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Das Geständnis

I

Paul Lefort saß neben Marc Noroy, den er soeben mit dem Wagen vom Bahnhofe abgeholt hatte, und das Pferd, das er selbst lenkte, verfiel vom Trab in einen langsamen Schritt, als es jetzt den ziemlich steilen Weg hinaufging, von dem man durch die Bäume hindurch am Talabhang die Schieferdächer des Schlosses Mimont erblickte.

Paul Lefort zeigte mit der Spitze der Peitsche dorthin.

»Siehst du, da wohne ich! Aber richtig, du bist ja noch nie in Mimont gewesen!«

Als Marc Noroy in Gedanken versunken nichts erwiderte, fügte Paul hinzu:

»Es ist gerade kein Palast, aber der Park ist ziemlich groß, das Haus gemütlich und die Gegend ist hübsch ...« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann lachend fort: »Ich bin aber wirklich komisch ... einem, der zwei Jahre im Orient gelebt hat und aus dem Land von Tausend und eine Nacht kommt, muß hier doch alles sehr öde erscheinen ... Gib nur zu, daß nach allem, was du gesehen hast, unsere Pikardie dir ein wenig einförmig vorkommt ... Na, du wirst uns eine Menge zu erzählen haben! Mußt du aber viel erlebt haben! Und wie sind die Frauen dort?«

Marc Noroy lächelte. Sein energisches, braunes Gesicht, das Asiens Sonne gebräunt hatte, wurde durch dieses Lächeln erhellt. Wirklich war er lange durch Syrien und Palästina gestreift und hatte Persien besucht. Während der Rede seines Freundes hatte er plötzlich einen Winkel des großen Basars von Damaskus vor sich gesehen. Man erinnert sich manchmal an merkwürdige Dinge. Zweifellos war ihm Damaskus eingefallen, weil es die letzte Stadt des Orients war, in der er verweilte, ehe er nach Beirut reiste, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Wieder sah er die von Sonnenstrahlen durchkreuzte lange, schattige Galerie Souk vor sich, aus den geöffneten Geschäften hingen bunte Stoffe herab, tänzelnd schritten mit großen Glocken um den Hals die Kamele hintereinander her und schlugen mit ihren breiten Füßen auf den harten Boden; die wogende Menge war in leuchtende oder dunkle Farben gekleidet; lange gelbe oder rosa Gewänder wechselten mit schwarzen oder braunen Lumpen; hier zeigte sich das ganze brutale und zarte Pittoreske dieses Tausch- und Handelsortes, in dem sich Rassen mischen, Eisen und Gold geschlagen wird, wo man Leder schneidet, Seide gewebt wird und Essenzen, Zuckerwerk, Teppiche, Babuschen und Waffen verkauft werden. Die verschiedensten Gerüche atmete er dort ein, starke und zarte, Gerüche, die von den strammen Kameltreibern und Lastträgern ausströmten, und dann wieder jenes Parfüm, das die Frauen verbreiteten, die zu zweien oder in Gruppen an ihm vorbeizogen, wenn sie, von flatternden Gewändern umhüllt, das Gesicht hinter einem dunklen, mit Blumen gestickten Tüllschleier verbargen ...

Marc Noroy versenkte sich in seine Erinnerungen. Kaum hatte er Frankreichs Boden betreten, als ihn die Reiseleidenschaft schon wieder ergriff. Jetzt ließ ihn Leforts Stimme auffahren:

»Ja, ja, ich meine, was du für Frauen dort kennengelernt hast? Das stimmt dich nachdenklich, wie? Na, das ist nur ein Beweis, daß sie dich nicht zu lieblos behandelt haben. Ich bin sicher, du hattest einen ganzen Harem! Nun findest du es wohl kläglich, daß man immer mit derselben Person zusammenlebt! Da wir doch beide allein sind, beichte mir, was du dir gedacht hast, als du von meiner Heirat mit Marguerite hörtest? Hast du dich sehr gewundert?«

Er zerdrückte mit dem Peitschenstiel eine Bremse, die auf dem schimmernden Pferderücken saß.

»Gar nicht!« erwiderte Marc Noroy. »Fräulein Derlier war ein reizendes junges Mädchen. Ich war sehr glücklich, als ich hörte, daß sie deine Frau wird, übrigens schrieb ich es dir auch von Smyrna, wo mich diese gute Nachricht traf.«

Paul Lefort schnitt eine Grimasse, und über sein joviales gesundes Gesicht glitt ein Ausdruck des Unwillens.

