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Das Porträt der Liebe

Ich habe den berühmten Antoine Watteau aus Valenciennes nicht gekannt, denn er weilte nicht mehr unter den Lebenden, als ich von meinem Vater, einem braven Tuchmacher, von Etampes nach Paris geschickt wurde, um dort eine schon seit meiner Kindheit bekundete Neigung, Figuren nach der Natur zu zeichnen, weiter auszubilden. Dem guten Mann schien diese Fähigkeit eine ganz hübsche Begabung, und er zweifelte gar nicht daran, daß sie früher oder später die Veranlassung sein würde, mir den Namen eines Künstlers zu verschaffen. Er war so stolz über meine kleinen Versuche, daß er sie jedem Kunden, der seinen Laden betrat, zeigte. Jeder nun erklärte sie für gar wohlgelungen, und mein Vater fand es nicht am wenigsten. Doch was ihn hauptsächlich bestimmte, mich die Elle mit dem Pinsel vertauschen zu lassen, war der Umstand, daß sein Plan von dem Marquis de la Guérangère gebilligt wurde.

In geringer Entfernung von Etampes wohnte Herr de la Guérangère in einem sehr schönen Schlosse, das in der ganzen Gegend durch seinen herrlichen Bau und die Lieblichkeit seiner Gärten und Seen berühmt war. Er hatte wohl ein stolzer Herr sein dürfen, doch blieb er durchaus der entgegenkommendste Standesherr, den es nur auf der Welt gab. Er kam an Reichtum und vornehmer Geburt den Hochgestelltesten des Königreiches gleich, und er betrachtete es als etwas so Natürliches, weit über dem niederen Volke zu stehen, daß er gar nicht auf den Gedanken verfallen wäre, wen es auch sei, seinen hohen Stand merken zu lassen. Ja, er behandelte einen jeden mit vieler Güte. Kam Herr de la Guérangère nach Etampes, ließ er seine Karosse halten, um mit dem oder jenem zu sprechen. Ich habe seine Kutsche oft genug vor der Tür meines Onkels, der seines Zeichens ein Spiegelmacher war, halten sehen, auch vor unserem Laden stand sie, und nie verfehlte Herr de la Guérangère, sich bei meinem Vater nach meinen Fortschritten zu erkundigen.

Nun, es kam ein Tag, an dem diese Fortschritte Herrn de la Guérangère so bedeutend erschienen, daß er meinem Vater riet, mir Lehrer zu geben und mir auf diese Weise Mittel zu verschaffen, mich weiter zu vervollkommnen. Unser Städtchen bot wohl in dieser Beziehung keine Hilfsquellen, und Herr de la Guérangère bestimmte meinen Vater, mich nach Paris zu schicken. Er war ein Freund der Künste, und zu verschiedenen Malen hatte er schon das Talent Herrn Davarets in Anspruch genommen. Dieser, ein Maler von gewissem Rufe, war einer der besten Schüler des verstorbenen Herrn Watteau gewesen. Herr de la Guérangère schlug vor, mich zu Herrn Davaret zu bringen. Ich war sechzehn Jahre, und es schien ihm die höchste Zeit, mit dem Studium zu beginnen. Herr Davaret willigte darein, mich bei sich aufzunehmen. Er gab mir eine Dachkammer, um darin zu schlafen, und einen Platz in seinem Atelier.

Herrn Davarets Werken fehlte es weder an Können noch an Reiz. Mit Esprit verstand er es, Szenen aus Liebesabenteuern ganz in der Manier Watteaus wiederzugeben, von dem er mehrere Bilder besaß und den er aufrichtig bewunderte.

Bald teilte ich dieses Gefühl, zu dem sich die ganze Begeisterung der Jugend gesellte. Die Zeichnungen Watteaus, die Farben Watteaus, nichts anderes beherrschte mehr meine Gedanken. Ich übte mich darin, ländliche Feste ganz nach der Manier des herrlichen Malers zusammenzustellen, von dem auch Herr Davaret inspiriert wurde. Er ließ mich schon an seinen Bildern an der Untermalung arbeiten und vertraute mir auch manchmal gar eine kleine Figur an.

