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Der Durchbruch

Der feindliche Späher. – Gefangen. – An Bord des Spaniers. – Don Alfonso. – Grausame Qualen. – Der Brander. – Freund und Feind. – Gerettet. – Neue Wolken.

 

War es die Ungewißheit über das, was der nächste Morgen bringen mochte, oder die unerhörte Schwüle dieser Nacht, Justus konnte im Gegensatz zu Georg, der todmüde von der angestrengten Arbeit sofort in bleiernen Schlaf gesunken war, keine Ruhe finden. Die Hitze des engen Raumes, in dem sie ihr Lager bereitet hatten, erschien ihm geradezu unerträglich, und die Moskitos ließen ihm keine Ruhe. So hatte er sich schließlich erhoben und war an Deck gegangen. Erst als er die Kleider abgeworfen hatte und sein Körper den kühlen Hauch der einsetzenden Seebrise spürte, atmete er auf. Die Mitternacht war vorüber. Die Flut war gekommen und mit ihr der Seenebel, der nur wenig vom Vollmondschein durchließ, so daß alles ringsumher in ein ungewisses, grünliches Licht getaucht schien. So spukhaft war diese Beleuchtung, daß er in seinem Wandern das Deck entlang vor den Puppen zusammenschrak, die sein Bruder auf dem Vorderdeck hatte errichten lassen, und deren Ärmel jetzt in dem leichten Winde gespenstisch hin und her flatterten.

Plötzlich fuhr Justus von neuem zusammen. Was war das für ein Mensch gewesen, der dort eben aus dem Schatten der Reling hervorgetreten war und sich gleich daraus in dem Nebel über der Back verloren hatte? Blitzschnell, wie er aufgetaucht, war der nächtliche Spuk auch wieder verschwunden. Wohl aber hörte Justus ganz deutlich noch immer das Geräusch eines nackten Fußes auf den Planken und dann, als er eilends nach vorn lief, das Aufschlagen eines menschlichen Körpers im Wasser unten neben dem Schiff.

Sofort war er sich im klaren, daß hier dem Brander ein höchst unerwünschter nächtlicher Besuch abgestattet worden war. Tausend Mutmaßungen, die sich mit dem feindlichen Unterhändler, mit der Wahrscheinlichkeit einer spanischen Auskundschaftung beschäftigten, schossen ihm durch den Kopf. Wohl wissend, daß er hier unter allen Umständen rasch handeln mußte, lief er die Schiffstreppe hinab und warf sich in eins der kleinen Boote, die am Tage vorher dem Verkehr mit dem Festlande und mit den anderen Schiffen gedient hatten und nun träge im leichten Wellengange an ihren Halteleinen auf und nieder gingen. In demselben Augenblicke, als er die Leine gelöst hatte und mit hastigen Händen das kleine Segel setzte, das nur mit Lederriemen leicht um den Mast gerefft war, sah er, nur zehn Fuß entfernt, den Schatten eines hastig arbeitenden Schwimmers durch das Wasser gleiten.

»Verfluchte Nachlässigkeit, die Waffen abzulegen!« schalt er im Stillen sich selbst, als er an die in der Schiffsküche gelassene Pistole dachte. »Halt! Halt!« klang sein gellender Ruf, mit dem er jetzt wenigstens die oben im Mannschaftsraum schlafenden Leute alarmieren wollte. Es war aber offenbar nicht leicht, die müden Schläfer aus ihrem tiefen Schlummer zu erwecken; so beschloß er, selbst diesem geheimnisvollen nächtlichen Besucher nachzusetzen. Wohl fing sich sofort der Seewind in dem kleinen Segel, und das leichte Boot begann rasch Fahrt zu machen; auch hörte er jetzt noch immer deutlich das Geräusch des Schwimmers im Wasser. Aber die Gestalt selbst war längst im Nebeldampf, der unmittelbar über dem Wasser doppelt dicht lag, verschwunden, und schließlich begann ihn auch das Gehör zu betrügen. Es schien, als habe er den Schwimmer bald rechts, bald links neben sich, bis er sich mit der ziemlich raschen Fahrt seines Bootes dem Lagunenausgang näherte und in dem dort herrschenden stärkeren Seegang die letzten Spuren dieses Geräusches verlor.

Daß es sich hier um einen Versuch des Feindes handelte, die Vorbereitungen der Flibustier für den Kampf zu erspähen, war ihm nicht mehr zweifelhaft. Ebensowenig zweifelhaft erschien es aber, daß er allein in diesem Nebel den Spion nicht mehr finden würde. So hielt er es für das beste, sich dicht an jener Landzunge zu halten, auf deren Spitze er den beobachtenden Posten wußte. Er wollte den Wachhabenden dort zu einer genauen Durchsuchung der Ausfahrt veranlassen, die ein feindlicher Schwimmer ja unter allen Umständen kreuzen mußte, wenn er die spanischen Schiffe wieder erreichen wollte.

Verwünscht war dieser Nebel! Er wurde immer dichter, je mehr sich Justus der Ausfahrt näherte. Jedwede Ortskenntnis ging ihm verloren, und schließlich war er nur darauf angewiesen, sich nach der Richtung von Wind und Wellen seinen Weg zu suchen. Zerrissen aber in der immer frischer wehenden Brise diese Fetzen wirklich für Sekunden, so ging es ihm, wie es ihm oft bei einem Erwachen aus tiefem Schlaf gegangen war, daß rechts und links vertauscht waren und er die Uferumrisse noch vor sich sah, die er bereits hinter sich vermutet hatte. Immer mehr von diesem grauen Chaos verwirrt, steuerte er schließlich, entschlossen im rechten Winkel abdrehend, in den Wind, wo er nach seiner Berechnung mit wenigen Kreuzschlägen Land erreichen mußte.

