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5

Lächelnd öffnete Amarin die Augen. Als sie sich aufrichtete, fiel ihr Blick auf ihre Amme, die einige Schritte entfernt unter einem japanischen Nelkenstrauch mit zartgefiederten roten Blüten saß.

»Wie geht es ihm?« fragte sie schnell.

Me Kam kam in eigentümlich wiegendem Gang näher und ließ sich nach ehrerbietigem Gruß auf dem weichen Rasenteppich neben Amarin nieder.

»Ich habe den Nai von weitem durch die offene Tür gesehen. Er ist bei Bewußtsein, und Pra Nivet sagte, daß er jetzt außer Gefahr ist.«

Die Prinzessin erhob sich. Me Kams Bericht befreite sie von einer schweren, drückenden Sorge.

Die ältere Frau fühlte sich glücklich, als sie die Erleichterung in den Zügen ihrer Herrin sah, für die sie seit dem frühen Tod der Mutter gesorgt hatte. Auch in Paris hatte sie Amarin mit der größten Hingebung und Aufopferung betreut, ja, sie hatte sich ihretwegen lange Jahre von ihrem Mann getrennt, der in Bangkok zurückblieb.

Die Prinzessin war eigentlich ungehalten, daß Me Kam sie nicht gleich nach ihrer Rückkehr geweckt hatte, aber sie hielt ihr viel zugute, und so gab sie ihr den Auftrag, die Pfauen zu versorgen. Sie selbst ging wieder zum vorderen Teil des Gartens zurück. Sie trat unter eine der Bogenöffnungen, wo sich ein Rundblick auf die ganze Stadt bot. Versonnen und verträumt sah sie hinunter.

Aus dem Meer kleiner, geduckter Häuser, die sich in ihrer Einförmigkeit glichen, ragten die machtvollen Tempelbauten der Könige Siams empor wie Felseninseln. Obwohl Bangkok Amarins Vaterstadt war, hatte sie nach der langen Abwesenheit doch nicht das Gefühl, in der Heimat zu sein. In Paris hatte sie dasselbe Empfinden gehabt, als sie vom Eiffelturm hinabschaute.

Sehnsucht überkam sie.

Von ihrer Mutter wußte Amarin kaum etwas, und ihre volle Zuneigung galt von jeher ihrem Vater. Bis zu ihrem fünfzehnten Jahr lebte sie ständig mit ihm zusammen und begleitete ihn auch nach Paris. Er hatte persönlich ihre Erziehung geleitet und sie besonders in den Lehren des Buddhismus unterwiesen.

Als er nach Bangkok reiste, um sich gegen die Anklagen zu verteidigen, blieb sie in Paris, und als er nicht mehr zurückkehrte, gab sie der Nachfolger ihres Vaters zu den Nonnen von Sacrée Coeur in Pension, damit sie dort erzogen werden sollte. Lange hatte sie vergeblich gehofft, ihren Vater wiederzusehen, aber dann hatte ihr der Verkehr mit den gleichaltrigen jungen Mädchen viel Anregung gegeben. Spielend bewältigte sie den Unterricht und lebte sich leicht in die europäische Kultur ein. Das große Erbe ihrer Heimat blieb aber trotzdem, wenn auch durch die westlichen Einflüsse zurückgedrängt, in ihrem Innersten lebendig.

Jetzt fühlte sie sich einsam und verlassen, da sie niemand hatte, mit dem sie über alles Sprechen konnte, was sie so tief bewegte. Ihre Mutter hätte sie sicher verstanden, denn auch sie war von den Blumenpfeilen des Liebesgottes Kama getroffen worden. Me Kam hatte viel von ihr und ihrer glücklichen, aber allzu kurzen Ehe erzählt.

Amarin seufzte leise. Ihre Tante stand ihr zu fern, und es lag etwas Trennendes zwischen ihnen. Seit vielen Jahren hatte sie Prinzessin Chanda nicht gesehen, und sie waren einander fremd geworden. Diese Frau würde nicht begreifen können, was Amarin jetzt erlebte, denn Sie hatte nie geheiratet, und soweit Amarin wußte, war ihr Leben wie ein schöner Sommertag, heiter und ungestört, verlaufen. Was wußte Sie also von dem Glück und der Unruhe der Liebe?

Ach, wenn sie doch nur einmal mit ihrem Vater hätte sprechen können! Aber er lebte als Oberpriester in Ceylon, und ernste Pflichten banden ihn. Wie gern würde sie ihn in Kandy in seinem Kloster besuchen!

