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Fünftes Capitel.

Adele betrat unter verworrenen Gefühlen ihr Zimmer, das, wie wir wissen, das prachtvollste in der untern Etage des Hauses war. In ihr kämpfte der Schmerz um verlorene Güter mit dem Hasse gegen diejenigen Personen, die ihr diesen Schmerz verursacht hatten. Hin- und hergeworfen von ihren aufgeregten Empfindungen, von der bittern Pein einer Sorge beherrscht, welche ihr eine zweifelhafte Zukunft in nicht angenehmen Bildern wiederspiegelte, warf sie sich matt und gebeugt in einen Sessel am Fenster und stützte ihre Stirn mit beiden Armen.

Sie war entthront! Ein gedemüthigtes Wesen in den Räumen, welche sie im Vertrauen auf unantastbare Rechte eingenommen hatte. Sie war gezwungen, diese Räume Denen zu überlassen, die gerechten Anspruch darauf hatten! Ihre Gedanken führten sie durch die Wirren der letzten Ereignisse zu dem Antrage des Barons v. Ekartswalde zurück. Er hatte ihr seine Hand geboten. Diese Hand konnte sie jetzt aus einem Labyrinthe von Unannehmlichkeiten führen. Sie war überzeugt, daß der Baron edel genug sei, um sich von der Veränderung ihrer Lage nicht beirren zu lassen, allein würde ihm der Betrug, den man sich zu ihren Gunsten erlaubt hatte, nicht jede Verbindung mit ihr verleiden? Sie mußte handeln, selbst handeln ohne die Hülfe Anderer.

Ehe sie handeln konnte, mußte sie jedoch Rosa Vanpotter sprechen, um sich zu überzeugen, daß sie das Herz dieses schönen fröhlichen Kindes nicht in seinen Tiefen verletze und kränke. Sie liebte Rosa schwärmerisch und hielt sich für berufen, den Schutzgeist derselben zu spielen. Kaum war Adele so weit mit ihren Gedanken gekommen, so ordnete sie ihren Anzug, nahm ein Reitkleid hervor und rief aus dem Fenster nach ihrem Pferdchen, einem vortrefflich abgerichteten Paßgänger, welches sie in kurzer Zeit über den Kamm des Gebirges, durch Felsenwege und über Steingeröll nach dem Städtchen bringen würde, wo Rosa und auch der Baron Bruno v. Ekartswalde wohnte.

So weit fertig mit ihren Entschließungen, überlegte sie von Neuem das Traurige ihrer Lage. Was büßte sie nicht Alles ein, wenn es sich wirklich bestätigen sollte, daß nicht sie und ihr Bruder, sondern jener junge Fremde der richtige Erbe des greisen Vanpotter war! Und sie gestand es sich selbst zu, daß eigentlich gar kein Zweifel mehr zu erheben sei, wenn wirklich die Schwiegertochter Vanpotter's noch lebte. Ihre Ankunft mußte alle aufsteigenden Mißtrauensgedanken sogleich tödten. Dabei überdachte sie schmerzlich bewegt die wunderbare Wendung ihrer Gefühle. So lange hatte sie sich mit heiliger Liebe den Erinnerungen an Adele d'Agremont, als ihrer Mutter, hingegeben, hatte die Briefe des Lieutenants Vanpotter an seinen Vater mit glühender Inbrunst wieder und immer wieder gelesen, hatte sich nach diesen Briefen, die eine ideale Schilderung seines häuslichen und ehelichen Glückes enthielten, ein Bild ihrer Eltern geschaffen, das einer Apotheose sehr nahe kam, und das Alles lag nun zertrümmert vor ihrer Phantasie, sie war hinausgedrängt aus dem Paradiese irdischer Verklärung, sie war den geliebten Gestalten eine Fremde!

Wäre Adele eine weiche, weibliche Natur gewesen, so würde sie in reichlichen Thränengüssen eine Erleichterung gefunden haben. Allein Adelens Naturell war heroisch, fest, leidenschaftlich im Hasse, wie in der Liebe. Das Feuer ihrer Innerlichkeit verbrannte sie, ohne daß sie mit der Wimper zuckte, und das Sieden ihres Blutes verdeckte sie mit einem Lächeln.

Der alte Herr Vanpotter hatte sehr Recht, wenn er sagte: »Adele findet sich am leichtesten in der Einsamkeit zurecht,« doch in dem vorliegenden Falle träufelte die Einsamkeit Gift in ihre Entschlüsse. Es gehörte aber auch wahrlich ein starker Geist dazu, um in diesem finstern Verhängnisse den Muth nicht gänzlich zu verlieren.

