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Zehntes Capitel.

Es würde schwer sein, zu entscheiden, wer mit größerm Triumphe das Zimmer verließ, der Herr v. Saint Potern oder die Baronin v. Mallzow. Jeder glaubte, den Gegner vollständig dupirt zu haben und seines Vortheils gewiß zu sein.

Die unermeßliche Eitelkeit der Baronin fand die Exaltation des treu ergebenen Freundes natürlich genug, um sein Opfer nicht zu hoch anzuschlagen. Was verlor er denn auch? In seinem Besitze war die Verwechslung der Diamanten ein unschuldiges Geheimniß, das, bei gelegentlicher Enthüllung, eine Rückgabe zur Folge hatte, weiter nichts. Wenn Saint Potern sich wirklich Rechnung auf einen Rücktausch von ihrer Seite machte, so hatte er sich freilich geirrt. Die langst reif gewordenen Pläne der Baronin für ihre nächste Zukunft gaben ihr das vortrefflichste Mittel an die Hand, die rechtmäßig vollzogene Vertauschung zu ihrem Besten zu benutzen.

Eben so schlauer Ränke voll verließ Saint Potern das Jagdschloß unmittelbar nach beendigter Conversation, den Imbiß verschmähend, welchen man ihm anbot. Er bestieg mit der Würde eines Triumphators seinen Wagen, und befahl dem Kutscher, laut genug, um gehört zu werden, nach dem Stiftsgarten zu fahren. Kaum hatte er jedoch ein Wäldchen erreicht und war somit dem Gesichtskreise der Mallzow'schen Dienerschaft entrückt, als er das Zeichen zu halten gab und den Wagen verließ. Ein Wink gebot dem schlau lächelnden Lorenz, zu folgen. Sie gingen seitwärts tiefer in's Gebüsch und Saint Potern hemmte erst seinen Schritt, als er fern genug vom Wagen war, um nicht vom Kutscher gehört zu werden.

»In welcher Richtung läuft der Weg nach dem Schlosse des Grafen Sonnenfels, Lorenz?« fragte Saint Potern stehen bleibend.

»Grad aus, Gnaden!« berichtete der Diener, mit der Hand nach dem Plateau deutend, auf welchem Eveline und Burkhard Abschied genommen. »Vom Plateau dort drüben geht der Fahrweg am Abhange entlang bis zum Thalgrunde – gut drei Stunden weit. Der Fußsteig zieht sich über den Kamm hinweg bis zum jenseitigen Thalgrunde – gut ein und eine halbe Stunde zu gehen. Aber die Pascherwege durch Gestrüpp und Wald sind kaum dreiviertel Stunden.«

»Und die Pascherwege kennst Du?« fragte der Herr lächelnd.

»Wie die Gartenstege im Stiftsgarten,« entgegnete der Diener ebenfalls lächelnd.

»Hast Du jemals gestohlen, Lorenz?« fragte der Herr ihn scharf fixirend.

»Niemals, Gnaden!« rief Lorenz erschrocken zurücktretend.

»Aber betrogen?«

»Niemals, Gnaden!«

»Das behauptest Du so dreist und bist ein Pascher gewesen?«

»Das ist etwas Anderes. Ich trug die kostbaren Sachen und empfing nur meinen Lohn als Träger!«

»Gut. Ich vertraue Dir auch eine kostbare Sache an.«

»Wohin soll ich sie tragen?«

»Nach dem Schlosse des Grafen Sonnenfels.«

Lorenz sah ihn verwundert an.

»Das Schloß liegt diesseits, gnädiger Herr – man passirt keine österreichische Länder.«

St. Potern lachte.

»Ach so, Du dachtest wohl, ich wollte paschen? Nein, Du sollst ein feines Kunststück ausführen. 200 Gulden sind Dein Trägerlohn.«

Lorenz wich etwas zurück.

