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Siebentes Capitel.

Burkhard ritt gedankenvoll nach dem Jagdhause zurück. Befriedigt von dem Eindrucke, den Fräulein von Saint Potern abermals auf ihn gemacht, gab er sich mit steigender Behaglichkeit dem Gedanken hin, dies Naturkind mit dem unversuchten Herzen neben sich als Gattin zu sehen. Er selbst war romantisch genug gesinnt, um ihre phantastische Denkungsweise liebenswürdig zu finden, obwohl er scheinbar dagegen zu Felde zog. Ebenso war er weich genug, um ihre verlassene einsame Stellung im tiefsten Mitgefühl zu beklagen, obwohl er bis jetzt noch nicht einsah, weshalb das Geschick ihn dazu ausersehen hatte, sie zu heben und ihres Reichthums wegen ebenbürtig zu betrachten. Kurz und gut, sein männlicher Eigensinn kämpfte noch gegen den wohlthuenden Eindruck und sein Stolz bäumte sich gegen die Abhängigkeit von der reichen Frau. Hätte das Bild seines Vaters dies Unternehmen nicht stets gestützt, so würde es, trotz aller günstigen Anzeichen, dennoch nicht den schnellen Fortgang genommen haben, den es gleich nach den ersten Präliminarien zeigte.

Wie gesagt, gedankenvoll ritt Burkhard nach Hause. Er überlegte die nächsten Schritte, die zu thun waren, um nicht in Conflict mit der hergebrachten Form, mit Convenienz und Sitte, zu kommen.

Das große Ritterturnier, das der Graf Hochberg auf Fürstenstein am dritten August zu veranstalten gedachte, lockte allmälig die Noblesse aus der fernen Residenz in die Nähe des Schauplatzes eines Festins, wie es noch nicht dagewesen war. Das junge Königspaar wurde erwartet. Die Königin Louise hatte die Preisvertheilung übernommen. Alles, was auf ritterliche Ahnen Anspruch machen konnte, rüstete sich, theils um activ, theils um als Zuschauer theilzunehmen.

Die Ceremonienmeister des Hofes waren schon angelangt auf dem neu restaurirten Schlosse Hochberg und sie entwickelten ihre Thätigkeit wenigstens in Konferenzen, die eine Feststellung der nothwendigen Ceremonien beabsichtigten. Daß die ganze Festivität so frei wie möglich vom Etiquettenzwange bleiben solle, war der ausdrückliche Wunsch der beiden jungen Majestäten von Preußen.

Hierauf gründete Burkhard einen Plan. Fräulein von Saint Potern in dem Kreise der Hofnoblesse eingeführt zu sehen, bevor er sie als seine Braut der Welt vorstellte, war der Wunsch seines etwas adelstolzen Herzens. Er haßte nichts so sehr, als wegen einer Heirath mit der ganzen Clique zu brechen und das medisante Lächeln auf die Gattin seiner Wahl zu lenken. Viel zu wenig Philosoph, um in selbstgewählter Einsamkeit die Spöttereien der Welt vergessen zu wollen, meinte er, daß es klüger sei, erst den Gegenstand seiner Wahl heimisch in der Gesellschaft seines Gleichen zu machen und dann mit seinen Entschlüssen hervorzutreten. Dadurch applanirte sich Alles, was zur Opposition werden konnte und er verdarb sich seine Carrière nicht.

Es war allbekannt, daß die Königin mit freier Stirn den Ueberhebungen und Steifheiten des alten Adels entgegentrat, daß sie ihre Huldbeweise nicht nach Rang und Stand vertheilte und daß sie sehr empfänglich für die Schönheit, Anmuth und Bildung weiblicher Wesen war. Hatte sie nicht Evelinen's graziöse Haltung auf dem Pferde schon bemerkt und sogleich Erkundigungen darüber eingezogen, wer sie sei?

