Fritz Reck-Malleczewen
Ein Mannsbild namens Prack
Fritz Reck-Malleczewen

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Siehe, es trennten vor so viel Jahrhunderten aus altem Stamm zwei Brüder ihre Wege, und der eine blieb in der Heimat und der andere wanderte weit nach Osten in die Fremde.

Und nie sahen sie einander wieder und getrennt blieben ihre Wege, und auch ihre Kinder und Kindeskinder sahen sich nicht.

Nach Jahrhunderten aber erinnert sich die Natur, daß beide und alle, die sie zeugten, aus dem gleichen Erdenkloß gemacht wurden. Und prägt ihre fernen Enkel gleich und macht, daß ihre Enkel sich suchen und aufeinander stoßen müssen. Just so, wie einst ihre Urväter voneinander gehen mußten. –

Geheimnisse sind im roten Menschenblut, nie werden wir für seine Rätsel die Lösung wissen. Sie wußten so lange voneinander nichts, es wisperte, seit sie voneinander hörten, jeder in des anderen 159 Leben und bedrückte es, und wie einst nach Ost und West ihre Väter sich trennten, so nahen sie einander wieder von West und Ost und suchen einander in tödlichem Spiel. Und ich weiß sie nicht zu deuten, die Rätsel ihres alten Blutes. Aufsitzen ließ der rote Prack, aufsitzen ließ eine Stunde zuvor auch der weiße, und den einen treibt seit heute abend der Tod, und den anderen treibt das Leben, das seit Wochen schon ein wunderlich Spiel mit ihm sich erlaubt . . .

In der Mitte aber zwischen ihnen, da ist in Nacht und Schnee zwischen den Fronten das Niemandsland, und es brennt mitten in diesem Niemandslande als Fanal das Gesinde Lievenbärsen, und auf dieses Gesinde zu und auf den Feuerschein hin trabt der rote Prack. Will zunächst mal zu der dort liegenden Feldwache, will aber dann wohl noch ein bißchen weiter reiten, und weiß auch warum. Schnaubt nämlich der Tod nicht aus diesem Loche, so schnaubt er aus einem anderen, holen ihn heute nacht nicht die Weißen, so holt ihn morgen Petraschewski und sein Henker, der Stutschka heißt, und schon manchen Kameraden geholt hat . . .

Und der Prack denkt an das, was man sich von den Mordkellern der Schlüsselburg erzählt, er denkt auch an die Szene mit Petraschewski 160 und an das Wort von dem Letten und der Giftschlange, die alle beide nie vergessen . . .

Und plötzlich fallen ihm wieder seine eigenen Gefangenen in der Kirche und dieses kranke Mädchen von vorhin und die wirren Worte ein, die sie stammelte. Wie war das doch? Von »München« war es etwas, und etwas von »Tanzen«, und in diesem Zeichen regt in dem roten Prack sich der Zynismus, und er denkt auch, daß dieses schöne Geschöpf morgen früh um neun Uhr an der Mauer stehen wird. »Tanzen? Meine Liebe, wirst morgen schon deinen Tänzer finden«, denkt der Prack und schickt damit diese Erinnerung zum Teufel. Damit aber ist er auch schon bei der Feldwache angekommen. Prack läßt absitzen. –

Grell leuchtet über das weite Feld der Flammenschein, vorn böllern die Schüsse der Patrouillen, die wohl Gefechtsfühlung mit den Deutschen haben. Tief in den Schnee geduckt kauern die Leute der Feldwache, der Wachtmeister Michail Iljitsch Malinow, auch ein alter Kaiserlicher von den Archelgorodsk-Dragonern, meldet. Das Gehöft, Ew. Hochwohlgeboren, ist von der Feldwache angezündet, damit man bessere Uebersicht hat, die Deutschen sind nach Patrouillenmeldung von Doblen her 161 in Anmarsch, keine drei Werst können ihre Spitzen entfernt sein. »Stark?« fragt Prack und zündet sich eine Zigarette an und erfährt, daß die drüben zwei starke Eskadrons und Maschinengewehre haben. Prack nickt. Das genügt. Gegen die Maschinengewehre ist er mit seinen hundertunddreißig Karabinern und der schlecht ausgebildeten Mannschaft wehrlos. »Es ist gut so . . . Ja, ganz gut ist es so«, murmelt Prack und pfeift ›Krassawtschik‹. Und der Hengst, des Herrn Gefolgsmann auf Gedeih und Verderb, kommt auf den Pfiff, nimmt aber, als Prack ihm den Hals klopft, zwischen die Zähne des Herrn Uniformknopf, hält ihn fest und weiß wohl, wohin der Ritt nun geht, und sieht den Herrn an mit traurigem und beinahe zärtlichem Blick. »Geh, du Gottesknecht«, sagt Prack und löst mit sanfter Gewalt den Knopf aus des Hengstes Zähnen, »wirst es auch nicht ändern«. Er sitzt auf . . .Selbst, Michail Iljitsch, will ich nach den Deutschen schauen . . . brauche niemandem« Fort ist er. »Maladjez, forscher Kerl«, murmeln die Leute, sehen ihm nach. Es ist die gleiche Viertelstunde, in der sich von der anderen Seite her sein nie gesehener Vetter, der weiße Prack, dem Gehöfte nähert.» –

