Leopold von Ranke
Über die Epochen der neueren Geschichte
Leopold von Ranke

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Achtzehnter Vortrag

Wir wollen nunmehr die Entstehung, das gegenseitige Verhältnis und die politische Eigentümlichkeit auch der übrigen großen Mächte betrachten, deren Bildung in die zweite Hälfte des 17. und in die ersten drei Vierteile des 18. Jahrhunderts fällt. Die Tendenz dieser Epoche ist eine sehr bestimmte, sie unterscheidet sich von den früheren durch eine militärisch-monarchische Richtung.

An Ludwigs XIV. System schloß sich die Entwicklung der übrigen Großmächte an. Die erste, die im Widerstreit mit Ludwigs prätendierter Universalmonarchie zu einem festen Bestande kam, war England. Und zwar geschah dies dort von einem dem französischen entgegengesetzten Standpunkte aus. Der französische war der der Monarchie; dagegen war in England das Prinzip der Selbstregierung von jeher viel kräftiger gewesen, als auf dem Kontinente. Das parlamentarische System hatte sich im 13. und 14. Jahrhundert viel stärker festgesetzt, als in irgendeinem andern Lande. Das Parlament konnte zwar in den verschiedenen Streitigkeiten, welche über die Krone zwischen den Prätendenten und den ihnen anhängenden Parteien ausgebrochen, nicht entscheiden; aber es schloß sich allezeit der siegreichen Partei an, so daß z. B. auch Heinrich VII. aus dem Hause Tudor mit Hilfe des Parlaments sich auf dem Throne befestigte.

So war auch die Reform der Kirche wesentlich mit zustande gebracht worden durch die Aktion des Parlaments, nicht etwa durch Predigten oder durch eine universal volkstümliche Bewegung wie in Deutschland. Diese wurde vielmehr in England geradezu niedergedrückt, und es wurde den Predigern vorgeschrieben, wie sie predigen sollten, weil es dem Volke nicht zukomme, von einer bestimmten Religion abzuweichen, solange der König und das Parlament sie behaupteten. Diese beiden Faktoren im Verein mit der konstituierten Geistlichkeit machten schrittweise die Reform. Das Parlament wollte keine außerhalb England befindliche, auf England einwirkende Macht mehr anerkennen und erklärte im Einverständnis mit dem Klerus, welcher durch die Drohungen und Verheißungen Heinrichs VIII. großenteils auf dessen Seite gebracht worden war, den König für das Oberhaupt der Kirche. So ereignete es sich, daß im übrigen die ganze kirchliche Ordnung der Dinge trotz dieser Veränderung bestehen blieb; denn anfangs kam es nur zu einem Schisma und später zu einer Protestantisierung der anglikanischen Kirche, wobei diese alle ihre Einrichtungen, mit Ausnahme der Klöster, beibehielt. Dieser Umstand war für England von unendlicher Wichtigkeit; denn dadurch wurden alle inneren Streitigkeiten von vornherein abgeschnitten; es wurde nichts geduldet, als was dieser unaufhörlich sich reformierende Klerus selber anordnete. Unter Eduard VI. wurde er protestantisch; unter Marie Tudor wendete er sich wieder zum Katholizismus; unter Elisabeth, die ihr Sukzessionsrecht durch den Papst bedroht sah, trat die Geistlichkeit wieder zur anglikanischen Kirche über, und nun setzte diese Königin jene beiden Hauptgesetze fest, auf welchen die Kirche von England beruht: den Suprematseid, durch welchen der König als Haupt der Kirche anerkannt wird, und die Act of uniformity,Unter Heinrich VIII. 1534 erlassen, 1559 erneuert. – Die Uniformitätsakte stellte 1559 die Liturgie, die Eduard VI. (1547–1553) eingeführt hatte, mit einigen Änderungen wieder her. infolge deren sich jeder der Staatsreligion zu unterwerfen hatte. Ganz entgegengesetzt entwickelten sich die Dinge in Deutschland, wo es der Natur der Sache nach nicht möglich gewesen wäre, daß ein Fürst sich an die Spitze der geistlichen Angelegenheiten gestellt hätte. Von England aber kann man sagen, daß es, politisch genommen, die besten Früchte des Protestantismus davongetragen hat; denn erstens wurde es von dem Papste frei, und zweitens näherte es sich dem protestantischen Prinzip, ohne sich in die Streitigkeiten einzulassen, welche den Kontinent solange in Bewegung setzten. Krone, Parlament und Geistlichkeit wirkten in dieser Richtung immer zusammen.

Elisabeth verteidigte England siegreich gegen Philipp von Spanien durch ihren Widerstand gegen die Armada, und nun kam das königliche Haus von Schottland, die Stuarts, auf den Thron. Dieses war auch protestantisch geworden, indem Jakob I., der Sohn der Maria Stuart, ungeachtet gewisser katholischer Sympathien doch im allgemeinen als Anhänger jener Kirche betrachtet werden muß. In Schottland, wo der Protestantismus in streng kalvinistischer Gestalt gegründet worden war, wollte Jakob eine Form einführen, ähnlich der, wie sie in England herrschte. Dies wollten sich aber die Schotten nicht gefallen lassen, und er geriet dadurch in vielfache Streitigkeiten mit denselben. Auf der andern Seite zog er sich das Mißfallen seiner englischen Untertanen dadurch zu, daß er mit Spanien in gutem Einvernehmen zu leben wünschte, mit welchem Staate Elisabeth immer Krieg geführt hatte. Dies führte ihn zu Zwistigkeiten mit dem Parlamente, so daß er überhaupt weder in England noch in Schottland so vollkommen Meister des Landes war, wie Elisabeth. Übrigens wußte er den Widerstand noch zu unterdrücken.

