Leopold von Ranke
Über die Epochen der neueren Geschichte
Leopold von Ranke

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Dreizehnter Vortrag

3. Überwältigung der weltlichen Gewalt durch das Papsttum

Einer der vornehmsten Gedanken, die ich mir gebildet habe, und von dem ich der Überzeugung bin, daß er vollkommen richtig ist, ist der, daß der Komplex der christlichen Völker Europas als ein Ganzes, gleichsam als ein Staat zu betrachten ist, sonst konnte man den ungeheuren Unterschied, der zwischen der okzidentalen und orientalen Welt, und die große Ähnlichkeit, welche zwischen den germanischen und romanischen Völkern besteht, nicht recht begreifen. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, haben wir die Kreuzzüge als auswärtige Unternehmungen der Christenheit betrachtet und gehen nunmehr auf die inneren Angelegenheiten dieses Völkerkomplexes über, als welche wir das Verhältnis der einzelnen Fürsten zueinander und zu dem Papste betrachten.

Zwischen dem Kaisertum und dem Papsttum war, wie wir gesehen, ein Konkordat abgeschlossen worden, und man hatte sich so ziemlich miteinander verständigt. Da bekam das Kaisertum eine höchst würdige Repräsentation in dem Hohenstaufengeschlechte, welches mit den Saliern in weiblicher Linie zusammenhing und insofern gewissermaßen eine Fortsetzung des früheren Kaisertums war. Auf der andern Seite aber unterschieden sich die Staufer dadurch von den Saliern und Ottonen, daß sie schon von vornherein nicht als die ganze Gewalt an und für sich umfassend, sondern in einem gewissen Verhältnis zu der allgemein von den Fürsten angestrebten Unabhängigkeit emporkamen. Wir haben nämlich oben gesehen, wie der Kampf des Kaisers mit dem Papste nicht hatte ausgemacht werden können, ohne die Fürsten hereinzuziehen. Unter diesen war das mächtigste Geschlecht, das der Welfen, in Niederdeutschland begründet von dem sächsischen Kaiser Lothar, der seine Tochter mit dem Welfen Heinrich dem Stolzen von Bayern vermählte. Ohne die Hilfe der mächtigen Welfen wäre es Friedrich I. nicht geglückt, die Kaiserkrone zu erlangen und sich in deren Besitz zu behaupten; und von da an wurde es den Kaisern überhaupt nicht mehr möglich, sich anders, als durch ein persönliches Verständnis mit den Fürsten auf dem Throne zu erhalten. Friedrich I. schloß ein solches Verständnis mit Heinrich dem Löwen ab, und da er nun diesen mächtigsten Fürsten auf seiner Seite hatte, so konnten auch die übrigen nichts gegen ihn unternehmen; aber man sieht, daß es mit der unbedingten Autorität des Kaisers ein Ende hatte.

Als nun Friedrich I. Kaiser geworden war und die Idee des Deutschen Reiches wiederherzustellen suchte, geriet er mit dem Papst in Streit über gewisse Ehrenrechte. Papst Hadrian hatte in einem Briefe an den Kaiser sich des Wortes BeneficiumLehen in bezug auf das Deutsche Reich bedient, was der Kaiser ebensowenig wie die Fürsten zu dulden gemeint waren.

Der vornehmste Streit aber, worauf die ganze Geschichte der Hohenstaufen basiert, drehte sich um die Herrschaft in Italien. Die Hohenstaufen hatten nämlich ihre Hauptgüter im südlichen Deutschland und suchten durch die Verbindung dieser ihrer süddeutschen Besitzungen mit dem nördlichen Italien ihren Einfluß in Italien überhaupt zu erhöhen. Dabei jedoch hatten sie das Unglück, mit den Städten in Oberitalien in Konflikt zu geraten. In diesen war schon früher ein Gefühl von Unabhängigkeit erwacht, welches sich vielleicht auf Momente ihrer alten Verfassung zurückführen läßt. Diese Städte waren von den Ottonen den Bischöfen unterworfen worden; als aber der große Streit zwischen den Kaisern und den Päpsten ausbrach, suchten sie sich sowohl von ihren Bischöfen als von dem Kaiser freizustellen.

