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Erstes Capitel.

Ein prächtiger Herbsttag neigte sich zu Ende. Die Sonne stand tief in Westen und ihre Strahlen fielen auf die Häuser eines Bergstädtchens, das von dem schimmernden Grün einer Hügelkette begrenzt wurde. Das Städtchen war hügelan gebaut. Die Häuser welche am höchsten lagen, lehnten sich unmittelbar an das Waldgrün an, und wenn sie auch an und für sich einfache, ländlich gebaute Gebäude waren, so präsentirten sie sich dem beschauenden Auge doch als ein Schmuck der Landschaft. In der Reihe dieser Häuser zeichnete sich eins aus. Es stand etwas zurück von dem Fahrdamme, so daß sich ein Gärtchen vor demselben bildete, das mit grün angestrichenem Gitter eingefaßt war. Auch zeigte es sich in der ganzen Ausstattung nobler und eleganter. Prächtig gestickte Gardinen zierten die spiegelblanken Fenster und eine hübsche Treppe mit Eisengeländern führte zu dem kleinen einstöckigen Gebäude hinauf. In diesem Häuschen wohnte die Wittwe eines Artillerielieutenants, Vanpotter, der sein Leben im Freiheitskriege eingebüßt hatte.

Die Fenster waren geöffnet. Der glühende Abendschein drang mit der duftig wallenden Luft zugleich herein und beleuchtete zwei Gestalten, die im traulichsten Gespräche auf dem Divan saßen.

Sonnige Heiterkeit außen und sonnige Zufriedenheit im Zimmer.

Die Dame Vanpotter war eine Vierzigerin, äußerst klein, nett, zierlich und manierlich. Ihre Züge verriethen die Französin. Schwarzes, glänzendes Haar, dunkle Augen und eine keck gebogene Nase vereinigten sich mit einem feinen Teint, um die kleine Dame noch immer zu einer allerliebsten Erscheinung zu machen.

Der junge Mann, der neben ihr saß, würde von Niemandem in der ganzen Welt für ihren Sohn gehalten worden sein. Er war groß und von athletischem Wuchse. Halbblonde Locken umstanden das frische, blühende Gesicht wie ein Heiligenschein, blaue Augen lachten keck in die Welt hinein und die Heiterkeit seiner Seele sprudelte von seinen Lippen, die ein stattlicher Schnurrbart beschattete.

Die Dame stickte in Weiß. Der junge Herr kramte in Papieren. Dabei blickten sie Beide aber bisweilen plötzlich auf und lächelten sich dann mit einer rührenden Innigkeit an.

»Bist Du fertig, Charles?« fragte sie, als er die vor ihm liegenden Briefschaften und Documente zusammenzulegen begann.

»Ja Maman!« antwortete er mit einem listigen Seitenblicke. »Ich habe mich hinlänglich überzeugt, daß die Revolution Deinem Herrn Vater, dem Marquis d'Agremont, sehr gelegen gekommen sein mag. Sie beugte seinem Bankerott vor und gab ihm die erwünschte Gelegenheit, mit dem Reste seines baaren Vermögens hierher zu flüchten.«

Frau Vanpotter nickte eifrig mit dem Kopfe.

Charles fuhr heiter fort:

»Ich habe auch eingesehen, daß das Schicksal, oder die Vorsehung, Dein Bestes vor Augen hatte, als sie den vornehm verwöhnten Großpapa d'Agremont zeitig ins Himmelreich sendete, denn hätte er noch einige Jahre länger gelebt, so würde er nicht allein Dein bischen baares Vermögen, sondern auch dies Haus nebst allen dazu gehörigen Weinbergen verzehrt haben.«

»Du bist und bleibst un enfant frivole!« warf die Dame lächelnd ein.

»Maman, ich bin von heute an mündig!« rief der junge Mann, sich in's Wesen werfend. »Du darfst mich nun weder schelten, noch darfst Du mir etwas befehlen. Ich bin mein eigener Herr – göttlicher Gedanke!«

Frau Vanpotter sah schelmisch zu ihrem großen Sohne auf.

