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Dreizehntes Capitel.

Eveline hatte die Zeit zu kleinen Streifereien im Wäldchen verwendet, die von dem andern Theile der Gesellschaft der Ruhe gewidmet war.

Nachdem sie Lorenz ein Zeichen gegeben hatte, ihr von fern zu folgen, wanderte sie planlos dahin und überließ sich der natürlichen Heiterkeit, welche durch die frische Waldesluft rege gemacht wurde. Ohne der Quelle ihres stillen Glückes nachzuforschen, fühlte sie sich unaussprechlich wohl in dem Raume, der dem Manne gehörte, dem sie am meisten in der Welt vertraute. Schönere Phantasmen hatten noch nie ihre Träume durchwoben, als in der Einsamkeit dieser Promenade. Sie wußte freilich, daß es Schöpfungen ihrer Phantasie waren, die sie beglückten, aber sollte denn der Allerbarmer diese Segenskraft der menschlichen Imagination nur zur Qual in sie gelegt haben, sollten die Trübsale der Erfahrung diese Blüthen des Geistes zu einem Gifte machen, hinreichend, alle Lebensfreudigkeit zu vernichten?

Eveline glaubte nicht an diese Schreckbilder. Sie vertiefte sich in ihrer Weltunerfahrenheit bis zu der Anschauung, daß es nur die eigene Muthlosigkeit sei, die den Menschen verleite, sich Gespenster und Ungeheuer vorzuspiegeln, während eine feste Willenskraft alle Erfahrungen des Lebens zu besiegen vermöge.

Mittlerweile war es Abend geworden. Die junge Dame näherte sich allmälig dem Hause wieder. Der Himmel, wie aus Licht und Luft zusammengewoben, wölbte sich ätherisch über den Bäumen. Ihre Kronen zitterten leise in dem durchsichtigen Gewölbe, das nur noch von den goldenen Wölkchen im Westen erhellt wurde.

Eveline stand ergriffen still, als unerwartet aus dem Waldgestrüppe der klagende Ruf eines Vogels ertönte, weithin schallend, wehmüthig lockend. Alle andern Vögel waren schon still. Nur dieser arme Waldsänger, vielleicht einsam im Neste, verlassen von dem Weibchen und den jungen Vögelein, denen er Futter gesucht und gebracht seit Wochen, erhob seine Stimme, um die zu rufen, auf die er harrte.

Oder galt dieser Ton nicht dem heiligen Vaterwerke? Erklang er nicht aus der Brust eines unschuldigen Vogels? Eveline legte sich diese Fragen nicht vor, aber wohl Lorenz, der schlaue Rothkopf, welcher den Lockvogel schon kannte und ihm lächelnden Blickes verstohlen nachspürte.

Als das junge Mädchen an der Capelle vorübergehen wollte, öffnete sich die Thür des Gartenzimmers und die Baronin trat hastig dem Fräulein entgegen.

»Ich habe auf Sie gewartet!« rief sie mit einer Freundlichkeit, die einen feindseligen Zustand ihres Gemüthes nicht ganz verdecken konnte. »Sie lieben einsame Spaziergänge, liebe Eveline? Schade, daß Sie mir die Nachricht von der Richtung Ihres Weges vorenthalten haben, ich würde sehr gern Ihre Begleiterin geworden sein, um die Freundlichkeit Ihres Herrn Vaters doch in etwas zu vergelten!«

Sie betonte die letzten Worte mit so auffallender Bitterkeit, daß Eveline sie ängstlich ansah. Die Baronin umfaßte sie und zog sie durch die offene Thür in das Zimmer.

»Kommen Sie, theuere Kleine, hier ist ein lauschiges Plätzchen, ganz geeignet zu Herzensergießungen,« fuhr sie eifrig fort. »Nicht wahr, Sie träumten während Ihres Spazierganges von dem Glücke, das Sie hier finden würden?«

Eveline erröthete und senkte ihr Auge. O, in dies Heiligthum ihrer Träume durfte der profane Blick dieser Frau nicht dringen! Aber sie reizte durch die schweigende Abwehr die diabolische Macht der Baronin, die zungenfertig Wahrheit und Lüge zu verflechten verstand. Die Dame beugte sich schäkernd vor und sah von unten auf in des Mädchens Gesicht.