Es war unbestritten unmöglich, mehr auf dem Pferde sicher zu sein, als Eveline, und das verdankte sie der Lebensweise mit ihrer Mutter. Warum sollte man nicht diese Kunst zu ihrem Besten auszubeuten suchen und zwar auf die ungesuchteste Weise! Ein Plan dazu lag sehr nahe. Das Programm des Turnierfestes deutete nämlich darauf hin, daß bei günstigem Wetter ein Festzug vom neuen Schlosse aus nach der in Stand gesetzten Ruine, woselbst das Turnier gehalten wurde, eingerichtet werden solle. Dabei war bemerkt, daß eine der Damen, dicht hinter der Königin reitend, die Preise auf einem prächtigen Atlaskissen zur Schau tragen müsse. Im Falle keine des Reitens so sichere und kundige Dame zu beschaffen sei, solle ein Knabe, als Dame verkleidet, diese Dienste vertreten.

Besser konnte der Zufall gar nicht spielen. Eveline ritt sicherer, als jeder Page, der des Damensattels ungewohnt war. Burkhard hatte sich durch den Augenschein überzeugt, daß sie eine solche Rolle vortrefflich durchführen werde und er dachte nur noch darüber nach, auf welche Weise die Sache am besten einzufädeln sei.

Nach seiner Meinung mußte das junge Mädchen nicht durch Commiseration, sondern durch einen Machtspruch königlicher Wünsche an diesen Platz gestellt werden, aber das Königspaar traf erst kurz vor dem Zeitpunkte des Festes ein, um die Vorbereitungen dazu nicht durch seine Gegenwart zu hemmen.

Mehrere der königlichen Prinzen wurden zwar schon jetzt erwartet, ob er jedoch Gelegenheit haben würde, diese für seine Dame zu interessiren, ohne sein Geheimniß vollständig zu veröffentlichen, das stand sehr in Frage. Ihm blieb aber nichts weiter übrig, als das Eintreffen günstiger Umstände abzuwarten und dann den Augenblick wahrzunehmen, der es gestattete, Eveline als Theilnehmerin des beabsichtigten Festzuges vorzuschlagen.

Nach den vorliegenden Verhältnissen läßt sich die angenehme Ueberraschung abmessen, die des Barons Burkhard bei seiner Ankunft im Jagdschlosse wartete.

Ein Courier war angelangt vom Grafen Sonnenfels und hatte mit zitternder Ungeduld seiner Zurückkunft vom Spazierritte entgegengesehen. Der Courier hatte neben einer Einladungskarte für den Minister Mallzow nebst Gemahlin noch ein besonderes Schreiben an Burkhard, welches lautete:

»Mein bester Freund!

Von der Gräfin Hoym erfuhr ich, daß Du schon gestern im Jagdschlosse angelangt seiest. Du kommst mir außerordentlich gelegen, denn so eben ist, ganz unerwartet, Se. Hoheit der Prinz Louis mit seinem Train, an dessen Spitze der tolle Nostiz und Graf Schmettau, eingetroffen und Du bist hiermit, in seinem Namen, dringlich aufgefordert zu einem Ritte nach Fürstenstein, um dort den Bau des Turnierplatzes zu besichtigen und zu prüfen. Ich erwarte Dich! Kann Dein Papa mitkommen, so ist es mir lieb. denn hier wimmelt es schon von liebenswürdigen und unliebenswürdigen Gästen, die zu unterhalten meiner Rosa zu schwer fällt.

Morgen ist Zauberfest bei mir, wozu die Einladung anbei folgt. Prinz Louis, der allzeit entzückende – wünscht ein kleines Fest en costume. Gewähren wir seine Bitte! Da der Zufall es fügt, daß die Sonnenpriesterinnen vom letzten Maskenball ziemlich alle beisammen sind, so schlägt meine Frau dies Costüm für die Baronin Lotta vor. Sie war entzückend in der Wolke von Silbergaze, die von einem Brillantdiadem gehalten wurde, und ihre Metamorphose nachher in ein französisches Blumenmädchen verwirrte den Kopf und die Sinne unsers Prinzen Louis vollständig. Was der Garderobe mangeln sollte, das steht hier bereit. Thu' Dein Möglichstes, um Deine chère mama für meiner Frau Wünsche zu interessiren. Es wird ein gottvoller Tag werden! Schöne Frauen – feuriger Wein –- heiteres Wetter und zärtliche Herzen. Vivat! Es lebe das Leben, mein Freund! Laß nur ja alle Karthäusergedanken zu Haus.«

Burkhard fertigte den Boten ab und las dann lächelnd den Brief nochmals.

