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Der Todeskampf der »Santa Maria«

Im Artilleriefeuer des Feindes. – Das sterbende Spanien. – Versenkte Schätze. – Ein neuer Treffer. – Die Enterung der »Santa Maria«. – Morgan der Flibustierkapitän. – Der Kommodore. – Geborgen.

 

Kein Europäer, der sie heute sieht, mag ihr die große Vergangenheit zutrauen, dieser kleinen Insel Tortuga, die dort irgendwo in der Karaibischen See, wo sie am heißesten ist, dreißig oder vierzig Seemeilen Eine Seemeile = 1853,2 Meter. nördlich von der Negerinsel San Domingo das Dasein kleiner Kolonialinseln führt. Der geschäftige Holländer geht durch die Straßen ihres kleinen Hafenplatzes und wühlt in den Papieren der Schiffe, die er mit Kakao nach Europa befrachtet; und der feiste portugiesische Wechsler läßt sich in seiner Sänfte durch die Mittagsglut tragen und ist auch hier der geschäftsgewandte Mann, dem der Tropenneuling am besten aus dem Wege geht, wenn er seinen Beutel nicht allzusehr erleichtern lassen mag. Und da ist endlich der englische Clerk, dieser ewig gleichgültig erscheinende englische Kommis, der ihnen allen gemeinsam ist, den Häfen zwischen der kanadischen Küste und der Magalhaesstraße, zwischen Singapore und Panama. Kleine, schmierige, mit einem fürchterlichen Grün gestrichene Küstendampfer schleichen die Ufer entlang, und große europäische Schiffe kommen dann und wann und setzen ihre Stückgüter ab. Und hoch ragen über diesem ewig gleichen Spiel die grauen Uferfelsen, auf denen ein englisches Handelshaus, mehr geschäftstüchtig als geschmackvoll, seinen Firmennamen angebracht hat.

Die neue Zeit ist auch über diese kleine Insel gekommen und hat ihr nicht eben viel gelassen von den Erinnerungen an die großen Tage, die sie durchlebte. Und dennoch, wer sich entschließt, sie zu durchstreifen, wer abweicht von den staubigen Straßen, die sie durchziehen, der stößt auf gar seltsame Dinge. Hier sind's nur merkwürdig düstere Ortsnamen: »Die drei toten Brüder« – »Wald der armen Seelen« – »Flibustierklippen«, Namen, die in die nüchterne Gegenwart herüberragen wie in ein einfaches europäisches Arbeitszimmer Urgroßvaters Degen, mit dem er bei Möckern gegen Neys Husaren focht; aber dann sind's auch die Reste geborstener und halb im Tropengras verborgener Mauern und die Trümmer kunstvoll behauener Säulenschiffe und Steinbogen, die von einer längst ausgetilgten, glanzvollen Vergangenheit erzählen. Und alte Sagen wispern um diese Trümmerstätten, Sagen, die von verborgenen Schätzen erzählen, von geraubtem, goldenem Kirchengerät, das irgendwo unter den dichten Eukalyptussträuchern vergraben sein soll oder in den Erdhügeln, die heute noch deutlich die Spuren alter Befestigungsanlagen erkennen lassen. Dann und wann fördert wirklich einmal der Fund eines armen kreolinischen Bauern sehr seltsame Dinge zutage: verrostete Hellebarden oder Degenklingen, oder auch einen kunstvoll getriebenen goldenen Abendmahlskelch. O nein, die Vergangenheit hat sich nicht ganz verdrängen lassen von diesem kleinen Eiland, das dem oberflächlich Hinschauenden heute ein so alltägliches Gesicht zeigt!

Und damals vollends, an jenem Juniabend des Jahres 1670, ging es ganz und gar nicht alltäglich zu unter den hohen Ufern dieser Insel. Weithin war die See von einer gewaltigen Rauchwolke bedeckt, und wenn die leichte Abendbrise diese Wolke ab und zu für Sekunden zerriß, so tauchte darin eines jener stolzen Linienschiffe auf, wie das Jahrhundert sie baute: mit hohen geschnitzten Deckaufbauten Stockwerkböden des Schiffes. Oberdeck im Freien. Zwischendeck im Innern. und langen Reihen blitzender Kanonen in den bemalten Stückpforten Geschützstand..

Nun aber war die »Santa Maria«, Seiner Spanischen Majestät Fregatte Dreimastiges Segel-Kriegsschiff., die doch noch vor wenigen Stunden ganz ruhig und gemächlich ihre Fahrt von Vigo nach Colon in der Provinz Panama fortgesetzt hatte, wohin sie neben allerlei Waren die in Barcelona geschmiedeten goldenen Kirchenschätze für Panamas neuen Dom schaffen sollte, – nun war die »Santa Maria« so ganz und gar nicht mehr ein stolzes Fahrzeug zu nennen. Von den drei Masten, vor zwei Stunden noch so hoch wie die Türme der Kathedrale von Burgos, stand nur noch der klägliche Stumpf des hintersten, und auch diesen kläglichen Stumpf umbrandeten Flammen, die von der zerschossenen Reling Geländer oder obere Kante der festen Verschanzung an den Seiten des Oberdecks. aufstiegen und jetzt hurtig an den Pardunen Straff gespannte Stahltaue zum Stützen von Masten und Stengen nach den Seiten des Schiffes. Gegensatz von Stagen. hinaufliefen.