Eine halbe Stunde mochte er so gekreuzt haben, als er vor sich den Schattenriß eines Bootes auftauchen sah. Er hatte sein Ziel glücklich erreicht; die Gestalten da im Boot trugen – im plötzlich aus den Wolken tretenden Mond sah er es deutlich – die roten Hemden der Flibustier.

Ein leiser Ruf von drüben. Nun hatte man auch ihn entdeckt, und das Boot kam mit einer Wendung näher. Eben aber hatte er leise das Wort »Oranien« herübergerufen, das für diesen Tag als Losungswort zum Ausweis bei den Posten von de Graff ausgegeben worden war, als ein Bootshaken von drüben nach seinem leichten Fahrzeug herüberlangte und es Seite an Seite neben das andere zog. Dieses aber war – zu spät erkannte es Justus an den leise geflüsterten Worten der Insassen – ein feindliches! Der listige Gegner trug, um die Patrouillenboote de Graffs zu täuschen, das rote Kleid der Flibustier.

Sofort hatten ein paar derbe Fäuste den jungen Deutschen gefaßt, ein Knebel schob sich in seinen Mund, und schmerzhaft schnürten alsbald Stricke seine Hand- und Fußgelenke, daß er kein Glied rühren konnte. Er war plötzlich wehrlos in der Hand eines Feindes, von dessen Grausamkeit er am Tage vorher genug gehört hatte.

Im übrigen kümmerte man sich vorderhand nicht um ihn. Er lag auf dem Rücken und war durch die Fesseln so stark behindert, daß er sich nicht einmal auf die Seite wälzen konnte. Als er aber zum ersten Male seinen Blick seitwärts richtete, erkannte er sofort, was die Spanier hier trieben. Man vollendete die in der vorhergehenden Nacht begonnene Arbeit: man durchlotete die Einfahrtrinne, durch die man morgen in die Lagunen eindringen wollte. Leise raunte der Mann am Vordersteven nach jedem Leinenwurf dem Führer die gefundenen Zahlen zu. Dann folgte jedesmal das Aufschlägen eines schweren Gegenstandes im Wasser; an Steinen verankerte man kleine, aus dem Wasser schwimmende Blechtönnchen, die am nächsten Morgen dem spanischen Admiralsschiff den richtigen Kurs verzeichnen sollten.

Justus' Hirn begann fieberhaft zu arbeiten. Wurde der Flibustierposten in diesem dichten Nebel wohl den Feind bemerken? Würde er stark genug sein, diesen Kutter mit seiner an die zwanzig Mann zählenden Besatzung zu überwältigen? Und was stand ihm bevor, wenn er wirklich an Bord des feindlichen Schiffes gebracht wurde?

Immer wieder kreisten seine Gedanken um diese quälenden Fragen, bis er einen schwachen, vom Wasser herkommenden Ruf hörte. Es konnte nur der Schwimmer sein, den er vorher gesehen, und dessen nackter Körper sich jetzt über Bord schwang. Ein herkulisch gebauter Neger mit mächtigem Stiernacken war es, der diese weite Schwimmfahrt gewagt hatte. Nun ging er nach dem Vordersteven, wo er mit dem Führer des Kutters zu sprechen begann, so leise freilich, daß Justus kein Wort verstehen konnte. Gleich darauf wandte das Boot und ruderte hastig, ohne daß ein Wort von seiner Mannschaft gesprochen wurde, von dannen.

Eine Ermattung, die sich wohl aus der überstandenen Aufregung erklären mochte, war bei dieser Fahrt über den Deutschen gekommen, so daß er aus seiner Benommenheit erst wieder erwachte, als der riesenhafte Schatten einer Schiffswand neben dem Boot auftauchte. Gleich darauf löste man seine Fußfessel, und er fühlte den Tritt eines schweren Seestiefels. »Vorwärts, du roter Hund!« sagte der Mann, der ihn eben befreit hatte, und stieß ihn die Schiffstreppe hinauf.

Gewiß, das war das spanische Admiralsschiff! Deutlich erkannte Justus auf dem Achterdeck jene eigentümliche Lafette wieder, deren Geschütz vor zwei Tagen den »Egmont« so gefährlich verwundet hatte. Auch war jetzt die Morgendämmerung immerhin schon hell genug, daß er weiter hinten in dem allmählich lichter werdenden Nebel die Schatten der übrigen spanischen Schiffe erkennen konnte. Nur jetzt nicht die Besonnenheit verlieren, dachte er, als man ihn mit rohen Stößen zum Kajüteneingang trieb. Noch vor Sonnenaufgang, mit dem Beginn der Ebbe, sollte ja der Branderangriff erfolgen, und er wurde vielleicht doch noch frei, bevor man ihm hier wieder etwas zuleide getan hatte.

An ihm vorbei wurde jetzt der Nigger in die Kajüte des Admirals geführt, wo er offenbar sofort über seine Beobachtungen vernommen wurde. Gut eine halbe Stunde dauerte dieses Verhör, und Justus, dem man jetzt wenigstens ein paar Kleidungsstücke gegeben hatte, sah mit Genugtuung, daß neben dem Schiff der einlaufende Strom, das Zeichen der steigenden Flut, langsam zum Stillstand kam. Eine weitere halbe Stunde, und Ebbe mußte einsetzen! Die Fesseln an den Händen hatte man ihm auch jetzt nicht abgenommen, so stand er eine Weile in der kühlen Brise an der Reling, den Verwünschungen und verstohlenen Mißhandlungen ausgesetzt, mit denen die vorübergehenden Spanier ihrem Haß gegen den vermeintlichen Flibustier Luft machten.

