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Das Rendezvous

Hören Sie, verehrte Freundin, Sie werden mir doch nicht einreden wollen, daß die Frauen früherer Zeiten prüder waren als die von heutzutage, und daß sie nur deshalb weniger Widerstand leisteten, weil sie es mit Männern zu tun hatten, die gepuderte Perücken trugen und wie Komödiantinnen rasiert waren!«

Und der Vicomte von Fallin schüttelte seinen kahlen Kopf und strich sich mit den Fingern durch den langen Bart, während er durch sein Monokel den schönen Edelmann und die schöne Hofdame Louis XV. betrachtete, deren Porträt in goldenem Rahmen zu jeder Seite des Kamins hingen, vor dem seine Freundin, die Marquise von Sollerac, in einer Bergere saß, um sich zu wärmen.

Frau von Sollerac war einst entzückend gewesen und jetzt noch fast hübsch. Ebenso alt wie Herr von Fallin, hielt sich dieser für viel jünger als sie und beschäftigte sich noch mit Dingen, die für Frau von Sollerac bereits zu den Erinnerungen zählten. Deshalb sah sie Herrn von Fallin lächelnd an, ehe sie ihm auf seine Äußerung antwortete:

»Also, lieber Freund, da Sie meine Ansicht hören wollen: ich glaube nicht, daß die Frauen von einst leichtsinniger waren als die jetzigen, aber ich möchte annehmen, daß die Männer damals geschickter waren.«

Herr von Fallin sah aus, als ob er persönlich beleidigt worden wäre.

»Ja, geschickter. Sie wußten besser, was sie zu tun hatten.«

In ihre Bergere zurückgelehnt, kreuzte Frau von Sollerac ihre schönen, ein wenig vollen Hände. Auf ihrem hübschen, welken Gesicht lag seelische Ruhe und Lebenserfahrung. Sie fuhr fort: »Ich kann es mir erklären. Sehen Sie, unter den Mitteln, uns zu gewinnen, ist eins vorzüglich, und man begeht das Unrecht, es zu sehr zu vernachlässigen. Sicher kannten die Leute dieses achtzehnten Jahrhunderts, die Sie beneiden, alle Arten der Verführung. Sie waren darin unvergleichlich. Ebenso wie sie die vernünftigsten und berechnetsten Methoden gebrauchten, benutzten sie aber auch den Zufall, der der Augenblick und der Ort ihnen boten. Gebrauchten sie wohl zu den entscheidendsten Handlungen die überlegtesten Spitzfindigkeiten – lesen Sie nur die Memoiren und Anekdoten über die Gesellschaft aus jener Zeit – so war doch das Verfahren, das ihnen am meisten nützte, die Überraschung.«

Erstaunt blickte Herr von Fallin Frau von Sollerac an.

»Es ist, wie ich gesagt habe, die Überraschung. Sie war das gewöhnliche Verfahren jener Epoche, von der wir sprechen. Die Zeit war damals auch günstiger dafür, denn erstens begnügte man sich gern mit dem Vergnügen anstatt der Liebe, dann waren auch die Lebensgebräuche, die Wohnungsverhältnisse und was weiß ich, noch viel günstiger dafür. Aber alles ändert sich, nicht wahr? Und die Überraschung hat sich überlebt. Mit dem Boudoir und dem Sofa ist sie verschwunden. Es ist schade für Sie, meine Herren, aber es ist auch Ihre Schuld. Ihnen fehlt auch ein gewisser Leichtsinn, ebenso die Kühnheit und Schnelligkeit Ihrer Väter. Was sind Sie für Tölpel! Sie müssen Versprechungen haben, Ihnen müssen Rendezvous zugebilligt werden ... Wenn ich ein Mann gewesen wäre! Ach, tun Sie doch nicht so, lieber Freund. Gerade die Überraschung lieben die Frauen am meisten. Vielleicht könnte ich ein Liedchen davon singen. Wir gehören beide nicht mehr zu den Jüngsten, und ich kann ungeniert mit Ihnen davon sprechen. Setzen Sie nur eine andere Miene auf, sonst muß ich glauben, daß Sie nicht mehr imstande sind, meiner Auseinandersetzung zu folgen.«

Und Frau de Sollerac lachte. »Wollen Sie, daß ich Ihnen eine Geschichte erzähle?«

Herr von Fallin ließ sein Monokel fallen.

»Ich will Ihnen gar nicht erst sagen, daß es sich um meine beste Freundin handelt, sondern gleich offen bekennen, daß ich auch einmal jung war und die Huldigungen meines Mannes meinem Temperament nach mehrjähriger Ehe nicht mehr genügten. Natürlich ermangelte man nicht, mir von anderer Seite Entschädigung anzubieten, ich lieh diesen Vorschlägen gern Gehör, und besonders interessierte mich einer, legen wir ihm den Namen Noireterre bei. Es war ein reizender Mann, und als er schnell merkte, daß er mir nicht gleichgültig war, wurden seine Aufmerksamkeiten deutlicher. – Er gefiel mir, aber ich wußte noch nicht, ob diese Empfindung Liebe war. Wie gesagt, ich war noch jung und, wie unsere galanten Großmütter sich ausgedrückt hätten, es war mein ›erster Liebeshandel‹. So dauerte es denn ziemlich lange, bis ich über meine Gefühle klar wurde.