Da hatte er ja einen Anker, woran er seine Hoffnungen und Wünsche hängen konnte. Kein Mensch konnte passender dazu sein, als Se. Hoheit, der Freund jeder graziösen und der Anbeter jeder schönen Frau. Es war hundert gegen eins zu wetten, daß der Prinz Louis Evelinen nur zu Pferde zu sehen brauchte, um ganz von selbst zu dem Vorschlage gebracht zu werden, daß sie und keine Andere die Rolle des Turnierfräuleins übernehmen müsse. Burkhard gestand es sich ein, daß das Schicksal seinem neuen Verhältnisse allen möglichen Vorschub leiste.

Aber dann – dann kam ein Gedanke in seine Seele, der ihn seltsam beunruhigte. Er gedachte des Leichtsinnes – er gedachte der Unwiderstehlichkeit des Prinzen. Eine Erscheinung so idealer Art, wie Eveline, mußte die Phantasie dieses genialen, stürmischen, leidenschaftlichen und liebenswürdigen Mannes reizen. – Wie nun, wenn dies ruhige Kinderherz, geblendet von der herrlichen Männererscheinung, in Flammen aufging, wenn der Glanz, wenn die Ueppigkeit des Festes diese köstliche Unschuld aus dem Schlummer aufriß? O, der Preis ihrer Hand sank unter diesen Scrupeln, aber was sich dabei in den Grund seines Herzens zu nisten strebte, das hob seine Empfindung für ein Mädchen, welches er möglicherweise verlieren konnte.

Burkhard wurde durch den Baron in seinen Grübeleien gestört. Er kam, belebt und heiter, um seinem Sohne seine Bereitwilligkeit zu erklären, einige Tage zu Sonnenfels zu gehen. Seine Gemahlin hatte mit unendlich liebevoller Laune ihre Erlaubniß dazu gegeben und dabei versprochen, sich den Anordnungen der Gräfin Sonnenfels zu fügen.

»Meine Lotta ist wahrlich ein Engel,« sprach am Schlusse dieses Berichtes der Baron Mallzow enthusiastisch. »Denke Dir, Burkhard, sie hatte den Entschluß gefaßt, gar nicht zum Feste der Sonnenfels zu gehen, weil sie vermuthete, Lord Charlestone dort anzutreffen.«

»Was ist's mit diesem Lord?« fragte Burkhard gleichgültig und achtlos. »Hat er sich Freiheiten herausgenommen? Die Engländer haben oftmals nicht den gehörigen Respect vor den Frauen, deren sittliche Größe fraglich ist.«

»Du thust mir weh,« klagte der Minister. »Hat Lotta jemals die Decenz verletzt?«

»Das nicht, aber sie hielt damals mit mir zugleich den Lord Dudley in Schach, deshalb glaube ich, es läge etwas wie Nationalrache vor.«

»Nein. Lotta fürchtet sich vor der Leidenschaft des Lord Charlestone.«

Burkhard wendete sich schnell um und sah seinem Vater voll ins Gesicht. Er kannte die Baronin besser als dieser und wußte, was das zu sagen hatte.

»Lieber Papa, das ist nicht wahr – Lotta fürchtet sich vor etwas Anderm oder sie affectirt nur diese Furcht. Weiß sie denn, daß Lord Charlestone hier in der Provinz ist? Zur Gesandtschaft gehört er nicht – mit wem vom Hofpersonal ist er denn so eng liirt, daß er als Gast bei ihm sein kann?«

»Du fragst viel auf einmal, ich kann Dir aber keine einzige Deiner Fragen beantworten. Mir ist die Leidenschaft des Lords gar nicht eher bekannt gewesen, bis Lotta mir gestern davon erzählte.«

Burkhard schüttelte sehr ernst den Kopf.

