei der heiligen Mariam, es ist ein verschlossenes Buch für mich – es sind nicht die Schriftzeichen der Amharasprache. Es muß englisch sein, denn ich weiß, daß der schurkische Priester von den Missionaren ihre Sprache gelernt hat. Wer soll den Brief mir lesen?«

»Deine Hoheit möge bedenken, daß gewiß mehrere Personen anwesend sind, welche die Sprache der Engländer verstehen. Se. Hochwürden Monsignore Corpasini …«

»Nein – keiner von euch!« sagte mißtrauisch der König. »Ruft den Hakim aus seinem Zelt, er ist ein Mann, dem ich vertraue, obschon seine Farbe weiß ist. El Maresch – hole ihn!«

Der Mohr entfernte sich – die Umgebung des Königs stand zitternd und bangend, denn der Negus tat wiederholt schwere Züge von dem starken Rum, seine Augen begannen sich zu röten und blickten rollend umher – die Adern seiner Stirne begannen zu schwellen und schwere drohende Falten lagerten sich zwischen seine Brauen.

Auch die Mitglieder der europäischen Gesellschaft, obschon sie bei dem Mangel der Sprachkenntnis nur unvollkommen den Vorgang begriffen, wurden unruhig, und auf ein Wort des Grafen, auf die Frauen deutend, erhob sich Kapitän Ducasse, um Abschied zu nehmen, aber der König streckte, wie befehlend, die Hand gegen sie aus. »Bleibt!« herrschte er mit grollender Stimme. Dann sich mäßigend, sagte er zu dem Konsul: »Bitte die Offiziere des Sultans der Franken zu warten; sie sollen sehen, daß der Negus Negussi von Habesch Gerechtigkeit übt. Es gibt für sie keine bessere Gelegenheit, die Bai von Adunis zu erwerben!«

Der Kapitän nahm, seiner politischen Aufgabe gedenkend, auf die verdolmetschten Worte des Konsuls seinen Platz wieder ein und winkte seinen Begleitern, ein gleiches zu tun. Fast unwillkürlich war es, daß er dabei den Griff seines Säbels handgerechter rückte und dem Offizier seiner Eskorte einen warnenden Blick zuwarf.

Der Oberpriester unterbrach das allgemeine Schweigen. »Der Abuna von Habesch,« sprach er finster, »kann nur von dem Patriarchen von Alessandria gerichtet werden. Ich verlange von dir, Negus Theodor, daß du mich ungekränkt meiner Wege ziehen läßt!«

»Probier's – es wird deine und Abrahams Sache sein. Ich habe dich nicht aufgefordert, mich nach Tigre zu begleiten. Wenn du fortgehst von hier, würdest du nur alle Faulenzer gegen ihren rechtmäßigen König aufhetzen. Du hast nichts zu befürchten, wenn du dir keines Verrats bewußt bist. Dem Verräter gebührt der Tod, ob er ein Fürst oder ein Sklave ist, so will es das Gesetz unserer Väter, und bei dem Blut der heiligen Märtyrer, ich bin der Mann, es zu halten!« Er hatte die Streitaxt in die Hand genommen und spielte mit dem Griff.

»Ha, da kommt der Hakim – komm' hierher Mann, sei ohne Furcht – ich habe mit dir zu reden.«

Der deutsche Arzt trat, von dem Kronoffizier begleitet, in das Zelt und ging ruhig auf den Negus zu, hinter dessen Sessel er den früheren Platz einnahm. »Ich habe keine Ursach' zur Furcht – was will der Negus von mir?«

»Deinen Schwur, daß du die Wahrheit reden wirst.«

»Die Wahrheit ist eine Pflicht; der Negus muß sich mit dem Worte eines Mannes begnügen.«

»Ich tue es, denn ich habe dich noch niemals falsch, oder dem Golde zugänglich gefunden, seit du bei mir bist. Hier ist ein Brief in englischer Sprache geschrieben, du sollst ihn lesen und mir sagen, was darin steht, aber Wort für Wort.«

Der Arzt nahm schweigend den Brief, öffnete ihn und las still seinen Inhalt. Aller Augen waren mit Erwartung oder Furcht auf sein ernstes, trauriges Angesicht gerichtet, das bei dem Lesen des Briefes womöglich noch finsterer wurde.

»Negus Theodor,« sagte er endlich, den Blick auf diesen richtend, »ich bin dein Arzt. Ein Arzt hat die Pflicht, jedes Gift von seinem Patienten fernzuhalten. Ich sage dir, daß dieser Brief Gift ist für deine Seele, wie der Rum für deinen Körper. Er spinnt Verrat, zerreiße ungehört diesen Brief und verachte den Verräter.«

»Lies!« befahl der Negus.

»Ich habe mich nicht verpflichtet, dein Dolmetscher zu sein und deine Briefe zu lesen. Ohnehin geht unser Kontrakt morgen zu Ende. Suche einen andern, der das Gift in deine Seele gießt.«

»Sklave, ich befehle dir zu lesen – bei meinem Zorn!« Er schüttelte die Streitaxt gegen ihn.

»Negus Theodor,« sagte der Hakim, »du weißt, daß ich Drohungen nicht fürchte, weil der Tod mir willkommen ist, und ich habe einem gegenüber gestanden, gegen dessen Zorn der deine ist wie das Rauschen des Baches gegen das vom Orkan aufgewühlte Meer. Doch wie du willst – ich habe dich gewarnt als Arzt und Freund.«

Er nahm den Brief auf und las ihn zuerst in dem schlechten Englisch, in dem er geschrieben war. Dann übersetzte er ihn in der Amharasprache wie folgt:

 

»Usi Johannes, der geweihte Abuna aller Lande von Habesch,
im Namen des Dreieinigen Gottes Heil und Gruß an Munzinger, dem Gesandten der mächtigen Königin von Inglisland.

Deinem Verlangen gemäß habe ich bei dem wortbrüchigen Tyrannen Alles getan, Eure Zurückberufung zu erreichen und den Plan dieser schlimmen Priester von Rom zu vereiteln. Aber er ist störrig und wild wie ein Hartbeest aus der Wüste und wir Alle sind seiner Völlerei und seiner Launen müde. Auch ist er gar nicht der rechte Negus Negassi, wenn er sich auch der Abstammung von dem König Salomo rühmt, und es leben noch Manche aus der alten und ächten Königsfamilie von Habesch. Darum haben ich und unsere Freunde beschlossen, daß Du selbst reisen sollst zum Prinzen Cassa von Tigre und ihm anerbieten, daß die Inglesi ihn machen wollten an des Tyrannen Theodor Stelle zum Negus von Amhara und zum Negus Negassi aller Ras' vom Lande Habesch, von den Quellen des blauen Stroms und dem See Tzana bis zu dem Ufer des Meeres, wenn er dies Bündnis mit dem falschen Franken aufgibt und den Abuna und die Komosars und Abbas Weltpriester und Mönche. gleich den Priestern der Königin der Inglesi zu achten verspricht. Wenn der Prinz Cassa innerhalb der nächsten fünf Nächte den König Theodor überfallen will, werden wir sorgen, daß keine Wachen auf den Bergen stehen und wollen Boten senden an Mesteat, die Fürstin der Wolo-Gallas, daß sie einfallen in das Land und helfen dem Prinzen Cassa, bis er sie später wieder verjagen mag mit Hilfe der Inglese, weil sie Heiden sind und keine Christen. Auch wollen wir dafür Sorge tragen, daß die Schiffe der Franken innerhalb dreier Nächte verbrannt werden, damit sie dem Negus nicht Beistand leisten mit ihren Kanonen.

Möge die alte Mariam Dich in Schutz nehmen. Schreibe das Alles der Königin der Inglese, damit sie in ihrer Großmut Deinen und ihren Freund, den Abuna von Habesch, nicht vergessen möge. – Der Bote, der dies bringt ist ein treuer Mann und Du magst ihm vertrauen!«

 

Der Eindruck, den die Lesung des Briefes auf den Negus machte, war wahrhaft grauenerregend.

Mit auf das höchste gespannter Aufmerksamkeit lauschte er jedem Satz – seine Augen funkelten wilder und wilder, wie die des Tigers, der bereit ist, sich auf seinen Feind zu stürzen; die Adern an seinen Schläfen schwollen dick an, die schwarze Faust umklammerte den Griff der schweren Streitaxt, als wollten die Finger sich in das eisenfeste Holz pressen – und langsam, wie ein Automat – erhob er sich von seinem Sitz, die blutunterlaufenen Augen auf den Arzt gerichtet, die Zähne aufeinandergepreßt, daß der Schaum ihm weiß die Lippen färbte, – in dieser Stellung fast der wilden Bestie gleichend, die sein Opfer bewachte.

Der Kapitän Ducasse, die Offiziere waren aufgesprungen. – Jeder wußte, daß ein Unglück sich ereignen würde, wenn ihm nicht Einhalt geschah. Die Arme übereinandergeschlagen stand der Kaufmann Labrosse unbeweglich da und schaute auf den Negus.

Der deutsche Arzt las das letzte Wort, dann faltete er den Brief zusammen und richtete mit einer gewissen Trauer sein ernstes, graues Auge auf den König.

Der Negus faßte mit einem krampfhaften Griff nach dem Papier und hob es hoch in der Höhe. »Weißer Mann,« kreischte er – »bei deinem Teuersten im Himmel und auf Erden – bei unserm gemeinsamen Gott – die Worte, die du gelesen, stehen auf dem Papier?«

»Du hast es gewollt – bei dem Schatten Editha Highsons, dem teuersten Schwur, den ich leisten kann – ich las, wie geschrieben steht.«

Der schwarze König stieß ein Brüllen aus, das dem seines Löwen glich. »Abraham – deine Wache ist aus! Schlimmer als du ist dieser Mann! Abuna von Habesch – Verräter deines Königs – fahre zur Hölle, wo sie am tiefsten ist!«

Die gewaltige Waffe wirbelte in sausendem Schwung zweimal um das Haupt des Regus, – dann – – –

Der Abuna erwartete mit der finsteren Gleichgültigkeit des Orientalen den Schlag.

Aber der Schlag fiel nicht – obschon nur eine leichte, kleine Hand ihm wehrte und den Arm des ergrimmten Mohren gefaßt hatte.

Es war die Fürstin Wolkonsky, die in rascherem Entschluß, als alle die kampfgewohnten Männer, zwischen den erzürnten Negus und sein Opfer gesprungen war.

»Bist du ein König und willst zugleich ein Henker sein? Schäme dich, Mann, und erinnere dich an die Gegenwart von Frauen.«

Obschon der Negus die Worte nicht verstehen konnte, da sie in französischer Sprache gesprochen worden, schien doch schon die Berührung dieser Hand einen magischen Einfluß auf ihn zu üben, und der Arm mit der furchtbaren Waffe blieb wie versteinert in der Luft, ohne niederzufallen.

In diesem Augenblick erklang das Kommando des Kapitän Ducasse: »Fertig zum Feuern! – Schlagt an!« – Die Gewehre der Seesoldaten rasselten an die Wangen – die Offiziere streckten ihre Revolver schußbereit vor, denn die Franzosen mußten natürlich glauben, daß ein allgemeines Gemetzel stattfinden würde, da verschiedene der Amharakrieger zu ihren Waffen gegriffen hatten, um ihr geistliches Oberhaupt zu schützen oder zu rächen.

Aber ehe irgendein weiterer Befehl gegeben werden konnte, änderte sich die Szene.

Der Arm des Negus sank kraftlos herab, die schwere Streitaxt entfiel seiner Hand und traf den Löwen, der schnaubend zur Seite sprang, und die mächtige Gestalt des Negus fiel schwer und dröhnend zu Boden mit steifen Gliedern und starren, weitgeöffneten Augen, während ein leichter Schaum auf seine Lippen trat. Bevor sich noch jemand dem König nähern konnte, stellte sich der Löwe Abraham quer über ihn, schlug mit dem Schweif und warf den Kopf umher, ein drohendes Gebrüll ausstoßend, gleich als warne er jeden, den Körper seines bewußtlosen Herrn zu berühren.