Das Pferd wurde unterdessen vorgeführt. Adele warf den Reitrock über, drückte den Hut trotzig fest auf die Stirn und schritt unverzagt durch die Nebenzimmer nach der Wohnstube, wo Herr Vanpotter mit seinem Enkel im Gespräche vertieft weilte.

Charles saß mit dem Rücken gegen die Thür. Er wendete sich erst zu ihr auf den Ruf des alten Herrn:

»Willst Du ausreiten, lieb Mädel?«

»Ja,« entgegnete Adele ruhig, aber ihre Stimme hatte einen fremdartigen Klang. »Ich will zu Rosa hinüber. Ich muß die Kleine sprechen, bevor ich einen Entschluß betreff des Barons Bruno fasse. Ich bin zum Abend zurück. Bis dahin werden sich die Wellen der Empörung gegen das Schicksal in mir gelegt haben. Adieu.«

Sie neigte sich graziös und königlich und schickte sich an, unverweilt das Zimmer zu durchschreiten.

»Adele!« rief der alte Herr vorwurfsvoll. Sie stand still. Die Hand zitterte, worin sie spielend die Reitgerte schwang. »Adele, mein Kind, soll das eine Kriegserklärung gegen mich alten Mann sein? Ist das Deine Liebe, die Du mir so oft betheuertest?«

Im Nu hing Adele am Halse des alten Herrn und bedeckte ihn mit ihren Küssen.

Charles betrachtete Beide mit Augen voll Entzücken. Er hatte nie in seinem Leben ein reizenderes Mädchen gesehen, als Adele, nie eine junge Dame von so vollendeter Anmuth, nie ein weibliches Wesen von so selbstbewußter, zauberhafter Liebenswürdigkeit. Die zärtliche Hingebung, womit sie sich an den stattlichen, alten Mann schmiegte, gab ihr einen neuen einschmeichelnden Reiz. Es offenbarte sich darin die weibliche Schmiegsamkeit ihres Charakters, die sie für gewöhnlich mit ruhiger Selbstbeherrschung verbarg. Wäre der junge Mann der Eingebung seines Herzens gefolgt, so würde er Beide, wie sie vor ihm standen, mit seinen Armen umfaßt, und voll jauchzender Fröhlichkeit an seine Brust gezogen haben. Aber er bezwang seine jugendliche Aufwallung. Er fühlte, daß in Adele etwas zu schonen sei, was nur die Zeit heilen könne. Nur seinen Augen erlaubte er einen Verrath seiner Gefühle und derselbe mußte so sprechend deutlich sein, daß Adele, als sie sich aus den Armen Vanpotter's emporrichtete, mit lieblichem Lächeln die Augen vor seinen Blicken senkte.

Das Herz der Frau bleibt in allen Lagen des Lebens empfänglich für den Eindruck, den ihr Aeußeres macht. Die zarte Schonung des jungen Mannes, mit der er seine Augen sogleich abwendete und durch einige gleichgültig harmlose Bemerkungen über die Mißlichkeit des Wetters seine sichtliche Aufregung zu verdecken strebte, gewann ihm, mehr als huldigende Worte, die Achtung Adelens. Sie ließ sich ohne Weigern von ihm hinausbegleiten, nahm seine Aufmerksamkeiten beim Besteigen ihres Pferdes weit willfähriger, als sie jemals zu werden geglaubt hatte, an und neigte dann ihr Haupt mit einem weit sanftern »Adieu«, als vorhin im Zimmer. Wodurch sie sich so wunderbar besänftigt fühlte, das wußte sie selbst nicht. Ihr Behagen schwand auch sogleich wieder, indem sie ihr Pferd gewendet und den Bergpfad zur Mühle hinaufgelenkt hatte. Sie verließ eben so erbittert und trotzig wie früher gegen Gottes unerforschlichen Rathschluß, der sie erst auf die Höhe eines Lebensglückes gehoben, um sie dann hinabzustürzen, den Hof des alten Herrn Vanpotter und ritt, von ihrem Groom gefolgt, so rasch wie möglich auf die Mühle zu.

Bei der Mühle hielt sie an, schwang sich gewandt vom Pferde und warf die Zügel in die Hand ihres Bedienten, der ihr eigens zu ihren Streifereien durch's Gebirge vom alten Herrn gehalten wurde.

