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Vierzehntes Capitel.

Die Gräfin Hoym war des Promenirens am Arme Sr. Excellenz bald müde geworden. Sie hatte sich mit ihm ins Haus zurückbegeben und Platz auf dem Divan des Zimmers genommen, das durch die geheime Treppe mit dem obern Stockwerke verbunden war.

Nachdem der Baron Mallzow, der eben kein Verehrer der Gräfin war und ihre Geistesgaben sehr gering schätzte, verschiedene Versuche gemacht hatte, ein Gespräch, das einigermaßen Interesse für ihn haben konnte, in Gang zu erhalten, verfiel er auf den Einfall, Domino mit ihr zu spielen. Sie ging lächelnd darauf ein. In ihrem Busen schlummerte nämlich eine Absicht, die sie im Verfolg des Spieles zu Tage fördern konnte.

Das Spiel begann. Eine kleine Weile beschäftigten die Chancen desselben sie hinlänglich genug, um ihre Gedanken von ihrem Vorhaben abzulenken, dann aber sagte sie in langsam gedehntem Tone, gleichsam wie auf der Lauer liegend:

»Was sagen Sie denn zu der abscheulichen Intrigue, die man Ihrer Frau Gemahlin zu spielen beabsichtigte, Excellenz?«

Der Minister blickte flüchtig auf, setzte seinen Stein und fragte:

»Eine Intrigue? Ich weiß nicht, was Frau Gräfin meinen.«

»Ei, so erzähle ich Excellenz etwas Neues damit!«

»Ich brenne vor Neugier!«

Er setzte weiter.

»Der Juwelier Hoobert soll ja behauptet haben, Ihre Frau Gemahlin habe bei ihm einen Brillantenkamm, nur halb echt, anfertigen lassen.«

»Was thäte das?« entgegnete der Minister gut gelaunt, denn sein Spiel stellte sich gut. »Wer ganze Brillanten nicht bezahlen kann, thut gut, nur halbe zu tragen.«

»Freilich wohl, Excellenz, aber man hatte ferner ausgesprengt, daß der Brillantkamm der Gräfin Sonnenfels vertauscht und ein halb echter statt dessen in ihrem Besitze sei.«

Der Baron streifte spottlächelnd mit seinen Blicken die Dame, von der man sagte, daß sie die unwahrscheinlichsten Dinge glaube, wenn man sie ihr unter dem Scheine geheimnißvoller Vertraulichkeit mittheile. Er musterte dann sorgsam seine Steine und als er keinen passenden fand, sagte er ganz gemüthlich:

»Jetzt Attention au jeu!«

Frappirt sah ihn die Gräfin an. Das waren fast dieselben Worte, die Saint Potern am Morgen gesprochen hatte. Sollte nicht hier ein Zusammenhang zu finden sein?

»Sie wissen also, was es für eine Bewandtniß mit dem zertretenen Diadem hat?« fragte sie unbedachtsam eilig herausplatzend.

»Mit welchem zertretenen Diadem? Achten Sie gefälligst auf Ihr Spiel – ich bin im schönsten Zuge, ›Domino‹ zu rufen.«

Die Gräfin, ärgerlich vor Neugierde, setzte an ohne zu prüfen. Ihr Gegner lachte muthwillig und ordnete seine Steine.

»Sie scheinen die Sache sehr leicht zu nehmen, Excellenz,« meinte die Gräfin gereizt. »Aber ich denke, es steckt etwas dahinter, wenn man in höchster Wuth einen kostbaren Diademkamm zertritt.«

»Ha – ha – ha! Domino, Gnädigste!« rief der Minister, jubelnd in die Hände klatschend. »Aergern Sie sich nicht, ich gebe Revanche. Sie waren nicht aufmerksam genug. Das Diadem der Gräfin Sonnenfels beschäftigte Sie zu sehr.«

»Erlauben Sie, das weniger, als dasjenige Ihrer Frau Gemahlin,« entgegnete sie pikirt.

»Warum beschäftigte Sie das?« fragte er ganz verwundert.

»Weil sie es zertreten hat!« war die kurze, kalte Antwort.

Der Baron machte ein ernstes Gesicht und ließ eine gewisse vornehme Gleichgültigkeit über sein Mienenspiel gleiten.

»Zertreten?« wiederholte er ungläubig.