In Paris hatte er stets die Teestunde in ihrer Gesellschaft verbracht, selbst wenn er in Zeiten schwerer diplomatischer Konflikte noch soviel zu tun hatte. In seinen anregenden Gesprächen erschloß sich ihr die Schönheit und Tiefe seiner feinkultivierten Persönlichkeit. Lebhaft stand seine sympathische Erscheinung noch vor ihr: Sie glaubte wieder den tiefen, wissenden Blick seiner milden, gütigen Augen zu fühlen und den melodischen Klang seiner männlichen Stimme zu hören. Stets hatte sein harmonisch ausgeglichenes Wesen beruhigend auf sie gewirkt, und sie hatte sich in seiner Nähe sicher und geborgen gefühlt.

Plötzlich hatte sie das Verlangen, mit ihren Dienerinnen einen Tempel zu besuchen. Sie hoffte, daß eine Andacht vor dem Bilde des Erhabenen ihr wieder Frieden und Ruhe bringen könnte.

*

Große, alte Teakbaume mit mächtigen Kronen beschatteten das Ufer des Kanals, der an der Hinterseite des Parks vorbeiführte, und die kleinen Wellen schlugen plätschernd gegen die aus riesigen Teakpfählen erbaute Landungstreppe. Sie führte zu einer zierlichen Halle empor. Zwölf schlanke Holzpfeiler trugen das malerisch aufstrebende Dach, in dessen Schatten sieben Dienerinnen Amarins mit Opfergaben warteten.

Nun erschien die Prinzessin mit Me Kam in dem Portal und ging schnell den breiten Hauptweg zum Wasser hinunter. Bald hatten alle ihre Plätze im Boot eingenommen. Ein Baldachin Schützte Amarin, die in der Mitte saß, gegen die glühenden Sonnenstrahlen.

Wie eifrig dnrcheinanderhastende Ameisen drängten sich viele kleine Fahrzeuge auf dem Kanal Klong Kut Mai, so daß das schmucke Motorboot nur langsam vorwärtskam. Nur wenig feste Straßen führten in früherer Zeit durch Bangkok, und diese beschränkten sich auf die Umgebung der Palaststadt. Sie waren weniger für den allgemeinen Verkehr als für die traditionellen feierlichen Umzüge bestimmt, die der König im Frühjahr und im Herbst abhielt. Das Leben und Treiben des Volkes selbst spielte sich daher schon immer in den zahlreichen großen und kleinen Kanälen ab, die die weit ausgedehnte Hauptstadt nach allen Richtungen hin durchzogen. Alle großen Tempel und Gebäude lagen deshalb auch mit ihren Hauptfassaden an diesen Wasserstraßen. Erst um die Jahrhundertwende wurde auf Befehl des damaligen Königs ein umfassendes Straßennetz angelegt und viele Brücken über die alten Kanäle aufgeführt.

Amarin sah interessiert auf das buntbewegte Bild.

Eifrige Ruderer bewegten mit langen Stoßstangen schwerbeladene Reisboote den Kanal entlang. Sie brachten ihre Fracht zu den zahlreichen Reismühlen, deren hochragende Schornsteine sich am Fluß erhoben. Die Ufer konnte man selten sehen, da bedeckte Boote manchmal in doppelter und dreifacher Reihe an den Seiten des Kanals festgemacht hatten. In jedem solchen Boot wohnte gewöhnlich eine ganze Familie, und es herrschte lebhaftes Treiben dort. Viele dieser Fahrzeuge waren als Läden eingerichtet, die ihre Schauseite dem Kanal zuwandten. Kleinere Boote hielten hier und dort an den Läden an, und die Insassen besorgten ihre Einkäufe.

Wie die Rikschakulis in den Straßen schlängelten sich auf dem Wasser Chinesen mit Garküchen durch das Gewimmel. Wenn sie herbeigewinkt wurden, hielten sie an und gaben in kurzer Zeit ein Gericht ihrer reichhaltigen Speisekarte gegen wenige Kupfermünzen aus.

Postboten in Khakiuniformen mit lebhaftroten Aufschlägen fuhren im Boot die Post aus, denn viele Häuser an den Kanälen waren nur vom Wasser aus zugänglich. Ehrwürdige Priester in gelben Gewändern ließen sich von ihren Schülern, die ebenfalls die gelbe Klostertracht trugen, zu benachbarten Tempeln rudern. Vielleicht waren sie auch zum Lager eines Todkranken gerufen worden, um die Sterbegebete zu verrichten.

