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18

Willenlos hingegeben an glückliche Erinnerungen lag Warwick am nächsten Abend auf der Veranda seines Bungalows.

Wie im Traum war ihm der Tag vergangen: alles Tun und Lassen stand in dem Zeichen des großen Erlebnisses. Amarins Liebe trug selbst in den Alltag Farbe und Freude. Wohl meldeten sich auch düstere Gedanken an verletzte Pflicht, aber er ließ sie erst gar nicht aufkommen und drängte sie sofort beiseite.

Geräusche aus dem Lautsprecher störten ihn. Der Ansager kündigte an, daß die politischen Nachrichten für den Abend gleich beginnen würden.

Unwillig erhob er sich und stellte den Apparat ab. Dann rief er den Boy.

»Ich will heute abend durch keinen Besuch gestört werden. Wenn jemand kommt und nach mir fragt, sagst du, ich sei nicht zu Hause.«

» Korap! (Zu Befehl)«, antwortete der Chinese.

»Damit keiner auf den Gedanken kommt, daß ich mich doch hier aufhalte, drehst du alle Lichter aus.«

» Korap!«, wiederholte der Boy und führte die Anordnung sofort aus.

Warwick lag still und reglos im Stuhl. Nur der große Ventilator surrte über ihm an der Decke. Der Boy war unruhig und besorgt über das sonderbare Verhalten seines Herrn. Er kannte ihn genau, denn er war schon lange Jahre in seinen Diensten. In einer solchen Verfassung hatte er seinen Nai aber noch nicht gesehen. Schon den ganzen Tag war ihm der verträumte, abwesende Blick Warwicks aufgefallen. Malariafieber konnte der Nai nicht haben, denn dann hätte er sicher nicht gelächelt. Verwundert setzte sich der Boy im hinteren Teil der Veranda auf den Boden nieder.

Aus dem eingeschossigen Nebengebäude, in dem die Dienerschaft wohnte, rief eine große Tuke-Eidechse viele Male. Unwillkürlich hörte Warwick darauf und zählte die Rufe. Die dumpfen Pauken- und Gongschläge einer Kapelle tönten von weither über das Wasser.

In den Tempeln auf der anderen Seite des Flusses stiegen unaufhörlich Raketen am Horizont empor, deren Bahnen sich in der breiten Fläche des Stroms als leuchtende Linien spiegelten. Dort wurden Leichenverbrennungen der Reichen und Vornehmen abgehalten und als Freudenfeste mit Theateraufführungen und Feuerwerk gefeiert.

Warwicks Gedanken weilten wieder bei dem gestrigen Fest und bei Amarin.

Zögernd nahm er das seidene Tuch, das sie ihm gegeben hatte, aus der Brusttasche, atmete den Wohlgeruch ein und legte es dann behutsam wie eine Kostbarkeit neben sich auf die Lehne des Korbsessels. Der berauschende Duft berührte ihn wie ihre liebkosende Hand. Leise wie eine Vision schwebte ihr Bild durch seine Träume, und wieder durchlebte er, gesteigert in der Erinnerung, das Wunder des vergangenen Abends.

Irgendwo in der nächsten Umgebung begann eine Laosflöte ihre zarte Weise, weich und einschmeichelnd. Nach einer Weile gesellte sich eine Handpauke dazu und durchzitterte mit synkopischen Wirbeln, Trillern und Stakkatoschlägen aufreizend den Rhythmus der Melodie. Glühende Leuchtkäfer schwirrten wie grüngoldene Funken über die Veranda, und in den nahen Büschen des Gartens glitzerten sie zu Hunderten und Tausenden in endlosem Liebesspiel.

Märchenstimmung lag über der Welt.

Plötzlich flammte in seltener Klarheit eine Sternschnuppe am Himmel auf und senkte sich in leuchtender Bahn zum Horizont.

Jäh fuhr Warwick aus seinen Träumen empor. Wie oft hatte er mit Evelyn abends auf der Veranda von Breyfords Haus gesessen und diesem wundervollen Schauspiel zugesehen, das sich in den Tropen viel schöner und wirkungsvoller als in den nördlichen Breiten darbot.