»Gewiß,« betheuerte die Gräfin. »In voller Wuth hat Lotta den Kamm zertreten!«

»Und das muß einen Grund haben,« unterbrach der Minister sie. »Ich werde meine Frau nach dem Motive ihres Handelns befragen.«

»Saint Potern steckt dahinter,« fiel die Dame eifrig ein. »Erinnern Sie sich nicht, daß er von Chrysophyron einen Gruß bestellte und Attention au jeu anempfahl?«

»Es läßt sich Niemand leichter vom Schein täuschen, als Sie, Gräfin,« entgegnete Mallzow gutmüthig spottend. »Geduld, Gnädigste, meine Lotta soll nachher ins Gebet genommen werden und Alles beichten, was sie Böses gethan. Spielen wir noch eine Partie?«

Die Gräfin nahm bereitwillig die Steine und dachte:

»Mit dem Diadem ist's dennoch nicht richtig!«

Eine Weile blieb sie still und wendete ausschließlich ihre Aufmerksamkeit aufs Spiel. Dann fragte sie:

»Hat Ihnen Lord Charlestone schon die Aufwartung gemacht?«

Der Minister antwortete abweisenden Tones ein lakonisches »Nein!«.

»Das wundert mich! Er ist seit vorgestern in der Gegend. Was thut er hier?«

Sie erhielt keine Antwort. Mallzow stellte sich vertieft in sein Spiel, fühlte aber nichtsdestoweniger die Folter, welche in diesen Fragen lag. Wußte seine Gattin noch nichts von der Ankunft des Lords? Sie hatte die Möglichkeit erwähnt, mit ihm beim Grafen Sonnenfels zusammentreffen zu müssen, weiter nichts.

»Der Lord ist wahnsinnig,« fuhr die Gräfin fort. »Eine schöne junge Frau zu vernachlässigen, um der Gemahlin eines Anderen zu huldigen.«

»Wenn der Lord die Nutzlosigkeit seiner Bemühungen erkennt, wird er schon vernünftig werden,« warf Mallzow hin.

»Excellenz sollte die Sache nicht zu leicht nehmen, es steckt etwas dahinter!«

»Meinen Sie? Auch darüber soll Lotta nachher befriedigende Auskunft geben!« rief der Minister, der seine Entrüstung über die Verdächtigungen der Gräfin nicht mehr zu unterdrücken vermochte.

In diesem Moment rollte ein Wagen über die Brücke und fuhr durch die Halle bis in den kleinen Hof. Das war ein Zeichen, daß es kein Besuch, sondern der Sohn des Hauses sein mußte.

»Burkhard,« sprach der Minister überrascht. »Was mag ihn so früh vom Diner nach Hause bringen?«

Die Artigkeit fesselte ihn an den Spieltisch, sonst hätte ihn die Herrscherkraft der Neugier wohl hinausgeführt, um nach dem Grunde der frühzeitigen Rückkehr zu fragen. Er sollte nicht lange auf die Erklärung dieses befremdenden Umstandes warten.

Burkhard stürmte ins Zimmer, sah sich unwirsch nach allen Seiten um, küßte der Gräfin Hoym eiligst die Hand und fragte:

»Wo ist Eveline? Wo ist die gnädige Frau Mama?«

Als er keine befriedigende Antwort erhielt, öffnete er mit heftigem Druck die Feder der Tapetenthür und sprang in einigen Sätzen dort hinauf. Während der Zeit trat Saint Potern ins Zimmer. Auch er sah sich verstohlen im Zimmer um und ließ sich bedenklichen Blickes neben der Gräfin nieder, als sie ihn bat, Platz zu nehmen.

»Was ist denn geschehen?« fragte der Minister. »Was hat Burkhard zurückgeführt und schon so früh? Reden Sie, Saint Potern. Sie sehen doch unsere Spannung!«

»Was uns so früh zurückgeführt hat?« wiederholte Saint Potern. »Eine Vision Ihres Herrn Sohnes, Excellenz. Ich theilte ihm mit, daß ich früh aufbrechen wollte, um meine Tochter von hier abzuholen. Es war, als träfe ihn ein Blitzstrahl; sein Auge richtete sich starr in die Weite, und er sprach ganz leise: ›Weiß ich nun endlich, warum mir das Bild Evelinens heute immer so unsäglich traurig vorschwebte.‹ Dann faßte er mich an der Hand und sagte befehlend: ›Kommen Sie! Wir müssen fort; wir müssen Evelinen zu schützen suchen! Voilà tout!«

Der Minister lächelte fein.