»Sind diese 200 Gulden als ehrlicher Kerl zu verdienen, Gnaden? Sonst danke ich für's Geschäft!«

»Sehe ich aus, wie ein Strolch, alter Knabe?« fragte dagegen Saint Potern. »Nein, darüber beruhige Dich. Sieh hier dies Kästchen! Drei solche Kästchen, ganz gleich, von gleichem Inhalte und gleichem Werthe giebt es, und diese Kästchen sind aus Versehen vertauscht. Es würde einer weitläufigen Auseinandersetzung bedürfen, wollte ich Dir die Verhältnisse darüber klar machen. So viel mußt Du aber wissen, daß in diesem Kästchen hier die Familienjuwelen des gräflich Sonnenfels'schen Stammes sind, und daß mir sehr viel daran liegt, sie noch vor Beginn des Festes in dem Ankleidezimmer der Gräfin zu wissen.«

»Erlauben, Gnaden – die Geschichte kenne ich,« unterbrach ihn Lorenz hastig. »Und wenn Sie mir zusichern, daß dies das echte Diadem ist, so führe ich Ihren Auftrag mit doppeltem Eifer aus.«

Saint Potern prüfte, unangenehm überrascht, des Mannes Gesicht und ließ dann nachdenklich sein Auge auf dem fuchsrothen Haupthaare desselben ruhen.

»Sie können mir schon trauen,« fuhr Lorenz lächelnd fort. »Ich weiß, daß man die Baronin dort drüben in Verdacht hat, betrügerisch gehandelt zu haben. Wir Dienstboten haben auch unsere Conferenzen, Gnaden, und glauben Sie mir, eine Herrschaft thut immer besser, einem treuen Diener ein ganzes, als ein halbes Vertrauen zu schenken.«

»Topp, Lorenz – es gilt!« rief Saint Potern heiter. »Also das Diadem auf dem Ankleidetisch der Gräfin ist nachgemacht und dies ist das echte, welches ich eben der schlauen Baronin abgejagt habe. Jedem das Seine, Lorenz! Kannst Du es bewerkstelligen, daß noch heute vor Nachteinbruch mein Kästchen, das ich der Baronin opfern mußte, um der Gräfin das ihrige zu erobern, wieder in meine Hände kommt, so zahle ich Dir 200 Gulden in preußischen Silberthalern aus. Nun höre, was ich vorschlage. Hast du bessere Pläne, so acceptire ich diese. Du tauschest also die Etuis alsbald, behältst dasjenige, welches Du fortnimmst, bei Dir, mischest Dich unter die Dienerschaft, suchst die Kammerfrau, die das Umkleiden der Baronin besorgt, zur gehörigen Zeit auf und practizirst das Etui, statt des meinigen, das die Baronin heute trägt, in ihre Schmuckcassette, natürlich nicht ohne mein Eigenthum zurückzubehalten. Nun? Verstanden?«

»Sehr gut, Gnaden! Kann ich mich auch darauf verlassen, daß Sie redliches Spiel spielen?« fragte Lorenz sehr ernsthaft.

Saint Potern stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf und rief heftig:

»Himmelsacrement! Würde ich, der Millionair, um so'n lumpiges Geschmeide meine Ehre auf's Spiel setzen? Was denkt der Bursche? He? Hat der Kerl nicht meine Tochter vorhin gesehen, wie sie mir entgegengejagt kam, um eine Hülfe für die schlaue Baronin zu suchen –? Hätte ich's dem lieben Kinde nicht versprochen, so sollte es mir eine Freude sein, das Fehmgericht über die Höllenhexe hereinbrechen zu sehen. Meiner Tochter gehört der Brillantkamm – sie hat das heilige Erbtheil ihrer Mutter geopfert, u die Baronin zu retten – soll meine Tochter mit dem nachgemachten Firlefanz Staat machen, während sich die Intriguantin in dem Schmucke meiner Tochter brüstet?«

»Nein, gnädiger Herr. Jedem das Seine!« antwortete Lorenz ruhig. »Hätten Sie von Anfang an ein ganzes Vertrauen entwickelt, so würde ich die Geschichte besser verstanden haben. Seien Sie unbesorgt – ehe die Sonne aufgeht, haben Sie Fräulein Evelinen's Kästchen wieder. Darf ich mich beurlauben, gnädiger Herr?«

St. Potern, schon wieder von seinem Aerger genesen, nickte wohlwollend. Lorenz stieg rasch den Hügel hinauf – sein Herr kehrte in den Wagen zurück.

»Ob Lorenz Wort hält?« flüsterte er, mit heimlicher Schadenfreude seine Hände reibend.

Lorenz schritt rüstig vorwärts. Er durchschnitt auf kaum sichtbarem Pfade den Wald quer über den Bergrücken, rutschte auf gefährlichem Wege in eine Schlucht hinein und kroch auf allen Vieren von dort aus wieder in die Höhe. Durch diese Manöver gelang es ihm, in unglaublich kurzer Zeit das Schloß in Sicht zu bekommen, das schon von Weitem die Veranstaltungen zu einem Feste verrieth. Die preußischen Farben, in breiten Fahnen von den Zinnen der Eckthürme strahlend, verkündete die Anwesenheit eines preußischen Prinzen und die weit geöffneten Gartenthore des Schloßhofes waren von neugierigen Personen niedern Standes umlagert.

