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Fünftes Capitel.

Nachdem Eveline ihrem Vater den Wunsch mitgetheilt hatte, die fernere Entwicklung ihrer Lebensverhältnisse unter seinem Schutze zu erwarten, gab sie sich ruhig ihren Gefühlen hin, die, wie schon gesagt, durchaus nicht leidenschaftlich waren. Sie war das Abbild ihrer verstorbenen Mutter in allen Stücken und hatte außerdem den Vorzug, die gesammelten Erfahrungen derselben zu ihrem Nutzen verwenden zu können.

Ihre Mutter war, wie alle Frauen, von dem leidenschaftlichen Ausdrucke der Saint Potern'schen Augen getäuscht worden und hatte, im vollen Glauben an seine tiefe Liebe, ihr Herz dem schönen jungen Tänzer auf einem Balle geschenkt. Seine Bewerbung fand Widerstand, da er damals noch bürgerlich und abhängig von seinem Vater, »dem Blutigel«, wie man ihn spottweise nannte, war.

Erst als der dicke Preußenkönig zur Regierung kam, «gelang es ihm, von diesem in den Adelstand erhoben zu werden. Friedrich der Große, entschieden abhold dem Manne, den er selbst ins Land gelockt hatte, um ihn, zur Qual seiner eigenen Unterthanen, zu benutzen, hatte ihm die Bitte darum streng und hart abgeschlagen. Dessen ungeachtet war das Fräulein von der Horst seine Gattin geworden, mußte aber schon nach dem ersten Jahre ihrer Ehe die Erfahrung machen, daß ihr junger Gemahl sehr laxe Grundsätze rücksichtlich seiner Herzensfreiheit in sich pflegte. Glücklicherweise hatte sie Vernunft genug, den Mann nicht ändern zu wollen, und da er in seinen ehelichen und väterlichen Verhältnissen ein unendlich gütiges, liebevolles und zartsinniges Wesen entwickelte, so ließ sie ihn unbehindert seine Wege gehen. Sie suchte und fand Trost und Ersatz in der Liebe ihres Kindes, dem sie, trotz ihrer eigenen Jugend, Lehrmeisterin, Rathgeberin und Freundin wurde.

Leider starb sie, ehe sie ihren Vorsatz ausführen konnte, ihr heißgeliebtes Kind glücklich zu vermählen. Aber sie wählte den erschütternden Moment ihres letzten Abschiedes von ihrem Gatten, um ihm ihren Plan ans Herz zu legen. Saint Potern kam ihren Wünschen nach, wählte jedoch, wie klar zu Tage liegt, die unrichtigen Mittel dazu. Eveline fühlte das im innersten Herzen und es überschlich sie die Furcht, daß sie in Gefahr stehe, ein Opfer des Eigennutzes zu werden. Sie wußte, daß dem Mallzow'schen Stamme nichts mehr fehlte als Vermögen, und sie erwartete, daß die reiche Erbin, unter erheuchelter Liebe, als eine erwünschte Partie betrachtet werden würde. Darnach läßt sich nun der Eindruck ermessen, den Burkhard's offene Darlegung seiner pecuniairen Verhältnisse auf sie gemacht hatte.

Es gehörte damals nicht zu den Seltenheiten, Heirathen zu beschließen und die Hülfe guter Freunde dazu in Anspruch zu nehmen. Eveline hatte sich dem also nicht widersetzt, als ihr Vater, mit seiner sorglosen Offenheit, den Plan ihrer Verheirathung zu ihrer Kenntniß gebracht, aber ihr Gefühl sträubte sich, jetzt noch abhängig von den Launen Derer zu sein, die ihr Glück, so zu sagen, in der Hand zu haben schienen.

Sie wollte ihre Stellung glänzender machen. Wer möchte ihr das verdenken? Die Entwürfe zu einem solchen Haushalte beschäftigen sie sehr angenehm und sie wartete fast mit Ungeduld auf den Moment, wo die Gräfin Hoym wiederkommen und von ihr unterrichtet werden sollte, was vorliege.

Der Abend dunkelte stark – die Nacht war nicht mehr fern, und noch immer kehrte die Dame nicht heim. Es lief gegen ihre sonstige Gewohnheit, so daß die alte Kammerfrau, die Vertraute der Gräfin, zu bangen anfing und von »besonderen Unglücksfällen« phantasirte.