»Visionen solcher Art verrathen Liebe, bester Freund!«

»Oder Mißtrauen!« sprach die Gräfin bedächtig. »Es käme nur darauf an, wen der Baron Burkhard für fähig hielte, das gute Kind zu kränken. Sollte er unsere liebe Lotta dieserhalb in Verdacht haben?«

»Meine Frau wird sich selbst darüber zu vertheidigen wissen,« meinte der Minister hochfahrend. »Es ist speciell ihr Wunsch gewesen, Burkhard mit Eveline zu vermählen, also wäre es eine Narrheit, ihr zu mißtrauen!«

»Excellenz wollen erlauben – das Spiel der Frau Gräfin ist etwas aus dem Gleise gekommen,« wendete Saint Potern ein. »Ich will doch dem Baron Burkhard folgen und nach meinem Kinde sehen. Rachegedanken haben oft Drachenzähne gesäet, und wenn meine Kleine unter den Sünden ihres Vaters leiden sollte, so würde ich mir Vorwürfe zu machen haben.«

Er erhob sich und ging langsam dem Parke zu.

Wie Saint Potern in der Capelle mit der Baronin, zusammengetroffen war, ist schon im vorigen Capitel dargethan, und es bleibt nun nur noch übrig, ihn bei seinem Monologe wieder aufzusuchen. Seine Gedanken kamen auf die Wahrnehmungen seines Dieners zurück, die ein Einverständniß mit dem Lord Charlestone befürchten ließen. Sein Hang zur Abenteuerlichkeit regte ihn zu allerlei Plänen auf, einmal ein Rendezvous zwischen diesem Paare nicht allein zu stören, sondern es dem allgemeinen Eclat preiszugeben.

Daß die Ehre des alten Baron Mallzow dadurch unheilbar verletzt werden würde, bekümmerte ihn wenig. Er verband mit dem auftauchenden Plane einen pecuniairen Vortheil und glaubte, durch kluge Benutzung der Verhältnisse einen Theil der Geldsumme zu retten, die die Baronin durch ihre listige Habsucht von ihm zu erpressen gedachte.

Kaum hatte die Idee in ihm festen Fuß gefaßt, so schritt er auch zur Ausführung. Lord Charlestone mußte sich, aller Wahrscheinlichkeit nach, im Walde oder sogar im Buschwerke des etwas vernachlässigten Parkes befinden, da Lorenz nicht allein dieselben lockenden Töne des Vogels, sondern auch dieselbe Busenschleife vom Bankette im Sonnenfels'schen Schlosse ausspionirt hatte. Lorenz mußte weiter spioniren, um ihm Gelegenheit zu geben, den Lord und die Baronin überraschen zu können.

Gedacht, gethan. Saint Potern wendete sich, ganz erfüllt von seinen thörichten Plänen, nach der Seite, wo er seinen Diener Lorenz zu finden hoffte. Er konnte der Versuchung zu einer Intrigue, die wie bösartiges Fieber im Geiste der Zeit ruhte, nicht widerstehen.

Während er dahin schlich, um Lorenz aufzusuchen, schritt Burkhard mit Eveline dem Hause zu, voll von den reinsten Gefühlen, sicher seines Glückes, weil er sein Herz erkannt hatte. Eveline war, von ihrer leidenschaftlichen Erregung genesen, jetzt im Stande, das zu beurtheilen, was um sie her vorging. Der ewigen Schwankungen im Gemüthe ihres Vaters gewohnt, flößte ihr die ernste Ruhe des jungen Edelmannes, die er selbst in den wichtigsten Erklärungen beibehielt, eine Art Ehrfurcht ein. Gerade die knabenhafte Beweglichkeit im Wesen ihres Vaters gab ihr den richtigsten Maßstab für Burkhard's feste Männlichkeit und befriedigte sie so vollkommen, daß Zweifel an ihm ihr als eine Beleidigung erschienen wären.

