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Sechstes Capitel.

Kaum graute der Morgen, so erhob sich das junge Mädchen matt und müde von ihrem Lager, das ihr keine Ruhe geboten hatte. Nie war ihr die Welt so öde erschienen, nie hatte sie das Gefühl ihres Verlassenseins so schwer empfunden, als in diesen nächtlichen Stunden, die sie grübelnd zugebracht hatte. Ihre Seele, bisher von der Liebe einer Mutter bewacht und behütet, war noch niemals von der Nähe eines Vergehens beunruhigt; war es nicht ganz natürlich, daß ein tiefer Schrecken alle Freude in ihr lähmen mußte, als sie gewahr wurde, wie nahe ihr große Fehler und moralische Gebrechen treten konnten? Sie fühlte sich betrübt bei dem Gedanken an die Hauptrolle, die ihre Gönnerin, die Gräfin Hoym, bei der Bestrafung eines Vergehens spielen wollte, welches weit edler durch eine stille Abfertigung zu redressiren war.

Eveline sehnte sich nach einem vertrauten Herzen, dem sie ihre getrübte Seelenstimmung vorlegen und ihr Mißvergnügen zur Kritik überantworten könne. Aber sie hatte Niemanden, der sich um sie kümmerte und sorgte, seit der Tod ihre Mutter von ihrer Seite genommen.

»Hinaus ins Freie, damit ich andern Sinnes werde!« rief sie entschlossen, die Geisteslähmung abstreifend. »Dort, wo das Himmelszelt mein Obdach, wo die Vögel meine Freunde und die Thiere des Waldes meine Geführten sind, dort wird mir wohl werden und meine Heiterkeit wird wiederkehren.«

Bald stand ihr Pferdchen bereit und sie schwang sich, es innig liebkosend, hinauf, um allein in den nahen Wald zu reiten.

Sie hatte nicht zu viel von der frischen Morgenluft erwartet – ihr Geist erhob sich aus dem Trübsinne und ihre Seele schüttelte den Druck des Unbehagens ab.

Aber es sollte noch besser kommen, als sie gehofft hatte. Während sie ihrem Pferde überließ, sich Weg und Steg zu wählen, fühlte sie plötzlich in einem leichten Ruck, daß das sehr gut dressirte Thier stutzte. Aufmerksam gemacht, blickte Eveline empor. Richtig. Ihr Pferd spitzte die Ohren und als sie schärfer um sich schaute, sah sie seitwärts vom Walde, auf einem mäßigen Hügel einen Reiter halten, der sich bei ihrer Annäherung sogleich in Bewegung setzte, um ihr entgegen zu reiten.

Es war der Baron Burkhard.

»Guten Morgen, mein Fräulein!« rief er herzlich und sein Auge leuchtete nicht halb so ernst, wie Tags zuvor. »Ich habe auf Sie gewartet. – Zürnen Sie nicht, daß ich Ihre Einsamkeit störe. Ich mußte Sie sprechen und zwar allein, denn es hätte eine schöne Erinnerung profanirt, wären Zeugen dabei gewesen.«

Eveline erröthete lebhaft, aber weniger aus Scham und Verwirrung, als aus Freude. Lag nicht eine Sympathie in dem Gedanken, daß die Scene in Adersbach keine ungeweihte Ohren vertrug. Sie wendete ihr Auge voll und freundlich auf den Baron, als sie erwiederte:

»Sie sprechen mir aus der Seele! Ihr Edelsinn hat mich errathen – es war mir unmöglich, gestern im Beisein der Gräfin unser Begegnen in Adersbach zu erörtern.«

»Aber heute darf ich darauf zurückkommen?« fragte er mildlächelnd.

»Ja!« rief sie in voller Zutraulichkeit. »Nicht wahr, Sie erkannten mich nicht wieder?«

»Wie hätte ich's gekonnt, da aus dem schmalen, zarten Kinde eine so prächtige Jungfrau geworden!« entgegnete er pathetisch scherzend und lenkte sein Pferd dicht neben das ihrige. »Hatte Ihr Gedächtniß mein Bild bewahrt? Gewiß nicht!«

Eveline neigte ihre Stirn ein wenig.

