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In Berlin.

In seiner Friedenskirche am Park von Sanssouci, das er gleich seinem Ahnherrn, dem großen Friedrich, so sehr geliebt und für das er so Herrliches getan, hatte König Friedrich Wilhelm IV. die letzte Ruhestätte nach langen geistigen Kämpfen und schweren körperlichen Leiden gefunden.

Wir haben an einer andern Stelle – in dem Abschnitt unserer Zeit-Memoiren, der seine Regierungsperiode schloß – jenen langen Zug durch die eisige Schneedecke sich bewegen sehen, der seinen müden Leib zur irdischen Ruhe geleitete und seinem treuen Freunde den Tod brachte.

Der Regent, der bisherige Prinz von Preußen, hatte den Thron des Heimatlandes bestiegen, aus dem zwölf Jahre vorher die Infamie des Berliner Pöbels ihn trieb.

Der Tod des Königs am ersten Tage des Jahres – obschon man ihn aus leicht begreiflichen Gründen erst am 2. Januar verkündete – warf seine Schatten in das Jahr hinein, wenn auch der Heimgegangene in den letzten Jahren durch seine traurige Krankheit dem öffentlichen Leben sehr entfremdet worden war.

Die »Saison«, das heißt: die Faschingszeit, die auch im nördlichen Deutschland die Zeit der öffentlichen und privaten Soireen, Bälle, Schaustellungen und Gesellschaften bildet und in die preußische Residenz den reichen Adel der Provinzen und viele Fremden zieht, war daher sehr still. Die sonst üblichen Opernhaus-Bälle waren ausgefallen, ebenso bis auf wenige Konzerte die großen Hoffestlichkeiten; – die öffentlichen Tanzlustbarkeiten bei Kroll und in jenen Lokalen, die bereits stark den Pariser Cancan-Charakter annahmen, waren beschränkt – die Politik trat an die Stelle der Vergnügungen, und während sonst die Geigen und Klarinetten die Beine in Bewegung setzten, verrückten jetzt die Vereine und Klubs die Köpfe der Leute.

Es war die glorreiche Zeit der Erfindung des »Fortschritts« in Preußen statt der alten »Demokratie«, eine Umtaufe, die sehr geschickt ins Werk gesetzt worden war und viele Gimpel eingefangen hatte, vor allem die Berliner Philister und Hauseigentümer, die sich nach den Erfahrungen von Achtundvierzig sehr gescheut hätten, sich »Demokraten« schimpfen zu lassen, aber mit Stolz sich als »Fortschrittspartei« gehörig rühmten.

Statt des Faschings tagte in Berlin der Landtag, und der »Nationalverein« wirbelte deutsche Staubwolken auf.

Es gärte und brodelte, ohne daß noch der rechte Koch gefunden war, – die vielen Köche verdarben einstweilen den Brei, indem sie Staatsmänner spielen wollten, ohne die Kraft und den Verstand zu haben, das Feuer, das sie schürten, in seinen Schranken halten und richtig verwenden zu können, und man rüttelte an den Pfeilern des alten Preußens, ohne den Oberbau gestützt zu haben und recht zu wissen, was man wollte; – kurz, es war die Zeit des zweiten Ministeriums Auerswald-Schwerin! – – – –


Der Februartag war ziemlich kalt gewesen, – jetzt am Abend wirbelte der Schnee in Flocken durch die Straßen. Die Wilhelmstraße entlang kam in den warmen Paletot gehüllt ein Mann, stieg die breite Rampe vor einem Palais in der Nähe der Linden hinauf und schüttelte den Schnee von den Füßen, ehe er in den mäßig erhellten aber wohl erwärmten Flur trat.

Das Palais war alt, und mit Ausnahme der Rampe in seiner langen Fassade ohne Prunk, nur ruhig und solid, und den gleichen Charakter zeigte auch das Innere – ein sehr einfaches Foyer, der Steinboden mit einer Laufmatte belegt.

Alles atmete Ruhe und Stille, die wohltätig berührte.

Zwei Personen befanden sich in dem Foyer, beide in der Livree der königlichen Dienerschaft, ein Lakai und ein Jäger.

Der Lakai erhob sich von dem Stroh-Diwan, der an der Wand hinlief und kam dem Eintretenden entgegen.

»Was wünschen Sie? – Ah – Sie sind's, Herr Doktor! Ich erkannte Sie nicht sogleich.«

»Es ist ein schändliches Wetter draußen. – Ist der Herr Oberst zu sprechen?«

»Der Herr Baron sind ausgegangen.«

»Und Seine Königliche Hoheit? Wie befindet sich der Prinz?«

»Noch immer leidend, der Winter ist schlimm für uns. Seit dem bösen Fall können Seine Königliche Hoheit sich noch immer nicht recht erholen. Wir sehnen uns sehr nach dem Frühjahr, um ins Bad und auf den Rheinstein zu gehen.«

»Bitte empfehlen Sie mich dem Herrn Oberst – ich spreche wieder vor, und meine Ehrfurcht Seiner Königlichen Hoheit.«

Der Jäger war aufgestanden und gleichfalls herbeigekommen. »Soll ich Sie nicht melden, Herr Doktor? – Der Prinz ist allein.«

»Ich möchte nicht stören – auch bin ich gar nicht darauf eingerichtet.« Er sah an seiner einfachen Kleidung hinunter.

Der Lakai lachte. »Na, ich sollte meinen, Sie wüßten, daß der Prinz mit seinen alten Düsseldorfern nicht so viel Umstände macht. Sie kommen ohnehin so selten jetzt.«

»Ich störe nicht gern und bin sehr beschäftigt.«

»Seine Königliche Hoheit haben ausdrücklich befohlen, Sie zu melden, wenn Sie wiederkämen, sich nach seinem Befinden zu erkundigen,« sagte der Jäger.

»Wenn das ist, dann tun Sie es gefälligst – aber ich ließe um Verzeihung bitten, daß ich nur im Überrock.«

Der Jäger verschwand in der Zimmerflucht zur Linken, kam aber nach wenigen Augenblicken zurück. »Seine Königliche Hoheit wünschen den Herrn Doktor zu sprechen.«

Dieser hatte den Paletot abgelegt und seine Toilette möglichst in Ordnung gebracht. Der Jäger öffnete die Tür des einfachen Vorzimmers, in dem ein Buch offen lag zum Einzeichnen der Besuche, dann eine zweite und hob die Portiere.

Der Journalist, der sich so warm nach dem Zustand des Prinzen erkundigt hatte und nun zu ihm befohlen war, trat in das nur von einer Astrallampe mäßig erhellte große Zimmer.

Dieses war mit dunklen Tapeten bekleidet, viele Bilder an den Wänden, – ein dicker türkischer Teppich auf dem Boden, die Möbel dunkel, einfach, auf den Tischen viele Mappen, Albums, Bücher – Schriften.

Das Zimmer war leer.

Rechts die Seitenwand war von einem Halbbogen durchbrochen, eine schwere, emporgezogene Halb-Portiere verschloß ihn nur zum Teil. Im Nebenzimmer war ein gleiches mildes Licht.

Von dort kam eine Stimme, etwas scharf und dennoch angenehm und freundlich.

»Kommen Sie herein, Doktor – kommen Sie hierher!«

Der Journalist trat ehrerbietig in das Nebengemach. Er empfand aufrichtige, von Herzen kommende Verehrung für den Prinzen, der seit Jahren sein freundlicher aufmunternder Schutzherr gewesen war und ihm oft genug die drückende Bürde der kleinen amtlichen Stellung erleichtert hatte, bis die große gewaltige Umwälzung des Jahres Achtundvierzig auch hier energisch andere Verhältnisse und Stellungen schuf.

Hinter dem halb erhobenen Vorhang war ein Tisch von massivem Ebenholz mit Zeitungen und Büchern belegt – eine Astrallampe verbreitete ein sanftes, mildes Licht. Auf dem Diwan saß oder lag vielmehr der Prinz.

Allen Berlinern war die schlanke vornehme Gestalt in dem dunkelblauen Rock mit dem weißgeränderten Kragen, der Interimsuniform der berühmten schwarzen Kürassiere von Breslau, wohlbekannt, wenn sie in dem eleganten Gang so ruhig durch die Linden oder die Gänge des Tiergartens schritt, höflich grüßend, selbst fremde Damen – wie viele bewunderten nur den eleganten älteren Offizier, ohne zu wissen, daß es ein königlicher Prinz von Preußen war, der so anspruchslos unter dem Publikum sich bewegte. Wie viele sahen darauf die edle Gestalt in den einfachen grauen Militärmantel gehüllt in dem Wagen mit den niedern Rädern, die das Einsteigen – später das Hineinschieben des Rollstuhls – erleichterten, durch die einsamsten Alleen des Tiergartens fahren und erkannten eben nur aus den Adlern der einfachen Silberborten an den Livreen des Kutschers und Dieners, daß ein Hohenzoller ihnen begegnete.

Es ist merkwürdig und lange nicht genug gewürdigt, wie bürgerlich und ohne Gepräge jene Prinzen des Königshauses, die dem Thron nicht unmittelbar nahe standen, sich in den verschiedensten Perioden in dem Leben der Hauptstadt bewegten, ein eigentümlich schöner Zug der Hohenzollern. Wer erinnert sich in dieser Beziehung nicht des alten im Publikum so beliebten Prinzen Wilhelm, der sicher keinem der Veteranen mit dem Leierkasten im Tiergarten seine Gabe zu reichen versäumte.

Seit 1848 bewohnte Prinz Friedrich von Preußen wieder sein altes stilles Palais in der Wilhelmstraße, nachdem die traurigen Erfahrungen von Undank, die er in der Zeit am Rhein gemacht, ihm den in 27 glücklichen Jahren liebgewordenen Aufenthalt dort verleidet hatten.

Prinz Friedrich Wilhelm Ludwig von Preußen, geboren am 30. Oktober 1794, – der einzige Sohn des ritterlichen, schon im Alter von 23 Jahren verstorbenen Siegers von Rhein-Türkheim, des Prinzen Ludwig Friedrich Karl, des nächstältesten Bruders Königs Friedrich Wilhelm III. und der Schwester der jedem Preußenherzen heiligen Königin Luise, – war jetzt über die Mitte der Sechziger hinaus und noch immer jene stattliche Erscheinung, der einst die wichtige Mission wurde, die neuerworbenen Rheinlande mit dem alten Lande näher zu verbinden und sie zu guten Preußen zu machen.

Nie ist wohl eine derartige schwere politische Aufgabe friedlicher, liebenswürdiger und rascher gelöst worden!