Ihr Bund schloß sich mit jeder Minute fester. Ihr Dasein schien ihnen wie von neuen Hoffnungen durchglüht, und es war wohl nicht die Vernunft allein, die sie so unauflöslich aneinander zu fesseln trachtete. Der Jugendreiz, der das junge Wesen an Burkhard's Seite wie mit einem Lichtglanze umwallte, trieb sein Herz zu mächtigern Schlägen und die eben beseitigte Gefahr, sie zu verlieren, stellte ihm sein Gefühl für sie in das richtige Licht. Dazu kamen die Erinnerungen an ihr erstes Begegnen in den Adersbacher Felsenlabyrinthen, welches mit dem Zauber der Romantik ihren Geist beseelte und jedes Gefühl von Fremdheit und Förmlichkeit beseitigen half.

Die Stunden eines solchen Alleinseins wiegen ein jahrelanges Kennen und Verkehren im geselligen Leben auf. Es sind die schönsten Momente, die von Gottes Hand in ein irdisches Dasein gelegt sind, wenn das Herz unter leisen Sehnsuchtsregungen erzittert und das Auge, unter den Rechten des Besitzes, im Aufleuchten der Leidenschaft sich begegnet. Die Zeit fliegt vor diesem Glücke und die Lippen verstummen unter dem Drucke dieser Empfindungen. Je schweigsamer aber der Mund, desto tiefer wühlt sich die Sehnsucht der Liebe und das Verlangen der Zärtlichkeit in des Menschen Brust ein – je schüchterner der Blick, der von Auge zu Auge streift, desto sicherer schürt er die Flamme, welche Vereinigung heischt.

In dieser Stimmung wandelten Burkhard und Eveline durch die Dämmerung, die allgemach eintrat, dahin und als sie sich dem Hause näherten, um den geheimen Bund ihrer Herzen Denen zu veröffentlichen, die daran gearbeitet hatten, ihn erst mit Selbstsucht zu schließen, um ihn dann mit Laune zu zerstören, da trugen sie den Muth zu jedem Kampfe für ihr Glück im Innern. Ihr Schicksal war von dem Segen einer Mutter geheiligt und von der Führung eines allmächtigen Wesens geschlossen. Was die weltliche Frivolität ihnen nun in den Weg legen wollte, das sollte an ihrem Charakter zerschellen.

Burkhard führte Eveline geraden Wegs in das Zimmer, wo er seinen Vater mit der Gräfin verlassen hatte. Sie saßen Beide noch beim Domino, aber zerstreut, aufgeregt und gespannt auf das, was sich zunächst aus dem Schooße der Verhältnisse entwickeln werde.

Dem Minister war bei Weitem unbehaglicher zu Muthe nach den Eröffnungen der Gräfin, als er blicken lassen wollte. Er athmete ordentlich froh auf, als sein Sohn die Thür öffnete und ihn von dem tête-à-tête mit der Gräfin erlöste, die ihm als ein Quälgeist erschien, wie er in Träumen von friedlicher Glückseligkeit vorkommt. Warum sollte er sich in seinen schönen Träumen stören lassen, die wie ein unbegreifliches Glück seinen Lebensabend verherrlichten?

Burkhard geleitete das junge Mädchen zu seinem Vater und sprach mit bewegtem Tone:

»Segne sie, mein Vater, sie will Deine Tochter werden!«

Als der Minister sie bereitwillig in den Arm nahm und herzlich auf die Stirn küßte, fügte er leiser hinzu:

»Man gedachte es böse mit mir zu machen, aber es lebt ein höheres Wesen über uns, das unser Geschick zum Besten führt. Ich weiß jetzt Alles, mein Vater! Saint Potern hat mir auf dem Wege hierher das ganze Gewebe von Habsucht, Selbstsucht, Leichtsinn und Schlauheit dargelegt. Gottlob, das Spiel ist aus und ich kann fröhlich in die Zukunft schauen!«

Der Minister faßte ergriffen seine Hand.

»Was ich daran verschulde, Burkhard, wird meine Liebe zu Deiner Braut sühnen.«

»O, Du bist nicht in der Anklage begriffen,« erwiederte Burkhard eifrig. »Du bist nur ein Werkzeug der Intrigue gewesen – Deine Rolle war Dir vorgezeichnet.«

Er wendete sich schnell zu der Gräfin Hoym, die, noch unsicher über die Meinung Burkhard's, stolz und kalt dabei stand.

