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Plünderung und Meuterei

Zeugen der Flibustiertage. – Wie Morgan de Graff überlistete. – Das erste Opfer. – Die Plünderung. – Doppelt gestohlenes Gut. – Auf dem Blutgerüst. – Hilfe zur rechten Zeit. – Der Meuchelmörder. – Der Straßenkampf. – In der Domgruft. – Ein neuer Betrug Morgans. – Der Brand der Flibustierflotte.

 

Wer heute, von der Westküste Südamerikas kommend, Panama berührt und sich von dem Landungsplatz der peruanischen Dampfer nach dem großen amerikanischen Hotel am Bahnhof fahren läßt, kommt wohl an jenem merkwürdigen Gemäuer vorbei, das seltsam genug absticht von den Riesenbauten der staubigen Kanalanlagen: eine mächtige Mauer, wie das Skelett eines vorsintflutlichen Tieres die kleinen Hütten daneben überragend, weite Löcher darinnen, die dennoch hie und da die Umrisse ehemaliger Spitzbogen erkennen lassen. Und lange Rußzungen schwärzen das alte Gemäuer, eingebrannt in den verwitterten Mörtel, noch heute das Zeichen der Feuersbrunst, die hier vor fast 250 Jahren wütete. Morgans Scharen legten am 27. Januar 1671 diesen Brand an das alte Franziskanerkloster, und die Spuren dieser längst vergangenen, im Lärm der Neuzeit vergessenen Tage sind bis auf heute noch von keinem Sturzregen dieser Tropenstadt getilgt worden.

Morgans Scharen sind es gewesen, die die Mönche dieses Klosters in Säcken ertränkten. Und Morgan war es, der den berühmten silbernen Altar der Klosterkirche raubte, diesen achthundert Pfund schweren, mit Edelsteinen besetzten Altar, ein Werk, das einst in des Michelangelos Werkstatt von dessen Schülern getrieben worden war. Ach, es ist nur Trauriges zu berichten von jenen Tagen; heute noch zeigt man dem Reisenden die Beinhäuser, darin man die Knochen jener aufbewahrt, die diesem blutigen Januar zum Opfer fielen.

Sofort nach der Eroberung von Sarmiento hatten sich Morgans Scharen wie ein Heuschreckenschwarm über die Ebene ergossen, die die Stadt von dem erstürmten Fort trennte. Er selbst aber hatte, gleich nachdem er den Hof des Werkes betreten, besondere und merkwürdige Maßregeln getroffen. Mit eigener Hand hatte er die Flibustierflagge auf dem Walle niedergerissen und sie wieder mit der spanischen vertauscht. Er ließ Leute zurück, die von Zeit zu Zeit Gewehrsalven abfeuerten, er sorgte dafür, daß der Schlachtenlärm noch andauerte, als die Kämpfer längst niedergehauen waren und der größte Teil seiner Leute sich bereits auf den Weg nach der Stadt gemacht hatte. Er bemühte sich mit einem Wort, den Eindruck zu erhalten, als wenn um das Fort noch gekämpft würde, und machte sich erst dann selbst nach der Stadt auf, als er sah, daß die hier zurückgelassenen Leute seine Absichten wohl zu verwirklichen wußten.

Mit den beiden Brüdern schien übrigens der Unmensch seine besonderen Absichten zu haben; er ließ sie gefesselt wie gemeine Verbrecher in ihren zerlumpten Kleidern vor sich her der Stadt zutreiben. So kam es denn, daß sie Zeugen der Greuel wurden, die hier geschahen.

Morgans erste Maßnahme, die er schon beim Betreten der Vorstadt anordnete, war die Besetzung des nach dem Hafen zu gelegenen Tores mit starken Wachen. Georg, der seinen noch immer zu Tode ermatteten Bruder stützte, durchschaute diesen habgierigen Menschen wohl; er hatte de Graff glauben gemacht, daß um Sarmiento noch gekämpft werde, nur um einen Vorsprung an Zeit beim Plündern zu haben. Er ließ jetzt die Tore besetzen, um den Kommodore, wenn es sein mußte, mit Gewalt am Betreten der Stadt zu hindern. Georg hatte nach seinem mißglückten Fluchtversuch am Tage vorher bei der Plünderung des eingeäscherten Klosters die wüsten Drohreden Morgans und seiner Offiziere wohl verstanden. Man wollte es diesmal zur offenen Meuterei kommen lassen, wenn de Graff die Plünderer nicht nach Gutdünken schalten und walten ließ. Man wollte den Raub nicht mit den Leuten vom »Egmont« und »Ulenspeegel« teilen, und man wollte den offenen Zwist sogar dazu benützen, die unbequeme Herrschaft des Holländers ein für allemal von sich abzuschütteln.

Es war unsäglich heiß geworden, und am Horizont standen schwarze Wolken, die Vorboten der beginnenden Regenzeit. Menschenleer schienen die Straßen, verriegelt waren die Fensterläden der Häuser. Wie eine Totenstadt lag die eben noch so belebte Siedlung da. Etwas Brütendes, bedrückend Unheimliches lastete auf diesem ganzen Bild, wie die Vorahnung von etwas Ungeheuerlichem, das sich hier vorbereitete. Es war denn auch den beiden Brüdern nicht entgangen, daß die Flibustier zunächst mit einer gewissen Scheu die ausgestorbene Stadt betraten. Auch wollten die Gerüchte von dem Anmarsch des Statthalters von San Miguel noch immer nicht verstummen, und Morgan unterließ es nicht, auch in den östlich von der Stadt gelegenen Bergen Posten auszustellen.

