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7

Prinz Murapong, der siamesische Palastminister, fuhr in seinem großen, schnellen Wagen durch den Dusitpark zu dem Palais seines Neffen Surja; er war nicht gerade in der besten Stimmung. Schon von weitem schimmerte das hellerleuchtete, ausgedehnte Gebäude durch die Äste der alten, hohen Bäume, und Musik und Festjubel tönten durch die stille, vornehme Gegend. Fern vom Straßenlärm der Großstadt lagen hier in wohlgepflegten Parkgärten die palastartigen Villen der Prinzen des Königlichen Hauses.

»Bei dem jungen Mann scheint es ja wieder einmal hoch herzugehen«, brummte Murapong. Er hatte Surja gern, der noch ein Siamese vom alten Schlage war und weder Tod noch Teufel fürchtete.

Surja hatte auch schon mehr als einmal den Hof und die Regierung durch sein tolles Draufgängertum in peinliche Verlegenheit gebracht, und beinahe wäre es vor wenigen Jahren seinetwegen zu einem Kriege mit Frankreich gekommen.

Nach Beendigung Seiner Studien in Cambridge hatte er mehrere Jahre in der englischen Flotte gedient. Er wurde zur Marineakademie abkommandiert, wo er sich besonders auszeichnete. Der König von Siam war ihm gewogen und gab ihm bei seiner Rückkehr einen hohen Posten in der Marine. Kaum hatte er ihm aber das Kommando über die Torpedoboote und die Zerstörerflottille übergeben, als Surja heimlich und ohne Vorwissen der Admiralität mit seinen Schiffen aus dem Menamstrom auslief und auf der Höhe von Saigon, nicht allzuweit von der französischen Küste entfernt, Manöver und Gefechtsübungen abhielt. Die französische Regierung erhob sofort schärfsten Protest, und der König und der Hof waren außer sich, als sie von dem neuesten Streich des Prinzen hörten. Er wurde sofort zurückgerufen und auf ein Jahr seines Amtes entsetzt. Aber durch sein tollkühnes Unternehmen hatte er sich die Gunst und die Achtung des Volkes erworben, das allmählich zu nationalem Bewußtsein erwachte.

Der Palastminister war ein alter Herr, der es sich gut gehen ließ und im allgemeinen kein Spielverderber war, aber er konnte auch sehr intrigant sein. Die neue Zeit begeisterte ihn wenig.

Der Wagen hielt in der weiträumigen, von Marmorsäulen getragenen Unterfahrt des Palais Surja. Der Chauffeur sprang ab und öffnete den Schlag. Umständlich stieg der etwas behäbige Prinz aus und trat in die Halle, wo ihm Diener ehrerbietig entgegenkamen und ihm den Panamahut abnahmen.

»Prinz Surja ist heute abend leider nicht zu sprechen, Königliche Hoheit.«

»Was fällt euch Tagedieben und Faulenzern denn ein?« erwiderte Murapong empört. »Macht sofort, daß ihr nach oben kommt, und ruft den Prinzen herunter!«

»Das dürfen wir nicht tun – Prinz Surja feiert seine Vermählung mit einer neuen Frau«, entgegnete der Hausmeister unterwürfig.

Der Palastminister, der ein heftiges Temperament hatte, brauste auf, wetterte und fluchte.

»Wird es nun bald, daß einer von euch hinaufgeht und sagt, daß ich hier bin? Was fällt euch ein, mich hier warten zu lassen? Ich muß den Prinzen unter allen Umständen sofort sprechen, sonst ...« Prinz Murapong gebrauchte scharfe Drohungen.

In dem oberen Festsaal setzte das Orchester ein, und Xylophone, Gongs, Handpauken und andere Instrumente spielten in rasendem Tempo eine aufreizende Weise.

Der Hausmeister verschwand und kehrte gleich darauf mit einer älteren Frau zurück, die Murapong kannte. Da Surja noch keine Hauptgemahlin hatte, führte sie die Aufsicht über die Frauen und sorgte für Ordnung in seinem Haushalt. Sie kniete sofort vor dem Prinzen nieder.

