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Eilftes Capitel.

Wir haben schon früherhin angedeutet, daß die sogenannten Giebelstuben die elegantesten und prächtigsten Gemächer des Vanpotter'schen Wohnhauses waren und Charles wußte dies so gut, wie wir, hatte sogar schon Gelegenheit gehabt, sich gründlich in diesen Giebelstuben umzusehen. Dennoch aber fühlte er sich angenehm überrascht und im Geiste seiner Mutter sehr befriedigt, als er, dicht hinter Adele herschreitend, die wohnliche Eleganz des Boudoirs, das die junge Dame bewohnte, vom Kerzenlichte bestrahlt, vor sich entfaltet sah.

Sein Blick richtete sich, einen Moment nur, auf das nischenförmige Schlafcabinet, dessen seidene Vorhänge zurückgezogen waren und einen Einblick in das jungfräuliche Heiligthum gestatteten. Im nächsten Augenblick schon fielen die Vorhänge zusammen. Adele hatte mit einem Fingerdruck den Mechanismus in Bewegung gesetzt, der die Gardinen hin und zurück regierte. Dann wendete sie sich arglos zu dem jungen Manne um und ließ ihr Auge fragend auf ihm ruhen.

Charles, ganz überwältigt von seiner innern Bewegung, legte beide Arme um die schlanke Gestalt und hielt sie stramm, steif und fest in Armeslänge von sich entfernt.

»Mädchen! Mädchen! Ich ertrage es nicht mehr!« flüsterte er leidenschaftlich.

Adele, diesen Ausbruch nicht vermuthend, schrak leicht zusammen und versuchte sich los zu winden. Es gelang ihr nicht, deshalb blieb ihr nichts weiter übrig, als sich in ihr Schicksal zu ergeben, still zu stehen und sich von dem tyrannischen Manne betrachten zu lassen.

»Ich habe den ganzen Abend Todesangst ausgestanden, wie damals, als Du Lust hattest, mit dem Baron auf und davon zu gehen,« fuhr er noch immer leidenschaftlich bewegt, aber schon wieder mit einem Anfluge von Heiterkeit, fort. »Nur daß ich heute nicht den Baron, sondern alle Engel des Himmels fürchtete, die Lust bekommen mußten, die ihnen ebenbürtige Sterbliche in ihr Heimathland zu flüchten. Adele, liebe süße Adele, sieh mich an –«

Das junge Mädchen versuchte ihr Heil. Schüchtern hob sie das Auge. Eine leichte Trauer beschattete ihre Stirn, aber in ihren Blicken leuchtete eine rührende Hingebung.

»Halte mich nicht für einen leichtsinnigen, leicht entflammten Mann, meine Adele, bei Gott, das bin ich nicht! Aber Dir gehörte mein Herz seit dem ersten Blicke. Ich wollte Dir Zeit lassen, mich zu prüfen, Adele, zürne mir nicht, ich kann es nicht mehr ertragen, die Angst zehrt mich auf. Mädchen! Mädchen, glaubst Du denn wohl genug an meine redliche Liebe, vertrauest Du mir denn wohl genug, um mein liebes, treues Weib werden zu können? Adele, sage es offen und frei, wie Du es in Dir fühlst, so offen, wie Du von Deiner Pflicht gegen Deinen Vater gesprochen hast! Sprich! Sprich! Glaubst Du mich lieben zu können?«

Adele kämpfte einen Augenblick mit der mädchenhaften Schüchternheit, dann aber hob sie frei die Stirn wieder empor und antwortete:

»Ich fühle, daß ich Dich liebe, Charles. Ich fühle, daß Du alle meine Gedanken beherrschest, daß Du mein ganzes Herz ausfüllst. Ich fühle, daß ich niemals einen Mann mehr lieben kann, als Dich!«

Ihre Worte, von Anfang an kaum hörbar, erstarben zuletzt im allerleisesten Flüstern. Charles verstand sie doch. Ein wonniges Erzittern, von dem selbst seine stärkste Einbildungskraft keine Ahnung gehabt, durchströmte und durchglühte ihn. Stumm durch die Bewegung seines Herzens, zog er die geliebte Gestalt dichter an sich heran. Sein Blick suchte ihren Blick, und ihre Seelen tauschten ein heiliges Gelübde.