Nur der deutsche Hakim schien davon ausgeschlossen. Er trat zu Kapitän Ducasse, indem er ein Besteck, wie es die Ärzte und Wundärzte bei sich führen, aus seiner Tasche zog und sagte in französischer Sprache: »Entfernen Sie die Frauen, Herr, es ist kein Schauspiel für diese, aber bitte, bleiben Sie selbst – der König wird in wenig Minuten wieder zur Besinnung kommen, und dann der Paroxismus, dem er häufig unterliegt, vorüber sein. Mein Zelt, das zweite links, wo sich bereits Ihr gelehrter Begleiter befindet, steht zur Verfügung der Damen.«

Während Kapitän Ducasse den Grafen Boulbon ersuchte, die beiden Frauen dahin zu führen – der Offizier der Marine hatte Takt genug gehabt, bei der Wendung der Szene sofort die Soldaten die Gewehre absetzen zu lassen und sie zurückzuziehen, – ging der Arzt zu dem Gefallenen, tätschelte den Löwen Abraham auf den Kopf und verband ihm die Augen, was das Tier auch, wie daran gewöhnt, willig mit sich tun ließ, indem es sich zur Seite wieder niederlegte. Dann richtete der Hakim den Oberkörper des Negus in sitzender Stellung in die Höhe, wobei er sich von El Maresch und einem anderen Krieger unterstützen ließ, entblößte seinen linken Arm und schlug ihm leicht eine Ader.

Ein Strom von dunklem Blut, das ein Sklave in einem silbernen Becken auffing, sprang hervor; nach wenig Augenblicken verlor der Blick des Königs die bisherige grauenvolle Starrheit und bekam Leben und Bewußtsein, und die Glieder begannen ihre Steife zu verlieren und sich zu regen.

Der Arzt schloß sofort die Wunde und verband den Arm des Negus. Der König hob die rechte Hand zur Stirn, strich ein paarmal über das Gesicht und sah mit immer größerem Verständnis umher – die Erinnerung schien ihm nach und nach wiederzukehren, denn als sein Blick den Platz streifte, an dem vorher der Abuna den Todesstreich erwartete, wurde sein Antlitz wieder finster – doch sagte er nichts. Der Abuna und seine Geistlichen hatten längst das Zelt verlassen.

Als der Negus den Löwen noch mit verbundenen Augen sah, lachte er. »Ha – Abraham! bei den heiligen Märtyrern, es ist gut, daß man dich gehindert, mein Blut zu sehen – du möchtest sonst nicht so geduldig gewesen sein. Nimm ihm die Binde ab, Freund Hakim, und empfange Dank dafür, daß du mir so schnell wieder geholfen. Die verteufelte Krankheit macht mir das Hirn wirr!« Er richtete sich mit dem Beistand der Krieger wieder empor, dehnte mit Ausnahme des verwundeten Armes die kräftigen Glieder und nickte den französischen Offizieren zu.

»Komm' her, Konsul, deine Freunde sollen sehen, daß der Negus Theodor Gerechtigkeit übt. Sage es auch der Frau, deren schwache Hand vorhin den Löwen von Habesch zu lähmen verstanden hat, denn es liegt mir an ihrer Meinung. Sie hat den Mut der Königin Myrina Die mythenhafte Königin der afrikanischen Amazonen, die Egypten und Arabien unterjocht haben und vom Herkules vertilgt worden sein sollen., von der die Legenden erzählen, daß sie am See Tritonis gewohnt hat und die Männer besiegte. Sie möge sehen, daß der Sohn des Königs Salomo auch jene Weisheit geerbt hat, die sich für einen großen König ziemt. – Hast du den Vertrag, den der Sultan von Frangistan mit dem treulosen Ras von Tigre und dem Naïb von Arkiko schloß, hier?«

»Ja, Hoheit!«

»So gib ihn her – fürchte nichts Schlimmes dafür!«

Der Konsul zog, nachdem er einen Blick der Frage und des Einverständnisses mit dem jüngeren Jesuiten gewechselt hatte, den Vertrag hervor und legte ihn auf den Tisch.

»Schreibe darunter in deiner und unserer Sprache, daß der Negus Negussi als Oberherr alles Gebietes die Bai von Adulis dem Sultan der Franken schenkt und den Untertanen des Sultans und den Priestern von Rom wieder gestattet, in seinem ganzen Gebiet sich niederzulassen und Handel zu treiben gegen das gewöhnliche Kopfgeld.«

Der Konsul entwarf hastig den Nachtrag auf dem Dokument und las ihn dem Negus vor.

»So – nun gib her, daß ich im Namen des Dreieinigen Gottes ihn unterzeichne. Zündet das Wachs an, daß ich mein königliches Siegel darauf setze.«

Er nahm die dargebotene Rohrfeder aus der Hand seines Schreibers und zeichnete den Schnörkel unter das Papier, der für seinen Namenszug galt. Dann ließ er seine beiden ersten Offiziere ihre Namen darunter malen und das Siegel des großen goldenen Ringes darauf drücken, den er am Daumen seiner linken Hand trug.

»Nehmt,« sagte er zu dem Kapitän – »und haltet Euer Versprechen, damit der Negus Negassi nicht Ursach' habe, Euch für schurkische Inglese zu halten und sein Vertrauen zu bereuen. Verkündet den Entschluß des Negus Negassi dem Volke und laßt uns den Abend feiern in Lust und Jubel, denn wer weiß, was der nächste bringt.«

Der Ausgang schien alle Teile gleich zu befriedigen, denn der Mord des Abuna, so offenbare Beweise seines Verrats gegen den Negus auch Vorlagen, hätte leicht sehr schlimme Folgen haben und einen großen Teil des Volkes zum Aufruhr reizen können. Nur wer den Negus genauer kannte und beobachtete, wie der deutsche Arzt, merkte an dem Zwinkern der Augenlider gegen seine Vertrautesten, daß noch nicht alles vorüber war.

Plötzlich ertönten zwei hell erdröhnende Schläge auf ein unsichtbares Gongh, das im Orient meist die Stelle der Glocken vertritt, und die hinteren Vorhänge des Zeltes rauschten auseinander.

Die Priesterschaft der halbwilden Völkerschaften von Habesch ist nicht minder schlau und gewandt, wenn es ihr Interesse gilt, als die der zivilisierten Christenheit!

Man sah, daß das Zelt des Negus fast unmittelbar vor dem Portal der hinter ihm liegenden, halb in den Felsen hineingebauten Kirche errichtet oder wenigstens mit diesem verbunden war. Die Pforten standen weit geöffnet, und man sah in das Innere der Kirche bis zu dem von Wachsfackeln erleuchteten Sanktuarium, in welchem der Altar in Form der alttestamentarischen Bundeslade stand. Vor dem Altar aber stand der Abuna, die Monstranz erhoben, und um ihn her die Komosars, die Weltgeistlichen, und die Abbas oder Schriftgelehrten nebst den Mönchen von der Kongregation des heiligen Antonius, die den Zug des Negus aus dem hohen Gebirgslande hierher begleitet, oder sich hier um den Abuna gesammelt hatten, während um sie her ihre Weiber und Kinder auf den Knien lagen, vor dem Oberpriester die beiden Frauen des Königs, Durenesch, das »weiße Gold«, die Tochter Ubie's, und die zweite Frau Tamena, die frühere Witwe eines Uedjochefs mit ihren Sklavinnen.

Der Abuna erhob die goldstrahlende, mit reichen Edelsteinen geschmückte Monstranz und rief: Agape! und die Priester wiederholten den bei den ersten Christen so willkommenen und später so verfehmten Aufruf, zu dem schon von dem Konzilium zu Laodicia (363) und zu Hippo (395) durch den heiligen Augustin so streng verbotenen, von den orientalischen Kirchen aber vielfach öffentlich oder im geheimen begangenen Liebesmahl. Und Männer und Weiber wiederholten den Ruf »Agape!! Agape!« während der Abuna die Monstranz erhoben, gefolgt von den Priestern und Weibern und zahlreichem Volke durch die Kirche und das Zelt schritt, mit dem heiligen Zeichen der Hostie alle Knie beugend, und dann hinaus durch die Gassen des Lagers, zwischen den Versen des Chorgesanges immer den Ruf zu dem Liebes- und Versöhnungsmahl wiederholend.

Knirschend hatte der Negus Knie und Haupt vor dem Allerheiligsten gebeugt, er wußte, daß er jetzt keine Macht hatte gegen den falschen, treulosen Priester und sich der heidnischen Sitte des Opfermahls fügen mußte. Nur der Löwe Abraham fühlte keinen Respekt, und mischte seine Stimme in grimmigem Gebrüll zu dem Chor der Gläubigen, als der Priester, den er vorhin bewacht, an ihm vorüberschritt. Der Negus aber preßte, als jener vorüber war, die schwarze Hand seines Feldherrn Fittorari: »Halte alles bereit, daß wir morgen früh aufbrechen können, gegen Cassa zu ziehen. Der falsche Priester wird der Boten mehr haben, als den, der den Römlingen in die Hände gefallen ist. Wehe ihm – der heutige Tag ist ihm nicht geschenkt!« – – – – – – – – – –


Es war kurz nach Sonnenuntergang, als im Zelte des Negus zwei Männer auf den Kissen sich gegenüber saßen, beide die Hukah rauchend, zwischen ihnen am Boden der Löwe. Niemand außer ihnen war in dem Zelt, nur zwei schwarze, nubische Sklaven mit blanken Schwertern bewaffnet, standen an den beiden Eingängen als Wachen.

Die beiden Männer waren der König und der angebliche fränkische Kaufmann von der chinesischen Küste, Monsieur Labrosse. Ihr Gespräch hatte schon einige Zeit gedauert, wobei sie sich der arabischen Sprache bedienten.

»Will der Negus Negassi den Rat eines Freundes hören?«

»Sprich!«

»Dieser Hakim ist ein Freund der Engländer, ich habe ihn in einem fernen Lande, in Indien, dessen Tyrannen die Inglese sind, getroffen, und weiß, daß er zu ihnen gehört. Wie ist er in dein Land gekommen?«

»Es lebt ein Franke bei uns, der helles Haar hat und die Bilder der Heiligen malt. Er sagt, er sei aus einem Lande weit über dem Meere, noch weiter als der Bluttrinker in Stambul wohnt, es soll den Brennibors gehören und Dessau heißen. Er hat den Hakim in Axum getroffen, wohin er mit einer Karawane gekommen und ihn mit nach Gondar gebracht. Du hast selbst gesehen, daß er ein geschickter Arzt ist, klüger als die Tölpel, die bei uns wohnen.«

»Das hindert nicht, daß er ein Spion der Engländer sein wird, wenn du ihn in deiner Nähe behältst. Du hast gesehen, das er mit dem Schatten von einem Manne gleich vertraut war, der vorgibt, ein Weiser zu sein, aber nur der Diener und Vertraute des vornehmen Inglese ist, den unser Schiff mit aus Indien brachte und der in Aden mit dem Gouverneur gesprochen hat.«

»Aber,« warf der Mohrenfürst mit Verstand ein, – »wenn die Franken an dieser Küste die Inglese verdrängen wollen, warum haben sie auf ihrem Schiff einen Feind mitgebracht?«

»Das Schiff hat erst später – ich glaube in Aden – die Bestimmung hierher erhalten, als dieser Lord längst an Bord war. Die Offiziere des Kaisers von Frankreich haben ihn hier ans Land gesetzt, weil sie eingesehen haben, daß er ein Aufpasser ist, und er will den Weg zu Lande nehmen, um den Sultan von Ägypten zum Kriege gegen Habesch zu reizen. In seinem Lande ist er ein vornehmer Mann, und wird dafür sorgen, daß die Inglese Schiffe und Soldaten gegen dich schicken.«

»Dann muß man sorgen, daß er nicht nach seinem Lande kommt,« sagte der Negus. »Ich werde ihm töten lassen!«

»Aber nicht hier – das würde nicht verschwiegen bleiben, und die Engländer in Aden würden dich zur Verantwortung ziehen. Ihre Hand ist lang. – Ich weiß, daß er vorgibt, einen Jagdzug quer durch die Wüste nach dem Nil unternehmen zu wollen. Sende deine Reiter ihm nach und laß' ihn unterwegs töten, ihn – und alle seine Begleiter! Er führt vieles Geld bei sich und die Männer werden reiche Beute finden.«

Der Negus sann einige Augenblicke nach. »Du hassest diesen Mann? warum tötest du ihn nicht selbst, wenn du, wie du sagst, ein Krieger gewesen bist?«

»Ich hasse ihn, wie ich alle Faringi hasse! Aber es ist jetzt nicht meine Sache, selbst die Hand zu sein, die tötet. Der Kopf wirkt mehr als die Hand. Laß' El Maresch die deine sein – er kennt ihn und wird leicht erfahren, wohin dieser Faringi seinen Weg richtet. Ein Franke wird ihn begleiten, der gern das Blut dieses Mannes trinken möchte!«

»Gut – es soll so sein, wie du sagst! Der Engländer soll sterben, wenn du dein Wort hältst mit jenem Mädchen, deren Anblick mein Herz bestrickt hat.«

»Sie soll noch diese Nacht deinen Frauen übergeben werden während des Festes, das ihr feiert. Mehr kann ich nicht tun.«

»Es ist genug! Morgen um diese Zeit wird sie schon weit sein auf dem Wege nach Gondar. Aber was werden ihre Freunde sagen?«

»Wir werden die Schuld auf den Faringi werfen, der sie entführt hat.«

Der Negus sah den Mann mit einem eigentümlichen Blick an. »Bei der heiligen Mariam, du verdientest ein Habesch zu sein. Wer bist du?«

»Ein Mann, den gleich dir diese schurkische Faringi betrogen und beraubt haben, der aber nicht so geduldig ist wie der Negus von Abessinien. Werden diese Sklaven uns nicht verraten? – sie haben Ohren!«

Der Negus lachte grimmig: »Aber keine Zunge! Warum trinkst du nicht von dem Araki, der hier steht? Es ist das einzige Gute, was von den Inglese kommt!« und er stürzte einen vollen Becher hinunter.