Friedrich I., schon seiner Natur nach sehr geneigt, sich Gehorsam zu erzwingen, wurde in seinem Unwillen gegen diese Städte noch mehr bestärkt durch die römischen Juristen, welche in ihm die Ideen vom altrömischen Imperium wachzurufen strebten. Da die Städte sich eigne unabhängige Obrigkeiten zu setzen suchten und die bei Römerzügen herkömmlichen Leistungen verweigerten, so kam es zum offenen Kampfe zwischen ihnen und Friedrich, in welchem sie besiegt und die Rechte des Kaisers durchgesetzt wurden. Nun wollte dieser seine Rechte auch auf Mittelitalien, wo der Papst mächtig war, und von da auf Rom ausdehnen, und da geriet er nun mit dem Papste zusammen. Mittlerweile war in Rom eine streitige Papstwahl ausgekommen, indem ein kaiserlich Gesinnter und ein andrer mit mehr hierarchischen Tendenzen einander gegenüberstanden. Der Kaiser glaubte, er sei befugt, ein Konzilium zu berufen und dort seinen Kandidaten durchzusetzen. Dem widersetzte sich Alexander III., worauf der Kaiser nach Rom ging, den Papst verjagte, und alles durchsetzte, was er beabsichtigt hatte. Indem aber dies geschah, schlossen die Städte das lombardisch Schutz- und Trutzbündnis gegen den Kaiser und vereinigten sich mit dem Papste. Friedrich kehrte mit seinem durch Kämpfe und Seuchen geschwächten Heere über die Alpen nach Deutschland zurück, und rüstete sich dort neuerdings zum Kampf gegen das Papsttum und die Städte, welche durch ihre Macht dem Papsttum eine nicht hoch genug anzuschlagende Widerstandsfähigkeit verliehen.Sie gründeten dem Papst Alexander III. zu Ehren Alessandria.

Hätte der Kaiser in dem nunmehr ausgebrochenen Kampfe die gehörige Hilfe aus Deutschland erhalten, so würde er wohl die Oberhand gewonnen haben. Allein nun brach auch dort ein Streit zwischen Friedrich und seinem mächtigsten Reichsfürsten, Heinrich dem Löwen, aus. Kaum erfuhren dies die italienischen Städte, so warfen sie sich mit doppeltem Ungestüm auf den Kaiser und schlugen ihn bei Legnano 1176 aufs Haupt. Infolge dieser Schlacht mußte Friedrich sich dem Papste unterwerfen, die feierliche Erklärung abgeben, daß er in den 25 Jahren seiner Regierung geirrt habe, und den Papst um Verzeihung bitten. Ich kann überhaupt Friedrich I. für keinen großen Politiker ansehen; sein wichtigstes Ziel, die Unabhängigkeit des Kaisertums vom Papsttum zu behaupten, hätte er wahrscheinlich erreicht, wenn er durch einige Konzessionen sich mit Heinrich dem Löwen verständigt und die italienischen Städte für sich gewonnen hätte.

Friedrich I. gab nun seinen Kampf mit dem Papste vollständig auf und wendete seine ganze Aufmerksamkeit auf Deutschland; aber das Kaisertum faktisch mächtig zu erhalten, blieb immer noch sein Hauptgedanke. Zu diesem Zwecke schloß er mit den italienischen Städten zu Konstanz einen Vergleich, in welchem die Rechte des Kaisers und der Städte ziemlich ausgeglichen wurden, um sich mit seiner ganzen Macht auf seinen verhaßtesten Gegner, Heinrich den Löwen, werfen zu können. In diesem Kampfe gegen den gewaltigen Herzog, welcher Sachsen und Bayern zugleich besaß, wurde Friedrich auch von den übrigen deutschen Fürsten unterstützt, die lieber unter dem Kaiser stehen, als einen so übermächtigen Genossen neben sich dulden wollten. Es gelang ihnen, Heinrich dem Löwen ganz Bayern zu entreißen und ihn auch in Niederdeutschland auf einen sehr engen Kreis einzuschränken. Endlich wurde er sogar in die Reichsacht erklärt und mußte Deutschland ganz meiden. Dadurch gelangte Friedrich wieder zu hohem Ansehen. Er faßte aber auch noch einen andern Gedanken, nämlich den, das hohenstaufische Haus mit dem normännischen Fürstengeschlechte in Verbindung zu setzen und das Erbe von Neapel und Sizilien an sich zu bringen.