Ein breiter Weg, mit Pappeln bepflanzt, führte auf dies Gartenthor zu. In dem Schatten dieser Allee spazierten zwei Herren langsam bis zur Waldhöhe hin, und sie wendeten eben um, als Lorenz aus dem Dickicht hervorschlüpfte, um in's Schloß zu eilen. Stutzend blieb er stehen. Gehörten die beiden Herren zum Schlosse, so durften sie ihn nicht sehen. Seine Livree von grauem Tuche, mit Gold und Schwarz geziert, verrieth den Diener einer fremden Herrschaft, und Lorenz war viel zu schlau, um den Umstand nicht zu berücksichtigen, daß der Diener einer nicht eingeladenen Herrschaft heute hier nichts zu thun hatte. Zögernd suchte er den Weg durch's Gebüsch fortzusetzen und es gelang ihm endlich, eine Hecke zu erreichen, die zur Einhegung der Nachtweiden diente und mit der Pappelallee parallel lief.

Die beiden Herren, von seiner Nähe nichts ahnend, unterhielten sich ziemlich laut. Der Aeltere, ein kleiner, wohlgenährter Herr, scharf gepudert und lang bezopft, trippelte auf hohen Hackenschuhen mit silbernen Schnallen im hartgetretenen Wege entlang, alle Augenblick stehen bleibend und in die Ferne schauend, während der Jüngere, groß und hager, schwarz gelockt und schwarz gekleidet, mißmüthig mit weiten Schritten den Weg durchmaß und nur stehen blieb, um seinen Gefährten zu erwarten.

»Was rennen Sie denn so fürchterlich, Hoobert!« rief der Kleine pustend und prustend, wie ein Truthahn. »Passen Sie auf und sehen Sie hübsch um sich, damit Sie den rechten Wagen nicht verfehlen!«

»Was mögen die Beiden vorstellen?« dachte Lorenz hinter seiner Hecke hindurch lauschend. »Vom feinsten Thon sind die nicht – vielleicht ein protestantischer Pastor und sein Amtmann, die Beide den Prinzen sehen wollen.«

Er schärfte seine Aufmerksamkeit auf ihr Gespräch ganz bedeutend, als der Große erwiederte:

»Ereifern Sie sich doch nicht, Wendeler! Ich werde die Dame auf den ersten Bück erkennen!«

»So? Meinen Sie? Sie befinden sich in einem gewaltigen Irrthume, und es kann wohl sein, wie Hoheit vorhin zu sagen geruhte, daß Sie eine Schauspielerin für eine echte Dame gehalten haben mögen!«

»Möglich!« spottete Herr Hoobert. »Aber Hoheit redet aus Erfahrung, sonst würde er nicht zu dieser Behauptung gekommen sein. Er soll Damen und Schauspielerinnen sehr gern verwechseln!«

»Werden Sie nicht malitiös! Prinz Louis ist ein vortrefflicher Herr.«

»Der den Schmuck für seine Geliebten stets auf Credit kauft!«

»Ach was – das müssen die reichen Parvenus wieder ausgleichen.«

»Wer nun aber keine Parvenus der Art zu Kunden hat? Schicken Sie mir Ihren Saint Potern – ich will Ihre Principien an ihm üben!«

»Bah – den kann ich nicht entbehren! der versteht übrigens Brillanten von Diamanten zu unterscheiden – der ist nicht zu betrügen!«

»Betrügen will ich auch Niemand, nur Bezahlung für gelieferte Sachen.«

»Sie haben sich wohl mit Hoheit eingelassen?«

»Leider! leider! Seine Finanzen müssen erbärmlich stehen, denn er hat eine Busennadel, die er mir noch nicht bezahlt hat, durch seinen Kammerdiener wieder zum Verkauf anbieten lassen.«

Der ältere Herr lachte aus Leibeskräften.