»O doch! Wir erfuhren Ihren Namen, also wußte ich, wer mir entgegentreten würde.«

»Freilich, dann waren Sie im Vortheil. Man kannte Ihre Mutter nur als ein gewesenes Fräulein von der Horst. Sie ist todt, Fräulein?« fügte er wehmüthig hinzu. »Diese kräftige, blühende Dame? Es hat mich wirklich betrübt, als ich von meinem Vater Auskunft darüber erhielt. Ueberhaupt wird unser Gespräch, so heiter es begonnen, ein sehr ernstes werden, meine junge Dame,« sprach er nach einer kurzen Pause, während welcher Eveline schmerzlich bewegt vor sich hinblickte. »Haben Sie Muth, mit mir durch's Leben zu gehen, so müssen Sie vor allen Dingen in meine Vergangenheit zurückblicken. Ich weiß recht gut, daß ich anders denke, wie die andern Menschen, daß meine Cameraden mein Beginnen lächerlich, daß viele sonst gute Männer es thöricht nennen würden. Allein ich habe den ernsten Willen, Sie glücklich zu machen, mein Fräulein, und es ist von Ihnen als die erste Prüfung zu betrachten, wenn ich Ihnen erkläre, daß ich Leidenschaft und Liebe nach menschlichen Begriffen, mit der Miene eines triumphirenden Siegers betrachte. Ich bin durch Erfahrung darüber hinaus!« schloß er festen Tones.

Eveline sah ihn innig freundlich an. Wie herrlich stimmte diese Erklärung mit den Wünschen ihrer Mutter überein! Baron Burkhard verstand diesen Blick nicht ganz.

»Haben Sie mich auch begriffen?« fragte er ernst.

»Gewiß,« antwortete sie freimüthig, »und ich betrachte Ihre Worte als eine Garantie meines Glückes, da nach den Lehren meiner seligen Mutter das höchste irdische Glück in dem Frieden einer Ehe beruht. Sie bringen mir in Ruhe Ihr still gewordenes Herz entgegen und ich werde Ihre Ruhe niemals durch den Sturm leidenschaftlicher Wünsche stören.«

Frappirt heftete der junge Mann seinen Blick auf die altkluge Kleine, die sich ihrer Gefühle so sicher wähnte.

»Haben Sie Ihr Herz schon jemals geprüft, Eveline?« fragte er hastig. »Haben Sie schon geliebt?«

Sie lächelte unschuldig.

»Niemals!« betheuerte sie. »Ich kenne außer meinen Eltern und Sie Niemand, für den ich mich interessiren möchte.«

Burkhard drängte ganz unwillkürlich sein Pferd noch dichter heran. Diese engelhafte Mädchennatur weckte ein Gefühl des Erbarmens in ihm. Es war ihm zu Muthe, als müsse er sie, wie sein eigenes Leben, schützen.

»Ihre Erziehung ist etwas phantastisch gewesen, mein Fräulein, ebenso phantastisch ist unser erstes Begegnen und der Plan, uns zu verheirathen. Es wird nicht schaden können, daß ich die irdischen Elemente walten lasse und unserm beginnenden Verhältnisse einen festen, nicht romantischen Boden verschaffe. Hören Sie mich achtsam an – es ist ein Freund, der Ihnen seine Vergangenheit entschleiert, ein Freund, der Ihr zärtlicher Freund werden will.«

Sein Blick glitt bei diesen Worten fast ängstlich an ihr vorüber und verlor sich dann träumerisch in die Weite. Ihre Ruhe war es, die ihn beunruhigte – und das durfte er nicht einmal wünschen, daß sie lebhafter fühlen lernte. Ganz monoton begann er dann:

»Wissen Sie, was mich in die großartige Oede des Felsenlabyrinthes gejagt hatte? der Schmerz getäuschter Liebe! die Seelenqual, nicht vergessen zu können, obwohl ich verachten gelernt, was ich rasend geliebt hatte.«

Ein tiefer Athemzug des jungen Mädchens veranlaßte ihn, seine Berichterstattung zu unterbrechen und sie wieder anzusehen. Eine fahle Blässe deckte Evelinen's Wangen und die Hand, welche schlaff den Zügel des Pferdes hielt, zitterte sichtlich. War diese Gemüthsbewegung durch sein Geständniß hervorgerufen? Sein Gesicht belebte sich bei diesem Gedanken und er fuhr rascher fort:

»Wollen Sie wissen, wen ich geliebt hatte? Meine jetzige Stiefmutter! Sie gab das Herz des Sohnes, der ein armer Lieutenant war, auf und erkaufte sich durch Heuchelei von Gefühlen, die sie niemals gehegt, eine glänzende Versorgung, einen hohen Rang und eine schätzenswerthe Selbstständigkeit, indem sie die Gemahlin des Vaters wurde. Das Entsetzen über diese ungeahnte Schicksalswendung betäubte mich – ich floh den Schauplatz meiner zertrümmerten Träume und rettete mich hierher, um in der selbstgewählten Einsamkeit mein besseres Selbst wiederzufinden. Meine Ruhe wollte nicht wiederkehren – ich mag Ihnen nicht gestehen, in wie fürchterlicher Seelenpein ich die Labyrinthe in ihrer todtenhaften grausigen Schönheit durchstreift habe – wie ich Regen, Sturm, Nacht und Ungewitter nicht gescheut habe, um endlich, durch die Einwirkung von Schwäche, das zu erzielen, was keine Macht der Seele bewirken konnte. Ich wollte vergessen – es gelang nicht, weil ich nirgends eine tröstliche Verheißung von Gottes allmächtiger Güte fand, die ich zu suchen ausgezogen war. Wissen Sie, was mir den ersten Strahl der Ruhe ins Herz senkte? Die göttliche, unschuldige Berührung Ihrer Lippen, Eveline, Ihr Engelslächeln bei diesem Kusse. Ich muß Ihnen dafür danken, Eveline – reichen Sie mir Ihre Hand, daß, ich sie küsse!«