»Das ist alles, was du mir sagst? Du hast nicht einmal gedacht: dieser Lefort ist wirklich ein uneigennütziger Kerl, denn schließlich hatte Marguerite doch nicht einen Sou Mitgift ... Aber du hast den alten Derlier zur Genüge gekannt, um zu wissen, was er war! Doch alles das hat mich nicht gehindert, und was für gute feine Partien hätte ich machen können! Ich bin nicht weniger wert als mancher andere, ich besitze etwas Vermögen, Mimont gehört mir ... und mein ganzes Hab und Gut habe ich zu den kleinen, fast unbeschuhten Füßen von Fräulein Marguerite Derlier, meiner Frau, gelegt.«

Mit schlauem, zufriedenem Blick sah Paul Lefort seinen Freund an.

»Das beste jedoch ist, daß ich nicht aus einer plötzlichen Eingebung heraus gehandelt habe. Ich habe überlegt. Ich habe mir gesagt: Lefort, du bist ein gesetzter Mann. Du mußt dich vernünftig verheiraten. Für dich sind Abenteuer nichts. Es ist durchaus nicht angenehm, sich auf den jungen Mann aufzuspielen und herumzuflirten. Im Grunde bist du häuslich und würdest dich zum Ehekrüppel eignen, aber du mußt ein hübsches Gesicht um dich haben. Da ist die kleine Marguerite Derlier die geeignete. Es wird ihr wohl über sein, mit dem alten Derlier, dem Kartenspieler, zu hausen, und du bietest ihr eine sichere, regelmäßige, gemütliche Existenz, in der sie ruhig dem Morgen und dem Übermorgen entgegensehen kann. Sie wird dein Anerbieten annehmen, und vielleicht ist sie dir sogar dankbar dafür! ... Siehst du, die Frauen tun so, als ob sie von Luft und Liebe leben könnten, aber wenn sie nicht zu sehr zu rechnen brauchen, ist es ihnen sehr angenehm. Ein Leben, das ihnen Wohlstand bietet, reizt sie. Deshalb sagte ich mir: Lefort, du hast einen Trumpf in Händen, also spiele ihn aus.«

Er legte die Zügel auf die Knie und zündete sich eine Zigarette an.

»Ich hatte mich nicht geirrt, das arme Mädel nahm meinen Antrag an. Ach, ich will durchaus nicht behaupten, daß ich vollkommen ihr Ideal gewesen wäre. Vielleicht hätte sie einen Mann wie dich lieber genommen, denn ihr habt früher einmal miteinander geflirtet. Du mußt zugeben, daß ich nicht eifersüchtig bin. Du gefielst ihr eben. Junge Mädchen sind so merkwürdig! ... Aber im ganzen mißfiel ich ihr nicht, und dann hatte sie auch schwere Zeiten durchgemacht. Und so wirst du das hübsche Mädchen als vernünftiges Eheweib und tadellose Hausfrau wiederfinden, mit dem wir einst bei Frau Margan tanzten, bei dem verdrehten alten Weibe, deren Mann in irgendeinem exotischen Staate, aus denen du jetzt kommst, Konsul war, und die, in türkischen Flitterstaat gekleidet, in ihrer kleinen Wohnung der Rue d'Assas bei diesen Gesellschaften präsidierte, bei denen wir beim Tanzen gegen die von der Decke herabhängenden Straußeneier stießen, während in allen Ecken anstatt Erfrischungen Serailkügelchen auf Kupferplatten brannten ... Lauf zu, Brauner!«

Trotzdem die Straße nicht weiter anstieg, blieb das Pferdchen bei seinem langsamen Schritt. Paul Lefort zog die Zügel an.

»Da wären wir in Mimont.«

Die Mauer eines Parkes zog sich an der Landstraße entlang. Sie überragte eine ziemlich weite, grüne, ruhige und – traurige Landschaft. Marc Noroy blickte umher.

»Ihr lebt das ganze Jahr hindurch hier? Langweilt sich deine Frau nicht?«

Paul Lefort warf sich in die Brust:

»Ob sie sich langweilt? Gar nicht; und dann gehen wir im Winter immer nach Paris.« Lachend fügte er hinzu: »Vielleicht tust du mir die Ehre an und glaubst mir, daß ich imstande bin, eine Frau zu beschäftigen und ihr die Zeit zu vertreiben ... Aber da steht ja Marguerite und erwartet uns am Tor.«

Auf die ein wenig freie Anspielung hatte Marc Noroy mit einem gezwungenen Lächeln geantwortet, während er von weitem die junge Frau grüßte, die unter dem Schutzdach ihres Sonnenschirms in der Sonne stand.

II

Mimont, den 20. März 19..

Durch den Brief, den Sie meinem Manne schrieben, habe ich erfahren, daß Sie sich für eine neue Reise rüsten. So werden Sie denn den schönen Orient wiedersehen, von dem Sie uns in der kurzen Woche Ihres Aufenthalts in Mimont so viel erzählten. Sie versprachen, zu uns zurückzukommen, und ich darf Ihnen nicht böse sein, wenn Sie es nicht tun.