Herr Davaret war ein dicker, vergnügter, guter Mann. Sein Aussehen und sein Geschmack standen ein wenig mit den von ihm gewählten Sujets in Widerspruch. Er aß und trank gern gut und liebte ausgiebige Mahlzeiten und lange Zechgelage. Diese Neigungen hätten ihn besser dazu befähigt, eine Kirmes zu malen und Szenen aus dem rohen Volksleben nach niederländischer Manier darzustellen, denn er schätzte die Annehmlichkeiten des berühmten Schenkwirtes Ramponneau von Montmartre mehr, als die Vergnügungen der verwunschenen Insel. Ich mußte oft, weil er es wollte, an den fröhlichen Mahlzeiten teilnehmen, was manchmal kleine Unfälle bei mir zur Folge hatte, die Herrn Davaret sehr belustigten. Ich ertrug diese Neckereien, weil ich ihn gern hatte, er mein Lehrer war und auch, weil er mich zuweilen nach diesen Gelagen mit ins Theater nahm.

Herr Davaret war ein großer Liebhaber von Possen und Schwänken, und er konnte darüber aus vollem Halse lachen. Ich für mein Teil zog Stücke vor, die von italienischen Komödianten dargestellt wurden. Da war ich vollständig glücklich. Die Persönlichkeiten des Harlekin, des Hanswurst, der Kolombine und Lelia verursachten mir unendliches Vergnügen. Ich bewunderte ihre buntscheckigen Kostüme, ihre Masken und ihre Gitarren, ihre Sprünge und ihre Gesten. Sie hatten etwas Zartes und Phantastisches, das mich an die Bilder meines geliebten Watteau erinnerte. Meine zur Liebe und Sehnsucht geneigte Natur gab sich in diesen Vorstellungen süßen, weichen Träumen hin.

Kehrte ich aus dem Theater heim, so versuchte ich, so gut wie es ging, die soeben gesehenen Farben und Bewegungen wiederzugeben. Einige solcher Versuche kamen Herrn de la Guerangere unter die Augen, der mir seine Anerkennung darüber aussprechen ließ, und eines schönen Tages empfing ich den Auftrag, mich mit meinen Pinseln und meiner Staffelei in seinem Schlosse einzufinden.

Dieses Ersuchen setzte mich in Erstaunen, aber ich hatte ihm nur zu gehorchen, und nachdem ich Herrn Davaret um Urlaub gebeten hatte, setzte ich mich in die Kutsche, die mich nach Etampes führte, und ich überlegte mir, was Herr de la Guérangère von mir wollte.

Als ich im Schloß anlangte, herrschte dort ein tolles Durcheinander. Der Marquis hatte seiner Tochter zuliebe ein herrlich ausgeführtes kleines Theater bauen lassen. Das Stück war gewählt und die Truppe vollzählig beisammen. Fräulein de la Guérangère hatte die Rolle der Kolombine übernommen und der Marquis die des Doktor Bolonais gewählt. Ich sollte nun auf Wunsch des Schloßherrn die Kulissen und die Kostüme zeichnen und malen. Da hieß es sich sofort an die Arbeit machen, Fräulein de la Guérangère brannte darauf, mein Können zu beurteilen. Wohl erinnerte ich mich, das Schloßfräulein einst durch die Scheiben ihrer Karosse erblickt zu haben, aber die vier Jahre, in denen ich fern von der Heimat gewesen war, hatten sie merkwürdig verändert. Ich war von ihrer Schönheit geblendet. Antoinette kam mir auf das freundlichste entgegen, belegte mich vollkommen mit Beschlag und gab mir zu verstehen, was sie von meinem Talent erwartete. Von diesem Augenblick an gehörte ich mir nicht mehr. Zwanzigmal in einer Stunde betrat sie den Raum, in dem ich arbeitete, und trug ihr Ungestüm und ihre Fröhlichkeit mit hinein. Sie behandelte mich mit der größten Vertraulichkeit, nannte mich ihren lieben Maler, ihren lieben Verschönerer. Wie ein Wirbelwind stürmte sie aus dem Zimmer, um es in der nächsten Minute wieder zu betreten. Jedesmal schlug mir das Herz in der Brust schneller. Ich war wahnsinnig in Fräulein de la Guérangère verliebt, ich, der Sohn eines bescheidenen Tuchmachers aus Etampes, liebte die Tochter des reichsten Standesherrn der ganzen Gegend!

Nun fand die Aufführung statt. Der ganze Adel aus dem Umkreis war erschienen. Man fand die Kulissen und die Kostüme schön und gefällig. Aber der Beifall galt zumeist Herrn de la Guérangère, der bewundernswert als Doktor Bolonais war, und auch der schönen Antoinette. Sie war als Kolombine wirklich reizend und spielte ihre Rolle zum Entzücken. Sie feierte einen glänzenden, wohlverdienten Triumph. Ich wohnte ihm hinter einer Kulisse bei. Ach! die süße grausame Stunde, die ich dort verbrachte! Es gab nur einen Trost, der mein Leben beschwichtigte: den Gedanken, bald nach Paris zurückzukehren. Dort würde ich Herrn Davaret wiederfinden, und der seltsame Wahn, dessen Beute ich war, würde von mir weichen. Eine gute Mahlzeit mit meinem Lehrer würde mir nicht zum wenigsten nützen, und ich rechnete auf den feurigen Wein Ramponneaus, um die Wirkungen des Liebestrankes, den ich aus den Augen Fräulein de la Guérangères empfangen hatte, zu bekämpfen.