»Die Feier darf durch niemand gestört werden, Königliche Hoheit. Ich habe strengsten Befehl.«

»Und ich sage Euch, die Feier wird gestört, weil ich den Prinzen sofort sprechen muß«, blitzte Murapong sie an. Seine Züge waren zornentstellt. »Wenn er nicht bald kommt, verliert er seine Ämter im Regierungsdienst und wird degradiert!«

Erschrocken verschwand die Frau.

Der Hausmeister hatte inzwischen die großen Flügeltüren zu dem geschmackvoll in europäischem Stil eingerichteten Empfangsraum geöffnet.

Murapong war einfach siamesisch gekleidet und trug die glatten, schwarzen Haare nach alter Sitte kurz geschnitten und bürstenförmig nach oben gekämmt. Ärgerlich ging er auf dem kostbar eingelegten Parkettboden auf und ab.

Dieser verdammte Junge! Man sollte es doch nicht für möglich halten. Erst kürzlich hatte Murapong eine böse Sache mit großer Mühe wieder in Ordnung gebracht, und jetzt machte Surja schon wieder solche Dummheiten!

Um acht Uhr abends ließ sich doch jeder anständige Siamese sprechen! Aber dieser eigensinnige Mensch tat natürlich, was er wollte.

Murapong sank in einen Sessel und mußte schließlich trotz seines Zornes lächeln, als er an die letzte schlimme Affäre dachte.

Surja hatte die Lieblingsdienerin der alten Königinmutter durch seine Leute unter einem falschen Vorwand im Auto aus der Palastschule abholen lassen, um dann in Anwesenheit seiner zweiunddreißig Frauen die Vermählung auf einem prunkvoll in der Mitte des Festsaals errichteten Brautbett zu vollziehen. Gerade während der Orgie war dann die alte Königin mit ihren Begleiterinnen wütend im Palais erschienen und hatte ihre Dienerin wieder mitgenommen. Ihr Zorn kannte keine Grenzen, denn sie faßte das Ganze als eine persönliche Beleidigung auf.

Nach dem Lärm und dem Tanz zu urteilen, mußte augenblicklich oben wieder eine ähnliche Feier im Gange sein. Und dabei hatte dieser Leichtfuß doch feierlich versprochen, sich nie wieder dergleichen zuschulden kommen zu lassen. Aber Surja war launisch und wetterwendisch. Heute versprach er, sich zu bessern, und morgen trieb er es noch toller als vorher. Wenn Murapong selbst nicht zugunsten seines Neffen bezeugt hätte, daß die früheren Könige in alten Zeiten tatsächlich solche Vermählungsfeiern abhielten, hätte die Sache damals ein schlimmes Ende genommen.

Der Festsaal lag über dem Empfangssalon. Alle Fenster und Türen standen in der warmen, schwülen Tropennacht weit offen. Von oben her ertönten nun ein Chorgesang von weichen Frauenstimmen und Tanzschritte.

Diener kamen herein und brachten Murapong auf einem Servierwagen geeiste Getränke und Erfrischungen. Er goß sich ein Glas Sekt ein und ließ durch einen der Leute den mit Kognak versetzten Saft kalter Früchte hineinträufeln. Nachdem er getrunken hatte, fühlte er sich wohler.

Sein Haß gegen die europäische Zivilisation entsprang einem persönlichen Minderwertigkeitsgefühl. Ihre Annehmlichkeiten ließ er sich gern gefallen, soweit sie sein eigenes Wohlleben förderten.

Selbst war er nie in Europa gewesen: er gehörte zur älteren Generation, die in der Palastschule ihre Ausbildung erhalten hatte. Im Grunde hatte er große Hochachtung vor den Errungenschaften des Westens, da er sich nur schwer in die moderne Zeit hineindenken konnte. Sein Lieblingswunsch war es seit jeher gewesen, selbst einmal London und Paris zu besuchen, aber er mußte seine Stellung am Hofe verteidigen. Sobald er einen längeren Urlaub nahm, würde ein anderer seinen Posten bekommen.