»Guten Abend, mein Lieber,« sagte der Prinz, dem ehrerbietig sich Nahenden die Hand über den Tisch reichend, – »lassen Sie sich endlich einmal sehen?«

»Königliche Hoheit wollen gnädigst überzeugt sein, daß ich nicht versäumt habe, mich stets nach Höchstihrem Befinden zu erkundigen.«

»Ich weiß, ich weiß – Sie sind einer derer, die noch aus den alten fröhlicheren Zeiten treu festhalten; die Poeten lieben die Ruinen!«

»Königliche Hoheit …«

»Es ist leider wahr – das Alter kommt einem jeden! Aber dieser schlimme Fall hat mich um die Hoffnung gebracht, es leichter zu ertragen. – Nun, wie Gott will! Hat doch der König noch schlimmeres Leid zu tragen gehabt.«

»Darf ich fragen, wie Königliche Hoheit Sich befinden?«

»Das Sitzen kann ich nicht vertragen – es war ein arger Stoß – ich muß stehen oder liegen! – Aber lassen wir das – Nielandt verordnete mir den Rheinstein – hier schickt man mich in das Bad. Ich habe eine halbe Stunde für Sie Zeit,« fuhr der Prinz, nach der Uhr sehend, fort, – »also setzen Sie sich – da – mir gegenüber und lassen Sie uns von alten und neuen Zeiten plaudern. Haben Sie lange nichts von Düsseldorf gehört?«

»Wenig – seit Stockum …«

Der Prinz fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

»Es ist eine unangenehme Erinnerung, an die sich doch so viele heitere knüpfen. Ich wünschte, wir hätten ein Rednertalent wie das seine auf den konservativen Bänken in der Kammer. Es ist ja jetzt die Zeit der Narrensitzungen – wissen Sie noch, wie Sie als Kommandant der berühmten Hoppedizgarde zu Roß stolzierten?«

»Jetzt ärgere ich mich über den Unsinn!«

»Wie töricht! Wer wird sich über die fröhlichen Erinnerungen der Jugend ärgern! Haben doch selbst jetzt sehr fromme Konsistorial-Präsidenten lustige Studentenlieder gemacht, die wahrscheinlich dauernder leben werden, als sie selbst. Und doch lag mancher politische Gedanke in all den närrischen Karnevalspossen. Es wird freilich auch dort jetzt anders sein; selbst meine fröhlichen Künstlerkreise sind anders geworden, zerstoben in die Welt, verdorben oder berühmt – nur unser Poet in Farben, Scheuren, ist geblieben. Da drinnen im Zimmer auf dem Tisch liegen zwei neue köstliche Aquarellen von ihm, er bewahrt sich die Jugend!«

Mit Recht war der Prinz als Beschützer der Künste am Rhein berühmt – wie manches junge Talent hatte er unterstützt und zur Geltung gebracht!

»Nein,« fuhr er fort, »jene Teilnahme an der lustigen Narrheit ist wahrlich nicht das Schlimmste, was wir getan haben. A propos! Haben Sie nichts weiter von Betty gehört?«

»Nur einmal sah ich sie wieder – hier im Opernhause.«

»Und doch waren Sie einst schlimm in sie verschossen! Ich höre leider, Sie sind noch immer der alte und –« er hob warnend den Finger – »das ist nicht gut! Sie tun jemand weh damit, der es nicht verdient um Sie – Sie wissen, wen ich meine!«

Der Journalist beugte sich beschämt und verwirrt.

»Ich bin so viel älter als Sie und deshalb kann ich so sprechen, denn ich habe Sie gern. Glauben Sie mir, man sollte ein treues und braves Herz, das Gott uns auf den Lebensweg geschickt, niemals betrüben. Hüten Sie sich vor den Französinnen, Sie werden sich besser dabei befinden, wenn Sie alsdann auch schwerlich mehr solche Bücher schreiben.«

Der Prinz hob ein auf dem Tisch liegendes Buch hervor und reichte den Titel dem Journalisten.

»Sebastopol?«

»Ich habe es mit Interesse gelesen; Sie haben die Gelegenheit, die der König Ihnen bot, als er Sie statt auf die Festung nach dem Bosporus schickte, gut benutzt. Aber glauben Sie mir, folgen Sie meinem Rat, damit Sie späterer bitterer Reue entgehen. Und doch – was hilft alles Predigen! In diesem Punkt haben wir alle unser Register. – Wissen Sie, daß Lassalle hier ist?«

»Ich sah ihn im Hotel de Rome.«

»Er war auch im Orient.«

»Um seine Taten am Rhein vergessen zu machen. Wissen Eure Königliche Hoheit, wie er sich hier eingeführt hat?«

»Nein – für mich hat er den Charakter eines Molches, der alles vergiftet, über das er hinkriecht – ich beschäftige mich nicht gern mit solchen Wesen.«

»Und doch ist er eine große Kapazität, die noch viel von sich reden machen wird. Ein Gentleman des Bösen, nicht in der Art des Mephisto, sondern der finsteren Engel, die Berge gegen den Himmel türmen, um – nun, um Sybarit zu sein.«

»Sie kannten ihn ja wohl früher?«

»Auf dem Friedrichs-Gymnasium in Breslau als schmutzigen Judenjungen mit ungewaschener Nase. Später am Rhein – in dem Chatoullen-Prozeß …«

Der Prinz machte eine abwehrende Bewegung. »Erinnern Sie mich nicht an die traurige und schmutzige Geschichte. – Sie wollten erzählen, wie er sich hier eingeführt.«

»Auf originelle Weise, die ganz seinem Charakter – halb Gentleman und halb Bagno-Kandidat – entspricht. Er wandte sich an den Polizeirat Goltheim, der ihn früher in Düsseldorf beim Beginn seiner sozialistischen Umtriebe verhaftete, und bat diesen, ihm die Erlaubnis zum Aufenthalt behufs einer Kur zu vermitteln.«

»Und was will er hier – ist er allein?«

»Augenblicklich noch. Wie ich ihn beurteile, drängt ihn der Ehrgeiz und die Eitelkeit, die ihn verzehrt, eine Rolle in der neuen Ära zu spielen. Er sagte sich, mit Demokratie und Nationalverein geht's nicht mehr, die Konkurrenz Unruh-Schulze-Virchow-Duncker ist in Preußen zu groß, – für die Schützenvereine und Turnerkonvente ist Seine Hoheit von Koburg da – es kommt die alte Handelsnatur seiner Rasse zum Vorschein, indem er sich sagt: die Masse muß es bringen, und so spekuliert er auf die Masse – die Arbeiter.«

Der Prinz lachte. »Sie kritisieren scharf!«

»Ich kenne meine Leute. Ein Herz für die Arbeiter hat er nie gehabt und wird es nie haben – er würde sie alle verhungern lassen oder an den Galgen bringen, wenn er damit Minister werden könnte. Da dies wegen seiner Nationalität und Antezedenz nicht möglich, benutzt er sie, um Volksmann und ein berühmter Reformer zu werden.«

»Es ist viel Wahres daran – ich habe immer gefunden, daß diese Volksmänner und Koryphäen des Liberalismus die schlimmste Willkür und Tyrannei üben, wenn sie zur Macht kommen.«

»Die Zeit ist günstig für derlei Bestrebungen, die neue Ära kokettiert mit ihnen und öffnet Tür und Tor, ehe man noch neue Schranken aufgebaut hat.«

»Fortschritt!«

»So nennt sich die Umwälzung. Aber aller Liberalismus ist unersättlich. Er wird Opfer nach Opfer fordern. Der Knochen, den man ihm hinwirft, macht Appetit nach dem Fleisch.«

Und was verstehen Sie unter dem hingeworfenen Knochen?«

»Die hohe Polizei. Graf Schwerin wird sich keinen Augenblick bedenken, die ehemals so nützlichen Werkzeuge und Personen den Schreiern zu opfern. Wir werden Wunderdinge erleben – politische Verfolgungen nach der anderen Seite, vielleicht ehe das Jahr um ist! Eure Königliche Hoheit sehen, wie man selbst bereits gegen die Armee und die Reorganisation durch Seine Majestät auftritt!«

»Keine Politik, wenn ich bitten darf. Übrigens will ich Ihnen doch eins sagen, und Sie werden seine Erfüllung sehen, wenn auch ich nicht mehr – und dann gedenken Sie dieser Stunde.«

»Gott wird Euer Königlichen Hoheit noch lange Jahre schenken!«

»Ich weiß das besser. Doch genug davon. Was ich Ihnen sagen will, ist das: Gar viele, ich glaube die Mehrzahl, täuscht sich über das Wesen und Wollen des jetzt regierenden Königs. Sie wissen vielleicht, daß wir nicht bloß Vettern, sondern auch Jugendfreunde und Jugendgenossen waren, wir drei – der verstorbene König, König Wilhelm und ich, und das in einer Prüfungs- und Leidenszeit, wie die nach der unglücklichen Schlacht von Jena in Königsberg und Memel. Wir drei traten zusammen in den Dienst, in die Garde, am 3. Oktober 1807 – der König und ich hatte denselben Gouverneur, den damaligen Major von Pirch ruhmvollen Andenkens. So darf ich wohl sagen, daß ich als sein ältester Freund ihn kenne. König Wilhelm hat nicht die ideale und leicht sich begeisternde Natur seines verewigten Bruders, der ja auch Ihnen persönlich wohlwollte – er prüft und entschließt sich langsamer, aber was er für recht und gut befunden, das hält er unwiderruflich fest und setzt es durch. Er hat den biederen und ehrlichen Charakter seines Vaters, ist aber fester und kräftiger. Von der Würde, die ihm Gott gegeben, hat er eine hohe und ernste Meinung. Nie wird er die Rechte der Krone opfern – nie hätte er Neuchâtel weggegeben. Die Männer, die in ihm eine gute Gelegenheit für das liberale Experimentieren hoffen, täuschen sich schwer. Er läßt jetzt der Zeitströmung ihren Lauf, weil er sich eine wichtigere Aufgabe gestellt hat – nämlich die, Preußen Mittel zu schaffen, um ihm die Stellung wiederzugeben, die es zu Friedrich des Großen Zeit einnahm. Der verstorbene König war ein so guter Deutscher, daß Preußen davon klein blieb. – König Wilhelm ist ein so guter Preuße, daß Deutschland davon groß werden wird. Denken Sie an mich – wenn der König die rechte Zeit gekommen glaubt, wird er mit fester Hand dem Schwindel ein Ende machen.«

Der Journalist wagte keine Bemerkung zu machen. »Das Ministerium Hohenzollern huldigt den liberalen Prinzipien.«

»Wenn der König die Zeit gekommen glaubt, wird er die rechten Leute zu finden wissen zu seinen Intentionen. Schon der Umstand, daß er Roon hält gegenüber dem System Schwerin-Auerswald, könnte die Leute belehren. Ich weiß, daß seine Augen bereits auf einen Mann gerichtet sind, der wahrscheinlich dazu berufen ist, eine wichtige Rolle zu spielen.«

Der Journalist sah fragend empor.