Dann kamen Offiziere aus der Admiralskajüte, wohlbekannte spanische Befehle schallten über das Deck, und von der Back erscholl dumpf der melancholische Morgengesang der spanischen Matrosen, wie er ihn oft auf der »Santa Maria« gehört. Unendlich bekannt und doch wieder unsäglich fremd war ihm das alles. Nichts erinnerte hier an den leichten, fröhlichen Ton, der auf der »Santa Maria« geherrscht hatte. Düster blickten diese Offiziere, bewaffneten Mönchen eher gleichend als Seeleuten. Keiner wechselte ein Wort mit dem andern, und stumm, lebendigen Automaten gleich, verrichtete die Mannschaft ihre Arbeit. Vorn auf der Back aber war man jetzt zu einem besonderen Schauspiel angetreten. Um einen mit gefesselten Händen knieenden Matrosen bildeten andere einen Halbkreis. In diesen Kreis trat, am roten Barett kenntlich, der Profos und ließ seine mit Eisenstacheln bewehrte Geißel auf den nackten Rücken des Verurteilten tanzen, bis dieser, der am Ende für irgendein geringfügiges Vergehen so grausam gestraft wurde, laut schreiend zusammenbrach.

Angewidert von dieser Szene, wollte Justus sich abwenden, da traf ihn wieder ein roher Fauststoß. Er blickte sich um und fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht zurücktrat. Der ihn da so roh begrüßt hatte, war kein anderer als ein zweiter Henker dieses Schiffes, ein stiernackiger Kerl in rotem Wams, dem seine Gehilfen die Marterwerkzeuge nachtrugen: Daumenschrauben und nebst einem brennenden Kohlenbecken feine Zangen, die man damals benützte, um mit dem glühenden Eisen hartnäckiges Leugnen und Schweigen zu brechen.

»Für dich, mein Vögelchen! Für dich und keinen andern!« rief der Mensch und verschwand gleich darauf nebst seinen Gehilfen im Kajüteneingang.

So also stand es um ihn! Man hatte offenbar nicht alles erspäht, was man hatte wissen wollen, und beabsichtigte von ihm jetzt einen Verrat zu erpressen. Eine unaussprechliche Augst vor diesem Verhör legte sich plötzlich als Zentnerlast auf seine Brust, und verzweifelt fragte er sich, ob es nicht besser sein würde, sich dem Kommenden trotz der gefesselten Hände durch einen raschen Sprung über Bord zu entziehen. Er sah in die dunkle Flut hinab. Dort begann nun schon, wenn auch noch ganz langsam, das Wasser meerwärts zu ziehen. Ein schwacher Hoffnungsschimmer tauchte wieder in ihm auf; die Ebbe begann also und mit ihr die Stunde, in der der Angriff der Flibustier erfolgen sollte.

Aber da rissen schon wieder harte Fäuste an seiner Schulter, und gleich darauf nahmen ihn zwei Wachen in die Mitte, ihn vor sich die Treppe zur Kajüte hinabstoßend. Da stand er mit seinen Offizieren, dieser Spanier, hager und dürr wie der Gottseibeiuns, die glühenden Augen des lederfarbenen Gesichtes durchdringend auf Justus geheftet. »Du bist Offizier des Seeräubers.« fragte er langsam.

Justus schoß das Blut in die Stirn bei dieser verächtlichen Anrede. Immerhin wußte er wohl, daß er hier mit List immer noch weiter käme als mit trotziger Widerrede. So entgegnete er in geläufigem Spanisch: »Ihr irrt, Señor! Ich war bis vor wenigen Wochen Gast an Bord der ›Santa Maria‹, die bei Tortuga gekapert wurde. Ich bin damals in die Hände der Flibustier gefallen. Hier mein Geleitbrief!«

O weh! Die Ledertasche, die er sonst doch immer um den Hals zu tragen pflegte, hatte er ja am Tage zuvor mit seinen übrigen Wertsachen und seinen Kleidern auf dem Brander gelassen! Der Einwand, daß er die Namen der auf der »Santa Maria« zu Tode gekommenen spanischen Offiziere kannte, verfing nicht.

»Ich glaube es wohl, daß du die Offiziere der ›Santa Maria‹ kennst. Sie werden wohl in eurem Kerker auf Tortuga sitzen. Dein Leugnen hilft dir nichts, Bursche!« herrschte er Justus an. »Du bist heute nacht an Bord eines eurer Schiffe gesehen worden. Oder ist es nicht derselbe, Pompejo, den du heute nacht an Bord gesehen hast?« fragte er den Neger, der nun hinter den Offizieren hervortrat.

Mit breitem Grinsen nickte der Mann. »Ist derselbe, hat Pompejo beinah gefangen«, sagte er in seinem gebrochenen Niggerspanisch.

»Du siehst, Bursche«, schrie der Spanier Justus an, »daß wir alles wissen, alles, was ihr gegen uns vorbereitet habt. Gestehe sie nur ein, eure Pläne, sonst ... Unsere Profose verstehen ihr Handwerk noch besser als die euren.«

Eine Weile war alles still. Justus fühlte die teuflische Bosheit dieser funkelnden Augen, die ihn zu durchbohren schienen. Du überlistest mich nicht, dachte er in plötzlich aufsteigendem Trotz. Dieser Nigger mag dieses und jenes au Bord gesehen haben, die eigentliche Einrichtung des Branders muß ihm unbekannt geblieben sein.

Er warf den Kopf in den Nacken. »Wenn Ihr«, sagte er spöttisch, »alles wißt, so ist's ja kaum nötig, daß ich selbst auch nur ein Wort darüber verliere.«

Der andere winkte mit nachlässiger Gebärde, so hochmütig, als wollte er ein lästiges Insekt abwehren. Die Offiziere traten beiseite, und der Tisch mit den ausgebreiteten Folterwerkzeugen wurde sichtbar. Neben dem Tisch lehnte der Freimann, den er vorher gesehen hatte.