»Gestehen Sie, Sie lieben Burkhard, den bösen Mann, der nur durch Ihren Reichthum zur Werbung an Sie gelockt wurde?« sprach sie, schalkhaft mit dem Finger das Kinn Evelinens hochrichtend und dann den Kopf derselben mit beiden Händen festhaltend. »Es hilft Ihnen kein Leugnen – Sie lieben ihn! Arme Kleine, hoffen Sie aber nur nicht, daß er Sie wiederliebt! Sein Herz gehört leider, leider mir! Und wenn er auch für jetzt den guten Willen zeigt, sich aus seiner Leidenschaft für mich emporzuarbeiten – es wird ihm niemals glücken!«

Ernste Trauer umwölkte alsbald Evelinens jugendliche Stirn. Sie machte sich ziemlich hastig von den Händen der Baronin los und antwortete mit stolzem Unwillen:

»Sie säen eine böse Saat, gnädige Frau! Warum thun Sie das?«

»Ich will die Wahrheit in Ihr Herz streuen, Eveline,« fuhr die Baronin fort und ihre Stimme klang weicher, schmeichelnder, als zuvor, um desto wirksamer das Gift, das sie bereit hielt, in die unbewahrte Seele des jugendlichen Mädchens zu ätzen. »Wollten Sie denn glücklicher sein, als ich? Nein, theure Kleine, Dein Liebesglück wäre ein Raub an dem meinigen, den ich nie dulden könnte. Gott sei gepriesen, daß ich mich der Zuversicht hingeben darf, mein Bild werde ewig trennend zwischen Euch stehen, zwar als eine Lichtgestalt, die bereit ist, Diejenige zu segnen, welche dem theuren Manne ein sorgenfreies Erdendasein zu schaffen vermag, aber doch mit ewig wachen Augen, mit rastlos brennendem Herzen, mit der Leidenschaft, die nie erstirbt –«

Ihre Stimme sank zum Flüstern herab und sie legte ihren Arm um die Taille Evelinens, als wolle sie das tiefe, schmerzliche Leid an deren Busen ausweinen.

Das Fräulein machte sich jedoch herrischen Blickes frei aus dieser Schauspielerumarmung und wiederholte scharf:

»Als eine Lichtgestalt? Nein, meine gnädigste Frau, als ein Schatten, als ein düsterer, unheimlicher Schatten werden Sie zwischen mir und dem Manne stehen, der mit einer unerlaubten Liebe im Herzen um mich zu werben geneigt scheint. Sehen Sie denn nicht ein, daß Sie mit solchen Geständnissen den Keim eines unheilbaren Mißtrauens in mein Herz werfen?«

Die Baronin ließ ihre Arme schlaff niederfallen und blickte, wie abwesend in lange verweheten Träumen, lieblich lächelnd vor sich hin. Eveline, bei aller Unschuld und Jugend, mußte bemerken, daß eine leidenschaftliche Begeisterung nach und nach ihr Inneres füllte, daß verführerische Bilder Platz in ihrer Erinnerung fanden.

»Ja, er liebt mich ewig!« sagte sie träumerisch. »Hätten Sie gesehen, wie er mit seiner Leidenschaft gekämpft hat – er glaubte, sie vielleicht bezwingen zu können, als er, auf seines Vaters Bitten, ›Sie zur Gattin zu wählen,‹ einging. Hätten Sie ihn gesehen – hier – an dieser Stelle – hätten Sie gesehen, wie sein Auge in Gluth entflammte, wie seine Brust vor zärtlichen Regungen sich hob, wie der starke, feste Mann unter der Macht seiner Empfindungen erzitterte.«

»Hören Sie auf,« bat das gequälte Mädchen und wollte sich erheben.

»Nein! Sie müssen mich hören! Es soll meine einzige Genugthuung sein für alle die Qualen, die ich fern von Ihnen ertragen muß. Sie sollen es hören, wie er –«

Sie brach, bedeutungsschwer seufzend, ab; legte ihre Lippen, leise Worte der Verwirrung flüsternd, an Evelinens Ohr, und ihr Athem flog heiß über die bleichen Wangen des durch und durch bebenden Mädchens, das jetzt plötzlich aus der Unschuld der Kindheit zum Verständniß der Leidenschaft erwachte.