»Sie kennen ihn persönlich von Achtundvierzig her. Namen nenne ich nicht gern. Ich glaube, wenn Gott dem Könige noch zehn oder zwölf Jahre Kraft und Gesundheit läßt, wird seine Regierung eine große Epoche für Preußen und Deutschland bilden.«

Der Prinz schwieg. – Der Journalist wagte natürlich nicht, das Nachdenken des hohen Herrn zu unterbrechen. Endlich deutete derselbe auf ein vor ihm aufgeschlagen liegendes Buch hin.

»Ich bin eben dabei, Droysens Leben General Yorks zu lesen. Er versetzt mich in meine Jugendzeit. Sie wissen wohl, daß ich damals Yorks Adjutant war?«

Der Gefragte verneinte.

»Ich war 1812 Stabskapitän geworden und wurde bei der Erhebung der Nation 1813 mit dem Kronprinzen dem Stabe Blüchers zugeteilt. Bei Großgörschen kam ich zum erstenmal tüchtig ins Feuer – auch bei Bautzen.«

»Eure Königliche Hoheit erhielten ja wohl für die Schlacht das Eiserne Kreuz?«

»Ja – am 31. Mai. Kaiser Alexander hatte mich schon am Tage nach der Schlacht mit dem Georgsorden IV. Klasse bedacht – ich war sehr stolz darauf, einer der ältesten, oder vielmehr jüngsten Träger des Eisernen Kreuzes zu sein. König Friedrich Wilhelm war sehr streng darin! – Bei der Wiedereröffnung des Feldzuges Ende August wurde ich dem Stabe Yorks zugeteilt und machte in diesem die Schlacht an der Katzbach mit. Der alte Eisenhart schonte die Prinzen und den hohen Adel wahrlich am wenigsten. Später besaß ich sehr sein Vertrauen. – Seltsam – es kommen mir heute, wohl infolge des Buches da, – so viele Erinnerungen. Ich hätte dem gelehrten Herrn Professor vielleicht manches Material geben und manchen Zug Yorks mitteilen können, den ich hier vermisse. So erwähnt er beiläufig, daß der General Gift bei sich getragen hat; ich hätte ihm wohl sagen können, wie er nahe daran war, sich damit zu töten.«

Der hohe Herr schwieg in Gedanken vertieft; – ein Lächeln edler Erinnerung und Befriedigung lag auf seinen freundlichen Zügen.

»Ich bin zwar kein gelehrter Professor und Geschichtsschreiber,« sagte der Journalist ehrerbietig, – »nur ein sehr kleiner Literat, – dem Königliche Hoheit eine große Gnade erweisen würden, wenn Höchstdieselben jenen Vorgang mitteilen wollten. Ich habe ihn noch in keiner Geschichte gefunden.«

»Nun, da Sie doch vielleicht bald Gelegenheit haben, meinen Nekrolog zu schreiben – still, ich weiß, was Sie sagen wollen, und ebenso, daß Sie's mit treuem und betrübtem Herzen tun werden, – Sie wissen, daß ich Sie gern habe für Ihr treues Halten zum Königlichen Hause in jener wüsten Zeit, und daß ich Ihnen meine gute Meinung bewahrt habe, selbst als Sie viel angefeindet wurden, sonst wären Sie nicht hier, – also, wenn Sie meinen Nekrolog schreiben, sollen Sie wenigstens wissen, warum mir der wackere York seine Freundschaft bis ans Lebensende bewahrte.«

Der Journalist verbeugte sich dankend.

»Es war an der Katzbach, wie ich Ihnen schon gesagt. Ich kam während der wechselnden Kavallerie-Attacken eben von einer Meldung an Blücher zurück und traf den General auf der äußersten Grenze unserer Schlachtlinie, beinahe allein, in Beobachtung eines eben stattfindenden neuen Reiter-Angriffs. Der General folgte der Attacke in einiger Entfernung zur Seite, als er plötzlich einige hundert Schritt weiterhin im Regendunkel die uns zugekehrte Flanke einer Reiterlinie bemerkt, die er nach ihrer Richtung für eine Abteilung der unseren halten mußte. Im höchsten Zorn sprengte der General auf die Kolonne los, um sie zum Angriff zu jagen, und ich folgte ihm natürlich. – Da – im letzten Augenblick – wir waren bereits so nahe, daß wir vom Nächsten das Weiße im Auge sehen konnten – erkenne ich mit meinen guten Augen, daß die Haltenden Chasseurs sind. Kaum hatte ich noch Zeit, mich mit meinem Pferd dem General in den Weg zu werfen und ihm zuzurufen: »Franzosen!«

»Dies war das einzige Mal, daß ich den ehernen Soldaten bleich werden sah vor Aufregung, aber seine Entschlossenheit blieb dieselbe. Er gab sich verloren, und auch ich zweifelte nicht an unserer sofortigen Gefangennahme. Er aber wollte nicht der Gefangene dieser Feinde sein, die ihn besonders haßten, und ich sah, wie er in die Tasche griff und das Fläschchen mit Gift herauszog, das er in der Tat für eine solche Gefahr stets bei sich führte. – York erhob es und wollte es eben zum Munde führen, und ich hätte ihn wahrlich nicht daran gehindert, – da sah ich – und in solchen Augenblicken schließt die Dauer eines Atemzuges das Ergebnis langer Beobachtungen ein – daß die Feinde noch gar nicht auf uns aufmerksam geworden waren. Ich faßte seinen Arm und sagte: »Noch nicht – wir sind noch nicht verloren!« – Der General wendete darauf langsam sein Pferd, behielt aber das Fläschchen in der Hand. Im selben Augenblick brach die französische Kolonne in entgegengesetzter Richtung gegen die preußische Kavallerie los; wir waren beide gerettet.«

»Euer Königlichen Hoheit dankte der General sein Leben!«

Der Prinz lachte heiter in der Erinnerung. »Wissen Sie, wie er zu danken pflegte? Bei Wartenburg, als er zum Schluß des langen und blutigen Gefechts selbst die Brigade Horn zum Sturm auf den hartbestrittenen Ort führte, schickte er mich unter den Tirailleurs des Leib-Regiments mit zuerst über den Elbdamm, hinter dem der Feind schon seit Stunden allen unseren Anstrengungen getrotzt hatte. In den Gärten von Blandin konnte ich mir mit unseren herrlichen Burschen unter dem Feuer der Franzosen die Pflaumen von den Zweigen pflücken. Ich brachte ihm ein Paar mit. Wen er gern mochte, den behielt er bei sich, wenn er sich den schlimmsten Gefahren aussetzte. Beim Himmel, es war eine Ehre, aber wahrlich kein Vergnügen, sein Vertrauen zu besitzen! Das merkten wir bei Möckern.«

Der Journalist sah so bittend auf den hohen Erzähler, daß dieser fortfuhr.

»Ich kam schwer erschöpft von dem ermüdendsten Adjutanten-Dienst gerade noch zeitig genug zurück, als York, an dem Sieg verzweifelnd, selbst die brandenburgische Reiterei zum Angriff gegen die feindlichen Kolonnen führte, und hatte die Ehre, mit ihm an der Spitze des zweiten Leibhusaren-Regiments zwei Karrees sprengen zu müssen, denen wir die Fahnen nahmen, und die herbeieilenden württembergischen Dragoner und die französischen Jäger zu werfen, daß die Burschen in ihrer wilden Flucht eine ihrer eigenen Batterien niederritten, die uns sonst wohl übel mitgespielt hätte. In diesem Augenblick kam Graf Brandenburg herbeigejagt und meldete unseren Sieg auf dem linken Flügel. Da wirbelte kaum zweihundert Schritt vor uns aufs neue der Sturmangriff der Franzosen, in zwei großen Kolonnen wogten die französischen und italienischen Marine-Garden heran. Die Gefahr war schrecklich, der Augenblick verhängnisvoll, als das letzte unserer Regimenter, die litauischen Dragoner, aus der Reserve auf den Kampfplatz die Höhe hinaufreitet. Ich sehe ihn noch vor mir, den General, wie er ihnen entgegensprengt: ›Dragoner – die schenke ich euch! Marsch, Marsch! Es lebe der König!‹ und Hurra ging's darauf – damals steckte ich arg im Handgemenge, das kann ich Ihnen sagen, aber es ist doch hübsch um die Erinnerung, und das fühlt jeder preußische Soldat! – Später suchten Schack, Dietrich und ich, die wir uns zusammengefunden, lange den General und wären dabei beinahe wieder der französischen Infanterie jenseits Möckern in die Hände gefallen. Nur unsere guten Pferde retteten uns.«

»Euer Königliche Hoheit waren der Gefangennahme oft sehr nahe!«

»Das kommt so vor im Soldatenleben. – Einer hilft da dem andern aus der Patsche. Das erinnert mich an ein lustiges Abenteuer auf der Wartburg, das mir beiläufig einen tüchtigen Zopf vom General eintrug.«

»Ich habe nie davon gehört!«

»Glaub's wohl! Unsere Zeitungsschreiber von Dreizehn und Vierzehn hatten besseres zu tun und waren auch nicht solche Anekdotenjäger, wie die heutigen. Als nach der Schlacht bei Leipzig der Marsch unseres Korps über Eisenach unter der Wartburg vorüberging, bat ich den General um die Erlaubnis, die Burg besuchen zu dürfen, erhielt sie und ritt, nur von Oberst Pirch II. und einem Reitknecht begleitet, zur Burg hinauf, wo ich bereits einige russische Soldaten und Preußen fand, die wie mich die Neugier hinaufgetrieben hatte. Der Kastellan führte mich umher, als er plötzlich durch ein Fenster sehend schreit: ›Gott im Himmel – die Franzosen!‹ In der Tat sah man auch eine starke Abteilung, wahrscheinlich von der Schlacht Versprengter, der Burg sich nähern. Der Kastellan war so konsterniert, daß er das Schlüsselbund fallen ließ und sich nicht zu raten und zu helfen wußte. Ich griff es auf und rannte mit Pirch nach dem Tor, um es zu schließen; während der Oberst, der Russisch verstand, die Russen ansprach und sie zur Verteidigung ermunterte, sammelte ich die wenigen Deutschen und empfing die herbeikommenden Franzosen mit Flintenschüssen. Diese glaubten das Schloß besetzt und machten eilig Kehrt. York hatte das Schießen gehört, und sandte schnell eine Kompagnie uns zu helfen, aber ehe diese den Berg erstiegen, waren die Franzosen auf und davon, und wir hatten uns selbst befreit. Das ist meine Erinnerung an die Wartburg, die neulich im Tannhäuser wieder wach wurde. – Aber um auf etwas Interessanteres zu kommen – wissen Sie wohl, wer mit dieser kleinen skandalösen Geschichte in der Gerichtszeitung gemeint ist?«

Er nahm das Blatt aus den Papieren und reichte es dem Journalisten.