»Ihnen? Zum Verkaufe?« wiederholte er keuchend, »da hat er den Lieferanten verwechselt, sonst hätte er die Busennadel zu mir geschickt. Deliciös! Ein capitaler Spaß!«

»Für mich nicht!« brummte der Goldschmied Hoobert. »Ich finde es nicht spaßhaft, sein Eigenthum wieder zurückkaufen zu müssen!«

»Sagen Sie mal, wie sah denn die Dame aus, die Sie für die Baronin Excellenz gehalten haben?« fragte der Juwelier Wendeler, plötzlich stehen bleibend. »Mir wird wirklich bange, daß wir uns hier blamiren, statt eine Blamage arrangiren zu helfen. Besinnen Sie sich – wie sah sie aus?«

Der junge Mann wurde sichtlich verlegen. Er strich mit der Hand über die Stirn und suchte offenbar das Bild der Dame erst wieder in sich aufzufrischen.

»Sie war schön!« meinte er dann langsam sprechend. »Blühend rothe Wangen –«

»Die können geschminkt gewesen sein,« fiel Wendeln gravitätisch ein. »Weiter!«

»Sie hatte braunes Haar –«

»Das ist ein trügliches Kennzeichen. Ich kenne eine Advokatenfrau in Berlin, die sieben verschiedene Titusköpfe hat anfertigen lassen, um ihre Erscheinung jeden Tag pikant zu machen. Weiter!«

»An jeder Augenbraune trug sie ein Schönpflästerchen –«

»Stimmt nicht mehr! seit unsere holdselige Königin die Schönpflästerchen einen geheimen Zierrath genannt hat, trägt keine Dame der haute volée mehr Schönpflästerchen. Ich merke schon, Freund Hoobert, wir kommen in's Fis und spielen moll statt dur – Heiland, wird die Gräfin Rosa erbost sein!«

»Was geht's mich an! Warum haben Sie den Spectakel eingerührt. Hätten Sie nicht verrathen, daß die Brillanten Imitationen seien, so würde die Gräfin bis an ihres Lebens Ende damit geprunkt haben.«

»Und nach meinem Tode, Herr?« – fuhr Wendeler heftig auf. – »Da sollte man meine Reputation wohl mit Füßen treten!«

»Wenn ich nur nicht so thöricht gewesen wäre, Ihnen zu erzählen, daß vornehme Damen oftmals nicht die Mittel hatten, es ihrem Range gleich zu thun. Dadurch ist die ganze Affaire an's Tageslicht gekommen!«

»Gut das – gut das! Sonst fiel der Blam auf mich! Halt! Da kommt eine Equipage!«

Beide Männer stellten sich zurecht, und Lorenz lief, was er laufen konnte, um in's Schloß zu kommen. Er hatte genug gehört, um die ganze Gefahr der Baronin zu begreifen.

»Himmel Element,« dachte er, »das würde eine schöne Comödie werden, wenn mein Herr nicht dazwischen käme – wie mag Fräulein Eveline die Geschichte erfahren haben – dieser liebe Engel!«

Lorenz erreichte das Schloß viel früher, als die daher rollende Equipage, die übrigens die Baronin nicht in sich barg. Auf einem Schleichwege, den nur die Dienstboten kannten, betrat er den Schloßhof in der Nähe der Wagenremisen und suchte, dreist dahinschlendernd, in einen Verkehr mit seinen alten Cameraden zu kommen. Es gelang ihm über alle Erwartung. Ein wohlbeleibter Mann mit einer schneeweißen Schürze über dem sehr anständigen Anzug, schickte sich eben an, über den Hof zu schreiten, sichtlich verdrießlich und beeilt. Es war der Koch des Grafen Sonnenfels, eine Respectsperson unter dem übrigen Gesinde. Kaum erblickte er den Lorenz, als er stehen blieb und mit plötzlich erheitertem Gesichte ausrief:

»Lupus in fabula! Bon jour, ami! Ist es denn die Möglichkeit! Welcher gute Geist hat es denn in Seine Träume hineingelispelt, daß Sein alter Gönner, der Koch Burr, nach Ihm schmachtet? Eben habe ich ausgesprochen, daß solche Forellen, wie der rothe Lorenz sie geschafft, dies Jahr noch nicht in Sr. Gnaden Küche zu sehen gewesen wären. Voilà la tête rouge! Kann Er mir Forellen besorgen, bon ami?«

»So viel Ihr wollt, Herr Burr!« versetzte Lorenz, freundlich seine Hand schüttelnd.