Menschenleer, kreideweiß in der entsetzlich stechenden Sonne, lag die Calle blanca, auf der die Flibustier sich der Stadtmitte näherten, vor ihnen. Nur ein flüchtiger Schatten huschte die weißen Wände der Häuser entlang. Ein Mönch in der Kutte der Franziskaner war es, der sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte und nun von den ersten Plänklern Morgans aufgescheucht worden war. In jämmerlichen Sätzen suchte der unbeholfene, wohlbeleibte Mensch zu entkommen, und schaurig gellte sein Angstgeschrei an den Häuserfronten der menschenleeren Straßen wider, bis er endlich ergriffen und vor Morgan geschleppt wurde. Vergebens warf er sich vor dem Wüterich zu Boden, vergebens umklammerte er in kläglicher Angst die Knie des Unholdes. Der nestelte ganz gemächlich, als wollte er sich an den Qualen seines Opfers weiden, die Pistole vom Gürtel los und erhob langsam die Waffe. Der Schuß durchschnitt wie ein Peitschenschlag die atemraubende Stille. Über den zuckenden Leichnam hinweg schob sich die Rotte vorwärts.

Es war, als habe diese feige Bluttat die seltsame Scheu gebrochen, die diese Unmenschen zunächst beim Betreten der Stadt gelähmt hatte. Mit wüstem Johlen lösten sich jetzt die einzelnen Trupps auf, Axthiebe donnerten gegen die geschlossenen Fensterläden, und in Stücke flogen die Haustore aus kostbarem, geschnitztem Holz. Und siehe, nun wurde es auch offenbar, wo die Bewohner dieser so plötzlich verödeten Stadt geblieben waren. Jammergeschrei drang jetzt aus dem Innern der Häuser, aus den Kellern, wo sich die armen Menschen versteckt hatten und nun erbarmungslos den Pistolen und Enterbeilen geopfert wurden. Wo es aber einem dieser hochmütigen spanischen Beamten, einer verwöhnten Kaufmannsfrau gelang, an den Eindringenden vorüber noch rechtzeitig die Straße zu gewinnen, da wurden sie sofort von harten Fäusten ergriffen und vor Morgan geschleppt, der wie der Dämon dieser Hölle auf dem Platz vor der Kathedrale stand und das Plündern leitete.

Wer heute durch die Calle blanca von Panama der Japaner- und Chinesenstadt zugeht, wo die Gelben als geschäftsgewandte Handelsleute ihrer fernen asiatischen Heimat die Herrschaft über den Panamakanal der Nordamerikaner sichern helfen, wer sie heute durchwandert, diese heiße, lebensfrohe Stadt, der stößt sehr bald auf eine hohe, weiße Kathedrale mit spitzem Turm, einen der wenigen noch erhaltenen Zeugen jenes blutigen Tages. Weite Anlagen umgeben sie heute, und nichts erinnert mehr an die Blutbäche, die einst die dürre Erde dieses Platzes getrunken. Hier an dieser Stelle hatte Morgan halt gemacht, und so ist denn diese Kirche Zeugin geworden aller jener Szenen, von denen noch zu berichten ist.

Hinter Morgan, bei dem auch die beiden Brüder ihres Schicksals harrten, wurden die Unglücklichen, die man aus ihren Verstecken aufgescheucht hatte, wie eine Viehherde zusammengetrieben. Unmittelbar vor Morgan aber schlugen die Zimmerleute aus zusammengerafften Balken ein Gerüst zusammen. Der Block, der darauf gestellt wurde, Morgans Profos, der mit aufgekrempelten roten Ärmeln und dem Richtschwert daneben lehnte: die beiden Brüder Owelglas wußten wohl, welches Schicksal sie selbst mit allen diesen unglücklichen Gefangenen zu erwarten hatten, wenn de Graff nicht rechtzeitig in der Stadt eintraf.

Mit beispielloser Eile vollzog sich inzwischen die Plünderung der Stadt. Ganze Berge von Goldbarren, für die königliche Münze in Madrid bestimmt, wurden wie Ziegelsteine aufgetürmt. Monstranzen aus den Kirchen, Weihkessel, kunstvoll geschmiedete Goldgeräte aus den Häusern, – es begann in der hellen Sonne zu gleißen und zu schimmern, als hätte der Teufel alle irdischen Reichtümer auf diesem Schauplatz jedweden menschlichen Jammers zusammengetragen. Es war ja fast wertlos hier in dieser Stadt wegen seiner ungeheuren Fülle, dieses an andern Orten so begehrte Metall, das damals in den Kordilleren dieser Zonen noch fast frei zu Tage lag. Es hatte die Stadt zu einer Sorglosigkeit und einer Üppigkeit verführt, die sie jetzt zu büßen hatte.

Erstaunt sahen auch die beiden Brüder auf die immer höher sich türmenden Schätze. Da brachte man sogar Teller von gediegenem Gold, jeder wohl ein Pfund schwer. Statuetten wurden gebracht, von europäischer Künstlerhand geformt, Leuchter und Türgriffe sogar, alles aus diesem gelben, blinkenden Metall. Georg sah, wie die Augen der Umstehenden immer begehrlicher blitzten bei dieser unerhörten Fülle.