»Warte hier!« sagte sie kurz und herrisch. »Ich komme bald zurück.«

Hoch aufgerichtet, mit streng ritterlichen Mienen trat Adele durch die Umzäunung der Gebäude in den Hof, wo sie Kohnert beschäftigt fand. Mit einer Bewegung ihrer Reitgerte forderte sie ihn auf, ihr zu folgen und schritt schweigend ihm voran in das kleine, nett ausgestattete Stübchen. Hier blieb sie stehen und richtete ihre Blicke scharf und mißtrauisch auf den Invaliden, der sorglos lächelnd, aber innerlich doch etwas verwundert, diesem Blicke begegnete.

»Mann, was hast Du gethan!« sprach Adele traurig und zornig zugleich. »Hast Du nie an eine ewige Vergeltung gedacht, als Du Deine Hand zu dem Betruge herliehest? Oder leitete Dich eigener Vortheil? Sprich Kohnert, gestehe mir auf der Stelle, wem ich, wem mein Bruder eigentlich angehört? Sprich ohne Verweilen. Ich will es wissen!«

Kohnert hatte nach und nach eine straffe, soldatische Haltung angenommen, dabei aber das sorglose Lächeln keineswegs verloren.

»Hat sich der junge Comödiant mit seinen Märchen bis zu Ihnen verstiegen, Fräulein Adelchen?« fragte er gemüthlich. »Ich dachte schon, er wäre aus Furcht vor meinem Krückstocke ausgekniffen, als ich heute früh den Thaler auf dem Tische und das Nest leer fand.«

»Verschwenden Sie keine Lügen weiter, Kohnert,« entgegnete Adele hastig und bestimmt. »Die Sache ist vollständig an's Tageslicht gekommen, also ist's jetzt am besten, Sie vertrauen mir die ganze Geschichte. Sind wir Ihre Kinder?«

»Gott soll mich in Gnaden behüten, Fräulein!« lachte Kohnert. »Lassen Sie sich doch von dem Menschen, der Schelmenstreiche ausgesonnen und ausgesponnen, nicht ins Bockshorn jagen! Sie und der Herr Bruder sind Kinder vom Lieutenant Vanpotter!«

»Es ist nicht wahr, alter Mann! Es ist nicht wahr!« rief Adele heftig. »Gestehe mir die Wahrheit und ich will Deine Vertreterin werden! Woher stammen wir? Wie heißen wir? Sind wir vielleicht des Fähnrichs Kinder, von dem Du erzählst, er habe Dich zu uns geführt? Auf der Stelle sage die Wahrheit, alter Mann. Ich will wissen, wie Du dazu gekommen bist, einen Betrug zu riskiren, der Dir leider, leider bis dahin nur allzugut gelungen ist.«

»Fräulein Adele, nun hört aber aller Spaß auf!« erwiederte Kohnert, mit seiner Krücke auf den Fußboden stampfend. »Denken Sie, daß ein alter Soldat dergleichen Beleidigungen ungestraft sich in's Gesicht schmeißen läßt? Donner und Wetter, Fräulein, sehen Sie sich den alten Kohnert erst 'mal an, ehe Sie ihn einen Betrüger nennen. Verdiene ich mehr Glauben oder jener Hasenfuß?«

Adele wich freudig bestürzt einen Schritt zurück.

»Kohnert, alter, guter, lieber Kohnert,« sagte sie mit großer Spannung. »Sie wissen also nichts von dem abscheulichen Betruge, den man sich erlaubt hat? Nein? Nein? O, Gott sei Dank! Es that mir fürchterlich weh', einen Menschen, den ich so hoch geschätzt, den ich wirklich lieb gehabt, als einen ehrlosen, leichtsinnigen Mann erkennen zu müssen! Geben Sie mir Ihre Hand, Kohnert. Ich bitte Ihnen meinen Verdacht ab!«

Der alte Soldat reichte brummend und widerwillig seine braune Rechte hin. Adele erfaßte sie mit beiden Händen und drückte sie herzlich.

»Dies Mal will ich Ihnen die Blamage vergeben, Fräulein Adelchen, aber das sage ich Ihnen, zum zweiten Male nehme ich's nicht so hin. Donner Millionen Kreuz Bataillon, glauben einem Schauspieler mehr, als mir, dem alten bewährten Invaliden? Daß Dich der Satan!«

»So steht die Sache nicht, lieber Freund!« erklärte Adele, sich matt und angegriffen auf einem Stuhle niederlassend. »Vom bloßen Glauben ist hier nicht mehr die Rede! Mir ist der Glaube und die Überzeugung in die Hand gegeben, der junge Fremde ist vom alten Herrn Vanpotter als sein richtiger Enkel anerkannt.«

»Plagt denn den alten Herrn der Teufel!« schrie Kohnert ärgerlich.