»Mille diable! Wo kommt Er denn eigentlich her, wie gerufen? Sein Herr ist doch nicht etwa befohlen worden? Na dann nehmt nur die hübsche junge Dame von Saint Potern in Acht. Ich habe schon ein Silberglöckchen läuten hören, daß seine Hoheit die Reise nach Schlesien nicht ohne Grund beschleunigt hat. Fräulein Eveline soll ja famos reiten – das ist eine Eigenschaft, die reussirt!«

Er lachte verschmitzt und blickte lauernd um sich. Dann sich auf seine Amtsthätigkeit besinnend, machte er Anstalt weiter zu eilen.

»Also, ich kann mich auf Ihn verlassen, Rothkopf,« wiederholte er, gutmüthig neckend.

»Wie auf Euch selbst, Herr Burr. In einer Stunde habt Ihr Forellen pfundschwer und durchsichtig wie Glas!« Der Koch nickte Beifall und verschwand im Wirthschaftsgebäude.

Lorenz aber schmunzelte wohlgefällig:

»Besser konnt's nicht passen! Marsch – weiter!«

Er schlenderte wohlgemuth in die Halle hinein, wo die gräfliche Bedienung zu finden war. Ein fremder Portier glotzte ihn groß an, wagte aber, durch seine sichere Haltung eingeschüchtert, nicht, ihn zurückzuweisen. Es konnte ja ein Reitknecht oder Läufer der anwesenden fürstlichen Personen sein und die durfte er nicht controliren.

Lorenz ging quer durch die Halle und verlor sich, klugerweise, in dem Corridor, der zu den Fremdenzimmern führte. Erst als er bemerkte, daß des Portiers Zweifel beschwichtigt war, kehrte er um und schlüpfte den Gang hinab, an dessen Ende die Garderobezimmer lagen. Das Ankleidezimmer der Gräfin Sonnenfels stand offen. Ein Blick hinein zeigte ihm das wohlbekannte Schmucknecessaire, aber es war noch nicht geöffnet, obwohl der kleine blitzblanke Schlüssel darauf lag.

Ueberlegend blieb er an der Thür stehen. Ringsum war Alles still. Sollte er es wagen, das Necessaire zu öffnen? Wie aber, wenn Jemand dazu kam? Er war gebrandmarkt als ein Dieb, oder er mußte seines Herrn Absicht kundgeben. Zögernd schritt er zurück. Es blieb still, wie zuvor. Wo waren die Herrschaften? Wo die Dienstboten? Er ärgerte sich, daß er keine Erkundigung darüber eingezogen hatte. Aufmerksam lauschte er an allen Thüren; nicht ein Laut, nicht ein Athemzug regte sich; die Corridore waren wie ausgestorben.

Ermuthigt ging er dem Zimmer wieder näher, das ihn mit magischer Gewalt anzog. Leise trat er ein und schloß die Thüre hinter sich ab. Ein rascher Griff öffnete das Schloß der Schatulle, ein noch rascherer Griff setzte ihn in Besitz des Etuis, das oben aufstand; flugs stellte er sein Etui an dessen Stelle, schloß die Schatulle und sprang eilfertig zur Thür, um den Riegel zurückzuziehen.

Das Wagstück war vollführt, aber das Herz des armen Burschen klopfte so fürchterlich, daß er genöthigt war, einige Momente, an die Wand gelehnt, zu verweilen. Jetzt ertönten Stimmen in der Ferne. Er erkannte an dem hellen Lachen die Kammerjungfer der Gräfin Rosa, und er nahm seine ganze Kraft zusammen, um möglichst unbefangen einem unvermeidlichen Begegnen zu trotzen. Auch dieses Zusammentreffen wurde ihm, durch die begünstigten Verhältnisse, nicht gefährlich. Kaum erblickte das hübsche, junge, kecke Frauenzimmer ihn, als es hell auflachte und dem Portier zurief:

»Er Bär will uns bange machen und giebt das Lamm für einen Wolf aus! Ha, ha, ha! das ist lustig, Lorenz, lieber Junge! Willkommen hier! Denk' Dir, der Thürsteher flüstert mir eben zu, ob ich einen Rothkopf kenne, der zur Bedienung der Herrschaft gehöre, die Sache komme ihm verdächtig vor. Und nun bist Du's, Lorenz! Konnt ich's doch beinahe denken. Willst wohl sehen, was Dein altes Schätzchen macht,« fügte sie liebäugelnd hinzu. »Hast Du mir denn nichts mitgebracht, du alter Pascher, kein Schürzchen, kein seidenes Tüchelchen? Stehst ja da wie ein Oelgötz, Lorenz, stumm wie eine Holzpuppe!«

»Aus guten Gründen,« antwortete Lorenz, zärtlich unter ihr Kinn greifend. »Bist Du doch neunmal schöner noch geworden, Dorettchen! Blitz und Hagel, mein Mädel, Du könntest mein Fräulein ausstechen, so zart und schön sind Deine Wangen.«

Dorettchen lächelte sehr selbstgefällig.