»Alles hierher! Alles auf diesen Haufen!« wies Morgan die Träger der goldenen Lasten an. »Wir verteilen später alles nach Flibustierrecht.«

Er versicherte das zwar immer wieder, aber Georg entging es nicht, daß er dazwischen insgeheim mit einem seiner Offiziere unterhandelte, und daß dieser Mensch von Zeit zu Zeit, wenn es die Umstehenden nicht sahen, einen Goldbarren nach dem andern beiseitetrug. Hinten bei der Kirchenapsis warteten Leute mit großen Säcken und verschwanden mit ihrer goldenen Last in den engen, einsamen Gassen, die zum Hafen führten.

Die Schwüle war inzwischen unerträglich geworden; immer höher schob sich am westlichen Horizont die Wolkenbank, und ab und zu, wenn das Johlen der Plündernden für Augenblicke schwieg, grollte wohl auch schon leiser Donner herüber, als künde sich ein furchtbares Strafgericht an. Wüster und wüster wurde der Lärm in der weiten Stadt. Betrunken, blutrot unterlaufen die Augen, wankten die Leute heran, und bald verriet eine schwarze, im Westen aufsteigende Rauchwolke, was sich inzwischen ereignet hatte: sie hatten das dort liegende Franziskanerkloster erstürmt, die Weinkeller mit ihren Vorräten geplündert und das Gebäude in Brand gesteckt. Den einzelnen Leuten, die zunächst aus jener Gegend neuer Greuel kamen, folgte jetzt ein wüster Zug schreiender, trunkener Menschen, die sich die Köpfe erschlagener Mönche auf Piken vorantragen ließen.

Morgan geriet in helle Wut, als er den Brand entdeckt hatte. »Sie locken mir mit dieser Brandwolke de Graff hierher!« sagte er halblaut zu dem Offizier, der in seinem Auftrag das Gold beiseiteschaffte. »Betrunkene Bande!« schrie er dann die Leute an. »Wer erlaubte euch, Feuer in der Stadt zu legen?« Die Narbe, die das Gesicht dieses Wüterichs so schrecklich entstellte, glühte blutrot, und der ganze riesenstarke Leib erbebte vor Zorn. Dem ihm zunächst Stehenden der Plünderer entriß er das Weihgefäß, das er in der Hand gehalten hatte, und schleuderte es dem Mann ins Gesicht, daß der Getroffene schreiend die Hände vor die blutende Stirne hielt. Eine unheimliche Stille entstand plötzlich, in die wiederum, stärker diesmal, der Donner des rasch aufsteigenden Wetters grollte.

Die Leute zogen finstere Mienen und begannen bei dieser Mißhandlung ihres Kameraden zu murren. Die Hände fuhren plötzlich an die Entersäbel und die ganze Schar begann Morgan drohend näherzukommen. »Er hat Gold für sich beiseitegeschafft, wir haben es wohl gesehen!« rief plötzlich eine Stimme aus dem Haufen. »Er will das beste Teil für sich und wagt es, sich an uns zu vergreifen!« schrie ein anderer.

Aber in die Stille, die diesen Worten folgte, krachten plötzlich Flintenschüsse. Ein vom hastigen Lauf erschöpfter Mensch der beim Tor zurückgelassenen Wache drängte sich durch die Reihen der Murrenden. »Der Kommodore ist unterwegs, er greift das Tor an! Wir haben es verrammelt nach Eurem Befehl. Lange können wir es nicht halten.«

Morgan war aus seiner peinlichen Lage erlöst. »Wollt ihr das Gold hier mit den andern teilen? Denkt an die, die im Sumpf versunken sind, denkt an die andern, die vor Sarmiento liegen! Ihr habt geblutet, als die vom ›Egmont‹ auf ihren Schiffen saßen. Euch allein steht die Beute von rechtswegen zu! Ich sage euch jetzt: Nieder mit de Graff, der euch euer altes Flibustierrecht nicht gönnen will! Jetzt ist der Augenblick da, diesen Verräter, der die Spanier schont, weil er mit ihnen im Bunde ist, zu strafen. Oder wollt ihr euch das alles hier fortnehmen lassen?«

Mit weithin schallender Stimme hatte er diese Worte gesprochen und wies auf die Schätze zu seinen Füßen. Da war plötzlich die Stimmung dieser trunkenen Menschen umgeschlagen. Alle jene Gelegenheiten, bei denen de Graff sie an irgend einer Grausamkeit gehindert hatte, wie damals an Bord der »Santa Maria«, alle diese Beweise des scheinbaren Einverständnisses mit den Spaniern tauchten wieder vor ihnen auf. Der Gedanke an das Gold vollends, das nach Flibustierrecht auch an die Leute vom »Egmont« und vom »Ulenspeegel« hätte verteilt werden müssen, gab den Ausschlag. »Nieder mit de Graff!« heulte es über den Platz, zu dem der stärker werdende Gefechtslärm vom Tor herüberschallte. Im Nu ordneten sich wieder die trunkenen Scharen, im Laufschritt eilten einige Piketts Feldwache, Vorposten., von Offizieren geführt, dorthin, um de Graff den Zutritt zur Stadt so lange wie möglich streitig zu machen.

Triumphierend stand Morgan da, triumphierend sah dieser Mann, wie mit einem Schlage die lange Wühlarbeit, mit der er seine Leute gegen de Graff aufgehetzt hatte, endlich zur offenen Meuterei geworden war. »Flibustier!« rief er noch einmal über den Platz, auf die gefangenen Spanier weisend, die hinter ihm in dumpfer Ergebenheit ihr Schicksal erwarteten, »Flibustier, ihr habt heute mehr als zweihundert eurer Kameraden verloren! Sollen diese hier am Leben bleiben, um deretwillen die Kanonen dieser Stadt auf euch abgefeuert wurden? Oder wollt ihr wieder alte Flibustiersitte zu Ehren bringen und alles töten, was spanisch ist?«

»Ja, das wollen wir! Tod den Spaniern!« heulte es aus Hunderten von Kehlen über den Platz. Aber das Stimmengewirr wurde jäh unterbrochen durch den ersten grüngelben Blitz des Gewitters. Ein Wind fuhr über den Platz, der nun nicht mehr von der Sonne beschienen wurde, und in das fahle Licht krachte der erste starke Donner. Betroffen schwieg alles, ängstlich zum Himmel schauend, der so warnend seine Stimme erhoben hatte.