Schon Karl der Große war in Neapel gewesen, und die Ottonen hätten es ganz in Besitz nehmen können. Später bemächtigten sich die Normannen des Landes, welche sich zuerst an das Kaisertum und später an den Papst anschlossen, was nicht ohne Einfluß auf die Verhältnisse war; denn sie hatten eine bedeutende Macht erlangt, mit welcher sie auch dem griechischen Kaiser sehr beschwerlich fielen, an den Kreuzzügen lebhaften Anteil nahmen und sogar nach Afrika übersetzten. Das normännische Königsgeschlecht starb aber in männlicher Linie aus, und der letzte König von Neapel und Sizilien hinterließ nur eine Tochter, namens Konstanze. Diese vermählte Friedrich mit seinem Sohne, dem nachmaligen Kaiser Heinrich VI. Auf diese Weise machte Friedrich I., obwohl er den Papst nicht hatte bezwingen können, dadurch, daß er dessen Autorität anerkannte, seinen vornehmsten Gegner in Deutschland entfernte und Neapel an sein Haus brachte, das Kaisertum und sein Geschlecht wieder mächtig. Er war ein ebenso würdiger Repräsentant des Kaisertums im 12. Jahrhundert, als Heinrich III. es im 11. Jahrhundert gewesen war.

Sein Sohn Heinrich VI., welcher zwar kein so idealer Mensch war, wie sein Vater, aber Klugheit und Geist in hohem Grade besaß, gedachte nun, die von dem Vater ererbte Macht immer weiter zu entwickeln. Unter den heftigsten Kämpfen setzte er sich in den Besitz von Sizilien, beherrschte die oberitalienischen Städte und setzte in der Mark Ancona seinen Seneschall ein. Er hatte seine Beamten in Rom, und der Senat mußte ihm Gehorsam schwören. Ja er faßte sogar den Gedanken, nach Konstantinopel zu gehen und dieses mit dem Reiche zu vereinigen. Ein andrer Hauptgedanke, den er aber nicht ins Werk zu setzen vermochte, war der, das Deutsche Reich erblich zu machen. Zu diesem Zwecke wollte er bewirken, daß sein Sohn zu seinem Nachfolger ernannt werde, wofür er das Gegenversprechen machte, Sizilien und Neapel, die seinem Hause gehörten, mit dem Reiche für immer zu vereinigen und den deutschen Fürsten in ihren Besitzungen eine gewisse Latitüde zu lassen. Wäre er mit diesem Vorhaben durchgedrungen, so würden die deutschen Fürsten um einen Grad tiefer in ihrer Macht herabgekommen sein; denn die Unabhängigkeit der Einzelfürsten Deutschlands steht mit der Macht des gesamten Deutschlands im umgekehrten Verhältnis. Es war aber wie ein Schicksal, daß das Deutsche Reich nie zur Entwicklung kommen sollte. Auch Heinrich VI. starb in der Mitte dieser seiner Bestrebungen mit Hinterlassung eines Sohnes, der noch in der Kindheit sich befand, und an die Stelle des schwachen Papstes Cölestin trat Innocenz III., einer der tatkräftigsten und mächtigsten Päpste.

In Deutschland erhoben sich jetzt wieder die beiden Parteien der Welsen und Staufer. Heinrich der Löwe war nach Friedrichs I. Tod wieder zurückgekehrt und hatte sich an die Spitze seiner Anhänger gestellt. Es kam zu einer streitigen Kaiserwahl in Deutschland, bei der sich zwei Bewerber gegenüberstanden, nämlich Otto, der Sohn Heinrichs des Löwen, und Philipp der Hohenstaufe.

