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Die Bitte des Herrn de Largerie

Neben den vielen guten Eigenschaften, durch die Herr Marschall von Brévannes einer der bedeutendsten Kriegsmänner seiner Zeit wurde, darf man nicht vergessen, der Macht zu gedenken, die er auf die Soldaten ausübte, noch des Vertrauens, das er allen einflößte, welche die Ehre hatten, unter seinen Befehlen zu dienen. Die Kunst, zu befehlen, war Herrn Marschall von Brévannes im hohen Grade eigen. Er fürchtete sich nicht, von den anderen zu viel zu verlangen, weil er selbst keine Schonung für sich kannte, und gestattete sie sich ebensowenig wie den anderen. Besonders war er unbeugsam, wenn es sich um Disziplin handelte, und seine Strenge war unerbittlich. Der geringste dienstliche Verstoß wurde hart getadelt, der kleinste Fehler hart bestraft, denn Herr de Brévannes fand, daß die Disziplin die hauptsächlichste Kraft eines Heeres war und ohne diese die glänzendsten Truppen nicht bestehen konnten. Man muß jedoch nicht glauben, daß Herr Marschall de Brévannes den Mut, von dem er selbst leuchtende Beispiele gegeben hatte, nicht zu würdigen verstand, aber die kühnste, heroischste Tat schien ihm etwas Einfaches und Natürliches. Er zögerte nicht einen Augenblick, sie ebensogut zu erfüllen, als sie zu befehlen. Diese letzte Hauptsache begründete den Ruf des Herrn Marschall, und unter ihm zu dienen, bedeutete eine Art Tapferkeitsexamen, so sehr hatte es sich verbreitet, daß Herr de Brévannes das Leben des Soldaten nicht mehr als sein eigenes schonte.

Diese Meinung war schon zu jener Zeit offenkundig, als Herr de Brévannes noch Oberst des königlichen Thiérache-Regiments war, so daß dieses Regiment in allen Treffen auf den gefährlichsten Posten gestellt wurde und seinen Anteil an Ruhm reichlich mit Toten und Verwundeten bezahlte. Doch nirgends wurden auch so gern die Lücken ausgefüllt, wie im Thiérache-Regiment, man stritt sich um die Ehre, unter Herrn de Brévannes zu dienen, der stolz über diesen Eifer war und Mutmaßungen daraus zog, was man von den Soldaten fordern könne, wenn man verstände, ihre Tapferkeit auszunutzen und diese Burschen ins Feuer zu führen hätte. Gar viele Anekdoten wußte Herr Marschall de Brévannes darüber zu berichten, eine aber erzählte er besonders gern.

Im Thiérache-Regiment war ein alter Hauptmann mit Namen de Largerie. Er befand sich schon im Grab, als Herr de Brévannes das Regiment übernahm; und schnell bemerkte dieser, daß Largeries Kompagnie in einem guten Zustand war. Herr de Largerie war ein großer, hagerer, schlottriger Bursche mit langen Beinen und einem ganz kleinen Kopf, der nur von den Regimentsvorschriften erfüllt war. Dadurch war Herr de Largerie ziemlich schweigsam, es schien, als ob er Furcht hätte, seine militärischen Kenntnisse in Worten zu verlieren. Im übrigen war er ein ausgezeichneter Offizier, pünktlich und aufmerksam, dessen Intelligenz aber von Herrn de Brévannes als ziemlich beschränkt anerkannt werden mußte. Übrigens dachte Herr de Largerie daran, seinen Abschied zu nehmen, denn es war anzunehmen, daß er trotz der langen Dienstzeit nie einen höheren Grad erreichen würde. Ebenso wahrscheinlich war es auch, daß er nur eine sehr unbestimmte Erinnerung bei Herrn de Brévannes zurückgelassen hätte, wenn das Thiérache-Regiment nicht zur Belagerung von Altdorff entsandt worden wäre. Der Herzog von Versailles, der den Angriff befehligte, sah, daß die Stadt Widerstand leistete, und er entschloß sich, die Dinge zu beschleunigen. Zuerst hieß es, eine sehr störende Verschanzung zu erstürmen, und dem Thiérache-Regiment fiel diese Aufgabe zu.

Diese Nachricht rief große Freude bei Herrn de Brévannes hervor. Der Ansturm sollte in den frühesten Morgenstunden vor sich gehen, und nachdem Herr de Brévannes seine letzten Anordnungen getroffen hatte und in seinem Zelt ausruhte, wurde ihm gemeldet, daß Herr de Largerie darum bäte, ihn sprechen zu dürfen. Erstaunt befahl Herr de Brévannes, den Offizier vorzulassen. Was konnte Herr de Largerie zu so später Stunde noch wollen?

Nach den ersten Worten, die Herr de Brévannes an ihn richtete, begann Herr de Largerie verwirrt zu werden. Auf seinem Gesicht drückte sich die fürchterlichste Verlegenheit aus. Er wurde abwechselnd rot und blaß. Endlich entschloß er sich zu sprechen. Er kam, um für seine Kompagnie die Ehre zu erbitten, an die Stelle der Verschanzung gestellt zu werden, welche die gefährlichste war.