Der falsche Kaufmann zuckte geringschätzig die Achseln und erhob sich. »Ein Mann soll nicht Sklave des Weins und des Weibes sein, sagt der weise Lockmann. Was denkst du mit deinem Feinde dem Abuna zu tun?«

Der Mohrenfürst lachte grimmig. »Vielleicht findet sich diesen Abend bei dem Agape die günstige Gelegenheit, – sonst hat der Negus auf seiner Burg Magdala eine Felswand, von der hinab ein schlimmer Sprung ist! – Kommst du zu dem Mahle? Ich habe El Maresch in Euer Lager gesandt, die Franken dazu einzuladen. Die Sterne beginnen zu funkeln und die Priester und Frauen erwarten uns. Wenn das Kreuz am Himmel sich über die Berge erhebt, wird dein Auge mancherlei sehen.«

»Laß' deine Sklaven Wache halten – wenn der Augenblick günstig ist, müssen sie bereit sein. Lebe wohl, Negus von Habesch, und möge dein Fuß im Blut der falschen Faringi waten, wie es der meine getan hat!«

Er verließ das Zelt, in dem der Negus eine kurze Zeit sinnend allein blieb, in tiefem Nachdenken den Löwen in der schwarzen Mähne krauend. Dann schlug er an eine Glocke.

Einer der schwarzen Sklaven näherte sich sogleich und beugte das Knie.

»Rufe den Hakim zu mir,« befahl er. »Wenn El Maresch zurückkehrt, laß' ihn eintreten und melde den Frauen, daß sie mein Festkleid rüsten.«

Der Sklave verschwand und kehrte nach kurzer Zeit mit dem deutschen Arzt wieder. Dieser blieb vor dem Negus stehen. »Was befiehlt deine Hoheit?«

»Setze dich, Freund,« sagte der König. »Ich habe dich rufen lassen, um dir Dank zu sagen für das, was du heute getan hast. Nimm dies goldene Kreuz hier, und trage es zum Andenken an Theodor, den Negus Negassi.«

Er reichte ihm das schwere, mit edlen Steinen besetzte Kreuz von Goldfiligran, das er selbst am Halse getragen, aber der Arzt wies das wertvolle Geschenk mit einer energischen Geberde der Hand zurück. »Verzeihe, Hoheit,« sagte er fest, »was ich tue, ist meine Pflicht, und ich erhalte dafür meinen Sold von dir nach unserem Vertrage, als ich vor zwei Jahre in deine Dienste trat. Mehr gebührt mir nicht und erlaubt mir mein Gewissen nicht anzunehmen. Ich bitte dich, mir die Annahme dieses Schmuckes zu erlassen, den ich nicht tragen kann.«

Der Negus wies auf die Hand des Arztes. »Du bist eigensinnig, Freund Hakim,« sprach er mißmutig, – »ich weiß doch, daß du zwei Ringe trägst, deren jeder den Wert einer Stadt hat.«

Der Arzt hob die Hand und richtete das ernste Auge schwermütig auf die beiden Ringe, die er allerdings an einem der Finger trug, der eine zeigte einen schwarzen Diamanten von großem Wert, und von jenem geheimnisvollen Feuer, das selbst im Dunklen Strahlen zu werfen scheint, der andere war ein großer Rubin.

»Du irrst, Hoheit,« sagte der Arzt – »diese Ringe sind kein Schmuck, sondern Andenken an eine traurige Zeit und an zwei Frauen, die nicht mehr unter den Lebenden sind, die eine ausgezeichnet durch ihre Liebenswürdigkeit und ihr Unglück, die andere durch ihren Heldenmut und ihre Schönheit. Über beide hatte ein Teufel in Menschengestalt das Verderben gebracht, – ihnen zum Gedächtnis trage ich diese Ringe – nein, Hoheit, nimm dein Kreuz zurück, ich kann niemals einen anderen Schmuck tragen.«

Der König schien sehr wenig empfänglich für die melancholischen Erinnerungen seines Arztes. »Da du mein Kreuz nicht willst,« sagte er, »so werde ich deinen Sold verdoppeln, Wenn wir morgen nach Gondar zurückkehren. Du wirst mich doch begleiten? Du redetest heute mittag seltsame Worte zu mir, aber ich kann dich nicht entbehren – du und Abraham, ihr seid die einzigen Freunde, auf die ich volles Vertrauen setze.«

»Dennoch wirst du es müssen, Hoheit,« sagte der Arzt milde aber bestimmt. »Unser Kontrakt gehet morgen zu Ende, und ich kann dir nur wenig mehr nützen, da du meinem Rat als Arzt« – er wies auf den Kelch mit Araki, der neben dem Negus stand, »so wenig Gehör gibst. Du bist freundlich gewesen, Hoheit, gegen einen Fremdling und ich danke dir dafür – nimm als Gegengabe den letzten Rat eines Mannes, der es wohl meint und weiß, daß hohe und gute Eigenschaften in dir wohnen.«

»Sprich!«

»Negus Negassi, hüte dich, den Leidenschaften, die deinen klaren Sinn umdüstern, die Zügel zu lassen, ihr Übermaß würde den Ruf deiner Tapferkeit und Großmut, der dich mit Recht schmückt, verdunkeln und dich ins Verderben stürzen. Du hast drei schlimme Feinde zu bekämpfen!«

»Ha – Du meinst den Cassa, den treulosen Priester und die falschen Inglese!«

»Nein, Hoheit – gegen diese schützt dich dein Mut und die Mauer deiner Berge. Schlimmer als diese sind Zorn, der Araki und die Frauen.«

Der Mohrenfürst versank in Nachdenken, den Kopf in die Hand gestützt Er hatte Verstand genug, einzusehen, daß der Arzt die Wahrheit sprach und besaß in der Tat für die Erziehung, die er genossen und die wilden Sitten seines Volkes mancherlei Eigenschaften, die ihn wohl befähigt hätten, ein Regenerator seines Landes zu sein. Er sah die Vorzüge europäischer Kultur ein und bemühte sich, manche Ergebnisse derselben in sein Land zu ziehen. Daher seine Unterstützung der europäischen Missionäre und Kaufleute. Aber sein angeborenes Mißvertrauen und die Intrigen derselben gegen einander warfen ihn bald der römischen, bald der englischen Partei in die Arme und machten ihn, wie die Folge zeigte, selbst gegen unschuldige und friedliche Europäer tyrannisch. Er war tapfer und mutig, wie er vielfach in den steten Kämpfen mit den wilden Gallas und den ehrgeizigen, nach voller Unabhängigkeit strebenden Statthaltern und Fürsten einzelner abessinischen Länder bewies, aber die Lehren seines Christentums waren nicht mächtig genug, ihm eine wirkliche Humanität einzuprägen, und die Unmäßigkeit im Genuß geistiger Getränke, namentlich des Rum und Araki trieben ihn häufig zu wahren Delirien von Zorn und Blutdurst, in denen er die nutzlosesten Grausamkeiten beging. Eine der furchtbarsten Taten ist jene bei einem solchen Wutausbruch erfolgte Ermordung von 200 Gefangenen, die er bei dem Anrücken der Engländer gegen Magdala unter Sir Robert Napier im Frühjahr 1868 am Morgen des Karfreitag von einer Felsenwand in den Abgrund stürzen ließ, wobei man die wenigen Überlebenden von der Höhe des Felsens totschoß.

Dagegen hätte der Mut, mit welchem der König nach der Freigebung der europäischen Gefangenen und nachdem seine ganze Armee ihn verlassen oder sich zerstreut hatte, die Übergabe und Gefangenschaft verweigerte und mit sieben seiner Offiziere und neun Soldaten, die allein treu geblieben waren, das Tor von Magdala stundenlang gegen die ganze englische Armee mit ihren Armstrongs und Elefanten, ihren Raketenbatterien und Regimentern aus Hindostan und Europa verteidigte, ein besseres Schicksal verdient. Nachdem sieben seiner Gefährten um ihn gefallen und die Engländer über die Mauern in die verlassene Festung gestiegen waren, tötete der christliche Mohrenfürst sich selbst durch einen Pistolenschuß in den Mund, um nicht in die Hände seiner Feinde zu fallen. – – – Ein billiger Sieg! – –

Der König erhob das Haupt: »Freund Hakim,« sagte er – »ich weiß, daß du es gut meinst, und darum will der Negus deine schlimmen Worte nicht gehört haben. Bleibe hier, und ich will dir eines meiner eigenen Weiber zur Frau geben und dich reich machen und gegen alle Feinde schützen.«

»König von Habesch,« erwiderte kopfschüttelnd der Arzt, »auch du meinst es gut und ich danke dir. Aber nie mehr werde ich ein Weib lieben. – Laß' uns in Frieden scheiden.«

»Und was willst du tun, wohin willst du gehen?« fragte mit neu erwachendem Mißtrauen der König.

»Ich sehne mich, nach all dem Jammer und Blut, die ich gesehen, die friedlichen Täler meiner Heimat im weit entfernten Thüringer Land noch einmal zu schauen. Die Sehnsucht ist überwältigend in mein Herz gekommen, als ich heute in deinem Zelt einen Landsmann traf, der einst zu meinen Lehrern gehörte, obschon er sich meiner wohl nicht mehr erinnert. – Er hat sich einem vornehmen Engländer angeschlossen, der mit dem französischen Schiff aus China gekommen ist und von hier durch die Wüste den Nil erreichen will, um über die Katerakten nach Kairo zu gehen. Ihnen will ich mich anschließen, um in mein Vaterland zurückzukehren, wenn Gott es nicht anders bestimmt hat.«

»Also zu einem Engländer, einem Feind willst du gehen?«

»Der Lord ist ein bloßer Reisender und hat nichts mit den politischen Kämpfen zu tun. Der Arzt, Hoheit, frägt nicht nach den Parteien und Nationen, er kennt nur den Menschen!«

Der Negus blickte finster auf ihn. »Noch eins! Kennst du den fremden Kaufmann, der mit den fränkischen Offizieren gekommen ist und vor seinen Augen dunkle Gläser trägt?«

»Ich kenne ihn nicht – nur seine Stimme erweckte in mir eine unangenehme Erinnerung!«

»Hüte dich vor ihm, er scheint dir feindlich gesinnt. – Dies sage ich dir, obschon du ein Undankbarer bist! – Geh – und gedenke des Negus Theodor!«

Er winkte ihm seine Entlassung und der Arzt wagte nicht, noch einen Versuch zu machen, ihn zu versöhnen. Er machte stumm seinen Gruß und wandte sich zum Ausgang des Zeltes. Mit einem merkwürdigen Instinkt, als wisse er, daß ein Freund scheide, begleitete ihn der Löwe Abraham bis dahin und rieb den gewaltigen Kopf an seinem Knie.

Der Arzt legte wie zum Abschied die Hand auf den Kopf des grimmen ihm so freundlich gesonnenen Tiers, dann ging er.