Der Papst entfernte nunmehr die kaiserlichen Beamten aus Rom und stellte die päpstliche Gewalt wieder in ihrem vollen Umfange her, setzte seine Macht auch in Toskana fest und behauptete sein Übergewicht auch in Oberitalien. Was die beiden Prätendenten betraf, so forderte er sie auf, vor seinen Richterstuhl nach Rom zu kommen, um sich dort seiner Entscheidung zu unterwerfen. Der Papst war anfangs für Otto, später für Philipp; als aber durch die Ermordung Philipps der kaiserliche Thron erledigt wurde, erklärte er sich abermals für Otto.

Dieser hatte sich indessen mit einer Dame aus dem hohenstaufischen Hause vermählt und war durchaus nicht gemeint, das mindeste von den Ansprüchen der Kaiser aufzugeben. Ja, er erlaubte sich sogar in Italien wirkliche Übergriffe, worüber der Papst in den höchsten Zorn geriet: » Poenitet nos, fecisse hominem«.Es reut uns, den Menschen geschaffen zu haben. I.Mos.6,6. Otto besaß zwar nicht die Fülle der hohenstaufischen Macht, aber in Italien ging eine bedeutende Partei mit ihm, und was ihm, als er nach Deutschland zurückkehrte, eine noch größere Bedeutung gab, das war sein Verhältnis zu England, auf welches wir jetzt einige Blicke zu werfen haben.

In England war im Jahre 1066 Wilhelm der Eroberer nicht ohne Mitwirkung des Papstes auf den Thron gekommen. Die Angelsachsen waren zwar gut päpstlich gesinnt, aber es hatte sich doch eine angelsächsische Kirche gebildet, die mit dem damaligen Papst Alexander II. in Streit geriet. Dieser forderte Wilhelm selbst auf, nach England zu gehen, worauf dieser daselbst eine römische Hierarchie einrichtete und sich enge an den Papst anschloß. Dieses Verhältnis dauerte aber nicht lange; auch die normännischen Fürsten gerieten in Opposition mit der römischen Kirche und schlossen mit derselben ein Konkordat ab. Die normännisch-englische Macht kam dadurch zu hoher Bedeutung, daß das Geschlecht der normännischen Herzöge ausstarb, und Heinrich von Anjou, genannt Plantagenet, einer der ausgezeichnetsten Könige, die jemals existierten, den Thron bestieg. Auch ein äußerer Umstand trug dazu bei, die Macht dieses Königs zu vermehren. Einer der gewaltigsten Fürsten in Frankreich, der Herzog von Aquitanien (Guyenne), hinterließ eine Erbtochter, Eleonore, welche sich mit Ludwig VII. von Frankreich vermählte. Dieser ließ sich jedoch später von ihr scheiden, worauf sie eine neue Ehe, eben mit Heinrich Plantagenet einging, und diesem ihre reichen Besitzungen zubrachte. Infolgedessen wurden die französischen Könige in ihrem unmittelbaren Besitz auf einen sehr geringen Teil von Frankreich, nämlich auf fünf der jetzigen Departements, eingeschränkt. Außerdem vereinigte Heinrich II. von England auch Irland mit seinem Reiche und erwarb sich das Verdienst, die englische Gerichtsverfassung so begründet zu haben, wie sie noch heutzutage besteht. Hierüber geriet er in einen Streit mit der kirchlichen Jurisdiktion. Durch die Ermordung seines ehemaligen Kanzlers Thomas Becket, Erzbischofs von Canterbury, der ihn in diesem Streite exkommuniziert hatte, brachte er aber das Volk in eine solche Aufregung, daß er vor dem Schreine des Gemordeten Abbitte tun und sich dem Papste unterwerfen mußte.