»Sie sind die Erste, meine Gnädigste, der ich Eveline v. Saint Potern als meine Braut präsentiren muß, denn Sie betrachte ich als die mütterliche Beschützerin des theuren Mädchens. Ich bitte Sie um den Schutz, den Sie ihr gewähren können, theure Gräfin, ich beschwöre Sie, die Rechte einer Mutter zu üben, bis zu dem Zeitpunkte, wo ich sie als Gattin selbst beschützen kann. Hüten Sie das zarte, reine Wesen vor dem fürchterlichen Gifte, das in der Atmosphäre unsers Zeitalters ruht. Ihnen vertraue ich das Kleinod meines Lebens an, denn Ihre Vergangenheit zeigt uns eine fleckenlose Treue gegen den Gatten – Sie werden Eveline vor der berauschenden Frivolität einer leidenschaftlichen Huldigung bewahren, wenn sie in dem Gesellschaftskreise aufgeht, wie ein Stern von seltenem Glanze. Geben Sie mir Ihre Hand zum Pfande, Gräfin, daß Sie mit dem Auge einer Mutter über Eveline wachen wollen!«

Die Gräfin, seltsam bewegt und gehoben durch dies Vertrauen, legte ihre Rechte in seine Rechte und leistete ernst ein Versprechen, wie er es heischte.

Als sie ihr Auge, feucht von Rührung, erhob, begegnete es dem Blicke Saint Potern's, der unterdessen eingetreten war und mit einiger Ungeduld das Ende der rührenden Scene abgewartet hatte. Es kam ihm jedenfalls exaltirt und übertrieben vor, so viel Worte über einen Gegenstand zu verschwenden, der sich von selbst verstand, denn er machte verschiedene Pantomimen, die seine Langeweile dabei hinlänglich verriethen. So wie Burkhard ihn erblickte, reichte er ihm die Hand und Eveline flog, hocherröthend, an seine Brust.

Danach wendete sich nun der ernste Ton des Gespräches und man verbrachte eine ziemlich lange Zeit damit, Pläne für die Zukunft und namentlich für die nächsten Lustbarkeiten, die in einer gewissen Reihefolge das Turnierfest auf Fürstenstein einleiten sollten, zu entwerfen. Erst bei der Erwähnung der Baronin Lotta, die eine Rolle in jedem geselligen Cirkel zu spielen befähigt war, bemerkten alle Anwesenden gleichzeitig, daß die Dame es verschmäht hatte, ihre Gäste wieder aufzusuchen.

»Wo ist meine Frau?« fragte Mallzow seines Sohn. »Hast Du sie vorhin gefunden? Wo bleibt sie?«

Burkhard heftete verlegen seine Augen auf ihn und antwortete zögernd:

»Ich habe sie gefunden – ich habe sie in interessanten Mittheilungen aus einer Zeitperiode gestört, wo sie noch nicht Deine Gattin war. Ich habe wenig Rücksicht darauf genommen, daß sie jetzt Deine Gattin ist und deshalb wird sie es vorziehen, unsere Gesellschaft zu meiden.«

»So werde ich dazu thun, um diesen Conflict auszugleichen,« entgegnete der Minister, vorwurfsvoll zu Burkhard aufblickend. »Deine Ehrlichkeit kennt oft keine Grenzen und ich weiß, wie voreilig meine arme Lotta verurtheilt wird.«

Er schritt gegen die Thür zu.

»Warten Sie nur einen Augenblick,« fiel Saint Potern schadenfroh lächelnd ein; »Excellenz, nur einen einzigen Augenblick noch – dann begleiten wir Sie und holen die Baronin im Triumphe ein.«

»Es wird aber dunkel,« wendete Excellenz ein.

»O, wir zünden Fackeln an,« scherzte Saint Potern leichtfertig. Sein Blick hing an der Thür, wohinter sich ein leichtes Geräusch bemerkbar machte.

»Sie kommt!« rief Excellenz freudig, trat zur Thür und öffnete sie.

Nicht die Baronin, sondern Lorenz, der Diener Saint Potern's, wurde allen Blicken sichtbar. Athemlos vom schnellen Laufen, verwirrt in Blick und Geberde stand der Bursche da und starrte schweigend die ganze Gesellschaft an. Tölpelhaft fuhr er sich mehrmals mit der Hand durch das struppige rothe Haar und schwenkte den Hut, den er in der andern Hand hielt, wie ein ungelenker, alberner Knabe hin und her. Er stellte augenscheinlich das Bild höchster Verlegenheit dar.