»Mündige Männer dürfen aber keine enfantillagen treiben!«

Charles nahm schnell die beiden kleinen Hände seiner Mutter in die seinigen, küßte sie wechselweis und rief mit dröhnender Stimme:

»Mein Ehrenwort, Maman, daß ich allen Kindereien von heute an entsagen will!«

»Um Gotteswillen, mon petit, schrei doch nicht so,« lachte die kleine Dame. »Die Nachbarn laufen ja zusammen. Du bist unverbesserlich, Charles. Lege mir nur meine Papiere wieder ordentlich zusammen. Und die Briefe Deines armen Vaters? Hast Du diese auch gelesen?« fügte sie mit weichem Tone hinzu.

»Mein Vater scheint Dich noch mehr geliebt zu haben, als ich,« entgegnete Charles feierlich.

»Böser Junge, bleib' doch ein einzig Mal ernsthaft,« bat seine Mutter.

»Wozu denn das? Sagt nicht irgend ein Dichter oder hab' ich mir's selbst ausgedacht: denn heute oder über Nacht wird uns das Grab gegraben; ist's dann nicht gleich; ob ausgelacht, ob ausgeweint wir haben?«

»Gieb mir das Portrait Deines Vaters zurück,« sprach seine Mutter weiter und streckte die Hand danach aus.

Charles hob das Miniaturbild erst gegen den goldigen Abendglanz empor, ehe er es in die Hand seiner Mutter legte.

»Maman, mein Vater muß ein hübscher Mann gewesen sein,« rief er aus. »Aber ich bin doch noch hübscher –«

»Eh bien – Monsieur Narzisse, der sich selbst bewundert!« scherzte die Dame.

»Scherz bei Seite, Maman. Mein Vater hat einen plebejischen Mund und Kinn, beides ist breit und fleischig, das sieht schlecht aus. Mir hat die Natur den kleinen Mund und das spitzige Kinn meiner aristokratischen Mama beschieden, ist's nicht wahr?«

Seine blauen Augen leuchteten im Uebermuthe, als er sie auf seine Mutter richtete. Sie sah aber halb traurig und halb freudig bewegt in sein hübsches Gesicht.

»Du bist Deinem Vater durch und durch ähnlich, mon Charles! Du hast die frische Heiterkeit des Geistes, womit er mich damals aus der Lethargie erweckte, worin ich rettungslos untergegangen wäre und Du hast die Güte seines ganzen Wesens, die mich so schnell an ihn fesselte.«

»Und wenn mon chère père so häßlich, wie die Cyklopen der Unterwelt gewesen wäre?«

»Ich glaube, ich hätte ihn dennoch geliebt, mein Charles,« entgegnete sie eifrig. »O, Du hast keinen Begriff von dem Leben, das ich seit dem Tode meines Vaters geführt hatte. Zehn Jahre lang auf den Umgang meiner alten Margot angewiesen, stets noch als kleines Kind behandelt –«

»Und dann plötzlich die Liebe und Verehrung eines kräftig deutschen Herzens –«

»Ja, ja! Er liebte mich, er bedauerte mich. O, Charles, ich bin fünf Jahre lang das glücklichste Geschöpf unter Gottes Sonne gewesen.«

»Nur fünf Jahre?« neckte Charles. »Undankbare Mutter!«

Frau Vanpotter lächelte ihren Sohn liebreich an. »Mein Glück war damals dreifach. Ich hatte den besten, gütigsten und zärtlichsten Gatten, hatte eine reizende Tochter und einen allerliebsten Sohn.«

»Freilich, von Allen ist Dir nur der allerliebste Sohn geblieben, Maman,« sagte Charles treuherzig.

»Und dieser böse Knabe macht seiner armen Maman das Leben schwer durch seine petites malices,« setzte sie eiligst hinzu.

»Wirklich? wirklich?« rief er lachend. »Nun, das freut mich! Man muß immer darnach sehen, daß es unsern Nebenmenschen nicht zu gut geht! Aber, Maman, kraft meiner Mündigkeit frage ich Dich heute nach den Vorjahren meines väterlichen Stammes. Du hast bis dahin meine gelegentlichen Nachforschungen immer mit stummem Kopfschütteln abgewiesen. Weißt Du nichts von der Familie Vanpotter?«

Die Dame bewegte sich unbehaglich hin und her, schien es abermals mit jenem bedeutungsreichen Kopfschütteln bewenden lassen zu wollen und nahm eine etwas verächtliche Miene an.