Was geschehen war? Bis zum Mittag dieses Unglückstages, der der neunundvierzigste war, seit man Vigo verlassen, war jeder der Offiziere überzeugt gewesen, daß man weit, wenigstens fünfzig Seemeilen weit von der Küste dieser verrufenen Seeräuberinseln entfernt wäre. Hatten nun Chronometer Zeitmesser. Taktmesser. (Genau gehende Uhr. und Sextant Instrument zur Bestimmung des Standortes eines Schiffes auf dem Meer. bei der Ortsberechnung nicht gestimmt, hatte der Kapitän, einer der erfahrensten der königlichen Flotte, sich versehen? Ach, man konnte ihn nun nicht mehr nach dem Sachverhalt befragen, diesen armen Kapitän, der gestern noch einer der schmucksten Offiziere Seiner Majestät gewesen war und nun zerschmettert von dem furchtbaren Volltreffer des Feindes mit seinem Ersten Offizier unter den Trümmern der zersplitterten Brücke lag, wie seine Kanoniere unten in dem zerschossenen Batteriedeck! Wer hätte es auch gedacht, daß dieses Piratengesindel, dem man allenfalls den Überfall wehrloser Kauffahrer zutraute, sich an eines der größten Linienschiffe der spanischen Flotte, an diese »Santa Maria« mit ihren dreiundneunzig Kanonen trauen würde?

Nun lag er da drüben, ganz nahe seiner Küste, der verruchte Feind, und von seinem Großmast Hinterster Mast eines Zweimasters. Mittelmast eines Drei- und Fünfmasters. Zweitvorderster Mast eines Viermasters., dessen Takelung Das ganze Segelwerk einschließlich der Masten. kaum Spuren des Kampfes zeigte, flatterte stolz und herausfordernd die schwarze Flagge dieser berüchtigten Seeräuberrepublik, die hier ihre Schlupfwinkel hatte.

Wir aber wollen von den letzten Szenen des Todeskampfes der »Santa Maria« berichten.

An dem Stumpf des Fockmastes Der vorderste Mast des Schiffes., auf den der Feind seine Geschütze weniger gerichtet zu haben schien als auf das gänzlich zerschossene Mittelschiff, knieten zwei junge Leute, deren blondes Haar so ganz und gar nicht zu den dunklen, gelbhäutigen Spaniern passen wollte, vor einem daliegenden, offenbar verwundeten Manne, der das Ordenskleid der Franziskanermönche trug. Die beiden jungen Menschen, an der großen Ähnlichkeit unschwer als Brüder und an Kleidung, Wuchs und Haltung leicht als die Angehörigen eines vornehmen Geschlechts zu erkennen, mühten sich mit hingebender Sorge um den Daliegenden.

»Faßt Mut, hochwürdiger Herr!« sagte in einem Spanisch, dem man ohne weiteres den schweren Tonfall des Niederdeutschen anmerkte, derjenige der beiden, der dem Priester eben den Kelch mit dem schweren Oportowein zur Stärkung reichte. »Eure Wunde ist so schwer nicht, und der Feind hat nun seit einer halben Stunde sein Feuer eingestellt und scheint Erbarmen zu haben.«

Der Verwundete lächelte schmerzlich. »Ihr kennt diese blutdürstigen Flibustier nicht. Möglich schließlich, daß man euch, als Deutsche, verschonen wird, wenn wir denen da drüben in die Hände fallen, uns Spanier aber hassen sie nun einmal so, als seien wir keine Menschen.« Er schwieg eine Weile und streckte dann seine zitternde Hand nach dem andern der beiden Deutschen aus, der finsteren Blicks nach der Richtung sah, wo der Feind eben, eine schwache Seemeile entfernt, wieder aus der dicht über dem Wasser lagernden Rauchwolke auftauchte. »Herr Justus«, begann der Verwundete von neuem mit schwacher Stimme, »an Euch habe ich eine besondere Bitte, die Ihr mir noch erfüllen möget. Geht Ihr, während Euer Bruder Georg, wie er eben in so gottseliger Weise tut, die Verwundeten pflegt, in den Raum hinunter und öffnet die Goldkisten; mit dem hier ...« Er reichte dem jungen Deutschen einen kunstvoll gearbeiteten Schlüssel, der an seinem Rosenkranz hing. »Schließt also«, begann die matte Stimme von neuem, »Kiste für Kiste auf und nehmt alle heiligen Geräte, die Ihr darin findet, und werft sie mit eigener Hand über Bord. Besser, sie ruhen auf dem Grund des Meeres, als daß diese Räuber da drüben sie entweihen.«

Justus wandte sich zum Gehen. »Ich will gern tun, hochwürdiger Herr, was Ihr mir da auftragt, nur weiß ich nicht, ob Euer Befehl doch nicht ein wenig verfrüht ist. Die ›Santa Maria‹ ist gewiß arg mitgenommen, aber noch scheint mir nicht alle Hoffnung geschwunden, daß wir diesen Kampf bestehen.«

Er sprach ja eigentlich wider besseres Wissen, dieser junge Deutsche, der so ganz und gar nicht an die Niederlage des eigenen Schiffes glauben wollte. Er war ja selbst Zeuge gewesen, wie jener erste schreckliche Volltreffer des Feindes, der offenbar ein Geschütz mächtigsten Kalibers führte, die größte der Pulverkammern unmittelbar unter dem Batteriedeck hatte auffliegen lassen. Ach, er würde nie mehr in seinem Leben diesen Augenblick vergessen, als jene schreckliche Sprengung mit einem Schlage die schwersten Geschütze der »Santa Maria« aus den zersplitterten Lafetten geworfen hatte und plötzlich das ganze Batteriedeck voller verstümmelter und verbrannter Menschen lag. Aber er hatte nun einmal des Vaters harten Sinn geerbt, dieser Justus von Owelglas, und er wollte sich nicht ohne weiteres in die Tatsache finden, daß es nur dieses einen Schusses bedurft hatte, um das stolze Linienschiff wehrlos zu machen.