Mehrere Minuten verflossen, ehe Charles gefaßt genug war, weiter zu sprechen. Seine Stimme klang wie im Triumphe, als er dann anhob:

»Jetzt bilde ich mir doch wahrhaftig stark ein, Du geliebtes Mädchen, daß der große Herrgott den alten Kohnert und den seligen Fähnrich ganz expres so dumm in die Welt gesetzt hat, um Dich in die Arme meines Großvaters und von da in die meinigen zu liefern! Allmächtiger, nun mache mich aber auch meines Glückes würdig!«

Adele lächelte glückselig zu ihm hinauf. Er konnte der Versuchung dieses Blickes nicht widerstehen. Schüchtern, wie ein Knabe, berührte er mit seinen Lippen erst ihre Stirn, dann ihre Augen, dann ihre Wangen und dann, ja dann auch ihren Mund.

Es währte dies Mal länger als einige Minuten, bevor er sich wieder fand und der Humor war gänzlich verschwunden vor dem Liebessehnen, das ihn um so mächtiger ergriff, weil es eine ihm unbekannte Wonne war. Er hatte sich nie um Mädchen bekümmert, hatte sie aus weiter Ferne bisweilen als die hübschen Puppen des Erdenlebens verlacht und das Verlieben bis auf spätere Zeiten verschoben. Jetzt rächte sich die Macht eines Mädchendaseins. Charles verlor Alles aus den Gedanken, vergaß Sorgen und Pläne bei dem ersten Kusse, den eines Mädchens Lippe ihm gewährte.

Tief athmend ließ er Adele aus seinen Armen und warf sich vor ihr nieder.

»Adele, Du darfst mich nicht verlassen. Du darfst nicht zu Deinem Vater!« flüsterte er. »Ich habe Höllenpein gelitten bei dem Gedanken, getrennt von Dir zu sein, Dich ohne Schutz den bösartigen Launen eines Mannes preisgegeben zu sehen, der Deinen Werth nicht kennt. Theures, liebes Herz, Du mußt mein werden, Du mußt der Pflicht entsagen, die Dein Edelsinn Dir vorschreiben will.«

»Nimmermehr, Charles! Nimmermehr! Ich muß meinen Vater aufsuchen!«

»Ja! Ja! Aber als mein Weib!« rief er glühend.

Adele trat bebend zurück.

»Gefesselt durch geheiligte Bande, die seine väterliche Macht nicht lösen kann!«

Adele senkte zitternd das Haupt.

»Willst Du? O, Adele –« bat er fast wie ein Kind. »Wenn Du mein bist, so gehen wir miteinander aus, Deinen Vater zu suchen und zu versöhnen. Willst Du?«

»Es fehlt mir dann des Vaters Segen« flüsterte sie ausweichend.

»Den holen wir uns! Er kommt nie zu spät. Aber die Reue könnte zu spät kommen, wenn der aufflammende, zornige Mann einen Fluch zwischen uns schleudert, der uns auf ewig trennt! Willst Du, Adele?«

»Charles, morgen will ich Antwort geben!« bat sie zitternd.

»Nein. Heute! Jetzt! Ich kann die Qual nicht zwölf Stunden mehr ertragen. Ich beschwöre Dich! Willst Du? Willst Du?«

Das junge Mädchen stand tief in Gedanken versunken eine geraume Zeit da. Des jungen Mannes Blicke hingen mit fürchterlicher Spannung an ihren Zügen. Endlich richtete sie sich auf, neu belebt, neu beseelt.

»Ich will Dein sein, wenn Du es für gut findest!« sagte sie mit weicher, zärtlicher Stimme.

Jubelnd preßte Charles sie an seine Brust. Ihr Wille war dem seinen unterthan geworden. Die Liebe hatte den Sieg davon getragen.

»Nun, schlafe wohl! Träume süß, mein Lieb, mein liebes Lieb! Ich muß dem Großvater mein Glück verkünden, schlafe wohl und träume süß!«

Er verschwand und Adele sank betäubt, von Seligkeit erfüllt, in die weichen Kissen, um himmlisch zu träumen und irdisch glücklich zu erwachen.

Schlafe nur, Du holdes Wesen, schlafe fest, fest, um nicht zu sehen, was Dein Herzblut erstarren, was Dich auf ewig elend machen würde. Schlafe fest und träume Gutes.

*


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