Händlerinnen mit Tonwaren oder Kleiderstoffen, Obstverkäufer, ja selbst Bettler, bewegten sich mit ihren kleinen Booten auf dem Kanal, und sogar Barbiere fehlten nicht.

Aber der Verkehr spielte sich ebenso geregelt ab wie auf einer der Hauptstraßen. Nirgends hörte man ein böses Wort, alles verlief reibungslos, ohne Zank und Streit. Mit flinker Geschicklichkeit steuerten die Leute ihre Fahrzeuge. Meistens führten Frauen, die sich durch breite, große Hüte aus Palmblättern gegen die Sonnenstrahlen schützten, das Ruder. Oft ertönte fröhliches Lachen, denn die Siamesen sind ein heiteres Volk und immer zum Scherzen aufgelegt.

Manchmal ballte sich der Bootsverkehr so stark zusammen, daß die ganze Fahrstraße verstopft zu sein schien. Aber immer wieder löste sich das Gewirr, und Amarins Motorboot brauchte kein einziges Mal anzuhalten.

Zwischen hochragenden Tempeln erhoben sich an den Ufern des Kanals zuweilen große Steinhäuser mit chinesischen Dächern. Hier wohnten die reichen Kaufleute oder die Besitzer der Reismühlen.

Wohin Amarin auch blickte, überall herrschte reges Leben, und wie auf den Straßen sah man auch auf den Kanälen ein buntes Völkergemisch. An vielen Stellen badeten die Leute zwischen den Booten. Hier ankerte ein Boot mit Blechwaren, die ein chinesischer Klempner zum Kauf ausbot. Er hatte sie aus alten Konservenbüchsen zusammengelötet. Andere Chinesen führten eine Ladung gemästeter Schweine, die in geflochtenen Käfigen untergebracht waren. Dort lag ein Boot, auf dem man Spielzeug aus farbig bemalten Palmblättern kaufen konnte: im nächsten lockten Süßigkeiten und Palmzucker in kleinen Tongefäßen, geröstete Maiskolben und vieles andere.

Endlich erreichte Amarins Motorboot den Hauptstrom. An der anderen Seite des Flusses lag die Stolze königliche Lustjacht »Mahachakri« vor Anker, und vom Deck donnerte wie jeden Mittag Punkt zwölf Uhr ein Kanonenschuß, nach dem sich die ganze Stadt richtete. Blendendweiß hoben sich die Wände des schlanken Schiffs von den lehmgrauen, trägen Wassermassen des gewaltigen Menam ab.

Schon von weitem grüßten die goldenen Prunkdächer und vielgeschossigen Türme des großen Königspalastes, der eine Stadt für sich darstellte. Nur wenige hochragende Torbauten mit weit ausgezogenen Praprangspitzen unterbrachen die langgestreckten, weiten Umfassungsmauern. Spitz auslaufende Semablätter bildeten die malerischen Zinnen.

Das Motorboot hielt nach einer Weile an der Ladungsstelle, die dem prachtvollen Westtor gegenüberlag.

In der Empfangshalle am Ufer ordneten die Dienerinnen die Opfergaben, dann folgten sie der Prinzessin in geschlossenem Zuge.

Unbekümmert um die schnell sich sammelnde Menschenmenge schritt Amarin zu dem hohen Torturm. Die roten, starken Teakholzflügel hatten eine so riesige Höhe, daß ein aufgezäumter Kriegselefant mit dem hochragenden siebenfachen Ehrenschirm des Königs ungehindert hindurchschreiten konnte.

Ehrerbietig eilten die Palastwachen herbei und öffneten das große Tor. Geräuschvoll Schoben die feuerrot gekleideten Männer den schweren Querbalken beiseite, und knarrend drehten sich die schweren Flügel in ihren Angeln.

Dann traten die Wachen zur Seite, verneigten sich und hoben die gefalteten Hände zur Stirn.

Amarin ging mit ihrem Gefolge bald darauf durch ein zweites Tor, das dicht hinter dem ersten lag und den Zugang zur inneren Palaststadt bildete. Dann führte der Weg an den Ställen der weißen Elefanten vorüber.