Eveline, von ihrer eigenen Ungeduld genug geplagt, suchte sich vor den Litaneien der treuen Dienerin dadurch zu retten, daß sie in den Garten ging und zwischen den duftigen Beeten durch die Rosenbosquet's spazierte, ihren holden Träumereien von einer schönen Zukunft hingegeben. In der weichen, warmen Abendluft pflanzte sich der Keim einer gewissen Romantik in ihre Seele und sie fühlte in dem beginnenden Herzklopfen einen Zusammenhang mit ihren damaligen Empfindungen, wo Burkhard's Lippen die ihrigen berührt hatten. Was sie bis dahin nur in eine Verwirrung edler Scham gestürzt hatte, das berührte ihr Herz tiefer und weckte ihre Phantasie aus dem Schlummer der Kindheit. Derselbe Mann sollte ihr Gatte werden, er sollte Rechte und Pflichten mit ihr theilen! Wenn er sie aber kalten Herzens übernahm?

Ein Schauer berührte ihr warmes Herz. Hatte aber ihre Mutter nicht stets gesagt, daß sie ruhigen Blutes wählen und sich nie von den Regungen ihres Herzens zu einer Heirath bestimmen lassen sollte?

Das junge, kaum siebzehnjährige Mädchen bemühete sich also, sich mit dem Gedanken an die Herzenskälte desjenigen, den sie zum Gatten annehmen wollte, vertraut zu machen. Sie vergegenwärtigte sich den Ernst seines Auges und redete sich vor, daß dieses Auge nie liebevoll das ihre suchen, daß es überhaupt nie in flammender Schwärmerei aufleuchten könne. Und das sollte es auch nicht, meinte die junge Thörin. Wozu ein Feuer im Menschen, das so rasch verlodert? Wie oft hatte ihre Mutter die Ruhe des Herzens als das Höchste gepriesen, was Gott dem Menschen verleihen könne.

Das Rollen des Wagens auf dem Hofraume verkündete endlich die Ankunft der Gräfin. Eveline befand sich gerade im Hintergrunde des Gartens, als sie es hörte und sie eilte flüchtigen Schrittes dem Hause zu. Noch ehe sie es erreichen konnte, hörte sie die Stimme der Gräfin in gewaltiger Aufregung durch die Stille der Nacht dringen. Sie mußte immer laut sprechen, um sich ihrer schwerhörigen Kammerfrau, der Vertrauten in Freud und Leid, verständlich zu machen, allein der Ausdruck ihres Tones trug dies Mal eine höhere Färbung, und Eveline blieb bestürzt einige Secunden stehen, um den Inhalt ihrer Rede zu prüfen, die ihr aus einem der offenstehenden Fenster entgegenschallte.

»Nein, liebe Müller,« sprach die Dame ganz außer sich, »diese Blamage ist entsetzlich! Kannst Du Dir denken, daß eine Dame von Stande sich so gemeine Betrügereien erlaubt?«

»Nun, gnädigste Gräfin,« antwortete die alte Vertraute, »für leichtsinnig und falsch, für kokett und unzuverlässig habe ich sie immer gehalten!«

»A bah! Alte Seele, das will nichts sagen, der bon ton erfordert dergleichen – man freut sich äußerlich, Jemanden zu sehen, während man ihn innerlich zum Pfefferlande wünscht, man muß einen Kreis von Männern um sich versammeln, um nicht verlassen dazusitzen und man verspricht wohl etwas, obwohl man von vorn herein gar nicht Lust hat, Wort zu halten. Das sind Nothbehelfe der guten Lebensart, deren sich jeder gebildete Mensch bedient, aber einem Juwelier den Auftrag geben, das Diadem genau nach dem andern zu verfertigen und zwar halbe Brillanten dazu zu verwenden und dann der Gräfin Sonnenfels das nachgemachte zurückzuliefern, nein, dazu gehört denn doch eine Effronterie, die über die gute Lebensart hinausgeht.«

»Wenn sich die Gräfin Sonnenfels nur nicht hat täuschen lassen von ihrem Juwelier,« warf die Kammerfrau bescheiden ein.