Ihr Bild tauchte vor ihm auf, und er erschrak vor sich selbst. War es möglich, daß er sich trotz seiner großen Liebe zu Evelyn an Amarin verlieren konnte?

Evelyn kannte er schon seit ihrer frühesten Kindheit. Als junges Mädchen hatte sie ihn nach seinen Erfolgen im Weltkrieg bewundert und verehrt. Als er später in den Ferien von Cambridge nach Hause kam, verkehrte er viel in ihrer Familie und sah sie täglich bei Sport, Spiel und gemeinsamen Wanderungen.

Evelyn war einundzwanzig Jahre alt gewesen, als sie ihren ersten mehrmonatigen Besuch in Bangkok machte, und damals kam ihnen klar zum Bewußtsein, daß sie einander liebten. Aber erst während seines letzten Urlaubs hatte er sich mit ihr verlobt.

Offen und rückhaltlos hatte er ihr von seinem Leben in den Tropen erzählt, und sie hatte die Beziehungen zu seiner Mia Me Talap, einer Frau aus dem Volke, als notwendig und natürlich anerkannt. Aber würde sie auch sein Erlebnis mit Amarin verstehen können?

Früher waren ihm selten Zweifel an sich selbst gekommen; sicher und selbstverständlich war er seinen Weg gegangen. Jetzt aber fühlte er sich plötzlich erschüttert und aus dem Gleichgewicht gebracht.

Nervös stand er auf und zündete sich eine Zigarette an, um sich zu beruhigen und seiner Erregung Herr zu werden. Je länger er darüber nachdachte, desto stärker wurde Evelyns Einfluß. Die tiefe Zuneigung zu ihr war in langjähriger Freundschaft gereift, und er konnte sie unmöglich abstreifen, wie man ein Gewand ablegt. Mit Evelyn verbanden ihn gleiche Rasse, gleiche Kultur, gleiche Lebensanschauung, während seine Leidenschaft für Amarin nur eine Gefühlsaufwallung war, die er bekämpfen mußte. Unerbittlich und klar stand dieser Entschluß jetzt vor ihm. Alle weiteren Grübeleien konnten ihn nur darin wankend machen, und er nahm sich vor, diese Schwäche zu überwinden. Es war an der Zeit, daß er zur nüchternen Wirklichkeit zurückkehrte und nicht mehr romantischen Träumen nachhing.

Nach dieser Auseinandersetzung mit sich selbst wurde er ruhiger und legte sich wieder nieder. Seine Gedanken klammerten sich jetzt an das immer prächtiger aufsprühende Feuerwerk. Raketen von wunderbarer Leuchtkraft stiegen zu Wolkennähe empor und sandten dann, müde vom Höhenflug, mit letzter Energie feurigen Blütenstaub zur Erde nieder. Erst nachdem der Zauber strahlender Lilien und anderer Wunderblumen am Himmel schon halb erloschen war, kamen resigniert, gedämpft und abgeschwächt die Detonationen über den Strom zu Warwick herüber. Die himmelwärts steigenden Garben zeichneten eine fast ebenso starke Gegenbewegung als Spiegelbild auf die breitgelagerte, dunkle Wasserfläche des Menam.

»Nai!« sagte der Boy leise.

Er war auf seinen weichen Filzsohlen lautlos näher gekommen, ohne daß Warwick es wahrgenommen hatte.

Warbury hörte den Boy nicht. Er war zu sehr in den Anblick des herrlichen Schauspiels versunken.

Nachdem der Diener noch einmal vergeblich versucht hatte, die Aufmerksamkeit seines Herrn zu erregen, berührte er ihn leicht am Fuß.

»Was gibt es?« fragte Warwich und richtete sich schnell auf.

»Draußen ist Me Kam, eine alte Siamesin. Sie sagte, sie müsse den Nai dringend sprechen.«

Warwick erhob sich. Eigentlich hatte er den Entschluß gefaßt, in den Klub zu gehen, um Amarin zu vergessen, aber er konnte unmöglich die Dienerin abweisen, ohne sie angehört zu haben.

»Mache Licht und lasse sie auf die Veranda kommen«, sagte er zu dem Boy.

