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10

Prinz Surja wünscht Eurer Königlichen Hoheit Seine Aufwartung zu machen«, sagte der Hausmeister nach einer formellen Verbeugung. Auf Amarins Aufforderung hin war er leise ins Zimmer getreten.

Warwick richtete sich in seinem Sessel auf. Klirrend setzte Amarin ihre Tasse nieder und erhob sich.

»Kun Anchit, sagen Sie meinem Vetter, daß ich ihn jetzt nicht empfangen kann. Erfinden Sie irgendeinen Vorwand. Ich möchte jetzt nicht gestört sein –«

Der Hausmeister wandte sich um.

Amarin unterdrückte einen ärgerlichen Ausruf, denn im selben Augenblick erschien Surja in der Tür. Er mußte ihre letzten Worte gehört haben, denn ein ironisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er sich vor ihr verneigte.

Für einen Siamesen war er ungewöhnlich kräftig entwickelt und von hoher, schlanker Gestalt. Der elegante Schnitt und der tadellose Sitz seiner Uniform zeigte, daß er großen Wert auf seine äußere Erscheinung legte.

Surja konnte Warwick zuerst nicht sehen, da er durch die Prinzessin verdeckt war. Aber als er näher kam und den Engländer bemerkte, schwand der freundliche Ausdruck aus seinem Gesicht, und seine Züge wurden hart.

Zunächst sagte niemand ein Wort, und es trat ein beunruhigendes Schweigen ein.

Warwick stand auf.

Surja war peinlich berührt, die Prinzessin mit Warbury allein beim Tee zu finden. Er blieb korrekt, aber seine Haltung wurde steif und offiziell.

»Sicher bist du gekommen, um Prinzessin Chanda zu sprechen, aber das ist leider unmöglich. Sie ist krank und muß Ruhe haben. Sie kann niemand empfangen«, sagte Amarin, die sich zuerst wieder faßte.

Warwick trat einen Schritt vor, um Surja zu begrüßen. Amarin wollte die beiden einander vorstellen und war erstaunt, daß sie sich schon kannten.

»Guten Tag, Mr. Warbury. Wie ich sehe, sind Sie ja wieder wohlauf. Anscheinend haben Sie Ihren Unfall gut überstanden«, bemerkte Surja kühl.

Warwick antwortete gleichgültig. Warum begrüßte ihn der Prinz plötzlich so formell? Bisher hatten sie sich doch immer mit Vornamen angeredet. Auch er empfand Surjas Dazwischentreten unangenehm, aber vielleicht kam das Erscheinen des Prinzen gerade noch zu rechter Zeit, um ihn vor einem übereilten Schritt zu warnen. Er gehörte nicht in diese Kreise, in denen er immer ein fremder Eindringling bleiben würde.

Warwick blieb nur noch kurze Zeit, und nach ein paar höflichen Bemerkungen verabschiedete er sich kurz.

Surja hatte die Prinzessin und Warwick scharf beobachtet, aber er konnte nicht das kleinste Zeichen wahrnehmen, das auf eine geheime Verständigung zwischen den beiden hätte deuten können. Schließlich war es ja nur natürlich, daß Amarin sich auch im Namen der Prinzessin Chanda bei Warwick bedankte und ihn einmal zum Tee einlud. Trotzdem fühlte Surja instinktiv, daß Warwick Amarin mehr bedeuten könnte, als ihm lieb war, und Eifersucht steigerte seine Abneigung gegen ihn noch mehr.

Der Prinz hatte sich die Begegnung mit Amarin anders gedacht. Zuerst hatte er mit ihrer Tante sprechen wollen, um diese für den Plan seiner Heirat mit Amarin zu gewinnen. Nach siamesischem Herkommen hätte er auch so vorgehen müssen. Einen Augenblick überlegte er, ob er Amarin nur einen Höflichkeitsbesuch machen sollte, denn seine Klugheit warnte ihn vor unbesonnenem Handeln. Aber sein hitziges Temperament gewann doch die Oberhand. Amarin war ja in Paris nach europäischer Art erzogen worden. Warum sollte er also seinen Antrag nicht auf europäische Art vorbringen?

In Paris war es ihm damals natürlich und einfach erschienen, aber jetzt mußte er nach Worten suchen, um ein Gespräch zu beginnen.

»Woher kennst du eigentlich Mr. Warbury?« kam ihm Amarin zuvor, als sie ihm eine Tasse Tee gereicht hatte.

Die beiden saßen sich gegenüber und beobachteten sich wie heimliche Gegner.

