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Das kleine Gesicht

Ich habe die verstorbene Frau Marschallin de Brévannes sehr gut gekannt und sie oft besucht, als sie sich nach dem Tode ihres Gatten in ihre Villa Marais zurückgezogen hatte. Sie war noch ziemlich jung, als ich sie kennenlernte; denn der Marschall, der schon auf der Schwelle des Greisenalters stand, als er sie heiratete, hatte sich dieser späten Verbindung nur zehn Jahre erfreuen dürfen; wie man weiß, wurde er bei der Belagerung von Terwinden von einer Kugel, die ihm in die Brust drang, getötet, und so erreichte seine ruhmreiche Laufbahn ein Ende.

Frau de Brévannes war in ihrer Jugend die hübscheste Person, die man sich denken konnte, und als die Jugend sich von ihr verabschiedete, nahm sie nicht allen Reiz mit, den sie ihr einst geschenkt. War Frau de Brévannes einmal bezaubernd gewesen, so blieb sie immer überaus anziehend, und konnte sie auch im Alter nicht mehr überschwengliches Entzücken hervorrufen, so hörte sie doch nicht auf, interessant zu sein. Man konnte sich ihr nicht nähern, ohne den Reiz ihres Wesens zu empfinden, so daß man bei ihr sehr gern verkehrte. Ich habe dieses besondere Glück genossen, gewißlich nicht infolge meiner persönlichen Verdienste, sondern wegen verwandtschaftlicher Beziehungen, die unsere Familie mit der von Brévannes verbanden. Es war für mich nichts weiter nötig, mir die Gunst der Frau Marschallin zu erwerben, die mir den besten Empfang bereitet und mich aufgefordert hatte, sie so oft ich wollte, zu besuchen. Manche Antwort, die ich ihr gab, mochte ihr durch ihre Naivität und Offenheit gefallen haben, und sogleich hatte sie sich dieses kleinen Verwandten angenommen, der ihr nicht gar zu dumm zu sein schien.

In dem Bewußtsein, von ihr wohlgelitten zu sein, verfehlte ich nicht, Frau de Brévannes oft in ihrem Heim zu besuchen. In jener Zeit, von der ich jetzt spreche, verließ die Frau Marschallin kaum noch ihre Wohnung. Ihre Gesundheit war nicht gut, und so schonte sie sich auf das äußerste. Fast immer saß Frau de Brévannes in einer Art ausgepolstertem Schilderhäuschen, in dem sie Schutz vor der Zugluft suchte, die sie besonders fürchtete. Daß Frau de Brévannes immer sehr zart gewesen sein mußte, sah man noch an ihrer schlanken Taille und ihrem zierlichen Körper, doch verdankte sie dieser Zartheit die feinsten Hände, die man sich denken konnte und das angenehmste, kleinste Gesichtchen, das man je erblickt hatte. Wohl blühten nicht mehr Rosen und Lilien auf diesem Antlitz, aber es hatte seine Niedlichkeit bewahrt, und Heiterkeit und Güte verschönten es.

Ihre Unterhaltung entsprach ihrem Aussehen. Die Frau Marschallin von Brévannes besaß einen äußerst lebhaften vielseitigen Geist. Sie war spaßhaft und spöttisch, ohne boshaft zu sein, und konnte wunderbar erzählen. Ihre Geschichten waren berühmt, und sie wußte sie mit dem ergötzlichsten und komischsten Mienenspiel zu begleiten. Sie hatte eine besondere Begabung Menschen zu schildern, und sie besaß einen reichen Anekdotenschatz, aus dem sie schöpfte.

Unter diesen Anekdoten war auch eine ganze Anzahl, die sich auf den Marschall de Brévannes bezogen. Ich muß gestehen, daß mich diese am meisten anzogen. Heiße Bewunderung erfüllte mich für den großen Kriegsmann, ich kannte alle seine Heldentaten. Die von ihm geführten Feldzüge wußte ich auswendig herzusagen, ich kannte die Orte, die er belagert hatte, und alle seine Siege. Und wie erpicht war ich auf jede Einzelheit, die seine Persönlichkeit betraf. Frau de Brévannes hatte meine Schwärmerei wohl bemerkt und befriedigte meinen Wissensdurst gern. Waren wir nun allein, so begann sie selbst von dem Herrn Marschall zu plaudern und erzählte mir tausend heroische wie ergötzliche Geschichten; denn wenn der Herr Marschall auch ein ganzer Held gewesen war, so war er darum doch ein gemütlicher Kerl geblieben, der ebenso gern lachte, wie siegte. Ja man hätte ihn sogar ein wenig locker nennen können, und der Mann, der mit fünfzig Jahren noch unverheiratet war, wäre wohl auch immer Junggeselle geblieben, wenn ihn nicht der Zufall bestimmt hätte, sich unversehens eine Frau zu nehmen.

Bevor sie sein Weib wurde, hieß die Marschallin Fräulein de La Blanchère und wohnte mit ihren Eltern in einem Schloß an den Ufern der Maas. Sie war damals sechzehn Jahre alt und ihre Launen und Kindereien beherrschten das Elternhaus. Ihr Vater und ihre Mutter vergötterten sie. Sie waren daher gar ängstlich, als sie vernahmen, daß der Krieg auch die Gegend bedrohte. In Eilmärschen rückte der Feind vor, dem wir nur einen schwachen Schutzwall von Truppen entgegenzustellen vermochten. Herr und Frau de Blanchère dachten schon daran, sich in die Stadt zu flüchten, als das Eintreffen einer Truppenverstärkung unter dem Befehl des Herrn Marschall de Brévannes gemeldet wurde. Diese Nachricht änderte Herrn de La Blanchères Bestimmungen; anstatt die Tore seines Besitztums zu schließen, ordnete er an, daß alles für den Fall vorbereitet wurde, daß Herr de Brévannes sein Quartier im Schloß aufzuschlagen wünschte.

