Leopold von Ranke
Über die Epochen der neueren Geschichte
Leopold von Ranke

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Zwölfter Vortrag

Die Hauptfrage, von wem die Bischöfe in Zukunft investiert werden sollten, war aber immer noch nicht entschieden. Die Päpste, von der Absicht ausgehend, nicht nur sich selbst, sondern die ganze Hierarchie von den Kaisern zu emanzipieren, hatten den Grundsatz aufgestellt, daß kein Geistlicher von einem weltlichen Fürsten belehnt werden dürfe.

Mit dieser Absicht hing auch die Idee von der Ehelosigkeit zusammen, die bis dahin zwar in den höheren Graden eingeführt war, aber auf die niedern Grade der Geistlichen erst jetzt ausgedehnt wurde. Die Päpste hatten bei diesem Verbot die Zustimmung des Volkes für sich, welches wenigstens in dem größeren Teil von Europa die nicht verheirateten Geistlichen für heilig hielt. In Deutschland hingegen wollte man sich das Zölibat lange nicht gefallen lassen. Die Päpste setzten es aber durch und hatten hiemit in ihrem Bestreben, die Geistlichkeit von allem Zusammenhang mit der übrigen Welt loszureißen und ganz ihren eigenen Zwecken dienstbar zu machen, den erwünschten Erfolg.

Was nun die Investitur betrifft, so war der größte Teil der fürstlichen Besitzungen an die Geistlichen übergegangen, und die Kaiser behaupteten, daß jeder, der weltliche Güter besitze, sie von ihnen zu Lehen nehmen müsse. Wenn nun die Päpste ihre gegenteilige Ansicht durchsetzten, wonach die Geistlichen ihre Güter behalten sollten, ohne sich von dem Kaiser belehnen zu lassen, so wurde das Fürstentum unendlich geschwächt, indem es einen der wichtigsten Teile seiner Befugnisse verlor. Zwar konnte man auch auf den Gedanken geraten, daß die Geistlichen gar keine weltlichen Güter besitzen sollten, und diesen Gedanken faßte wirklich der Papst Paschalis, welcher darüber mit Heinrich V. zusammengeriet. Der Papst erregte aber dadurch bei der Geistlichkeit einen solchen Widerstand, daß er sich gezwungen sah, davon abzustehen und dem Kaiser zu schwören, daß er ihn nicht exkommunizieren wolle. Der nächste Papst, Calixtus, exkommunizierte dann den Kaiser dennoch, worauf es zu weiteren Streitigkeiten zwischen beiden kam, bis die deutschen Fürsten sich der Sache annahmen.

Es wurde im Jahre 1122 zu Worms das erste große Konkordat zwischen der weltlichen und geistlichen Gewalt abgeschlossen, welches besonders dadurch wichtig ist, daß das Kaisertum schon so weit herabgebracht war, daß es allein die Sache nicht mehr durchführen konnte, sondern alle Fürsten zusammenkommen und sich gleichsam als Repräsentanten des Kaisertums gerieren mußten. Das Konkordat ließ es bei der Belehnung der Geistlichen durch die weltliche Gewalt, nur mit dem Unterschiede, daß in Italien die Weihe der Belehnung, in Deutschland die Belehnung der Weihe vorangehen solle.

So waren nun Kaisertum und Papsttum wieder einigermaßen miteinander verträglich geworden; aber das war das alte Kaisertum nicht mehr; es hatte viel an seiner früheren Bedeutung eingebüßt. Das zeigte sich am grellsten bei den Kreuzzügen, auf die wir jetzt zu sprechen kommen müssen.

2. Die Kreuzzüge

Schon der erste Kreuzzug selbst hat unmittelbar zur Entscheidung des großen Kampfes zwischen Heinrich IV. und Urban II. beigetragen, indem die zur kriegerischen Wallfahrt vereinigten Truppen dazu angewendet wurden, um die Kaiserlichen aus Italien zu verjagen. Das ist aber nicht die wichtigste Seite der Sache, die Kreuzzüge haben vielmehr noch eine ganz andre Bedeutung. Sie berühren alle allgemeinen Verhältnisse der Welt und zeigen zugleich, daß nicht mehr der Kaiser, sondern der Papst der Führer der Christenheit im Abendlande ist.

Wenn man sich vergegenwärtigt, daß der Islam als erobernde Macht aufgetreten war und einen großen Teil des zum römischen Reiche gehörigen Gebietes überflutet hatte, so liegt der Gedanke nahe, daß, nachdem im Abendlande sich eine feste Gewalt gebildet hatte, diese die ganze in ihr wohnende Kraft dazu hätte anwenden sollen, sich dem Islam entgegenzusetzen und ihm die eroberten Provinzen wieder zu entreißen. Dieser Gedanke ist auch einmal gefaßt worden: Otto III. und Papst Gerbert hatten den Plan gemacht, zunächst nach Afrika zu gehen und die Provinzen wieder zu erobern, welche voreinst zum weströmischen Reiche gehört hatten, und von da aus Syrien zu erobern. Ein solcher Gedanke konnte aber unter den damaligen Umständen nicht realisiert werden.

