Leopold von Ranke
Über die Epochen der neueren Geschichte
Leopold von Ranke

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Fünfzehnter Vortrag

§6 Epoche der Reformation und der Religionskriege

Vom Ende des 15. bis gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts

Inmitten jener allgemeinen Dezentralisation, die das 14. und 15. Jahrhundert erfüllt, gab es doch immer etwas, was über dieselbe hinausreichte, eine Tendenz, dem Unwesen, das mit der allgemeinen Auflösung verknüpft war, ein Ende zu machen. Man fand allmählich die Mittel dazu, ohne jedoch ganz auf die früheren Gestaltungen zurückzukommen. Das Papsttum hatte sich zwar behauptet, allein auch der Gegensatz, auf den es gestoßen, war noch nicht aus der Welt verschwunden, und wenn man die Wahrheit sagen soll, so war auch die aus dem Altertum in die neue Zeit hereindringende Kulturerneuerung, die sogenannte Renaissance, dem hierarchischen Prinzipe nicht homogen; sie beruht auf ganz anderen Ideen und Lebensverhältnissen. Auch die Buchdruckerkunst, welche jetzt die Schriften der neueren und alten Zeit, die Ritterbücher, die religiösen Schriften, namentlich die Bibel, unter dem Volke verbreiten half, war recht geeignet, eine Gärung der Geister hervorzurufen; der Horizont, welchen das Papsttum bisher eingenommen hatte, wurde plötzlich erweitert. Die allgemeine Autonomie, welche in politischer Beziehung eingetreten war, beförderte gleichfalls ein gewisses Bestreben, sich geistig autonom zu stellen. Dazu gesellten sich indes noch andere Momente, welche die Zustände der neueren Jahrhunderte entwickeln halfen; es sind vornehmlich folgende:

1. Eines der Hauptereignisse, durch welche die moderne Welt bestimmt wurde, waren die Entdeckungen, welche in genauem Zusammenhang mit demjenigen stehen, was in der Zeit des Mittelalters geschehen war. Der faktische Gegensatz, der sie hervorgebracht, war der Widerstreit zwischen den abendländischen Nationen und dem Morgenlande. Spanien war noch immer im Streite mit den Mauren begriffen und konnte sie erst im Jahre 1492 vollständig besiegen; das gleiche war in Portugal der Fall; und indem beide die Mauren weiter bekämpften, stießen sie in Afrika auf ein nicht zu überwältigendes Element. An der Westküste von Afrika, so ging die Sage, hause ein christlicher Fürst, der jenseit der mohammedanischen Welt zu suchen sei; eine mythische Idee, welche sich an die Überbleibsel nestorianischer Christen in Afrika knüpfte. Dazu kam, daß man gerade damals einige Versuche machte, die Mongolen im entferntesten Osten zum Christentum zu bekehren und daß man dort gleichfalls von einem mystischen christlichen Reiche sprach. Die Portugiesen wollten das Reich des Priesters Johann aufsuchen, um mit ihm vereint von da aus den Mauren in den Rücken zu fallen, und während sie diese Versuche machten, umschifften sie das Vorgebirg der guten Hoffnung und entdeckten zwar nicht den Priester Johann, aber Ostindien, wo sie in fortwährenden Kämpfen mit den Mohammedanern das große portugiesisch-ostindische Reich gründeten. Dies war ein unendlich wichtiges Ereignis, indem sich nunmehr die Welt auf eine ganz andere Weise eröffnete, als man bisher im Abendlande gedacht hatte. Etwas Ähnliches war es, was Kolumbus zur Entdeckung von Amerika führte. Auch er glaubte, er würde, wenn er immer nach Westen segelte, nach Asien kommen, nach dem Lande Catai, dem Sina des Marco Polo, von wo aus man die Mohammedaner besser werde bekämpfen können. Übrigens lebte er in lauter geistlichen Ideen und hatte keine Ahnung von einem ungeheuren Kontinent, der gleichsam in der Halbscheid des westlichen Weltmeeres liege.