Die Frauen des Negus traten ein von mehreren Sklavinnen begleitet, die kostbare weibische Gewänder, Schmucksachen und Essenzen trugen und eine große Wanne mit wohlriechendem Wasser hereinschoben. Auf den Wink des Königs entfernten sich die beiden wachhaltenden Stummen und gesellten sich zu der Leibwache des Königs, die vor dem Zelt um ein mächtiges Feuer von Kolkol- und Zedernholz versammelt war.

Die Frauen schlossen den Eingang des Zeltes mit schweren Teppichen, nahten sich dann dem Negus mit allerlei Ehrfurchtsbezeugungen und begannen ihn zu entkleiden. – – – – – – – – – – –

Zu dem Lager der Franzosen von der Amba Ambas nennt man die steil aufsteigenden Sandstein-Terrassen, aus denen mit Hochebenen und tiefen Schluchten der größte Teil des Landes besteht., auf welcher sich das Lager des Negus befand, niedersteigend, traf der Kaufmann Labrosse, wie er erwartet hatte, auf den Kronoffizier mit seinem Gefolge.

El Maresch stieg sogleich auf ein Zeichen von seinem Pferde, winkte seinem Begleiter zurückzubleiben und führte den Fremden nach einem nahegelegenen Gebüsch von Tamarinden und wilden Feigenbäumen, wo beide auf dem Erdboden niederkauerten.

»Der Gebieter des grünen Steins,« sagte der Abessinier mit einer gewissen Scheu – »befiehlt mir zuweilen. Habe ich seinen Wunsch nicht erfüllt, ihm eine Unterredung mit dem Negus zu verschaffen, oder ist er nicht zufrieden mit dem Ausgang derselben?«

»Ich bin zufrieden mit dir. Der Negus wird dir Befehle geben, wenn du zu ihm kommst, doch habe ich noch einiges mit dir zu reden.«

»Ich höre!«

»Im Namen der Dunkeläugigen, du hast zu hören und zu gehorchen. Kannst du einen vertrauten Mann nach Arkiko senden, um die Schritte dieses Engländers zu belauschen? Es sind zwei meiner Diener bei ihm, aber sie dürfen nicht sein Mißtrauen erregen. Auch müssen sie sein Schicksal teilen.«

»Wir haben in Arkiko Jünger des Bundes. Es wird ein leichtes sein, jeden Schritt, den er tut, zu erspähen.«

»Sorge dafür. Er will den Zug durch die Wüste machen nach dem Nil mit dem alten Toren, der an den Knochen der Tiere die Schöpfung Brahmas ergründen will. Welchen Weg kann er nehmen?«

El Maresch dachte einige Augenblicke nach. »Er kann deren drei wählen. Der eine geht an dem Gebiete von Tigre am Tacatze entlang nach dem Sennar, er ist der kürzeste, aber der Beschwerden und Gefahren voll. – Der andere führt durch das Betcum über den Mareb nach dem egyptischen Gebiet und Chartum, er ist die Straße der Karawanen.«

»Und der Dritte?«

»Es ist der Weg durch die nubische Wüste. Der Bluttrinker in Stambul und der Khedive von Kairo streiten sich um das Land, wo nur die Beduinen und der Alte vom Berge wohnen.«

»Wer ist dies?«

»Der Assassinenfürst – der Herr der Söhne Ismaels diesseits des Meeres.«

»So gehört er unserem Bunde! Du kennst ihn?«

»Wenige können sich rühmen sein Angesicht gesehen zu haben. Er haust auf seiner unzugänglichen Felsenburg im Djabel Langay am Rande der Budja, und seine Reiter durchstreifen die Wüste diesseits und jenseits des Gebirges und plündern die Karawanen, die vom Nil kommen nach der Küste des Meeres.«

»Es ist gut. Wir werden sehen. Der Negus befiehlt, daß du mit einer auserlesenen Reiterschar dem Inglese folgst wie sein Schatten und ihn in der Wüste überfällst und tötest, ihn und alle seine Begleiter. Eine reiche Beute wird deine Krieger lohnen. Verstehe mich wohl – ich will, daß er sterbe, er und alle, die mit ihm sind!«

»Sie werden sterben!«

»Ich habe noch anderes von dir zu verlangen. Es sind zwei Weiber bei den Franken.«

»Ich habe sie gesehen. Sie gehen unverschleiert.«

»Du hast bemerkt, wo ihr Zelt steht, in dem sie die Nacht zubringen werden?«

»Es steht an dem Rande des Lagers, abgesondert von den anderen.«

»Gut. Der Negus will die eine von ihnen, die Herrin, zu seinem Weibe machen; ich habe sie ihm versprochen.«

»Bei dem Kreuz von Jerusalem, die Tamena kratzt ihm die Augen aus und rauft ihm den Bart. Sie ist schlimm in solchen Dingen.«

»Was kümmert das uns. Das Mädchen ist wie eine wilde Katze und besser in euren schwarzen Bergen aufgehoben, als daß sie uns weiter begleite, obschon sie das Herz eines Kriegers hat und den Verstand eines Teufels.«

»Wie soll es geschehen?«

»Sorge dafür, daß der Negus den Franken Lebensmittel und starken Tetsch Tetsch: Honigwein, ein leicht berauschendes, beliebtes Getränk der Eingebornen. in Menge schickt, damit sie ihre Vernunft ertränken. Sende vier Söhne des Bundes, die gewandt und listig sind wie die Schlangen, in die Nähe des Zeltes. Wenn sie dreimal das Zischen der Viper hören, ist es Zeit, daß sie ihr Werk beginnen. Sie mögen das Zelttuch öffnen und das Mädchen, das im tiefen Schlaf liegen wird, aus dem Zelte holen und über die Ebene in das Zelt des Negus tragen, ohne daß sie eine Spur hinterlassen, so wenig wie der Vogel, der die Luft durchsegelt. Das weitere kümmere uns nicht.«

»Aber es ist ein zweites Weib im Zelt?«

»Ihr findet sie in gleichem Schlaf. Die Vernichtung der Dunkeläugigen über sie – sie muß sterben. Man hat mir gesagt, daß die Hyänen und die Schakals des Nachts die Gegend durchstreifen?«

Der Mohr wies nach einer fernen Felswand in der Richtung der Stadt. »Es sind wüste Trümmer dort – sie nisten in jenen Steinen.«

»Desto besser – bringt sie dahin und werft sie den Bestien zum Fraß, die falsche Verräterin. Wenn sie am Morgen die Verschwundenen suchen, werden sie glauben, die Neugier habe die Weiber hinausgetrieben, das Fest der deinen anzusehen, und die Tiere der Wüste hätten sie zerrissen.«

Der Kronoffizier nickte Beifall. »Es ist gut so! – Hast du noch weiteres deinem Sklaven zu befehlen?«

»Du überbrachtest die Einladung des Negus an die Franken, an dem Mahl teilzunehmen. Werden sie kommen?«

»Die schwarzen Priester widerrieten es. Der Häuptling wird im Lager bleiben, aber er kann es nicht hindern, daß die Offiziere dahin gehen. Ihre Krieger sollen in deren Begleitung wechseln.«

»Es mag gut sein. Geh' also und ordne unser Werk. Wir sehen uns wieder. – – – – – – – – – – – – – –«

Hamed ben David, der Falascha, hatte den Professor Peterlein im Lager in Gesellschaft des deutschen Arztes angetroffen, der von den Zelten des Negus heruntergekommen war, um seinen Landsmann aufzusuchen. Durch seine Vermittelung hatte der Arzt die Bekanntschaft Lord Walpoles gemacht, der ihm vorschlug, sich seiner Reisegesellschaft anzuschließen. Die Erwerbung eines solchen Gefährten, welcher der Landessprache mächtig und mit den Gebräuchen des Landes wenigstens im allgemeinen vertraut war, konnte natürlich nur als Gewinn betrachtet und willkommen sein, und man besprach daher gleich die nötigen Anstalten, die zu treffen waren. Der Arzt besaß ein schönes Berberroß, die nötigen Waffen und Instrumente, so daß seine weitere Ausrüstung höchstens einige Stunden erforderte.

Während sie um das Feuer saßen und die Soldaten mit der Zurichtung des Abendbrotes beschäftigt waren, überbrachten die Diener des Negus mehrere Schläuche Wein, zwei Hammel und ein junges Rind als Geschenk ihres Gebieters und wiederholten die Einladung, an dem Gastmahl teilzunehmen. Was der Arzt von der Feier dieser Orgien erzählte, war freilich nicht geeignet, die jüngeren Offiziere davon fernzuhalten, wie sehr auch die Jesuiten dagegen eiferten; um möglichst die Gefahr zu verringern, mußte sich Kapitän Ducasse entschließen, den beiden ihm nicht untergebenen Offizieren eine Schutzwache mitzugeben.

Um diese Zeit war es, als der Falascha die Karte des Lords an seinen alten Lehrer und Freund überbrachte.

Professor Peterlein war sogleich bereit, sich zu dem Rendezvous zu begeben, und der Arzt erbot sich, ihn zu begleiten.

Aber auch Graf Boulbon wollte den liebgewonnenen Reisegefährten begrüßen, und schlug vor, daß sie bei dem Besuch des abessinischen Lagers den kurzen Umweg über die Stelle nehmen sollten, welche der Falascha als den Platz bezeichnete, an dem der Lord seinen älteren Freund erwarten wollte. Vergeblich suchte Thérouvigne das zu hintertreiben, er mußte sich schließlich fügen und die ganze Gesellschaft brach auf, begleitet von sechs wohlbewaffneten Matrosen des Veloce unter dem Kommando des jungen Seekadetten, der die Offiziere in dem Hafen von Aden erwartet hatte, nicht ohne daß Kapitän Ducasse ihnen die strengsten Ermahnungen und Warnungen gab, sich nicht zu lange bei dem Mahle des Negus und seiner Krieger aufzuhalten, und möglichste Vorsicht und Zurückhaltung zu beobachten.

Die Fürstin Wera begleitet ihren alten Verehrer bis über den äußersten Lichtkreis der Lagerstätte, und indem sie erklärte, daß sie, ermüdet von den Eindrücken des Tages, bald ihr Zelt und ihr Lager aufsuchen würde, beauftragte sie ihn mit freundlichen Grüßen an seinen Zögling.

Als die kleine Gesellschaft durch das Dunkel schritt, kam ihr von der Richtung des Lagers her eine dunkle Gestalt entgegen, welche die Offiziere alsbald als ihren Reisebegleiter, den Kaufmann Labrosse erkannten.

Die beiden französischen Offiziere verweilten einige Augenblicke bei ihm, um zu fragen, ob er sie nicht zum nächtlichen Feste begleiten wolle, aber der Kaufmann entschuldigte sich mit Ermüdung und ging nach den Zelten.

Thérouvigne ging ihm einige Schritte nach und hielt ihn zurück.

»Monsieur Labrosse,« sagte er – »Sie haben mich getäuscht. Lord Walpole hat sich getrennt von uns, und ich werde nicht mehr Gelegenheit haben, die Beleidigungen, die er mir angetan in seinem Blute abzuwaschen, denn es ist sehr zweifelhaft, ob wir ihn in Paris wiedersehen werden.«

»Fürchten Sie nichts, Monsieur de Thérouvigne,« entgegnete der Fremde. – »Sie sollen die Gelegenheit haben, wenn Sie dieselbe benutzen wollen.«

Damit schied er.

Der deutsche Arzt hatte vorhin bei der ablehnenden Antwort des Fremden dasselbe Erbeben seiner Nerven gefühlt, wie am Nachmittag, als er zuerst diese Stimme hörte, ohne sich von der Ursache Rechenschaft geben zu können. Auch jetzt hatte er keine Gelegenheit, weiter darüber nachzudenken, da ihn seine Begleiter fortzogen.

Die Matrosen hatten Fackeln angesteckt, und so erreichte die Gesellschaft bald ohne weiteres Abenteuer die untere Amba, an deren Steinwand die Ruinen des alten Kirchengemäuers ihre dunklen Schatten warfen.

Aber nirgends war eine Spur von der Person des jungen Viscount zu sehen, und der Ruf seines Namens weckte nur das Echo der Felsen oder wurde von dem fernen, wilden Jauchzen beantwortet, das von dem Lager der Abessinier herab drang.

Lord Frederik Walpole war verschwunden.