Da wurde Justus' Trotz zur Wut, zur hellen Wut über diesen grausamen Bösewicht, der sich nicht scheute, eine scheußliche Folterung in seiner eigenen Kabine vornehmen zu lassen. »Es scheint, Señor«, sagte er, stolz sich aufrichtend und mit unsäglicher Verächtlichkeit in der Stimme, »es scheint, Ihr und diese Kavaliere da haben sich auf dieses Schauspiel gefreut. Ich mag euch die Ungeduld nicht allzusehr vermehren!«

Er trat mit trotzigem Blick an den Tisch, die Hände dem Mann im roten Wams entgegenstreckend. Aber er hatte keine Gelegenheit, die Wirkung seiner Worte auf diesen Don Alfonso zu beobachten. Ein Offizier hatte bei seinen letzten Worten die Türe der Kabine aufgerissen und dem Admiral hastig ein paar Worte zugeflüstert, die dessen Absichten plötzlich zu ändern schienen.

»Gib ihn frei!« rief er dem Henker zu, der Justus' Arm bereits ergriffen hatte. »Deine Spießgesellen sind in Sicht. Du hast jetzt eine letzte kurze Frist, eure Anschläge zu bekennen.«

Wieder entstand eine kurze Pause, in der Justus auf dem Deck über sich das Laufen der auf ihren Gefechtsposten sich sammelnden Mannschaft hörte. Er selbst aber, noch immer von unsäglicher Wut gegen diesen gelbhäutigen Satan beseelt, würdigte den Admiral keines Blickes, sondern wandte ihm verächtlich den Rücken zu.

»Du sollst reden lernen, Viper!« schrie der Spanier in plötzlich ausbrechendem Zorn. »Hinauf mit ihm an das Achtergeschütz!« Er eilte, von seinen Offizieren gefolgt, die Treppe« hinan. Hinter ihm zerrte man Justus, dem wieder die Hände gefesselt worden waren, nach oben.

Das Schiff war kampfbereit. Die Entermannschaft war angetreten und die Geschützstände waren besetzt. Der Offiziere auf der Brücke aber schien sich eine heftige Erregung bemächtigt zu haben; sie setzten die Gläser ab, mit denen sie eben noch nach der Nebelwand über der Einfahrt gespäht hatten, sie zeigten, Gebärden machend, dorthin, wo ab und zu die Rahen eines sich langsam nähernden Schiffes aus dem Grau auftauchten, sie schrien aufeinander ein und schienen sich über die zu ergreifenden Maßregeln ganz und gar uneins zu sein. Die andern spanischen Schiffe hatten übrigens schon ihre Anker aufgenommen und begannen, ein Segel nach dem andern setzend, langsam die Fahrt auf die Flußmündung zuzumachen.

Durch die Reihen der auf dem Deck angetretenen Spanier wurde Justus auf das Achterdeck geführt. Wohl hatte auch er bei diesem Gang verzweifelt in das Grau gestarrt; aber auch er hatte nichts weiter entdecken können als diese Rahen mit den halbgerefften Segeln und diese Mastspitzen, von denen er nicht einmal wußte, ob sie zu dem Brander gehörten. So waren sie auf dem Achterdeck bei dem dort stehenden Geschütz angelangt. Gleich darauf sah Justus sich von johlenden, scheltenden Menschen umringt. Grobe Hände zerrten ihn vor die Mündung der Kanone, hielten seine Glieder umklammert, zogen die Stricke fest, die sich um seinen Körper schnürten. Als die rohe Schar endlich von ihm abließ und er sich umschaute, sah er, daß man ihn vor die Mündung des Kanonenrohrs gebunden hatte, an dessen andern Ende die Artilleristen mit der brennenden Lunte standen.

Der Offizier, der hier befehligte, schien übrigens mit einigem Widerwillen den Befehl seines Admirals ausgeführt zu haben. Er verwies seinen Leuten die Spottreden, mit denen sie Justus behelligten, und trat zu dem Gefesselten. »Ihr tätet mir einen Gefallen, wenn Ihr in letzter Minute noch sagen wolltet, was wir wissen müssen. Ich spiele ungern den Henker an Euch, glaubt es mir. Sagt mir doch, was dieses Schiff bringt, das der Neger erkletterte?«

Justus sah auf die drohende Geschützreihe des Schiffes, deren Rohre nur das Zerreißen des Nebels da vorn erwarteten. Verriet er das Geheimnis, so wurde diese Hölle von hundert Feuerschlünden gegen den Brander losgelassen, auf dem er seinen eigenen Bruder wußte. Trotzig setzte er die Zähne auf die Oberlippe und schwieg auch auf diese Worte.

»Mein Herr«, sagte der Spanier, »ich habe gesehen, daß Ihr ein Mann von Mut und Ehre seid. Auch ich als Euer Feind erkenne das an; aber glaubt mir, es ist vergebens, daß Ihr ...«

Ein lautes Rufen vom Vorschiff unterbrach ihn. Ein Windstoß hatte die Nebelwand zerrissen, und wo ihre Fetzen über dem Wasser zerstoben, tauchte jetzt, rasch mit der Strömung treibend, ein Schiff auf, keine zweihundert Fuß mehr entfernt, das Vorderdeck dicht besetzt von Mannschaften, die zum Entern bereit schienen. In voller Klarheit stand das alles plötzlich da. Hinter dem Schiff aber sah Justus ein kleines Boot abstoßen und in eilender Fahrt nach jener Richtung davonrudern, wo die Nebel noch immer die von den Flibustiern besetzte Landspitze verhüllten. Dann aber fuhr ein neuer Windstoß von der See her in die weit nach der Lagune zu gedrängte graue Wand. In den ersten Sonnenstrahlen, die sich jetzt schüchtern hervorwagten, wurden große, dichtbesetzte Boote sichtbar, die eine Strecke hinter dem Brander still wie Schemen herangeglitten kamen.