»Wenn eine Frau aus Furcht Geständnisse dieser Art macht, so ist sie in Gefahr, bester Vater. In welcher Gefahr, das steht in Frage. Ich habe mir in dieser Rücksicht ein klares, keinen Zweifel zulassendes Urtheil zu verschaffen gesucht und dazu jede Gelegenheit benutzt, die mir von der Schwäche der Frauen dargeboten wurde. Mein Herz ist dabei kalt geworden, aber die Ehrfurcht vor der Wahrhaftigkeit und Reinheit des einzelnen Weibes ist dadurch gestiegen. Aus der Grundquelle meiner gewonnenen Überzeugungen erkläre ich die zur Schau getragene Furcht meiner gnädigen Mama für eine Kriegslist. Wozu? Das kann ich freilich nicht errathen; wenn sich jedoch mein aufsteigender Argwohn rechtfertigen sollte, so –«

Er sprach nicht fertig, sondern heftete seinen Blick fest auf die Tapetenthür, die den geheimen Aufgang von diesem Zimmer nach oben deckte. Ehe sich nur irgend eine Idee zu regen vermochte, war er bei der Thür, drückte mit dem Daumen dagegen und die Thür sprang, wie von unsichtbarer Macht geöffnet, weit auf. Wie ein Bild auf dunklem Grunde wurde die Baronin sichtbar, die in vorgebeugter Stellung schon lange da zu stehen schien. Der Schreck machte sie zuerst starr. Sie faßte sich aber schnell. Ein helles Gelächter auf den zitternden Lippen sprang sie die hohe Stufe hinab und fragte:

»Ihr habt mich wohl kommen hören? Ei, wie galant, Herr Sohn!«

»Bitte um Verzeihung; wir hatten Sie nicht gehört, gnädige Mama,« entgegnete Burkhard, während sein Vater mit unbehaglichem Erstaunen die Thür betrachtete, die er noch nie von hier aus geöffnet hatte. »Ich wollte nur meinem Papa zeigen, wie man die Thür von hier aus öffnen könne. Sie, meine Gnädige, hatten das Geheimniß dort oben entdeckt; ich fand das Geheimniß hier. Sind wir einander nicht ebenbürtig an Schlauheit?«

Die Baronin lachte abermals und schlang den Arm um den Nacken ihres Mannes.

»Höre nur, mon cheri, wie stachlig er mit mir thut, aber traue ihm nur nicht, er hat immer noch ein Tröpfchen von der Passion in sich, die er mir vor drei Jahren weihete. Wollen Sie das leugnen, Schelm?« fragte sie, schäkernd das schöne Gesicht zu ihm aufrichtend.

»Ich leugne es nicht allein, ich betheuere, daß es nicht so ist. Ein Tropfen Leidenschaft wäre eine unheilvolle Masse dieses wogenden Elementes, da es durch einen bloßen Blick zur Gährung kommt. Sei ganz ohne Sorge, theurer Vater, Dein Sohn ist einer der Männer, die nach altmodigen Principien handeln, welche uns mit den zehn Geboten unserer christlichen Religion eingeprägt werden. Lassen wir dies Capitel und gehen wir zu dem Briefe meines Freundes, des Grafen Sonnenfels, über. Lesen Sie, was er mir schreibt.«

Er reichte den Brief hin zu der Baronin, die ihn, mit einiger Hast ergreifend, eifrig las. Ueberrascht blickte sie dann auf.