Eveline erlag; ihre Seelenkraft wich, Haß und Leidenschaft erstand auf der Folter, worauf sie von der Baronin gespannt worden war. Eine Verwünschung trat auf die kindlichen Lippen und ein Schwur brannte sich in ihr verwirrtes Gehirn ein.

Da schallten rasche Schritte draußen, ein Schatten glitt an den Fenstern der Kapelle vorüber und die Thür wurde aufgerissen.

Burkhard erschien auf der Schwelle. Er blieb stehen und ließ die Thür weit offen, als wolle er Licht in dies dämmerige Gemach eindringen lassen.

»Eveline!« rief er mit starker Stimme.

Sie taumelte auf, erhob aber abwehrend beide Hände gegen ihn.

»Komme ich zu spät, mein armes Mädchen?« sprach er weiter, einen Schritt vortretend. »Was hat sie gethan, diese Schlange, vor der ich Sie warnte, vor der ich Sie zu schützen hoffte? Schauen Sie auf, Eveline, erkennen Sie hinter dem schönen Trugbilde das höllische Lügengewürm,« fügte er erbittert hinzu, denn das junge Mädchen wankte dem Fenster zu, abgewendet von ihm.

»O, warum ließ ich Dich allein, da Du doch mein ganzes Herz beim ersten Blick gewonnen und ich die Gefahr kannte,« sprach Burkhard in weicher Trauer. »Eveline, komm zu mir! Eveline – durch Wahrheit zum Glauben, durch Glauben zum Vertrauen.«

Eveline schwankte sichtlich. Ihre Stirn, so tief gesenkt, hob sich. Sie machte einige Schritte ihm entgegen. Der Nebel wich von ihren Sinnen – ein Lächeln, wie das Lächeln eines erwachenden Kindes, das von bösen Wesen geträumt hatte, schlich über ihr Gesicht.

Burkhard stand unbeweglich und betrachtete sie.

»Eveline!« flog es nochmals, leise wie ein Hauch, über seine Lippen.

Das Mädchen widerstand der schmerzlichen Bitte, die darin lag, nicht; sie trat nahe an ihn heran und lehnte den Kopf an seine Brust. Sein Arm umfing sie.

»Fühlst Du im innersten Herzen, daß Alles Lüge ist, was diese Frau gesagt hat?« fragte er mild.

Das junge Mädchen senkte verzagt den Kopf.

»Lüge?« flüsterte sie unsicher. »Muß man sie nicht lieben. Sie ist so schön!«

Burkhard, froh überrascht von dieser Antwort, zog sie fester an sich.

»Hat sie keine andere Verleumdung ersonnen, als diese? O, meine theure Eveline, die Liebe zu ihr war eine Sinnentäuschung, der ich mich schäme! Es war ein kurzer, flüchtiger Traum, aus dem ich mit Schaudern erwachte. Ich weiß es jetzt, daß es eine andere Liebe giebt, die in dem Herzen des Mannes eine göttliche Kraft entwickelt, und in der Gegenwart der Frau, die es gewagt, mit meiner Liebe Prunk zu treiben, sage ich Dir, daß Dein Bild mich wohl schon lange begleitet haben mag, ohne daß ich es selbst wußte. Seit ich Dich wiedergesehen, schlingt sich die liebliche Erinnerung an unser erstes Zusammentreffen wie ein heilig verklärtes Band um mein Herz und fesselt mich mächtig an Dich. Glaubst Du mir, Du liebes Kind?«

Sie antwortete nicht. Das Entzücken hatte sie überwältigt, nachdem die Entrüstung ihre Lebensgeister bis zur Leidenschaft emporgetrieben. Still lehnte sie in seinen Armen, halb ohnmächtig, unfähig ein Wort zu erwiedern. Ob sie ihm glaubte? Vielleicht, daß noch leise Zweifel ihr mächtig aufgewühltes Innere durchzuckten; vielleicht, daß es noch mancher schlagenden Beweise von seiner Treue und Ehrlichkeit bedurfte, um die ernste Stimmung ihrer sonst so heitern Seele ganz zu verscheuchen; aber die Macht der Verleumdung war schon jetzt gebrochen und der Keim zum unseligen Mißtrauen blieb völlig fruchtlos in ihr ruhen.

