Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Ring

»Ich habe viele Freundinnen gehabt« – sagte Georges Dauroy und stäubte die Asche seiner Zigarre mit seinem kleinen Finger ab, auf den das Lampenlicht fiel und den Stein eines Ringes erglitzern ließ – » ja viele Freundinnen, aber trotzdem kann ich weder behaupten, die Frauen zu kennen, noch darf ich mich rühmen, Glück in der Liebe gehabt zu haben, denn gerade um mich über einen ›Herzenskummer‹ zu trösten, entschloß ich mich in jenem Jahr, den Sommer in dem kleinen bretonischen Seebad Kermor zu verbringen, wo ich mir vornahm, in der Sonne und der Küstenluft meine Melancholie zu überwinden.

Als ich in Kermor ankam, fand ich genau, was ich gesucht hatte: nämlich völlige Einsamkeit. In dem ziemlich großen und komfortablen Hotel, in dem ich mich einmietete, kannte ich niemand. Es war der erträumte Aufenthalt, frei konnte ich mich in dem warmen Sande wälzen, ohne in meinem düsteren Brüten gestört zu werden. Für diese so hygienische Beschäftigung hatte ich den ganzen Sommer vor mir, denn es war Anfang Juli.

Drückende Hitze herrschte den ganzen Monat über, und mit Muße kostete ich den wohltuenden verdummenden Einfluß aus, den der funkelnde Strand und das unbewegliche blaue Meer auf mich ausübten. Die wenigen Badegäste zogen sich unter ihre Leinwandzelte zurück, und der Strand war fast öde; nur halbnackte sonnenverbrannte Kinder, deren braungerötete Gesichter unter den Strohhüten hervorblickten, waren manchmal zu sehen.

So umgab mich tiefster Frieden. Die wenigen Villen, welche den Strand umschlossen, machten einen verlassenen Eindruck. Wie erstarrt und stumm lagen sie hinter ihren herabgelassenen Jalousien, und auch das Schweigen um sie herum konnte ihre lächerliche und aufdringliche Häßlichkeit, die ihnen fast allen eigen war, nicht mindern. Nur eine einzige unterschied sich von den andern durch eine gewisse Eleganz. Sie war gut und in regelmäßigem Stil gebaut. Sie sah einfach und doch hübsch aus, und oft ging ich an ihr vorbei, wenn ich genug davon hatte, die drei Segelboote zu betrachten, die sich wie Schmetterlinge auf dem Meere schaukelten, und wenn ich, um mir etwas Bewegung zu machen, das Fichtenwäldchen aufsuchte.

Das Fichtenwäldchen war eine der Annehmlichkeiten Kermors. Es breitete sich hinter den Villen aus und zog sich ziemlich weit auf den Dünen des Strandes hin, wo die Gegend wirklich ungleichmäßig und malerisch wurde. Ich hatte schließlich nach einiger Zeit diese duftenden, von Harz triefenden Bäume liebgewonnen, zwischen denen man auf roten, gelben Nadeln wie auf einem Teppich dahinschritt und mit dem Fuße schuppige Zapfen berührte, die wie in ihrer Behausung gestörten Tieren glichen.

Gerade während dieser Spaziergänge dachte ich am liebsten über meine Projekte nach. Sie können sich vorstellen, daß der Gedanke, auf die Liebe zu verzichten, nicht darunter war. So weit war die Wirkung meiner letzten Erfahrung nicht gegangen. Ich sagte mir einfach, daß es sicher in der Welt noch andere Frauen geben würde als die, denen ich bis jetzt begegnet war. Warum hatte ich nur Beziehungen zu Eifersüchtigen, Lügnerinnen, Treulosen und Zänkischen gehabt? Auch durch diese hatte ich zweifellos Vergnügen empfunden – ich hatte sie zur Befriedigung meiner Sinne gewählt –, aber sie hatten mir auch sehr viel Unannehmlichkeiten bereitet. Ich erinnerte mich an die stürmischen, lauten und unerträglichen Szenen, mit denen meine letzte Liebschaft geendet hatte.

Dieses Mal stand mein Entschluß fest: meine nächste Freundin mußte eine sanfte, friedliche und zärtliche Freundin sein. Unsere Liebe sollte nur aus zarter Übereinstimmung und gegenseitiger Rücksicht bestehen ...

Ja, aber wo ein solches Wunder finden?

Ich geriet bei diesem Gedanken in Verzweiflung, und doch war es nur einige Schritte von mir entfernt; dort in der schon erwähnten hübschen Villa, in die ich durch einen zufällig am Strande getroffenen Freund eingeführt wurde, dem ich wegen meiner Einsamkeit leid tat, und der mich trotz meines Widerstrebens fast zwang, einen Verkehr anzuknüpfen, der mir lästig werden konnte.

