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30

König Rama blätterte in den Personalakten des Prinzen Akani, der mehrere Jahre vor seinem Regierungsantritt gestürzt worden war. Damals hatte er noch keine offizielle Stellung, ja, er war noch nicht zum Thronfolger ernannt, aber er hatte doch erfahren, daß Prinz Akani bitteres Unrecht geschehen war. Das war nur möglich unter der grenzenlosen Günstlingswirtschaft jener Jahre, mit der er sofort bei seinem Regierungsantritt aufgeräumt hatte.

Vor vier Wochen hatte er nun Akani in einem eigenhändigen Schreiben gebeten, nach Siam zurückzukommen und den Posten des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Wenn der Prinz gleich geantwortet hätte, müßte sein Bescheid längst in Bangkok eingetroffen sein. Rama hatte eigentlich erwartet, daß Akani sofort die ausgestreckte Hand ergreifen und sich mit dem Hof versöhnen würde. Daher war er etwas enttäuscht über die abwartende resignierte Haltung seines Onkels.

Nachdenklich betrachtete er ein Foto, das Akani als Oberpriester von Ceylon in einem gelbseidenen Gewand darstellte. Nach der Ordensregel waren wie bei allen buddhistischen Mönchen Haupthaar, Bart und Augenbrauen abrasiert, aber trotz der Unterdrückung dieser charakterisierenden Merkmale prägte sich in dem feingeschnittenen, herbverschlossenen Gesicht eine starke Persönlichkeit aus.

Der König lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er hatte zwar wie Akani in Europa studiert, aber nur den äußeren Schliff der westlichen Zivilisation angenommen, obwohl er viel Verständnis für europäische Kunst und Kultur hatte. In seinem Innersten war er jedoch Siamesse geblieben, und im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der sich mehr oder weniger von fremder Diplomatie hatte leiten lassen und dem Einfluß des Abendlandes vollkommen erlegen war, verfolgte er eine etwas einseitige, streng nationale Politik.

Alle Beschuldigungen gegen Akani hatten sich als böswillige Verleumdungen erwiesen. Dieser Mann war zu großzügig und souverän, um sich in kleinliche Intrigen einzulassen, und zog sich lieber zurück, als daß er von seinen Grundsätzen abwich.

Prinz Akani war groß als Staatsmann, noch größer als Mensch und überzeugter Buddhist, obwohl er als einer der besten Kenner europäischer Philosophie und Literatur galt. Er gehörte zu den wenigen, die den neuen Verhältnissen gewachsen waren und die Dinge klar, schnell und ohne Voreingenommenheit beurteilen konnten. Seine langjährige Tätigkeit auf dem schweren Posten in Paris hatte ihm den nötigen Einblick in das verworrene Netz französischer Politik gegeben.

Rama legte das in dunkelgelbe Seide gebundene Aktenstück auf den Schreibtisch und erhob sich. Leider mußte sich gerade jetzt dieser unangenehme Vorfall mit Prinzessin Amarin abspielen!

Um nationale Politik zu treiben, war der König natürlich gezwungen, sich auf die mächtige Altsiamesische Partei zu stützen, die von Murapong geführt wurde. Aber der Palastminister verfügte nicht über genügend Umsicht, um den Posten eines Ministerpräsidenten zu bekleiden. Er hatte versäumt, mit der Zeit zu gehen und sich anzupassen.

Akani dagegen besaß die erforderliche Energie und Intensität des Willens zur Durchführung der modernen Reformen im Innern, und die nötige Erfahrung, um den europäischen Staaten gegenüber eine starke Außenpolitik zu führen, die Rama als Ideal seiner Regierung vorschwebte. Er selbst war nicht dazu befähigt, weil ihm die körperliche Widerstandskraft fehlte. Seine schwache Gesundheit zwang ihn, sich mehr zu schonen, als ihm lieb war.

*

Surja und Murapong saßen um acht Uhr morgens in dem Warteraum vor dem Arbeitszimmer des Königs.

Beide waren zu ihrem größten Erstaunen zu so früher Stunde telefonisch zu einer Audienz befohlen worden. Im allgemeinen stand der König nie vor elf Uhr vormittags auf.