Wir sehen also hieraus, daß dieselben Verhältnisse zwischen Kirche und Regenten, die sich in Deutschland entwickelt hatten, auch in England Platz griffen. Der Sohn Heinrichs II. empörte sich gegen seinen Vater und rief in diesem Kampfe seinen Oberlehnsherrn, den klugen Philipp August, König von Frankreich zu Hilfe. Darüber starb Heinrich II. in großem Kummer. Der zweite von seinen Söhnen war Richard Löwenherz, der anfangs auch mit Philipp August enge verbunden war, sich aber später, während des Kreuzzuges, mit ihm entzweite. Infolgedessen geriet er auf seiner Rückkehr aus dem gelobten Lande in Gefangenschaft und wurde, als er daraus wieder befreit war, bei der Belagerung eines Schlosses in Aquitanien getötet. Auf ihn folgte sein jüngster Bruder Johann ohne Land, ein höchst gewalttätiger Fürst, der immer mit seinen Vasallen in Streit lag und durch die Ermordung seines Neffen Arthur, Herzogs der Bretagne, es dahin brachte, daß die Pairs von Frankreich ihn seiner Lehen, die er in Frankreich besaß, für verlustig erklärten, worauf Philipp August, sein oberster Lehnsherr, die Normandie und den größten Teil der englischen Besitzungen in Frankreich eroberte. In dieser Not verband sich Johann mit dem Welfen Otto in Deutschland, und beide faßten nun den Gedanken, sich gemeinschaftlich dem Papst und dem König von Frankreich zu widersetzen.

Allein Innocenz III. war Manns genug, um sie beide zu besiegen. Er unterstützte daher den Gedanken des Königs von Frankreich, nach England zu gehen und dort mit Hilfe der mißvergnügten Vasallen Johann zu stürzen; und um den Kaiser Otto im Schach zu halten, schickte er den 18jährigen Hohenstaufen Friedrich II. (1212) als Gegenkönig aus Sizilien nach Deutschland. Dieser fand in Deutschland großen Anhang, und so bildete sich eine Koalition des Papstes, des Königs von Frankreich und des jungen Hohenstaufen Friedrich auf der einen, des Königs Johann von England und des Kaisers Otto auf der andern Seite. Im Jahre 1214 kam es zu einem Treffen bei Bouvines in Flandern, in welchem der König von Frankreich den Sieg behielt.

Von dieser Zeit an war das Übergewicht des Papstes vollkommen entschieden; denn er hatte die ganze Macht Heinrichs VI. in seine Hände gebracht; er hatte den Welfen vollkommen gedemütigt und die englischen Angelegenheiten so geleitet, daß Otto von dorther keine Hilfe mehr finden konnte, und auf der andern Seite war Philipp August von Frankreich sein engster Verbündeter. Durch eine Kombination von politischen Beziehungen und Kriegsfällen war es also, daß der Papst seine Übermacht erhielt, und nicht durch die Entwicklung der geistlichen Idee.

Otto verlor das Kaisertum und wurde auf einen sehr kleinen Machtkomplex in Niedersachsen reduziert; Philipp August hingegen zog im Triumph in Paris ein und wurde dort von den Franzosen, in denen sich zum erstenmal seit der kapetingischen Zeit das Nationalgefühl regte, mit Jubel empfangen. In England brach mit der Niederlage Johanns ein neuer Tumult der Barone aus, die ihn im Jahre 1215 nötigten, ihnen die Magna ChartaMagna charta libertatum – Das wichtigste altenglische Grundgesetz, in dem Recht der angelsächsischen und normannischen Zeit (Lehnsrechte) und bürgerliche Rechte (persönliche Freiheit, Eigentum) enthalten war. Sie schränkte das Recht des Königs zugunsten des Adels ein. Bedeutsam für die spätere Entwicklung der englischen Verfassung wurde, daß nunmehr über dem König das Gesetz stand. zu geben. Der neue Kaiser Friedrich II. war zwar auch ein Hohenstaufe, aber keiner von der älteren Schule; denn die Unabhängigkeit des Kaisertums war dadurch keineswegs gefördert worden, daß er seine Krone dem Papste zu verdanken hatte. Der Papst hatte sich von dem jungen Fürsten versprechen lassen, daß er, sowie er einen Sohn bekäme, denselben sofort zum sizilischen König machen, ihn aber alsbald außer aller Verbindung mit Deutschland setzen wolle.