Die großen, nach Norden gerichteten Tore standen offen, so daß Amarin hineinschauen konnte. Jedes der gewaltigen, rosagrauen Tiere hatte einen Bau für sich. Sie standen auf einer erhöhten Plattform und waren mit dem rechten Vorderbein an große Balken gefesselt. Das Holzwerk im Innern der Ställe einschließlich des offenen Daches war mit rotem Lack gestrichen.

Gleich darauf öffnete sich vor Amarin ein Durchblick auf weite Innenhöfe, die mit riesigen, glatten Steinquadern belegt waren.

Alle Gebäude ordneten sich einer genial erdachten Gesamtwirkung ein: Selbst die Bäume, die in dem großen Vorhof standen, hatte man in der Form siebenfacher Ehrenschirme zugeschnitten.

Mit leiser Scheu wandelte die Prinzessin die Säulengänge entlang. Nach dem Weg über die sonnendurchglühte, staubige Straße wirkte der kühle Schatten hier um so erfrischender und angenehmer.

Unwirklich hallten die Schritte der Frauen auf den Steinfliesen wider, und sie gingen unwillkürlich leiser und behutsamer, um das Schlafende Echo nicht zu wecken.

Unheimliche Riesengestalten, aus grüngrauem, hartem Stein gemeißelt, erhoben sich drohend zu beiden Seiten der prachtvollen Portalbauten. Mit angehaltenem Atem überschritt Amarin die Schwelle und befand sich nun in dem heiligen Tempelbezirk.

Wandelhallen von vielen hundert Metern Länge umgaben den eigentlichen Palasttempel, aber nur nach innen öffneten sie sich in weiten Pfeilerstellungen. Die Wände schmückten reiche Gemälde aus der Legende des Gottes Wischnu, auf den die siamesische Königsfamilie ihren Ursprung zurückführte.

Gleißend lag das Sonnenlicht auf den farbig glasierten Dachziegeln und den prächtigen, mit Mosaik überzogenen Tabernakeln der Grenzsteine: es spiegelte sich in den schlank aufstrebenden Prachedibauten und auf den Wasserflächen der großen Granitschalen, in denen blaue Lotosblumen blühten. Himmelan reckten sich die vergoldeten Drachenhäupter an den Firstenden der Dächer, und ein feiner Duft von Dok-Keo-Blüten und Weihrauch durchzog den weiten Tempelhof.

Nach einer kurzen Wanderung über den sonnigen Hof stieg Amarin die steilen Stufen zur weiträumigen Vorhalle des Haupttempels hinauf. Kühn aufragende Pfeiler trugen die reich mit Ornamenten in Purpurrot und Gold geschmückte Decke. Goldmosaik von unerhörter Kostbarkeit überzog die Pfeiler und die Außenmauern, und drei gewaltig hohe Portale, deren Flügel herrliche Perlmutteinlagearbeit zierte, führten ins Innere des Heiligtums. In allen Farben sprühte und glitzerte das Mosaikwerk.

Nur wenige Fenster an der hinteren Seite des gewaltigen Innenraumes ließen gedämpftes Licht ins Innere dringen. In dieser Dämmerung wuchsen die Pfeiler zu ungeahnter Höhe, und die Decke verschwand in traumhaftem Dunkel. Gewundenes Schwarzgoldornament flammte an Säulen und Wänden auf.

Amarins Dienerinnen nahmen die Decken von den Blumenopfern und gingen mit zögernden Schritten zu dem goldenen Altar, vor dem sie die Gaben niedersetzten und die Weihrauchstäbchen entzündeten.

Wachskerzen leuchteten auf und warfen ihr unsicheres Licht auf große, goldene Buddhastatuen, die magisch schimmerten. Immer neue und mächtigere Kultbilder lösten sich aus dem dunklen Hintergrund.

Amarins Augen hingen gebannt an diesem zauberhaften Anblick, und sie fühlte das Klopfen ihres Herzens.

Feine Rauchwolken stiegen von den Stäbchen empor, die die Dienerinnen vor dem Altar in Bronzehalter steckten. Die weihevolle Stille des Raums überwältigte die Prinzessin. Beten konnte Amarin nicht, aber wie eine lodernde Opferflamme brannte der übermächtige Wunsch in ihrer Seele, in diesem Leben dem Geliebten anzugehören.

Ein beseligender Friede brachte ihre heiße Sehnsucht allmählich zur Ruhe.

Lange kniete sie in stiller Versenkung und Andacht vor dem Altar des Smaragdbuddha.


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