»Aber, alte Seele,« raisonnirte die Gräfin, »ich sage Dir ja, die Sache ist ganz und gar aufgeklärt. Hörst und verstehst Du denn nicht. Sie hat sich im Winter beim letzten Maskenball das Diadem geliehen, weil es demjenigen unserer königlichen Frau am ähnlichsten war.«

»Ja, ja!« sprach die Kammerfrau, »daraus geht aber immer noch nicht hervor, daß das Diadem nicht gefälscht gewesen ist.«

»So klug sind die Sonnenfels auch gewesen, wie Du, liebe Müller,« sagte die Gräfin. »Das Diadem ist aus der Hälfte der Familien-Brillanten zusammengesetzt, also von ungeheuerm Werthe. Der Juwelier, welcher mit der Arbeit damals betraut wurde, hat sich vor jeder spätern Nachrede dadurch gesichert, daß er sein Kunstwerk jeder Prüfung unterwarf und dadurch ist eben die Fassung der Brillanten so sehr bekannt geworden, daß man anfing, sie in halben Brillanten nachzubilden. Nun denke Dir das Erstaunen dieses Mannes, der grundehrlich ist, als die Gräfin Sonnenfels ihm vor Kurzem das Diadem zusendet, damit er es für die herrannahenden Festlichkeiten auf dem Fürstensteine waschen und putzen lassen soll. Der Juwelier soll außer sich gewesen sein, er soll wie ein Kind geweint haben. Er kam mit dem Boten der Gräfin Sonnenfels sogleich zurück und theilte ihr mit, daß dies Diadem eines jener nachgemachten sei und daß er Alles aufbieten werde, um hinter eine Betrügerei zu kommen, die ihm zur Last gelegt werden könne.«

»Aber, du mein Gott, hat denn das die Kammerfrau der Gräfin nicht gleich bemerkt?« fiel die alte Müller eifrig ein. »Mir wäre das gewiß nicht entgangen!«

»Halte-là, alte Seele! Damit sind wohl noch klügere Leute als Du angeführt worden!«

»Gnädige Gräfin gestatten – Brillanten sind nicht zu verkennen!«

»Richtig! Man ist auch so schlau, Brillanten auf Krystall zu legen und sie so fest verbunden durch Mastix, zu fassen. Ja, ja, alte Seele, es mag mancher Brillant getragen werden, der halb von Glas ist und unsere gute Sonnenfels hat mit ihrem nachgemachten Diadem noch großes Furore gemacht. Da sieht man, daß der Spruch wahr ist: Nicht was es ist, sondern, wer es trägt, das verleiht Werth!«

»Aber wie soll die Dame eine solche Verwechslung bewerkstelligt haben?«

»O, dem schlauen Menschen wird Alles leicht. Zu dem Maskenaufzuge ist eine Probe nöthig gewesen und da unsere Königin so großes Interesse daran nahm, daß sie dieser Probe beizuwohnen wünschte, so hatte die Baronin das Diadem schon zur Probe nöthig. Verstehst Du wohl, liebe Müller. Genug, sie war beinahe acht Tage im Besitze desselben. Nun ist es dem Juwelier gelungen, einen jungen Mann, der sich erst in der Residenz besetzt hatte, ausfindig zu machen, welcher ganz offen eingesteht, daß er ein echtes Brillant-Diadem im Hause gehabt habe, lediglich, um es in halben Brillanten nachzuarbeiten.«

»Herr Gott im Himmel!« sprach die alte Frau ganz erschrocken. »Solch' ein Kleinod aus der Hand zu geben. Passen Gnaden aber auf – sie leugnet Alles.«

»Dafür wird gesorgt! Uebermorgen trifft die Prinzessin v. Solms schon bei der Gräfin Sonnenfels ein, um während der Fürstensteinschen Festlichkeit bei ihr zu wohnen. Das königliche Paar wird erst in zehn Tagen erwartet, also hindert die Gräfin Sonnenfels nichts, einer glänzenden Fête beizuwohnen, die meine Freundin der Prinzessin zu Ehren geben will. Die Betrügerin, nichts ahnend, wird mit ihrem gestohlenen Brillantschmuck erscheinen und die beiden Juweliere werden dann das Ihrige thun, um einen öffentlichen Act der Gerechtigkeit zu vollziehen. Es ist abominable, gute Seele, solche Entartung in unsern Kreisen zu erleben!«

»Gnädigste Gräfin erlauben,« wagte die Kammerfrau zu sagen, »wäre es nicht besser, die Sache unter der Hand zu arrangiren – die Dame gehört ja doch den höchsten Cirkeln an, wird zu den edelsten Familien gerechnet. Ein solcher Eclat ist ja gegen den Anstand.«