162 Das aber vollzieht sich keineswegs freiwillig, und schuld daran ist Trips gewesen, der bei der Spitze geritten ist und geschlafen hat, und mit seinen paar Männlein im Dunkeln über die Russenpatrouille sozusagen gestolpert ist: freu' dich nur auf die kleine Abreibung, Trips, aufpassen soll man bei der Spitze und nicht sozusagen Schopenhauer lesen! Und Prack, der die Schießerei gehört hat, ist sofort nach vorn geritten, hat aber keine Spitze und keinen Trips und auch keinen Feind mehr gefunden, hat nur ein paar Reiter und ein paar Gäule mit leeren Sätteln ins Dunkle rasen sehen und dafür ein paar tüchtige Garben um die Ohren geschossen bekommen. »Tasso« macht einen wilden Satz, nimmt den Kopf zwischen die Beine und rast mit seinem Reiter los . . .

Geradeswegs auf den Feind, auf Moskau, auf das Feuer zu, kommt bis dicht an den Zaun des Gehöftes heran, überkugelt sich mit seinem Halsschuß und röhrt noch ein bißchen und liegt. Prack steht auf, hat noch alle seine Knochen beisammen, hat sich nur die linke Schulter verstaucht, ist nun aber ein entsattelter Reiter dicht beim Feind. Prack überlegt. Das Schießen ist verstummt, vom Feind und Freund nichts zu sehen, allzuweit aber kann Trips nicht sein und 163 Lievenbärsen war Richtungspunkt. Prack also nimmt die Pistole und betritt den Hof. Keine volle Minute vor dem anderen Prack . . .

Von dem längst verlassenen Gehöft brannte zuerst das Wohnhaus, es brennt nun mit prasselnden Funkengarben die strohgefüllte Scheune, vor seiner Hütte liegt angekettet der Kadaver eines erschossenen Köters, der Hof ist grell beleuchtet wie im vollen Lichte aller Lampen eine Opernbühne. Grausig ist des Kletterers Tiefenblick, grausig des zielenden Gewehres dunkles Auge – ich glaube nicht, daß je etwas so grausig sein könnte, wie eben in dieser nächtlichen Einsamkeit die unerwartete Begegnung dieser beiden Doppelgänger. –

Der weiße Prack, wie gesagt, kam zuerst, der andere, der ja eigentlich noch ein Stück weiter hatte reiten wollen, der kommt nun aus der tiefen Finsternis in das grelle Flammenlicht des brennenden Hofes geritten auf seinem riesigen schwarzen Hengst wie der Böse, und so, plötzlich einander gegenübergestellt, sind sie beide zunächst wie gelähmt und vergessen beide, daß sie nun eigentlich einander an die Kehle fahren müssen. Und bleiben stehen, wo sie sind, und wissen nicht, was tun, und dann ist es der rote Prack, der als der erste diese Erstarrung bricht . . .

164 Der rote Prack aber, das muß man berücksichtigen, hat einen tiefen, tiefen Fall getan, hat Läuse, Hunger, Flecktyphus und Demütigungen hinter sich gebracht – der rote Prack hat hinter sich und vor sich den Tod . . .