Bei diesem Gesuch runzelte Herr de Brévannes die Stirn.

»Bei Gott, Herr de Largerie, Sie sind kühn. Wollen Sie uns sagen, daß die anderen Kompagnien weniger fähig wären als die Ihre, ihre Pflicht zu tun? Wissen Sie denn, daß –«

Während dieser Strafpredigt hatte der arme Herr de Largerie den Kopf gesenkt. Plötzlich erhob er ihn, sein Gesicht war so unglücklich, daß Herr de Brévannes seinen Satz nicht zu Ende sprach, aber Herr de Largerie hatte wieder Mut gefaßt.

»Ach, Herr Oberst, alles, was ich weiß, ist, daß ich seit fünfundzwanzig Jahren dem König diene und nie einen Tropfen meines Blutes für ihn vergießen konnte, weil ein ungünstiges Schicksal es hinderte, daß mich je eine Kugel streifte. Und doch, Herr Oberst, habe ich nie der Gefahr auszuweichen gesucht; und es gibt kein Gefecht, an dem ich nicht teilgenommen habe. Ich benahm mich nicht schlechter als ein anderer, aber Pulver und Blei wollten mich nicht. Keine einzige Wunde habe ich aufzuweisen, Herr Oberst, und das ist die Schande meines Lebens.« Verzweifelt erhob Herr de Largerie seine langen Arme und fuhr fort: »Ach ja, Herr Oberst! Wie kann ich in einem solchen Zustand in mein Heim zurückkehren? Was werde ich für ein Alter haben? Träumte ich doch davon, meine Tage mit einem Holzbein zu beschließen oder eine jener herrlichen Wunden zu haben, die eines Soldaten Schmuck sind! Was wird man von mir sagen, wenn ich heil an allen Gliedern vom Schlachtfelde zurückkehre, auf dem so viele tapfere Offiziere für des Königs Ruhm gefallen sind? Deshalb dachte ich, Herr Oberst, daß Sie meinen letzten Versuch, noch einmal alles zu wagen, nicht hindern werden. Und diese Bitte war es, die ich Ihnen vortragen wollte. Sie werden das Gesuch eines alten Offiziers, der Sie bittet, das Unrecht, das ihm das Schicksal antat, gutzumachen, nicht abweisen.«

Zum erstenmal in seinem Leben war Herr de Largerie beredsam geworden, und jetzt schwieg er und trocknete sich angstvoll die Stirn, während er auf Herrn de Brévannes Antwort wartete. Dieser hatte sich erhoben, ernst seinen Hut zum Gruße abgenommen, und während er sich vor Herrn de Largerie verneigte, sagte er zu ihm:

»Nicht mir soll der Vorwurf gemacht werden, Sie eines solchen schönen Wagnisses beraubt zu haben. Sie werden an der Spitze des Ansturms stehen, und so verbinden sich die Interessen des Königs mit den Ihren!«

»Am nächsten Morgen«, fügte Herr Marschall von Brévannes hinzu, »wurde der Ansturm zu der besagten Stunde vorgenommen, und es war eins der blutigsten Getümmel, dem ich die Ehre hatte beizuwohnen. Das Thiérache-Regiment bedeckte sich mit Ruhm, denn der Feind leistete verzweifelten Widerstand; aber als wir zuletzt Mann gegen Mann kämpften, blieben wir die Herren der Verschanzung. Jede Kompagnie verlor Dreiviertel ihrer Mannschaften und Offiziere; und dort war es, wo ich jene Hiebwunde über dem Auge empfing, die von der Frau Marschallin von Brévannes später mit Amors Binde verglichen wurde. Was aber den braven Herrn de Largerie anbetraf, so war es ihm nach Wunsch gegangen. Halb nackt wurde er unter einem Haufen Leichen gefunden, von seiner Uniform waren nur noch Fetzen vorhanden. Wir hielten ihn für tot, aber während der Chirurgus seine Wunden zählte, öffnete er die Augen wieder, und seine Lippen bewegten sich. Seine Stimme war so schwach, daß sie nicht bis an meine Ohren drang; aber ich hatte verstanden, was er wissen wollte, und über ihn geneigt rief ich ihm zu:

»Also, Herr de Largerie, alles geht gut: die Schanze ist genommen, und Sie haben vierzehn Wunden.«

Ein Ausdruck großer Freude erschien auf seinem durchfurchten Gesicht, und als er wenige Augenblicke nachher verschieden war, bewahrte er noch jene Miene heroischer Genugtuung, die ihm das Bildnis des wahren Soldaten verlieh: die Zufriedenheit, für seinen König und Frankreich zu sterben.«

Gelangte nun Herr Marschall von Brévannes an den Schluß dieser Anekdote, so kratzte er sich immer den Augenwinkel; vielleicht juckte ihn seine Narbe, vielleicht war er auch bewegter, als er es bei dem Andenken an diesen braven Mann zeigen wollte, dessen Kugeln und Bajonette mit einem Male seinen bescheidenen militärischen Ehrgeiz erfüllt hatten.


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