Kaum hatte er sich von seinem Bruder und dem Verwundeten abgewandt, da ließ der Donner eines Kanonenschiffes den Rumpf des zerfetzten Schiffes erbeben, und dann noch einer und noch einer. Noch also wehrte sich die Artillerie der »Santa Maria«! Auch schien jetzt wenigstens das Feuer auf dem Achterdeck Hinterdeck. durch die Bemühungen der wenigen, klaren Sinnes gebliebenen spanischen Matrosen gelöscht, die ihm mit Sandsäcken zu Leibe gegangen waren. Als aber Justus das Hauptdeck mit seinen Blutlachen und zerfetzten Toten entlang ging, sah er an dem Geschütz, das dort stand, einem der wenigen, die nicht unbrauchbar geworden waren, einen Mann in zerrissener Kleidung stehen mit rauchgeschwärztem Gesicht und blutgetränkter Binde um die Stirn. Es war der jüngste Offizier der »Santa Maria«, mit dem Justus noch vor wenigen Stunden, ehe der Feind plötzlich aus seinen Schlupfwinkeln hervorgekommen war, beim fröhlichen Würfelspiel zusammengesessen hatte. Er warf die Lunte, mit der er eben den Schuß gelöst hatte, ärgerlich beiseite: »Der Teufel mag's mit denen da drüben aufnehmen! Unsere Schüsse reichen nicht auf die halbe Strecke und fallen ins Wasser wie harmlose Leuchtkugeln.«

»Seht, wir müssen ihnen doch aber auch zugesetzt haben«, entgegnete Justus, »denn seit einer halben Stunde schweigt nun ihr Feuer.«

Der junge Spanier lachte bitter auf. »Wißt Ihr nicht, was das bedeutet? Sie führen Messingkanonen von ungeheurem Kaliber, die doppelt so weit reichen wie diese elenden Eisenbüchsen; sie haben nur einen Nachteil, daß sie leicht heiß werden, und daß man sie nach dem zweiten oder dritten Schuß sorgfältig vom Pulverschlamm reinigen muß. Ich sage Euch, der da drüben läßt nur seine Rohre abkühlen, das ist alles!«

»Und wir?«

Der Offizier stampfte ärgerlich mit dem Fuß. »Geht doch ins Batteriedeck und zählt die Leute, die unverwundet geblieben sind! Was aber noch auf den Beinen stehen könnte, liegt betrunken auf den Planken Brett. Bohle.. Gesindel, das den Gnadenschuß der Räuber da drüben nicht wert ist. Ich sage Euch, Spaniens Stern, der gestern noch hell leuchtete, geht nieder, und in Trümmer fällt das Weltreich, das Kaiser Karl unserem Volk vor einem Jahrhundert aufrichtete!«

Helle Tränen waren dem jungen Offizier in die dunklen Mandelaugen getreten. Wie er so dastand, verlassen von seiner Mannschaft, willens, aus seinen untauglichen Geschützen den Feind um der Ehre willen wenigstens noch zu begrüßen, war er wirklich ein Sinnbild dieser stolzen Rasse, die vor wenigen Jahrzehnten noch die Welt beherrscht hatte und nun an allen Enden der Erde Kolonie auf Kolonie an England oder Holland verlor.

Traurig ging Justus nach der Luke Öffnungen im Oberdeck der Schiffe, die teils als Aus- und Eingang, teils zum Hinunterlassen der Ladung und teils zur Ventilation einzelner Innenräume dienen., die in den vorderen Schiffsraum führte. Im halben Licht, das hie und da durch ein Glasfenster in diesen niedrigen Raum fiel, unterschied er zusammengekauerte Gestalten: Matrosen, die sich hier verkrochen hatten, wo sie sich vor dem furchtbaren Artilleriefeuer sicherer glaubten. Zitternd lagen sie da, einige betrunken und in die dunklen Schöße ihrer Koller die Gesichter gehüllt, als sei der Feind nicht da, wenn sie ihre Augen schlossen. Gewiß, diesen geheimnisvollen Feind da drüben mit der schwarzen Flagge im Großtopp Spitze des Großmastes. umgab ein Strahlenkranz des Schrecklichen und Unbesiegbaren, so daß schon manche spanische Mannschaft beim ersten feindlichen Kanonenschuß nicht mehr an die eigenen Geschütze zu bringen gewesen war. Dem jungen Deutschen schwoll die Zornesader bei diesem kläglichen Bild. »Verdammtes Gesindel! Feuer im Schiff, kein Mann an den Geschützen, und ihr verkriecht euch wie Hasen!«

Keiner beachtete ihn, nur aus einer dunklen Ecke, die sein Auge nicht übersehen konnte, zischte ein giftiger Fluch in fremden Lauten; er stammte von einem der angeworbenen italienischen Matrosen, deren die »Santa Maria« viele an Bord hatte, und die seit dem ersten Treffer allen Bitten, Befehlen und Drohungen zum Trotz sofort die Geschütze im Stich gelassen hatten.

Justus beachtete die wüsten Drohungen nicht, die da aus dem Dunkeln kamen. Er tastete sich nach einer der Pforten, die nach der freien See hinausführten, und die die Feiglinge hier unten verschlossen hatten. Erst als er sie geöffnet hatte und das sinkende Tageslicht den Raum notdürftig erhellte, sah er in einem der Seitenverschläge die wohlbekannten Mahagonikisten mit dem kostbaren Inhalt, die ihm der freundliche Priester mehr als einmal auf der Fahrt geöffnet hatte, um ihn die Pracht der Schätze bewundern zu lassen. Er öffnete den schweren Deckel der ersten und sah in das Leuchten und Flimmern ihres Inhalts. Aus dem neuen Goldlande Peru war dieses Edelmetall einst nach Spanien gewandert, um dort von den berühmten Schmieden verarbeitet zu werden, und nun abermals die Fahrt über das Weltmeer zu machen und die vielbewunderten Altäre der Kathedralen von Lima und Panama zu zieren. Ein goldenes, mit Edelsteinen reich besetztes Kruzifix nahm er in die Hand und sah einen Augenblick gedankenvoll in das Antlitz des Erlösers. Ach, er wußte wohl, daß diese Spanier in Peru und ihren übrigen Kolonien das Gold von den Einwohnern mit Folter und jeder erdenklichen Marter erbarmungslos erpreßten. Wieviel Blut und wieviel Tränen mochten wohl um dieses Geschmeide hier geflossen sein, das die Züge des Welterlösers trug? ... So sah er sinnend und die Umgebung ganz und gar vergessend in dieses Antlitz und merkte nicht, daß ihm ein anderes, ein wildes, gebräuntes, mit begehrlichen Augen über die Schulter blickte. Eben wollte er die erste Kiste an ihren Griffen zur Luke ziehen, da hörte er wieder diese leise zischende Stimme, die ihm vorher die Drohungen aus dem Dunkeln zugerufen hatte, und gleich darauf würgte eine harte Faust seine Kehle.