Die Absicht der Päpste war also lediglich die, die Hohenstaufen zu ihren hierarchischen Zwecken zu benutzen und sie in solcher Schwäche zu erhalten, daß sie nichts gegen sie ausrichten konnten. Das wollte sich Friedrich aber nicht gefallen lassen, und so geriet auch er in Kampf mit seinem ehemaligen Beschützer. Um die Wahl seines Sohnes Heinrich zum deutschen König durchzusetzen, gewährte er den geistlichen Fürsten eine Menge von Rechten; diese sperrten sich aber dessenungeachtet gegen ihn, und als er, um in den weltlichen Fürsten ein Gegengewicht zu erhalten, auch diesen viele Rechte abtrat, so löste er seine deutsche Macht vollkommen auf.

In seinem Streite gegen den Papst hat dieser Kaiser drei verschiedene Direktionen verfolgt: erstens die kaiserliche Würde aufrecht zu erhalten, zweitens die oberitalienischen Städte zu zügeln, drittens Neapel und Sizilien zu beherrschen. In letzterem Lande hatte er eine sonderbare Stellung, denn dort wohnten noch Sarazenen, die ihm ebenso lieb waren, wie die Christen, weshalb er in Verdacht des Unglaubens geriet.Friedlich II. richtete in Neapel eine sehr gute Administration ein, die als Muster für spätere Zeiten gilt. In Oberitalien, wo sich die Parteien der Guelfen und Ghibellinen am schroffsten gegenüberstanden, kämpfte er mit vielem Glück, und es gelang ihm, die lombardischen Städte 1237 zu besiegen. Den Papst Innocenz IV. zwang er, aus Italien zu entweichen, worauf ihn derselbe von Lyon aus absetzte und exkommunizierte. Die Päpste waren überhaupt seit Anfang des 13. Jahrhunderts noch viel mächtiger geworden durch das Institut der Bettelorden, welche allenthalben für sie wirkten. In Deutschland erhob sich in Heinrich Raspe, dem Landgrafen von Thüringen, ein Gegenkönig; der Kaiser selbst wurde in Italien geschlagen und kam inmitten dieser Tumulte 1250 um.

In seinem ganzen Gebiete wurde der Papst Alleinherr. Der Sohn Friedrichs II., Konrad IV., vermochte sehr wenig. In Neapel hielt sich Manfred, ein unechter Sohn Friedrichs, sehr tapfer; allein der Papst rief Karl von Anjou, einen Bruder Ludwigs des Heiligen von Frankreich, zu Hilfe, welcher Manfred schlug und Neapel und Sizilien als Lehen aus den Händen des Papstes entgegennahm, so daß diese Länder nunmehr vom Kaiserreiche getrennt wurden. In Oberitalien war Innocenz IV. durch die guelfische Partei mächtig; in Deutschland stritten die Gegenkönige sich miteinander herum; der französische König war dem Papste ganz ergeben, und so konnte sich niemand mehr gegen die geistliche Gewalt regen. Nach dem Tode Manfreds faßte Friedrichs II. Enkel, Herzog Konradin von Schwaben, den Entschluß, nach Italien zu gehen und dort den Kampf des Erbrechtes gegen die päpstlichen Ansprüche auszufechten, allein er wurde geschlagen und unter der Form Rechtens hingerichtet. Sein Tod bezeichnet das Ende des alten Kaisertums, denn obwohl er selbst nicht Kaiser war, so gehörte er doch zu dem Geschlechte, welches die Würde des Kaisertums stets aufrechtzuerhalten suchte.