Hier aber gibt es keinen Kommissar Petraschewski, hier gibt es keine Tscheka und keinen Henker Stutschka – hier ist das Niemandsland und ein Stück Freiheit, hier ist ein Kamerad von drüben und ein Vetter und Standesgenosse, und ganz von selbst, wie vorhin in der Kirche, verfällt der rote Prack in den Ton des Gardereiters und in das mit Französisch reich durchsetzte Deutsch der alten Petersburger Gesellschaft. Der rote Prack also salutiert vom Sattel aus, sitzt ab, bindet »Krassawtschik« an den Zaun, salutiert, mit einer leichten Verbeugung, nochmals und eröffnet dann das Gespräch durchaus verbindlich und eben nur von vornherein mit einem leichten Ton von Bitterkeit . . .

Der Herr Vetter also. Man habe schon gehört von ihm, man sei vorbereitet und wisse die Ehre einer persönlichen Begegnung zu schätzen . . .

So ungefähr. Und dann, mit einem spöttischen Seitenblick auf die Pistole des anderen:

165 »Wollen wir, cher cousin, nicht das Ding da wegstecken?«

Der weiße Prack steckt die Waffe fort und beschränkt sich auf ein stummes Erwidern des Grußes . . . der rote zieht das Zigarettenetui, und nachgerade scheint es so, als reize ihn die Zurückhaltung des anderen . . .

»Wollen wir, mon camarade, eine Zigarette rauchen?« Aber der weiße Prack dankt . . .

»Rauchen Sie nie?«

»Doch.«

»Darf ich fragen, warum Sie es jetzt nicht tun?«

Aber der weiße Prack schweigt auch jetzt und zuckt bloß die Achseln, der rote steht mit seinen Zigaretten da, den roten reizt das Schweigen und dieser Abstand, den der andere zwischen sich und ihn legt – der rote redet sich, ohne daß er selbst es merkt, noch tiefer hinein in seine Bitterkeit . . .

Gewiß, man habe sich vergessen. Man ist der gewesene Gardeoffizier mit dem fünfzackigen Stern an der Mütze, man ist Chef einer berittenen Räuberbande und die Schande der Familie – kein Mann von Ehre, sei es auch der eigene Vetter, raucht mit einem Deklassierten . . .

166 So ungefähr. Es soll unbefangen und überlegen klingen, klingt aber doch nur nach Desperadotum und tiefer Bitterkeit, der rote Prack hält, als erwarte er von dem anderen eine beruhigende Erklärung, einen Augenblick inne – wartet vergeblich, sieht nur ein undurchdringliches Gesicht und redet weiter . . .

Er redet. Es zuckt der Mund, ab und zu greift die Hand unwillkürlich nach dem Säbelgriff, an dem kein Portépée sitzt – zu Gehässigkeit und ungebührlichem Zanken steigert sich diese Rede . . .

Familienschande? Er pfeife darauf! Die Pracks? Er pfeife, den Herrn Vetter natürlich ausgenommen, auf alle Pracks, auf jedwede Gesellschaft und auf alle Rücksichten und alle Bindungen. »Was ist denn, cher cousin, noch Ihr Europa? Eine Kolonie der Amerikaner! Was ist die europäische Gesellschaft? Eine Rotte Lakaien an einer abgegessenen Herrschaftstafel! Wo, mon cher, ist Ihr Regiment, Ihr Fahneneid, Ihr Kaiser – weswegen sitzen Sie nicht zu Hause, weswegen führen Sie Krieg? Ich will's Ihnen sagen: weil Ihre alte Welt tot ist und weil Sie, ebensowenig wie ich, sich hineinfinden können in die neue! Weil Sie nicht mehr wissen, wohin Sie eigentlich gehören, weil 167 Sie, genau wie ich, tief vom Turm hinuntergefallen sind und weil Ihnen nichts bleibt, als der Weg des Landknechts. Deshalb . . .«

Er schweigt. Ringsum brausen im Stroh die Flammen, Schüsse, ganz fern, verprasseln in der Nacht. Der Weiße aber hat sich auf den Rand des Ziehbrunnens gesetzt, zeichnet mit dem Reitstock im Schnee herum, hat den roten Vetter wohl verstanden. »Im Grunde«, denkt der weiße Prack, »im Grunde, mein Lieber, kannst du den Garderittmeister nicht vergessen, im Grunde bist du weidwund geschossen, hast kein Selbstbewußtsein mehr, kannst dir deinen tiefen Fall nicht vergeben und verlangst nun von mir, damit es dir nicht gar so wehe tut, die Bestätigung, daß ich mit dir in der gleichen Pfütze liege.« So denkt der Weiße, zeichnet an seinen Figuren. Der Rote aber ist zu seinem Pferde gegangen, macht sich am Sattel zu schaffen, kommt wieder mit Flasche und Feldbecher: »Chambertin, ehrlich geplündert aus den Kellern des Schlosses Abschwangen. Da es um uns beide so steht, trinken wir . . .«