»Eine Baronin X…, die sich seit zwei oder drei Monaten hier aufhält und ganz in Eurer Hoheit Nähe wohnt – in der Behrenstraße. Die Anekdote spielt mit einem Attaché der portugiesischen Gesandtschaft und dem auswärtigen Ministerium.«

»Ich dachte mir's fast – ich habe die Dame mehrfach vorbeikommen sehen – einen blauen Samtmantel! – Neulich sah ich Sie selbst vorüberkommen mit einem Knaben, einem hübsch aufgeschossenen jungen Menschen – Ihr Sohn?«

Der Journalist bejahte.

»Und was wollen Sie aus ihm machen?«

»Einen Soldaten!«

»Hm – im Grunde haben Sie recht – den Soldaten und den Juden gehört am Ende die Zukunft. Es geht eigentümlich in der Welt zu, der Sohn des Poeten will Soldat werden, und der Sohn des Soldaten, der meine, ein Poet, ein Beweis, daß bei uns der Kastengeist nicht existiert.«

»Da Königliche Hoheit von Soldaten und Juden sprechen, erlaube ich mir untertänigst, Höchstdero Gnade für einen braven Soldaten zu erbitten.«

»Sie wissen, daß ich nicht mehr im Dienst bin und nur ungern mich in Sachen mische, die mich nichts angehen. – Aber erzählen Sie immerhin.«

»Im Hof des Hauses, in dem ich wohne, – wohnt ein armes, unglückliches Mädchen. Während sie sich auswärts im Hause eines reichen Bankiers in Kondition befand, verloren ihre Eltern, brave, kleine Handwerksleute, durch eine Bürgschaft und ein schurkisches Wuchersystem ihre ganze Habe und gaben sich aus Verzweiflung selbst den Tod.«

»Arme Menschen!«

»Sie haben zwei Kinder hinterlassen, das Mädchen, von dem ich sprach, und einen Sohn, Unteroffizier im Kaiser Franz-Regiment, ein sehr ehrenwerter, aber in seinen Anschauungen voll Ehre sehr strenger Mensch. Als derselbe nun kürzlich dahintergekommen, daß seine Schwester – während ihrer Dienstzeit – einen Fehltritt getan, was sie solange zu verheimlichen wußte, bis sie von einem Knaben entbunden wurde, geriet er in solche Aufregung darüber, daß er sie und das Kind töten wollte. Nur mit Mühe konnte er daran durch die Nachbarn verhindert werden, wobei er sich soweit vergaß, den herbeigeholten Schutzmann mit dem Säbel zu mißhandeln. Der Bedauernswerte ist zur Degradation und drei Jahren Festung vom Kriegsgericht verurteilt worden.«

»Der Fall ist in der Tat traurig, aber schwer zu ändern. Indes – schreiben Sie mir Namen und näheres auf. Und das Mädchen? Sorgt der Vater ihres Kindes für sie?«

»Sie weigerte sich, seinen Namen zu nennen, selbst unter dem Säbel ihres Bruders. Sie ist in der höchsten Armut, nur das Mitleid der Hausbewohner unterstützt sie.«

Der Prinz wiegte nachdenkend den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, daß das rheinische Gesetz, soviel Vorzüge es in vielen Fällen hat, in anderen sehr ungerecht und grausam ist. Wie leicht ist ein armes Mädchen verführt oder gezwungen. Nur den Leichtsinnigen und Spekulativen sollte man alles Anrecht verweigern. Aber« – er sah empor nach der Uhr – »ich fürchte, die Zeit, die ich Ihnen widmen konnte, geht zu Ende. Wollen Sie so gut sein und mir jene Schatulle herüberreichen, die da drüben auf dem Boultisch unter der Uhr steht?«

Der Journalist hatte sich respektvoll bei der ersten Andeutung der Entlassung erhoben. Jetzt trug er dienstbeflissen die Schatulle herbei und setzte sie vor seinen hohen Gönner.

Der Prinz schloß sie auf. »Erinnern Sie sich dieses Kastens?«

»Gewiß, Königliche Hoheit. Eure Königliche Hoheit nahmen aus demselben das Terzerol, das Sie mir für alle Gefahr am Abend des Zeughaussturmes gaben, als ich dahin gehen wollte.«

»Und haben Sie es noch?«

»Es ist mir ein teures Andenken.«

»Dann scheinen Sie die Waffen mehr zu lieben, als zum Beispiel Busennadeln. Warum tragen Sie die nicht mehr, die Ihnen die Prinzessin für den Theaterprolog an unserer silbernen Hochzeit verehrte? Wissen Sie, die Grabowski sprach ihn. Die ist nun auch tot. Haben Sie nicht gefunden, daß unsere Lavallade ihr sehr ähnlich ist?«

Der Journalist war sehr verlegen. »Eure Königliche Hoheit werden doch nicht glauben …«

»Nein, nein – ich weiß es von Knobelsdorff, daß sie Ihnen gestohlen wurde, schon im Sommer Achtundvierzig von einem der fliegenden Buchhändler, als Sie damals die reaktionären Plakate schrieben und anschlagen ließen. Ich hatte mich nicht in Ihnen getäuscht – Sie haben sich damals als guter Royalist bewährt, deshalb vertraue ich Ihnen. Aber ich wünsche nicht, daß Sie ohne Andenken an mich sind; da – hier liegen schon seit zwei Jahren ein Paar Etuis – Sie sollen sich eine andere zum Ersatz wählen und sie zu meinem Andenken tragen, wenn ich nicht mehr bin!«

»Königliche Hoheit – diese Gnade …«

»Nichts da – ich befehle es Ihnen! Wer weiß, ob und wann wir uns wiedersehen. Nach der Badekur gehe ich nach meinem lieben Rheinstein, wo ich einst jung und glücklich war in fröhlichen Kreisen, ohne die Last des Ranges! – Damals – als auch sie noch … Wenn Sie später einmal der Dampfer an meiner lieben Burg vorüberträgt, dann besuchen Sie mich hoffentlich wieder, wenn auch das Haus, das mich dort einschließt – ein sehr enges ist!«

»Königliche Hoheit …« Die Tränen rannen dem Mann der Feder, den wahrlich nicht leicht etwas erschütterte, über die Wangen.

»Da – nehmen Sie! Und dies – geben Sie das dem armen Mädchen. Ich wünschte mehr für sie tun zu können, aber der Hilfsbedürftigen sind so viele!«

Ein leises Klopfen an der Tür nach der Gartenseite unterbrach den fürstlichen Herrn.

»So – nun gehen Sie und leben Sie recht wohl. Und nochmals – halten Sie das Glück in Ehren, noch eine brave aufopfernde Frau zu haben. Ich will von keinen Abenteuern mehr hören.«

Einen Kuß auf die Hand des gütigen Fürsten – dann schloß sich die Portiere und die Tür.

Der Journalist hat den hohen Herrn erst auf seinem einsamen Sterbebett wiedergesehen. Er stand bei seinem Sarg – dem die Berliner Stadverordneten das Geleit weigerten – an jenem stillen Abend im Dom, als er aus dem Schiff der Kirche zur Gruft der Königlichen Hohenzollern hinabgesenkt wurde, und folgte ihm, als sie ihn hinwegführten zur schönen Felsenburg, an deren Grundfesten die grünen Wellen des Rheinstroms sich brechen.


Der Journalist hatte durch das Schneegestöber seinen Weg die Linden hinauf genommen; – obschon es noch früh am Abend und die Theater noch nicht zu Ende waren und die meisten Schaufenster noch ihr glänzendes Licht auf das Trottoir warfen, war nur wenig Publikum auf den Straßen.

Aus dem Torbogen der kleinen Mauerstraße kamen zwei Männer und gingen vor dem Journalisten her, das Trottoir entlang. Unwillkürlich mußte er einen Teil ihres Gesprächs mit anhören.

Der eine war ein kleiner Mann von zierlicher Figur in einem für die Witterung etwas dünnen und abgetragenen Paletot, der andere, in einen Karbonari gehüllt, den Hut tief in die Augen gedrückt, eine stattliche Gestalt. Die Unterhaltung wurde bald französisch, bald italienisch geführt, in beiden Sprachen mit Geläufigkeit.

Einen Augenblick blieben beide vor dem russischen Gesandtschaftspalais stehen, dessen Einfahrt trotz des schlechten Wetters weit offen stand.

»Was sie hier wohl denken mögen über die Vorgänge in Warschau? sagte der Größere spöttisch. »Ob sie wirklich meinen, daß ein Volk sich mit Peletonfeuer und Kosakenpferden auf das Pflaster seiner Kirchen werfen läßt, ohne der Rache und Vergeltung sicher zu sein!«

»Ich begreife die Vorgänge in der Tat selbst nicht,« bemerkte der Kleinere – »diese Aufopferung ohne Widerstand liegt doch gar nicht im polnischen Charakter. Das Blut ist nutzlos vergossen.«

»Glauben Sie das nicht! Gerade die Märtyrer haben der Welt die Befreiung gebracht, sei es von geistigem, sei es von politischem Druck. Ohne vorhergegangenes Märtyrertum keine Erhebung. Und bei Gott, Cecilia, die Leiden des heiligen Laurentius auf seinem glühenden Rost waren sybaritische Freuden gegen das, was Polen jetzt erduldet! Aber Geduld! Geduld! Der Tag der Rache wird kommen!«

»Warum zögert man in Warschau mit dem Ausbruch?«

»Man ist noch nicht vorbereitet genug – das Zentral-Komitee in Paris verlangt noch eine Frist von zwei oder drei Jahren. Einstweilen wird Blut gesät.«

»Das Zentral-Komitee in Paris!« sagte der Kleine höhnisch. »Glauben Sie denn wirklich, daß es etwas anderes ist, als die bloße Vogelscheuche für Rußland in der Hand dieses Bonaparte? Schon sein Oheim, der doch ein anderer Mann war, opferte Ihre Besten seinem Ehrgeiz, und da diesem elenden Zerrbild des Schlachtenkaisers das Schwert fehlt, sucht er mit Ränken und Intrigen sich Macht und Einfluß zu bewahren. Glauben Sie mir – nicht einen Tag würde er die polnische Emigration in Frankreich dulden, noch ihr einen Franken der jämmerlichen Unterstützung fortzahlen, wenn er in ihr nicht eine Handhabe wüßte, um von Zeit zu Zeit Rußland, Österreich oder Preußen zu bedrohen.«

»Czartoriski ist unabhängig!«

»Aber eitel, unentschlossen und den politischen Einflüsterungen zugänglich. Die Prinzessin Mathilde und dieser Prinz Jerome besuchen nicht ohne Absicht seine Salons. Glauben Sie mir, ich kenne den Boden von Paris besser als Sie. Dort ist die Reinigung, die Abschüttelung des Jochs nötiger, als irgendwo!«