Langsam stieg die Siamesin die Treppe herauf. Sie trug einen einfachen Panung und gewöhnliche Kleidung, um die Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken. Aus demselben Grund hatte sie auch eine Rikscha genommen, den Chinesenkuli aber schon in einer gewissen Entfernung von Warwicks Haus entlassen.

Noch bevor Sie Sich auf den Teppich setzen konnte, schob ihr Warwick einen Stuhl hin. Nach der üblichen Begrüßung sah er sie fragend an, aber sie schwieg, und er merkte, daß die Anwesenheit des Boys sie am Sprechen hinderte. Durch eine Handbewegung schickte er ihn fort.

»Mr. Warbury«, begann sie gleich darauf eifrig, »ich wollte Ihnen, auch im Namen der Prinzessin noch einmal danken, daß Sie mich gestern von den beiden Strolchen befreit haben.«

»Aber das war doch selbstverständlich, ich habe es gern getan. Dafür brauchen Sie mir nicht zu danken«, wehrte er ab. »Wie haben Sie denn den Überfall überstanden? Haben Sie noch Schmerzen? Die beiden Kerle hatten Sie ja böse zugerichtet. Ich bin erstaunt, daß Sie heute schon wieder auf sind und so weite Wege machen können.«

Warwick und Amarin waren am vergangenen Abend schweigend und glücklich die große Marmortreppe hinuntergegangen. Als sie fast am Ende der Stufen angelangt waren, hatten sie plötzlich Me Kams halberstickten Schrei gehört. Warwick war der Amme schnell zu Hilfe geeilt und gerade noch zu rechter Zeit gekommen, um den einen von den beiden Siamesen mit einem wohlgezielten Faustschlag unters Kinn bewußtlos zu machen. Der andere hatte einen Augenblick gezögert, als ob er sich auf ihn stürzen wollte, dann aber das Weite gesucht.

»Es war ein großes Glück, daß die beiden Kerle keine Messer bei sich hatten«, sagte Me Kam und schauderte. »Sonst wären Sie niedergestochen worden. Für die Prinzessin hätte das furchtbare Folgen gehabt. Ich selbst fühle mich wieder ganz wohl, nur habe ich ein paar blaue Flecken am Hals«, fügte sie freundlich hinzu.

»Wie geht es Prinzessin Amarin? Sie war gestern in großer Sorge um Sie. Bei all der Aufregung habe ich mich nicht einmal richtig von ihr verabschieden können.«

Warwick sah die Frau gespannt an.

»Sie hat sich bald wieder von dem Schrecken erholt. Auch soll ich Ihnen bestellen, daß sie sich sehr freuen würde, wenn Sie ihr heute abend einen Besuch machten. Sie erwartet Sie um halb neun in ihrer Villa an der Sapatumstraße.«

Warwicks Gedanken wirbelten durcheinander. Die Entschlüsse, die er vorher gefaßt hatte, waren vergessen, und die Unruhe erwachte stärker in ihm als zuvor. Die Möglichkeit, Amarin wiederzusehen, bot sich so leicht und überraschend! Gewaltsam hatte er alle Gedanken an sie unterdrückt. Jetzt aber packte ihn die Sehnsucht nach ihr von neuem und heftiger als vorher.

Verwirrt trat er an das Geländer der Veranda und schaute auf die kleinen, plätschernden Wellen hinunter. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, aber es mußte etwas geschehen. Wie könnte er jedoch Me Kam eine Absage geben, ohne unhöflich und beleidigend zu erscheinen?

Die Amme beobachtete ihn scharf.

»Die Prinzessin wartet ganz allein auf Sie in der Villa«, drängte sie, als sie sah, daß ihm die Entscheidung schwerfiel. »Zuerst wollte sie nichts von meinem Plan hören, aber ich sagte ihr, daß Sie die Einladung sicher nicht mißverstehen und bestimmt kommen würden, weil Sie die Prinzessin lieben«, fügte sie leise hinzu.

Warwick schaute sie bestürzt und überrascht an. Sie hatte von seinen innersten Gefühlen, die er sich selbst kaum eingestehen wollte, offen gesprochen.