»Nicht um mich.«

»Trinken wir, da wir für den Rest unseres Lebens unseren Chambertin uns beide werden stehlen müssen . . .«

168 Der weiße Prack räuspert sich . . .

»Trinken wir, comme frères voleurs et frères cochons

Das aber ist zu viel. Der weiße Prack wirft den Becher, den ihm der andere in die Hand gedrückt hat, in den Schnee, der Blitz hat zwischen ihnen eingeschlagen, lichterloh schlägt zwischen ihnen beiden das Feuer aus dem Boden. Das Land aber, in dem man so lange gelebt hat, prägt nun einmal den Mann – es gibt im roten Prack ein Stück Rußland, ein Stück Asien, ein Stück Tatarentum, anders denn als Tatar kann der rote Prack jetzt, wo man seine wunde Stelle berührt hat, nicht reagieren. Und der rote Prack bückt sich nach dem Becher, gießt, daß der Wein ihm über die Finger fließt, mit zitternder Hand übervoll, will dem andern den Becher aufnötigen . . .

»Trink, sag ich dir«, schreit der rote Prack.

»Nein.«

»Dann zieh'.«

Und der rote Prack hat aus der Scheide den Säbel gerissen, der weiße, vollkommen überrascht, tastet nach der Pistole . . .

»Könnte dir passen! Den Säbel!«

Der Säbel des Weißen hängt an des toten ›Tasso‹ Sattel – das alles, so denkt er, 169 während er zu dem toten Gaul geht, ist Blödsinn, ist Asien, ist Hysterie, ist Indianerspiel mit scharfen Waffen . . .

›Wenn ich dir armen Kerl damit noch einen Gefallen tue‹, denkt der weiße Prack.

›Wenn dir dieses Säbelgefuchtel Erleichterung schafft‹, denkt er und seufzt . . .

Und kommt wieder mit der Waffe. Da geht es los.

Der russische Säbel aber ist gegen die leichtere deutsche Waffe ein Richtschwert, die damit zu entwickelnde Fechtkunst gering, der Hieb kunstlos wie der eines Metzgerbeils . . .

Und im ersten Hieb hat der Rote ihm die Parade durchhauen, in die Stirn fährt es wie ein Blitzschlag, Blut überschwemmt ihm das Gesicht . . .

Er taumelt und stöhnt. Leicht wiegt das bißchen Leben, was nun noch kommt, ist beinahe nur noch Sache des Zufalls . . .

Der russische Armeesäbel ist, wie gesagt, ein Richtschwert, man kann nötigenfalls damit wie der bekannte Schwabenritter im Uhlandgedicht einen Mann durch und durch spalten – man kann damit weder stechen noch ureigentlich fechten, und das weitere ist, wie gesagt, Sache des Zufalls und der blitzschnellen Abwehr . . .

170 Dem roten Prack aber ist der Säbel nach jenem Metzgerhieb in den Schnee gefahren, nun hebt er ihn, brüllt wie ein sieghafter Barbar, hebt ihn himmelhoch zu einer zweiten fürchterlichen Prim und gibt damit die ganze Front frei, der Weiße – vielleicht in Auflehnung gegen dieses Gebrüll, vielleicht in einem Rest Selbsterhaltung – nützt den Augenblick . . .

Hebt den leichten Dragonerdegen, stößt zu . . .

»Sinngemäß unterscheidet man, wie beim Lanzenstechen, passive und aktive Stiche. Der aktive Stich wird durch kräftiges Strecken und gleichzeitiges Steifmachen des rechten Armes unter Hineinlegen des Oberkörpers in den Stich gegen den Leib des Gegners da, wo er sich eine Blöße gibt, ausgeführt.«

Das steht in der Vorschrift über die kavalleristischen Dienstzweige, Absatz zwei, Ziffer fünf . . . hundertmal hat man darüber instruiert . . . lächerlich, was einem alles durch das Hirn fährt, wenn der Knochenmann nahe ist . . .

Der weiße Prack also sticht zu. Der andere mit seinem Gebrüll läuft ihm in die Waffe. Das Brüllen verstummt. Der Arm mit dem erhobenen Sarras sinkt . . .