»Ich glaube nicht, daß eine Revolution in Paris Aussicht auf Erfolg hat. Auch sehe ich den Zweck nicht ein.«

»Weil Sie selbst Aristokrat sind, weil Sie unter Revolution nur das Stürzen eines Despoten verstehen, um einen andern an seine Stelle zu setzen. Sie wollen ein Königreich Polen, einen polnischen König, statt eines russischen Zaren, mit Wiederherstellung aller Rechte des Adels und der Reichen und Vornehmen. Nein, Freund, was ich unter Revolution verstehe, das ist etwas anderes. Das ist der Umsturz dieser Tyrannei, die nicht bloß ein König oder Kaiser ausübt, sondern jene ganze Gesellschaft, die von dem Schweiß und Blut des armen Mannes, des Arbeiters sich mästet. Die Throne, der Adel, die Soldaten, die Pfaffen, der feiste reiche Bourgeois, – kurz, die Besitzenden, jene Blutsauger des Volkes, die ungerechten alleinigen Träger der Güter der Erde, zu der doch alle gleich berechtigt sind!«

»Sie sind Kommunist!«

»Nennen Sie es, wie Sie wollen – Sozialist oder Kommunist, aber seien Sie überzeugt, daß der sozialen Revolution allein die Zukunft gehört. Deshalb wird auch Ihre polnische Revolution, – ob Sie sie heute oder in drei Jahren machen, – scheitern, weil sie nur eine Revolution der Aristokraten sein soll und Sie nicht die Rechte der Arbeiter, das ist des Volks, auf Ihre Fahnen schreiben. Ich habe es Miroslawski gesagt, ich wiederhole es Ihnen! Eine gemeinsame europäische soziale Republik – Untergang jeder Klassenherrschaft, das ist das, was wir erstreben müssen.«

»Ich glaube nicht, daß Sie mit der europäischen Republik viel Glück haben werden,« sagte der Pole kalt. »Die Führer der europäischen Bewegung wollen nur die Freiheit der Nationalitäten!«

»Glauben Sie das nicht! Garibaldi, Mazzini, Ledru-Rollin, Marx, Pyat – selbst Miroslawski – sie alle sind von dem großen Gedanken durchdrungen. Ihre Liga polska ist nur eine Sektion der großen Verbindung, die bereits ihre Netze über die Welt zu spannen beginnt. Noch kämpfen wir nur mit dem Gedanken, mit Wort und Schrift, um das Proletariat zur Erkenntnis seiner Macht und seines Rechts zu bringen; aber die Zeit wird kommen, wo die Kommune ihre Barrikaden in Madrid wie in Petersburg, in London wie in Paris, in Berlin wie in Rom und Brüssel baut, und alles vernichtet, was ihr hindernd entgegentritt.«

»Bei diesen Gesinnungen und der unvorsichtigen Weise, mit der Sie dieselben jedermann ins Gesicht werfen, nimmt es mich nicht Wunder, daß man Sie aus Berlin ausgewiesen hat.«

»Es ist eine erbärmliche Feigheit – eine Intrige des Bonapartismus, der mich der preußischen Polizei denunziert hat! Diese Regierung nennt sich liberal, und ist keinen Pfifferling besser als die Pariser Polizeiwirtschaft. Warum duldet sie Herrn Lassalle, der doch offen dieselben Gesinnungen hegt, während sie mich fortjagt? Bloß weil der eine jüdischer Abstammung und reich ist, und ich, – der lumpige Sprachlehrer La Cecilia, nur ein armer Teufel bin, der keine lukullischen Soupers geben kann. Warum haben Sie die Ungerechtigkeit, daß man mich, angeblich wegen Mangels an Existenzmitteln ausweist, heute nicht in der Kammer zur Sprache gebracht, da ich es Ihnen doch sofort schrieb?«

»Das wäre eine große Torheit gewesen. Die polnische Fraktion wird ohnehin mit Mißtrauen angesehen, und selbst diese deutschen Liberalen schmeicheln uns nur, wo sie unser Votum brauchen, wo wir aber unser nationales Recht verlangen, lassen sie uns im Stich. Daß ich dies nicht mit Ihrer Person tue, sehen Sie aus dem Rendezvous, das ich Ihnen gab, um Ihnen die Unterstützung anzubieten, die uns die Verhältnisse erlauben. Wohin wollen Sie sich wenden?«

»Ich habe von einem Freund aus der demokratischen Presse eine Empfehlung an ein Institut in Thüringen erhalten. Ich kann dort als Lehrer dies elende Leben fristen, bis sich irgendeine Gelegenheit bietet!«

»Und wann wollen Sie reisen?«

»Morgen mit der Anhalter Bahn. Ich habe heute abend nur noch in einem Verein wackerer Gesinnungsgenossen Abschied zu nehmen, nicht Aristokraten wie Sie, sondern Arbeiter, Proletarier mit schwieligen Händen und russigem Gesicht!«

»Und schrecklichem Durst!« sagte der andere spöttisch. »So – hier sind wir an der Friedrichstraße und mein Weg geht rechts ab!«

»Zu Béfour Ewest! Wir kennen das!«

»Zum Teufel mit ihm! Wir haben ihn noch von Achtundvierzig im Magen mit seiner Demokratenfalle am Gendarmenmarkt! – Ich habe ein Rendezvous bei Borchardt – es ist neutraler Boden, die ganze Diplomatie und die Creme aller Parteien verkehrt dort. Wir dürfen uns nicht ausschließen. So leben Sie denn wohl und schicken Sie Ihre Briefe nach Dresden. Sie wissen die Adresse.«

»Gute Nacht denn und – gutes Märtyrertum! Ich bin nicht so geduldig wie das polnische Blut.«

»Wenn es an der Zeit ist, wird es sein Kapital hundertfach in russischem einkassieren! Leben Sie wohl!«

Der Mann im Karbonari drückte die Hand des andern und ließ ein Papier darin zurück – dann schritt er rasch die Friedrichstraße entlang. Der Kleine im schäbigen Paletot sah ihm finster nach, darauf trat er an die Laterne und nahm das Papier, das jener ihm gegeben, nahe an die Augen, denn er schien sehr kurzsichtig.

»Ein Fünfundzwanzig-Talerschein,« murmelte er. »Die Lumpen! – aber wenigstens genug, um diese deutschen Tiere trunken zu machen und morgen das Fahrgeld zu bezahlen. Ich wünschte, ich könnte die ganze Aristokratenbande in die Luft sprengen!«

Er ging die Linden weiter.

Der Journalist war nur kurze Zeit den beiden gefolgt – die revolutionären Floskeln, so weit er sie verstanden, waren ihm nichts Neues, man hörte sie jetzt wieder zur Genüge in allen Klubs und Vereinen, wie vor zwölf Jahren. Er war schon vor dem Polen in die Behrenstraße eingebogen und trat in das Lokal ein, das jener gescheut hatte.

Die allen Besuchern des Lokals bekannten prächtigen Hunde, der gelbe Ali und der schwarzgraue Mops, kamen ihm zutraulich entgegen. Er sah einen Augenblick in das Büfett, wo die wohlbekannte Gestalt des Besitzers mit grollender Miene und fieberischer Tätigkeit hinter dem Hauptbuch saß und mit einem Kellner krakehlte, der eine Portion Lachs für Nummer fünf vergessen hatte anzugeben.

»Geschwinde das Gas angesteckt auf vier – der Hofrat kommt gleich nach der Oper. Stellen Sie zwei Flaschen Mouet auf Eis!«

»Teufel, was wird Brebeck sagen – ich denke, man trinkt bei dir bloß Jacqueson?«

»Ah – du bist's, Doktor! Unsinn! Ich gebe meinen Gästen, was sie bestellen. – Fritz, einen Teller mit Dessert nach Nummer drei, aber nicht zu viel Rosinen und Mandeln! – Der Koch kann die Poularde von vorgestern nehmen! – Ich sage dir, Doktor, der Undank der Regierung ist skandalös. Man wird Manteuffel noch einmal sehr vermissen. Der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht mein Geschäft aufgebe – es ist kein wahrer Adel mehr in der Welt. – Zwei Dutzend Austern auf zwei – nehmen Sie Natives, der Preis ist höher! – Drin sitzt der Professor, er wird alle Tage dicker! Was der Mensch vertragen kann – diese Nacht um vier Uhr sollt ich noch Sechsundsechzig mit ihm spielen. – Karl, wo will diese Dame hin?«

»Sie fragt nach Graf Arco.«

»Führe sie auf Nummer sechs … die halbe Gesellschaft ist bereits dort. Drei Flaschen Léoville! – Vergiß nicht zu sagen, daß das Rostbeaf ganz frisch ist! – Was sagst du zu dem famosen Antrag der Rechten für die Kosten der Armee-Organisation? Drüben im Saal ist er beschlossen worden! – Ich muß wahrhaftig wieder nach Wiesbaden, sobald es nur irgend warm wird! Ich kann nicht von der Stelle.«

»Wahrscheinlich hast du die ganze Nacht wieder champagnert! Du siehst sehr verschwollen aus!«

»Unsinn! Die verteufelte Gicht! Aber ich kann mich auf keinen Menschen verlassen; weißt du keinen tüchtigen Mann, den ich ins Geschäft nehmen konnte?«

Der Journalist lachte. »Damit du ihn nächstens wieder hinauswirfst und ein paar Tausend hinterdrein. Hat niemand nach mir gefragt?«

»Ja, drüben im Salon zwei Herren, ich kenne sie nicht. Sag' einmal – ist der eine nicht – ich dächte, ich müßte ihn kennen! Er war früher mit Graf Pinto hier!«

»Zwei? ich weiß nur von einem!«

»Na, sieh zu! – ich komme dann hinüber! – Zu was braucht der Koch Burgunder? – Er soll von dem gewöhnlichen Rotwein nehmen! – Fritz, der Professor ruft! eine neue Flasche – ich komme gleich! – Diener, Herr Baron! Sie haben doch die Kiste mit dem Rotwein und den Zigarren bekommen?«

Der Journalist war gegenüber in das allgemeine Restaurationszimmer getreten. Zwei Herren saßen an dem gedeckten Tisch in der Ecke.