Morgan, der wohl wußte, wie rasch die Stimmung dieser erregten Massen von neuem umschlagen konnte, war auch diesem unvorhergesehenen Zwischenfall gewachsen. Auf seinen Wink ergriffen zwei seiner Offiziere die beiden Brüder Owelglas, die bisher, besonders scharf bewacht und getrennt voneinander, hinter ihm gestanden hatten. Mit unsäglichem Haß ruhten Morgans Augen auf den beiden Schützlingen de Graffs. »Kameraden!« begann er wieder, »hier stehen zwei Erzschelme und Verräter, die Gäste auf unseren Schiffen waren. Wißt ihr, wer sie sind? Die Neffen des Gouverneurs dieser Stadt, Spione der Spanier, die de Graff beschützt hat, weil er selbst ein Verräter ist. Diesen hier« – er wies auf Justus – »habt ihr heute selbst unter unseren Feinden mit der Waffe in der Hand gesehen. Wollt ihr, daß sie weiterhin in eurer Mitte als Verräter leben, oder sollen sie sterben, wie Verräter es verdienen?«

»Sterben sollen sie«, heulte die wütende Menge, »sterben sollen die Deutschen! Wir wollen ihre Köpfe auf unseren Piken sehen!«

»Dann übergebe ich«, schrie Morgan, und seine Augen flammten in wildem Blutdurst auf, »dann übergebe ich sie alle, die hier stehen, dem Henker. Vorwärts, Profose! Und die beiden Deutschen zuerst!«

Lange genug hatten die Henker mit den leuchtend roten Baretten auf dem Kopf, gewartet. Sie waren längst fertig mit dem Blutgerüst für die verhaßten Spanier und zählten ungeduldig die zitternden Menschen dort unten vor dem Kirchenportal. Stand ihnen doch nach altem Flibustierrecht für jeden Kopf der besondere Lohn von zehn Goldpiastern zu.

Georg war der Erste, den sie ergriffen. Und es dauerte nicht lange, da stand er oben, und rohe Fäuste hatten ihm Rock und Hemd vom Leibe gerissen. Da stand der Richtblock, und da blitzte das Henkerschwert, und einen Augenblick würgte ihm unsägliches Grauen die Kehle. Aber er hatte sich vorgenommen, zu fechten für sein junges Leben bis zur letzten Sekunde; er war fest entschlossen, keine List unversucht zu lassen. Und das Glück war ihm denn auch günstig, wie es dem Mutigen und Unverzagten am Ende immer günstig ist.

Noch ehe die Henker ihn von neuem ergriffen hatten, um ihn auf den Block zu werfen, krachte wieder der Donner, schrecklicher noch als das erstemal, und schwere Tropfen fielen auf die glühenden Steine des Platzes. Gleichzeitig aber machte eine eigentümliche Erscheinung die Anwesenden stutzig; es war, als liefe eine Welle, wie auf dem Wasser, über den festen Boden. Es war, als schwankten sogar alle festen Dinge ringsum, Gebäude und Steinmauern und des Königs Standbild vor der Kirche. Und wirklich polterten ein paar gelockerte Steine oben von den Wasserspeiern des Kirchendaches herab. –

Ein Erdstoß unter dem vulkanischen Boden von Mittelamerika ist so ganz und gar keine Seltenheit. Er ist fast mit jedem starken Gewitter verbunden; kein Einheimischer schenkt ihm noch besondere Beachtung, und fast jeder, der ein paar Wochen sich in jenen Strichen umhertreibt, lernt ihn kennen. Er ist eine Erscheinung, die nun einmal mit der wunderlichen Natur dort eng verbunden ist, und die einzigen, die sich Gedanken darüber machen, sind die amerikanischen Ingenieure des Panamakanals, denen bei dieser Gelegenheit oft genug ein Erdrutsch das mühsam ausgebaggerte Kanalbett für Wochen wieder verschüttet. Aber wenn die Flibustier, die an diesem denkwürdigen Januartag des Jahres 1671 auf der Plazza von Panama Verräterblut fließen lassen wollten, wenn sie auch allesamt in Tortuga oder in einem ihrer sonstigen Schlupfwinkel ein solches Naturereignis erlebt haben mochten, – es ist doch immer ein seltsam Ding, in solchen Stunden höchster Erregung auch die gute, alte, festgegründete Erde wanken zu sehen. So geschah es denn, daß auch die Henker für einen Augenblick verwirrt von den Verurteilten abließen, und daß die höhnenden Zurufe der Umstehenden verstummten. Und dieses Schweigen, in das immer stärker nun der Lärm des Gefechtes am Westtor herüberschallte, benützte dieser Georg von Owelglas, der zwar schmächtig und schlank von Wuchs war, aber an Geistesgegenwart den stärkeren Bruder doch wohl übertraf.