Ihm folgte sein Sohn Karl I., ein Mann von größerer Ehrlichkeit als Jakob, der aber nicht minder im Widerspruch mit dem Parlament seine eigene Politik verfolgen wollte. Er hatte verschiedene Günstlinge und nahm eine katholische Gemahlin, wodurch er mit dem Parlament ebenfalls in Streitigkeiten geriet, so daß er im Jahre 1630 den Entschluß faßte, ohne Parlament zu regieren, indem er sagte, die Berufung des Parlaments beruhe auf einem bloßen Gebrauch und hänge von seiner Gnade ab. Damit war also ein Streit zwischen den Prärogativen des Königtums und den Ansprüchen des Parlaments gegeben. Außerdem befand sich Karl in einem gewissen inneren Widerspruch, wenn auch nicht in einem eigentlichen Widerstreit zwischen den Ansprüchen, die der König als Oberhaupt der Kirche zu erheben, und denen, welche die Kirche im Namen ihrer Selbständigkeit zu machen hatte; da ja in der Kirche immer etwas liegt, was sich nicht regieren läßt. Dazu kam noch der Zwist zwischen England und Schottland, welche beide verschiedene Kirchenverfassungen hatten, die schottische mehr im demokratischen Sinne von unten auf konstruiert – und doch unter einem Könige leben sollten. Karl I. wünschte nun die royalistische Prärogative gegen das Parlament geltend zu machen, während er in der Kirchenverwaltung diejenige Richtung begünstigte, welche sich mehr der alten katholischen Hierarchie näherte, obwohl er selbst nicht katholisch war. In diesen Zwistigkeiten stellte das Parlament die theoretische Behauptung auf, welche der König nicht anerkennen wollte, daß die parlamentarischen Ansprüche ebenso rechtlich begründet seien, wie die des Königs. Wenn man bedenkt, welch tiefe Wurzeln diese Institution im Volke gefaßt hatte, und wie schwer es überhaupt ist, althergebrachte Rechte zu beschränken, so wird man die Größe des Kampfes begreifen, den Karl l. durchzumachen hatte, um so mehr, da Richelieu die Gegner des Königs in England aufreizte. Darüber kam es zu jenem schrecklichen Konflikte, welchen man in England die Rebellion nennt.

Die englische Revolution besteht aus vier Abschnitten: erstens der Rebellion, zweitens der Einführung einer Republik und der Herrschaft Cromwells, drittens der Restauration und den darüber entstehenden Kämpfen, viertens der endgültigen Umwälzung des Jahres 1688.

Im Jahre 1637 machte Karl I. einen Versuch, in Schottland die englische Liturgie einzuführen, was der schottischen Kirchenverfassung entgegenlief. Hierauf rebellierten die Schotten, welche insgeheim von den Franzosen unterstützt wurden. Der König mußte nun zuerst die Engländer zu gewinnen suchen, um ihrer Unterstützung gegen die Schotten gewiß zu sein. Er brachte auch wirklich ein Heer gegen Schottland zusammen und machte mit demselben einige Fortschritte; allein ehe es zum Schlagen kam, wurde die Versöhnung zustande gebracht, infolge deren die Schotten nach Hause gingen und dem Könige Vergleichsvorschläge machten. Die Engländer sahen in diesen Wirren ihrerseits eine Gelegenheit, wieder zu ihrem Parlamente zu kommen, und Karl l. berief dasselbe in der Tat im Jahre 1640. – Als er es wegen seiner Opposition wieder aufgelöst hatte, mußte er noch im nämlichen Jahre ein zweites um sich versammeln, welches nachmals das lange Parlament genannt wurde. Kaum war dieses beisammen, so fanden alle weitreichenden protestantischen Ideen dort ihre zahlreichen Vertreter. Neben solchen, die zwar mit der englischen Kirche, nicht aber mit dem Vorgehen des Königs zufrieden waren, standen andere, die eine freiere Entwicklung des Protestantismus forderten, insbesondere Anhänger der protestantischen Reform, welche sich mit den Schotten eingelassen hatten. Alles dieses fermentierte das englische Parlament dergestalt, daß es noch im Jahre 1641 zu einem nicht auszugleichenden Hader zwischen dem König und dem Parlament und hierauf zum Bürgerkriege kam.

Erst hatte der König die alten Rechte des Parlaments, und zwar auf eine nicht ganz gesetzliche Weise, einzuschränken gesucht. Ich will nicht sagen, daß er hierin vollkommen ungerecht getan, daß er geradezu die englischen Gesetze gebrochen habe, denn darin war noch vieles unbestimmt; aber soviel ist klar, daß er seine Prärogative so zu entwickeln suchte, daß die royalistische Form das Übergewicht gewonnen hätte. Das Parlament aber ging alsdann soweit vorwärts, daß die alte Verfassung nicht mehr bestehen konnte; es wollte das Königtum aller seiner herkömmlichen Rechte berauben, zuletzt auch des unbedingten Oberbefehls über die Miliz. Der König hat bis auf einen gewissen Punkt nachgegeben; auf der einen Seite ging er zu weit in seinen Forderungen, auf der andern Seite zu weit in seiner Nachgiebigkeit. Beide Teile sammelten Truppen und schlugen zu verschiedenen Malen. Der König hatte den Adel und einen Teil derjenigen auf seiner Seite, welche für die bisherige Form der Verfassung waren; das Parlament hatte für sich alle demokratisch Gesinnten. Der Krieg konnte jedoch auf diese Weise nicht entschieden werden; weder der König noch das Parlament bekamen die Oberhand.