»Ah, endlich! Wir rechneten schon nicht mehr auf Sie! – – Die Herren kennen sich?«

»Ich kenne den Herrn Generalkonsul, weiß aber nicht – ob er mich wiedererkennt.«

Der Kleinere der beiden, eine zierliche Figur mit schmalem, klugem Gesicht und sehr diplomatischer Gemessenheit, ließ diese einige Augenblicke fahren. »Ich bin im Unrecht gegen Sie, alter Freund – lassen Sie mich jetzt, wo ich Freunde brauche, mein Benehmen nicht entgelten; Sie waren selbst daran schuld, weil Sie gar nicht geschrieben hatten während man mich aufredete; wie gesagt, ich hatte Unrecht! Denken Sie lieber, wir hätten uns seit jenem Sonnenuntergang in Smyrna, als die Khawassenbande vergeblich nach unserem famosen Jan Katarchie in den Bergen streifte, nicht wiedergesehen!«

»Das ist alles, was ich verlange, und so soll es sein! Es war ein herrlicher Abend – schade, daß er so blutig endete. Meine Trägheit im Briefschreiben war schuld, daß Sie von Konstantinopel nichts von mir vernahmen. Aber wie ich höre, stehen Sie unter Anklage?«

»Graf Lippe will seine Ministersporen an mir verdienen, die Sache ist aber so empörend wie lächerlich. Ein paar alte Stühle aus dem Inventar, die auf dem Boden des Konsulats die Motten gefressen, und ein Flaggenbaum, der zu hoch berechnet sein soll. Eine Gemeinheit im Auswärtigen, die in der ganzen diplomatischen Welt die höchste Entrüstung erregt hat. Meine sämtlichen Kollegen in Smyrna haben mir ihre Sympathie ausgesprochen. Aber die Sache ist einfach die, daß man mich beseitigen will, weil ich ein Anhänger und Schützling Manteuffels war –«

»Der auch schäbig gegangen und abgegangen wurde. – Er mußte die Ehren mit Selbstbewußtsein annehmen, die ihm geboten wurden, nicht grollend scheiden, wie ein Hund, der von einer Schüssel vertrieben worden. Bei allen schweren Sünden, – Erfurt, Olmütz, Bronzell, Neuenburg – er hat unbestritten auch hohe Verdienste, weniger um Preußen, als den Königsthron, und seine zähe Natur war es, die das Staatsschiff aus den Wogen der Märzstürme wieder an einen festen Strand brachte. Er war sicher kein großer Staatsmann, aber ein zuverlässiger Minister. Viele seiner Fehler und Erfolge lagen wohl an dem Charakter des armen Königs.«

»Bis jetzt ist wenig Anschein, daß es besser wird!«

»Ich gebe es zu – der Zustand ist ein Kessel, in dem sich allerlei braut, Gott allein weiß es, ob Gutes oder Schlimmes. Eine der unglücklichsten Liebhabereien Manteuffels war, sich mit schofeln und unfähigen Subjekten zu umgeben und ihnen sein Ohr zu leihen. Honi soit, qui mal y pense – ich rede natürlich nicht von den beiden Herren! Aber es ist so – im Ministerium, in der Polizei, in den Kammern, in der Presse! Was jetzt nicht fortgeschickt wird, weiß wenigstens speichelleckerisch den Mantel zu drehen. –«

Alle drei lachten. »So viel ist sicher,« sagte der Größere der beiden, die den Journalisten empfangen, »das französische Sprichwort travailler pour le roi de Prusse trifft den Nagel auf den Kopf. In Preußen darf man um Himmels willen nicht aus den Schranken der gewohnten Bureaukarriere treten. Haben Sie niemals bereut, Ihr Fach aufgegeben zu haben, Doktor?«

»Niemals bis jetzt. Ich kam ziemlich willenlos dazu, da mein braver Vater nicht die Mittel hatte, mich studieren zu lassen, als seine alte Gönnerin, die würdige Fürstin Hatzfeldt – Sie erinnern sich ihrer Geschichte mit dem ersten Napoleon am Kamin des Königlichen Schlosses – mir heißen Kaffee über die Beine goß und zum Ersatz mich Nagler zum Postschreiber empfahl. Wenigstens habe ich in den fünfzehn schönen Jahren, die ich in dem drückenden Dienst verlor, einen Fonds von Arbeitskraft bei Tag und Nacht gewonnen, und das beste, eine gute und tüchtige Frau gefunden.«

»Und Sie traten achtundvierzig aus?«

»Ich war den Winter über krank gewesen, und sollte ins Bad. Der 18. März war wie ein Wirbelwind gekommen, auch am Rhein brachte er große Veränderungen in der Presse, der ich mich in meinen Freistunden schon längst gewidmet. Das Hauptorgan der Konservativen und der Regierung war damals der Rheinische Beobachter in Köln unter Bercht. Graf Arnim, in vielen Stücken ein geistreicher Staatsmann, hatte ihn ins Leben gerufen. Mit dem Sturz der Regierung und dem Überfluten der revolutionären Presse machte sich damals das Bedürfnis nach einem tüchtigen konservativen königstreuen Organ so bemerkbar, daß das Abonnement auf dies einzige noch existierende zum 12. April auf mehr als das Doppelte stieg. Da ging dem lieben alten Frankfurter Professor die Courage aus, weil die Kölner Jungens ihm eines Abends die Fenster eingeworfen hatten, und hinter unserem Rücken – ohne daß jemand eine Ahnung hatte, – kündigte er zum ersten das Aufhören der Zeitung an und flüchtete davon.«

»Ich erinnere mich der Sensation die es machte.«

»Ich verband mich damals mit Weisbrodt, dem von Graf Arnim angestellten Redakteur der Barmer Zeitung, und meinem Schwager, dem bekannten Redakteur der Elberfelder Zeitung, um ein großes politisches konservatives Journal wieder am Rhein erstehen zu lassen. Ich legte den Plan dazu schriftlich nach London dem Prinzen von Preußen, unserm heutigen König vor, in dem wir sogenannten Reaktionäre, das heißt die Monarchisten und festen Anhänger der Krone, aber nicht des Bureaukratismus, die einzige Hoffnung sahen.«

»Und antwortete Ihnen der Prinz?«

»Sein Hofstaatssekretär Borck – Ewest erwartet ihn eben, denn es ist sein Lieblingslokal – schrieb mir post restante nach Köln, der Prinz danke von Herzen für unseren Willen und wünsche uns alles mögliche Glück – er selbst aber habe sein Wort gegeben, sich in nächster Zeit an keiner politischen Agitation zu beteiligen.«

»So zerfiel das Unternehmen?«

»Wir gaben es keineswegs auf. Eine Dame war es damals, die uns tapfer ermutigte auszuharren, eine Royalistin von ganzem Herzen – ich danke ihr viel, denn sie hob den kleinen unbedeutenden Schriftsteller in ihre Sphäre, die Frau des Regierungspräsidenten Freiherrn von Spiegel, des späteren Regierungs-Chefs von Hohenzollern, eine hocharistokratische Erscheinung im Äußern, selbst in Ihren Jahren noch stattlich und anziehend, eine Aristokratin im edelsten Sinne des Wortes. In ihren Salons war ich damals einem alten Schulgenossen von Breslau her begegnet – Sie kennen ihn, Freund, dem jetzigen Gesandten in Konstantinopel!«

»Graf Goltz?«

»Demselben. Er war in jener Zeit, aus Ägypten zurückgekehrt, in Berlin. An ihn empfahl mich die edle Frau, als ich ihr meinen Entschluß erklärte, über Berlin zu gehen.«

»So waren Sie Freunde?«

»Das nicht, nur Schulgenossen, wie mit so vielen, deren Namen jetzt genannt werden, Struensee, den Mühlers, – dem talentvollen Maler Wichura, der seinen Tod in einem Felswasser der Karpathen fand – dem Matador der Börse, Goldschmidt, der sich neulich den Hals abschneiden wollte und schon als Junge uns die Uhren und Bücher abgaunerte, dem Juristen Friedberg, selbst mit Lassalle. Sie stammen alle aus jener Zeit. – Selbst unser alter Direktor Kannegießer, der treffliche Übersetzer des Dante, lebt jetzt in Berlin.«

»Sie wollten erzählen, wie es Ihnen hier mit dem Zeitungsprojekt ging,« mahnte der dritte, die Gläser wieder füllend.

»Richtig, lieber Assessor. Ich kam also nach Berlin, blieb auf den Wunsch eines hohen Gönners hier und warf mich in den Strudel der Tagespolitik. Alles war damals – es war zu Anfang des Mai – in voller Gärung. Berlin war ein Tollhaus. Damals schrieb ich mein erstes konservatives Plakat – bald hatte ich fast die ganze derartige Literatur in der Hand; was ich nicht selbst schrieb, ging wenigstens durch diese, denn es waren damals wenige, die Schick und Lust hatten, damit aufzutreten! Dennoch fehlte es nicht an Regung und gutem Willen. Der patriotisch unermüdliche Graf Stollberg zag die Gardedukorps-Uniform aus, um mit dem Paket Plakate und patriotischen Schriften beladen durch alle Straßen zu wandern – Bülow berief sein landwirtschaftliches Parlament – überall regte es sich für den alten Thron, für das alte Preußen. Die erste Bestürzung über das Ungeheuere, Niegeglaubte der Märztage war überwunden, und überall hob es sich und war bereit aufzustehen gegen die Tyrannei des demokratischen Klub-Pöbels und die konstitutionelle Unklarheit und den Unfug der sogenannten Nationalversammlung. Hunderten, Tausenden, war es wie dem Schlachtroß, wenn zum Sammeln geblasen wird, und die gleichgesinnten Geister fanden sich rasch – es war ein förmliches Maurertum, das die Gegner Reaktion schalten.«

»Ich erinnere mich jener Zeit der Plakate und Straßenliteratur.«

»Ich hatte vom Rhein ein halbes Dutzend schöner Bilder der Düsseldorfer Schule mitgebracht, Andenken lieber Freunde, oder sonst erworben – ich verkaufte sie für 200 Taler, nicht den vierten Teil des Werts – neulich fand ich zufällig eins derselben, das schöne Bild von Scheuern: die Krieger im Kahn, im Turm von Babelsberg wieder! – und machte aus dem Geld Plakate.«

»Wer wagte es denn damals, so reaktionär zu drucken?«

»Das erste Litfaß – die weiteren Sittenfeld, der Patriotismus und Mut hatte – nur einmal versagte dieser.«

»Bei welcher Gelegenheit? Als man ihm die Leichen in den Hof trug von dem unsinnigen Barrikadenkampf in der Roßstraße?«