Er wußte zunächst nicht, was das zu bedeuten hatte, er fühlte nur die scharfen Krallen des Angreifers, die sich in seine Haut gruben, er straffte seinen jungen, starken Körper zu einem gewaltigen Ruck zusammen, so daß der unbekannte Gegner losließ und zu Boden rollte. Noch völlig überrascht von dem unerwarteten Anschlag blickte er ein wenig erstaunt in das Gesicht des Daliegenden, das mit seiner langen Spitznase unter der fliehenden Stirn dem eines häßlichen menschenähnlichen Affen glich. Aber da sah er auch schon, wie dieser Bursche, der es offenbar auf einen Raub der Kleinodien abgesehen hatte, nach dem Rücken tastete, wo er, wie alle seines Gewerbes, das lange schmale Messer der italienischen Matrosen trug. Im selben Augenblick stand der Gegner auch wieder auf seinen Füßen. Der halbdunkle Raum ... die Spießgesellen, die der Mann hier unten haben mochte: Justus, selbst ohne Waffen, machte sich auf einen schlimmen Kampf gefaßt.

Aber gerade in diesem Augenblick geschah etwas Unerwartetes, das mit einem Schlage die beiden Ringenden trennte. Zwei, drei Donnerschläge, als sollte die Welt auseinanderbersten, ließen den armen zerfetzten Leib der »Santa Maria« von neuem erbeben. Bugwärts Vorderende des Schiffes, wo die Seitenwände zusammenstoßen., wo der Schiffsraum sich im Dunkeln verlor, zuckten rote Feuerzungen, und schwarzer Rauch wirbelte durch die zersplitterten Balkenreihen. Dann schien es, als flüchte die ganze noch übrige Bemannung der »Santa Maria« über das Deck nach hinten, und durch den Lärm der Schritte und die Schreie frisch Verwundeter glaubte Justus auch einmal die Stimme seines Bruders gehört zu haben. Und dann war es wieder ein anderer Ruf, der diesen Lärm übertönte: »Wir sinken, wir sinken.« Justus, dessen Sinne sich langsam von dem furchtbaren Einschlag des neueröffneten feindlichen Feuers zu erholen begannen, fühlte deutlich, wie das Schiff, einem zu Tode getroffenen Tiere gleich, unter seinen Füßen zu zittern anfing. Der Lärm oben erstarb langsam in einem wüsten Heulen und Jammern ...

Das Seltsamste: sein Gegner war plötzlich fort. Offenbar war dieser Italiener, der sich der Goldschätze hatte bemächtigen wollen, von der allgemeinen Schreckensangst fortgerissen, nach oben entflohen. Nun erst, nach dem eben durchlebten Schrecken, erinnerte sich Justus seines Auftrags. Gewiß, dort standen sie ja, diese Mahagonikisten, deren kostbaren Inhalt er vor den ruchlosen Händen bewahren sollte! Mit einiger Hast, ab und zu besorgt auf das Gurgeln des unter ihm in den Raum einströmenden Wassers lauschend, zog er Kiste um Kiste nach der weit geöffneten Luke. Und so nahm an diesem blutigen Abend die stille See ganz friedlich die Dinge auf, mit denen so viel Menschenleid verbunden war.

Justus arbeitete in fliegender Eile. So kam es, daß er achtlos jenes Kruzifix am Boden liegen ließ, das er vorher in den Händen gehalten und bei dem Angriff fallen gelassen hatte. Er bemerkte es nicht; er war froh, diesem unheimlichen Raum entkommen zu sein, und eilte, so rasch er konnte, die Treppen hinauf und zurück auf Deck.

Der erste, der ihm entgegenkam, totenblaß, die Haare versengt und das Gesicht rauchgeschwärzt, war sein Bruder Georg. »Was gibt's?«

»Dort! ... sieh! ...«

In der Tat, furchtbar hatte diese neue Kanonade des Feindes gewirkt. Es schien, als habe die »Santa Maria« überhaupt kein Vorschiff mehr: bis fast auf den Wasserspiegel war dort alles fortgefegt von der erneuten Sprengung. Flammen zuckten aus dem wüsten Wirrwarr auf und umspielten seltsam die Gallionsfigur Schiffsbild. Eine hölzerne Figur vorn über dem Vordersteven und unter dem Bugspriet, die Bezug auf den Namen des Schiffes hat. des Schiffes, die durch irgendeinen Zufall erhalten geblieben war und nun an dem halbzersplitterten Balken des Vorderstevens Vorderer senkrechter Abschluß des Schiffes. Auf großen Schiffen ein Hunderte von Zentnern schweres Stahlgußstück, von dem aus der Bug beginnt. hing. Alles war vor den Flammen auf das Mittelschiff geflüchtet, und hier herrschte nun ein heilloses Wirrsal: Gebete, Flüche, Befehle, alles aber übertönt von den Todesschreien der Sterbenden. Es war die Hölle selbst geworden, dieses arme Schiff, das an eine Gegenwehr gar nicht mehr denken konnte.

Justus sah auf dieses wüste Treiben und runzelte die Stirn. »Haben wir denn überhaupt keine Offiziere mehr? Wo ist Don Dario?« Er meinte den jungen Offizier, den er eben noch bei seinen Geschützen gefunden hatte.