Rama hatte Anweisung gegeben, daß der Palastminister erst dann vor ihm erscheinen dürfe, wenn er ausdrücklichen Befehl dazu erhalten hatte.

Murapong war darüber empört, da ihm seine hohe Stellung sonst den Vorzug gab, jederzeit in das Arbeitszimmer des Königs zu kommen. Er winkte den diensttuenden Kammerherrn herbei, sah ihn fragend an und machte nur eine fast unmerkliche Bewegung, mit der er auf die Tür des Arbeitszimmers Seiner Majestät deutete.

Der Hofbeamte gab in einer ausdrucksvollen Gebärde durch Zeichen zu verstehen, daß der König in ungnädiger Stimmung sei.

Surja hatte die Absicht, Rama den Fall der Prinzessin Amarin sofort zu unterbreiten. Grenzenlose Wut hatte ihn gepackt, die sich später in kalten Haß verwandelte. Er wollte sich an Warwick und Amarin furchtbar rächen.

Murapong, der seine Ansicht vollkommen teilte, hatte er für seine Pläne gewonnen. Der Palastminister stimmte natürlich auch für schwerste Bestrafung.

In der vergangenen Nacht gelang es beiden leicht, auf Grund des polizeilichen Protokolls und der Aussagen Krabus den belastenden Tatbestand festzustellen.

Nach stundenlangen Erörterungen hatten sie sich jetzt nichts mehr zu sagen und brüteten stumm vor sich hin. Bald darauf öffnete sich die Tür zu dem Arbeitszimmer des Königs, das ganz in Schwarz und Gold gehalten war, und der Flügeladjutant forderte sie auf näher zu treten.

Als sie nach kurzer Begrüßung Platz genommen hatten, sah der König Murapong lange an. Er überlegte erst einige Zeit, bevor er sprach.

Alle Vorzüge absoluter asiatischer Herrscher hatte er geerbt, aber es schlummerte in ihm auch etwas von der Wildheit eines Raubtiers, als seine Blicke Murapong durchbohrten. Dieser Prinz trat in der letzten Zeit wieder zu selbstherrlich auf, und es wurde notwendig, ihn in seine Schranken zurückzuweisen. König Rama hatte nicht die Absicht, sich von seinem Palastminister gängeln zu lassen.

Murapong fühlte sich unsicher und unbehaglich. Er wich dem zwingenden Auge aus und betrachtete verlegen das große Bild des Königs Pra Paramin, das über dem Schreibtisch hing.

»Wenn in meinem Land ein Palastministerium besteht«, begann der König, »so hat der jeweilige Minister die Pflicht, die Angelegenheiten des Königlichen Hauses zu ordnen. Ich sage ausdrücklich, zu ordnen, und nicht in Unordnung zu bringen. Und vor allem hat er sich nach meinem Willen zu richten. Ich habe mir in allen Fällen, welche die königliche Familie betreffen, meine höchste Entscheidung vorbehalten, und der Auftritt im Palais Akani entspricht durchaus nicht meinem Wunsch und Willen. Eine solche Nichtachtung meiner Befehle lasse ich nicht durchgehen. Selbst wenn man Prinz Murapong ist, hat man nicht das geringste Recht, den Hausfrieden der Prinzessin Chanda zu verletzen.«

Der Palastminister war über diese scharfen Worte bestürzt. Wie hatte Chanda dem König Nachricht zukommen lassen können? Er beeilte sich sofort, eine für ihn günstige Darstellung des Vorfalles zu geben, aber Rama hob nur abweisend die Hand und unterbrach ihn schon nach den ersten Worten. »Über den Sachverhalt bin ich vollkommen unterrichtet, und es ist unerhört, welche Übergriffe sich Beamte des Palastministeriums haben zuschulden kommen lassen.