Murapongs Zorn über seinen Neffen war noch nicht ganz verraucht. Wie lange wollte ihn Surja noch warten lassen? Abgesehen davon, daß er der Onkel des jungen Mannes war, hatte er als Palastminister auch einen bedeutend höheren Rang. Aber die jüngere Generation hatte eben keinen Respekt mehr, nachdem der alte König europäische Sitten eingeführt hatte und die jungen Leute nicht mehr niederknien und die Hände falten mußten. Leicht sollte er aber diesmal nicht davonkommen! Er wollte ihm die Hölle schon heiß machen!

Der Chor oben schwoll zu einem Freudengeschrei an, und das Orchester lärmte in ohrenbetäubendem Furioso. Dann wurde es ruhiger.

Einige Minuten später erschien Surja in einem sonderbaren Aufzug, ohne Schuhe und Strümpfe, in der Tür. Statt der Beinkleider trug er einen altsiamesischen, grau-violetten Panung, der in Form eines offenen Sarongs um die Hüften geschlungen war und einem europäischen Frauenrock ähnlich sah. Um die hohe Stirne hatte er einen schmalen, feingearbeiteten Goldreif gelegt, der mit Rubinen und einem prachtvollen Brillanten verziert war. Über den bloßen Oberkörper hatte er eilig den Rock seiner Marineuniform mit der großen Ordensschnalle gezogen, und das Feuer der funkelnden roten Seide hob Sich leuchtend von seinen glatten, schwarzblauen Haaren und der helloliv-braunen Gesichtsfarbe ab. Er bewegte sich hastig und nervös. Wut, Arger und Scham kämpften in seinen Zügen, und um seine sinnlichen Lippen lag ein Zug von brutaler Wildheit, der durch die Spitzen, raubtierähnlichen Eckzähne noch verstärkt wurde.

»Kannst du denn wirklich keine Vernunft annehmen? Du benimmst dich ja wie ein wilder Waldbüffel oder ein gemeiner Rakschasa!« begann Murapong streng, obwohl er kaum ein Lächeln über das sonderbare Aussehen seines Neffen unterdrücken konnte. »Daß du mit deinen kleinen Frauen spielst, ist weiter nicht schlimm, und darüber will ich dir keinen Vorwurf machen. Aber kein vernünftiger, anständiger Mensch verhält sich wie du. Um diese Zeit sitzt der Hausherr nach altem Brauch in der großen Halle im Erdgeschoß seines Hauses und läßt sich von seinen Frauen durch Theater-, Tanz- oder Ballspiele unterhalten. Aber auf jeden Fall ist er empfangsfähig, so daß Gäste kommen und dem Schauspiel zusehen können.«

Surja war wütend über die ersten Worte Murapongs und wollte ihn heftig unterbrechen, aber der alte Prinz richtete sich plötzlich in seinem Sessel auf und ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Du willst wohl noch dreiste Widerworte machen wie ein hergelaufener Nakleng? Halte den Mund, bis du gehört hast, was ich dir zu sagen habe. Dann hast du noch reichlich Gelegenheit, ihn aufzutun und etwas Vernünftiges zu deiner Verteidigung vorzubringen.

Die Kaufleute haben beim Postministerium wieder derartig viel Rechnungen für dich eingereicht, daß es ein Skandal ist. Ich hätte die Sache mit dir persönlich in Ordnung gebracht, aber zufällig hat der König davon erfahren. Vor allem sind deine Schulden bei den europäischen Geschäften entsetzlich hoch. Die Inder, Perser, Chinesen kann man ja leichter zum Schweigen bringen.