Georg zuckte die Achseln und wies auf die Verwüstung vor ihnen. »Sieh doch dorthin! Keiner lebt mehr, der sich dort aufhielt. Auch ich läge unter den Toten, hätte Pater Fernando mich nicht mit ernsten Worten angewiesen, mich auch um die andern hier hinten zu kümmern.«

»Wo ist denn Pater Fernando?« fragte Justus eilig.

Georg wurde der Antwort enthoben. Zwei spanische Matrosen kamen mit einer Bahre vorüber, darauf ein dicht Vermummter lag. Das wohlbekannte Elfenbeinkreuz, das aus den schwarzen Hüllen hervorhing, ließ Justus wohl erkennen, wen man hier aus dem Bereich der Flammen trug. Er hob das Tuch und sah das wachsbleiche Antlitz des Mannes, der ihnen ein so freundlicher Begleiter gewesen war auf dieser Reise, die sie so weltenweit fortgeführt hatte von ihrer deutschen Heimat.

Immer stärker wurde die Dämmerung. Ganz allmählich neigte sich das Schiff nach vorn über, wo die letzten Treffer den Rumpf auch unter Wasser zerrissen haben mußten. Der Seeräuber drüben hatte sein Feuer wieder eingestellt. Wohl aber lösten sich jetzt von seinem schwarzen Rumpf, der düster wie der eines Totenschiffes auf dem Wasser lag, und dessen finstere Masse nicht einmal eine Bemalung der Stückpforten unterbrach, ein Anzahl großer Ruderboote los, die in rascher Fahrt auf das Wrack zuhielten.

Justus spähte mit dem Fernrohr, einem Reisegeschenk des Vaters, das aus den berühmten Leydener Werkstätten stammte, hinüber. »Mindestens fünfzig in jedem, und alle bis an die Zähne bewaffnet.«

»Was also tun?«

Justus stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Sich wehren, so gut es geht!«

Georg sah den Bruder zweifelnd an. »Wir beide gegen die Schar da drüben? Du glaubst doch nicht, daß unser betrunkenes Gesindel fechten wird? Sieh übrigens, sie haben das Ihrige schon getan!« Er wies nach dem Achterschiff, auf dem an einer Stange ein mächtiges weißes Tuch geschwenkt wurde, ein Zeichen, daß das Linienschiff seinen Kampf gegen den Seeräuber da drüben aufgegeben hatte.

Einen Augenblick war alles still; nur das Prasseln der Flammen vorn unterbrach das starre Schweigen, mit dem die Mannschaft ihr Schicksal erwartete. Die beiden Brüder waren dicht an die Reling getreten. Unten, in dem schwarzen Wasser, das die Dämmerung schon unsichtig machte, schwammen, in grünlich phosphoreszierenden Schimmer gehüllt, zwei mächtige Fische, mit plumpen, breiten Köpfen unter dem Kiel Die Wirbelsäule des Schiffes unten, von der die Rippen ( Spanten) nach oben ausgehen, die mit den Schiffsplatten den Schiffsrumpf bilden. – (Schlingerkiele = Seitliche Stahlbleche am Schiffsboden, welche die Schlinger- [Schaukel-] Bewegung mildern sollen.) des langsam sinkenden Schiffes hin und her.

Justus sah finster auf das Spiel der Haie. »Sieh an, die wissen sehr genau, welche Kost sie heute zu erwarten haben!«

»Du glaubst ...?«

»Ich glaube nicht, lieber Georg, ich weiß es. Ich weiß es aus dem Munde des Kapitäns selbst, daß kein Flibustierschiff die Mannschaft eines besiegten Spaniers gefangennimmt, sondern sie diesen Bestien da vorwirft.«

»Am Ende sind wir beide aber doch keine Spanier, sondern nur Gäste an Bord dieses Schiffes ...«

Er konnte nicht enden, ein wüstes Geschrei auf dem Achterschiff schnitt ihm das Wort ab. Als sie sich umsahen, bemerkten sie, daß sie allein auf dem Mittelschiff standen, und daß die Mannschaft der »Santa Maria« wie eine verängstigte Schafherde sich auf dem Achterdeck zusammendrängte. Der Grund wurde ihnen sehr bald klar. Wilde Rufe, holländische, englische, spanische, Rufe aller Sprachen der zivilisierten Welt gemischt, kamen von unten, Enterhaken faßten in die zersplitterte Reling, und dann tauchten dort wilde, bärtige Gesichter auf.

Es war eine seltsame Schar, die jetzt das Deck betrat; eine wunderliche Uniform, ein blutrotes Hemd zu Hosen und rohgeschnittenen Schuhen aus Ziegenleder, schien ihnen allen gemeinsam. So gleichförmig nun dieses wilde Kleid im Verein mit der bei allen gleichen Bewaffnung mit Enterbeil und Büchse wirkte, so verschieden waren die Gesichter dieser Menschen. Da sah man die schwermütigen Züge des Südfranzosen und die derb-kaltblütigen der Holländer, auch schlanke, sehnige Gestalten, die Cornwalls Ebenen hervorgebracht haben mochten, und dann wieder die unverkennbaren Züge deutscher Söldner, die das Ende des großen Krieges brotlos gemacht hatte, und die nun hier, in diesem verwunschenen Winkel der Welt, ein neues, verruchteres Gewerbe gefunden hatten.

Der das Deck als erster erklettert hatte, scheinbar der Führer dieser seltsamen Schar, war freilich von anderem Äußeren. Es war ein untersetzter, muskelstarker Kerl, dessen überbuntes Gewand, ein knallroter Rock mit einer ebenso grellgelben Schulterbinde aus Seide darüber, von der Eitelkeit dieses Mannes zeugte. Noch weniger angenehm berührte das Gesicht. Plump und roh, wie bei einem Verbrecher, sprang der Unterkiefer vor, und scheußlich wurde das ganze Antlitz von einer am Scheitel beginnenden und am Kinn endenden Narbe unterbrochen.

»Wo sind die Offiziere?« Die Stimme des Mannes, der sich der spanischen Sprache bediente, klang so herausfordernd, daß Justus, der ihm zunächst stand, erbleichte. Er antwortete vorerst nicht und runzelte trotzig die Stirn.