»Sie wissen ja, wie schwer das der Prinzessin fallen muß«, fuhr die Amme fort, »und wie gefährlich es für sie ist, so zu handeln. sie sind ein Mann und ein Farang – sie brauchen sich nicht zu fürchten.«

Er atmete schnell.

»Ich verstehe, daß sich die Prinzessin einer sehr großen Gefahr aussetzt. Deshalb ist es besser, daß ich sie nicht wiedersehe«, entgegnete er ernst.

Me Kam hatte eine solche Wendung nicht erwartet. Sie hatte Amarin zu diesem Schritt gedrängt, weil sie wußte, wie unglücklich ihre Herrin werden würde, wenn sie den schönen Farang nicht wiedersähe. Unter allen Umständen mußte sie Erfolg haben.

Niemals war ihr vorher der Gedanke gekommen, daß Warwick ablehnen könnte. Sie sah ihn fragend an. Sollte seine Liebe zur Prinzessin doch nicht so groß sein? Heimlich berührte sie das zauberkräftige Amulett, das sie unter ihrem Kleid auf der Brust trug.

»Die Prinzessin wird sehr traurig werden, wenn ich ihr sage, daß Sie nicht den Mut haben, sie zu besuchen.«

Warwick wurde ärgerlich. Es hatte keinen Zweck, sich mit Me Kam darüber auseinanderzusetzen – er mußte mit Amarin selbst sprechen. Sie würde ihn verstehen, wenn er ihr alles ruhig erklärte.

»Ich komme«, sagte er kurz.

Me Kams Augen leuchteten triumphierend auf. Der Zauber des großen Rüsi hatte gewirkt!

Warwick sah auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor acht, und wenn er zur rechten Zeit ankommen wollte, mußte er sofort aufbrechen.

Schon wollte er die Treppe zur Garage hinuntersteigen, um seinen Wagen herauszuholen, aber um Amarins willen mußte er vorsichtig sein. Wenn er mit dem Auto zu ihrer Villa fuhr, führte sein Weg über die belebte Sapatumstraße und durch den vorderen Parkeingang. Dabei konnte er leicht beobachtet und erkannt werden. Aus diesem Grunde war es besser, wenn er sein neues Motorboot nahm. Die hintere Gartenfront der Häuser an der Sapatumstraße grenzte an einen Wirtschaftskanal. Von dieser Stelle des Menams aus konnte er ihn auf einigen Umwegen erreichen.

Es dauerte kurze Zeit, bis er das Boot klargemacht hatte, das unten zwischen den Pfählen seiner Veranda angeschlossen war. Die bestimmte Aussicht, Amarin bald wiederzusehen, machte ihn trotz aller Gegenwehr froh und ungeduldig.

Und zehn Minuten später fuhr er mit Me Kam den Menamstrom hinauf.

*

Wie alle Großen Siams hatte auch Prinz Akani früher einen gewissen Teil seines Vermögens in Hausbesitz angelegt, und es gehörte ihm eine Anzahl von Villen in der Sapatumstraße. Die größte darunter, in deren Nähe Warwick Warbury verunglückte, war unbewohnt. Prinz Akani hatte sie für sich selbst eingerichtet.

Me Kam war nun der Gedanke gekommen, daß Warwick und Amarin sich dort heimlich treffen könnten.

Beherzt, umsichtig und erfinderisch war sie auch sofort daran gegangen, die Ausführung dieses Plans zu ermöglichen. Sie mußte alles allein in die Hand nehmen, niemand sonst durfte etwas davon erfahren. Nicht einmal ihre Herrin sollte zunächst etwas davon wissen.

Von Prinzessin Chanda ließ Me Kam sich Urlaub geben. Ein Vorwand war leicht gefunden. Sie sagte, daß sie ihre Schwester besuchen wolle, die Frau eines reichen Reisbauern, die weit entfernt von der Hauptstadt an einem schwer zugänglichen Kanal lebte. Auf diese Weise hatte sie Zeit gewonnen, und es wurde ihr möglich, das Haus in Ordnung zu bringen und die Räume mit Blumen zu schmücken.