»Mein Gott, diese Anordnungen widersprechen ja denen der Gräfin Rosa,« sagte sie ziemlich gereizt, »hier wird von einem brillanten Feste gesprochen, zu dem man nur mit Schwierigkeiten das Costüm herstellen kann, und die Gräfin schreibt mir von einfacher griechischer Toilette, die in Frankreich zur Staatstoilette erhoben sein soll, seit des Consuls Bonaparte Gemahlin Josephine sich wohl darin gefällt. Wonach handele ich denn nun?«

»Sie vereinen Beides,« sprach Burkhard ironisch. »Die Sonnenpriesterinnen können immerhin griechische Gewänder tragen und die goldene Stirnbinde thut ein Uebriges, wenn der Anzug zu einfach sein sollte.«

»Vortrefflich von Ihnen gedacht,« entgegnete sie mit koketter Freundlichkeit und warf ihm einen Kußfinger zu. »Die goldene Stirnbinde ist die Hauptsache, Dank sei es unserer Königin!«

Sie hüpfte munter die geheime Treppe wieder hinauf, ließ aber die Thür offen stehen.

Der Baron Mallzow sah ihr mit zärtlichem Wohlgefallen nach – Burkhard aber seufzte und fühlte eine gelinde Sehnsucht, aus dem Bereiche dieser Circe zu sein, die kein Mittel unversucht ließ, um ihn in ein Gewebe von Hinterlist und Koketterie zu locken. Daß ihr Horchen entdeckt war, zerbrach wieder ein Glied ihrer festen Stellung, und so heiter sie dem kleinen Schimpfe die Stirn bot, eben so düster umwölkte es den Geist Burkhard's. Er hatte nur für jetzt keine Muße, Randglossen darüber zu machen, denn die Zeit drängte.

Schnell ordneten beide Herren ihren Anzug zur Reise, bestiegen die Pferde und ritten, gefolgt von ihren Dienern mit den Mäntelsäcken, rasch denselben Weg wieder hinauf zum Plateau, den Burkhard eben zurückgekommen war. Ob er, oben angelangt, dem Fenster Evelinens wohl einen Blick schenkte?

Die Baronin wollte am nächsten Morgen in dem Staatswagen nachkommen. Sie mußte ihre Zeit ebenfalls zu ihren Vorbereitungen benutzen und fühlte sich deshalb einigermaßen genirt, als am Nachmittage ein Wagen durch die Thorhalle rollte und gleich darauf die Gräfin Hoym gemeldet wurde.

Zornigen Blickes erhob sich die Baronin aus dem Divan, von wo aus sie ihrer Kammerjungfer, nach dem Nebenzimmer hin, Anweisungen über das Arrangement ihrer Toilette dictirt hatte. Aber sie verwischte kunstfertig den Zorn in ihren Mienen und trat in holdseliger Fröhlichkeit ihrer alten Freundin entgegen, die im Visitenanzuge, hoch auffrisirt, stark gepudert und den kleinen Schäferhut höchst kokett auf die runzelvolle Stirn gedrückt, bei ihr eintrat. Man sah, diese Dame lag noch vollständig in den Fesseln der Mode, obgleich sie den Sommer mehr als fünfzigmal hatte kommen und gehen sehen. Die Allgewalt ihrer Reize war nie weit her gewesen. Desto mehr Kunst hatte es ihr gekostet, sie zu heben, und darin hatte sie sich stets, mit Hülfe von Watte, Heede, Schminke und Schönpflästerchen, als Meisterin bewährt. Sie ersetzte Alles, was ihr fehlte, und präsentirte sich unter diesen Kunstbestrebungen stets als eine wohl conservirte Fünfzigerin.

Daß sie unter solchen Verhältnissen gegen jede Ostentation mit Reizen, die sie nicht besaß, eine prüde Scham zeigte, war gewiß natürlich und die Baronin wußte dies. Dessen ungeachtet nahm sie keine Rücksicht darauf, sondern blieb in der ganzen Nacktheit ihres halb griechischen Costumes, das die Verächterinnen des neu auftauchenden Geschmackes »die Revolutions-Robe« nannten, ohne ihr Flortuch umzuthun.