Er reckte sich empor, und gewaltig schallte seine Stimme über den Platz, daß auch die entfernt Stehenden jedes Wort vernahmen: »Flibustier! Ihr nennt mich einen Verräter. Aber der da – er wies auf den verblüfft dastehenden Morgan – der da ist ein Dieb an eurer Beute. Seht dorthin!« Er wies nach dem Chor der Kirche, wo eben wieder die Leute von vorher mit ein paar Säcken sich hatten fortstehlen wollen, die der Vertraute Morgans noch vor der Verurteilung der beiden Brüder hatte beiseiteschaffen wollen.

»Morgan ist ein Dieb«, schrie Georg noch einmal, so laut er konnte; »öffnet die Säcke und seht selbst nach!«

Es war nun einmal die stärkste Feder für das Handeln und Fühlen dieser Menschen, der Gedanke an das gleißende Gold da vor ihnen. Und wie er sie eben noch zur Meuterei gegen de Graff verführt hatte, so bestimmte er sie jetzt sofort zum Mißtrauen gegen ihren eigenen Führer. Zu spät hatte sich Morgan diesmal von seinem Erstaunen erholt, zu spät hatte er dem neben ihm stehenden Tambour befohlen, durch einen Trommelwirbel die Worte des Verurteilten zu übertönen. Zu spät – der Golddurst hatte sie alle berauscht, diese wilden Menschen. Die Henker selbst sprangen den Dieben nach, die mit ihrer Goldlast vergeblich zu entkommen suchten, und ein Wutgeheul erhob sich, als das doppelt gestohlene Gut in den Säcken zutage kam. Und wer weiß, was vielleicht schon in dieser Stunde geschehen wäre, wenn nicht ein neues, unerwartetes Ereignis die Verwirrung aufs äußerste gesteigert hätte.

Schreiende, waffenlose Menschen kamen die Straße entlang gelaufen, Verwundete wankten heran, Flüche und Schreie mischten sich in den Donner, und Flintenschüsse, in allernächster Nähe abgefeuert, krachten dazwischen. Geschrei und Verwirrung allenthalben. »De Graff kommt!« schrie es von einer Seite. »Die Spanier überfallen uns!« heulte es auf der andern, bis strahlend und sieghaft in diesem wüsten Lärm wiederum jene helle Trompetenfanfare schmetterte, die Georg von Owelglas schon einmal die Rettung aus schwerer Not angekündigt hatte.

Da kam er, der freundliche, ritterliche Mann, der Hüter von Ordnung und Menschlichkeit unter dieser wüsten Schar, und den beiden Brüdern schien es, als hätten sie ihn noch nie so stattlich und ehrfurchtgebietend gesehen, wie in diesem Augenblick. Aufrecht war sein Gang, als er, Lussan zur Seite, gefolgt von den wohlgeordneten Reihen seiner Leute, den Schauplatz dieser wüsten Auftritte betrat. Ein Blick auf die armen, zitternden Verurteilten, und schon wurden den Spaniern von scharfen Messern die Fesseln durchschnitten. Er aber wehrte den Dank der Leute ab, die auf die Knie gefallen waren. Er schritt zum Kirchenportal hinauf, auf der obersten Stufe stehenbleibend, mit seinem zorngeröteten und in diesem Augenblick jugendlich erscheinenden Angesicht einem rächenden Cherub gleichend.

»Wo ist Morgan?« Die Stimme klang stahlhart und drohend, als er nach dem Übeltäter fragte.

»Hier, du Natter!« Ein rasender Mensch, eine plumpe, untersetzte Gestalt mit einem Stiernacken, war auf dem Haufen der plötzlich verstummten Plünderer hervorgesprungen, hatte die Treppe zum Portal mit ein paar Sätzen genommen und die um den Kommodore gescharte Wache durchbrochen. Ein Dolch blitzte durch die Luft, und schweigend, weit die Arme ausbreitend, sank de Graff zusammen. Morgan war es, der, keuchend vor Wut, den blutigen Dolch noch immer in der Hand, zu seinen vor Schreck erstarrten Leuten zurücktrat. Über die weißen Marmorstufen rann langsam ein feiner Bach des edlen Blutes, das der Mörder vergossen hatte.

Schnell, wie das Erscheinen des Kommodores die Ordnung wiederhergestellt hatte, schnell wurde alles abermals zum schreienden Durcheinander. Totenblaß, den Degen in der Faust, war nach einer Weile grenzenlosen Schreckens Lussan auf Morgan zugeeilt. Der erkannte den Rächer und verlor sich blitzschnell in den dichtgedrängten Massen seiner Leute. Aber die Leute vom »Egmont« folgten nun willig dem jungen Adjutanten des Ermordeten, der mit ihnen sich kurz zuvor den Zutritt zu der Stadt erzwungen hatte. Da war keiner, der nicht den Tod seines edelmütigen und tapferen Herrn rächen wollte. Morgans Anhänger aber, die plötzlich die blitzenden Piken und Gewehrläufe auf sich gerichtet sahen, ließen die Entersäbel aus der Scheide fliegen. Sie wußten, daß an ihnen diese Erbitterten den Tod des Führers rächen wollten. Vergessen war der Diebstahl Morgans, vergessen für den Augenblick auch der Gedanke an das Gold zu ihren Füßen: die Musketen flogen an die Schulter. Salven krachten von beiden Seiten, und gellende Todesschreie hallten über den Platz. Blutlachen flossen über das geraubte Gold, und Todwunde krochen wimmernd in den Schutz des Gotteshauses. Auch das Unwetter, das nun mit der unerhörten Wildheit der Tropengewitter über der geplünderten Stadt sich entlud, machte dem Morden kein Ende. Der Regen verdampfte auf den heißen Steinen zu weißlichem Nebel, und in diesem Dampf, selbst in der Abenddämmerung dieses Tages noch, sprangen die Wütenden sich an wie verbissen kämpfende Hunde. Die Dunkelheit kam, und keiner konnte bei der Gleichheit der Tracht Freund und Feind unterscheiden. Das Morden hatte die Geister hüben und drüben verwirrt, und die Sterne, die am Himmel dieser blutigen Januarnacht standen, schienen auf Haufen von Toten herab.