Nun erübrigt mir noch, ein paar Worte über den allgemeinen Zustand nach diesen Kämpfen der geistlichen mit der weltlichen Macht hinzuzufügen. Die Päpste geboten in Italien, denn da hatten sie vermöge ihres Rechtes den mächtigsten König aufgestellt, und diese Könige aus dem Hause Anjou, welche in Neapel herrschten, haben stets an der Spitze der guelfischen Partei gestanden und die Ansprüche des Papstes in Italien unterstützt. In Deutschland trat ein Interregnum ein, es standen mehrere Prätendenten einander gegenüber, bis es den Päpsten zu arg wurde und sie den deutschen Fürsten befahlen, einen König zu wählen. Die Kurfürsten traten zusammen und wählten, vornehmlich die geistlichen, Rudolf von Habsburg (1273), den Stifter des Hauses Österreich, der, mit Hilfe des Papstes gewählt, sich auf die innern Angelegenheiten Deutschlands beschränkte und dem Papste die Rechte des Reiches in Italien überließ.

In England, welches für die römische Kirche ein sehr einträgliches Land war, saß Heinrich III., der Sohn Johanns ohne Land, auf dem Throne, welcher durch die päpstlichen Kommissarien regierte und regiert wurde. In Frankreich standen die Kapetinger nicht nur auf seiten der Päpste, sondern befanden sich in einer noch näheren Beziehung zu ihnen. Die kapetingische Herrschaft hatte sich über das südliche Frankreich ausgebreitet, nicht allein im Namen der Oberlehnsherrschaft, sondern infolge eines Kirchenstreites. Dort war nämlich die Sekte der Albigenser entstanden, welche sich zu Religionsansichten bekannten, die von der römischen Kirche abwichen und an dem Grafen von Toulouse ihre Stütze fanden. Dieser wurde von dem Papste exkommuniziert, und König Ludwig VIII. von Frankreich ward Exekutor des päpstlichen Bannes. So verbreitete das Königtum in Frankreich seine Macht über den Süden dieses Landes lediglich dadurch, daß es die päpstlichen Befehle exequierte.

Ebenso waren in Spanien die neu entstandenen Königreiche Aragon, Kastilien und Portugal ganz in den Ideen der Kreuzzüge gegründet worden. In derselben Zeit breitete sich im nördlichen Europa der geistliche Ritterorden der Deutschherren aus, durch welchen das Land jenseit der Weichsel, Preußen, Kurland, Livland erobert, christianisiert und dem Einfluß des Papsttums unterworfen wurde. Auch die Städte in Italien und Frankreich, die unter der Fahne Oriflamme ihre Mannschaften zu den Kreuzzügen entsendet hatten, standen unter geistlichem Einfluß und hatten sogar überall eine Art geistlicher Verfassung.

So war das Papsttum aus der Tiefe der europäischen Dinge emporgestiegen und beherrschte sie im 13. Jahrhundert vollkommen. Kunst und Wissenschaft waren allenthalben von geistlichen Elementen durchdrungen und beherrscht. In der Baukunst hatte sich der gotische Stil geltend gemacht, in welchem die Idee der Christenheit symbolisiert wurde, und der, da er keinem Lande besonders angehört, in Wahrheit der Stil der Hierarchie genannt werden kann. Dieselben Tendenzen zeigen sich in der Literatur. Die Universitäten des 11. und 12. Jahrhunderts waren nichts als theologische Schulen. Der Papst selbst ließ sich zwar nicht in theologische Streitigkeiten ein, aber in Paris entwickelten die Dominikaner die Lehre der Kirche ganz im geistlichen Sinn; die spätere dogmatische Gestaltung des Katholizismus wurde durch die Schriftsteller aus diesem Orden fertiggemacht. Die Poesie hatte zwar auch noch einen andern als bloß geistlichen Inhalt, aber sie bewegte sich doch in diesen Kreisen; ich erinnere an die Gralssage, eine Mischung von altheidnischen Traditionen und christlichen Anschauungen. Mit einem Worte, diese Vereinigung von Religion und Herrschaft, von Priestertum und Rittertum, Poesie und Kunst bildete ein glänzendes aber drückendes Ganze, gegliedert wie ein gotischer Dom, an dessen Spitze der Hohe Priester stand und alles beherrschte.


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