Ich erwarte von dem Palastministerium später einen eingehenden, wahrheitsgetreuen Bericht, und vor allem eine formelle schriftliche und mündliche Entschuldigung bei Prinzessin Chanda wegen dieses Verstoßes und eine angemessene Wiedergutmachung. Sollte mir diese Entschuldigung nicht genügen, so behalte ich mir vor, den Fall durch einen neuen Palastminister erledigen zu lassen.«

Murapong wurde vor Ärger dunkel im Gesicht. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte dem König seinen Posten sofort zur Verfügung gestellt.

In jedem anderen Staat wäre das selbstverständlich gewesen. Aber er war ein alter Siamesischer Beamter, zäh und hartnäckig, und er hatte vor der Macht des Königs große Achtung. Seine natürliche Klugheit warnte ihn vor unüberlegten Schritten. Unter einer absoluten Regierung mußte man auf schnellen Wechsel von Regen und Sonnenschein gefaßt sein, und wenn man sein Amt erst verlor, hatte man ausgespielt. Viele andere warteten nur darauf, daß er in Ungnade fiel, um seinen Posten einnehmen zu können.

In den höflichsten Formen entschuldigte er sich, faßte sich aber kurz, als er sah, daß der König weitersprechen wollte.

»Prinzessin Amarin hat den Tatbestand vollkommen zugegeben und erklärt, daß sie nur unter dem Druck der Verhältnisse ihr Jawort gegeben habe. Schon das allein ist eine Nachlässigkeit sondergleichen! Wie ist es möglich, daß ich als Brautwerber bemüht werde, wenn die Verhältnisse nicht einmal geklärt sind! Ich lasse meine Autorität nicht zur Förderung von Privatinteressen mißbrauchen.

Wenn durch die Ungeschicklichkeit des Palastministers nicht schon soviel Aufsehen erregt worden wäre, könnte ich den Fall leicht regeln.« »Aber es existiert doch ein gültiges Hausgesetz der Mahachakri-Familie«, entgegnete Murapong vorsichtig. »Und Prinzessin Amarin hat schwer dagegen verstoßen.«

»Dieses Gesetz ist mit Blut geschrieben und hätte längst reformiert werden müssen. Und der Wille des Königs steht über dem Hausgesetz. Durch königliche Entscheidung kann es jederzeit abgeändert werden, und ich erwarte, daß innerhalb weniger Wochen vom Palastministerium ein neues Statut ausgearbeitet wird, das mir zur Begutachtung vorzulegen ist.«

Murapong verneigte sich, ohne etwas zu erwidern.

»Ich habe dich hierherkommen lassen«, wandte sich der König jetzt an Surja, »um dir offiziell mitzuteilen, daß deine Verlobung mit Prinzessin Amarin selbstverständlich aufgehoben ist!«

Nach einer kleinen Pause sprach der König wieder zu dem Palastminister.

»Es bleibt nun noch zu überlegen, wie die Sache am besten beigelegt werden kann. Mir scheint äußerste Milde geboten, denn Amarin hat fast ihr ganzes Leben in Europa zugebracht, und dort würde man ihre Handlungsweise verstehen und wahrscheinlich billigen. Hätte einer von euch mir eine vertrauliche Mitteilung über den Fall gemacht, dann hätte ich die Entscheidung ihrem Vater überlassen und auf jeden Fall dafür gesorgt, daß kein Wort von dieser leidigen Geschichte in die Öffentlichkeit gekommen wäre.«

Surja biß sich auf die Lippen.

Wie war es möglich, daß der König die ihm angetane Schande nicht rächen wollte, daß er überhaupt kein Verständnis für die Lage zu haben schien?

Murapong war auch entsetzt, aber er faßte sich sofort wieder. Man hielt König Rama überall für einen äußerst liebenswürdigen, vielleicht etwas zu nachsichtigen und schwachen Regenten. Eine solche Entfaltung von Energie hätte der Palastminister nicht von ihm erwartet. Aber diese plötzliche Tatkraft war wohl nur darauf zurückzuführen, daß Prinz Akani zurückgerufen werden sollte.

Murapong mußte nun zu dem Fall Stellung nehmen, wenn er im Augenblick auch lieber geschwiegen hätte. Als gewandter Hofmann gab er Rama zunächst vollkommen recht, ging dann aber geschickt auf die wahrscheinlichen Folgen einer restlosen Begnadigung ein. Er war ein guter Redner und wußte seine Ansicht geschickt zu begründen.