Im Gegenteil, wie sehr verstehe ich Sie! Mimont birgt nichts, was Sie interessieren könnte, und die Existenz, die man hier führt, ist die banalste der Welt. Ich weiß, daß Sie Paul gern haben, aber welches Band verbindet sein häusliches Leben und Ihren Abenteuersinn? Für jemand, der aus dem Euphrat trank und sich im Jordan erquickte, muß das Wasser unseres Brunnens ohne Geschmack sein.

Wenn ich Sie durch meinen Brief auch belästige, muß ich Ihnen doch schreiben. Ich muß mich häufig an etwas erinnern, was Sie mir gesagt haben. Gedenken Sie jenes Mondscheinabends auf der Terrasse, als Sie von den Frauen Asiens sprachen? Sie schilderten den beängstigenden Eindruck, den jene ewig verschleierten Gesichter auf Sie machten, die Nervosität, die Sie bei diesem beständigen Mysterium, vor diesen rätselhaften Körpern ohne Gesicht fühlten. Sie gestanden die List und Schlauheit ein, die Sie gebrauchten, um die verdeckten Züge unterscheiden zu können, und wie Sie mit der Zeit bei den geringsten Anzeichen wußten, wie diese von Schatten verhüllten Gesichter wirklich aussahen. Und während Sie sprachen, hatte ich die Empfindung, als ob Ihre Blicke mich mit Neugierde und Aufmerksamkeit betrachteten. Sie hatten begriffen, daß ich jenen Frauen glich, denn Seelen können wie Gesichter Schleier tragen.

Ich weiß nicht, weshalb ich mich eigentlich gezwungen fühle, Ihnen mein trauriges Geheimnis zu enthüllen. Denke ich darüber nach, so glaube ich, daß ich durch die Eitelkeit dazu getrieben werde. Ich kann mich nicht damit abfinden, Sie glauben zu lassen, daß das junge Mädchen von einst – dem Sie einige Sympathie zeigten – heute eine Frau geworden sei, der Sie ganz gleichgültig gegenüberstehen! Sie fragten mich eines Tages, ob ich mich in Mimont langweile? Ob ich mich in Mimont langweile, ich sterbe hier, ich gehe hier seelisch zugrunde, und so zu sterben ist nicht nur langweilig, es ist entsetzlich. Das Schlimmste jedoch ist, daß ich niemand dafür verantwortlich machen kann. Das Schicksal, das mich vernichtet, wollte ich selbst.

Gewöhnlich sind die jungen Mädchen Opfer von romantischen Illusionen. Sie leiden dadurch, daß sie zu hohe Anforderungen an das Leben stellten; ich habe mich aber durch eine andere Falle fangen lassen. Während andere sich durch Trugbilder von etwas Unmöglichem verlocken ließen, bin ich durch die Sicherheit einer mittelmäßigen Existenz hereingefallen.

Sie kannten meine Jugend. Dieser Jugend wegen wünschte ich mir das monotone Glück und die bürgerliche Sicherheit, an der ich nun ersticke ... Doch bin ich keine unglückliche Frau in dem Sinne, wie die Welt mich als solche betrachten würde. Ich lebe in Wohlbehagen, von Zuneigung umgeben, dahin. Für meinen Mann empfinde ich jene Art Liebe, die aus Dankbarkeit und Sinnenrausch entstanden ist; leider muß ich sagen, jene Art Liebe, denn sie dient zu weiter nichts, als verstehen zu lassen, daß es die wahrhafte, große, wundervolle Leidenschaft geben kann, nicht nur ein vernünftiges Einvernehmen zwischen zwei Wesen. Aber auf jenen wundervollen Wahn habe ich kein Recht mehr, und nur einen Augenblick habe ich den schweren düsteren Schleier aufgehoben, der für immer auf meinem Schicksal ruht, und ich lüftete ihn, weil Sie morgen reisen, fern von mir sein werden, und das weite Meer und die Stille des Vergessens uns trennen wird. –«

Mit kalten Händen und klopfendem Herzen saß Marc Noroy da, als er den Brief zu Ende gelesen hatte. Die Terrasse von Mimont tauchte wieder vor ihm auf, eine aufgestützte weiße Gestalt, die ihm die Hände entgegenstreckte. Nach und nach verflüchtigte sich die Vision. An einem purpurfarbenen Himmel zeichnete sich das Bild einer orientalischen Stadt ab. Ihre spitzen Moscheentürme überragten die flachen Dächer. Er sog den Jasmin- und Rosengeruch ein, den das zerknitterte Papier zwischen seinen Fingern ausströmte. Bleiben? ... Reisen? ... Dann zerriß er den Brief, dessen Stücke sich über den Boden zerstreuten, wie die Blättchen einer zu hastig abgepflückten Blume ...


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