Die Nacht war hereingebrochen, als der Marschall beim Schein der Fackeln auf der Freitreppe des Schlosses aus seiner Karosse stieg. Nachdem Herr de La Blanchère seinen Gast begrüßt hatte, führte er ihn in den Salon, in dem sich seine Frau und seine Tochter befanden. Fräulein de La Blanchère machte ihm ihren niedlichsten Knicks, ohne sich durch die hohen Reiterstiefel, die große Perücke und das blaue Ordensband einschüchtern zu lassen. Nach den gebräuchlichen Artigkeiten wurde der Herr Marschall in seine Gemächer geführt, wo man ihn mit seinen Gedanken allein ließ.

Diese Gedanken waren freilich recht merkwürdig; denn als Herr de La Blanchère am nächsten Morgen zu dem Herrn Marschall befohlen wurde, glaubte er seinen Ohren nicht trauen zu dürfen, als dieser ihm in einem Tone, der keinen Widerspruch zuließ, erklärte, daß er maßlos in Fräulein de La Blanchère verliebt wäre und nicht von der Stelle weichen würde, bis er Fräulein de La Blanchères Versprechen hätte, ihm als Gattin anzugehören.

Als der gute Herr de La Blanchère zu seiner Tochter ging, um ihr diese eigenartige Forderung zu überbringen, war er darauf gefaßt, daß sie ihm ins Gesicht lachen würde. Sein Erstaunen kannte keine Grenzen, als Fräulein de La Blanchère seiner Rede mit größtem Ernst lauschte und ihm versicherte, daß der Herr Marschall vollkommen der Gatte wäre, den sie haben wollte, und daß sie durchaus wüßte, daß sie ihn, seine hohen Reiterstiefel, seine große Perücke und sein blaues Ordensband lenken könnte, wie sie wünschte. Kurz, sie war sehr geneigt, nach dem Ende des Feldzuges eine gute kleine Marschallin vorzustellen.

»Und so geschah es«, fuhr sie lachend in ihrer Erzählung fort. »Mein Mann und ich lebten in sehr gutem Einvernehmen. Unsere Charaktere harmonierten vorzüglich miteinander, und unsere Verbindung war in jeder Beziehung glücklich. Natürlich mußte mein guter Marschall mir einige Dummheiten nachsehen, aber waren diese nicht durch meine Jugend entschuldigt? Übrigens verzieh er sie mir bereitwilligst, denn seine Güte war ebenso grenzenlos wie sein Mut. Nur eines gab es, worüber er einen merkwürdigen Groll gegen mich hegte. Versank er manchmal in tiefes Schweigen und runzelte die Stirn, so wußte ich sofort, worüber er sann. Ich begann dann zu lachen; er fühlte, daß ich ihn erraten hätte, und die schöne Narbe auf seiner Wange begann sich vor Zorn zu röten ...«

Die in der Tiefe ihres gepolsterten Schilderhäuschens sitzende Frau de Brévannes erhob ihre Blicke zu dem Porträt ihres Gatten, das an der Wand hing, und ihr Mann schien ihr durch die unbewegliche Geste seines mit Lilien verzierten Stockes Schweigen zu bieten.

»Ach,« fuhr sie fort, »mein armer Marschall, ich weiß wohl, daß ich dir eine große Sorge bereitet habe! Erinnerst du dich jenes Morgens, als du fortzogst und an deinem Finger den gleichen Ring trugst, den du mir zurückgelassen hattest? Du mußtest die Schlacht leiten, durch die des Königs Feinde in die Flucht geschlagen werden sollten. Du hattest alle Anordnungen getroffen, und du warst des Sieges sicher. Der Ruhm schien dir neue Lorbeeren darzubieten, aber du hattest es gar nicht eilig, sie zu pflücken. Du ließest ein geliebtes Gesicht zurück, das du vielleicht nie mehr wiedersehen solltest. Zum erstenmal schlug dein tapferes Herz nicht ausschließlich für die Liebe zu Kampf und Sieg. Zum ersten Male dachtest du daran, daß Kugeln, Bomben, Musketen und Degen sehr böse Werkzeuge wären und häßliche Arbeit tun konnten. Plötzlich wurde dir klar, wie gebrechlich der menschliche Körper war und daß einige Unzen Blei oder Eisen genügten, ihn zu zerstören. Und zum ersten und einzigen Male in deinem Leben hattest du Angst, Herr Marschall, Angst, blasse Angst, so daß du all deine Willenskraft zusammenraffen mußtest, um im Feuer des Gefechtes nicht den Rücken zu beugen, damit die Kugeln über dich hinwegsausten. Du hattest Angst, wenn du daran dachtest, daß man dich vielleicht blutend zu meinen Füßen legen würde und daß sich vielleicht tränenerfüllte Augen zu dir hinabneigen würden, während es doch so süß gewesen wäre, diese Augen bei deinem Ruhme lächeln zu sehen!

Und diese Angst, die du empfunden hast, gestandest du mir an jenem Abend ein, da du auf deinem stolz trabenden Rosse als Sieger heimkehrtest, beim Glanz der Fackeln, beim Anblick der Siegesfahnen und in deinem von Kugeln ganz durchlöcherten Küraß. Das hast du mir nie verzeihen können, mein lieber Marschall«

Und Frau de Brévannes drohte mit dem Finger zu dem Bilde des Helden von Terwinden und Holrecht hinauf und als sie mir dann ihr zierliches, so reizend faltiges Antlitz zuwandte, meinte sie: »Sie müssen zugeben, mein Herr, daß es für ein so kleines Gesicht wie das meine ein hübscher Erfolg war.«


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