»Sachte, meine Liebe – Du vergissest Dich! Es ist eine Verabredung zwischen der Gräfin Sonnenfels und der Prinzessin v. Solms – sie haben Beide Ursache genug, die Baronin zu hassen, denn sie hat sich nicht entblödet, mit dem Gemahle der einen und mit dem Geliebten der andern zu kokettiren, also dürfen wir keine Familienrücksichten respectiren. Ich habe versprochen, dafür zu sorgen, daß sie jedenfalls ihr Diadem aufsteckt.«

»Hat sie denn wirklich das echte?«

»Natürlich! Wo soll es denn geblieben sein? Sie hat ihre Frivolität so weit getrieben, auf dem letzten Hofball damit zu erscheinen und es für ein Geschenk des Herrn v. Saint Potern auszugeben.«

»Dann würde ich lieber diesen Herrn erst darüber befragen!« sprach die Kammerfrau mit Entschiedenheit. »Es ist doch eine gar zu schmerzliche Demüthigung für die Familie– geben gnädige Gräfin Acht, Sie bereuen es späterhin, dazu die Hand geboten zu haben.«

»Nun genug der Rederei – es bleibt bei der Verabredung und Du schweigst gegen Jedermann. Apropos – wo ist Eveline?«

»Wahrscheinlich zu Bett. Fräulein war sehr pressirt, Sie zu sprechen! Sie wird Frau Gräfin bald verlassen.«

»Ist mir lieb! Unter diesen Umständen kann es nicht früh genug geschehen. Ich wollte sie nicht in die Affaire verwickeln, darum lehnte ich die Einladung für sie ab. Auch gegen diese schweigst Du, wie das Grab, alte Seele. Erführe sie davon, so könnte es sein, daß sie uns den ganzen Spaß verdürbe. Glaub' mir, liebe Müller, wenn man den Uebermuth eines Menschen lange ertragen mußte, dann ist es ein außergewöhnliches Vergnügen, ihn stürzen zu sehen. Ich habe lange gemerkt, daß etwas dahinter steckt – dieser Aufwand – dieser Luxus überall!«

»Was wird aber der junge Herr dazu sagen?« fragte die alte Müller traurig.

»Dem geschieht ein Gefallen damit, liebe Seele. Er hat auch eine Rache zu nehmen. Sie hat mit ihm gespielt, hat ihm Liebe geheuchelt, bis er lichterloh brannte und dann hat sie ihm bewiesen, daß er nur ein Spielball ihrer Laune gewesen war. Aber mein Gott, was ist denn das für ein Zugwind – da steht ja das Fenster offen – mache schnell zu und bring' mich zu Bett – ich bin unendlich erschöpft und werde köstlich schlafen.«

Die Kammerfrau schloß eilig das Fenster, nachdem es für das Geheimniß ihrer Herrin viel zu spät war. Eveline, welche in halber Betäubung, ohne den ganzen, schweren Inhalt des Gespräches zu verstehen, zugehört hatte, folgte nun ihrem Instincte, der sie antrieb, sich ohne weitere Meldung auf ihr Zimmer zu schleichen, das im zweiten Stockwerk lag. Hier setzte sie sich nieder und suchte das Gehörte in sich zu ordnen. Sie wußte aber viel zu wenig von den Familienverbindungen der Gräfin, um auf die Thäterin eines Vergehens zu fallen, das in ihren Augen entsetzlich war. Der Name ihres Vaters hatte sie furchtbar erschreckt, aber er hatte sie nicht auf die richtige Spur leiten können, da sie nichts von der engen Freundschaft desselben mit der Baronin Lotta wußte. Sie selbst hatte von ihrem Vater ein prachtvolles Brillantdiadem zum Geschenk erhalten, es aber bis dahin noch nicht getragen – konnte dies nicht zu einem Irrthume Veranlassung gegeben haben? Aber – der Betrug? Wer hatte diesen Betrug vollführt? Sie schauderte vor der Herzenskälte, womit die Gräfin Hoym von der Demüthigung dieser Sünderin sprach.

Ganz wirr von den sie überstürzenden Gedanken, suchte sie vergeblich den Schlaf. Eine innere Bangigkeit trieb sie zu Vermuthungen trauriger Art, die immer wieder verflogen, wenn sie ihr Nachdenken scharf darauf richtete. Was jedem Eingeweihten auf der Stelle klar geworden sein würde, das blieb für sie ein unlösbares Räthsel.

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