Was ist das Charakteristische bei den Kreuzzügen? Sie sind große gemeinschaftliche Unternehmungen des abendländischen Reiches gegen den Orient. Eine solche gemeinschaftliche Unternehmung, angefangen unter einem weltlichen Oberhaupt, hätte eine methodische Kriegführung verlangt; davon war aber bei den Kreuzzügen beinahe gar keine Rede; sondern diese gingen von einem rein geistlichen Gesichtspunkte aus, nämlich bloß von dem Verlangen nach dem Wiederbesitz des heiligen Grabes, dessen Besuch den frommen Wallfahrern durch die Sarazenen auf alle mögliche Weise erschwert wurde.

Die Erinnerung daran, daß das mohammedanische Reich auf den Trümmern römischer Provinzen entstanden sei, war gänzlich entschwunden. Nur die Belästigungen der Wallfahrer durch die Moslimen hallten im Abendlande wider, und die Erbitterung hierüber wurde durch die feurige Beredsamkeit eines phantastischen Einsiedlers, Peter, genannt von Amiens, zu hellen Flammen angefacht. Seine Aufforderungen fanden namentlich Anklang im Reiche der Kapetinger, wo eine glänzende Ritterschaft unter dem Einfluß einer lebendigen, durch Poesie genährten Phantasie lebte.

An die Spitze dieser Bewegung stellte sich der Papst; er forderte auf den Konzilien zu Piacenza und Clermont zum Zuge gegen die Ungläubigen auf, und unter dem Rufe » Deus (?)o volt«Gott will es. nahm alles das Kreuz. Wie der Papst überhaupt sich gerne mit der populären Meinung vereinigte, was er bei der Zölibatsfrage bewiesen hatte, so tat er es auch hier. Es wirkten religiöse, populäre und hierarchische Motive zusammen, und es ist gewiß niemals in der Welt ein wunderlicheres Unternehmen gewagt worden, als dieser erste Kreuzzug. Die Kreuzfahrer wollten ein Land jenseit der See erobern, ohne daß sie eine Seemacht besaßen. Es blieb ihnen daher nur der Landweg über Konstantinopel übrig. Dort trafen sie vor allem ein ihnen nicht homogenes Element in der Dynastie der Comnenen, welche sich natürlich vor dieser gewaltigen Verbindung abenteuerlicher und ehrgeiziger Wallfahrer fürchteten. Sie gestatteten ihnen daher den ungehinderten Durchzug nur nach Ablegung eines feierlichen Versprechens, daß sie die den Sarazenen abgenommenen Provinzen den Griechen übergeben würden. Nun stürzten sich die Kreuzfahrer auf die sarazenischen Länder, eroberten nach unsäglichen MühseligkeitenIn Antiochien, als der Mut der Kreuzfahrer schon ganz erschlafft war, wurden sie durch das bloße Auffinden der Speerspitze, mit welcher die Seite Christi durchbohrt worden war, zu neuen Anstrengungen begeistert. Jerusalem 1099 und gründeten daselbst wider alle Erwartung ein Königreich. Der religiöse Impuls zeigte sich dabei in einer Mischung von Zügen, die einander zu widersprechen scheinen: die sarazenischen Bewohner der eroberten heiligen Stadt wurden in Haufen hingewürgt, und an den heiligen Stätten strömte das Blut. Als man aber Gottfrid von Bouillon die Krone von Jerusalem antrug, schlug er sie aus mit den Worten: »Da, wo unser Erlöser eine Dornenkrone trug, will ich keine weltliche tragen!« Ein wunderbares Gemisch von Fanatismus und Hingebung. Erst von Jerusalem aus wurde die Küste erobert und dort eine Reihe von christlichen Fürstentümern gegründet.

Die Frage ist nun aber die: wie konnten diese Gründungen, vom Mutterlande getrennt, bestehen? Zwei Momente machten es möglich: erstens, daß unter demselben Impuls die Seemacht der romanischen Städte sich entwickelte (Venedig, Genua, Barcelona usw.), welche die Verbindung mit dem Orient unaufhörlich vermittelten; zweitens traten die Ritterorden hinzu, in welchen sich die sonderbarste Gestaltung des europäischen Adels ausbildete. Es hatten sich nämlich im Morgenlande Rittervereine gebildet, welche ursprünglich keinen andern Zweck hatten, als den, die Pilger zu verpflegen und den Weg der wallfahrenden Christen vor den räuberischen Sarazenen zu sichern. Diese ritterlichen Vereinigungen (Johanniter und Templer) breiteten sich nach und nach über das zurückliegende Europa aus, wurden mit reichlichen Dotationen ausgestattet und erhielten bald zahlreichen Zuzug von dem europäischen Adel, der eine Ehre darin fand, sich ihnen anzuschließen.