»Wir haben zusammen in Cambridge studiert. Diese verrückten Engländer leiten daraus leider immer ein Vorrecht ab, einem die Hände zu schütteln und plump vertraulich auf die Schultern zu klopfen. Sie können und wollen nicht begreifen, daß diese Jugendbekanntschaften auf der Schule und der Universität nur vorübergehende Episoden sind. Mir sind diese Menschen unausstehlich!«

»Du scheinst heute gerade nicht in der rosigsten Stimmung zu sein«, erwiderte Amarin gleichgültig. Von seinem Europäerhaß hatte sie schon genügend gehört, und impulsiv nahm sie sofort für Warwick Partei, denn sie war empört über die anmaßende Bemerkung ihres Vetters. »Im übrigen glaube ich nicht, daß sich Mr. Warbury jemals taktlos benehmen könnte. Dazu hat er einen viel zu vornehmen Charakter«, erklärte sie entschieden.

Surja stutzte. Sollte sich Amarin wirklich stärker für Warbury interessieren? Der Gedanke schon war unmöglich. Eine siamesische Prinzessin konnte sich doch nicht so weit vergessen, daß sie sich mit einem Engländer einließ!

Langsam trank er seine Tasse aus, um Zeit zu gewinnen.

»Diese Farangs sind uns doch viel zu gleichgültig, als daß wir Zeit auf sie verschwenden.«

Er sprach das Wort »Farang« in einem besonders verächtlichen Ton aus.

»Amarin, ich bin heute in einer ganz bestimmten Absicht hergekommen. Ich möchte mit dir sprechen, nicht mit Prinzessin Chanda.«

»Ach, willst du mich vielleicht zum Marineball einladen? Diese Feste sollen ja in den letzten Jahren immer glänzender verlaufen sein. Und in den nächsten Tagen findet ja auch der Dusitbasar statt«, entgegnete Amarin schnell.

Sie ahnte Surjas Absicht und erschrak.

»Nein, ich wollte dich in einer wichtigen persönlichen Angelegenheit sprechen, und ich freue mich, daß ich dich allein treffe.«

Die Unterhaltung begann unangenehm zu werden. Amarin bedauerte, daß sich Warwick so bald verabschiedet hatte. Aber das Unvermeidliche mußte doch einmal gesagt werden, und je schneller es vorüberging, desto besser war es. Trotzdem machte Amarin noch einen schwachen Versuch, Surja auf ein anderes Thema zu bringen.

»Hast du wieder etwas angestellt und einen dummen Streich begangen? Soll die Tante vielleicht beim König ein gutes Wort für dich einlegen?«

Er vergaß sich und warf ihr einen bösen, wütenden Blick zu. Aber im selben Augenblick tat es ihm leid. Amarin hatte es jedoch bemerkt und war auf der Hut. Sie wußte, daß er verschlagen und hinterlistig war, wenn sich diese Eigenschaften auch gewöhnlich hinter der Maske anmaßender Großzügigkeit und weltmännischer Gleichgültigkeit verbargen.

»Nein, ich sagte doch, daß ich mit dir persönlich sprechen wollte.«

Er sah, welch schlechten Eindruck er auf sie gemacht hatte, und fühlte plötzlich das Aussichtslose seines Unternehmens. Er hätte eben doch nach altsiamesischer Sitte erst vorsichtig durch Verwandte Fühlung nehmen müssen. Prinz Murapong war zu solchen Missionen wie geschaffen, er hätte sicher mit Prinzessin Chanda alles vorzüglich in Ordnung gebracht. Aber nun war die Schlacht einmal begonnen, und er wollte sie auch zu Ende führen.

»Amarin!« Er versuchte, ihren Namen zärtlich auszusprechen, aber es gelang ihm nicht. »Du weißt, daß ich dich liebe, und daß ich dich geliebt habe, seitdem wir uns zum erstenmal begegneten. Willst du mich heiraten?«

»Das hast du mich in Paris schon einmal gefragt«, erwiderte sie ruhig. »Und wenn du es heute wieder tust, kann ich dir nur dasselbe antworten wie damals. Besonders nach den letzten Ereignissen –«

»Was meinst du?« fragte er schnell.

»Alle Leute am Hof wissen doch von deinem letzten Skandal.«

»Das ist weiter nichts als übertriebener Klatsch, den man dir zuträgt, um mich in schlechtes Licht zu setzen.«

»Nun, mag dem sein, wie ihm wolle. Du findest doch so leicht Frauen, daß deine Wahl nicht gerade auf mich fallen muß.«

Er biß sich auf die Lippen.

»Ich liebe nur dich.«

»Was, deine anderen Frauen liebst du nicht? Dann ist es nur um so schlimmer.«

»Ich habe dich nicht um deine Kritik gebeten«, sagte er unwillig, nahm sich aber sofort wieder zusammen. Wenn er Erfolg haben wollte, durfte er sie nicht unnötig reizen.