»Damit kommst Du bei Deinem mündig gewordenen Sohne nicht durch,« fuhr der junge Mann fort. »Ich werde inquisitorisch verfahren. Mache Dich auf Daumschrauben gefaßt, chère Maman.«

»Nicht doch, Charles. Was ich weiß, sollst Du erfahren. Deines Vaters Vorfahren sind Bauern, nördlich von hier in irgend einer deutschen Provinz.«

»So? Bauern! Deshalb also sollte der Sohn der Marquise d'Agremont nichts von ihnen wissen?«

»O, thue mir nicht Unrecht, Charles. Deines Vaters Familie haßte die Französin. Sie haben unserer Ehe den Segen verweigert. Als Dein Schwesterchen geboren war, schrieb ich ein deutsches Briefchen an meines Mannes Mutter. Es kam keine Antwort darauf und wir erfuhren erst später, daß die alte Frau schon todt gewesen war, als mein Brief ankam. Späterhin, als Du geboren wurdest, meldete Dein Vater dies Familienereigniß zu Haus. Er war seiner Eltern einzig Kind. Darauf schrieb Dein Großvater wieder. Er forderte, daß unser Knabe Karl getauft werde, weil dieser Name der Familie stets Glück gebracht hätte.«

»Mein Vater hieß ebenfalls Karl?«

»Ja wohl. Auch Dein Großvater hieß so.«

»Dann bitt' ich mir aber aus, daß Du künftig hin nicht mehr ›Charles‹ sagst!« forderte mit affectirter Feierlichkeit der junge Mann.

»O, mon petit –« bat die kleine Frau ängstlich. »Dein Vater hat es gestattet.«

»Davon nachher. Wir wollen unsere Erinnerungsreise nach dem Bauern Vanpotter noch nicht schließen. Was schrieb der alte Bauer weiter?«

»Er schien zufrieden geworden zu sein, lobte meinen hübschen, deutschen Brief an seine gestorbene Frau und lud mich ein, mit den Kindern zu ihm zu kommen, da der Krieg sich drohend entspinne und bei der Nähe unseres Wohnortes an der französischen Grenze, das Wohlsein der Kinder in Gefahr kommen könne.«

»Hast Du den Brief noch, Maman?« fragte Charles hastig.

»Ich denke wohl. Ich weiß nur nicht, wo er ist,« meinte sie, geflissentlich ausweichend.

»Nun, da Du die Agremont'schen, werthlosen Papiere so sicher aufbewahrt hast, so sollte es mich doch Wunder nehmen, wenn Du diesem werthvollen Documente weniger Aufmerksamkeit geschenkt hättest,« spottete er heiter.

»Was meinst Du? Was denkst Du?«

»Ich denke und meine, daß manche Bauern reich sind und daß ich, als einziger Sohn des einzigen Bauernkindes am Ende noch reich werden könnte.«

»Sind das nicht wieder chateaux en Espagne, wie Du sie als Knabe auf den Namen Agremont bauetest? Du willst doch keine Verbindung mit diesen Leuten suchen? Wozu das? Wozu?«

»Um meinen Großvater zu lieben und zu beerben!« antwortete er muthwillig.

Madame Vanpotter zog ihr volles Gesicht in die allverdrießlichsten Falten und warf den zierlichen Kopf mit der keck gebogenen Nase stolz in die Höhe. Charles lachte.

»Es hilft Dir Alles nichts, Maman. Ich habe plötzlich mächtig viel Lust, mich um die Verwandten meines Vaters zu bekümmern.«

»Des Erbtheils wegen?« fragte die Dame mit stolzer Gluth.

»Nein, nicht allein des Erbtheils wegen. Wenn ich nur erst weiß, wo mein Großvater lebt; daß er noch lebt, nehme ich als ganz bestimmt an. Aus dem Briefe, den Du einstmals von ihm erhalten hast, ließe sich vielleicht Manches ersehen, was mir als Leitstern dienen könnte. Es wäre auch meine sicherste Legitimation.«

»Der Brief –? Der Brief?« fragte die Dame zerstreut. Ihr Auge schweifte über den offen stehenden Schreibschrank hinweg.