Justus sah angstvoll auf das Schiff, das sich so geheimnisvoll, wie von Geisterhänden getrieben, auf den Spanier zu bewegte. Wie, wenn der Nigger doch alles durchschaut hatte? Wenn man den Betrug in letzter Stunde noch merkte und in jenen rotbehemdeten Gestalten, die im Nebel freilich völlig wie dichtgedrängte Menschenmassen aussahen, verkleidete Holzpuppen erkannte? Er sah wieder auf die zum Feuern bereiten Kanoniere hinter sich, und das Grauen des Augenblicks schloß ihm für Sekunden die Augen. Aber in eben diesem Augenblick, dem entscheidendsten seines Lebens, hörte er von der Brücke ein gellendes Kommando, einen schrillen Ruf einer vor Erregung zitternden Stimme: »Alle Kanoniere auf die Enterposten!« Da begann die unerträgliche Spannung sich zu lösen; er wußte nun, daß der feindliche Admiral getäuscht worden war. Don Alfonso hatte ein zum Entern bereites Schiff aus dem Nebel kommen sehen, er hatte sich gesagt, daß für einen Artilleriekampf die Entfernung zu gering sei, und ließ darum alle seine Leute sich zum Gefecht Mann gegen Mann fertig machen. Täuschte nicht alles, so mußte der kühne, von Georg ersonnene Anschlag nun doch gelingen.

Wohl dämmerten diese Bilder und diese Gedanken noch durch Justus' Hirn. Aber die Erschütterungen der letzten Viertelstunde waren wohl zu mächtig gewesen, und so verließen ihn die Sinne gerade in dem Augenblick, als die Kanoniere von dem Geschütz forteilten, an das er gebunden war.

Der junge Offizier, der noch einmal an den Gefesselten herantrat, sah nicht gleich, daß er einen Bewußtlosen vor sich hatte. »Mein Herr«, sagte er, »nicht mit meinem Willen geschah Euch so Grausames. Ich wenigstens bin froh, daß ich nicht Euer Henker wurde.« Jetzt erst bemerkte er, daß der vermeintliche Flibustier ohnmächtig in seinen Fesseln hing. Und der ritterliche Andalusier, der sich offenbar der viehischen Grausamkeit seines eigenen Admirals schämte, durchschnitt eigenhändig die Fesseln und legte den Bewußtlosen so sanft auf die Planen nieder, als es ihm die Eile erlaubte.

So kam es denn, daß Justus nichts sah von den grausigen Bildern der nächsten Minuten. Er bemerkte es nicht, wie der Brander immer schneller von der Strömung herangetrieben wurde, er hörte nicht mehr die Schreie der überraschten Spanier, die zu spät ihren Irrtum erkannten und zu spät mit langen Haken das herannahende Schiff abzuwehren versuchten. Erst der gewaltige Donner, mit dem das gespenstische Schiff da drüben in Dampf und Flammen auseinanderstob, erst dieser Donner rüttelte den Deutschen wieder aus dem Versagen seiner Sinne.

Wie im Traum sah er, daß der Brander das spanische Admiralsschiff gerade in der Höhe der Kommandobrücke erreicht hatte, daß ein verderblicher Hagel von Eisen und Steinen dort alles über den Haufen warf, was an Geschützen, Geräten und Menschen umherstand. Er hörte die schrillen Jammerschreie, er sah zerrissene Körper durch die Luft fliegen, er sah verzweifelte Menschen in lichterloh brennenden Kleidern das Deck entlangrasen, und sah dann endlich, wie die Masten des Branders, die sich bei der Sprengung plötzlich wie Riesenfackeln entzündet hatten, nun wie von Geisterhand gekappt sich vornüber auf den Spanier legten, mit ihrem herabtropfenden brennenden Teer sofort das ganze Vorderschiff in Brand steckend. Daß die Explosion, verdoppelt in ihrer furchtbaren Wucht durch den engen Raum, in dem sie erfolgte, das feindliche Schiff in der Mitte buchstäblich durchbrochen hatte, merkte er erst eine volle Minute später, als sich das Achterschiff plötzlich steil aufrichtete und er selbst, noch immer halb betäubt, mit hundert schreienden Menschen ins Wasser fiel.

Als Justus wieder an die Oberfläche kam, war von dem Brander nichts mehr zu sehen. Unmittelbar neben ihm versank mit lautem Zischen das brennende Wrack. Er selbst, noch immer geschwächt von der überstandenen Bewußtlosigkeit, haschte nach dem festen Gegenstand, der neben ihm trieb. Das Dach eines Ziegenstalles war es, der von dem zerschmetterten Schiff gefallen war. Noch immer war es Justus dabei, als nähme er alles, was in seiner Umgebung geschah, doch nur wie durch einen dichten Schleier wahr. Wohl hörte er den Siegesruf auf den Flibustierbooten dort, wohl sah er die dicht besetzten Boote in schneller Fahrt seewärts rudern, wo die übrigen spanischen Schiffe in kläglicher Bestürzung sich eben zur Flucht zu wenden schienen, aber eine unsägliche Gleichgültigkeit gegen diese Eindrücke ließ ihn die Dinge eben nur wahrnehmen und fesselte seine Aufmerksamkeit an die Notlage, in der er selbst sich eben befand. Der immer schärfer seewärts gehende Strom drohte seinen Stall abzutreiben. Er mußte aus Leibeskräften rudern, um in der Nähe der Kämpfenden zu bleiben, denen er ja für immer aus den Augen gekommen wäre, wenn der Strom ihn ins Meer hinausriß.