Der abergläubische Falascha sah sich ängstlich um. »Ich habe ihn gewarnt,« meinte er bestürzt, »und ihm gesagt, daß die bösen Geister in diesen Trümmern umgehen, aber er wollte nicht hören. Die Diener des Scheitan und Beelzebub werden ihm den Hals umgedreht haben.«

»Unsinn, Mann,« rief der Professor, »es gibt weder einen Scheitan noch einen Beelzebub, und Sr. Herrlichkeit, mein Freund und Schüler ist nicht der Mann, sich vor einem arabischen Gespenste zu fürchten oder gar den Hals umdrehen zu lassen, ohne sich zur Wehr zu setzen; und davon hätten wir sicher gehört, da er, wie du selbst sagst, seine Flinte bei sich hatte. Er ist vielleicht weitergegangen und hat sich verirrt, oder hat eine Ursach' gefunden, nach Arkiko zurückzugehen.«

»Jedenfalls,« erklärte der Arzt, »ist es unsere Pflicht, uns davon zu überzeugen. Sollte er bis an das Lager des Negus gegangen sein, so muß er auf die Wachen stoßen, aber ich fürchte nicht, daß sie es wagen würden, einen Europäer zu beleidigen. Außerdem befinden sich seine Reisegefährten, die französischen Offiziere bereits dort. Ich sollte meinen, wir sehen, ob er nach der Stadt zurückgekehrt ist. Es ist jetzt mondhell und der Weg kaum zu verfehlen, da man von dieser Höhe sie klar sieht!«

Der Professor hätte sich gern die Haare gerauft, wenn er nur deren genug gehabt hätte. Der kleine Mann, der sich sonst schwerlich in dem wilden Lande bei Nacht fünfzig Schritt aus dem Umkreis der französischen Posten gewagt hätte, erbot sich, jetzt allein dahin zurückzukehren, um zu sehen, ob sein geliebter Zögling vielleicht auf anderem Wege dahingekommen sei, oder Beistand zu holen, um ihn aufzusuchen; aber der Arzt machte ihn darauf aufmerksam, daß sie dem Vermißten ganz sicher dann begegnet wären und er wenigstens ihr Rufen gehört haben würde, und da sich der kleine Gelehrte ohnehin erinnerte, daß Lord Walpole gewöhnt war, allein umherzuschweifen, ohne auf die Besorgnis seiner Freunde Rücksicht zu nehmen, so willigte er ein, zunächst den Falascha nach Arkiko zurück zu begleiten und dort zu hören, ob der Lord wieder zurückgekehrt sei, oder welche Befehle er überhaupt den beiden Amerikanern für die Zeit seiner Abwesenheit hinterlassen habe, eine Sache, über die der Falascha keine genügende Auskunft geben konnte.

So machte sich denn im Mondschein die kleine Gesellschaft auf den Weg zurück zum Strande, um in der Stadt nachzufragen.

Aber die Erreichung ihres Zweckes verzögerte sich länger, als sie gedacht. Die Wache am Tor hatte während der Abwesenheit des Falascha gewechselt, kannte ihn nicht und konnte keine Auskunft geben, ob Lord Walpole wieder in die Stadt zurückgekehrt sei. Es waren mehrere Europäer aus dem Lager des Negus im Schutz der Dunkelheit gekommen, um sich den englischen Missionären anzuschließen, und obschon die Nachricht sich rasch verbreitet hatte, daß keine Feindseligkeiten mehr von den Abessiniern gegen die Stadt zu besorgen wären, da er dem Traktat der Abtretung der Bai seine Zustimmung gegeben hatte, wurden doch die Tore streng bewacht und nach dem Abendrufe des Muezzim von den Minarets der Eintritt in die Stadt nur auf besondere Erlaubnis des Naib oder seiner höheren Beamten gestattet.

Ehe diese eingeholt war, vergingen bei dem gewöhnlichen orientalischen Phlegma Stunden, und die Nacht war bereits weit vorgeschritten, ehe es dem Falascha und seinen Begleitern gelang, Einlaß zu erhalten und die Karawanserei zu erreichen, in welcher die beiden Amerikaner zurückgeblieben waren.

In der Mitte des weiten Hofes brannte ein mächtiges Feuer, um das sich eine Menge Kameltreiber, fremde Kaufleute, Eselführer und Reisende gesammelt hatten, auf den Steinplatten lagernd, teils mit Gesprächen und Erzählungen des ereignisreichen Tages beschäftigt, teils auf die Sättel ihrer Tiere und die Ballen ihrer Waren das müde Haupt gestützt, in ihren Haik gehüllt, den Schlaf genießend. Rings umher an den Pfeilern der Arkaden lagerten die Kamele, die Maultiere, Esel und Pferde in langen Reihen, zwischen ihnen die schwarzen Sklaven, zum Teil in ihrer Intelligenz nur wenig über den Tieren stehend, da sie meistens den Dokos und anderen ganz wilden Negerstämmen angehörten.

Die beiden amerikanischen Jäger saßen jetzt, nachdem einige von ihrem neuen Gebieter angekaufte Tiere unter ihrer Aufsicht besorgt waren, an dem Feuer, ihre Schibuks rauchend und mit einem alten arabischen Scheik sich unterhaltend, der einige Worte Englisch und Französisch verstand. Der Verkehr im Orient ist überhaupt durch die sogenannte von keiner Erlernung abhängige lingua franca ein weit leichterer, als zwischen Völkern verschiedener Sprachen im schwerfälligeren Norden.

Der Scheik war ein Mann etwa in der Mitte der Fünfziger, mit ernstem von graumelierten Bart umrahmten Antlitz. Er hatte drei Tage vorher eine Karawane mit seinen Reitern als Schutzgarde durch die Wüste nach Arkiko gebracht, und wollte schon am selben Morgen wieder aufbrechen, als die Erkrankung eines seiner Begleiter ihn zwang, noch zu verweilen.

Der Kranke war ein Knabe von etwa zehn Jahren. Er lag in eine wollene Decke gehüllt auf einem alten Teppich neben seinem Oheim, offenbar in glühender Fieberhitze, und der alte Mann sah oft in den Pausen, wenn er das Bernsteinmundstück seines Schibuk aus dem Munde nahm, auf ihn nieder.

Aber noch ein anderer Freund wachte neben dem jungen Kranken.

Es war das ein arabisches Pferd von ausgezeichneter Rasse; es hatte das kluge Gazellenauge, den kurzen Bau, den schwanenartig geschweiften Hals mit der langen, seidenweichen Mähne und die langen Fesseln, welche die Kennzeichen der edlen Rasse sind. Das schöne Tier hatte sich von seinen Gefährten am Ende des Hofes getrennt und war, als hätte es Menschenverstand, zu seinem jungen Herrn gekommen, zu dem es den kleinen, zierlichen Kopf niederbeugte, ihm mit der Zunge die fieberheiße Stirn leckend.

Nicht ohne Teilnahme sahen die beiden amerikanischen Jäger auf die Szene. Lord Walpole hatte am Nachmittag bereits mit dem Scheich um ein Paar seiner Pferde gehandelt, auch eines gekauft, den Schimmel aber, dessen Trefflichkeit der Engländer sehr wohl zu würdigen verstand, hatte der Beduine, trotz des hohen Gebotes, sich geweigert, zu verkaufen, unter dem Vorgeben, daß es nicht sein Eigentum, sondern das des kranken Knaben, seines Neffen sei, und daß dieser eher das Leben lassen, als sich von dem Pferde trennen würde, das ihm sein Vater hinterlassen, der es geritten hatte, als er bei einem der häufig zwischen den Stämmen vorkommenden Scharmützel in der Wüste getötet worden war.

»Der arme Junge dauert mich,« sagte der riesenhafte Jäger, die Pfeife ausklopfend. »Diese arabischen Ärzte sind Narren, wenn sie glauben, mit dem Umhängen eines alten Fetzen Papiers aus ihrem Koran ein hitziges Fieber heilen zu können, das bei dem Jungen offenbar im Anzuge ist. Wenn wir an den Ufern des Del Norte oder sonst irgendwo in unserem alten Felsgebirge wären, könnte ich ihm leicht Kräuter suchen, die sein Blut beruhigen würden. Aber hier in diesem von Gott gezeichneten Lande wächst kaum eine Palme oder eine verschrumpfte Tamarinde aus dem Sande, vielweniger ein vernünftiges Heilkraut. Caramba – jedes Unglück hat übrigens noch sein Gutes. Wenn der Junge stirbt, wird das alte Ledergesicht neben uns sich nicht länger weigern, Mylord den Schimmel zu verkaufen, der zwar recht nett, aber doch viel zu gebrechlich aussieht, als daß ich ihm meine Knochen anvertrauen möchte.«

Sein klügerer Gefährte klopfte ihn lächelnd auf die Schultern. »Du vergißt, Kamerad, daß die Medizinmänner der Apachen und Comanchen in unserer Heimat auch ihre Fetische den Kranken aufhängen. Du solltest einen fränkischen Arzt zu Rate ziehen, Freund, es wäre Schade, wenn der Junge stürbe.«

»Gott ist groß,« murmelte der Scheich – »was kann ich tun? Es ist kein Frankenarzt in der Stadt zu finden und der jüdische Hakim ist nach Massauah entwichen. Wenn es das Kismet Abdul Bekr's ist, daß der Knabe sterben soll, so wird sein Zelt von dem Geschrei der Weiber gefüllt sein.«

»Lebt seine Mutter?«

»Murad hat weder Mutter noch Vater mehr. Wenn Said Pascha wüßte, daß Azraël, der Engel des Todes, an seiner Seite stände, würde er gern tausend Goldstücke dem Boten geben.«

»Ist das nicht der Name des Sultans von Ägypten?«

»Du sagst es.«

»Was hat der Sultan von Ägypten denn mit dem armen Knaben zu schaffen?«

»Du bist ein Fremdling, ich kann es dir sagen. Murad ist der letzte Sprosse der Meliden, wenn ihn auch der Stamm der Djebel-Abu-Bianah seinen Sohn nennt. Der Khedive zittert auf seinem Thron, wenn er den Namen seiner Väter hört.«

Der kranke Knabe wälzte sich unruhig auf seinem Lager und wiederholte den Namen »Zaïde«.

»Was bedeutet das Wort?«

»Es ist der Name seiner Gespielin unter den schwarzen Zelten in der Wüste. Allah hatte mir zwei Töchter gegeben, aber keinen Sohn. Was soll ich sagen? Es sind die Kinder meiner Töchter und sie lieben sich, wie die Tauben, die auf dem Baume girren. Ich wünschte, ich hätte ihn nimmer seine Stute besteigen lassen, um mich durch die Wüste zu begleiten.«

»Gib die Hoffnung nicht auf, ein junges Blut erholt sich leicht. Ich sah einst drüben jenseits des großen Wassers in den Prärien am Colorado einen Comanchen, der drei Apachenpfeile im Leibe hatte, und dem die blutigen Hunde die Kopfhaut genommen, und ein Jahr später erschlug derselbe Mann den Krieger, der seinen eigenen früheren Haarschmuck am Gürtel trug.«

Der Scheck hatte aufmerksam zugehört, ohne ihn recht zu verstehen. »Allah kerim,« sagte er, – »was bestimmt ist, wird geschehen. Seine Amme war eine weiße Sklavin, deren Stimme klang wie das Lied der Burubul. Er hat ihre Sprache mit der Milch gesogen, aber auch krankes Blut. Dein Effendi kehrt noch immer nicht zurück.«

»Er ist wohl bei den Freunden geblieben, die mit uns auf dem Schiff gekommen sind. Es wird Zeit sein, sich niederzulegen, um noch einige Stunden Schlaf zu genießen, ehe die Sonne aufgeht.«

Der Scheik nickte ihnen beistimmend zu, als die beiden Jäger ihre Anstalten zum Nachtlager trafen. Er selbst zog es vor, die Nacht bei seinem kranken Enkel zu wachen, dessen Zustand ihm größere Besorgnis einflößte, als seine Manneswürde zu zeigen gestattete. Ehe sich jedoch die Amerikaner in ihre Decken hüllen und niederlegen konnten, erschien der Falascha mit seinen beiden Gefährten im Tor der Karawanserei.