Charles drückte schelmisch die Augen halb zu und blickte ebenfalls dorthin. Er wußte, daß der Brief dort liegen mußte, wenn er sonst noch vorhanden war.

»Ich wünsche eigentlich jede Verbindung mit dem Vanpotter's abzubrechen,« sagte seine Mutter gereizten Tones.

»Das weiß ich längst, beste Mama,« entgegnete Charles. »Warum aber wünschest Du das?«

Eine kleine Thräne schimmerte im dunkeln Auge der Dame, als sie es fest auf ihren Sohn heftete.

»Es hat mich verdrossen, nein, es hat mich geschmerzt, mein Sohn, daß der Vater meines Gatten sich so kaltsinnig nach dessen Tode betrug. Nicht ein Wort des Trostes, nicht eine Aeußerung liebevoller Theilnahme für die arme Wittwe und ihre kleinen Kinder. Damals lebte Deine Schwester Adele noch, Vanpotter wußte, wo ich war, er wußte, daß meine Lage nicht glänzend genannt werden konnte und Dein Vater hatte mich ihm so dringend empfohlen in einem Briefe, den er vor seinem Abmarsche nach Frankreich schrieb. Sollte ich mich erniedrigen zur Bettelei? Sollte Mademoiselle Adele d'Agremont vor dem deutschen Bauern sich demüthigen?«

Charles sah sie an, ob die Thräne des Schmerzes schon von der stolzen Entrüstung ihres Herzens getrocknet war. Als er sich davon überzeugt hatte, rief er mit spöttischem Pathos:

»Gott behüt', daß ich der Baronesse v. Agremont jemals dergleichen zumuthen sollte. Allein ich, der Enkel des deutschen Bauern, will doch gehen und die Erdscholle aufsuchen, die meinen Ureltern gehört hat. Ich habe jetzt hinreichend viel Zeit dazu. Meine Vorstudien zu meinem Berufe sind beendet und ich bin qualificirt befunden, Chausseen, Thürme, Paläste, Honigkuchenhäuser und Luftschlösser bauen zu können. Gut. Beginnen wir unser Amt mit Grundrissen zu Luftschlössern oder, wie Du es nennst, mit chateaux en Espagne. Der Winter ist vor der Thür, das ist eine Zeit, wo der Baumeister Ferien hat.«

»Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, Dich den Winter über bei mir zu haben.«

»Ei, lieb Mammchen, bis zum Winter bin ich längst wieder hier. Denkst Du, daß ich die reizende Behaglichkeit meines Mutterhauses dem groben Bauerleben in des Großvaters Hause opfern werde? Nun aber, Maman – den Brief!«

Frau Vanpotter stand auf, öffnete mit einem kleinen Schlüssel, den sie am Uhrhaken trug, einen kleinen Schubkasten und nahm ein Packet heraus.

»Hier hast Du Alles, was Dir nöthig ist zur Legitimation. Du solltest es erst nach meinem Tode finden.«

»Besser so, lieb' Mammchen. Nach Deinem Tode hätte mich Dein Eigensinn geschmerzt, jetzt aber belustigt er mich. Sieh da – Trauschein – Taufschein – Briefe. Sind diese Briefe alle vom Großvater?«

»Ja. Die ersten enthalten schwere Vorwürfe, daß Dein Vater eine Person hatte heirathen können, die zu der verhaßten Nation der Franzosen gehört hatte. Spätere Briefe wirst Du freundlicher finden. Man ersieht daraus, wie feurig Dein Vater das Wort für mich geführt hat.«

»Warte nur, Maman, ich werde das Schwert noch besser für Dich ziehen, wenn ich nur erst meinen Großpapa durch meine Vortrefflichkeit in Erstaunen gesetzt habe.«

»Wenn der alte Mann sonst noch lebt,« schaltete Frau Vanpotter bedenklich ein.

»Sein dümmster Streich von der Welt, wenn er gestorben wäre, ohne meine Bekanntschaft gemacht zu haben!« rief Charles und entfaltete einen dicken, gelb gewordenen Bogen Papier.