In dieser verzweifelten Arbeit um sein Leben entging es ihm fast, daß ein zweiter Mann sich nun auf das treibende Dach schwang, und daß dieser zweite Mann kein anderer als jener Don Alfonso war, dessen Grausamkeit er noch vor wenigen Minuten an seinem Leibe erfahren hatte. Sie musterten sich nur mit kurzem Blick, sie waren ja jetzt beide nur zwei um ihr Leben kämpfende Menschen, die aus Leibeskräften auf das rettende Land zuruderten. Sie hörten nicht auf das gellende Kampfgeschrei in ihrer Nähe und den grollenden Baß der Kanonen, die jetzt aus weiter Ferne von der hohen See herübergrollten. Sie arbeiteten mit aller Kraft so lange, bis sie der immer stärker werdenden Strömung der Flußmündung seitwärts entkommen waren und der Seewind sie schließlich samt ihrem Ziegenstall langsam ans Land trieb. Als sie festen Fuß unter ihren Füßen hatten, musterten sie sich von neuem, verächtlich und auch in dieser Stunde nicht von seines Volkes Hochmut lassend, der Spanier, verwirrt, und jetzt erst seinen Peiniger von ehedem erkennend, der vermeintliche Flibustier.

Justus war wohl allzusehr erschöpft von den Ereignissen der letzten Stunden; er sah noch die Leute der Flibustierwache heraneilen, die er in der Nacht hatte erreichen wollen, er glaubte auch noch, die wohlbekannte Stimme Georgs durch den Lärm des Gefechtes zu vernehmen, aber dann verließen ihn die Kräfte zum zweiten Male, und zu Tode erschöpft sank er zu Füßen des feindlichen Admirals nieder.

Dieser Spanier triumphierte übrigens noch jetzt über seine Gegner. Eben als der erste der hinzuspringenden Flibustier ihn erreichte, riß er den seinen Damaszenerdolch von der Seite und rannte sich die schmale Klinge in die Brust, mit seinem schweren Körper über den daliegenden Justus niederfallend. –

Es dauerte lange, ehe Justus die Folgen dieser Stunden überwand. Eine volle Nacht mühte der alte Kellermann sich um den Fiebernden, der immer wieder in seinen wirren Träumen die Schrecken der letzten Stunden zu durchleben schien. Es war heller Sonnenschein, als er am Nachmittag des folgenden Tages erst erwachte und verwundert seine Augen umherwandern ließ. Der helle Sonnenfleck, der an der Kabinenwand auf- und niedertanzte, sagte ihm wohl, daß sie schon auf See sein müßten.

»Kellermann«, rief eine wohlbekannte Stimme neben ihm, »Kellermann, kommt nur! Er wacht!« Georg war es, der während der ganzen vergangenen Nacht und den Morgen über nicht von Justus' Lager gewichen war und nun freudig den alten Arzt herbeirief.

»Bei Gott, Herr von Owelglas«, sagte der Alte, »Ihr habt mir genug zu schaffen gemacht! Wo in aller Welt aber habt Ihr auch gesteckt, nachdem Ihr so plötzlich während der Nacht verschwunden waret? Seht Euch gefälligst hier den Herrn Bruder an; er ist ein großer Seeheld, hat mit seiner Höllenmaschine den Kommodore aller Flibustier gerettet und ist gleichwohl munter und frisch.« Er reichte Justus gutmütig lachend einen Kelch mit dem schweren Kapwein, den de Graff aus seinen eigenen Vorräten gespendet hatte. Dann gab er noch einige Weisungen und stahl sich davon, die beiden Brüder der Freude des Wiedersehens überlassend.

Noch war Justus zu matt, um seine Geschichte zu erzählen; wohl aber vernahm er staunend in dieser Stunde, was sich eigentlich abgespielt hatte, während er selbst nach der Vernichtung des Spaniers mit dem feindlichen Admiral dem Lande zugetrieben war. Jene Boote, die er unmittelbar hinter dem Brander den Spaniern sich hatte nähern sehen, hatten unter Lussans Führung sofort den verwirrten Feind angegriffen. Es waren keineswegs schwere Kämpfe gewesen. Von den übrigen vier spanischen Schiffen hatte sich nur eins zur Wehr gesetzt, die andern hatten noch Segel genug setzen können, um zu entkommen.

»Nur eins freilich«, schloß Georg seine Erzählung, »dürfte den Spaniern auf Kuba ihre schmähliche Niederlage melden, denn zwei weitere sind auf hoher See zusammengeschossen worden. Rate übrigens, von wem. Nun, laß es lieber!« fügte er hinzu, besorgt in die erschöpften Züge des Bruders schauend. »Du errätst es doch nicht und bist am Ende zu müde, um aus solche wunderlichen Dinge zu kommen: Morgan also hat die beiden Spanier noch gerade zur rechten Zeit erwischt, vier Meilen von Culebra. Wohlgemerkt, nachdem er den Spaniern ihre Niederlage deutlich genug ansehen konnte! Er hält sich natürlich für den Sieger des Tages.«

Aber Justus war noch zu ermattet, um jetzt an den Verrat dieses Mannes denken zu wollen, der offenbar in wohlberechneter Absicht so spät in das Gefecht eingegriffen hatte. »Wo ist er denn jetzt?« fragte er mit müder Stimme.

»Hier bei uns auf dem ›Egmont‹. In der Tasche des feindlichen, Admirals soll nämlich irgend ein wichtiges Papier gefunden worden sein, das unsere Pläne plötzlich umwirft. Sämtliche Kapitäne sind zum Kriegsrat hier an Bord. Sie scheinen übrigens nicht sehr einmütig zu sein.«

Wirklich vernahm man bis in diese stille Kabine das Streiten erregter Stimmen, aus dem immer wieder Morgans brutaler Baß sich deutlich abhob, so zornig und drohend, als müsse dort unten jeden Augenblick ein blutiger Streit ausbrechen. Aber dann war de Graffs ruhige Stimme zu vernehmen, und schließlich wurde es plötzlich still, bis das Rücken von Stühlen und der Lärm zahlreicher Tritte auf den Treppen das Ende des Kriegsrates anzeigte.