Da entwickelte sich in der parlamentarischen Armee eine neue Partei, die der Independenten, welche selbst die presbyterianische Kirchenform nicht mehr anerkennen und vom Könige überhaupt nichts mehr wissen wollte. Das Parlament und der König stritten sich darüber, welche Rechte der König haben solle; auch das Parlament wollte bisher doch nur der englischen Konstitution eine mehr demokratische Richtung geben; die independentische Partei dagegen wollte den kirchlichen und weltlichen König von allen Rechten ausschließen und geradezu eine Republik einführen. Eben diese Partei gab der parlamentarischen Armee einen neuen Aufschwung, und was durch diese an und für sich nicht hatte geschehen können, solange die Presbyterianer herrschten, das geschah, als die Independenten die Oberhand gewannen. Der Unterschied zwischen der Kriegführung der Presbyterianer und der der Independenten ist dieser, daß unter jenen die Prediger bei den Feldzügen sehr wirksam waren und manchmal angaben, wie der Feldzug geführt werden solle, während unter den Independenten die Offiziere selbst Prediger waren und geradezu vor den versammelten Bataillonen predigten.

An ihre Spitze trat Oliver Cromwell, von welchem noch nicht ausgemacht ist, ob er ein Heuchler gewesen, oder ob es ihm mit seiner Religion ernst war. Diesem gelang es, nicht nur das Parlament über den Haufen zu werfen, sondern auch den König zum Tode zu bringen (1649). Ein unerhörtes Ereignis, das in der europäischen Geschichte bisher nicht dagewesen war. Einzelne Fürsten waren zwar bei verschiedenen Anlässen ermordet worden, aber das Königtum stand noch in seiner vollen Heiligkeit und Würde da; daß eine Korporation es wagte, einen König zu verurteilen und enthaupten zu lassen, war ohne Beispiel. Cromwell wird daher mit Recht der Vater der Illoyalität genannt. Übrigens warf er sich als Protektor Englands ganz in die merkantilen und maritimen Interessen der Nation, besiegte die Holländer, eroberte Jamaika, nahm den Krieg gegen Spanien wieder auf und befolgte überhaupt eine außerordentliche Politik, welche den Engländern Vorteil brachte. Im Innern aber konnte auch er niemals fertig werden; auch er machte die Erfahrung, daß er mit dem Parlament nicht regieren könne, und nachdem er es viermal berufen und ebenso oft wieder aufgelöst hatte, sah er sich zuletzt genötigt, rein militärisch zu regieren. Dessen wurde die Nation bald müde, und da Cromwells Sohn der Regierung gar nicht gewachsen war, so regte sich allenthalben die Sehnsucht nach der Wiederkehr des legitimen Herrschertums. Wie wenig der Sinn für Loyalität im englischen Volke erloschen war, zeigt namentlich der Umstand, daß die Meinung derer durchdrang, welche den König uneingeschränkt durch Bedingungen aus der Verbannung auf den Thron zurückrufen wollten.

Die englische Königswürde wurde also hergestellt in derselben Form, in der sie früher bestanden hatte; ein wahres Unglück für Karl II. (1660–1685), weil noch so vieles in der englischen Verfassung unbestimmt war. Fassen wir die Umstände zusammen, durch welche Karl II. nach und nach in eine unerträgliche Lage versetzt wurde, so sind es hauptsächlich folgende: erstens seine Absicht, katholisch zu werden; da er nämlich einsah, daß er das Königtum in England nicht zu voller Macht würde bringen können, weil die englische Kirche nicht gewohnt war, ihrem Oberhaupte durch dick und dünn zu folgen, so faßte er den Entschluß, gleich Ludwig XIV. mit Hilfe des Katholizismus zu regieren; zweitens die Absicht, das Königtum unabhängig vom Parlament zu machen; drittens sein schlechter Lebenswandel und die an seinem Hofe herrschende Mätressenwirtschaft; viertens der unaufhörliche Geldmangel; fünftens die Notwendigkeit, von auswärtigen Mächten Geld zu nehmen. Unter allen diesen Verhältnissen konnte er nicht verhindern, daß das Parlament die exklusive Geltung des Protestantismus ihm zum Trotz zu dem bedeutendsten Staatsgesetze erhob – in der Testakte (1673), wonach niemand ein Staatsamt bekleiden durfte, welcher nicht die Lehre der Transsubstantiation abschwor.

Nun aber trat noch bei Lebzeiten Karls II. die Frage ein, ob dieses Gesetz auch auf den König angewendet werden dürfe; und so bildeten sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts die zwei Parteien der Whigs und Tories, von denen die ersteren mehr auf seiten des Parlaments, die letzteren mehr auf seiten des Königs und einer mächtigen Kirchengewalt standen, obwohl beide Parteien darin einig waren, daß sie die Verfassung wollten. Die Whigpartei, welche durchsetzen wollte, daß der Thronfolger protestantisch sein müsse, unterlag im ersten Augenblick, und es kam der Bruder Karls II. als Jakob II. zur Regierung, obwohl er katholisch war und seinen Katholizismus nicht verheimlichte.