Wie unangenehm empfand ich daher am Morgen nach der Vorstellung eine Mitteilung Herrn de la Guérangères, der mir melden ließ, seine Tochter wünsche von mir in dem Kostüm der Kolombine gemalt zu werden. Doch plötzlich schlug meine Stimmung um, und der Gedanke, noch mehrere Tage in Fräulein de la Guérangères Gesellschaft zu verbringen, erfüllte mich mit einer stürmischen Freude. Ganz wie es mir behagte, würde ich in dieses entzückende Gesicht blicken dürfen, dessen Züge ich wiedergeben sollte! Ich konnte den Augenblick gar nicht erwarten, vor meiner Staffelei zu stehen und mein wunderhübsches Modell zu betrachten, das ich auf den Knien liegend hätte malen mögen.

Als Arbeitszimmer wurde mir ein Salon des Schlosses bestimmt, dessen Fenster auf Gärten hinausgingen, deren Bäume und Blumen eine jener Perspektiven einrahmten, die Herr Watteau so geliebt hatte, und wohl darum schien es mir, als ob sein Geist und seine Hand auf mich übergegangen waren. Ich malte in einer Art von Verzückung. Das italienische Kostüm von Fräulein de la Guérangère hatte zur Folge, daß mir das schöne Mädchen wie in einer verzauberten, nicht wirklichen Welt erschien, wo man ein leichtes, bequemes, unserer Gesellschaft so fremdes Leben führt. Unseren Empfindungen und unseren Phantasien sind keine Fesseln angelegt, in diesem glücklichen Land regieren nur die Gesetze des Herzens. Jedes Hindernis wird durch eine Verkleidung und List überwunden, alles ist Schein und Sang. Wenn ein König eine Schäferin heiraten will, und die Prinzessin einen armen Schiffer begünstigt, so findet man eine solche Neigung ganz natürlich. In dieser Welt des Romans stellt die Liebe eine liebliche Gleichheit her und macht sich ein Spiel daraus, die getrenntesten Geschicke zu vereinen ...

Die Zeit, während der ich Fräulein de la Guérangère malte, war die schönste meines Lebens. Welchen Träumen hing ich in diesen Wochen noch, wieviel stumme Geständnisse richtete ich an mein Idol! Obgleich ich manchmal Mühe genug hatte, meine Verwirrung zu verbergen, glaube ich nicht, daß Fräulein de la Guérangère jemals merkte, wie es um mich stand. Übrigens wie sollte sie auch vermuten, welches Gefühl mich bewegte? Welche Welt lag zwischen uns? Denn wozu ihr auch meine Narrheit kundgeben! War es nicht besser, diesen Zustand, in dem ich mich ihretwegen befand, zu benutzen, um von der, die ich liebte, ein würdiges Bildnis zu schaffen? Es war die einzige Huldigung, die meine bescheidene Lage mir gestattete, denn wir lebten nicht auf einer der verwunschenen Inseln, wo immer glückliche Liebespaare neben Springbrunnen kosen!

Noch so manches Porträt habe ich gemalt, nachdem ich das des Fräulein de la Guérangère fertig gemacht habe. Ich widmete mich ausschließlich der Porträtmalerei, als ich Herrn Davarets Atelier verlassen hatte, und gewann darin einen gewissen Ruf. Aber keins kam diesem ersten Werk an Farbenglanz und Reinheit der Zeichnung gleich. Das Bildnis von Fräulein de la Guérangère war mein Porträt der Liebe. Nicht zweimal bietet sich im Leben eine solche Gelegenheit, und man erreicht nichts Ähnliches in seinem Gelingen. So geschah es mir mit diesem Bild, das ich nie wiedersah und das, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, das beste Werk war, das ich je schuf. Ich glaube keine Unwahrheit auszusprechen, wenn ich sage, daß es des verstorbenen Herrn Watteau nicht unwürdig war, von dem ich stets bedauerte, keine Belehrung empfangen zu haben, die, mit denen der Natur vereint, mir geholfen hätten, mich der Vervollkommnung zu nähern.


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