»Wie lange«, fragte Justus, »bleiben wir noch auf Culebra?«

»Bruderherz«, lachte Georg fröhlich, »keine Menschenseele ist mehr dort. Wir sind seit gestern abend schon auf hoher See, mit Südkurs, wie mir scheint.«

»Und wie ist es dir ergangen, als du den Brander abließest?« fragte Justus, dessen Gedanken sich noch immer nicht von den Ereignissen des vergangenen Tages losmachen konnten.

»Nun, leidlich gut. Wir waren ja zunächst einigermaßen bestürzt, als du in der Frühe fehltest. Aber ich dachte mir eben, du seist in der Nacht zu Lussan übergesiedelt, weil dir meine Feuerwerkerkünste nicht paßten. Ich hatte auch keine Zeit, dich zu suchen. Ich hatte noch einmal alles genau zu berechnen, und dann kam de Graff und gab mir seine Weisungen. Die Ebbe begann und setzte meinen Brander in Bewegung. Ich wüßte nicht, was ich dir sonst noch zu berichten hätte; ich habe eben die Uhr auf die richtige Zeit eingestellt und bin zur rechten Zeit mit meinem Boot davongefahren, zu der Landspitze hinüber, wo man dich dann später bei dem toten Spanier fand. Offen gestanden, es ist mir nachträglich nicht lieb, daß ich so viele von ihnen in die Luft befördert habe. Man sagt, es seien grausame Burschen gewesen. Aber immerhin, es waren doch Menschen!« Er sah nachdenklich vor sich auf den Boden, wo in der Sonne eine Lache verschütteten Weines rot wie Blut aufblitzte.

»Laß gut sein!« sagte Justus tröstend. »Du weißt am Ende nicht, wie grausam sie waren; ich wenigstens ...«

Die Tür ging auf, und de Graff, von Lussan und mehreren andern Offizieren gefolgt, betrat den Raum. Auch Morgan war unter ihnen. Hatte es dieser Mensch nun bei dem eben beendeten Kriegsrat zu einem offenen Zwist mit dem Admiral kommen lassen oder fühlte er sich als Sieger des Tages, als eben denjenigen, der de Graff aus einer Falle geholfen hatte, – er zeigte jedenfalls nichts mehr von jener Unterwürfigkeit, mit der er sich damals auf dem Deck der »Santa Maria« dessen Weisungen gefügt hatte. Ein mühsam verhaltener Hohn lag in seinem Gesichte, und er schien mit seinen Kapitänen verstohlen spöttische Bemerkungen zu wechseln, als der Admiral sich den beiden Brüdern zuwandte.

De Graff war es andererseits auf den ersten Blick anzusehen, daß der Streit bei dem eben beendeten Kriegsrat ihn aufs tiefste erregt hatte. Totenblaß war das Antlitz, und eine Falte geheimen Kummers hatte sich in die Stirn gegraben; aber freundlich und sanft war seine Stimme auch jetzt, als er an Justus' Lager trat und die beiden Hände der Brüder in der seinen vereinte. »Hier, ihr Herren«, sagte er gütig, »hier seht ihr unsere beiden guten Nothelfer, die ich einmal für Verräter gehalten habe. Ich weiß nicht, wie ich ihnen danken soll, da sie unsere Schätze ja doch verschmähen dürften.«

»Macht die Burschen nicht gar zu übermütig!« unterbrach Morgan frech. »Auf meinen Schiffen haben die Leute auch geblutet für Euch. Es ist am Ende nicht Flibustiersitte ...«

»Es ist Flibustiersitte, den Admiral nicht zu unterbrechen«, sagte de Graff scharf. »Schweigt, rate ich Euch! Nur daß Ihr wehrlos an Bord meines Schiffes seid, hindert mich, Eure Frechheit gebührend zu strafen.« Einen Augenblick sahen sich die beiden ins Auge, und der ganze tödliche Haß, der diese beiden Männer trennte, ward in diesem Blick offenbar.

»Gut!« schrie Morgan, und die Wut trieb ihm den Schaum vor den Mund, »gut! Ich gehe heute, aber glaubt mir, ich rechne ab mit Euch! Mit Euch und mit den Burschen da!« Er warf die Tür hinter sich ins Schloß, und noch draußen hörte man sein wüstes Fluchen, als er mit seinen Offizieren die Treppe hinaufstieg.

Die beiden Brüder, die Zeugen dieser Szene gewesen, waren sprachlos. Dahin war es also mit der Unbotmäßigkeit dieses Menschen gekommen, daß er sich bereits offen gegen den Admiral aufzulehnen wagte! Auch Lussan war totenblaß geworden, und nur de Graff selbst blieb gelassen, als er an das Lager des Kranken trat. »Stärkt Euch noch einmal mit dem Wein und erzählt uns endlich, was Euch begegnet ist, Herr Justus! Ihr scheint Schlimmes erlebt zu haben.«