Ich habe die Rechnungen einmal durchgesehen. Über deine Extra- und Galauniformen will ich kein Wort verlieren, auch den Prunksäbel mit dem brillantenbesetzten Griff kann ich schließlich noch zum Dienstaufwand rechnen. Aber was sollen denn Anschaffungen wie zweihundert Meter hellrote Seide? Wozu hast du denn deine kleinen Frauen, wenn sie sich nicht im Palais beschäftigen und in ihrer freien Zeit Brokate und Seidenstoffe weben, und zwar schöner, als du sie jemals bei diesen verdammten Farangs kaufen kannst? Was hat die faule Bande denn sonst zu tun?«

Surja schenkte sich ein Glas Sekt ein und trank es erregt aus, bevor er antwortete.

»Ich brauchte Sie für ein Fest«, erwiderte er dann barsch.

»Es ist einfach toll mit den modernen Siamesen, die in Europa studiert haben. Ohne jedes Maß und Ziel kommen sie wieder zurück. Meinst du, ich hätte mir jemals solche Extravaganzen erlaubt, trotzdem ich von Haus aus viel wohlhabender bin als du und ein großes Gehalt beziehe?

Kein verständiger Mensch wird etwas dagegen sagen, daß du viele Frauen hältst, aber deshalb brauchst du doch nicht so furchtbar viel Schulden zu machen. Du verstehst überhaupt nicht, dir dein Leben einzurichten.

Es ist ja auch kein Wunder! Erst werden diese jungen Leute nach Europa, Amerika oder Japan geschickt und bekommen ein verhältnismäßig viel zu hohes Taschengeld. ›Sie sollen im Ausland gut dastehen!‹ sagt man. Ich bin von jeher dagegen gewesen, ihnen soviel Geld in die Finger zu geben, denn sie gewöhnen sich nur unnötige Ausgaben an und verlernen ganz, wie man hierzulande lebt.

Nimm doch einmal meinen Haushalt an. Zunächst mußt du sehen, alle unnötigen Ausgaben zu vermeiden. Deine Stellung verlangt natürlich, daß du einen großen Haushalt führst, aber er darf doch nichts kosten! Vor allem müssen sämtliche Leute richtig beschäftigt werden, damit sie sich auch ihren Unterhalt verdienen. Im Hause wird nur siamesisch gelebt. Die europäische Küche mag ja ganz schmackhaft sein, erfordert aber nur überflüssige Geldausgaben. Unsere siamesischen Gerichte sind viel reichhaltiger und in dem heißen Klima gesünder. Wozu also die vielen teuren europäischen Konserven? Deine Rechnung beim Oriental Store sieht aus, als ob du jeden Tag große Festessen geben würdest.«

»Ich kann doch aber meinen Sekt nicht selbst herstellen!«

»Das habe ich auch nicht behauptet. Aber mußt du denn bei jeder Gelegenheit Sekt trinken? Und dann diese Feste! Du brauchst doch nicht dem König Konkurrenz zu machen! Wer dankt dir das? Etwa der englische oder der französische Gesandte? Wenn die einen Ball geben, kostet das natürlich unheimliche Summen, aber sie erreichen auf der anderen Seite dadurch wieder so viele politische Vorteile, daß sie sich das leisten können. Trotzdem können sie es nicht mit uns aufnehmen, weil sie jede Kleinigkeit bezahlen müssen. Unsere Frauen und unsere Dienerschaft können alles, was zu einem prachtvollen Fest nötig ist, selbst herstellen und beschaffen, mit Ausnahme der europäischen Weine und Liköre. Wenn deine kleinen Frauen und Dienerinnen sich Mühe geben, können sie die schönsten Tänze, Lampenreigen, Ballspiele und Theaterstücke selbst vorführen. Der Gesandte kann seinen Gästen dergleichen niemals bieten. Die Europäer sind ja immer sprachlos vor Staunen, wenn sie wirkliche altsiamesische Tanzkunst sehen. Und dann die Wohlgerüche! Wozu mußt du deinen Frauen französische Parfüme kaufen? Und warum gleich in solchen Mengen? Sie sollen ihre Blumenwässer und Wohlgerüche selbst herstellen!«

Surja widersprach nicht, denn Murapong hatte recht.