Eveline zog rasch ihre Rechte aus dem weiten Reithandschuh und reichte sie Burkhard. Er hielt sein Pferd an – das ihre stand von selbst still – über ihnen die Pracht des grünen Waldes, die spielenden Lüftchen in dem Laube, die Goldstrahlen der Morgensonne und die Jubelgesänge der Vögel! Evelinens Blässe war nicht gewichen, ihr Auge aber schaute klar zu ihm auf. Kurze Momente nur währte diese Scene, flüchtig nur drückte der junge Mann seinen Mund auf die ihm dargereichte Hand, aber es war ein neues Glied zur Kette, die zwei Menschenleben in eins verbinden sollte.

Burkhard fuhr leise fort:

»Schon damals, mein Fräulein, schon damals drang sich mir plötzlich der Gedanke auf, daß es eine heiligere, ein süßere und edlere Neigung geben könne, als die, welche im Sturm rasender Wünsche mein Herz verheert hatte. Nicht, daß ich damit Ihr Bild verband, daß ich in Ihnen ein Ideal jener lieblichen Erscheinungen aus der Frauenwelt erblickte, die wie Blumen in des Mannes Leben treten, um es zu schmücken und zu heiligen – nein, dazu waren Sie noch zu jung, noch zu sehr Kind, aber Ihr Wesen erweckte die Ueberzeugung in mir, daß es noch eine Zukunft für mich geben könne, beglückend und beruhigend. Und es wurde plötzlich still in mir!«

Er schwieg. Eveline, zitternd bei der Enthüllung, die ihr die Kämpfe eines Männerherzens deutlich machten, ritt ebenfalls schweigend weiter. Ohne zu wissen, was sie eigentlich fühlte, lag ein tief ergreifender Schmerz in der Erkenntniß für sie, daß Burkhard mit einem nach dem Kampfe ruhig gewordenen Herzen um das ihre warb, das noch niemals von Wünschen bewegt worden war. Konnte ihre Mutter diese erkämpfte Ruhe gemeint haben, als sie von dem hohen Glücke einer Ehe sprach, die ohne Herzenswallungen geschlossen sei?

Sie waren etwas bergan geritten, allmälig nur, so daß weder die Rosse ermüdeten, noch der Weg es bedeutend verrieth. Plötzlich lichtete sich der Wald. Eine scharf hervortretende Bergkante bildete ein breites Plateau, von dem man über die Landschaft hinwegblicken konnte. Dicht unter ihnen lag das Dorf mit seinem schönen Stiftsgarten. Breite Wege durchzogen die Au und am Horizonte lagerten die Kuppen des Riesengebirges in duftige Nebel gehüllt.

Eveline war noch nie bis auf diesen Vorsprung gekommen, deshalb schaute sie überrascht und mit leuchtenden Augen in die Gegend hinaus, während das schmerzliche Zucken ihrer Lippen und die bleichern Wangen noch von ihrem schmerzlichen Sinnen Kunde gab.

Burkhard schenkte der Aussicht keinen Blick. Er studirte nur das Mienenspiel seiner jungen Gefährtin und sprach hastig:

»Sie sind betrübt, Fräulein – hat Sie mein Geständniß verletzt? O, lächeln Sie nicht, es schneidet mir ins Herz, der leisesten Unwahrheit in Ihrem Wesen zu begegnen! Kennen Sie die Devise unseres Stammes? Sie heißt: ›Durch Wahrheit zum Glauben, durch Glauben zum Vertrauen!‹«

Jetzt klärte ein aufrichtiges Lächeln die Trübsinnigkeit ihres Gesichtes.