Da fand, als der rote Tarragonawein ihm sein Feuer in die Adern schickte, Justus endlich die Kraft, zu berichten. Und wiewohl er es vermied, nachträglich den toten Feind zu schmähen, er erreichte es doch mit seiner Erzählung, daß Lussan erregt in seinem Zimmer auf und nieder ging und de Graff verächtlich den Kopf schüttelte. »Ihr wenigstens werdet es fortan verstehen, daß wir mit den Spaniern Krieg bis aufs Messer führen, sagte er, als Justus seine Erzählung beendet hatte, »übrigens wächst meine Dankesschuld immer mehr. Hättet Ihr Euch mit der Folter schrecken lassen und unsere Kriegslist verraten, wir wären nie aus dieser Falle befreit worden.« Er hielt eine Weile inne und seufzte, offenbar an Morgan denkend, der ihn so schmählich im Stiche gelassen hatte. »Ich wollte Euch danken«, fuhr er dann fort, »und muß Euch Schweres mitteilen, was Euch Kummer bereiten wird. Ursprünglich war es unser Plan, das Kap zu umsegeln und Lima anzugreifen, wo die Spanier noch vor kurzem ungeheure Goldschätze angehäuft hatten. In der Tasche dieses Don Alfonso, dessen Flotte übrigens das Gold hatte abholen sollen, hat sich nun ein königlicher Befehl vorgefunden, nicht Lima anzulaufen, sondern Panama, wohin inzwischen alles vordem in Lima lagernde Gold geschafft worden sei. So werden wir denn, da jenes Gold nun einmal den Spaniern abgenommen werden soll, nicht Lima, sondern Panama angreifen, die gleiche Stadt, deren Gouverneur Euer Oheim ist.«

Wieder schwieg er eine Weile und wanderte ruhelos im Zimmer auf und ab. »Ich habe heute in dem Kriegsrat die Ansicht geäußert, euch beide während einer dunklen Nacht irgendwo, vielleicht in der Nähe der neuen Stadt Buenos Aires, abzusetzen, von wo ihr mit einem spanischen Kriegsschiff leicht die Heimat erreichen könntet. Ich habe es denen da« – er wies nach der Tür, durch die eben Morgan mit den Seinen gegangen war, – »eindringlich dargestellt, daß es unmenschlich wäre, euch zu Zeugen dieses Kampfes gegen einen Verwandten zu machen. Ich habe diese Unmenschen gebeten, wo ich nicht mehr befehlen konnte. Dieser Morgan aber vertrat hartnäckig die Meinung, daß ihr unsern Plan den Spaniern verraten würdet, und wir sind hart aneinander geraten bei diesem Zwist. Ich bin überstimmt worden im Kriegsrat von ihnen und muß mich nach Flibustierrecht fügen. Ich kann nur hoffen, daß wir unterwegs einem niederländischen Kriegsschiff begegnen, das euch dann in die Heimat bringen könnte. Geschieht das nicht, so weiß ich keinen anderen Ausweg, als daß ihr hier an Bord den Kampf abwartet. Daß ich euren Oheim noch schonender behandeln werde, als ich sonst mit Gefangenen umgehe, dessen seid gewiß.

Der Admiral blieb in seinem ruhelosen Wandern schließlich vor den beiden Brüdern stehen, die, tief betroffen von der schlimmen Kunde, schweigend vor sich hinstarrten.

Endlich unterbrach Georg die Stille: »Ist's denn wenigstens nicht möglich, daß Ihr uns Gelegenheit zu heimlicher Flucht gebt, ehe Ihr verlangt, daß wir tatenlos dem Kampf gegen unseres Vaters eigenen Bruder zuschauen?«

De Graff warf ihm einen traurigen Blick zu. »Ginge es nach mir allein, ihr beide solltet diese Gelegenheit haben, verlaßt euch darauf! Aller Voraussicht nach aber werden wir vor Panama kein festes Land mehr sichten. Vor einer Flucht unmittelbar vor dem Kampf aber muß ich euch dringend warnen; ihr würdet leicht entdeckt und eure Flucht würde euch als Verrat ausgelegt werden. Ich könnte euch kaum schützen in diesem Falle. Morgan kann es nun einmal nicht vergessen, daß er durch euch um die Goldbeute der ›Santa Maria‹ kam. Seitdem aber ist er mächtiger geworden – durch meine Schuld und meine Unvorsichtigkeit.« Er seufzte tief und drückte beiden Brüdern noch einmal die Hand. »Nehmt es denn auf euch, was niemand von uns ändern kann. Am Ende werdet ihr ja auf den Schiffen bleiben und nicht einmal Zeugen des Kampfes werden. Faßt Mut, am Ende geht das Schicksal mit euch dieses Mal doch noch glimpflicher um, als ihr es erwartet.«

Er ging und ließ die beiden Brüder allein mit ihren trüben Gedanken. Schier unerträglich erschien ihnen die Aussicht, untätig einem Überfall gegen den eigenen Verwandten zuschauen zu müssen. Aber wieviel sie auch an diesem Tage nachsannen, um sich diesem Zwang zu entziehen, sie mußten am Ende doch alle Fluchtpläne als unausführbar wieder verwerfen. Und wieder mußten sie es fühlen, daß sie rechtlose, dem fremden Willen preisgegebene Schiffbrüchige waren, seit die »Santa Maria« vor Tortuga in den Wellen verschwunden war.

Der Abend kam, und Justus suchte, auf den Arm des Bruders gestützt, ein wenig Kühlung auf dem Deck. Von den Schiffen Morgans, die in breiter Linie dem »Egmont« folgten, schallte der wüste Lärm eines zügellosen Siegesgelages herüber. Im steten Nordostpassat neigten sich die mächtigen Segelpyramiden des »Egmont«, und Delphinenscharen trieben neben dem Schiff ihr lustiges Wellenspiel. Die Brüder aber hörten auf ein schwermütiges niederdeutsches Lied, das von der Back her, wohl aus dem Munde eines ehemaligen deutschen Landsknechtes, kam. Und sie sahen die Mastspitzen durch die fremden Sternbilder schwanken und dachten sehnsüchtig der Heimat, die dort im Nordosten, fern und unerreichbar, für immer vielleicht, ihnen versunken war.


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