Über der geplünderten Stadt kreisten beutegierig nackthalsige Aasgeier.

Die Brüder Owelglas sahen das alles nur noch wie im Traum. Was ging sie nun das Wohl und Wehe dieser Flibustier, was die Frage an, ob gar noch die Spanier von San Miguel sich in dieses entsetzliche Morden mischen würden? Der Mann, an dem ihr Herz hing, der ihnen noch in der Todesstunde Gutes erwiesen hatte, er lag da auf der weißen Marmorschwelle, und sein gebrochenes Auge sah nun nichts mehr von dem Kampf um die Macht und um die verruchte Goldbeute.

Gleich nach de Graffs Fall waren die Brüder zu dem Sterbenden geeilt, und vergebens hatte Georg versucht, mit der Seidenschärpe des Todwunden den Blutstrom der Dolchwunde zu stillen. Er hatte kaum den Verscheidenden in seine Arme genommen, da murmelten die blassen Lippen noch ein paar unverständliche Worte, und der kaum noch zu fühlende Herzschlag setzte für immer aus.

Inzwischen war dann der Kampf auf dem Platz entbrannt. Niemand hatte sich bei dem allgemeinen Tumult um den toten Kommodore gekümmert, und nur einmal, als Lussans Leute von dem Platz weichen mußten, näherte sich einer der verkommenen Menschen dem Toten, wohl um ihm die Taschen zu leeren und ihm den kostbaren Wappenring vom Finger zu ziehen. Da hatte Justus dem Toten den Degen aus der starren Hand gewunden und verscheuchte den Räuber. Aber immer und immer wieder tauchte in der nächsten Stunde, in der Morgans Scharen den Platz und die Beute zu behaupten schienen, beutegieriges Gesindel bei dem Portal auf.

»Kommt, Herr, wir wollen Euren Toten bergen!« In geläufigem Spanisch hatte eine freundliche Männerstimme Georg also angeredet. Es war ein Priester, ein hochgewachsener, ernster Mann, der unter den von Morgan Verurteilten gewesen und ebenfalls durch das Erscheinen de Graffs befreit worden war. Nun schritt er den beiden Brüdern voran, die den Toten sanft auf ihren Armen trugen. Der Priester hatte das Portal geöffnet, und in dem hohen, dämmrigen Dom bargen sie den geliebten Leichnam. An den steinernen Grabmälern der ehemaligen Gouverneure, der Patriziergeschlechter dieser reichen Stadt vorbei tragen sie ihn, nachdem der Priester sorgfältig die schwere Bronzetüre hinter ihnen geschlossen hatte.

Aber noch ehe sie den Leichnam auf dem roten Samt der Altarstufe gebettet hatten, donnerten draußen schwere Schläge gegen die Tür. »Aufgemacht!« brüllte eine wüste Stimme, und wieder polterten Axthiebe gegen die schweren Türflügel, daß Gewölbe und Chor erdröhnten.

»Hierher! Rasch!« Der Priester sprang zur Seite und öffnete eine Gittertür in der Seitenwand. Über eine schmale, steinerne Wendeltreppe, die dort in die Tiefe führte, folgten die beiden Deutschen dem Voranschreitenden in das fast dunkle und nur durch kleine, auf den Platz führende Fenster ein wenig erhellte unterirdische Gewölbe der Kirche. Sarg stand dort bei Sarg, reiche Marmorschreine der hier ansässigen reichen italienischen Kaufleute und die niederen, düsteren Totenladen der Spanier. Stumm legten in diesem Reich der Gewesenen die Brüder den Leichnam auf den Steinboden. Über ihnen dröhnten Schritte auf den Marmorfliesen des Domes, und scheltende Stimmen fluchten durch den heiligen Raum.

»Laßt nur«, sagte der Priester freundlich lächelnd, »hier suchen sie uns nicht!« – Bereit, den Toten noch mit ihrem Leben zu decken, warteten die Brüder am Eingange der Gruft. Aber da verhallte auch schon der Lärm in der Kirche, und sie waren wieder allein mit dem Toten und dem fremden, freundlichen Manne. »Ein gütiger Herr!« sagte er leise und drückte dem Ermordeten die Augen zu, »ein gütiger Herr, der manchem Unschuldigen heute das Leben gerettet hat.« Er nahm die schwere, seidene Decke mit den silbergestickten Totenköpfen, die auf dem nächsten der Prunksärge lag, und breitete sie über den Toten.

Der Lärm draußen war in diesem Augenblick ein wenig abgeebbt. Durch das niedere, nun schon ganz dunkle Gewölbe der Gruft klangen eintönig die Totengebete, die der spanische Priester dem gefallenen Todfeinde seiner Nation las.

Ganz weit schien sich inzwischen der Kampf entfernt zu haben. Offenbar war Morgans Übermacht allzugroß gewesen. Denn nur aus den gegen das Gebirge zu gelegenen Vorstädten hallte der Kampflärm. Es war auch draußen ganz dunkel geworden, und die Brüder, die dieses Treiben so nun so ganz und gar nichts mehr anging, hatten sich, todmüde von diesem Tag, auf die kühlen Fliesen der Gruft ausgestreckt. Justus dachte an die blutigen Kämpfe des Morgens zurück und an des Vaters armen Bruder, der sich so tapfer verteidigt, und der nun, fern vor der Stadt, in dem heißen Sumpf den Todesschlaf schlief.