»Der Gott der Beschnittenen und Unbeschnittenen sei mit euch!« rief er. »Ich bin erfreut, euch der Ruhe pflegen zu sehen; wann ist der englische Bey zurückgekehrt?«

Die beiden Jäger sprangen sogleich auf. »Lord Walpole? kommt er nicht mit dir, Jude?«

»Bei dem Gott meiner Väter, dann ist ein Unglück geschehen. Der Inglese Bey ist nicht bei mir – wir kommen ihn hier zu suchen.«

Der große Kanadier faßte den Mann und schüttelte ihn, als wäre er ein Strohhalm. »Hund von einem Juden, ich zermalme dir die Knochen zu Staub, wenn Mylord ein Unheil geschehen! rede, wo hast du ihn gelassen?«

Sein ruhigerer Geführte befreite den Juden aus seiner unbarmherzigen Faust. »Du siehst, Kamerad, daß der Mann, der die Knochen sammelt und die alten Steine, und der der beste Freund unseres gegenwärtigen Herrn ist, bei dem Juden sich befindet. Laß ihn erzählen, wie es gekommen.«

»Verehrungswürdige Venatores,« sagte der Professor mit kläglicher Stimme – »wir sind erschrocken, meinen geliebten Zögling nicht unter eurem Schutz zu sehen. Dieser Mann, angeblich ein Falascha – also jüdischer Abstammung, überbrachte mir vor länger als drei Stunden in dem Lager unserer französischen Freunde, wohin ich mich zurückgezogen, um mich von einem gewissen Schrecken zu erholen, eine Karte meines geehrten Zöglings mit der Aufforderung, ihn an einem Orte aufzusuchen und zu sprechen, zu dem besagter Falascha mich führen würde. Obschon ich nun gerade in einer höchst wichtigen und interessanten Disputation mit einem neugewonnenen Bekannten und Reisebegleiter begriffen war, der in der Tat ein in Scientis wohl erfahrener Mann zu sein scheint, – aber – wo ist Doktor Walding, unser Freund, geblieben? – Ah, da ist er, und scheint bereits begriffen, in unserer Kontroverse über die Schädelbildung der semitischen Abstammung durch den Sinn des Betastens sich von der Richtigkeit meiner Behauptung zu überzeugen.«

Der Mann, auf den er deutete, war der deutsche Arzt des Negus, und eben beschäftigt, den kranken Knaben zu untersuchen. Er war mit dem Falascha und dem Professor in den Hof der Karawanserei getreten, doch im Eingang einige Schritte zurückgeblieben, um die Gruppen im Hofe zu mustern. Zufällig standen die beiden Jäger mit dem Rücken gegen ihn gekehrt, nur durch ihren dunklen Schatten sich auf dem Lichtkreis abzeichnend, als er näher trat, und sein Blick und seine Aufmerksamkeit wandten sich sogleich dem kranken Knaben zu, der in seinen Fieberphantasien sich umherwälzte. Der Arzt, ohne sich um die Umgebung zu kümmern, schob sogleich das Pferd zur Seite und kniete neben dem Knaben nieder, die Hand auf seine pochende Schläfe legend und seinen Puls fühlend.

Dann hob er den Kopf und befahl mit kurzem, bestimmtem Ton: »Bringt schnell eine Schüssel mit Wasser herbei!«

Jetzt erst fiel der Schein des Feuers voll auf sein ernstes Gesicht und er sah die beiden Jäger im vollen Licht.

Ein jäher Schreck durchzuckte blitzähnlich den Arzt, er ließ den Arm des kranken Knaben sinken, sprang auf und streckte, wie abwehrend, die beiden Hände gegen die Amerikaner – die Farbe seines Gesichts war leichenhaft, die Augen waren mit Furcht und Entsetzen auf die beiden Männer geheftet.

» RalphAdlerblick

Aber auch die beiden mußten ihn erkannt haben, denn wie aus einem Munde ertönte der Ruf: »Doktor Clifford! Doktor Clifford!« und sie eilten auf ihn zu und ergriffen, trotz seines Widerstrebens, seine Hände und preßten sie mit dem Ausdruck aufrichtiger Freude und Anhänglichkeit.

Doktor Walding oder Clifford, wie er unter den Engländern in Indien Nena Sahib, III. Teil. genannt worden, riß seine Hände los aus den schwieligen der Jäger. »Ralph – Adlerblick! – Wie kommt ihr hierher, Männer – und – er – – –

»Still Doktor,« sagte der jüngere Trapper ernst – »nennen Sie keinen Namen. Wenn wir auch jetzt dem Engländer unsere Dienste gelobt haben, gehört die Pflicht der Dankbarkeit und Vorsicht doch dem, der uns einst ein gütiger Gebieter war und jetzt ein Flüchtling ist, verfehmt auf der Erde, wo er einst Herr war!«

»Und hat er das Schlimmste nicht tausendmal verdient – müßte der Boden sich nicht öffnen bei seinem Schritt, ihn in die tiefsten Tiefen der Hölle zu verschlingen?« rief der sonst so ruhige, stille Mann in leidenschaftlicher Erregung.

Der frühere Bärenjäger schüttelte das Haupt. »Doktor,« sagte er unmutig, – »ich bin zwar nur ein unwissender Mann und seit meinen Knabenjahren wenig in die Kirche gekommen, kann auch, zu meiner Schande sei es gesagt, das heilige Buch unseres Glaubens nicht einmal lesen, – aber ich erinnere mich mancher guten Sprüche, die unsere arme Gebieterin uns oft daraus vorgelesen, und der eine lautete: »Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet!«

»Aber,« sagte der Jäger Smith oder vielmehr Adlerblick energisch, »es heißt auch in der Bibel: »Aug' um Aug', und Zahn um Zahn!« und in der Tat, Doktor, es kann wohl niemand besser wissen, als ihr, was ihn dahin gebracht. Ihr seid kein Präriemann gewesen und kennt nicht das Gesetz der Einöde.«

Der deutsche Arzt sah finster vor sich nieder. »Entschuldigt dies das Blut der Schuldlosen und Reinen – das Entsetzliche … Aber sprecht ein Wort – ist jener Engländer, den ihr euren Gebieter nennt – ich vermag es nicht auszusprechen …«

»Gott bewahre – der englische Gentleman ist ein noch junger Mann!«

»Dann – ich habe seinen Namen gehört! Jetzt weiß ich es, warum es mich dabei durchzuckte, wie der Biß einer Viper – der französische Kaufmann –«

Die beiden Jäger sahen zu Boden; in diesem Augenblick hörte man das wilde Geschrei des phantasierenden Knaben, der in arabischer Sprache nach seinem Pferde rief, dem »Vogel der Wüste«, das doch neben ihm stand.

Der riesige Trapper zeigte auf das Kind. »Seht dorthin, Doktor, – dort ist etwas besseres für Euch und Euer wackeres Herz.«

Der Arzt wandte sich – er preßte die Hand an die Stirn. »Du hast recht, Ralph – die Menschenpflicht über alles! – Es ist die höchste Zeit, wenn das Kind gerettet werden soll vor der schrecklichen Malaria dieser Küste. – Wasser her! – Wo sind die Freunde oder Verwandten des Knaben?«

Der Trapper Adlerblick wies auf den Scheich, während sein Gefährte nach dem Stande der Kameele rannte, einen mit Wasser gefüllten großen Steintrog in die Arme nahm und zum Staunen der Araber herbeitrug.

»Da, das alte Ledergesicht ist sein Großvater!«

Der Arzt wandte sich an den Scheich. »Dein Kind ist dem Tode verfallen – es gibt nur ein Mittel, es zu retten. Willst du mir vertrauen?«

»Allah il Allah – du bist ein Hakim?«

»Ich bin es!«

»Der Knabe kann nur sterben,« sagte der Beduine. »Wenn du ihn retten kannst, so tue das deine. Es ist sein Kismet!«

Doktor Walding kniete bereits neben dem Kinde und untersuchte Puls und Herzschlag, während er sein Besteck herauszog und eilig öffnete. »Gott sei Dank, noch ist es Zeit und ich kann dir wieder ein Menschenleben retten, Heilige im Himmel! – Hier, Freunde, halte einer den Knaben fest und schafft schnell ein Laken oder ein Tuch herbei.

Er hatte den linken Arm des Knaben entblößt, unterband die Ader und schlug sie. Das rote Blut aus dem kräftigen, jungen Körper spritzte in hohem Bogen.

Auf das Geheiß des Arztes wurde unterdes von Decken und Teppichen ein weiches Lager dicht am Feuer bereitet. Als die Ader genug geblutet hatte, verband sie der Doktor, entkleidete dann selbst den Knaben bis auf die Haut und hüllte ihn in ein großes Stück Baumwollenzeug, das Adlerblick aus dem Reisegepäck seines Herrn herbeigeholt und in dem Wassertrog tüchtig durchfeuchtet und ausgewunden hatte, so daß kaum für Nase und Mund eine Öffnung zum Atmen blieb. Dann wurde der Knabe in Decken gehüllt auf das Lager gelegt und mit allen Teppichen, Haiks und Gewändern zugedeckt, bis ein förmlicher Haufen davon sich über ihm wölbte.

»Jetzt,« sagte der Arzt zu dem Scheik, »sorge dafür, daß er bis morgen Abend sich nicht rührt und niemand diese Hüllen löst, und wenn er erwacht und zu trinken verlangt, so reiche ihm warme Kamelmilch, so viel er trinken will. In zwei Tagen wird der Knabe gesund und kräftig sein und das schöne Pferd hier besteigen können, wenn es das seine ist.«

»Allah segne dich, Franke,« sprach der Scheich. »Abu Bekr ist ein armer Wanderer der Wüste, aber wenn du einen Freund brauchst mit starkem Speer und schnellem Roß, so sende zum Stamm der Abu-Bianah, und jeder seiner Söhne wird zu deinem Beistand eilen.«

Doktor Walding wandte sich zu dem Professor, ohne auf diese Danksagung weiter zu achten. »Verzeihen Sie, daß ich einen Augenblick über der näheren Not die Besorgnis vergaß, die Sie bedrückt. Wenn ich recht verstanden, ist Lord Walpole, Ihr Freund, nicht hierher zurückgekehrt?«

»Möge ihn der Himmel beschützen – ich beginne, um ihn sehr besorgt zu werden trotz seiner Gewohnheiten. Dazu fangen meine Beine an, zu ermüden und wollen mich kaum noch tragen, während das Gemüth mich treibt, weitere Nachforschungen zu veranstalten.«

»Wir müssen allerdings sofort wieder aufbrechen, denn jetzt fürchte ich gleichfalls, daß er sich verirrt haben könnte. Diese beiden Männer werden uns begleiten, und ich stehe dafür, daß, wenn seine Spur gefunden werden kann, das scharfe Auge des jüngeren sie nicht übersehen wird. Ich kenne beide aus früherer Zeit und weiß, daß man sich auf sie verlassen kann, – doch bitte ich Sie, fragen Sie mich nicht um die näheren Umstände unserer früheren Bekanntschaft.«

Der Professor war hocherfreut über diesen Zuwachs ihrer Kräfte, sah aber mit kläglicher Miene auf seine Beine nieder, die er in Gedanken wohl mit den riesigen Formen des ehemaligen Bärenjägers verglich. Zu seinem großen Trost holte dieser jedoch eines der Maultiere herbei, die der Engländer bereits am Nachmittag erstanden hatte, sattelte das Tier und hob die kleine Gestalt des Gelehrten ohne jede Anstrengung in den Sattel, in dem sich der Professor auf die Versicherung, daß diese Tiere einen ruhigen und sicheren Gang hätten, weit behaglicher befand, als bei dem Ritt auf dem Steinesel. Im Auftrag des Arztes hatte der Fatascha versucht, einige Araber und Eingeborene anzuwerben, um die Gegend zu durchstreifen und nach dem Engländer zu suchen; als diese aber hörten, daß der Inglese an dem alten, verrufenen Gemäuer verschwunden sei, zweifelten sie keinen Augenblick, daß die bösen Geister ihn geholt hätten, und keine noch so hohe Belohnung hätte sie vermocht, sich bei Nacht dahin zu wagen.

Dagegen versprach der Scheich den beiden Jägern für die Bewachung ihres Gepäcks zu sorgen, und so machte sich dann die Gesellschaft alsbald auf, die Stadt wieder zu verlassen, was durch gehörige Verwendung der nötigen Bakschis auch bald gestattet wurde.