Als ich mir aber dessen bewußt wurde, war ich etwas erregt. Denken Sie doch, die Liebe! Jawohl! Die Liebe rief in meinem Geist weder Widerstand noch Skrupel noch Gewissensbisse hervor. Ich wußte sofort bestimmt, daß ich Herrn von Noireterre angehören würde, zwar noch nicht wo, wann und wie, aber sicher, daß es geschehen und entzückend sein würde. Es scheint, daß es Frauen gibt, die nur nach und nach ihre Gunst bewilligen, bei mir würde es in einem Augenblick geschehen. Jawohl, in einem Augenblick, ich sah bereits vorher meine wachsende Schwäche und machte sie mir in ihrem ganzen Umfange klar. Bis in die geringsten Einzelheiten überlegte ich mir alle Konsequenzen und nahm sie › en bloc‹ an, wie man heutzutage sagt. Mein Wort, hätte Herr von Noireterre gewollt, wäre ich in kürzerer Frist seine Geliebte gewesen, schneller als ein Mann nur Zeit hat zu überlegen, ob die und die Frau eine gute Freundin für ihn sein würde.

Aber Herr von Noireterre war nicht der Mann der ›Überraschungen‹, und ordnungsgemäß schlug er den gewöhnlichen Weg ein, den man für solche Fälle wählt. Er seufzte, machte mir Liebeserklärungen, und zum Schluß bat er mich mit schonendster Zartheit, seine Wünsche zu erfüllen. Kurz er schlug mir ein Rendezvous vor.«

Frau von Sollerac schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie fort: »Ich ging darauf ein. Nichts schien mir einfacher und natürlicher. Ich versprach ihm also, mich an einem Nachmittag in einem von ihm bestimmten Hause mit ihm zu treffen. Er sagte mir, daß unser Liebesnest in einer ruhigen kleinen Straße des Zentrums läge und daß die Straße auf einen ziemlich belebten Boulevard führte. Eines schönen Tages machte ich mich auf den Weg zu dem Paradiese; ich hatte mir ein kleines Bukett vorgesteckt, und ein dünner Schleier verhüllte ein wenig mein Gesicht.

Unterwegs wiederholte ich mir die Anweisungen, die mir Herr von Noireterre gegeben hatte. Nichts hatte er vergessen. Er hatte mir gesagt, daß die Tür, durch die ich eintreten mußte, zwischen den Läden eines Kornhändlers und eines Sattlers läge, die Pförtnerloge sich rechts vom Eingang befände und ich eine Treppe im Hinterhause hinaufsteigen müsse. Ich wiederholte mir diese Einzelheiten, als plötzlich der Gedanke mein Hirn durchkreuzte, daß der Kornhändler oder der Sattler vielleicht in der Ladentür stehen könnten, und der Pförtner mich zweifellos fragen würde, wohin ich ginge.

Ach, lieber Fallin, ich kann Ihnen die Unruhe nicht schildern, die sich meiner bei dieser Idee bemächtigte. Es war unerklärlich, dumm, idiotisch! Ich war doch entschlossen, Herrn von Noireterres Geliebte zu werden und ihm ganz anzugehören, doch als ich daran dachte, wie diese Leute mich anstarren würden, empfand ich plötzlich Scham, einen peinlichen Schrecken, eine unüberwindliche Verlegenheit. Nein, ich würde nie wagen, an ihnen vorüberzugehen. Ich hatte kalte Hände, einen heißen Kopf und einen trockenen Hals. Und doch ging ich immer weiter!

Nun stand ich vor dieser kleinen Straße, in die ich hinein wollte. Dunkel und eng, führte sie auf den in Sonne gebadeten Boulevard. Ich schloß die Augen. Die gewaltigen Silhouetten des Kornhändlers, des Sattlers und des Pförtners wuchsen in meiner Einbildung zu riesenhaften Schreckbildern. Es ging über meine Kraft, ich konnte nicht weiter. Ich grub meine Nägel in die flache Hand, ich biß mir mit den Zähnen auf die Lippe, ich blieb unbeweglich stehen, wie gelähmt war ich, und ich weinte vor Zorn und Wut über mich selbst und über den armen Herrn von Noireterre, den ich doch so sehr liebte.«

Sprachlos hatte Graf von Fallin sein Monokel wieder ins Auge geklemmt: »Das ist aber merkwürdig. Und was sagte dieser Glückspilz von Noireterre dazu?«

Frau von Sollerac sprang aus ihrer Bergere auf.

»Glückspilz? Aber ich habe den kleinen Noireterre nie wieder gesehen. Er hat mir flehende Briefe geschrieben, er hat versucht, Einlaß bei mir zu erzwingen, er hat alles getan, alles! Er drohte mir, sich zu töten, er hat sich eine andere Geliebte genommen. Ich konnte ihn nie mehr wiedersehen. Er war mir widerlich. Sein Bild war für mich mit der Erinnerung an jene Minute verschmolzen, die ich auf dem Boulevard an der Ecke der düsteren Straße verbracht hatte, und in der ich mich durch seine Schuld närrisch, lächerlich und verächtlich gefühlt habe. Ja, lieber Freund, ich wurde deshalb krank. Einen Monat lang war ich an meine Chaiselongue gefesselt. Herr von Sollerac war über meinen Zustand in Sorge und um mich zu zerstreuen, führte er mir den großen Montborieux, einen Freund aus dem Klub zu. Sie erinnern sich, Baron von Montborieux, der voriges Jahr gestorben ist.«

Frau von Sollerac seufzte. Herr von Fallin setzte eine ernste Miene auf. Die Beziehungen zwischen dem Baron Montborieux und Frau von Sollerac hatten zwanzig Jahre gedauert.

»Der arme Baron hatte oft gesagt: ›Bei der Liebe muß man gleich zugreifen, sonst setzt man sich der Gefahr aus, sie zu verlieren.‹ Und wirklich, er machte es, wie er sagte«, fügte Frau de Sollerac plötzlich erheitert hinzu. »Unter uns gesagt, lieber Fallin, man muß nur durch die Überraschung operieren, und einer Frau, die man nicht schon sein eigen nannte, kein Rendezvous geben.«


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