So nahm das Städtewesen sogleich beim ersten Aufkommen und ebenso der ganze europäische Adel eine hierarchische Gestalt an, und der Papst, der an der Spitze der Kreuzzüge stand, verbündete sich dadurch erstens mit den großen Vasallen, zweitens mit dem gesamten Adel, drittens mit den Städten, viertens mit der gesamten Population, welche fast an nichts andres mehr dachte, als an die Kreuzzüge. Man kann also sagen, daß die Kreuzzüge zunächst die Wirkung hatten, die päpstliche Macht ungemein zu vermehren.

Die Position aber, welche die Kreuzfahrer eingenommen hatten, erschien von vornherein als eine ganz unhaltbare. Sie hatten sich nämlich gerade in der Mitte der sarazenischen Welt festgesetzt, nicht weit von Bagdad, wo das Kalifat seinen Sitz hatte, und nicht weit von Ägypten, wo ebenfalls ein Zentrum der islamitischen Kultur war, so daß sie sich ungefähr in derselben Lage befanden, wie einst die Juden in der Mitte zwischen den Ägyptern und Assyrern.

Fragt man, wie es den Kreuzfahrern überhaupt gelingen konnte, trotz dieser ungünstigen Verhältnisse im Orient Fuß zu fassen, so ist der Grund der, daß das abbasidische Kalifat nicht bloß die Omajjaden in Spanien gegen sich hatte, sondern daß ein drittes Kalifat, nämlich das der Fatimiden in Afrika entstanden war, ausgehend von einer mystischen Sekte, welche behauptete, mit Fatima, der Tochter Mohammeds, zusammenzuhängen. Die Kalifate der Fatimiden und Abbasiden waren in fortwährendem Kriege miteinander begriffen, und dies war der politische Grund, warum es den Kreuzfahrern gelang, ein einigermaßen dauerndes Reich zu stiften.

Das Kalifat der Abbasiden hat das Schicksal erlebt, daß es von verschiedenen Völkern, namentlich türkischen Stämmen, überflutet ward. Darunter hatten die Seldschuken die größte Bedeutung, welche, nachdem die Kalifen in Bagdad zu bloßen geistlichen Fürsten herabgesunken waren, die eigentlich ausführende militärische Gewalt in Händen hatten. Hätten nun die Kreuzfahrer alsbald auf der einen Seite nach Ägypten, oder auf der andern Seite nach Bagdad vordringen wollen, um rechtzeitig das eine oder andre Kalifat zu stürzen, so würde es ihnen wahrscheinlich gelungen sein; aber das fiel ihnen nicht ein. Es gibt gewisse historische Kombinationen, denen keine Macht auf Erden, auch die klügste nicht gewachsen ist; und so kann man auch sagen, wenn man sich auf die Höhe jener Zeit stellt, daß, wenn beide Kalifate vereinigt wurden, es um die Kreuzfahrer geschehen war.

Dieses Ereignis trat dann wirklich ein. Die seldschukischen Emire bildeten ihre Macht immer mehr aus, und endlich machte Saladin dem Kalifat von Kairo ein Ende. Unter diesen Umständen führte weder der zweite noch der dritte Kreuzzug (1189) zu einem Resultate; denn das ganze Asien stand gegen die Kreuzfahrer vereinigt. Auf diese Weise ging Palästina wieder verloren; ein Ereignis, das man aber im Abendlande nicht verschmerzen konnte. Der Impuls zu diesen Unternehmungen dauerte fort, und es kam ein neuer Kreuzzug zustande, der aber durch mancherlei Zufälligkeiten – hauptsächlich auf Veranlassung der Venezianer – seine Richtung nach Konstantinopel nahm und zur Stiftung eines lateinischen Kaisertums am Bosporus führte. Friedrich II., der Hohenstaufe, machte ebenfalls noch einen Versuch, Palästina den Sarazenen abzunehmen; aber er brachte es zu nichts weiter, als zu einem Vertrage, wodurch die Pilgerfahrt nach Jerusalem erleichtert wurde. Schließlich unternahm Ludwig der Heilige von Frankreich, und zwar auf dem Wege, den ich für den richtigen halte, einen Zug nach dem Orient, nämlich gegen Ägypten, wo er jedoch gefangen wurde, und hernach einen zweiten gegen Tunis, auf dem er umkam.

Obwohl nun die Kreuzzüge wegen des unmethodischen Verlaufes, den sie nahmen, ihren direkten Zweck nicht erreichten, so hatten sie doch eine Menge indirekter Folgen, die von der größten Bedeutung waren. Sie gaben dem gesamten Abendlande ein unaufhörliches Gefühl der stärkeren Einheit; sie erzeugten einen fortwährenden Impuls nach dem Orient, bildeten das Städtewesen, das Rittertum und einen stärkeren allgemeinen Verkehr aus, und vor allem gaben sie dem geistlichen Oberhaupt ein ungeheures Übergewicht.

Den Päpsten konnte es sogar lieber sein, daß die Unternehmung gegen Jerusalem nicht glückte; hatten sie doch dadurch einen immerwährenden Grund, Europa fort und fort für ihre Zwecke in Bewegung zu setzen.


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