Sein Herr, etwas erschrocken über sein Aussehen, welches seinem sonstigen, listig klugen Wesen nicht entsprach, trat einen Schritt näher an ihn heran und fragte ermunternd:

»Nun Lorenz – was bringst Du – was hast Du vor? Sprich laut und vernehmlich, was führt Dich her? Was hast Du für Nachrichten zu melden?«

»Gnädiger Herr, sie ist fort!« stammelte Lorenz.

Saint Potern stutzte. Was sollte das heißen? Er hatte dem Diener aufgetragen, dem Lord Charlestone aufzupassen und die Baronin zu beobachten – wie paßte die Antwort darauf!

»Wer ist fort?« fragte er lebhaft und ärgerlich über die Dummheit des Dieners.

»Die gnädige Frau Baronin v. Mallzow Excellenz,« referirte Lorenz, der jetzt seine Fassung wieder erhielt und die Wichtigkeit seines Berichtes begriff. »Gnaden sind in einem schönen eleganten Wagen mit sechs Pferden bespannt den Waldenburger Weg hinabgefahren – der Herr auf dem schönen Araber vorweg.«

»Lord Charlestone?« rief Eveline überrascht.

Alle drängten sich näher zu Lorenz, selbst Saint Potern zeigte die entstellenden Schatten eines ungeahnten Schreckens.

»Sie ist entführt!« schrie der Minister, halb wahnsinnig vor Schmerz. »Ihr nach, meine Freunde, ihr nach!«

»Entführt?« wiederholte Lorenz mit respectvoller Reverenz. »Halten zu Gnaden, Excellenz, die Frau Baronin lachte, als sie am Arme des Herrn, dem das schöne, wilde Pferd gehört, durch's Gebüsch ging.«

»Der Reiter!« murmelte Burkhard zwischen den zusammengepreßten Lippen.

»Burkhard, mein Sohn, mein lieber Sohn, erbarme Dich Deines armen Vaters,« bat Mallzow, bebend vor innerer Aufregung. »Es ist nicht wahr, sie ist nicht entflohen – sie ist entführt, gewaltsam entführt, schlau verlockt bis zum Wagen und dann von der Kraft des heillosen, leidenschaftlichen Engländers überwältigt worden!«

»Nein, Excellenz,« berichtete Lorenz treuherzig. »Die ganze Geschichte war abgekartet, so wahr Gott im Himmel lebt. Ich habe gestern schon bemerkt, daß etwas los war –.«

Er schwieg, weil ein Wink seines Herrn ihn belehrte, daß Schweigen bisweilen besser sei, als Reden.

»Ah so!« flüsterte die Gräfin. »Daher das Zertreten des Diadems!«

»Also durchgegangen wäre sie mir heute mit meinem Diadem,« sprach Saint Potern eben so leise. »Wie schlau, wie schlau! Aber ich war noch schlauer!«

»Burkhard!« sprach Mallzow, bewegt seine Augen zum Sohne aufrichtend, »Burkhard, bitte ich Dich wirklich vergebens? Willst Du wirklich meine arme Lotta ihrem Entführer nicht entreißen? Glaubst Du wirklich, daß sie mich freiwillig verlassen hat?«

»Ja, mein Vater,« antwortete Burkhard, nachdem er Lorenz bedeutet hatte, bis auf Weiteres abzutreten. »Ja, sie hat Dich freiwillig verlassen. Jetzt verstehe ich die Klagen Deiner Gattin über Lord Charlestone's Leidenschaft – jetzt durchschaue ich ihre Pläne, die längst reif geworden sind. Mein Vater, fasse Dich, Du hast nichts an ihr verloren –.«

»Alles, Alles habe ich verloren,« jammerte der verblendete Mann. »Die Sonne meines Lebens ist verlöscht – die Blumen meines Daseins verblüht – O Lotta, warum hast Du mich verlassen! – Ich hätte ihr Alles vergeben, ich hätte Alles wieder ins Gleiche gebracht! O Burkhard, eile ihr nach, entreiße sie ihrem Entführer – jage ihm eine Kugel durch's falsche, niederträchtige Herz!«

Er glich einem Wahnsinnigen, indem er mit diesen Worten durch's Zimmer stürzte und unter wilden Geberden die Hände rang.