»Das ist der letzte Brief. Lesen wir ihn. Deutlich genug schreibt der Alte. Woher datirt? ›Altingeroda, den 16. März 1814.‹ Meine liebe Schwiegertochter? Der Brief ist ja an Dich gerichtet, Mama?«

Die Dame blickte hoch überrascht auf.

»Mon Dieu – das weiß ich gar nicht. Ich konnte damals die deutsche Schreibart noch nicht gut lesen, und Dein Vater war schon fort. Ich war sehr traurig damals. Adele war schon kränklich und acht Wochen später hatte ich Mann und Kind verloren. Lies mir den Brief vor, mon enfant.«

Charles begann:

»Meine liebe Schwiegertochter.

Wenn Dich mein Schreiben noch bei guter Gesundheit antrifft, so soll es mir sehr lieb sein. Was mich anbetrifft, so bin ich, Gott sei gedankt! noch immer sehr gesund, obwohl mich bisweilen eine tiefe Traurigkeit und eine Sehnsucht nach meiner seligen Caroline anwandelt. Warum ich an Dich schreibe, meine gute Tochter, das ist die Sorge um Dich und Karl's Kinder. Ich kann mir denken, daß Karl sogleich zum Marschiren commandirt ist, als der Bonaparte den Waffenstillstand gebrochen hat. Wie man hier hört, so sollen die Alliirten sich den Schwur geleistet haben, dem Kerl endlich das Handwerk zu legen, wozu ihnen Gott helfen mag. Amen.

Wäre es nun nicht besser, daß Du, meine liebe Tochter, Dich sogleich aufmachtest und mit den Kindern zu mir kämest? Dein Mann hat mir dieserhalb geschrieben, sehr ergreifend und rührend! Ich habe schon im vorigen Sommer zwei nette Giebelstuben für Dich und Deine kleine Familie ausbauen lassen, woselbst es Dir, wenn Du auch eine französische Gräfin bist, doch gefallen wird. Willst Du also kommen, liebe Tochter, so genirt es mich gar nicht. Und ich will Dir einen Wagen mit vier kräftigen Pferden bis nach Cassel entgegenschicken oder auch selbst hinbringen. Antworte mir nun so bald Du kannst. Den Kindern gieb einen Schmatz vom Großvater Vanpotter. Adelchen ist wohl schon hübsch groß? Und der Karl kann gewiß schon tüchtig laufen? Na, der soll ein Pferdchen haben, wenn er erst hier ist, wie es der Herzog von Coburg nicht besser im Stalle hat.

Ich grüße meine liebe gräfliche Tochter und bin Dein wohlaffectionirter Vater

Christian Andreas Karl Vanpotter.«

»Mama, ich bin nicht zufrieden mit Dir!« rief Charles lebhaft bewegt, den Brief zusammenfaltend. »Das ist ein Brief, der eine Antwort verdiente. Dein Ahnenstolz ist Schuld daran, daß Du ihn nicht beantwortetest, nachdem Gott Dir unsern Vater genommen hatte. Du hast geflissentlich und mit Ueberlegung eine Kluft zwischen Dir und dem Vater Deines Gatten aufgerissen – gestehe Deine Sünden, auf daß ich sie Dir vergeben kann. Gestehe es mir, daß die Furcht vor dem Bauerhause und der Giebelstube Dich verleitet hat, die Verbindung mit dem alten Manne abzubrechen.«

»Du thust mir Unrecht, Charles,« entgegnete die kleine Dame, beweglich zu ihm empor blickend. »Du thust mir sehr Unrecht. Ich habe die Anrede: ›Meine liebe Schwiegertochter‹, gar nicht verstanden und habe den Brief überhaupt nicht lesen können. Nur mit Mühe und Noth habe ich Einzelnes zusammengesucht, was mir aus frühern Briefen von Deinem Vater gelehrt worden war.«

»Aber, weshalb hast Du den Brief späterhin, wo Du mit mir zugleich Deutsch schreiben lerntest, nicht wieder vorgenommen?« examinirte der Sohn.