»Hast du nicht gehört, Bursche, daß ich dich nach den Offizieren gefragt habe? Wer bist du eigentlich?«

Das galt dem jungen Deutschen. Der war kreideweiß geworden. Das westfälische Blut, leichter noch zum Zorn über jedwede Kränkung aufwallend als das seines sanfteren Bruders, raubte ihm die kühle Überlegung. »Ich bin keiner, den man so ungebührlich anredet, wie Ihr tut! Wenn Ihr aber die Offiziere dieses Schiffes sucht, – dort bei der Brücke und bei ihren Geschützen werdet Ihr ihre Leichen finden.«

Die zornbebende Stimme des jungen Mannes, die stolze und vielleicht ein wenig herausfordernde Haltung, mit der er diese Worte gesprochen, – was es auch war: die Narbe im Gesicht des feindlichen Führers färbte sich blutrot. Er griff nach der Seite, und im nächsten Augenblick fuhr das Leder der schweren Peitsche, die dieser Mensch bei sich führte, wie ein Sinnbild seiner Roheit, über die Stirn des jungen Mannes, daß er blutend zurücktaumelte. Wohl warf sich im gleichen Augenblick Georg schützend vor den Bruder. Aber er erreichte nur, daß ein beispiellos roher Fußtritt seine Brust traf, und daß gleich darauf harte Fäuste ihn samt seinem Bruder beiseite stießen. Als er Justus ins Gesicht sah, aus dessen Stirnwunde ein feiner Blutbach rieselte, merkte er, daß dieser ohnmächtig geworden war. So hielt er es für besser, ihn diesem Wüterich aus den Augen zu schaffen, und trug ihn, als die Mannschaft der »Santa Maria« von den Rothemden auf dem Mittelschiff wie eine Viehherde zusammengetrieben wurde, hinter die Lafette eines der zerschossenen Deckgeschütze.

Inzwischen hatten die Seeräuber alle Räume des Schiffes durchsucht, und von allen Seiten hörte man ihr Rufen und das Schreien der unten Verborgenen, die unter Mißhandlungen an Deck getrieben wurden.

Mit einem andern, der offenbar sein Erster Offizier war, lehnte der feindliche Führer an der Reling, ganz nahe der Lafette, hinter der Georg den bewußtlosen Bruder geborgen. »Sie sollen sich beeilen da unten! Der Zimmermann hat schon sechs Fuß Wasser vorn im Raum gemessen, und wenn wir die Kisten nicht bald finden, sackt dieser elende Kasten uns weg, ohne daß wir einen Gulden davon haben.«

Der andere erwiderte etwas, was Georg nicht verstehen konnte; dann aber sah er deutlich, wie der feindliche Führer plötzlich das Fernglas auseinanderzog und landwärts über Bord schaute. Irgend etwas, was er dort entdeckt hatte, schien ihn in neue Wut zu versetzen, denn er stampfte mit dem Fuß auf, als er das Glas dem andern reichte. »Seht gefälligst selbst hin«, hörte Georg ihn sagen, »es ist wieder ein neuer Einfall von unserem allergnädigsten Herrn; ich sehe ganz deutlich die Admiralsflagge. Also schickt er uns Lussan, diesen Zierbengel, wenn nicht Seine Exzellenz sich höchstselbst hierher bemüht, uns die Beute abzujagen.«

Nach diesen Worten, deren Bedeutung Georg zunächst unklar blieb, wandte er sich an die versammelte Mannschaft des besiegten Spaniers. »Wir wissen genau, daß die ›Santa Maria‹ Gold an Bord hat. Ihr werdet mir unverzüglich sagen, wo die Kisten lagern. Weiß ich binnen einer Minute nicht den Ort, so greife ich zuerst einen von euch heraus, der über Bord muß. Wenn ihr dann noch immer nicht reden wollt, so schicke ich euch alle zu den Fischen hinunter, und ich kann euch versichern, daß die Haie hier um Tortuga einen guten Appetit haben.«

Banges Schweigen folgte dieser Rede. Der Ort, wo das Gold gelagert hatte, war selbstverständlich während der Reise geheim gehalten worden. Und wenn die Leute es gewußt hätten, gar manchem hätte die Scheu den Mund verschlossen, die geweihten Geräte zu verraten. So blieb alles eine Weile stumm, bis ein lautes Schreien und Zetern, vom Achterdeck näherkommend, dieses Schweigen unterbrach. Georg konnte von seinem Versteck aus diesen Teil des Schiffes überblicken, und als er die Augen hob, sah er ein seltsames Bild, wunderlich und komisch fast: zwei Rotbehemdete führten zwischen sich einen kleinen, lebhaft Gebärden machenden, braunen Menschen, der die Tracht der spanischen Matrosen trug. Dieser Bursche, der verzweifelt auf seine beiden derb zufassenden Begleiter einredete, hielt in seiner Hand ein goldenes Kruzifix, auf dem jetzt der Flammenschein des zunehmenden Feuers spielte. In seiner Verwirrung hatte er es hoch über sein Haupt erhoben, und diese priesterliche Gebärde im Verein mit dem verzweifelten Minenspiel des Menschen und den rohen Stößen, mit denen er vorwärtsgetrieben wurde, gaben dem Bild etwas bedrückend Komisches.

Vor dem feindlichen Führer hielten die drei. Sie hätten diesen Burschen, so berichteten die beiden Seeräuber, in dem oberen Schiffsraum mit diesem Kruzifix hier erwischt. Er werde unzweifelhaft Auskunft darüber geben können, wo das übrige verborgen sei.