»Aber nun komme ich zur Hauptsache. Der König ist sehr aufgebracht – empört wie noch nie! Deine Sache steht verzweifelt, denn er will dich degradieren. Ich bin noch einmal für dich eingetreten, habe aber nicht mehr als einen Aufschub erreichen können. Er hat sich die letzte Entscheidung vorbehalten.«

»Was versteht denn der König davon, wie ich leben muß!« brauste Surja auf.

»Ruhe!« herrschte Murapong ihn an. »Du junger Fant hast nicht Kritik am König zu üben. Mäßige dich gefälligst, auch wenn wir hier unter vier Augen miteinander sprechen.«

»Es ist doch aber wahr, daß die meisten Mitglieder unserer Familie entartet sind«, fuhr Surja unbeirrt fort. »Wer hätte früher jemals davon gehört, daß ein König von Siam mit einer einzigen Frau lebte? Einem solchen Schwächling hätte kein Mensch gehorcht. Aber seitdem die verdammten Farangs hierherkamen und ihre Missionare den Leuten vorpredigten, daß es eine Sünde sei, mehrere Frauen zu haben, glauben manche, daß die sogenannte Monogamie vornehm und modern ist. Mögen doch die Europäer machen, was Sie wollen! Bis jetzt ist es immer noch gutes siamesisches Gesetz, so viel Frauen zu nehmen, wie es einem gefällt.«

»Das stimmt zwar nicht ganz – man nimmt nur so viele, wie man unterhalten kann.«

»Daran sind auch nur die modernen Organisationen schuld, wonach man ein festes Gehalt bekommt. Das ist heller Unsinn! Früher wurde einem Prinzen einfach die Verwaltung einer Provinz übertragen, dann konnte er tun und lassen, was er wollte.«

Murapong gab seinem Neffen in diesem einen Punkt innerlich recht, aber nach außen hin ließ er sich nichts davon merken.

»Du scheinst tatsächlich noch nicht zu begreifen, daß du dich in einer verflucht ernsten Lage befindest. Mit all den wilden Redensarten, die du führst, ist es diesmal nicht getan. Du weißt, es gibt in Siam ein Gesetz, nach dem ein Prinz aus der königlichen Familie ausgestoßen werden kann. Und wenn es dir Spaß macht, als Kuli auf den Straßen von Bangkok betteln zu gehen...«

Surja wurde allmählich nüchtern und sah die Situation, wie sie war. Trotz und auffahrendes Wesen waren hier nicht angebracht, das fühlte er selbst. Aber bitten wollte er auch nicht. Er nahm sich zusammen und überlegte schnell. Am besten war es, wenn er sich Murapong gegenüber ganz offen aussprach.

Die Diener hatten sich bei der erregten Auseinandersetzung ehrerbietig zurückgezogen, so daß Surja seinem Onkel selbst einschenken mußte.

»Ich sehe, daß du recht hast«, lenkte er ein, »aber bedenke doch auch einmal, wie es uns jungen Siamesen geht.«

»Jung kann man gerade nicht mehr sagen bei deinen achtunddreißig Jahren. Ihr habt aus Europa ganz verkehrte Begriffe von Alter und dergleichen mitgebracht.«

»Zuerst müssen wir hier unheimlich viel lernen: buddhistische Texte, Pali, Sanskrit«, fuhr Surja fort, ohne auf die Worte seines Onkels einzugehen. »Und wenn wir die schwierigen europäischen Sprachen einigermaßen beherrschen, kommen wir mit zehn Jahren nach England – zuerst in eine Privatpension, damit man besser Englisch sprechen lernt, dann nach Eton.