»Bewahre – die Drohungen nahm er kalt. Es war im August, als der damalige Polizeipräsident – ich glaube, es war Herr v. Bardeleben – die Aufforderung erlassen hatte, keine schwarz-weißen Fahnen auszustecken, und ich ihn darüber in einem Plakat interpellierte. Aber wir kommen auf Dinge, die nicht zu der Sache gehören, die ich erzählen wollte – die Entstehung der konservativen Zeitungen in Berlin. Als ich mich Goltz vorstellte, sagte er mir offen: ›Warum wollen Sie und sollen wir die Kräfte zersplittern? Die Schlacht des Königtums wird hier, nicht am Rhein geschlagen. Es sind bereits zwei Zeitungsprojekte im Gange, das eine von seiten der jetzigen Regierung, das andere von dem alten Adel. Chef-Redakteur wird ein Professor Wagener. Schließen Sie sich der Gründung eines von diesen an – am besten dem unseren!‹ Ich folgte dem Wunsche und sprach mit den Chefs, die bereit waren, meine Kraft zu benutzen, denn es fehlte damals an Journalisten, die den offenen Mut der Königstreue hatten. Ich legte beiden einen Plan zur Benutzung der Tagesverhältnisse vor. Er war derb, aber praktisch – schmutzige Straßen fegt man nicht mit Glacéhandschuhen. Mit Wagener einigte ich mich bald und half bei den Vorbereitungen seiner Zeitung. In jene Zeit fiel auch die Gründung des ›Vereins für König und Vaterland‹ in Nauen. Ich war im Auftrage der künftigen Zeitung dabei, schlug den Namen vor und übernahm die Geschäftsführung. Graf Goltz, Herr von Bethmann, Herr von Arnim – alles damals junge, rührige Kräfte – waren die Leiter, Graf Goltz arbeitete wie ein Pferd im Joch – Manteuffel hat es ihm später wenig gedankt und ihn fast gezwungen, zur Opposition zu gehen, wie so manchen anderen.«

»Ich wiederhole das französische Sprichwort,« sagte der Assessor bitter, » travailler pour le roi de Prusse.« Der Beamte, der sich verleiten läßt, statt im gewöhnlichen bureaukratischen Dienst fortzudämmern, seine Kräfte der Presse zu widmen, selbst im offiziellen Auftrag, wird es über kurz oder lang bereuen. Sehen Sie mich an – Sie haben das lebendige Beispiel: Ich bin oder war ein guter Preuße, und das System der Regierung hat mich zum Hannoveraner gemacht.«

Der Journalist sah den Beamten mit Bedauern an, er begriff, welcher Zwiespalt die Seele des Mannes belastete. Der Diplomat nickte zustimmend. »Seien Sie froh, daß Sie das Engagement der offiziellen Presse nicht annahmen.«

»Es war ein Zufall. Im Juni traf ich Herrn von Gruner wieder eines Abends auf der Marschallsbrücke. Er sprang aus dem Wagen und sagte mir, er hätte mich seit drei Wochen gesucht, ohne mich finden zu können, meine Vorschläge wären bestens genehmigt. Ich lachte und antwortete ihm, ich hätte viermal im Monat das Quartier gewechselt, um der demokratischen Nachfrage zu entgehen, aber am Tage vorher mit der anderen Zeitung abgeschlossen. So schieden wir und haben uns niemals wieder gesprochen – auch er wurde zur Gothaer Partei gedrängt. Kurzum, so kam ich zur Kreuzzeitung und gab die Beamtenkarriere auf.«

»Haben Sie es nie bereut?«

»Aufrichtig, nein! Ich bin zufrieden mit der Wendung meiner Tätigkeit und war es selbst, der sie änderte. Als ich in der ersten Zeit meines Aufenthaltes in Berlin eine Verlängerung meines Urlaubes nachsuchte, sandte mich Schmückert, ein scharfer Bureaukrat, aber ein Royalist durch und durch mit echt preußischem Herzen, mit dem traurigen Geständnis seiner Ohnmacht der neuen Wendung gegenüber zu dem damals den Ton angebenden Geheimen Postrat Schüller vom Rhein. Als ich diesem mein Gesuch und dessen Gründe vorgetragen, sagte der plötzlich sehr liberal, später wieder sehr devot gewordene Gelegenheitspoet: ›Herr Postsekretär, Sie müssen wissen, ich bin durchaus kein Reaktionär!‹ Ich schob meinen Stuhl zurück und antwortete: ›Herr Geheimrat, dann haben wir beide allerdings nichts mehr zu verhandeln!‹ ging nach Hause und schrieb mein Abschiedsgesuch. Voilà – auch das Ende eines Beamten von achtundvierzig.«

»Aber,« bemerkte der Assessor – »erlauben Sie mir eine Frage. Jene fatale, Ihnen so sehr schadende Geschichte, der Prozeß Waldeck – ich bin nie recht klug daraus geworden!«

»Es ist mir lieb, daß Sie mir Gelegenheit geben, davon zu sprechen. Ohnehin ruft mich heute ein eigentümlicher Zufall, unter ähnlichen Umständen wie damals zu einem Rendezvous.«

»Zu einem Rendezvous? Ich sollte meinen, das wäre Ihnen nichts Neues!«

Der Journalist sah nach der Uhr. »Die Oper ist erst in einer halben Stunde zu Ende, so lange habe ich Zeit, Ihnen zu erzählen. Also kurz, und was ich Ihnen erzähle, kann die ganze Welt wissen, es ist die strengste Wahrheit. Sie haben es ja selbst mit erlebt, unter welchen stürmischen, teils ernsten, teils lächerlichen Demonstrationen der Sommer und Herbst 1848 verging. Ich erinnere mich, daß eines Abends – ich weiß nicht gleich, welcher Skandal los war, – als ich bei Scheible saß, mir gegenüber der bekannte Lindenmüller, mit dem ich diskutierte, daß einer der barfüßigen Jungen, die sich damals schockweise Unter den Linden als fliegende Buchhändler und sonstiges Gelichter herumtrieben, atemlos hereinstürzte: ›Herr Präsident, Herr Präsident!‹ ›Was soll's?‹ – ›Das souveräne Volk rückt an mit Fackeln!‹ – Ich fiel vor Lachen fast vom Stuhl, und der würdige Präsident des Lindenklubs erhob sich etwas rot vom Stuhl und meinte achselzuckend: ›Es ist einer meiner Adjutanten. Was soll man machen!‹ Damit ging er. Das waren die Präsidenten von achtundvierzig. – Die jetzigen sind auch nicht besser!«

Auch die beiden lachten. Der Journalist fuhr fort: »Zu manchen Szenen gab auch der 6. August Veranlassung, der Tag, an dem die preußische Armee Johann dem Reichsverweser huldigen sollte. In der Nacht vorher zogen wir mit einem großen Wagen durch die Straßen und steckten auf den Standbildern am Wilhelmsplatz und am Opernhaus, an der Viktoria und auf dem Weg zum Monument auf dem Kreuzberg jene schwarz-weißen Fahnen auf, welche am Morgen die ganze Demokratie Berlins in Harnisch jagten. Die Nachtwächter, als alte Soldaten, drückten beide Augen zu oder halfen. – Neben mir, ich wohnte damals am Zietenplatz, wohnte ein demokratischer Doktor, der seine große schwarz-rot-gelbe Fahne abnahm, um sie neben die preußische an den alten Zieten zu plazieren. Darüber kam die Polizei und nahm beide ab – er reklamierte die seine, ich die schwarz-weiße und fünf Minuten später wehten sie aus unsern Fenstern. Dem Andrängen des Hauswirts und verschiedener Deputationen, die preußischen Landesfarben einzuziehen, begegnete ich mit der Deponierung eines Zehntalerscheines für etwa zerschlagene Fensterscheiben und einem paar Pistolen auf dem Tisch, so ließ man sie ruhig wehen, bis ich sie nachmittags selbst einzog, um nach Tempelhof zu gehen, wo sich der große Bauernzug sammelte, der den Berlinern am Kreuzberg zuvorkam. Erinnern Sie sich der Tänzerin Bethge?«

»Ich habe den Namen gehört, aber sie ist ja wohl schon vor Jahren ausgeschieden?«

»Sie wohnte mir damals gegenüber. Ich kannte sie nicht; – aber als sie sah, daß ich die preußische Fahne wehen ließ, zeigte das wackere Mädchen mir am Fenster zwei ebensolche, und sie war die einzige in Berlin, die den Mut hatte, dem Anruf zu folgen und die Fahne auszustecken.«

»Aber die famose Bauern-Prozession?«

»Es machte einen feierlichen Eindruck, als die schlichten Männer in ihren Sonntagsröcken, mehr als zweitausend an der Zahl, unter dem Gesang des mächtigen Lutherliedes den Kreuzberg hinauf zum Denkmal des Sieges über den Erbfeind zogen, von dessen Stufen der Wander-Apostel der Königstreue, Baron Seid, eine ergreifende Ansprache hielt. Ebenso würdig und ruhig ging der Zug hinab, während von der andern Seite der wüste Musik- und Liederlärm des Zuges des großen Volkstribuns ›Berlin verproviantiert dir!‹ mit den Deputationen der Klubs, der Stadtverordneten, der fliegenden Buchhändler und der Bürgerwehr unter flatternden Fahnen herankam.«

»Und kam es nicht zu Konflikten?«

»Nein. Es war überhaupt vieles Maulfechterei der Demokraten wie noch heute. – Genug der Erinnerung an diese Scenen. Der Einmarsch der Truppen war vorbei, als mir eines Tages der Chefredakteur einen Brief gab, in dem sich irgendein anonymer Demokrat anbot, für gutes Honorar Berichte aus den Klubs und geheimen Versammlungen zu liefern, dergleichen Offerten waren damals der verschrieenen Kreuzzeitung zu Dutzenden gemacht und Sie selbst würden sich wundern, wenn ich Namen nennen wollte, die zu jener Zeit für den »Zuschauer« Berichte lieferten und jetzt eine große Rolle in Der liberalen Presse spielen. Genug, die Offerte fiel in mein Ressort, und ich hatte das Geschäft mit dem Anonymus zu unterhandeln.