Jetzt erst wurden die politischen Fragen recht prägnant. Während die einen der Ansicht waren, der Katholizismus Jakobs müsse Privatsache bleiben und dürfe auf Staatsangelegenheiten nicht den mindesten Einfluß üben, setzte Jakob II. seine Lebensaufgabe darein, den Katholizismus in England wiederherzustellen, und meinte, auf diese Weise am besten mit dem Parlamente fertig zu werden.

Vorläufig suchte Jakob der Testakte gegenüber eine Toleranzakte durchzusetzen; an und für sich ein sehr vernünftiges Bestreben, aber geradezu im Widerspruche mit den englischen Gesetzen; und da er bezweifelte, daß er bei dem Parlamente damit durchdringen werde, so erklärte er: das Recht, von den Gesetzen zu dispensieren, inhäriere der königlichen Gewalt, und es komme nur auf ihn an, seine Umgebung, die Offiziere der Armee und auch die Staatsbeamten, welche katholisch sein wollten, von jenem Testeide loszusprechen. Die Erörterung dieser Frage, ob der König hiezu berechtigt sei, brachte die Geistlichkeit, das Parlament und überhaupt das ganze Land in große Gärung. Indessen würde der Sturm wahrscheinlich nicht so zum Ausbruche gekommen sein, wenn nicht die auswärtigen Angelegenheiten sich dazu gesellt hätten.

Damals war Ludwig XIV. so mächtig, daß das ganze übrige Europa sein Joch trug. Zwischen ihm und Karl II. hatte bereits eine Allianz bestanden, oder besser gesagt, England mußte, in innere Streitigkeiten verwickelt, die Übergriffe Frankreichs auf dem Kontinente geschehen lassen. Auch Jakob II. war mit Ludwig XIV. verbündet, unter der höchsten Mißbilligung des Parlaments. Unter allen Gegnern Ludwigs XIV. war aber keiner von Bedeutung, als Wilhelm III., Statthalter in Holland. Dieser hatte in ganz Europa eine Oppositionspartei zusammengebracht, um dem König von Frankreich zu widerstehen. Auch in England besaß er einen Anhang, der nicht bloß aus demokratischen Elementen bestand. Alle vernünftigen Leute in England befürchteten, daß der König durch sein Vorschreiten die revolutionären Massen wieder emporbringen möchte, welche die Herrschaft Cromwells an die Oberfläche gehoben hatte; darum hatte Jakob II. hauptsächlich auch die Aristokratie gegen sich. Was man in Frankreich und England die Revolution nennt, sind also zwei einander entgegengesetzte Dinge. Die französische Revolution war durchaus populär, die englische war ihrer Natur nach aristokratisch; sie hatte einen von den Ideen der modernen Revolution grundverschiedenen Sinn, indem sie die Absicht hatte, eine allgemeine Bewegung, wie sie in Frankreich zutage kam, zu verhindern. Dies ist denn auch der Hauptgrund, welcher diese Revolution entschuldigt.

Zwischen dem Statthalter von Holland, Prinz Wilhelm III. von Oranien, und den englischen Magnaten waren Unterhandlungen angesponnen worden, welche die Absetzung des Königs und die Berufung dieses Prinzen zum Zwecke hatten und endlich dahin führten, daß Wilhelm III. eingeladen wurde, nach England zu kommen. Er selbst hatte dort keine Ansprüche zu verfolgen, aber seine Gemahlin war eine Tochter des Königs Jakobs II., und da letzterer keine Söhne hatte, so war sie nach den englischen Gesetzen zur Thronfolge berechtigt. Wilhelm sah also ein, daß er, wenn er nach England ginge und sich mit der Aristokratie in Verbindung setzte, alle Aussicht habe, König zu werden und dadurch die Macht zu bekommen, sich seinem Hauptfeinde Ludwig XIV. auf das kräftigste zu widersetzen. Man sieht also, daß nicht der protestantische Gesichtspunkt der vorherrschende war, sondern der der auswärtigen Politik, sowie der Gefahr, in welche Wilhelm und seine Gemahlin geraten mußten, wäre der König in England durch das Volk verjagt worden.

Wilhelm III. wollte also keine populäre Rebellion hervorbringen, sondern umgekehrt das Staatswesen, wie es durch die Restauration begründet war, gegen alle widerstrebenden Elemente sicherstellen. Von Ludwig XIV. war es eine unbegreifliche Fahrlässigkeit, daß er von dieser Kombination, die zu seinem Verderben geschlossen war, erst dann Kenntnis erhielt, als es für ihn bereits zu spät war. Das merkwürdige bei der Sache ist außerdem noch, daß Papst Innocenz XI. damit einverstanden war, daß der große Protestant nach England ging. Auch die deutschen Fürsten, namentlich die norddeutschen, sahen diese Veränderung nicht ungern; brandenburgische Truppen zogen sogar in die Niederlande ein, um Holland gegen etwaige Angriffe von seiten Frankreichs zu schützen.

Wilhelm ging im Jahre 1688 nach England hinüber, zu derselben Zeit, da Ludwigs XIV. Truppen sich nach der Pfalz wälzten und dort schreckliche Verheerungen anrichteten. Jakob II. hatte den Mut nicht, zu widerstehen; er floh, als er sah, daß alles von ihm abfiel. Man legte seiner Flucht nichts in den Weg; seine Gegner sahen nichts lieber, als daß er diesen Schritt tat. Als Wilhelm in England angekommen war, wurde sofort ein Parlament zusammenberufen, und dieses setzte fest, daß es keinen andern König in England geben dürfe, als einen protestantischen. Was die Sukzession betraf, so bestand anfangs die Absicht, Wilhelms Gemahlin zur Königin zu machen; da aber Wilhelm erklärte, in diesem Falle würde er nach Hause gehen, so wurde er als König anerkannt. Der ganze Vorgang war ein ungeheuer wichtiges Ereignis. Der Tod Karls I. war die Sache einer fanatischen Faktion gewesen; diese Empörung aber war eine Sache des ganzen englischen Staates, wie er leibte und lebte, und darum behauptete sie sich auch in ihren Folgen.