»Einestheils hatte ich ihn vergessen und als einen Brief, der an Deinen Vater gerichtet war, mit Fleiß fortgelegt. Dann aber fühlte ich mich durch die Vernachlässigung des alten Mannes auf's Höchste beleidigt. Ich nahm an, daß er froh war, mit dem Tode seines Sohnes die unerwünschte femme du fils ignoriren zu können.«

»Nun, es wird hoffentlich noch nicht zu spät sein, mit diesem Briefe Geschäfte zu machen,« sprach Charles heiter. »Dies Packetchen wird hiermit feierlichst in Besitz genommen, und es überschleicht mich die Ahnung, als sähe ich eines Tages trotz allen Ahnenstolzes meine Mama im Giebelstübchen des Vanpotterschen Bauernhauses meine Kinder wiegen!«

Die kleine Dame riß ihre feurigen Augen weit auf. An Zukunftsbilder dieser Art hatte sie noch niemals gedacht. Ihr Sohn war und blieb »le petit enfant,« trotzdem er nachgerade eilf Zoll hatte und daß Charles le petit heirathen und Kinder haben könne, das kam ihr märchenhaft vor.

Charles errieth ihre Gedanken. Er lachte hell auf.

»Was staunst Du, Maman? Was entsetzt Dich? Hast Du wirklich noch nie daran gedacht, daß Du ›Großmama‹ gerufen werden kannst? Ich beschäftige mich sehr stark mit dieser glücklichen Idee und wünsche nichts sehnlicher, als einen eigenen Heerd, einen wohlbesetzten Tisch und eine halbe Compagnie Kinder zu haben.«

»Aber Charles!« bebte es von den empörten Lippen seiner jungfräulich prüden Mutter. »Voilà une de vos étourderies –«

»Nichts von Etourderie, Maman! Menschliches Fühlen, menschliches Wünschen und menschliches Hoffen kann nie eine Unbesonnenheit genannt werden! Es würde mein höchstes Glück sein, Dich, Du allerliebste, kleine Mutter als Großmütterchen in einem Haufen Kinderchen zu sehen. Denke Dir das lebhaft.«

»Nimmermehr werde ich an solche Dinge denken!« rief die kleine Dame entrüstet dazwischen.

Ihr Sohn fuhr aber dessen ungeachtet fort:

»Ich weiß es leider aus Erfahrung, wie schrecklich es ist, einziges Kind zu sein, und ich werde redlich Sorge tragen, daß mein Aeltester nicht allein bleibt, wenn Gott irgend ein Brüderchen oder Schwesterchen in den Himmel holt. Ich bin schon still, Maman,« fügte er, schelmisch seine Arme um die zarte Gestalt schlingend, hinzu. »Bleib nur sitzen. Ich sage kein Wort mehr! Aber da ich eine Wanderschaft antreten will und es mir in der Fremde passiren könnte, daß der eigene Heerd und der gedeckte Tisch eine Hausfrau verlangte, so hielt ich es für gut, Dich frühzeitig genug zu Gevatter zu bitten.«

»Charles, Charles!« sprach Frau Vanpotter flehentlich. »Du wirst doch nicht so thöricht sein und schon an die Ehe denken?«

»Ei, Maman, war denn mein Vater älter, als er Dich heirathete?« fragte er lachend.

Die Dame seufzte und senkte ihre Stirn tief nieder.

»Thörichter als mein Vater werde ich nie handeln,« schmeichelte der Sohn mit leichter Bewegung in der Stimme. »Ich werde nur ein hübsches, kluges und gutes Mädchen wählen, wie er, höchstens nehme ich sie mir etwas größer, als er –«

Frau Vanpotter hob lachend ihren Kopf wieder auf und sah ihn liebreich an, während er fortfuhr:

»Damit der Himmel nicht abermals Wunder thun muß, wenn er einen Vanpotter comme il faut in's Werk setzen will. Siehst Du, Mama, jetzt habe ich Dir Alles gesagt, was Du hören mußtest, und nun will ich mein Bündel schnüren. Morgen geht's in die Welt hinaus, um mein Vaterhaus zu suchen. Wenn Du keine tyrannische Mama bist, so sehe ich Dich bald im Giebelstübchen des Bauernhauses.«

*


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