Und was haben die englischen Jungen vorher gelernt? Im Vergleich zu uns gar nichts. In Eton wird man in einen Affenanzug gesteckt, muß Zylinder und Frack tragen, lernt blödsinnig durch die Nase sprechen und noch mehr albernes Getue. Mit unserer Siamesischen Erziehung verglichen, ist das alles nur äußerlicher Kram. Inzwischen ist dann so viel Zeit vergangen, daß man älter ist als der Durchschnitt der Klasse. Schließlich kommt man mit neunzehn oder zwanzig Jahren nach Oxford, Cambridge oder einer anderen dieser ›alten, berühmten Universitäten‹.« Surjas Stimme klang gehässig und ironisch. »An Frauen und an Liebe ist überhaupt nicht zu denken. Wenn ein Siamesischer Prinz aber in früheren Zeiten zwanzig Jahre alt war, hatte er schon vier Haupt- und eine Anzahl von Nebenfrauen und Dienerinnen. Wir sind doch nun einmal durch Abstammung und Vererbung polygam veranlagt.«

Murapong nickte bedächtig.

»Und wie steht es denn mit der Moral der Europäer, mit ihrer vielgepriesenen Einehe? In Cambridge wurde man als Auswurf der Menschheit behandelt, wenn man einmal seinen Neigungen folgte und sich ein kleines Mädel nahm. Ich habe mich wohl gehütet, es zu tun, weil sich schon genug andere junge Siamesen dadurch ihre Karriere verdorben haben. Wenn ich aber dann in den Ferien mit den wohlerzogenen Söhnen Englands nach Paris fuhr ...«

»Ja, ich weiß von Paris«, unterbrach ihn Murapong schmunzelnd. Seine Augen glänzten.

»Paris ist ja gewiß die Stadt der Liebe. Doch dieselben Leute gehen dann nach England zurück, als ob sie von all den Dingen keine Ahnung hätten. Eine solche Auffassung habe ich noch nie erlebt. Die Missionare machen uns Vorhaltungen, und Prinzen unseres Hauses, der König an der Spitze ...«

»Sprich nicht von Seiner Majestät!«

»... wollen dann besonders fein tun und nehmen nur eine Frau. Was haben sie denn davon? – Gar nichts! Höchstens, daß diese Frau als offizielle Gemahlin von den europäischen Höfen anerkannt und tituliert wird. Der englische Gesandte kann dann befriedigt nach Hause schreiben, der Einfluß der englischen Kultur in Siam wirke so segensreich, daß die gebildeten Siamesen die Monogamie annähmen, made in England! Diese Leute müssen sich doch selbst ins Fäustchen lachen. Während wir es dann mit der Einehe ernst nehmen, denken sie gar nicht daran – und wir sind die Dummen!«

Murapong hatte den eigentlichen Zweck seines Kommens schon lange vergessen, denn dieses Thema interessierte ihn außerordentlich.

»In Paris muß es wirklich herrlich sein, dort kann man noch etwas erleben. Nur schade, daß ich niemals hingekommen bin. Man zeigt doch dort immer noch die Häuser und die Räume, in denen sich Persönlichkeiten der englischen Gesellschaft amüsierten! Unser Gesandter in Paris, der augenblicklich auf Urlaub ist, hat mir viel davon erzählt. Übrigens hat er mir auch eine Sammlung von vielen hundert Fotos mitgebracht ... es scheint ja toll dort zuzugehen! Das hätte ich früher nicht für möglich gehalten!«

»Der englische Gesandte hat allerdings nur eine Frau, aber wie treiben es denn die anderen Farangs hier? Wenn sie nicht mit einer weißen Frau verheiratet sind, haben Sie meistens eine Mia aus Paklat, und wenn sie das nötige Geld hätten, würden sie sich alle eine mehr oder weniger große Anzahl von Frauen halten. Im Grunde tun sie also dasselbe wie wir. Nur ist es bei uns gesetzlich gestattet, bei ihnen verboten. Ich weiß wirklich nicht, was besser ist.«

Murapong erinnerte sich plötzlich wieder an seine Aufgabe. Er räusperte sich und setzte eine gewichtige, ernste Miene auf. Er durfte sich mit Surja nicht zu sehr in dieses Thema verlieren.