Sein Vorschlag ging dahin, daß der König vorläufig eine lebenslängliche Freiheitsstrafe über die Prinzessin verhängen solle, die später vielleicht auf dem Gnadenweg ganz oder teilweise aufgehoben werden konnte.

Murapong fügte sich der augenblicklichen Lage – in Wirklichkeit dachte er ganz anders. Wenn es auf ihn allein ankam, griff er rücksichtslos durch, um alte Sitte und altes Recht zu verteidigen. Zu diesem Zweck waren ihm alle Mittel recht, und mit Zähigkeit, Hinterlist und Verschlagenheit erreichte er gewöhnlich doch sein Ziel.

»Ich halte es für gut, daß Amarin ins Kloster geht und Nonne wird«, sagte der König, nachdem er längere Zeit nachgedacht hatte. »Sie muß erst einmal mit sich selbst ins reine kommen. Unter Buddhas Gesetz hat sie Gelegenheit, in ernster Meditation sich selbst zu prüfen. Ich weiß, daß sie trotz ihres schweren Fehltritts eine treue Anhängerin unserer Religion ist, und ich bin auch davon überzeugt, daß sie nicht leichtfertig gehandelt hat, sondern aus innerster Überzeugung.«

Der Palastminister horchte auf. Der König schien einen Aufenthalt im Kloster also auch halb und halb als Strafe aufzufassen.

Murapong selbst war ein Weltkind, ein fröhlicher Genießer. Nach Landessitte hatte er zwar auch ein Jahr als Mönch im Kloster leben müssen, aber er betrachtete diese Zeit noch heute als eine traurige Unterbrechung seines prinzlichen Erdendaseins. Aber er glaubte, gute Werke genug getan zu haben, um in der nächsten Existenz gut abzuschneiden.

Der Buddhismus mußte seiner Meinung nach von Staats wegen unterstützt werden, denn auf ihm beruhte zum großen Teil die Machtstellung der Könige von Siam, nach innen und nach außen. Nicht daß die Herrscher im Lande der weißen Elefanten Sich von Buddhas Gnaden dünkten. Ein Solcher Gedanke war einfach unmöglich. Aber Siam war das letzte unabhängige buddhistische Reich, und so galt der König von Siam als Schutzherr der buddhistischen Welt. Der König war nach Murapongs Meinung ein moderner Skeptiker, und wenn alle Siamesen denken würden wie er, hätte man morgen die Republik ausrufen können!

»Ich werde Prinzessin Chanda meinen Entschluß mitteilen, damit sie ihn an Amarin weitergibt«, fuhr der König fort. »Auf jeden Fall soll sich Amarin selbst erst noch einmal dazu äußern.

Um das Ansehen des Palastministers nicht zu untergraben, bestätige ich auf die nächsten dreimal vierundzwanzig Stunden die einstweilige Verfügung des Zimmerarrestes gegen die Prinzessin, die polizeilichen Nachforschungen aber sind sofort einzustellen.«

Rama sah Murapong streng an.

»Ich hoffe, daß die Sache jetzt in meinem Sinne geregelt wird«, fügte er nach einer kurzen Pause ruhig, aber in befehlendem Ton hinzu.

Bei den letzten Worten machte der König eine kurze, energische Geste. Dann erhob er sich, und die beiden Prinzen waren damit entlassen. –

»Es ist doch ein Skandal, daß diese verfluchten Farangs ungestraft einen Prinzen derartig beleidigen dürfen«, stieß Surja wütend hervor, als er mit seinem Onkel fortfuhr. »Darüber hat der König überhaupt nichts gesagt! Das kann ich mir nicht gefallen lassen!«

»Die jungen Leute von heute haben immer einen großen Mund und reden zuviel, tun aber nichts«, entgegnete Murapong ironisch. »Wir haben es früher umgekehrt gemacht. Ich wüßte schon, wie ich mich an diesem Farang rächen würde, wenn ich einen Mann wie Krabu zur Verfügung hätte!«


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