Ach, lieber Freund, wie täuschte ich mich! Welchen entzückenden Eindruck hatte ich, als ich zum ersten Male die von Frau de Selvante bewohnte Villa Passeroses betrat! Alles war von liebenswürdiger Harmonie und vollkommener Übereinstimmung. Die Möbel, die Tapeten, alles paßte prächtig zueinander und machte den Eindruck einer ruhigen, geregelten und gesammelten Lebensauffassung. Süß wie das Glück mußte die sein, die ein so friedlicher, stiller Raum umgab ...

Was mein Freund mir von Frau de Selvante erzählte, widersprach meiner Vermutung nicht. Sie war an einen unbedeutenden brutalen Mann verheiratet, der übrigens einen Teil des Jahres abwesend war, und ihr Benehmen diesem Flegel gegenüber war ein Muster von Geduld und Takt. Frau de Selvante hatte außerdem noch die Anwesenheit ihrer beiden Schwägerinnen im Hause zu ertragen, duckmäuserischer und versteckter Geschöpfe, die jede ihrer Bewegungen heimlich belauschten.

Wie sanft und ruhig mußte die niedliche Frau de Selvante sein!

Schon die Art, wie sie ihre schönen Hände faltete, an denen ein einfacher kleiner Ring am Finger blitzte, bewies es, oder wenn sie mir ihr zärtliches, lächelndes Gesicht zuwandte und mich mit ihren klaren Augen anblickte! Wie durfte man daran denken, zu einer solchen Frau von Liebe zu sprechen, denn schließlich, wenn man auch seine Worte noch so gut zu verschleiern versteht, so drückt ein Liebesgeständnis doch die Hoffnung auf gewisse Situationen aus, die auch, wenn sie Glück bringen, immer von einem Wirrwarr des Geistes und der Sinne begleitet sind. Und wie sollte man die sanfte Frau de Selvante dahin bringen, die in ihrer Zurückhaltung und Vernunft von alledem so weit entfernt schien!

Trotz meiner Ungewißheit wurde ich ein fleißiger Besucher der Villa Passeroses. Die Schwägerinnen belauschten meine Besuche; ich merkte, wie sie sich bei meiner Ankunft versteckten. Was lag mir daran, da Frau de Selvante mich freundschaftlich empfing? Sie streckte mir ihre schöne Hand entgegen und lud mich ein, neben ihr Platz zu nehmen. Ihr Anblick besänftigte mich, und ich schob das Geständnis meiner Liebe hinaus; aber wenn ich es zuerst aus Schüchternheit getan hatte, änderte ich auch später meine Haltung nicht, als sie durch ein anderes Gefühl beeinflußt wurde. Es schien mir nämlich bald, daß Frau de Selvante meinen stummen Huldigungen gegenüber nicht gleichgültig war. Aber anstatt mich kühn zu machen, hielt mich dieser Erfolg zurück, wie einen Skrupel empfand ich es, daß ich die Sanftmut dieser jungen Frau mißbrauchen sollte, um sie so weit zu bringen, mir einen Beweis ihrer Gunst zu geben, der doch eigentlich die heimliche Hoffnung meines Verlangens war.

Noch eine andere Betrachtung hinderte mich daran, Frau de Selvante meine Liebe zu gestehen, nämlich die Angst, beobachtet zu sein. Die Villa war nicht sicher, und ich fürchtete neugierige Ohren. Wohl war Herr de Selvante verreist, aber die Schwägerinnen waren zu Hause und horchten vielleicht hinter der Tür. So wartete ich denn auf eine Gelegenheit, und ich fand sie bei den Ausflügen, die Frau de Selvante häufig allein unternahm, wenn sie den mit einem Pony bespannten kleinen Wagen selbst lenkte. Oft erzählte sie mir von diesen Spazierfahrten, sie liebte die Natur. Deshalb konnte ich ihr eines Tages einen Ort auf der Düne angeben, an dem einige wirklich merkwürdig geformte Kiefern standen, von denen die eine ganz außergewöhnlich in ihrer pittoresken Eigentümlichkeit war. Weshalb sollten wir uns dort nicht am nächsten Tage treffen? Sie konnte ihr Pferd in einer kleinen Entfernung vom Wäldchen festbinden und zu Fuß bis dahin kommen. Mit gesenktem Kopf und mit dem goldenen Ring an ihrem Finger spielend, hörte sie meinen Anweisungen zu. Sie willigte ein ...

Ich verbrachte eine unruhige Nacht, und während des Morgens konnte ich nicht ruhig auf einem Flecke bleiben. Unsere Begegnung war um 5 Uhr festgesetzt, und nie war mir ein Nachmittag so lang erschienen. Fieberhaft lief ich am Strand hin und her, plaudernde Gruppen überfüllten ihn. Die weniger warme Sonne hatte gestattet, die schützenden Zelte zu verlassen, und auf Klappstühlen saßen die Badegäste nebeneinander. Endlich kam der Augenblick, in dem es Zeit war, mich zu dem bezeichneten Ort zu begeben. Mit großen Schritten ging ich am Meer entlang und achtete nicht darauf, wie die steigende Flut mir die Stiefel ab und zu mit ihrem seifenartigen Schaum benetzte.