»Ah – Pardon!« rief die Gräfin entgegen. »Störe ich Dich im Ankleiden, oder bist Du dabei, die Göttin der Liebe einzuexerciren, geliebte Lotta. Fi donc, diese entblößten Schultern mit den kaum sichtbaren Achseln und Aermeln!«

»Wer keine schöne Schultern und Arme hat, mag ein Tuch über diesen Uebelstand drapiren,« entgegnete Lotta in zweideutiger Fröhlichkeit.

Die Gräfin nahm die Sottise hin. Ein hämischer Seitenblick verrieth die Sicherheit einer Rache.

»Mein Besuch soll kurz sein, geliebte Lotta,« sprach sie beeilt weiter, ohne Beachtung der Zwischenrede. »Ich komme im Auftrage der lieben Rosa, die ich gestern bei ihrer Tante, meiner Freundin Werbach, fand.«

»Was will die Gräfin Rosa von mir?« fragte die Baronin auffallend kurz.

»Sie wünscht Dich morgen in einfacher Toilette zu sehen, aber mit Schmuck!«

»Ich weiß nicht, wozu sich Gräfin Rosa so viel Kummer um meinen Anzug macht,« sprach die Baronin auffahrend.

»Nun, nun!« begütigte die Gräfin. »Nur unter dieser Bedingung hat die Prinzessin v. Solms die Einladung meiner Freundin Werbach angenommen! Ich versprach der guten Rosa, dafür Sorge zu tragen, daß nichts Störendes vorfalle –«

»Ich verstehe Dich nicht, Cousine Barbara,« unterbrach die Baronin sie abweisend. »Da Du von einer Einladung Deiner Freundin Werbach sprichst, so muß ich zu meinem Bedauern erklären, daß mir keine zu Gesicht gekommen ist. Wohl aber bin ich zu einem Zauberfeste, das Graf Sonnenfels zu Ehren des Prinzen Louis arrangirt hat, eingeladen und werde meinem Herrn Gemahle, der schon heute befohlen wurde, morgen folgen.«

Die Gräfin saß da wie eine Salzsäule und starrte ihre Cousine bei dieser unerwarteten Nachricht mit einer an Dummheit grenzenden Verwunderung an.

»Und ich nicht geladen? Dahinter steckt etwas,« murmelte sie.

Lotta lachte hell auf.

»Nichts weiter, theuere Barbara, als daß Prinz Louis die alten Damen in demselben Maße verabscheut, wie er die jungen anbetet,« antwortete die Baronin maliciös lächelnd.

»Bist Du mit Diadem befohlen?« warf die Gräfin ein.

Die junge Frau stutzte.

»Die Einladung ging vom Grafen und nicht von Sr. Hoheit aus –« gab sie zur Antwort. »Graf Sonnenfels hat aber nur zu wünschen und nicht ›zu befehlen‹.«

»Graf Sonnenfels hat also mit Diadem gewünscht,« verbesserte sich die Gräfin, mit neugieriger Dringlichkeit sich vorbeugend, um der Baronin ins Gesicht sehen zu können.

»Thörichte Fragen! Er hat auch nichts zu wünschen in dieser Hinsicht,« erklärte diese. »Wir werden, da das Fest en costume sein soll, in den Rollen als Sonnenpriesterinnen erscheinen.

»Also doch mit Diadem!« triumphirte die Gräfin, sie jähe unterbrechend und beifällig vor sich hinlächelnd. »Schade, daß ich nicht eingeladen bin – schade, sehr schade!«

»Wenn Dir so sehr daran liegt, so will ich das noch zu vermitteln suchen,« sprach die junge Frau mit sarkastischem Mitleiden.

»Gewiß bin ich Evelinens wegen weggelassen! Höre, Lotta, die Sache fängt an, mir unangenehm zu werden. Was kommt für uns dabei heraus?«

»Für mich hoffentlich recht viel,« antwortete Lotta leichtfertig, »und für Dich ein Wechsel auf 100 Louisd'or – Kostgeld für das Mädchen. Unsere Chancen gehen Hand in Hand. Es ist über Erwarten gut und rasch vorgeschritten.«

»Wohl hauptsächlich durch Evelinens Schönheit,« meinte die Gräfin.