»Ich muß dem König etwas Positives von unserer Unterredung berichten, und es wird nicht so leicht sein, ihn zu besänftigen. Dein großer Vortrag ändert nicht das geringste an der Tatsache, daß du ein liederliches Leben führst. Damit muß Schluß gemacht werden«, erklärte Murapong energisch.

»Das schlimmste ist, daß nicht nur die Söhne der besseren Familien nach Europa geschickt werden, sondern auch die Töchter, denen dort regelrecht der Kopf verdreht wird«, fuhr Surja heftig fort, ohne auf Murapongs Einwurf zu achten. »Ich habe auf unserer Gesandtschaft in Paris eine junge Siamesin kennengelernt und mich in sie verliebt. Ich sehne mich nach ihr, und ich nehme mir nur immer neue Frauen, um das Verlangen nach ihr zu betäuben.«

Murapong sah seinen Neffen verwundert und betroffen an und erhob sich langsam. Surja hatte sich unglücklich verliebt! Das konnte auch nur in Europa vorkommen! Besorgt legte er die Hand auf den Arm des Prinzen. Hatte der arme Junge wirklich den Verstand verloren, wie seine Gegner behaupteten?

»Aber Surja, du bist doch kein Kind mehr! Warum hast du ihr denn nicht gesagt, daß du sie liebst? Warum hast du sie nicht geheiratet? Das ist doch das einfachste von der Welt!«

»Bei diesen modernen Mädchen ist das keineswegs einfach.«

»Wer ist es denn?«

»Die Tochter des Prinzen Akani.«

»Aber das ist ja ausgezeichnet! Wenn sie deine Hauptfrau wird, bist du auf der sicheren Seite. Der König will ja Akani, den alten, schlauen Fuchs, unter allen Umständen als Ministerpräsidenten zurückholen. Dann hättest du gleich einen Stein im Brett«, erwiderte Murapong etwas ironisch. Er war ein Feind des Oberpriesters von Ceylon und hatte zu den Leuten gehört, die ihn gestürzt hatten. Sofort sah er nun in dieser Verbindung eine günstige Gelegenheit, sich Prinz Akani wieder zu nähern, wenn dieser tatsächlich an die Macht kommen sollte.

»Du vergißt, daß Amarin in Europa erzogen worden ist«, entgegnete Surja bedrückt. »Sie hat all die modernen Bücher über Ehe und dergleichen gelesen und sich unselige Flausen in den Kopf gesetzt. Vor zwei Jahren habe ich auf dem großen Ball, der am Nationalfeiertag in der Gesandtschaft gegeben wurde, mit ihr gesprochen. Aber sie will mich nicht.«

»Was, sie will nicht? Das ist doch unerhört! Sie kann doch nur einen Bruder oder einen Vetter heiraten! Glaubt sie etwa, Gott Indra persönlich würde ihretwegen vom Dusitahimmel heruntersteigen, um sie zu seiner Hauptfrau zu machen? – Aber das war ja vor zwei Jahren. Jetzt ist sie zurückgekommen und wahrscheinlich vernünftiger geworden. Hast du denn hier noch nicht mit ihr gesprochen?«

»Neulich beim Rennen habe ich mich mit ihr unterhalten. Ihre Tante, Prinzessin Chanda, war allerdings immer dabei. Amarin machte einige sonderbare Bemerkungen – man hat mich sicher bei ihr angeschwärzt.«

»Darüber darfst du dich nicht wundern, daß alle Leute über deine tollen Streiche reden. Du treibst es wirklich zu bunt. Laß doch den Unsinn! Du wirst höchstens vor der Zeit alt, und das Leben zerrinnt dir zwischen den Händen.«

»Wenn Amarin meine erste Gemahlin würde, hättest du keinen Grund mehr, dich über mich zu beklagen.«

»Nun, dann geh zu ihr und bringe die Sache in Ordnung.«


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