Burkhard stand einige Momente rathlos und betrachtete den Mann, der von einem bösen Zauber überwältigt schien. Dieser Zauber mußte gelöst werden. Es galt hier ein Wagniß auszuführen. – Burkhard war der Mann dazu, diese Verantwortung auf sich zu nehmen. Rasch trat er dem Minister entgegen und legte seine beiden Hände fest auf seine Schultern.

»Vater, höre mich!« bat er liebevoll. »Du hast eine böse Schlange am Busen genährt – sie zehrte von dem Edelmuthe Deines Herzens und von der Ehre unsers Namens! Sie hat Dich nie geliebt, eben so wenig wie sie mich, wie sie den Prinzen Ferdinand und wie sie jetzt den Lord Charlestone geliebt hat. Sie liebt nur sich! In dieser thörichten Selbstliebe hat sie sich unverzeihlicher Sünden schuldig gemacht, sie ist bis zur Betrügerin hinabgesunken – sie brauchte einen Protector, einen Freund en reserve, der sie rettete, wenn das Eis unter ihren Füßen brach. In Rücksicht hierauf leitete sie den Gedanken zur Flucht ein und das Eis ist endlich gebrochen. Sie steht entlarvt da, wenn auch für jetzt, durch Saint Potern's Freundschaftsdienst, nur für den Kreis ihrer Angehörigen. Du hättest ihr in Folge dessen den Weg aus Deinem Hause zeigen müssen – sie hat also gut daran gethan, selbst ihren Weg aus demselben zu suchen und sich in nebelhafte Fernen zu verlieren.«

Mallzow hatte sich gewaltsam in die gehörige Ruhe zurückgebracht. Er stand ernst und bleich vor seinem Sohne und nur die leise geflüsterten Worte: »Sie war die Güte, sie war die Liebe selbst – sie glitt wie ein Sonnenstrahl durch den Abendhimmel meines Lebens!« entrangen sich seinem Munde.

Als Burkhard schwieg, entstand eine drückende Stille, in der Jeder seinen Gedanken dergestalt nachhing, daß er die Anwesenheit der Andern vergaß. Daher kam es, daß es wie ein leichter Schrecken über Alle hinwegfuhr, als der Minister plötzlich ernst und fest sagte:

»Ich möchte bitten, mich allein zu lassen. Hat ein böser Zauber meine Sinne umgaukelt, so wird er jetzt schwinden, da die Person fern ist, welche mich damit umsponnen hatte. Lächelt nicht über den alten Mann, meine Freunde, daß er diese Täuschung mit jugendlichem Schmerze empfindet – es ist so süß für den alternden Mann, Liebe und Güte zu empfangen und zwar von einem weiblichen Wesen, das nicht durch Naturbande dazu veranlaßt wird. Laßt mich allein – vielleicht lerne ich Lotta binnen kurzer Zeit des ernsten Nachdenkens verachten und finde darin das beste Heilmittel.«

Er reichte jedem Einzelnen die Hand mit festem Drucke und stieg dann die Treppe hinauf, welche von seiner Gattin entdeckt und zu allerlei Zwecken schon benutzt worden war. Als er das Zimmer betrat, worin der Eingang mündete, glitt sein Fuß, durch einen kleinen Gegenstand am Boden veranlaßt, aus. Er bückte sich und griff in der Dunkelheit danach. Es waren Splittern eines Diadems, gewaltsamerweise vernichtet, ein Zeugniß für die Wahrheit der Anklage, an der sein bestochenes Herz noch immer zweifeln wollte.

Demüthig sammelte er im letzten Tagesschimmer die Trümmer des Geschmeides, das eine Offenbarung ihrer Schuld war. Die blitzenden Steine, welche am Boden verstreut lagen, wurden zu Indizien, mächtig genug, um als Beweise gegen die Baronin Lotta zu dienen und ein Verdammungsurtheil zu formiren, das der Minister mit blutendem Herzen unterschrieb. Ihr verführerisches Bild verlor damit seinen Nimbus und die Erinnerungen an den Lug und Trug, womit sie ihn selbst zu tadelnswerther Schwäche verlockt hatte, machten sich geltend. Der böse Zauber, der seine Sinne umgaukelt hatte, verlor sich viel schneller, als er selbst gedacht und wenn auch seine Heiterkeit eine längere Zeit getrübt wurde, sein Herz erkaltete weit rascher für das Andenken seiner unwürdigen Gattin, als man geglaubt hatte.