Ich war zuerst da, Frau de Selvante mußte jeden Augenblick kommen, und ich setzte mich unter die eigentümliche Kiefer, die mir als Vorwand unserer Begegnung gedient hatte. Einige Kienäpfel waren auf die Düne gefallen, ich nahm einen davon auf. Wenn ich nervös bin, müssen meine Finger etwas zum Spielen haben. Obgleich mein Herz stark und schnell klopfte, fühlte ich mich glücklich. Ich dachte an meine Vergangenheit: dumm, überflüssig erschien sie mir, voller Liebeszwiste, Zänkereien, Brüche und Streitigkeiten, das ganze dornenvolle Bukett, welches in dem Gedächtnis der Liebhaber die Erinnerung an diejenigen, die sie geliebt haben, darstellt; aber für jene verstörten Stunden sollte mich die Zukunft entschädigen, sie trug das sanfte Gesicht von Frau de Selvante ...

Da war sie endlich! Ganz in Weiß gekleidet, wie das Glück selbst, näherte sie sich mir mit leisen, gleichmäßigen Schritten. Ich stand auf und lief ihr entgegen, ich fühlte ihre Hand in der meinen. Das Gold ihres kleinen Ringes verursachte mir eine Empfindung köstlicher Frische. Frau de Selvante fühlte sich verpflichtet, den alten Baum zu bewundern, von dessen merkwürdiger Gestaltung ich ihr berichtet hatte, und dabei bedeckte Röte ihre Wangen. Mechanisch hörte ich ihr zu, ich spielte mit ihren Fingern, und ich hatte den kleinen goldenen Ring mehrere Male abgestreift und wieder aufgezogen, als sie einen leichten Schrei ausstieß ...

Ich hatte den Ring herabgleiten lassen, ich sah ihn auf den abschüssigen Boden fallen und unter den Fichtennadeln verschwinden.

»Mein Ring, mein Ring!« rief Frau de Selvante, während ich mich bückte, um ihn zu suchen.

Der Ärger, den Ring auf die Erde fallen gelassen zu haben, und die Berührung der Hand der jungen Frau hatten mich verwirrt, ebenso der Anblick ihres Gesichtes und das Geständnis, das ich gerade zu machen im Begriff war, als sich der Zwischenfall ereignete, und deshalb suchte ich schlecht. Vergebens tastete ich unter den Nadeln und rührte darin umher. Unter ihrer feinen Schicht zeigte sich nur der dünne Sand. Dann hörte ich Frau de Selvantes Stimme: »Aber suchen Sie doch da ... da ... da ...« Doch was lag mir an ihrem Ring! Während ich weitersuchte, schüttelte ich verzweifelnd den Kopf. Plötzlich drehte ich mich herum.

»Haben Sie ihn?«

Frau de Selvantes Stimme war unruhig und kurz. Ich zeigte meine leeren Hände und machte eine verneinende Bewegung.

Dieses hatte eine erstaunliche Wirkung, lieber Freund.

Niemals hatte ich je Zornesröte so in ein Gesicht steigen sehen, es zusammenziehen und mit Purpur übergießen, wie jetzt auf dem Antlitz der Frau de Selvante. Ich wiederhole dir, die Wirkung war erstaunlich. Wütend und mit dem Fuße aufstampfend stand sie vor mir. Kaum rangen sich ihr die Worte aus der Kehle. Sie bebte am ganzen Körper, ich dachte, sie würde mich schlagen. Bestürzt wich ich zurück. Plötzlich fing ich an zu begreifen! Ich verstand, weshalb der Gatte immer verreist war, weshalb die Schwägerinnen heimtückisch und hinterlistig waren; der unglückliche Mann! Die unglücklichen Mädchen! Wie hatte ich mich durch die vorgespiegelte Sanftmut Frau de Selvantes so täuschen lassen können!«

Georges Dauroy legte die Zigarre in den Aschenbecher, an seinem Finger sah man den geschliffenen Stein des kleinen Ringes blitzen.

Lächelnd fuhr er fort: »Glücklicherweise war der Ort sehr einsam, es gehen nur einige Zollbeamte vorbei, die allein das sehen, was sie sehen wollen. Frau de Selvante wurde eine der Freundinnen, die ich am heißesten geliebt habe. War sie auch nicht die von mir damals erträumte Geliebte, so gehörte sie doch zu denen, die ich nie vergessen werde. In welch wonnevoller Hölle haben wir gelebt. Erst kürzlich haben wir uns getrennt, und den Ring habe ich als Erinnerung an sie bewahrt und betrachte ihn nie, ohne mir zu sagen, daß erstens Frauen in der Liebe so genommen werden müssen, wie sie sind, und nicht, wie wir sie haben möchten, zweitens aber, daß es schwerer ist, sie zu kennen, als sie zu gewinnen.«


 << zurück weiter >>