In England nahm die eine Partei an, der König habe durch seine Flucht implizite seine Abdankung erklärt; das ist die toryistische Auffassung. Die whigistische Partei dagegen behauptete, der König habe durch sein ganzes Vorschreiten den Pakt mit der Nation gebrochen und dadurch sich die Absetzung zugezogen. Diese beiden Gesichtspunkte widersprachen einander, aber da man sie nicht vereinigen konnte, so nahm man beide Ansichten in den Akt auf; es findet demnach sowohl die eine wie die andre Partei sich in dieser Handlung repräsentiert.

So gelangte in England ein ganz andres Prinzip zur Macht als in Frankreich. Dort die absolute Monarchie; hier ein König, der durch das Parlament gewählt worden war und ohne dasselbe keinen Schritt tun konnte.

Sogleich begann nun der Krieg mit Ludwig XIV., welcher Jakob II. wieder in England einführen wollte. Die Franzosen aber wurden geschlagen, und von diesem Augenblick an bekam die Macht Englands einen gewaltigen Aufschwung. Ludwig XIV. mußte im Ryswyker Frieden 1697 die Rechtmäßigkeit Wilhelms anerkennen. Auf diese Weise wurde eine zweite Weltmacht in ihrem besondern Charakter gegründet.

Die Engländer sahen sich nun nach einem Erben um, der zugleich protestantisch sein mußte. Auf Wilhelm III. und Maria folgt Anna, eine Tochter Jakobs II., die von ihrem Vater abgefallen war. Als diese im Jahre 1714 mit Tode abging, folgte das Haus Hannover auf dem englischen Throne nach und zwar wegen seines Zusammenhanges mit der Pfalz, indem Sophie, die Tochter Friedrichs V. von der Pfalz und der Elisabeth Stuart an den Kurfürsten von Hannover vermählt war und dadurch ihre pfälzischen Erbfolgerechte auf das Haus Hannover übertrug, nachdem der direkte Mannsstamm ausgestorben war. Das war die whigistische Partei, welche das Haus Hannover auf den englischen Thron brachte, während die Tories immer mehr sich mit der jakobitischen Sache eingelassen hatten.

Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß unter Georg I. und II., d.h. bis zum Jahre 1760, die whigistischen Grundsätze die Oberhand behielten. Während dieser Epoche war es eigentlich eine Oligarchie, welche in Großbritannien, Irland und in Amerika die Regierung führte, unter fortwährenden Kämpfen mit dem Anhang der Prätendenten. Endlich gelang es aber der Staatsregierung, der Jakobiten völlig Meister zu werden, und als Georg III. an die Regierung kam, wurde dann auch die toryistische Richtung wieder zur Geltung gebracht.Seine Enkelin ist die jetzige Königin Victoria von England, auf deren Regierung man das Wortspiel machte, schon ihr Name deute darauf hin, daß sie beides sein wolle: »Whig-Tory«.

Je mehr das französische Königtum unter der Regentschaft und unter Ludwig XV. geschwächt wurde, zu desto größerem Ansehen gelangten die parlamentarischen Prinzipien, die in England herrschten, in der Welt.

Gespräch

König Max: Kann man sagen, daß die Stuarts solche Fehler begangen haben, daß man ihr Schicksal als ein verschuldetes ansehen kann?

Ranke: Karl I. war besser, als man ihn gewöhnlich darstellt; er hatte wenigstens noch einen Begriff vom Königtum; sein Hauptfehler war aber der, daß er zu schwankend war. Von Jakob II. hingegen muß man sagen, daß er seine ganze Stellung verkannt und sein Unglück provoziert hat. Hätte er den Katholizismus nicht allgemein in England einführen wollen, was gar nicht seine Aufgabe war, hätte er die englischen Gesetze bestehen lassen, bis die rechte Zeit gekommen wäre, um die Testakte abzuschaffen, so hätte er vielleicht den Thron bewahrt. Karl II. war bei weitem weniger moralisch und zuverlässig und hatte nicht im entferntesten den Begriff vom Königtum, wie Karl I.; doch ist er nicht ganz so schlecht, wie man ihn schildert. Wenn man ihm vorwirft, daß er sich mit Leib und Seele Ludwig XIV. verschrieben und von ihm Geld genommen habe, so trifft dieser letztere Vorwurf ebensosehr das Parlament, ja die ärgsten Demokraten in England. Genußsucht war der hervorragendste Fehler Karls II.

König Max: Kann man auch das Ziel tadeln, welches sich Karl I. gesteckt hatte?