»Heute werden die Mädchen nicht mehr wie in alten Zeiten gegen ihren Willen verheiratet. Als der König im Jahre 1869 die Leibeigenschaft in unserem Land aufhob, vergaß er die Frauen – aber jetzt ist das anders. Glücklicherweise haben wir uns auch in Siam bis zu einem gewissen Grad moderne, menschliche Anschauungen in diesem Punkt angeeignet.«

»Die Zeit wird ja noch erweisen, ob sie wirklich soviel mehr taugen.«

»Ich kann mir schon denken, daß dir die alten siamesischen Ehegesetze gefallen, weil sie den Männern eine Vormachtstellung den Frauen gegenüber geben.«

»Sie haben ihre historische Berechtigung«, entgegnete Surja widerwillig. Er kannte Amarins Einstellung ja nur zu gut. In Paris hatte sie ihm das zwar nicht direkt gesagt, aber es ging doch aus ihrer Haltung hervor.

»Nichts ist gut, weil es alt ist und weil unsere Vorfahren es so gehalten haben.«

»Nichts ist gut, weil es neu und modern ist und unsere Vorfahren es nicht so gemacht haben«, entgegnete er sarkastisch.

»Das sind nur Worte, damit kannst du den Fortschritt nicht aufhalten. Aus Selbstsüchtigen Gründen verteidigst du das alte Gewohnheitsrecht, weil du daraus persönliche Vorteile zu ziehen glaubst.«

»Dasselbe könnte ich dir erwidern. Du verteidigst die neuen Ansichten, die du in Europa kennengelernt hast, weil du darin einen persönlichen Vorteil siehst. Also Sind wir wieder so weit wie vorher.«

»Du kannst doch aber nicht leugnen, daß es in der Welt einen Fortschritt gibt?«

»Das möchte ich bestreiten.«

»Wenn du das behauptest, gibt es niemals eine Verständigung zwischen uns.«

Surja sah, daß er in immer schärferen Gegensatz zu Amarin kam und das Gegenteil von dem erreichte, was er erstrebte. Rasch versuchte er wieder einzulenken.

»Wenn du ›Fortschritt‹ sagst, verurteilst du damit das Alte und lobst das Neue bedingungslos. Ich gebe zu, daß sich die Zeiten ändern und wir mit ihnen, manchmal schneller, manchmal langsamer. Es gibt wohl etwas wie eine Entwicklung, aber damit ist nickt gesagt, daß sie zum Besseren führen muß.«

»Es hat wenig Zweck, über diese Dinge zu streiten. Du wirst immer Gründe finden, um das selbstsüchtige Leben, das du führst, zu entschuldigen und zu beschönigen. Liebe, Zuneigung und Achtung sind aber Voraussetzungen für eine glückliche Ehe. Ich würde gern wissen, ob du jemals daran gedacht hast, als du die kleine Bun Amat, die Dienerin der großen Königin, entführtest.«

Surja preßte die Lippen aufeinander. Er sah, daß seine Sache verloren war. Einen Augenblick packte ihn wilde Wut, und beinahe hätte er heftig und ausfallend geantwortet. Hastig brach er ein Stück von seinem Keks ab und führte es zum Mund. Er hätte noch viel gegen Amarins Äußerung einwenden können, aber das erschien ihm im Augenblick zwecklos. Es galt jetzt, die Niederlage mit Würde hinzunehmen und nicht aus der Rolle zu fallen.

Amarin beobachtete ihn genau und sah, wie er kämpfte, um ruhig zu bleiben. In ihrer ersten Bestürzung hatte sie die Abneigung gegen ihren Vetter zu deutlich gezeigt, jetzt aber erkannte sie plötzlich das Gefährliche der Lage. Ihre Tante hatte sie in alle Intrigen bei Hofe eingeweiht und sie vor Surja gewarnt. Unter keinen Umständen durfte er ihr Feind werden. Sie brauchte seinen Antrag ja nicht schroff abzulehnen, und vor allem mußte sie Zeit gewinnen.

»Du hast eine Lebensfrage an mich gerichtet«, lenkte sie nach einer kleinen Pause ein. »Sie ist mir zu überraschend und plötzlich gekommen – ich muß Zeit haben, darüber nachzudenken. Unmöglich kann ich jetzt gleich eine Entscheidung treffen und dir eine endgültige Antwort geben.«

Surja glaubte fast ein Wunder zu erleben, so unerwartet kam dieser Umschwung.

»Dann darf ich also doch hoffen?« fragte er rasch und erhob sich ungestüm. Seine Augen leuchteten auf, und ein glücklicher Ausdruck verschönte sein Gesicht, das eben noch von Zorn entstellt gewesen war. Er liebte Amarin leidenschaftlich. Noch nie hatte eine Frau seine Gedanken so sehr beherrscht und sein Innerstes so aufgewühlt wie sie.

»Vielleicht!«

Amarin zwang sich zu einem Lächeln und reichte ihm die Hand, die er stürmisch küßte.

Mit verlangenden Blicken sah er sie an, und eine Sekunde lang fürchtete sie, daß er sie an sich reißen würde.

Aber er beherrschte sich, verneigte sich vor ihr und verließ das Zimmer.


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