Obschon das Morgengrauen nicht mehr fern war, konnte man auf der zweiten Amba oder Terrasse des Gebirges noch eine große Anzahl von Feuern sehen, die das Lager der Krieger des Negus bezeichneten, und als sie näher kamen, hörten sie den Knall der abgeschossenen Flinten und einzelne Töne des wüsten Jubels, die bewiesen, daß das Gelage noch immer kein Ende genommen. In der Tat pflegen diese Orgien vom ersten Sternenschein bis zum ersten Sonnenstrahl zu dauern. – –

Die Nacht war unter diesen Breiten lau und mild – von der See her strich der leichte, dem Tagesanbruch vorangehende Windzug; in ziemlicher Einsilbigkeit, ein jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, erreichten sie die Höhe der Terrasse, an deren Felswand sich das alte Gemäuer lehnte. Wäre es Tag und sein Geist wirklich jetzt nicht von der Besorgnis um seinen jungen Freund eingenommen gewesen, so hätte der Professor sicherlich sogleich eine Untersuchung der alten Ruinen und eine Disputation über ihren Ursprung begonnen.

Der Trapper Adlerblick ging mit dem Falascha etwa fünfzig Schritt voran, während Ralph das Maultier des Professors führte und der Doktor nebenher ging. Endlich – sie mochten etwa noch dreihundert Schritt von dem alten Gemäuer entfernt sein, – sahen die Nachfolgenden den Jäger stehen bleiben und die Flinte erheben.

»Was ist – was gibt's?« fragte ängstlich der Professor – »sieht dein Freund und Gefährte, vortrefflichster Venator, vielleicht eine Gefahr, die unser unbedeutendes, aber doch für die Wissenschaft noch sehr nötiges Leben bedroht?«

Der Bärenjäger begnügte sich mit dem Finger nach den Ruinen zu zeigen und einfach das Wort »Hyäne!« auszusprechen.

In dem Augenblick krachte ein Schuß aus der Flinte des Trapper Adlerblick und unter dem widrigen, kläglichen Knurren und Bellen, das diesen Tieren eigen ist, sah man mehrere der Bestien, wie Schatten über die Fläche, davonrennen, während von der Stelle am Eingang des Gemäuers her ein lauteres Gewinsel bewies, daß der Schuß des Jägers nicht ohne Erfolg geblieben war.

Mit einigen Sprüngen war der Trapper in den Schatten des Gemäuers und beugte sich nieder zur Erde, als er plötzlich in die Höhe sprang und mit lauter Stimme schrie: » Mordioux! – zu Hilfe! zu Hilfe! es ist ein Mensch!« – – – – – – – – – – – – –


Wir haben Lord Frederik Walpole verlassen, als er, von dem Erscheinen eines kurzen Lichtschimmers in jenen unheimlichen Trümmern überrascht, die Flinte schußfertig in der Hand sich der Ruine näherte, um zu ermitteln, was jenes Licht zu bedeuten hatte.

Er tat dies mit Vorsicht und leisem Schritt, wie er als geübter Jäger gewöhnt war.

Je näher der Lord jedoch kam, desto weniger konnte er von dem Licht etwas weiteres bemerken, und glaubte schon, durch irgendeine zufällige Spiegelung des Mondlichts getäuscht worden zu sein, als er dicht an den Trümmern des alten Portals oder Eingangs der unterirdischen Kirche angekommen, jenen Lichtstrahl, jedoch wie aus ziemlicher Entfernung kommend, sich wiederholen sah.

Zugleich schlugen Töne an sein Ohr, wie fernes Lachen, und dazwischen der scharfe Klang von Silberschellen.

Die Neugier Lord Frederiks wurde um so mehr erregt, als er nichts von dem Fest oder der Orgie wußte, mit welcher die schlaue Politik des Abuna den Verdacht und die Erbitterung des Negus wieder zu beruhigen suchte.

Der Viscount war übrigens doch zu verständig und kaltblütig, um nicht einzusehen, daß ein weiteres Vordringen in einem wilden, ihm so fremden Lande und bei Nachtzeit sehr gefährlich für ihn werden konnte, namentlich, da er nicht einmal der Sprache dieses Landes mächtig war. Aber die den Engländern eigene, trotzige Gleichgültigkeit gegen persönliche Gefahr und die angeborene Abenteuerlust des jungen Pair ließen ihn dennoch von seinem Unternehmen nicht abstehen. Er zündete vermittels seines Taschenfeuerzeugs ein kleines Wachskerzchen an, und orientierte sich mit Hilfe desselben über den Zugang zur Ruine.

Der Eingang der uralten Kapelle war durch die riesigen Sandsteinquadern, aus denen er vor mehr als tausend Jahren erbaut worden, noch ziemlich wohl erhalten, als aber der Lord über kaum passierbare Trümmer weiter vordrang, gähnte ihm zu Füßen plötzlich ein dunkler Schlund. Ein vorsichtiges Hinableuchten überzeugte ihn jedoch, daß es nur eine zerstörte breite Treppe war, welche ziemlich flach in die Tiefe führte.

Zugleich hörte er wieder helles Lachen wie von Frauenstimmen, und als er sein Licht mit der Hand beschattete, sah er deutlich fremden Lichtschein hinter einer Wendung des Gewölbes sich an der gegenüberstehenden Felsenwand brechen.

Der Viscount orientierte sich über die Lage der fehlenden Stufen, löschte sein Licht aus und tappte vorsichtig über die Steinblöcke an der Wand nieder, bis er das Ende der Biegung des Gewölbes erreicht hatte. Hier lehnte er seine Flinte an das Gestein, daß sie im Bereich seiner Hand blieb, und trat einen Schritt vor, um leichter um die sich wendende Ecke des Ganges zu schauen.

Ein eigentümlicher Anblick bot sich seinen erstaunten Augen.

Vor ihm lief der Treppengang noch eine Strecke mit leichter Neigung in die Tiefe, bis er in ein weites Gewölbe mündete, dessen kuppelartige Höhe und Ausdehnung sich unkenntlich im Dunkel verlor. Der Raum war mit ebnen Steinquadern gepflastert, und in der Mitte desselben brannte ein Feuer, dessen oft hoch auflodernde Flamme jedoch nur stark genug war, den nächsten Umkreis zu erleuchten. Um dasselbe her standen, saßen und hockten, in den verschiedensten Stellungen, acht, ganz nackte, oder nur zum Teil bekleidete junge Mädchen von jener eigentümlichen hellbraunen, fast gelblichen Farbe, welche die Eingeborenen des unteren Nils auszeichnet.

Auf einem Stein am Feuer saß ein altes, runzelvolles Weib mit verschiedenen Schalen und Instrumenten um sich her, während weiter zurück, halb im Dunkel, ein alter – bis auf sein Lendentuch unbekleideter – Mohr stand, der auf einem Triangel von Zeit zu Zeit einen Takt schlug und eine aus dünnen Lederstreifen bestehende Peitsche zuweilen drohend gegen die Mädchen schwang, die seine Gebärden und sein faunisches Grinsen bei jeder ihrer sehr ungenierten Bewegungen und Stellungen nur mit Gelächter oder noch herausfordernderen Pantomimen erwiderten.

Es war genügend hell, um zu unterscheiden, daß die Mädchen von verschiedenem Alter waren, manche halb noch Kinder in ihren schlanken zarten Formen, andere von größerer, kräftigerer Gestalt, zum Teil schon mit allen Zeichen verblühter, weiblicher Reize, die sie durch die geschickte Hand der alten Hexe eben möglichst aufzufrischen suchten.

Einige der jungen Mädchen waren nach orientalischen Begriffen schön zu nennen. Die zarte Farbe ihrer Haut ließ ein leises Rot durchblicken, die braunen Mandelaugen in ihrem eigentümlichen Schnitt, überwölbt von schmalen, scharfgezogenen Brauen, blickten bald feurig, bald sanft wie die der Gazelle, bald waren sie halb verschleiert von den langen bis auf die Wangen ruhenden Wimpern, – der volle leicht geöffnete Mund zeigte die Zähne gleich einer Reihe weißer Perlen zwischen den roten Lippen, und in langen Strähnen floß das blauschwarze Haar um Schultern und Arme, oder über den zierlichsten Busen, der noch nicht jene Unform angenommen, die im späteren Alter häufig die Frauen der heißen Länder zeigen. Behend, wie die Bewegungen der Antilope, waren die Biegungen der geschmeidigen Glieder in ihrer samtartigen Haut, auf welcher die Lichter des Feuers die Goldreflexe der Bronze warfen, wenn die eine sich neigte, die Sandale an das sonst unbekleidete Bein zu schnüren, oder die andere in übermütiger Laune die schlanken Arme in die Höhe schlug, und Brust und Leib dem vollen Schein der Flamme entgegenwarf. Eine Dritte stand eben vor dem alten Weibe und ließ sich den jeder, auch der geringsten Hülle entbehrenden Körper von ihr mit wohlriechendem Öl salben, während daneben zwei andere Mädchen kauerten, beschäftigt, sich in die langen, dunklen Zöpfe weiße Perlenschnüre und blitzende Goldmünzen einzuflechten.

Zwei ältere, üppige Gestalten, aber mit sehr verlebten Zügen und schwammigen Formen, schminkten sich in orientalischer Weise mit jener feinen roten Farbe, die in die Poren der Wangen eingerieben wird und monatelang hält; sie färbten die Nägel mit Hennah und zogen unter die Wimper des unteren Lides jenen feinen schwarzen Strich, der dem Ange so größeres Feuer verleihen soll. Das letzte der Mädchen hatte ein orientalisches Tambourin aufgerafft und tanzte eben bald in wilden bacchantischen Sprüngen um das Feuer, bald bog sie, auf einem Fleck stehend, den schlanken Leib in Schlangenwindungen hin und her. Sie war die einzige, deren Leib bereits ein volles Kostüm bedeckte, und trug gelbseidene weite Beinkleider, die um die zierlichen Knöchel sich eng zusammenzogen, während sie um die Hüfte unter dem offenen, den braunen Busen zeigenden Battisthemd von einem roten Seidenschal festgehalten wurden. Eine dunkle, kurze ärmellose Jacke mit Goldtressen besetzt, umgab den Oberkörper und ließ den mit goldenen Reifen geschmückten Armen vollen Spielraum.

Der junge Engländer war nur wenige Augenblicke darüber im Zweifel, welcher Art die Szene war, die er hier vor sich sah. Er erinnerte sich, früher gelesen zu haben, daß der Vorgänger Saïd Paschas, des gegenwärtigen Vizekönigs, die berüchtigten ägyptischen Tänzerinnen von Kairo verbannt und an den oberen Nil nach Assua verwiesen hatte. Eine Bande dieser Almen mußte es sein, die zufällig hierhergekommen, wenn sie nicht etwa zum Gefolge des Negus gehörten.

So sittenstreng, im Gegensatz von seinem Vetter, dem Grafen von Lerida, der junge Viscount auch war, so konnte die Wirkung dieses Auftritts auf sein Blut nicht ganz ausbleiben. Doch er betrachtete das Schauspiel, dessen geheimer Zeuge er geworden, als eine jener Merkwürdigkeiten und Abenteuer, die einem Reisenden zustoßen und ihm zur Kenntnis der Länder und Sitten willkommen sind, und in dieser stolzen Annahme dachte er nicht daran, sich der Szene zu entziehen und die Ruinen zu verlassen.

Jetzt, vielleicht durch irgendeine Fopperei der Mädchen erbittert oder durch einen Zuruf der Alten dazu aufgefordert, ließ der Mohr seinen Triangel fallen, schwang die Peitsche und schrie der Tänzerin eine Drohung zu.

Der kreischende Ton dieser Stimme überzeugte den lauschenden Briten sogleich, daß der schwarze Tugendwächter der lockeren Gesellschaft eines jener unglücklichen, verstümmelten Geschöpfe war, welche die orientalische Eifersucht schon im Kindesalter der künftigen Freuden der Liebe beraubt und dazu präpariert, den Bewohnerinnen der Harems niemals anders als durch ihre Tücke und Bosheit gefährlich zu werden.

Die Tänzerin blieb auf der Stelle stehen und machte keinen Versuch, sich dem angedrohten Schlage durch die Flucht zu entziehen. Sie antwortete vielmehr mit einer energischen Gebärde, ihre Augen funkelten und ihre kleine Hand ballte sich drohend dem Schwarzen entgegen.