Ranke: Ja, auch sein Ziel war falsch: er hätte nicht ohne das Parlament regieren, den legalen Zustand nicht umgehen sollen: Übrigens ging er nicht soweit, wie Jakob II.; er wollte nicht die Religion seines Landes ändern, wollte auch das Parlament nicht geradezu abschaffen, sondern nur dessen Berufung für eine Gnadensache erklären. In der späteren Zeit war er sogar, freilich aber zu spät, geneigt, auf die Rechte des Parlaments einzugehen. Übrigens hat sich Karl I. in seinen letzten Stunden und vor seinen Richtern mit viel mehr Festigkeit benommen, als Ludwig XVI. von Frankreich. Karl I. fragte seine Richter: in wessen Namen seid ihr hier? Und als sie ihm antworteten: im Namen der Nation, so erwiderte er: beweist mir, gebt mir ein Präzedens, daß die Kommunen die Nation sind! Ludwig XVI. dagegen erkannte seine Richter an; er hatte nicht das volle Bewußtsein von der Würde des Königtums und war kein so tiefer Mensch, wie Karl I.

Die zweite Macht, die in Opposition gegen Frankreich emporkam, ist Rußland. Es war von Skandinavien her begründet, dann von den Mongolen überflutet worden; im 16. Jahrhundert hatten die Großfürsten viel dazu beigetragen, Rußland von dem Joche der Tataren zu befreien. Iwan Wassiljewitsch, übrigens ein höchst grausamer Fürst, besiegte die Tataren und eroberte Kiew. Die russische Macht war dergestalt emporgekommen, aber das Haus Rurik war zu Anfang des 17. Jahrhunderts untergegangen. Ihm folgte das Haus Romanow, welches priesterlichen Ursprunges war und das Patriarchat in Besitz hatte. Rußland war schon ziemlich früh in Beziehung zum Abendlande getreten; solange aber das Papsttum dort alles beherrschte, war jeder Einfluß des Okzidentes auf Rußland mit der Idee verknüpft, daß die Russen von der griechischen Kirche zur lateinischen übergehen müßten. Deshalb war es von der größten Wichtigkeit, daß zur Zeit Peters des Großen das Papsttum nicht mehr so vollkommen Europa beherrschte; denn nun konnte ein Fürst, wie der Zar Peter, die Elemente der materiellen Kultur aus Europa herübernehmen, ohne im mindesten den religiösen Überzeugungen seines Volkes durch Bekehrung zu einer andern Religion zu nahe zu treten.

Peter I. war eine der energischsten Naturen, welche jemals existiert haben, zwar ein vollkommener Barbar, aber doch kultivierbar. An Schweden fand er bei seinen Bestrebungen, Rußlands Macht zu heben, einen bedeutenden Gegner. Schweden war durch die Verbindung mit Frankreich zu großem Einfluß im Norden gelangt; später hatte es sich auch in Polen einen bedeutenden Einfluß erworben, und nun wollte sich auch Frankreich hier festsetzen und dem Lande einen König geben. Dem widersetzten sich aber die übrigen Mächte und setzten (1697) die Erhebung des Kurfürsten August von Sachsen auf den polnischen Königsthron durch, der den unglücklichen Gedanken faßte, seine Religion zu wechseln, und in stetem Streit mit dem König von Schweden begriffen war. Da erschien Karl XII., der an und für sich nicht geneigt war, Krieg anzufangen, allein nach und nach dazu gedrängt wurde, da die übrigen ihn angreifen wollten. Zu diesem Zwecke hatten sich Zar Peter, der Schwedens Übermacht nicht länger dulden wollte, und die Könige von Dänemark und Polen miteinander vereinigt. Hieraus entsprang der sogenannte Nordische Krieg, in welchem es im Jahre 1709 dem Zaren gelang, durch den Sieg bei Pultawa die vollkommene Unabhängigkeit und Machtstellung Rußlands zu begründen.Als die Schlacht bei Pultawa geschlagen war, rief Peter aus: heute wollen wir den Grundstein von Petersburg legen! Als Peter der Große mit Schweden fertig geworden war, geriet er mit Polen in Konflikt. Der Kurfürst August war verjagt und Stanislaus Leszczynski an seine Stelle gesetzt worden. Die Russen setzten nun den sächsischen Kurfürsten wieder ein, und erlangten dadurch das vollständige Übergewicht über Polen. Endlich gelang es dem Zaren, in Verbindung mit Preußen, den König von Schweden, der aus der Türkei zurückgekommen war, zu besiegen, so daß Rußland durch diesen entscheidenden Sieg über Schweden und durch einige weniger bedeutende Vorteile über die Türkei, eine höchst imponierende Stellung im Norden behauptete.

Wenn wir die Elemente der russischen Macht auseinandersetzen wollen, so sind es: erstens die slavische Nationalität, welche einen bei weitem monarchischeren und hingebenderen Charakter hat, als die germanische; zweitens die griechische Kirche, welche durch eine Art von Tradition monarchischer gesinnt war, als irgendeine andre der Welt; drittens die moderne Kultur, welche Peter der Große bloß insofern in Rußland einführte, als sie das materielle Wohl seiner Untertanen befördern konnte. Ihm lag einzig daran, eine Flotte und eine disziplinierte Armee zu gründen; hingegen von dem, was in das Reich der Ideen fiel, war bei ihm keine Rede; dazu wären auch die Russen gar nicht fähig gewesen; und so blieb denn die Nation von dem inneren moralischen Fortschritt unberührt. Viertens: Dazu kam als vierter Moment der Sieg Peters über die Schweden in dem Nordischen Kriege, in welchem Schwedens Absicht, die junge Bildung der Russen zu besiegen, vollkommen scheiterte. Fünftens: Der Sieg über Polen war ein weiteres Element der Entwicklung Rußlands, indem dort Rußland den französischen Prätendenten Stanislaus Leszczynski ausstieß, und den durch die antifranzösische Partei gesetzten Kurfürsten von Sachsen behaupten half. Sechstens: Schließlich ist das siegreiche Fortschreiten Rußlands gegen die Türkei hier zu erwähnen. Wenn auch Peter der Große im ganzen nicht so glücklich gegen die Türken war, und sogar am Pruth eine Niederlage durch sie erlitten hatte, so erwachten doch die den Türken bisher unterworfenen Populationen zu einem Gefühle von der Macht des Zaren, der bisher eine sehr unbedeutende Figur gespielt hatte. Besonders war es die Kaiserin Anna Iwanowna, deren General, ein Deutscher, namens Münnich, den Türken in der Moldau und Walachei zuerst Niederlagen beibrachte. In dieser Zeit fingen denn die Christen in der Türkei an, ihre Macht mehr zu fühlen. Übrigens schlug sich Peter der Große auch sehr glücklich mit den Persern und erlangte bereits bedeutenden Einfluß in Asien. Was die späteren Kaiser hinzufügten, ist mehr eine Konsequenz der Bestrebungen Peters des Großen gewesen. –