Er hörte auch Georgs Erzählung, wie man ihn nach seinem mißglückten Fluchtversuch sofort in das Boot Morgans gebracht hatte, der bereits zum Überfall des Klosters unterwegs gewesen war. Es waren schreckliche Szenen, die er mit angesehen hatte, Szenen, die an Roheit womöglich alles überboten, was an Justus' Augen heute vorübergezogen war. Mehr als einmal hatte man ihn selbst mit dem Tode bedroht, bis in Morgans Hirn jener scheußliche Plan gereift war, die Gefangenen allesamt bei dem Sturm in den vordersten Reihen mitzuführen und so den Widerstand der Spanier zu brechen. »Glaube mir«, sagte Georg, »er plante gestern schon mit seinen Offizieren diesen Anschlag gegen de Graff. Ich war zwar gefesselt und lag allzuweit, um alles verstehen zu können. Aber sie schrien so laut in ihrem Rausch, daß ich mir gestern schon alles zusammenreimen konnte, was nun geschehen ist. Übrigens scheint er mir noch nicht zu Ende mit seinen Schurkenplänen. Ich weiß nicht genau, was er vorhat, ich müßte mich aber sehr täuschen, wenn er nicht ...«

»Still«, unterbrach Justus, »ich höre sie wieder!«

Das Gefecht draußen war wieder mit ungewöhnlicher Heftigkeit aufgelebt und näherte sich abermals rasch dem verlassenen Platz. Dann aber schlurften draußen leise Schritte über die Steine, und durch das kleine Gitterfenster der Gruft warf der Mond die Schatten mehrerer Leute auf den Steinboden, die dort vor der Kirche sich hin und her bewegten. Eine alte, morsche Bahre, die in der Gruft stand, als Stütze benützend, stellten sich die beiden Owelglas so, daß sie diese Menschen in ihrem Treiben genau beobachten konnten. Der Mondschein war stark genug, daß sie Morgans Gestalt erkannten, der hier, während die Seinen sich mit Lussans Truppen herumschlugen, mit seinen Helfershelfern sich zu schaffen machte. Es waren wieder Offiziere aus seiner Umgebung, es waren auch die Sackträger, die vorher einen Teil der Goldbarren beiseitegeschafft hatten. Schwer beladen keuchte ein Teil der Leute mit neuer Last von dannen. »Das hier noch!« Es war Morgan, der ein schweres, im Mondschein blitzendes Sakramentshaus einem der Träger aufladen wollte.

»Es wird zu schwer, Herr!« Der Mann wehrte sich gegen die Last.

»Nimm, du Hund, oder ...«

Morgan tastete in nicht mißzuverstehender Weise an die Pistole im Gürtel.

»Fort mit euch, in einer halben Stunde müßt ihr an Bord sein!«

»Aber alles wird doch geteilt, Herr?« fragte der Mann zögernd.

»Alles, sage ich dir; und wenn du jetzt nicht gehst, mache ich dir Beine! – Alles klar zum Ankerlichten?« wandte er sich dann an den ihm zunächst stehenden Offizier, denselben, der vorher die Goldbarren an die anderen Leute ausgeliefert hatte.

»Alles fertig. Wir haben Ebbe und Südwind und sind in einer Stunde außer Sicht.«

»Gut!« antwortete Morgan, der jetzt so nahe dem Gitterfenster stand, daß die Brüder die Scheide seines Entersäbels hätten erreichen können. »Gut denn! Und ›Ulenspeegel‹ und ›Egmont‹?«

»Sind zur Stunde schon in unserer Gewalt! Sie waren nur ganz schwach bemannt und ...« Der Mann unterbrach sich und wies nach dem westlichen Himmel, wo ein schwacher, rötlicher Schein sich mit dem silbernen des Mondes mischte. »Zum Teufel!« fuhr der Offizier, der eben gesprochen, fort, »sie haben zu früh das Feuer angelegt!«

Morgan stampfte wütend mit dem Fuß. »Verflucht, so werden wir entdeckt, bevor wir an Bord sind! Vorwärts, es ist höchste Zeit!« Schnell, wie sie gekommen waren, verlor sich die Schar der verruchten Verschwörer wieder in den nach dem Hafen führenden Gassen.

Starr vor Staunen sahen die beiden Brüder, wie der Feuerschein im Westen stärker und stärker wurde. Unbekümmert um das sich wieder nähernde Gefecht baten sie den Priester, sie die Turmtreppe des Domes hinaufzuführen. Hastig klommen sie die wankenden Holzstiegen hinan. Oben angelangt, sahen sie auf ein Bild, das ihren Verdacht sofort bestätigte. Dort, wo die letzten glimmenden Balken vom Fort Sarmiento durch die Nacht glühten, loderten wie riesige Fackeln die beiden Schiffe auf, taghell das brennende Deck beleuchtend und die Funkengarben der aufflammenden Segel weithin in die stille Nacht sprühend. Weiter rechts aber, im hellen Licht des Brandes der beiden Schiffe, wartete segelbereit ein anderes, ihnen wohlbekanntes; der »Güldene Eber« Morgans nur konnte es sein, bereit, den Treulosen mit dem gestohlenen Beuteanteil seinen übrigen Leuten zu entführen. Gewiß, er war merklich kleiner geworden, dieser gleißende Goldhaufen da zu ihren Füßen, seit Morgan den Platz verlassen hatte.