»Ich danke Ihnen, Baron,« sprach sie fest. »Rechnen Sie meine Verstimmung halb der Theilnahme an Ihrem Leiden zu – es ist gut, daß Sie mich durch Wahrheit zum Glauben führen – es leistet mir Gewähr, wenn ich später Vertrauen zu fordern berechtigt bin.«

»Danken Sie mir nicht, Fräulein, die Noth erzwang meine Beichte. Man würde in kurzer Zeit mit Schlangenlist Ihr Herzblut vergiftet haben durch die allgemein bekannte Thatsache, daß ich der Verehrer der Baronin Lotta vor ihrer Verheirathung mit meinem Vater gewesen bin. Ich mußte eher reden, als Diejenigen, welche wohl meine Verheirathung, nicht aber meine Zufriedenheit damit, wünschen.«

Eveline verstand ihn nicht, weil sie von der Bosheit der Welt keinen Begriff hatte. Sie fragte aber mit treuherziger Trauer:

»Können Sie denn in ihrer Nähe ruhig bleiben? Sie ist so schön!«

Burkhard antwortete:

»Sie ist meines Vaters Gattin und ich habe Veranlassung, meinen Vater zu bedauern! Lassen wir nun die Vergangenheit ruhen. Fräulein – die Gegenwart bietet uns besseren Stoff. Sehen Sie dorthin – jenes mystische Licht, das sich wie der Reflex eines Spiegels hin und her bewegt – das in zahllosen Funken hervorströmt, um gleich wieder im Nebel zu verschwinden! – Es ist ein See, der beim hellen Sonnenlichte wie ein großer Stern im Grunde liegt, während sich gerade über ihm die Schneekoppe erhebt. Dies ist der einzige Punkt, wo man das Gebirge von hier aus übersehen kann. Dort der Weg links führt zum Jagdschlosse, dieser rechts zum Stiftsgarten – der da, grad' aus, immer am Berge entlang, heißt der Königsweg, weil der alte Fritz ihn stets geritten ist, wenn er zum Grafen Sonnenfels wollte. Damals gehörte das Jagdschloß zu den königlichen Domainen. Erst Friedrich Wilhelm II. schenkte es meinem Vater. Ihre Gräfin begegnete mir gestern Abend auf diesem Wege, sie hatte einen Besuch gemacht. Sie erzählte mir von einer Fête, wobei wir uns treffen könnten. Um unser Zusammensein dort angenehm zu machen, hielt ich es für nothwendig, Ihnen heute früh Geständnisse abzulegen. Sind Sie mir deshalb böse, Eveline?« fragte er gütig.

»Nein! Ich pflichte Ihnen bei: durch Wahrheit zum Glauben!«

Er nickte ernst mit dem Kopfe.

»Hier wollen wir scheiden. Sie den Weg zurück, den wir gekommen sind, ich hier hinab zum Jagdschlosse. Ob es das letzte Mal ist, daß wir uns hier trennen? Sehen Sie, dort ist Ihr Fenster – es leuchtete gestern Abend kein Licht darin!« schloß er scherzend.

Eveline wurde roth, wie ein ertappter Sünder. Sie gedachte ihres Lauschens im Garten und der Gedanke schoß durch ihren Kopf, ob sie nicht davon Mittheilung machen solle. Jedenfalls wußte Burkhard, vertrauter mit allen Verhältnissen, sogleich, wem die harte Demüthigung zugedacht war. Das Wort drängte sich fast mit Gewalt auf ihre Lippen, aber der junge Mann wendete sein Roß, grüßte nochmals mit Freundlichkeit und ritt, sich mehrmals nach ihr umsehend, langsam am Abhange dahin.

Eveline war kaum allein, als sich scheu und leise ein Gedanke nach dem andern aus dem Hintergrunde ihres Erinnerungsvermögens hervorschlich. Hatte nicht die Gräfin von einem jungen Herrn, der lichterloh entzündet gewesen wäre, gesprochen? Ein Grauen überschlich sie, ein eigenthümliches Gefühl, gemischt von Entsetzen und Furcht, das sie scheu umblicken machte, als stiegen Gespenster um sie auf. Was sie Abends vorher mit Macht bekämpft hatte, das trat keck wieder aus dem Dunkel der Ungewißheit hervor. Sie trieb ihr Pferd zum schnellern Lauf, um nur nicht mehr mit ihren thörichten Muthmaßungen allein zu sein.

Es war nur ein kurzer Weg, den sie gemacht hatte und sie ritt sonst viel länger im frischen Morgenhauche umher, aber ihre aufgeschreckte Phantasie ließ sie keinen Genuß in diesem gewöhnlichen Zeitvertreibe finden. Es trieb sie nach Hause und als sie dort angelangt war, da fühlte sie sich um nichts gebessert. Alles, was sie von Burkhard vernommen hatte, gewann nun erst Gestalt und Leben. Ja, er hatte Recht, es war die erste schwere Prüfung in ihrem neuen Verhältnisse und sie bangte mit Recht vor den nachfolgenden Ereignissen.

*


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