»Still! still! Er hat Beweise für die Wahrheit seiner Behauptung geliefert!« warf Adele ein.

»Beweise dafür, daß er der richtige, das heißt, Adelchen, der eheliche Sohn meines Lieutenants ist? Na, das wollen wir erst sehen! Da haben wir auch noch ein Wörtchen mit zu sprechen, Du Hans Hasenfuß!« zeterte der Alte, daß die Fenster erklirrten.

»Kohnert, schimpfen Sie nicht! Der junge Mann hat es schon bewiesen!«

»Paperlapap! Leichtgläubigen Menschen ist bald Sand in die Augen zu streuen. Hier, bei mir, hat der Fant gestern Abend auch schon allerlei anzetteln wollen. Als er aber merkte, daß ich nicht leicht ins Bockshorn zu jagen sei, da kroch er ins Bett! Donner und kein Ende! Ich werde gleich hinuntergehen zum alten Herrn –«

»Das lassen Sie nur bleiben, Kohnert. Die Sache ist nicht zu ändern, sie ist richtig!«

»Richtig?« fragte der alte Soldat mit weit aufgerissenen Augen. »Wie so – richtig?«

»Der junge Fremde ist Herrn Vanpotter's Enkel!«

Des Invaliden Augen wurden noch größer. Sie flammten aber noch vor Zorn.

»Seine Rechte sind unbestreitbar und wir, wir sind betrügerisch untergeschobene Kinder! Herrn Vanpotter's Schwiegertochter lebt noch und wird in wenigen Tagen hier ankommen.

Kohnert's Augen konnten nun nicht weiter an Größe zunehmen.

»Herrn Vanpotter's Schwiegertochter, die Marquise, lebt noch?« fragte er unruhig. »Man hat mir doch gesagt, sie sei gestorben?«

»Ja wohl, alter Freund,« sprach Adele bitter lächelnd. »Man hat Ihre Treuherzigkeit benutzt, man hat den Zufall ausgebeutet, man hat ein Paar arme, elende, vielleicht schmählich verstoßene Waisen, die den gesuchten Enkeln des reichen Vanpotter's an Alter gleich waren, für die Kinder des Lieutenants Vanpotter ausgegeben.«

»Der Fähnrich Schmittler –« sprach Kohnert, von schwerer Ahnung getroffen, ganz leise.

»Vielleicht ist er unser Vater,« warf Adele tonlos ein.

Kohnert nickte heftig mit dem Kopfe.

»Er hat mich ins Haus geführt.«

»Ja, in ein falsches Haus hat er Sie geführt.«

»War er darum so diensteifrig?« murmelte Kohnert, stieß den Krückstock ergrimmt auf den Boden, faltete die Hände darauf und überließ sich einem schweren Nachdenken. »Herr Gott im Himmel!« murmelte er weiter. »Daß mir das passiren muß! Und die Geschichte ist unzweifelhaft, Adelchen?«

»Unzweifelhaft, alter Kohnert! Selbst die Aehnlichkeit des jungen Fremden mit seinem verstorbenen Vater spricht dafür!«

»Ja! Ja, das ist wahr!« rief der Invalide. Plötzlich auffahrend aus seinen Sinnen. »Habe ich doch gleich gedacht, daß ich dies Gesicht schon einmal gesehen! Himmlischer Herrgott, vergieb mir, wenn ich in der Hand eines Schurken ein Werkzeug gewesen bin! Ach, mein guter Lieutenant, ich habe schlecht Ordre parirt, das werde ich in jener Welt wohl büßen müssen.«

»Ich schon hier auf dieser Welt –« flüsterte Adele, ganz darniedergebeugt. »Wenn ich nur wüßte, auf welchen Namen ich Anspruch machen konnte?«

»Das wollen wir schon erfahren!« sprach Kohnert mit plötzlichem Entschlusse. »Ich gehe direct zum Fähnrich Schmittler und dann in das Haus, wo die alte Sybille mir die Kinder ausgeliefert hat.«

»Vielleicht war das meine eigene Großmutter, Kohnert?« sprach Adele eben so leise und ruhig, aber innerlich schmerzhaft bewegt.