Ich bestellte ihn für den nächsten Abend an die Blücherstatue und gab ihm als Losung die Frage: Was wird heute im Schauspiel gegeben? – Die Royalisten. – Frage und Antwort folgte zur bestimmten Stunde und ich sah mich einem Menschen gegenüber, der am Tage des Truppeneinzugs von der Wange der reformierten Kirche die Menge angeredet hatte, einem jener Bummler, die damals schockweise in den Klubs und Versammlungen umherstrolchten, ohne einen bestimmten Lebensberuf als das große Mundwerk, und ohne zu wissen, wovon sie am andern Tag ehrlich leben sollten.«

»War das der vielgenannte Ohm?«

»Gewiß – ein jüdischer Handlungsdiener aus Preußen. Er bot sich als Reporter aus der Demokratie an, und ich sehe noch heute keinen vernünftigen Grund, weshalb man in jener Zeit, wo die Gegenpartei jede mögliche Waffe gegen uns benutzte, die Offerte nicht hätte annehmen sollen. Wer würde im Krieg nicht die Nachrichten vom Gegner erkaufen und benützen? Sie werden sich erinnern, daß der ›Zuschauer‹ damals sehr vorzüglich bedient war, nicht bloß mit dem Klatsch der Demokratie, sondern auch mit ernsteren und gewichtigeren Nachrichten aus ihrem Feldlager. Auch Widerwärtiges floß genug mit unter, aber der ›Zuschauer‹ der Kreuzzeitung hatte in seiner damaligen Gestalt jedenfalls das Verdienst, daß er scharf und unbeirrt einen Angriffs- und Plänklerkampf als Avantgarde gegen den gefährlichen Feind führte, hinter dem sich dann die gewichtigere Masse des konservativen Geistes zur ernsteren Schlacht konzentrieren konnte.«

Der Diplomat nickte lachend. »Das ist wahr – Professor Huber hat den ›Zuschauer‹ in einer späteren Schrift nicht mit Unrecht den ›Kosaken der Reaktion‹ genannt. Aber weiter – Sie wissen, ich war damals noch nicht in Berlin und trat erst im nächsten Jahr in das politische Leben.«

»Es fällt mir gar nicht ein,« fuhr der Journalist fort, »für unseren damaligen Kampf und unser damaliges Vorgehen ein pater peccavi zu machen. Das sind Gewissensfragen, die jeder mit sich selbst ausmachen muß und allerdings ändern sich mit den Zeiten auch die Anschauungen. Was mich anbetrifft, habe ich vielleicht manchmal bedauert, daß ich in vielen Dingen nicht weltkluger gehandelt, aber noch niemals bereut, daß ich den Kampf für meine politische Richtung und Überzeugung mit voller Energie und allen Mitteln, so weit sie die Selbstachtung einem Mann erlaubt, geführt habe. Etwas wirklich Unrechtes kann ich mir noch heute aus jenen Tagen nicht vorwerfen, denn ich habe stets mit voller Hingebung an die Sache und ohne jeden persönlichen Eigennutz und Ehrgeiz gehandelt und meine Person nur da in den Vordergrund gestellt, wo es nötig war.«

»Das erkennen selbst Ihre vielen Gegner an,« sagte der Assessor ernst.

»Also weiter in unseren politischen Memoiren. Es lag nahe, daß unter den Mitteilungen, welche auf diesem und ähnlichen Wegen uns aus dem Heerlager der Demokratie wurden, viele sich befanden, die sich nicht für die Benutzung durch die Presse eigneten, wohl aber für die Behörden von Wichtigkeit waren und die jeder treue Diener des Königs die Pflicht hatte, diesen zu überweisen. Das geschah auch, und manches Unheil, mancher Exzeß ist damit verhütet worden. Auf diese Weise kamen viele der Mitteilungen Ohms in die Hände des Herrn von Hinckeldey, den die Demokratie so wütend anfeindete, so lange er sie mit scharfer Hand schüttelte, und dessen tragischen Tod sie dann zu ihren Tiraden gegen die Aristokratie und das Königtum auszubeuten suchte. Ich habe diesen energischen, für jene Zeit notwendigen und hochwichtigen Charakter stets geachtet und seinen Tod aufrichtig betrauert. Es wäre für Polizei und Stadtverwaltung wahrlich manchmal nicht übel, wir hätten noch Hinckeldey; die Tasche des Bürgers und die öffentliche Ordnung würden sich besser dabei stehen, als bei dem jetzigen sehr teuren und sehr unsicheren Konstitutionalismus!«

»Sie kamen also viel in persönliche Berührung mit ihm?«

»Nur so weit es meine damalige Stellung erheischte – ich liebe persönlich die Polizei nicht sehr. Aber man hatte mir damals das Vertrauen geschenkt, mich im Winter 48 zu 49 an die Spitze jenes offiziösen Preßbureaus zu stellen, welches die Aufgabe hatte, für die bevorstehenden Wahlen zu wirken, der Agitation der demokratischen Presse in den Provinzen entgegen zu arbeiten und den konservativen monarchischen Sinn wieder zu wecken und zu kräftigen. Herr von Hinckeldey gehörte zu der Kommission, der die offiziöse Leitung dieses Preßbureaus übertragen war und mit der ich zu verhandeln hatte; es waren tüchtige Männer darunter, die es treu und wahr mit dem Vaterland meinten. Mehrere von ihnen deckt bereits das Grab, andere wirken noch heute in hervorragendsten Stellungen. – Als die Mission im Frühjahr 1849 mit der Auflösung der Kammer beendet war, trat ich zurück, ohne jeden Anspruch – mir war es um die Sache selbst zu tun gewesen. Der einzige Dank, den ich dafür hatte, waren Unannehmlichkeiten und Kosten.«

»Und Waldeck?«

»Ich erinnere mich gar nicht, ihn je vor dem Prozeß gesehen zu haben. Ich weiß nur, daß er schon damals als der wichtigste Mann der demokratischen Partei galt, und das ist er in der Tat gewesen. Er war der Löwe unter der Meute der kläffenden Hunde, ein politischer Charakter von Bedeutung, weil er ein ganzer Mann war. Als solchen habe ich ihn persönlich stets geachtet, ohne daß mich dies im geringsten in meinem Urteil über seine Handlungsweise im Jahre 48 irre machen kann.«

»Und dies Urteil?« fragte der Assessor mit Interesse.

»Daß ein Beamter, der seinem König den Eid der Treue geleistet hat, Hochverrat gegen den König begeht, wenn er an Handlungen wie die berüchtigte Majorsnacht teil nimmt. Mit dieser Überzeugung werde ich leben und sterben. Auch ich bin Beamter gewesen und weiß, was der Eid der Treue zu bedeuten hat. Um so mehr mußte dies ein Mitglied des obersten Gerichtshofs des Landes, der den Eidbruch zu strafen hat, wissen. Damals bestand noch keine, Treubruch und Ungehorsam mit dem Konstitutionalismus rechtfertigende Verfassung, noch war der unbedingte Eid der Treue für den souveränen König für alle Beamten in Kraft, und ich kann mich von der Überzeugung nicht trennen, daß, ganz abgesehen von allen früheren und späteren Handlungen, ein Königlicher Staatsbeamter, der über den bewaffneten Widerstand gegen die Truppen seines Königs, also über offene Empörung, beraten hilft, eine Tat des Hochverrats begeht. Ich weiß sehr wohl, daß dergleichen in der politischen Parteianschauung oft für eine Ehre gilt, daß politischer Fanatismus mit dem sonst ehrenwertesten bürgerlichen Charakter vereinbar ist – für mich aber wäre Herr Waldeck nur dann der fleckenlose Volkstribun gewesen, wenn er nach dem März 48 zunächst seinen Diensteid der Treue in die Hände des absoluten Königs zurückgegeben hätte, den er ihm geschworen – das heißt also, wenn er damals seinen Abschied als Beamter genommen hätte. Ich bin ein sehr unbedeutender, nicht mit einem hochbefähigten Mann wie Waldeck zu vergleichender Faktor in jenem großen politischen Kampfe gewesen, aber um mich in ihm frei zu bewegen, habe ich Amt und Diensteid zurückgegeben und bin dennoch meinem König treu geblieben.«

Es folgte ein längeres Schweigen nach dieser Erklärung – nach einer Weile erst unterbrach es der Sprecher.

»Was das übrige betrifft, so ist es mit wenigen Worten erledigt. Trotz dieser meiner Anschauung der Personen und Verhältnisse ist es mir natürlich nie eingefallen, selbst nach jenem Prozeß nicht, – eine feindselige Gesinnung gegen Herrn Waldeck zu hegen oder gar mich in ein Komplott gegen ihn einzulassen. Als Herr von Hinckeldey es für nötig hielt, bei unserm Berichterstatter, der so gut informiert schien, einmal Haussuchung zu halten, um sich seiner Papiere und Notizen zu bemächtigen, die der Mann nur zum Teil mir gezeigt, deren Wert ich zu beurteilen gar nicht imstande war und von denen ich jetzt selbst glauben muß, daß vieles aus bloßer Spionseitelkeit hervorgegangen war, tat er es auf seine Gefahr, und ich habe dem Manne zur Flucht verholfen, weil ich nicht wollte, daß er durch den Verrat seiner Partei an uns unglücklich würde. Damit war meine Verpflichtung an ihn gelöst, wenn er später auswärts der Polizei selbst in die Hände lief, war das seine Sache. Ich war damals abwesend von Berlin; als ich zurückkam, hörte ich mit eben solchem Erstaunen wie Unglauben, daß der damalige Staatsanwalt Meier es gewagt hatte, auf seinen Kopf hin, gegen die Mißbilligung vieler verständigeren Beamten der Justiz und der Polizei, auf jene bloßen Notizen und mir selbst jetzt lächerlichen Briefe hin Herrn Waldeck zu verhaften und eine Untersuchung gegen ihn zu eröffnen. Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, mich zu jenem Prozeß als Zeuge zu drängen, ich habe mich sogar streng geweigert, die früheren schriftlichen Berichte Ohms aus dem demokratischen Treiben herauszugeben. Erst als der Staatsanwalt sie durch Haussuchung bei mir mit Gewalt in Beschlag nehmen ließ, um den Prozeß fortsetzen zu können, in den er selbst sich so unvorsichtig und ehrgeizig gestürzt hatte, und das Gericht mich als Zeugen laden ließ, habe ich die unabweisliche, jedem Staatsbürger obliegende Pflicht erfüllt, ohne Animosität gegen Herrn Waldeck, über alle jene Vorgänge, die Wahrheit zu sagen. Dieses Zeugnis hat Herrn Waldeck nicht im geringsten belasten oder auch nur beschuldigen können, und es ist eine ebenso freche als bornierte Gehässigkeit der Demokratie, wenn sie mich deswegen beschuldigt.«

»In der Tat,« bemerkte der Assessor, »ist nach dem Urteil vieler Juristen jener Prozeß auch in juridischer Beziehung merkwürdig geführt worden.«

»Das ist er! Die Sache, auf die es ankam, die Vorgänge der sogenannten Majorsnacht zum Beispiel, über die eine Menge wichtiger Aussagen vorlagen, und über die Anwesenheit Königlicher Richter und Beamter dabei, wurden gänzlich ignoriert und totgeschwiegen. Jene läppischen Briefe wurden allein zur Grundlage benutzt und der Herr Staatsanwalt, dem aus der Verhandlung durchaus nichts Neues, ihm früher Unbekanntes hervorgehen konnte, suchte seine eigene Übereilung durch das Schimpfen auf ein Komplott und Bubenstück zu entschuldigen. Jeder Gerichtshof, ob die Richter in politischer Beziehung der konservativen oder demokratischen Richtung angehörten, mußte Herrn Waldeck von dieser Anklage freisprechen. Die Deklamationen der liberalen Presse über den Mannesmut und die Unparteilichkeit des Präsidenten des damaligen Schwurgerichts sind also nichts, als leeres Strohdreschen; welcher politischen Richtung derselbe angehörte, hat er ja später oft genug dokumentiert! Das wirkliche moralische Urteil in der Sache – nicht das juridische oder politische der Parteien – gab damals allein das bekannte Schreiben des Ober-Tribunal-Kollegiums an seinen Kollegen ab, und damit wollen auch wir uns begnügen.«

Die Unterredung wurde durch den Eintritt eines Fremden unterbrochen.



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