Der Führer des feindlichen Schiffes, der sich an den Gesellen wenden wollte, kam gar nicht zu Wort. Der kleine Mann da vor ihm wußte, daß es sein Leben galt, und so sprudelte er in seinem fehlerhaften Spanisch nur so die Worte hervor: er sei kein Spanier, bei allen Heiligen, nein, er sei ein Neapolitaner, und nur von diesen spanischen Teufeln in Sold genommen worden; und er werde dem Herrn auch sagen, wo das Gold der »Santa Maria« geblieben sei. Der deutsche Herr, der mit seinem Bruder an Bord sei, der habe alles in die See geworfen, keine halbe Stunde sei es her, und er habe es selbst gesehen mit seinen eigenen Augen. Der Deutsche sei es gewesen, und kein anderer, und er selber habe nur dieses Kruzifix hier gefunden.

Die Augen des kleinen verzweifelte« Menschen irrten suchend über das Deck, bis sie die Brüder hinter der Lafette entdeckt hatten. »Da ist er ja, dieser verfluchte Deutsche!« schrie er triumphierend. »Fragt ihn doch selbst, Herr, ob ich die Wahrheit geredet habe oder nicht!«

Was nun folgte, ist später Georg von Owelglas immer wie von einem Schleier verhüllt erschienen. Wenn er sich dieser Szene erinnerte, so sah er wohl noch, wie rohe Fäuste ihn und den noch immer bewußtlosen Justus emporzerrten, und wie dieser schreckliche Mensch vor ihm mit der greulichen Narbe in dem Bullenbeißergesicht auf ihn einschrie; und, daß man ihn zu der zerfetzten Reling des Schiffes stieß, auch dessen glaubte er sich nachher noch zu erinnern. Dann war das alles von einem erregten Schreien und Durcheinanderlaufen auf dem wüsten Deck unterbrochen worden, und schließlich war in dieses tolle Toben um ihn etwas ganz Merkwürdiges hineingefahren, dessen er sich wieder ganz deutlich bis an das Ende seines Lebens erinnerte: ein Trompetensignal schmetterte durch den Wirrwar, so freundlich und lustig fast wie einst, da er als Kind an des Vaters Hand Kaiser Leopold hatte mit seinem Gefolge in die Stadt Münster einziehen sehen.

Als Georg sich aus diesem augenblicklichen Versagen seiner Sinne aufraffte, hatte sich das Bild um ihn völlig verändert. Die Leute des Kapers standen setzt in Reih und Glied und bildeten eine Gasse. Und durch diese Gasse, als hätte jenes freundliche Trompetensignal sein Kommen angekündigt, betrat jetzt, gefolgt – ja gefolgt von Kavalieren untadeliger Haltung und Gebärde, ein Mann das Deck, der so ganz und gar anders ausschaute als dieser wüste Befehlshaber des Kaperschiffes. Vor diesem schmächtigen und blassen Manne blieb der Seeräuberführer in einer durch und durch unterwürfigen Haltung stehen und mußte eine harte Rede hören. »Ich habe Euch doch gemessenen Befehl gegeben, Morgan, daß fortan niemand von der Mannschaft eines gekaperten Schiffes – Spanier oder nicht – an Leib und Leben geschädigt werde!« Die dunklen Augen dieses eben an Bord Gekommenen, der mit solcher Ehrerbietung empfangen worden war, ruhten streng auf dem rohen Gesicht Morgans. Dennoch wagte dieser eine Erwiderung. »Wir hatten einen harten Kampf; meine Leute werden es nicht verstehen, wenn wir nichts anderes heimbringen als frische Wunden. Dieser Bursche aber« – er wies auf Justus – »hat das Gold beiseitegeschafft, auf das wir nach Ew. Exzellenz Befehl zu lauern hatten, und ...«

»Schweigt«, unterbrach ihn der mit Exzellenz Angeredete, »und merkt Euch, daß im Flibustierbunde mein Wille gilt, nicht der Eure! Das nächstemal seid strenger Strafe gewärtig, wenn Ihr diesen Willen nicht anerkennt!« Er wandte Morgan den Rücken, und weil zu dieser Zeit das Gefolge dieses seltsamen Menschen auf dem Deck des besiegten Spaniers Umschau hielt, so war Georg wohl der einzige, der es beobachten konnte, wie sich das Gesicht Morgans plötzlich in unaussprechlicher Wut verzerrte und seine Faust heimlich sich gegen den wandte, der eben zu ihm gesprochen hatte.

Inzwischen trat der Schwarzgekleidete zu Georg. »Ich kam noch gerade zur rechten Zeit, um Euch Schlimmes zu ersparen. Ihr werdet wohl in den nächsten Tagen erfahren, daß Ihr nicht unter gemeine Räuber gefallen seid. Einstweilen freilich muß ich Euch meinen Gefangenen nennen. Euer Name?«

»Georg von Owelglas. Der dort ist mein Bruder Justus.«

»Gehabt Euch denn wohl, Herr von Owelglas, und seid gewiß, daß man Euch und euren Bruder in gutes Gewahrsam nehmen wird. – Marquis de Lussan!« Er winkte einem schlanken, blutjungen Offizier, der, den schwarzen Samthut schwenkend, nun vor den augenscheinlichen Gebieter dieser seltsamen Schar trat. »Marquis Lussan, Eurer Obhut empfehle ich diese beiden Herren dort; Ihr werdet mir morgen berichten.« Mit diesen Worten wandte sich der Schwarzgekleidete und verließ mit seinen übrigen Begleitern das Schiff, an dessen immer tiefer sich neigendem Rumpf offenbar sein Boot ihn erwartete.

Auch Morgan, dessen Gesicht noch immer totenblaß war vor Wut, ließ seine Mannschaft in die Boote gehen. Alle diese Leute trugen die nämliche finstere Miene zur Schau wie ihr Führer; sie hatten gekämpft und Beute erwartet, und wenn dieser Bursche dort das Gold beiseitegeschafft hatte, das sie zu finden hofften, – nun, so sollte man ihn eben den Haien vorwerfen, wie es alter Flibustierbrauch gewesen war! Sie sandten halblaute Verwünschungen dem Boot jenes seltsamen Menschen nach, das am Flaggenstock im schwarzen Felde den weißen Totenschädel führte, das schreckhafte, allen seefahrenden Völkern jener Zeit wohlbekannte Abzeichen des Admirals der Flibustier.