Sorgfältig wählte sie die Blüten, deren Duft auf Warwick einen Liebeszauber ausüben sollte, denn in dieser Kunst war sie erfahren. Und wenn er erst einmal in dem Hause gewesen war, wollte sie beim Bronzebild des großen Rüsi im Tempel des Smaragdbuddha eine noch viel stärkere Beschwörung vollbringen, damit Warwick ihre Herrin nie verlassen sollte.

Me Kam hatte den ganzen Tag eifrig gearbeitet und war nicht zur Besinnung gekommen. Sie war stolz darauf, daß sie all den ungerechten Vorschriften und Gesetzen zum Trotz Amarin glücklich machen konnte.

Aber als sie nun neben Warwick im Motorboot saß, stiegen doch Bedenken in ihr auf, und sie erschrak über ihre Kühnheit. Wie gefährlich war dieses Liebesabenteuer, und wie leicht konnte ein Unberufener das Geheimnis erfahren! Sie wußte sehr wohl, welches entsetzliche Schicksal über ihre Herrin hereinbrechen würde, wenn es entdeckt war. Ebensogut wußte sie, daß ihr selbst die schwersten Strafen drohten.

Mit Grauen dachte sie daran, welch schreckliches Los früher die Frauen der Palaststadt traf, wenn sie sich verbotener Liebe hingaben.

Noch zu Zeiten König Mongkuts, der in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts regierte, waren Pia Deng und seine erste Gemahlin, Nang Bun, unter furchtbaren Qualen zu Tode gefoltert worden, weil er die Augen zu Nang Dara, der Favoritin des Königs, erhoben hatte. Bun hatte denselben entsetzlichen Tod erlitten, weil sie aus Liebe zu ihrem Mann den Fluchtplan der beiden begünstigt hatte.

Als junges Mädchen hatte Me Kam selbst noch erlebt, daß Prinz Uraruk, der damalige Palastminister, die schöne Prinzessin Aruni im Palastgefängnis einschließen ließ, weil sie in verbotenen Beziehungen zu einem gewöhnlichen Mann aus dem Volke gestanden hatte. Ihr Geliebter wurde sofort hingerichtet, und sie wurde während ihrer Gefangenschaft so schlecht behandelt und bekam so wenig Nahrung, daß sie schwächer und schwächer wurde, bis man sie schließlich eines Morgens bewußtlos in ihrer Zelle auffand.

In diesem Zustand hatte der Palastminister die angeblich Tote auf den Scheiterhaufen bringen und verbrennen lassen.

Furchtbares hatten später die Frauen der Amazonengarde darüber erzählt, die dabei zugegen sein mußten und Zeugen waren, wie Aruni in den Flammen noch einmal erwachte.

Prinz Uraruk war zwar in Ungnade gefallen und vom König aufs schwerste bestraft worden, aber das konnte die arme Prinzessin nicht wieder zum Leben zurückbringen.

Solche Greueltaten kamen allerdings heutzutage nicht mehr vor, aber das Maß der Strafe für ein derartiges Vergehen lag in dem persönlichen Ermessen des Königs und des Palastministers, der ihn beriet. Das mindeste war lebenslängliche Einkerkerung.

Von Murapong konnte man nichts Gutes erwarten. Er war von jeher der Feind des Prinzen Akani gewesen, und Me Kam hatte ihn immer gehaßt.

Heute wollte sie selbst unten vor dem Hause Wache halten, denn es galt, auf jeden Fall auf der Hut zu sein.

Nach der Erfahrung vom vergangenen Abend hatte sie ein flaches Dolchmesser mitgenommen, das sie in ihrem Brusttuch versteckt hielt.

Im Grunde war sie keine grüblerische und wägende Natur. Sie lebte wie fast alle Siamesen mehr dem Augenblick, ohne Rücksicht auf gestern und morgen, und als sie sich jetzt ihrem Ziele näherten, schwanden ihre düsteren Gedanken mehr und mehr und wichen einer frohen, erwartungsvollen Stimmung.

Warwick hatte seinen Chauffeur nicht mitgenommen. Er steuerte sein Boot selbst, um keinen Dritten wissen zu lassen, welchen Weg er nahm.

Bald kam er in der Mitte des Menams an, wo er freie Fahrt hatte. Die Flut hatte ihren höchsten Stand erreicht, und die Strömung im Fluß stockte. Das war günstig, denn dadurch stieg auch das Wasser in den Kanälen bedeutend.