Die Flucht der Baronin änderte alle Pläne. Burkhard gab jeden Gedanken an eine Betheiligung beim Turnierfeste auf. Seine Ansichten über äußeres Ansehen erlitten einen harten Stoß und er eilte, sich das aus dem Wellenschlage der Ereignisse zu retten, was von unbezahlbarem Werthe für ihn geworden war.

Seine erste Handlung war, sich einen Heirathsconsens zu verschaffen und in aller Stille Eveline zu seiner Gattin zu machen. Er führte sie fort nach seiner Garnison und lebte dort, unbekümmert um die Scandalsucht der vornehmen Welt, ein still seliges Leben.

Der Minister kam um seinen Abschied ein. Sein Unglück war ein öffentliches Geheimniß, das aber durch Discretion so weit verschleiert wurde, wie es die Achtung vor dem ehrenwerthen Familienstamme der Mallzow's gebot. Seine beiden, schon verheiratheten Töchter, welche die zweite Gemahlin ihres Vaters mit Fug und Recht verachtet hatten, eilten auf die erste Nachricht seines Mißgeschickes herbei, um ihn zu trösten und ihm Zerstreuung in ihrem glücklichen Familienkreise anzubieten. Er verließ das Jagdschloß noch vor dem Eintreffen des Königspaares in den schlesischen Thälern und es stand von da an verlassen, bis die französischen Kriegsheere diese Gegenden wie Heuschreckenschwärme überschwemmten. Im Kriegsgetümmel wurde es dergestalt demolirt, daß kaum die Stätte zu bezeichnen war, wo es gestanden hatte. Eben so erging es dem Stiftsgarten, nebst dem kleinen Landhause der Gräfin Hoym.

Ueber das fernere Schicksal der Baronin Lotta schwebt ein gewisses Dunkel. So viel ist gewiß, daß sie, keinesweges durch ihre Erfahrungen gewitzigt, ein ganz gleiches Leben fortgeführt hat, wie früher. Das freventliche Spiel, welches diese körperlich und geistig begabte Frau seit ihrer Jugend mit so fürchterlichem Leichtsinne begonnen hatte, endete für dies Mal, wenigstens in ihrer Heimath mit einem perdu à jamais. Das soll sie aber nicht abgehalten haben, so lange einen gleichen Einsatz von Tugend und Ehre zu wagen, bis das Alter mit dem Verluste ihrer Reize eine Grenze bezeichnete.

Saint Potern lebte nach wie vor bald hier, bald da, klopfte Kieselsteine, um Diamanten darin zu suchen, und ging nur von Zeit zu Zeit auf kurze Besuche zu seiner Tochter, die eine glückliche Gattin und Mutter geworden war.

Er war viel zu stolz auf seine Schlauheit, womit er den Tausch der Diademe bewirkt hatte, als daß er sich nicht beim ersten Zusammentreffen mit den beiden Juwelieren in der Residenz damit gebrüstet haben sollte. Durch seine allzu offenherzigen Geständnisse kam es denn endlich ans Tageslicht, wie die Sache zusammenhing und die Gräfin Sonnenfels erfuhr nachträglich, was sie ihm zu danken hatte.

Bei der Invasion Napoleon's in Deutschland machte sich dieser schlauköpfige Mann, trotz aller Widersprüche, eiligst davon, ging nach England und brachte dort sein großes Vermögen auf's Sicherste unter. Er war klüger gewesen, wie Tausende von Menschen, denn er hatte die Unterwerfung der deutschen Reiche im Voraus prophezeit. Fünf Jahre blieb er in England und dort traf er eines Tages mit dem Lord Charlestone zusammen, der nicht anstand, ihm mitzutheilen, daß er sehr bald über den eigentlichen Charakter der Baronin Lotta ins Klare gekommen sei und sie ohne Weiteres ihrem Schicksale überlassen habe. Er selbst war reuig zu seiner Gattin zurückgekehrt und lebte seitdem in stiller, ernster Zurückgezogenheit.

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