So ging Morgans Mannschaft mit Flüchen an Bord ihres Schiffes zurück, die immer lauter wurden, je mehr sich das Boot mit jener Flagge entfernte. Als die Letzten verließen Lussans Leute mit der Mannschaft der »Santa Maria« das Schiff. Justus, der aus seiner Stirnwunde mehr Blut verloren hatte, als seine zwanzig Jahre ertragen konnten, war weich auf den Mantel des jungen Offiziers gebettet worden. So hatte er Abschied von dem Schiff genommen, ohne sich dessen bewußt zu werden.

Es war übrigens hohe Zeit, daß sie das Schiff verließen. Immer höher loderte aus den Rauchwolken die Flamme, und immer tiefer senkte sich das Vorschiff nach vorn. Als sie eine halbe Seemeile entfernt waren und im Schatten des Morganschen Kapers dem Lande zuglitten, bäumte sich das Feuer zu jäher Wildheit empor, daß in seinem Licht noch einmal alle Schrecken des Kampfes sichtbar wurden und die dunklen Körper der Gefallenen sich grell von dem hell beleuchteten Achterdeck abhoben. Dann versank das alles ganz schnell wie ein wüster Spuk. Die »Santa Maria« ruhte mit ihren Toten auf dem Meeresgrund bei den Goldschätzen, die sie geborgen hatte.

Georg wandte sich wieder seinem Bruder zu. Der ruhte mit dem Kopf jetzt auf den Knien eines ältlichen Mannes, dessen blondes, mit reichlichem Grau durchsetztes Haar und dessen graublaue Augen im Verein mit dem unverkennbaren »Schwyzer Dütsch« ohne weiteres seine Abstammung verrieten. »Laßt nur, Herr«, redete er jetzt Georg an, »es fließt nun kein Blut mehr aus der Wunde. Morgen wird der Herr Bruder wieder guter Dinge sein. Kenne noch mein Handwerk«, setzte er lächelnd hinzu, »kenne es noch von den Zeiten her, da ich in den Heere« Seiner Kaiserlichen Majestät Dienst tat.«

Lussan unterbrach den alten Arzt. »Wir kommen nun an Land. Es tut mir leid, den Herrn jetzt nach Seiner Exzellenz Weisung von seinem Herrn Bruder trennen zu müssen, bis wir Eure Aussage gehört. Seid überzeugt, daß Ihr Euren Bruder in der besten Pflege lasset.«

Gleich darauf knirschten die Boote mit den Überlebenden der »Santa Maria« auf dem Sand. Durch das Dunkel ging der Zug eine Weile das Ufer entlang, um sich schließlich bei Fackelschein auf einem schmalen Felspfad emporzuwinden. Dann tauchten die Umrisse von Gebäuden und seltsamem Mauerwerk auf. Ein Wink, ein paar kurze Befehle, – die Mannschaft der »Santa Maria« verlor sich mit ihrer Bedeckung auf einem Seitenwege. Hier wandte sich Lussan an Georg: »Verzeiht, Herr, wir kommen nun an Orten vorüber, die Euer Auge nicht sehen darf, bevor ich weitere Weisung von Seiner Exzellenz empfangen habe.« Damit knüpfte er sich die Binde aus schwarzer Seide von den Schultern und band sie dem jungen Deutschen vor die Augen. Dann führte er ihn selbst mit aller Vorsicht an der Hand weiter. Georg hörte wohl noch das Rasseln einer niedergehenden Zugbrücke und vernahm die holländischen Rufe von Wachen, die, genau wie die eines europäische« Heerlagers, die Losung verlangten und erhielten. Dann merkte er an dem Geräusch ihrer Tritte, daß sie durch einen gedeckten Gang kamen, daß Türen sich vor ihnen öffneten und wieder schlossen; sie gingen über harte Steinfließen und stiegen Treppen hinauf. Schließlich nahm Lussan ihm die Binde von den Augen, und da stand er mit dem lächelnden Kavalier in einem ganz und gar nicht unfreundlichen, weiten Gemach, dessen Fenster auf einen tief unten liegenden, nun vom Monde beschienenen Garten führten. Wäre nicht der Duft ungekannter Tropenblumen durch dieses Fenster gekommen, und wäre da nicht ein in rotem Bedientenrock steckender Neger gewesen, der diensteifrig die Fackel erhob – er hätte geglaubt, sich auf einem der Schlösser seiner niederdeutschen Heimat zu Gaste zu befinden.

Die Bahre mit seinem Bruder war fort. »Euer Bruder«, beruhigte ihn Lussan, »liegt in einem Gemach, nicht weit von hier, und Seiner Exzellenz Leibarzt bleibt diese Nacht bei ihm; er ist also in der besten Pflege, die dieses Schloß zu bieten vermag.«

»Exzellenz! Schloß!« Es wurden dem jungen Deutschen der Rätsel nun zu viele. »Nun sagt mir endlich«, wandte er sich an seinen Begleiter, »wo ich eigentlich bin, und von welcher Exzellenz und welchem Schloß Ihr sprecht, und was das alles hier bedeuten soll!«

Da lachte der andere leicht vor sich hin. »Tortuga heißen Insel und Schloß, und am Ende habt Ihr schon von beiden gehört. Nein? Nun, mein Herr, so rate ich Euch, heute nicht mehr zu erfragen, und zu bedenken, daß Ihr Gefangener seid, Gefangener Seiner Exzellenz des Kommodores aller Flibustier, dessen Namen de Graff Eure spanischen Freunde wohl kennen dürften!«

Er lachte sein übermütiges Lachen, das auch am Hofe zu Versailles nicht übel geklungen hätte, verneigte sich artig und war zur Türe hinaus. Der Riegel schloß sich von außen, und die Tritte verklangen.

Der junge Deutsche war allein in dem fremden Gemach.


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