Nun haben wir noch die Erhebung der beiden deutschen Großmächte zu schildern; und zwar zunächst die der österreichischen Monarchie. Während Frankreich durch die Bourbonen eine das ganze südliche Europa umfassende Gewalt entwickelte, in welcher sich die romanische Monarchie darstellte, während England dem gegenüber eine ungeheure maritime Macht aufstellte, in der das protestantische Prinzip zur Geltung gelangte, so war nun auch in Rußland eine große, ihrer Natur nach slavische, auf sich selbst beruhende, durch ihre nationale Kraft unüberwindliche Macht emporgekommen, auf welche man seit Peter dem Großen in Europa unaufhörlich Rücksicht zu nehmen hat. Zwischen diesen beiden mächtigen kontinentalen Staaten lag das Deutsche Reich, und es fragt sich nun: wie verhielt sich Deutschland zu jenen drei Mächten, welche damals in einer gewissen Opposition gegeneinander standen?

Das wichtigste ist, daß sich Osterreich, auf dessen Entwicklungsmomente wir nunmehr einen kurzen Rückblick werfen müssen, bereits damals ausgebildet hatte. Österreich war zwar früher, zur Zeit der Reformation, auch nicht unbedeutend gewesen; aber das Kaisertum war schwach und die Erblande waren nicht sicher, indem die Protestanten dort eindrangen, als das Haus Österreich seine katholisierenden Tendenzen durchführen wollte. Es läßt sich zwar denken, daß unter Maximilian II. Österreich sich auch als ständisch-protestantische Macht hätte entwickeln können: da jedoch seine Nachfolger entschieden katholisch waren, so war der später ausbrechende Kampf unvermeidlich. Dadurch geriet freilich Österreich in die größte Gefahr; wäre es Friedrich von der Pfalz gelungen, sich in Böhmen zu behaupten, so wäre es um die Macht Österreichs geschehen gewesen. Eben deshalb erschien es als wichtigste Aufgabe, des protestantischen Elements in Österreich Herr und Meister zu werden. Dies gelang dem Hause Habsburg in der Tat; im Dreißigjährigen Kriege bekam es bereits die Erblande in seine volle Gewalt; die Protestanten wurden daraus verjagt. Diese Macht Österreichs wurde dadurch gesteigert, daß es auch in militärischer Beziehung große Kraft erlangte, während anfangs an eine militärische Wichtigkeit Österreichs so wenig zu denken gewesen war, wie an eine politische. Erstere verdankte es hauptsächlich dem Wallensteinischen Heere, aus dessen Elementen sich nachher die kaiserliche Armee bildete.

Ein weiterer Grund, warum das Haus Österreich zu höherer Bedeutung kam, waren die Übergriffe und Kriege Ludwigs XIV., infolge deren sich die deutschen Fürsten viel enger an Österreich als Schutzmacht gegen Frankreich anschlossen, so daß das Kaisertum in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts viel stärker wurde, als früher, obwohl es seine Haupttendenz, nämlich die katholisierende, nicht durchzusetzen vermochte.

Zu alledem kamen noch die Türkenkriege; die Gefahr von dieser Seite her war immer noch sehr bedeutend, um so mehr, da die Ungarn fortwährend in Rebellion begriffen waren. Leopold I. führte beständig Krieg gegen die Türken und wollte seine monarchischen Ideen auch in Ungarn geltend machen, welches von der Türkei und von Frankreich gegen ihn unterstützt wurde. So kam es, daß noch im Jahre 1683 die Türken bis nach Österreich vordringen konnten, in Verbindung mit Tököly und den ungarischen Malkontenten. Österreich wäre beinahe verloren gewesen, wenn ihm nicht die Deutschen zu Hilfe gekommen wären. Nun aber bildete sich um Österreich ein Bund gegen die Türken, an welchem auch viele deutsche Fürsten, namentlich Bayern, teilnahmen. Diese Deutschen leisteten im österreichischen Heere am meisten, und so wurden nach und nach Ofen, Pest, Gran den Türken abgenommen, und der Kaiser über diese Barbaren, seine Erbfeinde, und die mit ihnen verbündeten Ungarn Herr. Auch die Polen, Russen und Venezianer griffen nun die Türkei an, so daß die Österreicher schon der Meinung waren, in kurzem vor Konstantinopel erscheinen zu können. Dies gelang ihnen zwar nicht, allein im Carlowitzer Frieden im Jahre 1699 mußten die Türken Ungarn aufgeben, wodurch die Monarchie auch nach jener Richtung einen bedeutenden Aplomb erhielt. Die Umwandlung Ungarns in eine Erbmonarchie gelang freilich dem Kaiser nicht, sondern er mußte den Ungarn ihre Privilegien gewährleisten, damit sie gegen die Türken in den Krieg zögen.