Lotta hob naserümpfend ihren schönen Kopf empor.

»Wie kurzsichtig Du bist! Die Triebfeder seiner raschen Handlungsweise liegt in meinem Hirne – Burkhard weiß das natürlich nicht, daß meine Weisheit einen Hebebalken erfand.«

»Bitte, Cousine Lotta, theile mir Deine Weisheit mit,« bat die Gräfin, die sich auf dem Wege zu einer bösen Laune befand, weil sie sich dupirt glaubte.

»Ich benutzte das Material von Romantik, was mir bekannt war, um das Herz meines Herrn Gemahls dafür zu interessiren, und legte einige bedeutungslose Geldverlegenheiten dazu, die Saint Potern für mich gedeckt hatte, um unermeßliche Verbindlichkeiten daraus zu schaffen. Mein guter Baron läßt sich leicht täuschen und leicht bereden – sein Herr Sohn ist klüger und schlauer, aber der ist gottlob noch nicht gleichgültig genug gegen schöne Schultern und schöne Arme, um nicht besiegt werden zu können. Im Falle Alles bricht, bleibt mir noch Eins – so klug muß jeder Feldherr sein, der auf gewagte Unternehmungen sich einläßt, daß er einen Rettungsanker zur Disposition hat.«

»Ich verstehe Dich nicht, Lotta!« fiel die Gräfin, empfindlich über diese halb vertraulich, halb nachlässig gegebene Erklärung, ein.

»Das glaube ich,« antwortete Lotta mit affectirter Treuherzigkeit, indem sie ihre schönen Augen brennend auf sie heftete. »Denke Dir lebhaft, daß Jemand sich im übermüthigen Selbstvertrauen auf eine spiegelglatte Eisfläche gewagt hat, daß es diesem Jemand nicht einfiel, an das Wasser zu denken, welches darunter fließt, bis er plötzlich daran erinnert wird, aber zu gleicher Zeit am jenseitigen Ufer eine hülfreiche Hand sich entgegengestreckt sieht. Soll er verzagt stehen bleiben, um endlich einzubrechen, oder soll er, im Sturm der Entschlossenheit, sich vorwärts wagen, immer der hülfreichen Hand eingedenk, wenn auch ohne den Willen, sie zu erreichen?«

Sie stand auf bei diesen Worten, indem sie, lebhafter und tiefer bewegt als sonst, hinzusetzte:

»Das sind Scheidewege im Leben des leichtsinnigen Menschen, Cousine Barbara, wovon nur Diejenigen reden können, die, durch Schönheit ausgezeichnet, der Versuchung ausgesetzt werden.«

»Was meint sie nur?« dachte die arme, nicht allzureichlich mit Körper- und Geistesgaben ausgestattete Dame, unsicher die junge Frau beobachtend, die sichtlich nach ihrer gewöhnlichen Stimmung rang.

»Ich sehe es Dir an, Barbara, Du denkst ›da steckt etwas dahinter!‹« begann sie nach einer Weile ganz ausgelassen lachend. »Du kannst Recht haben! Und wenn die Geschichte zu Ende ist, so magst Du Dich immerhin mit dieser Prophezeihung brüsten. Vielleicht kommt sie aber nie zu Ende, liebe Cousine – erwarten wir das also erst, bevor wir davon schwatzen.«

Aergerlich über diese Narrheiten, wie sie Lotta's Auslassungen nannte, verabschiedete sich die Gräfin Hoym sehr bald. Als sie das Jagdschloß verließ, sah sie einen gespenstisch rasch galoppirenden Reiter an sich vorüberfliegen, der den Weg nach der Gegend der Capelle nahm.

»Wieder dieser Lord Charlestone,« dachte sie, indem sie ihm nachsah.

*


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