Burkhard führte sie hinaus in die freie Luft, wo sie unbeengt von der Gegenwart ihrer Quälerin frischen Athem schöpfen konnte. Er würdigte die Gattin seines Vaters keines Wortes, nur ein flammender, zorniger Blick flog hinüber zu ihr, als er sich anschickte zu gehen.

Die Baronin war aufgestanden, hatte sich aber sonst nicht bewegt. Als Burkhard mit Evelinen die Kapelle verließ, blickte sie Beiden starr nach. Eine Wallung brennender Eifersucht und gehässigen Neides verunstaltete augenblicklich ihre schönen Züge, aber so schnell diese Aufwallung gekommen, war, eben so schnell schwand sie wieder. Ihr Leichtsinn war zu groß, um selbst Regungen solcher Art lange beherbergen zu können.

Ehe sie sich jedoch völlig zu fassen vermochte, trat Saint Potern mit höchst verdächtiger Eile zu ihr ein und fuhr, nachdem er drohenden Ernstes rundum geblickt hatte, mit dem Ausrufe auf sie zu:

»Wo ist Eveline? Haben Sie wirklich die Bosheit Ihrer Zunge daran versucht, ihren Frieden zu zerstören, wie der Rittmeister Mallzow meinte? Hüten Sie sich, gnädige Frau, hüten Sie sich! Ich habe Ihre Ehre, das Glück Ihrer Zukunft in der Hand!«

»Meinen Sie, theurer Freund?« entgegnete die Dame lächelnd und blickte so sorglos zu ihm auf, als hätte sie nie ein Wasser getrübt. »Ich glaube, die Herren haben Tollkraut beim Grafen Sonnenfels aufgetischt bekommen! Erst stürmt Burkhard wie ein rasender Roland hier herein, und jetzt fordern Sie mich wüthend vor die Schranken? Was ist denn Großes geschehen? Ich habe Zeiten, die vergangen sind, enthüllt. Danken Sie es mir, daß ich die schiefen Weltansichten, welche Ihre Frau Gemahlin durch Beispiel und Lehre Ihrem Kinde eingeimpft hat, zu verbessern trachtete, Eveline hielt, Gott sei's geklagt, die Bewohner der Erde für Engel –«

»Weil sie selbst ein Engel ist,« unterbrach Saint Potern sie mit Begeisterung.

»Darüber muß die Zukunft erst entscheiden,« entgegnete sie nachlässig. »Es gehört wahrhaft blutwenig dazu, um aus engelhaften Frauen Sünderinnen zumachen.«

»Soll das eine Andeutung Ihres eigenen Lebenslaufes sein?« fragte Saint Putern ironisch.

Die Baronin richtete sich stolz auf.

»Sie wissen wohl nicht, daß mich, im ersten Jugendglanze, eines Königs Sohn geliebt, und daß meines Vaters Willen diese Liebe begünstigte?«

Saint Potern fuhr leicht zusammen. Sein eigenes Bild schauete ihn aus dieser bitteren Anklage an.

Während dessen fuhr die Dame, durchs Fenster beutend, fort:

»Ihr Thoren, die Ihr mich verdammen wollt, was ist die Folge meiner bösen Saat? daß Ihr weit früher, als Ihr dachtet, die herrlichsten Blüthen des Glücks pflücken könnt. Sehen Sie doch, mein Freund!«

Saint Potern folgte mechanisch der Weisung. Den Buchengang hinauf kam Burkhard, an seinem Arme Eveline, deren Gesicht, wie der Himmel über ihr, aus Licht und Ruhe zusammengewoben, zu dem hochgestalteten Manne aufgerichtet war. Augenscheinlich durch die Gemüthsbewegung gezeitigt, lag die Hingebung der Liebe auf Beider Antlitz, und sie redeten in der vertraulich süßen Weise der Liebenden miteinander. Ohne daß ein Laut von ihrer Unterhaltung zu den Lauschern am Fenster drang, wußten diese, was hier von Lippe zu Lippe flog und mit der Zauberkraft tiefer Innigkeit zwei Leben vermählte.