Sie hatten nicht Zeit, dem schauervollen Spiel der Flammen dort zuzusehen. Zu ihren Füßen toste von neuem die blutige Straßenschlacht. Verirrte Kugeln schlugen zu ihren Füßen in das helle Mörtelwerk des Turmes, und näher und näher heran toste der Lärm des Gefechtes, das sich jetzt offenbar zugunsten Lussans zu entscheiden schien. »Sie kommen!« – »Gnade! Erbarmen!« heulte es zu ihren Füßen auf. Einzelne Flibustier von den übrigen Schiffen Morgans kamen in wildem Jagen die Straße heran, ab und zu an den Häuserecken ihre Musketen auf die Verfolgenden abfeuernd. Auch jetzt, in der Todesnot, hatte das Gold seine Anziehungskraft auf diese Leute noch nicht eingebüßt. Einer nach dem andern stürzte sich auf den Haufen der Beute, raffte zusammen, was er erraffen konnte, und suchte dann das schützende Dunkel der Hafengassen zu erreichen. Nicht wenige wurden noch bei diesem Versuch von einer Kugel erreicht, warfen die Hände in die Höhe und ließen den klirrenden Raub fallen, so daß ihr Blut über Goldspangen und Perlenschnüre floß.

Nur die ersten Flüchtlinge waren es, die sich so beiseite stahlen. Die dichten Massen ihrer Kameraden, die bald darauf den Platz füllten, sahen sich sofort von allen Seiten umstellt. Überall blinkten die Gewehrläufe der Leute Lussans auf, und ein Entkommen von dem Platz war unmöglich. »Wo ist Morgan? Wo sind unsere Offiziere?« heulte es unten auf. Hart von den Leuten Lussans bedrängt, immer enger von dem Musketenfeuer zusammengetrieben, begannen diese verwirrten Menschen nach ihrem Führer zu schreien. Sie konnten freilich das große Linienschiff nicht sehen, das in diesem Augenblick, beladen mit dem größten Teil der Beute, die Bucht verließ. »Verrat!« schrie es unten auf, als der Gesuchte nicht erschien, »Verrat, Gnade!« Hundert Hände streckten sich bittend aus nach den blitzenden Waffen ringsum. Aber die über den Tod des geliebten Führers rasenden Leute vom »Egmont« schienen unerbittlich. In die dicht gedrängten zitternden Massen prasselten die Kugeln der Salven, und reihenweise sanken die blutdürstigen Gesellen nieder, die Freveltaten des Tages grausig büßend. In Strömen trank der Boden dieser gemarterten Stadt in dieser furchtbaren Nacht das Blut.

Eine helle, den Brüdern wohlbekannte Stimme machte endlich dem wilden Morden ein Ende. Lussan war es, der eben, den blutigen Degen in der Faust, den Platz betrat. Die beiden Owelglas eilten die Treppen hinab und fanden den jungen Wallonen gerade vor dem Portal. Die Türen waren weit geöffnet worden, und in das Innere des Gotteshauses wurden jetzt, an den Handgelenken gefesselt, die übriggebliebenen Leute von Morgans Schiffen geführt. »Wo ist de Graffs Leiche?« fragte Lussan, den Degen wieder in die Scheide steckend.

»Dort unten«, sagte Georg, nach der Gruft weisend; »er ist gut geborgen, wir haben ihn bewacht. Aber saht Ihr schon ...?«

Georg führte Lussan, der ihn verständnislos auf diese Frage ansah, die Treppe hinauf, wo ihm denn die riesige Feuersbrunst auf dem Meer die Antwort sagte. Sie war noch gewaltiger geworden, ohne daß die Brüder während des Straßenkampfes es bemerkt hatten. Wohl schienen »Egmont« und »Ulenspeegel« nur noch glimmende, ausgebrannte Wracks. Aber dort, wo Morgans Flotte ein wenig nördlich Anker geworfen hatte, wütete nun ebenfalls ein riesiger Brand. Hatte der mit der Beute Entflohene eine Verfolgung verhindern wollen und auch auf diesen Schiffen noch Feuer angelegt? Hatte der nach dem Gewitter stärker einsetzende Süder den Funkenregen von den zuerst in Brand gesteckten Fahrzeugen hinübergetragen? Nicht weniger als zehn Schiffe, der ganze Rest der Flibustierflotte, stand dort in hellen Flammen.

Der erste Blick überzeugte Lussan, daß an ein Löschen nicht mehr zu denken war. Donnernd entlud sich drüben eins nach dem andern der noch immer geladenen und nun heiß gewordenen Geschütze. Gewaltige Feuerkrater sprangen aus den berstenden Deckplanken auf, wenn das Feuer die Pulverkammern erreichte, und wie riesige Sterbefackeln neigten sich die brennenden Masten auf die rotglühende See hinab, zischend in Dampfwolken den Brand der Segel und Rahen löschend.

Totenblaß sah Lussan auf das jähe Verhängnis, das die gestern noch so furchtbare Streitmacht der Flibustier ereilt hatte. »Zu Ende!« murmelte er und bedeckte das Antlitz mit den Händen. Schweigend sahen die Brüder in die langsam ersterbende Glut. Zu ihren Füßen, auf dem Platze, blitzte im Mondschein das verruchte Gold. In dem Schatten des Chores schliefen die Toten, die diesem furchtbaren Tag zum Opfer gefallen waren.


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