Sorgfältig überlegte er Wort für Wort, was er Amarin sagen würde, denn er wollte ihr seinen Entschluß möglichst schonend beibringen.

Als er bei der Brücke Tapan Han, an der Grenze der Chinesenstadt, in einen Kanal einbog, mußte er jedoch seine volle Aufmerksamkeit auf das Steuern richten. Er wollte schnell vorwärts kommen, deshalb mußte er allen langsamen Booten ausweichen. Das erforderte bei diesem Tempo große Geschicklichkeit und Umsicht.

Auf der letzten Strecke in dem verhältnismäßig engen Wirtschaftskanal wurde es schwieriger. Die Wasserstraße zog sich zwischen ausgedehnten Gärten hin und war nicht erleuchtet. Es ging immer langsamer, da er seine großen Scheinwerfer nicht einschalten wollte, um kein Aufsehen zu erregen.

Schließlich gab er es auf und hielt einige hundert Meter von dem hinteren Parktor der Villa entfernt an einer Waschbrücke an. Dort machte er fest.

Vorsichtig ging er dann mit Me Kam den schmalen Uferweg entlang. Da sie hier genau Bescheid wußte, übernahm sie die Führung und ging voraus. Endlich hatten sie den hinteren Eingang zu dem Grundstück erreicht, und geschickt schob die Siamesin mit einem Bambusstäbchen den Riegel am Wassertor von außen zurück.

Park und Garten lagen zu dieser späten Stunde in einer düsteren Verzauberung. Die Umrisse des großen Hauses zeigten sich undeutlich zwischen majestätischen Bäumen mit weit ausladenden Kronen. Leise knirschte der feine Kies unter ihren Füßen.

Nur ein matterleuchtetes Fenster streute unsicheres Licht auf den Weg, und auch dieses erlosch, als sie die Stufen zur Veranda hinaufgingen.

Me Kam eilte einige Schritte voraus, öffnete behutsam eine Tür und schob einen Vorhang zurück. Kaum hörbar glitten die Metallringe über die Stange.

Seltsam erregt folgte ihr Warwick. Er hatte alles vergessen, was er Amarin sagen wollte.

In der wenig erleuchteten Halle umfing ihn der schwüle Duft weißer Tuberosen. Nur im Hintergrund schimmerte die breite Treppe heller. Im oberen Geschoß brannte eine Flamme des großen Kronleuchters.

Plötzlich sah er Amarin, die ihm bis zur Mitte der Treppe entgegengeeilt war.

Einen Augenblick wollte er zurückweichen, aber ihre Gegenwart wirkte zu stark auf ihn. Leise zitternd umschlossen ihn ihre Arme, und ihre Lippen preßten sich in heißem Verlangen auf die seinen. Seine Hände glitten über die zarte Rundung ihrer samtweichen Schultern. Erst nach einer Weile löste sich Amarin sanft von ihm.

Me Kam hatte in der Halle eine berauschende Fülle von Blumen gehäuft, zuviel für Amarins feines Empfinden. Die Prinzessin führte Warwick ins obere Geschoß, wo auch nur gedämpftes Licht herrschte.

Sie traten in einen hohen Raum. Ein großer Wandbogen öffnete sich nach der hinteren Veranda. Mächtige, dichtbelaubte Teakbäume mit starken Blättern schoben sich schützend wie eine Wand vor den Kanal, so daß von dort kein Späherauge herüberschauen konnte.

Unten ließ sich Me Kam auf einem Gartensitz nieder. Von hier aus konnte sie das vordere Parktor und den Ausgang nach dem Kanal überschauen. Vorsichtig zog sie den Dolch aus dem Brusttuch und umklammerte mit der Rechten den Griff. Niemand sollte den Liebenden zu nahe treten.

Aber nichts regte sich, nur ein Vogel sang verträumt in einem nahen Hibiskusstrauch. Der Mond, der schon vorher aufgegangen war, trat hinter den hohen Bäumen hervor und übergoß mit seinem friedlich hellen Licht die weiten Rasenflächen des Parkes.


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