171 »Nach ausgeführtem Stich geht man so schnell wie möglich in die Auslage zurück. Bei den Deckungen muß man stets bemüht sein, den feindlichen Hieb oder Stich mit dem Teil der eigenen Klinge aufzufangen, der sich dicht am Korb befindet.«

Man braucht nicht mehr darum bemüht zu sein, man braucht keine Deckung mehr. Der Riese da drüben knickt in die Knie. Fällt und liegt. Hast's ja nicht anders gewollt, armer Kerl.

Der weiße Prack wirft die Waffe fort, der Schädel dröhnt, Blut rieselt über Gesicht und Waffenrock . . . man sieht vermutlich wie ein Lustmord aus . . .

Schadet nichts. Ist ja nun gleichgültig. Man ist benommen von dem fürchterlichen Hieb, man taumelt und knickt in die Knie, man kriecht zu dem Sterbenden.

Der rote Prack röchelt, tut die Augen auf, erkennt den Gegner, die Lippen bewegen sich. »Durst . . .«

Jawohl, Durst, sehr begreiflich. Der Brunnen dürfte wohl gefroren sein, man wäre wohl auch zu schwach, ihn zu handhaben, man hat nur die Flasche mit dem Restchen Wein. Chambertin, ehrlich gestohlen, frère cochon, immerhin . . .

172 Er führt den Becher an die Lippen des Sterbenden, es läuft viel vorbei, es mögen nur ein paar armselige Tropfen den Mund erreichen . . .

»Kalt . . . kalt.«

Jawohl, kalt. Wird bald einer kommen, der dich mit noch kälterer Hand anfaßt, armer Vetter von der kaiserlichen Garde à cheval, indessen tun wir, was wir können. Und der weiße Prack kriecht zu seinem Mantel, den er abgeworfen hat, deckt ihn über den Todwunden . . .

So gut es eben geht. Ist eigentlich nicht mehr nötig. Der Herr Vetter ist tot.

Der Herr Vetter ist tot, das Spiel ist aus, es war wohl unerträglich, daß zwei solche Kerle nebeneinander durch Gottes Welt liefen, Herr Vetter! Inzwischen bricht an der Scheune ein großer, brennender Balken mit sprühenden Funken dicht bei ihnen nieder, es ist wohl besser, daß man sich ein wenig entfernt . . .

Und der weiße Prack, tödliche Mattigkeit in den Gliedern, kriecht ein paar Meter seitwärts, stößt auf den abgeworfenen Reitermantel des anderen, schleppt sich noch ein paar Schritt, kann aber nun nicht weiter . . .

Fühlt – das ist wohl der Blutverlust – eine eisige Kälte, die langsam in seine Glieder schleicht, wickelt sich so gut es geht in den 173 warmen Filzmantel und liegt. Dicht bei der Hundehütte mit dem erschossenen Köter. Da liegt er. Die Flammen wärmen wenigstens die eine Seite – sich umzudrehn, ist man freilich zu schwach.

Es kommt ein Zustand, der weder als Schlaf noch als Wachsein bezeichnet werden kann – vielleicht ein wenig beginnendes Fieber, sicher die Folge des Blutverlustes. Eigentlich ein friedlicher, keineswegs unangenehmer Zustand, in dem man alles sieht, alles hört, ohne teil daran zu haben.

Schüsse prasseln in der Nähe, ein Reiter jagt über den Hof, dann noch zwei, dann wieder ein einzelner Reiter. Verschwunden . . . klabaster, klabaster verklingt in der Nacht der Galopp, Gott mag wissen, ob es Freund oder Feind war . . .

Ist ja auch gleichgültig.

Man liegt mit offenem Auge. Die brennende Scheune, zuletzt nur noch ein flammendes Balkenskelett, bricht zusammen, Funken fahren hoch empor zum Himmel, vom toten Vetter ist nichts mehr zu sehen – möglich, daß er unter den schwelenden Balken begraben liegt.

Ist ja auch ganz gleichgültig. Der Brand verglimmt, es kommt die bitterliche Kälte. Es 174 kommt der Schüttelfrost des nun wirklich beginnenden Fiebers. Es kommt jemand mit einer Taschenlampe, man wird beleuchtet, umgedreht, emporgehoben.

Das aber vermerkt man kaum mehr. Roter, roter Schlaf ist über den weißen Prack gekommen. 175

 


 


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