Da brach der Spanische Erbfolgekrieg aus. Es wäre Österreich vielleicht gelungen, seine gerechten Ansprüche durchzusetzen, wenn die Monarchie unter zwei Häupter hätte geteilt werden können; allein Kaiser Joseph I. starb, und Karl VI. kam allein zur Regierung. Immerhin erwarb Österreich aus der französischen Erbschaft einen bedeutenden Teil, anfangs Neapel und Sizilien, dann Mailand und die früher spanischen Niederlande (1713). Erst dadurch wurde Österreichs Macht vollkommen ausgebildet. Ich behaupte, daß es für Österreich ein Glück war, die spanische Monarchie nicht ganz geerbt zu haben; denn in diesem Falle hätte es sich als Monarchie nicht einheitlich konstituieren können. Auch der Verlust Neapels und Siziliens ist kein Schade für Österreich gewesen, weil sonst eine zu große Ausdehnung der Tendenzen stattgefunden hätte. Dagegen war der Besitz von Mailand für Österreich ungemein wichtig, weil es dem Zentrum der Monarchie nahe liegt, und die Beibehaltung der NiederlandeSpäter wollte Österreich die Niederlande nicht mehr haben, und in dem Revolutionskriege war es ein Lieblingsplan des Ministers Thugut, die Niederlande aufzugeben und Bayern dafür einzutauschen; denn Österreichs Bestreben ging von jeher dahin, sich zu arrondieren und zu zentralisieren. gab Österreich auf einer andern Seite ein Übergewicht über die übrigen Mächte.

In dieser allmählichen Machtentwicklung ist ein gewisser Geist, der sich stets von Stufe zu Stufe nach einem bestimmten Prinzip katholisch und monarchisch fortarbeitet, sowie die Begünstigung des Glückes nicht zu verkennen. Österreich hängt mit Deutschland zusammen, aber Deutschland hat Österreich weit mehr Dienste geleistet, als umgekehrt. Wegen der Niederlande lag Österreich allerdings immer in Streit mit Frankreich; da es aber dieses Land nicht mehr besitzt, so fällt auch dieser Zankapfel hinweg, und eine Allianz zwischen beiden Mächten ist jetzt möglicher als früher, da es mit Frankreich nur mehr einen Punkt zusammenstoßender Interessen, nämlich Italien, gemein hat.

Noch aber hatte Österreich die ungeheure Gefahr des österreichischen Erbfolgekrieges zu bestehen. Es lief zwar gegen alles deutsche Recht, daß eine Prinzessin erbte; da aber die Macht Österreichs so stark war, so wollte man die Monarchie nicht mehr auseinander gehen lassen. Maria Theresia bestieg den Thron, und auf das Haus Habsburg folgte, nachdem der österreichische Erbfolgekrieg glücklich beendigt worden war, das weit unternehmendere Haus Lothringen.Lothringen war indirekt auch kein übler Erwerb; denn dadurch wurde Toskana als Sekundogenitur Österreich einverleibt.

Auf solche Weise entwickelte sich jene ungemeine Stellung Österreichs, die sich über Italien, Deutschland an den Orient erstreckt. Seine geographische Position hat etwas Ungeheures an sich, und Österreich besteht noch dazu aus verschiedenen Nationalitäten, so daß nur von Macht, nicht aber von Nationalität des Ganzen die Rede sein kann. Im Jahre 1848 schien Österreich verloren zu sein, aber jetzt steht es mächtiger da, als je.

Gespräch

König Max: Ich habe öfters behaupten hören, daß es Rußland keinen Vorteil brachte, daß Peter der Große Rußland als europäische Macht gestaltet hat; manche glauben, es hätte mehr im Interesse Rußlands gelegen, als asiatische Macht dazustehen.

Ranke: Da es darauf ankam, die Kultur nach Rußland zu verpflanzen, so wäre ein solches Bestreben ein Unsinn gewesen. Oder hätte sich Peter von Karl XII. schlagen lassen, hätte er Polen in die Hände der Schweden gelangen lassen sollen? Ganz Rußland wie es jetzt besteht, beruht auf den oben von mir angegebenen Momenten. Peter der Große hatte keine andere Wahl; um Rußland groß zu machen, mußte er das tun, was er getan hat. Hätte er sein Hauptaugenmerk auf Asien gerichtet, so wäre Rußland eben ein Barbarenreich geworden.

König Max: War Peter dieser Konzeptionen fähig?

Ranke: Peter war ein Barbar, aber zugleich ein Genie, voll Energie und von großen Gedanken, wie wir zum Teil aus seinem Tagebuche sehen. Er war sich seines Zieles, daß Rußland eine Weltmacht werden müsse, vollkommen bewußt. Die Ostsee gehörte früher Deutschland, Holland und Schweden; Rußland war davon ausgeschlossen; Peter der Große setzte es mit diesem Meere in Verbindung. Aber auch auf das Schwarze und Kaspische Meer und auf die Bewältigung Polens und der Türkei war sein Augenmerk mit voller Berücksichtigung der künftigen Stellung Rußlands gerichtet. Der jetzige Kaiser sorgt dafür, Rußland auf seiner gegenwärtigen Höhe zu erhalten.


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