Als dies die anderen Mädchen sahen, brachen sie in ein lautes Gelächter aus und klatschten in die Hände. Der Schwarze schien in der Tat nicht zu wissen, ob er den Schlag führen solle, was die mit einer Flut von Schimpfworten aufspringende alte Megäre zu fordern schien, als die Szene durch einen sehr unerwarteten Zwischenfall plötzlich geändert wurde.

Es war in der Tat ein Fall!

Der Lord hatte unwillkürlich Interesse an dem kleinen Auftritt genommen und war, um besser zu beobachten, einen Schritt vorgetreten. Aber er hatte nicht bemerkt, daß hier eine Stufe fehlte, und indem er dadurch fehltrat, stolperte und stürzte, rollte er die Treppe vollends hinunter und bis dicht zu dem Feuer und den Füßen der Tänzerinnen.

Ein allgemeines Aufkreischen und ein Auseinanderstieben der lockeren Gesellschaft erfolgte – dann aber, als sie sich überzeugt hatte, daß der so unerwartet vom Himmel oder vielmehr aus der Oberwelt Gefallene ein hübscher, junger, weißer Mann war, erscholl ein lautes Freudengeschrei, und bevor noch Lord Frederik recht zu sich selbst kommen und sich aufraffen konnte, hatte sich die wilde Schar auf ihn geworfen und ihm mit ihren Haarbändern und Gürteln Hände und Füsse gefesselt, so daß er, ein hilfloser Mann jetzt, mit dem Rücken an den Stein, den früher die Alte eingenommen, gelehnt am Feuer saß, und in der Tat nicht recht wußte, ob er lachen, sich ärgern, oder eine Gefahr befürchten sollte.

Im Nu waren die Taschen des Lords von den jungen Bacchantinnen geplündert, und er sah sich seiner Uhr, seiner Börse und verschiedener Kleinigkeiten beraubt, die er bei sich führte, und welche die Mädchen, ohne im geringsten Scham zu zeigen über ihr mehr als adamitisches Kostüm, am Licht des Feuers betrachteten und sich aus den Händen rissen.

Vergeblich versuchte der junge Engländer sich verständlich zu machen – das arabische Geschnatter der Weiber als Antwort betäubte ihn fast, und nur die Tänzerin, um derentwillen er eigentlich den Unfall erlitten, redete einige Worte in der lingua franca zu ihm, die er wenigstens zum Teil zu verstehen glaubte.

Übrigens schien die eigentümliche Gesellschaft, in die er so unerwartet gekommen, keineswegs ihm Böses zufügen zu wollen, als daß sie sich seiner Person versichert hielt.

Es schien eine sehr angelegentliche Beratung zwischen den Ghawazzis stattzufinden, bei der übrigens die Tänzerin einen großen Einfluß ausübte. Auf einige Worte von ihr an die Alte begannen die Mädchen ihren Putz zu vollenden, und es fiel dem Viscount auf, daß die beiden jüngsten ganz andere Gewänder erhielten als ihre Gefährtinnen, und zwar lange weiße, vom Halse bis zu den Füßen reichende Kleider, in die sie sich hüllen mußten. Dazu erhielten sie vergoldete Palmenzweige, die der Mohr herbeitrug.

Endlich setzte sich die Tänzerin an seine Seite und begann mit ihm zu reden. Es gelang ihm, mit ihr folgendes Gespräch zu führen.

»Wer bist du?«

»Ein Engländer!«

»Ich habe Inglese gesehen, als ich in Masu Kairo. tanzte. Sie haben rote Röcke und rote Haare. Wir wissen, wer du bist.«

Der Lord mußte unwillkürlich lachen. »Wenn dies das Kennzeichen eines Inglese ist – dann ist es schlimm für mich. Wer sollte ich denn sein?«

»Du bist der Engel Gabriel!«

»Was?«

»Der Engel Gabriel, den der Abuna uns verheißen hat.«

»Zum Henker – ich kenne den Kerl nicht! wer ist das, der Abuna?«

»Verstelle dich nicht – es ist der Patriarch von Habesch. Er hat uns gestattet, vor dem Negus zu tanzen!«

»Meinetwegen ich habe nichts dawider. Aber, daß ich deshalb ein Erzengel sein soll, das ist etwas stark.«

»Hamed hat Deine goldenen Flügel und dein Gewand dort hinter dem Stein liegen. Wenn es Zeit ist, will ich dir helfen, es anzulegen!«

»Abgeschmackt! ich sage dir, Ihr werdet mich doch nicht zwingen wollen, in irgendeiner Mummerei, die Ihr, wie mir scheint, vorhabt, die abgeschmackte Rolle eines Erzengels zu spielen. Warum habt Ihr mich gebunden?«

»Du sollst bei uns bleiben. Die Almen sind deine Freundinnen, schöner Fremdling.«

» Goddam – macht ein Ende mit der Narrheit, oder es könnte Euch Unannehmlichkeiten bereiten. Ihr habt kein Recht, mich gefangen zu halten.«

»Willst du freiwillig bei Zulma bleiben, so bindet sie dich los!«

»Wer ist das, Zulma? Die alte Hexe dort?«

»Es ist die Freundin, die mit dir spricht. Ich bin die Tänzerin Herodias!«

Der Lord lachte, das Abenteuer kam ihm jetzt komisch vor, und er dachte daran, was sein alter Lehrer und Freund sagen würde, wenn dieser an seiner Stelle wäre in dem Kreise dieser braunen Bacchantinnen. Nur wollte er nicht länger in der Situation bleiben, in der er sich befand, seines Willens beraubt, und er machte eine gewaltsame Anstrengung die Bänder um seine Arme zu zerreißen.

Die Ghawazzi Ghawazzi oder Almen heißen die egyptischen Tänzerinnen. lachte. »Du mühst dich vergeblich, es sind Bänder von Kamelhaar. Nicht die Kraft von zehn Hammels würde sie zerreißen.«

Der Viscount schämte sich, um Beistand zu rufen. Er sagte deshalb:

»Binde mich los, schöne Zulma, und Ihr mögt dafür meine Uhr und Börse behalten.«

»Nur wenn du versprichst, bei uns zu bleiben, schöner Effendi.«

»Gut – ich verspreche es! – auf mein Wort!«

Die Alme kniete sogleich neben ihm nieder, während sie dem alten Weibe und ihren Gefährtinnen einige Worte zurief, und beeilte sich, seine Bande aufzulösen.

Halb unwillig, halb lachend sprang der junge Engländer empor, dehnte seine Arme und wollte auf den Ausgang des Gewölbes zugehen, aber ein vorwurfsvoller Blick der Tänzerin hielt ihn zurück.

»Du hast versprochen, zu bleiben, Effendi,« sagte das Mädchen. »Wenn du gehst, haben wir keinen Gabriel. Der Prophet würde uns keinen andern senden.«

Die schönen Augen der Tänzerin, die in der Tat von wunderbarem Ausdruck waren, wie überhaupt dieses Mädchen das hübscheste und hervorragendste der Ghawazzis, hätten ihn doch schwerlich vermocht, zu verweilen wenn er nicht soeben noch sein Wort gegeben hätte, zu bleiben.

» By Jove, schöne Zulma,« sagte er – »ich will dir mein Versprechen halten und noch einige Zeit bei Euch verweilen, nur bleibt mir mit dem Engel Gabriel und seinen Flügeln vom Leibe. Meine Freunde werden wohl die Güte haben, etwas zu warten.«

Auf einen Wink der Tänzerin brachte der Mohr einen alten Teppich herbei und breitete ihn neben dem Feuer aus, und der Lord ließ sich auf die einladende Gebärde der Alme darauf nieder. Eine andere Ghawazzi brachte sogleich ein Nargileh herbei und stellte es in der gehörigen Entfernung nieder, während eine dritte mit einer kleinen silbernen Zange eine Kohle aus dem Feuer nahm und sie auf den Tabak legte.

Zulma oder Herodias nahm das Bernsteinmundstück des seidenen, silberdurchwirkten Schlauchs zwischen ihre roten Lippen, tat einige Züge und steckte es dann dem Engländer in den Mund, der genugsam von den orientalischen Sitten gehört hatte, um diese Höflichkeit zu würdigen.

Zugleich hatten zwei der Ghawazzis in der bekannten trefflichen Weise des Orients an dem Feuer Kaffee bereitet, und kredenzten denselben ihrem Gast in kleinen Schalen, die in Näpfen von wunderbarer Filigranarbeit standen.

Lord Frederik hatte beschlossen, sich für einige Zeit in alles zu ergeben und das seltsame Abenteuer zu verfolgen, um es dann nach seinem Willen zu beenden. So nahm er denn den Kaffee aus den Händen der Alme und genoß den duftigen Trank in den Pausen des Rauchens und der Unterhaltung, die er, so gut es ging, mit der schönen Anführerin der Ghawazzis fortführte.

»Wie nennt man dich in deinem Lande, schöner Effendi.«

»Frederik, schöne Zulma!«

Sie versuchte vergebens, den Namen nachzusprechen. »Das Mahl des Negus Negassi,« sagte sie, »hat erst begonnen und wir haben noch lange Zeit, ehe der Abuna uns rufen läßt. Sollen die Almen dir tanzen, Effendi, oder ihre Lieder singen?«

Lord Walpole erinnerte sich, was er von den üppigen Tänzen der ägyptischen Almen gehört und obschon ein eigentümlicher, aufregender, wonniger Schauer durch seine Adern zu ziehen begann und sein Gehirn sich mit üppigen Phantasien füllte, hatte er doch Kraft genug, der Lockung zu widerstehen und die Tänzerin zu bitten, ihm eine Probe ihres Gesanges zu geben.

Die Ghawazzi tauschte hinter dem Rücken des Engländers einen Wink mit der Alten und ihren Gefährtinnen; eines der Mädchen füllte sofort den Kopf des Nargileh mit frischem Tabak, eine zweite legte die Kohle auf und zwei andere holten zwei lautenähnliche Instrumente mit langem Halse und rundem Bauch, mit drei Seiten bespannt, herbei, und stellten sich einige Schritte dem Engländer gegenüber, an dessen Seite die erste Alme saß.

Auf ihren Wink begannen die beiden Mädchen eine jener monotonen einschläfernden Melodien zu singen und eben so eintönig auf der Zither zu begleiten, was die Orientalen für Gesang ausgeben.

Ein süßlicher, eigentümlicher Duft hatte sich von dem Nargileh aus verbreitet und durchzog immer stärker das Gewölbe, das ganz in den Felsen eingehauen war und auf starken, ausgemeißelten Seitenpfeilern ruhte. Es war unzweifelhaft der ursprüngliche Kapellenraum, als das Christentum vor den Verfolgungen der Heiden mit seinem Kultus noch in die Tiefe der Erde flüchtete. Das Ende dieses Raumes verlor sich in dem herrschenden Dunkel, so daß der Lord nicht bemerken konnte, ob er etwa noch einen zweiten Ausgang habe, und woher er Luft und Licht bekam, denn das Gewölbe war trocken und kühl.

Vergebens kämpfte übrigens der Viscount gegen den lethargischen, doch angenehm die Sinne betäubenden und zugleich wieder aufregenden Zustand, der sich seiner bemeisterte. Er fühlte, daß er die Herrschaft über seine Glieder verlor, ohne doch die Kraft und den Willen zu haben, sich aus dieser Untätigkeit herauszureißen – sein verglasendes Auge sah nicht mehr körperlich die Gegenstände und Personen seiner Umgebung, aber seine Phantasie bevölkerte diese mit den eben erlebten, üppigen Bildern der Ghawazzis und anderen Gestalten; wonnige Schauer durchbebten seine Adern und Gedanken, Wünsche und Empfindungen, wie er sie im wachen Zustande mit Entrüstung unterdrückt und von sich gewiesen haben würde, durchfluteten seine Seele.

Das Mundstück des Nargileh entsank seinen Lippen, die Züge seines männlich schönen Gesichts zeigten eine gewisse Erschlaffung der Muskeln, und sein Kopf sank langsam an den Busen der Tänzerin, die ihn in ihren Armen hielt.

Sie ließ ihn sanft auf den Teppich niedergleiten, erhob sich und schlug frohlockend die Hände aneinander, indem sie den schönen Schläfer betrachtete.

»Wir haben ihn, Schwester,« sagte sie jubelnd – »in einer Stunde wird er zu seiner und unserer Lust sich erheben. Laßt uns vorher ihn entkleiden und bringt die Gewänder des Engel Gabriel!« – – – – – – – –



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