Der Soldat stutzte und sah eine ganze Weile, wie in eine Ferne hinaus.

»Nein, Fräulein Adele,« antwortete er dann mit voller Zuversicht. »Die mürrische Person war eine unzufriedene Dienerin.«

»Also könnte ich vielleicht doch hoffen, mindestens von anständigen Eltern abzustammen?« fragte Adele neu belebt.

»Wenn der Fähnrich Schmittler nicht ganz ein Schurke ist, der eine schmutzige Geschichte mit dieser Sibylle abgekartet haben mußte, so sind Sie die Tochter eines anständigen Mannes, wahrscheinlich eines Officiers, der ebenfalls zu Felde gemußt. Seien Sie ruhig und ohne Sorge, ich mache mich sofort auf die Socken und will nicht eher ruhen, bis ich klar über die Affaire geworden bin. Kreuzbataillon noch mal. Was sind das für Dinge! Wenn ich's im Geschichtenbuche läse, würde ich es für eine Lüge halten, und das muß mir, dem alten Kohnert, passiren? Was wird aber Ihr Bruder sagen, Fräulein Adele?« fragte er plötzlich abspringend.

Adele zuckte schmerzhaft zusammen.

»Er wird wüthen, er wird rasen, aber er wird ferner weder auf die Nachsicht, noch auf die Schwäche und Güte des Mannes rechnen können, den er bis dahin Großvater genannt und dessen Großmuth er schmählich mißbraucht hat.«

»Ja wohl!« sagte Kohnert bedenklich. »Tausende von Thalern hat er wie Sandkörner verschwendet, es kann zuletzt einen Crösus arm machen.«

»Der erste Gedanke des alten Herrn war eine Freude, daß mein Bruder nicht sein Enkel sei. Mein Herz brach mir beinahe vor Schmerz, denn ich erkannte daraus, daß ihm das fremde Kind fremd geblieben war.«

»Aber Sie nicht, Fräulein Adele. Sie nicht!« rief Kohnert eifrig. »O, wie er Sie liebt! Abgöttisch liebt er Sie!«

Jetzt endlich trat eine Thräne in das Auge des gequälten Mädchens. »Und ich? Wie liebe ich ihn denn Kohnert?« erwiederte sie begeistert, den Blick erhebend. »Nie kann ich meinen wirklichen Vater so herzinnig lieb gewinnen, wie diesen prächtigen, seelenvollen, alten Mann! Mein Herz blutet bei dem Gedanken, ihn verlassen zu müssen. Ich habe mich nie zu einer Heirath entschließen können blos seinetwegen, und nun? Kohnert, danken Sie Gott, daß Sie nicht Schuld an meinem Elend sind!«

Adele verbarg ihre Augen in den Händen und weinte bitterlich.

Der Invalide stand bewegungslos. Er wußte, was Thränen bei diesem Mädchen zu bedeuten hatten, und sein Entschluß befestigte sich daran. Vielleicht hatte er diese Kinder aus glänzenden Verhältnissen geraubt, vielleicht ersetzte ein liebevoller, würdiger Vater die Stelle des heißverehrten Mannes, den sie bis dahin Großvater genannt. Freilich, wenn der leichtfertige Fähnrich, wenn strafbare Verwicklungen – er mochte es gar nicht ausdenken. Ihn schauderte vor der Möglichkeit, zum gemeinen Betruge mißbraucht zu sein, ihn schauderte, entehrenden Verhältnissen zu begegnen, die für diese stolze, edle, reine Dame, die schmerzgebeugt vor ihm saß, todtbringend sein mußten. Reisen wollte er auf der Stelle! Es trieb ihn zur Erforschung, zur Aufklärung des Betruges, der zwanzig Jahre unentdeckt geblieben war.

Adele erhob sich, um weiter zu reiten. Kohnert geleitete sie hinaus.

»Verlassen Sie sich darauf, Fräulein Adelchen,« sprach er beschwichtigend beim Abschiede, »ich besteige noch heute den Postwagen, wenn er durchs Thal kommt, und begebe mich auf eine Entdeckungsreise. Es müßte doch mit dem Kuckuck zugehen, wenn ich nicht dahinterkommen sollte, wer den alten Kohnert an der Nase herumgeführt hat. Donner noch mal, die mögen sich in Acht nehmen, die mich zum Narren und zum Betrüger gemacht haben. Das Wetter soll sie holen!«

*


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