»Bist nicht der Erste, der mir das sagt, Lorenz. Aber Dein Fräulein muß doch gewaltig schön sein, daß Prinz Louis, dem die Schönsten entgegenlaufen, sich ihretwegen hierher bemüht.«

Lorenz horchte. Das war das zweite Mal, daß er diese Bemerkung vernahm. Er erwiederte jedoch schnell:

»Vielleicht liegts darin, daß mein Fräulein ihm durchaus nicht entgegenkommt.«

»Das findet sich!« sagte die Zofe mit Weisheit und Koketterie. »Mit Prinzenliebe ist nicht zu scherzen, selbst die festeste Tugend ergiebt sich ihr!«

»Hoho! Hat Hoheit etwa sein Auge auf Dorettchen gerichtet!« hohnlachte Lorenz, der dies Dorettchen nie hatte leiden können, aber stets von dem Mädchen als Schatz requirirt wurde, wenn kein Anderer zur Stelle war.

»Was wäre das weiter?« fragte Dorettchen keck; »aber, nein, bis zur Dienerin ist er noch nicht hinabgestiegen; noch fesselt ihn die Herrin, und die eben ist sehr zornig auf ›Mademoiselle Eveline,‹ wie sie Dein Fräulein zu nennen beliebt.«

»Ach, die steht Ihro Gnaden nicht im Wege,« warf Lorenz ungeduldig ein, denn der Boden brannte ihm unter den Füßen.

»Sag' das nicht, Lorenz, es ist Frevel, den Sieg Sr. Hoheit zu bezweifeln!« wendete Dorette pathetisch ein.

Lorenz ergriff ihre Hand recht treuherzig und drückte sie, indem er sagte:

»Ein ander Mal mehr darüber, Dorettchen! Jetzt muß ich fort. Ich habe dem Koch Forellen versprochen und wollte nur sehen, was mein Dorettchen machte. Nachher habe ich Zeit zum Plaudern.«

»Ich auch,« flüsterte das Mädchen. »Ach, was hab' ich Alles zu erzählen!«

Sie trennten sich. Lorenz grüßte lächelnd den lächelnden Thürsteher und ging von dannen, um den Auftrag des Kochs auszuführen, der ihm ein Recht verlieh, wieder ins Schloß zu kommen.

Er war schon längst über die Berge, als der Wagen der Baronin in den Schloßhof fuhr, und die Dame, prangend im Schmucke ihrer Schönheit, ganz einfach in Reisekleidern, demselben entstieg und von ihrem Gemahle mit zärtlicher Freude empfangen wurde.

Unweit des Portales standen zwei Männer und betrachteten scharf die holde reizende Frau, welche schäkernd ihren alten Gatten liebkoste und an seinem Arme die Halle durchschritt.

So wie sie verschwunden war, wendete sich der kleine, corpulente Wendeler blitzschnell zu seinem Gefährten.

»Nun, Hoobert? Ist sie es?«

Hoobert senkte sein schwermüthiges Auge und schwieg. Wendeler wiederholte ärgerlich seine Frage. Da tönte es dumpf und schauerlich von Hoobert's Lippen:

»Ich weiß es nicht!«

»O, ich Unglückseliger!« jammerte Herr Wendeler, forteilend. »Wer rettet mich nun vor der Gräfin Zorn? Was soll ich anfangen, was soll ich anfangen, um sie zu beschwichtigen?

»Herr Wendeler, Sie verlieren den Kopf,« mahnte der jüngere Juwelier. »Wenn ich auch die Dame nicht erkenne, so werden Sie doch Ihr eigenes Kunstwerk zu kennen vermögen. Warten wir es ab, bis sich die Dame mit dem Diadem geschmückt hat, dann erst beginnt ja unsere Rolle.«

»Ja, ja! Aber passen Sie auf, mir sagt es eine Ahnung, daß wir mit Schimpf und Schande aus dem Schlosse müssen. Haben Sie den Blick gesehen, den die Baronin uns zuwarf? Die Schadenfreude einer Siegerin blitzte darin – wir unterliegen!«

*


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