»Der Himmel muß mit der Erde in Verbindung stehen,« flüsterte Saint Potern bewegt, »denn diese Vereinigung ist das Werk meiner seligen Gattin.«

»Undankbarer Mann,« schalt die Baronin leichtfertig lachend. »Wer hat es sich wohl mehr Lügen kosten lassen, um dies Bündniß zu schließen, als ich!«

Saint Potern blieb die Antwort schuldig. Er feierte im ehrfurchtsvollen Schweigen einen jener, bei ihm sehr seltenen Momente, wo die Liebe zu seinem Kinde sein Inneres heiligte. Was er auch jemals an vermessenen Wünschen und frivolen Hoffnungen auf eine weltliche Größe in sich gehegt hatte, diese Speculationen brachen gänzlich vernichtet in sich selbst zusammen, indem er sich an dem glückstrahlenden Gesichtsausdrucke Evelinens weidete. In der That, entweder eines schönen Prinzen Geliebte, oder dieses ernsten, gediegenen Mannes Gattin! Es war eine Alternative, vor der jeder Leichtsinn weichen und jede Selbstsucht die Segel einziehen mußte. »Der Tugend die Ehre und der Sieg!« dachte Saint Potern, indem er seinen Blick auf das junge Paar heftete.

Wie edel in der zärtlichen Güte, womit er zu Evelinen sprach, sah der junge Mann aus und welch ein hinreißender Liebreiz verklärte das junge Wesen, wenn ihre Blicke in einandertrafen! Da war nichts von Lüge, nichts von Leidenschaft, die sinnlich lodert, um wie Strohfeuer zusammenzufallen, weil der geistige Halt fehlt. Echt menschlich in ihrer Zärtlichkeit und dennoch göttlich groß und rein wiederspiegelte sich die Herzens-Empfindung in jedem Blicke.

Langsam war Burkhard mit Evelinen den Buchengang hinabgewandelt. Sie wendeten sich dem Bache zu, der das Jagdschloß umfloß und Saint Potern vermuthete, daß seine Tochter ihn aufzusuchen gehen wollte.

Ohne sich weiter um die Baronin zu kümmern, eilte er ihnen nach. Erst als er mehre Schritte von der Kapelle entfernt war, fiel ihm ein, daß es der Artigkeit gemäß gewesen wäre, sie nach Hause zu führen, allein er fühlte sich, von seinen edlern Empfindungen in Anspruch genommen, nicht bewogen umzukehren. Im Grunde war es ihm lieb, sie fern bei dem ersten Zusammentreffen mit Eveline zu wissen, und er gelobte es sich auf dem Wege zum Schlosse alles Ernstes, sein Kind nie wieder in Berührung mit dieser Dame zu bringen, die das Glück desselben stören konnte.

Ganz in der Nähe des Wohnhauses begegnete ihm Lorenz, der etwas in der Hand trug, das er, augenscheinlich bedenklich, aufmerksam betrachtete. Es war eine weiße Atlasschleife. Saint Potern blieb vor ihm stehen und sah ihn fragend an.

»Gnädiger Herr, ich glaube beinahe, hier ist's nicht richtig!« flüsterte der Diener schlau lächelnd. »Diese Atlasschleife wurde gestern Abend im Sonnenfels'schen Schlosse aus dem Fenster geworfen und heute finde ich sie hier wieder. Und dann, gnädiger Herr, es lockt ein Vogel wunderbarer Art im Walde umher. Gestern, als ich den Umtausch des Diadems bewirkte, lockte derselbe Vögel vor dem Fenster des Sonnenfels'schen Schlosses –«

»Und diese Schleife hatte die Baronin getragen?« fiel Saint Potern lächelnd ein.

»Zu Befehl, gnädiger Herr!« war die Antwort.

»Darüber wollen wir uns nicht grämen, Lorenz. Die Dame ist mündig!«

Er ließ Lorenz stehen und entfernte sich. Aber eine Erinnerung war erst jetzt wieder in ihm aufgetaucht. Hatte nicht Eveline vom Lord Charleston gesprochen, der auf fliegendem Rosse die Gegend durchstreife?

»Sie wird ihn fangen!« flüsterte er, sich die Hände reibend. »Gottlob, daß ich es nicht bin! Eine Geliebte dieser Art käme mir sehr ungelegen. Ob sie den Tausch der Diademe schon bemerkt hat? Gewiß nicht, sonst hätte sie mich mit Invectiven überschüttet!«

*


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