Indem das Abendland durch das Vordringen der Türken auf den engsten Umkreis von Gebiet beschränkt wurde, den es jemals gehabt hat – freilich einen Umkreis, der voll von Leben war –, wurde ihm durch die abenteuerlichen Unternehmungen von ein paar Seefahrern, die obendrein nicht recht wußten, was sie wollten, die aber gerade durch jene Einschränkung veranlaßt waren, sie zu durchbrechen, eine neue, eine doppelte Welt, im Orient und Okzident erschlossen. Kolumbus, indem er auf den Antillen landete, glaubte, er werde dort Gold und Silber finden, um die Mohammedaner zu bekämpfen und das gelobte Land zu erobern. Niemals hat ein großartiger Irrtum eine großartigere Entdeckung hervorgebracht. Die Spanier und Portugiesen umfuhren nun wetteifernd die ganzen Festlande. Schon im 16. Jahrhundert kam man auf den Gedanken, daß Amerika ein neuer Kontinent sei. Die Portugiesen machten in Brasilien neue Entdeckungen und kamen sogar nach Nordamerika (Labrador), wodurch sie auf die Idee kamen, daß Nord- und Südamerika zusammenhängen, was den Spaniern entgangen war. Indessen setzten sich die Spanier nach und nach in den Besitz der neu entdeckten Länder und fingen zu kolonisieren an, und mit der Zeit, da in Portugal das regierende Haus ausstarb, bekam Philipp II. auch Portugal und die portugiesischen Kolonien, so daß die damaligen Herrscher in Spanien sagen konnten, in ihrem Lande gehe die Sonne nie unter. Durch alles dieses wurde der Welt ein neuer Schauplatz der Tätigkeit eröffnet, aber nur eröffnet; denn die Spanier legten die Hände auf alle diese Entdeckungen und wollten sie als ihre Domänen bewirtschaften. Die Kolonien der Engländer und Franzosen waren damals noch geringfügig. Wenn wir nun diese Entdeckungen in dem Lichte der großen europäischen Fragen beurteilen, wozu führten sie: zu einer Schwächung oder zu einer Stärkung des bisher allein herrschenden hierarchischen Prinzips? Sie führten zu einer Stärkung desselben; denn obgleich Handel und Verkehr dadurch emporkamen, so geschah doch die Besitzergreifung der neu entdeckten Länder kraft der Autorität des Papstes, welcher dieselben den Spaniern schenkte, und diese sowie die Portugiesen suchten in erster Reihe ihre kirchlichen Begriffe auszubreiten.–

2. Das zweite, was in jener Zeit in Europa selbst emporkam, war eine Vermehrung der inneren Macht des Fürstentums. Die Verwirrung war zu groß geworden, und es waren schon Elemente vorhanden, um die fürstliche Macht zu vergrößern. Verschiedene Umstände trugen dazu bei, daß nunmehr bedeutende Reiche entstanden. Am Ausgang des 15. Jahrhunderts konsolidierte sich England, nachdem die blutigen Bürgerkriege der weißen und roten Rose damit geendet, daß Heinrich Richmond (Heinrich VII.) die beiden Häuser Lancaster und York miteinander vereinigte und eine sehr ansehnliche Herrschaft hinterlassen konnte. Es bildete sich in England ein kräftiges Königtum.

Noch entschiedener setzte sich dasselbe Prinzip in Frankreich durch, nachdem es den Franzosen gelungen war, die Engländer auszustoßen. Hier gründete Karl VII. das Königtum auf jene Elemente, welche stets von der größten Wichtigkeit waren, nämlich erstens auf eine stehende, in seinem Solde befindliche Armee, sodann auf eine beständige Auflage. Dieser Gründung bediente sich sein kluger und rücksichtsloser Sohn, Ludwig XI., um allen entgegengesetzten Autoritäten ein Ende zu machen, der Herrschaft Karls des Kühnen von Burgund zuerst, später der aller übrigen Magnaten. Was er nicht selber tat, wurde infolgedessen, was er eingeführt hatte, unter seinen Nachfolgern vollendet. Das ganze südliche Frankreich, welches bisher aus einzelnen Herzogtümern bestanden hatte, wurde mit der Krone vereinigt, dazu Burgund, ein Teil der Niederlande, die Bretagne usw.

Auch in Spanien waren untereinander streitende Herrschaften vorhanden gewesen; Aragon, Castilien, aus einer Menge kleiner Königreiche zusammengesetzt, waren in tiefem inneren Verfall, so daß einmal die Großen des Reiches den König absetzten. Aber die tatkräftige Isabella, die Schwester Heinrichs IV. von Castilien, verstand es, Ordnung zu machen, und vermählte sich dem kräftigen König Ferdinand dem Katholischen von Aragonien, so daß diese beiden mächtigen Reiche in ein Ganzes zusammenwuchsen. Hierdurch gelang es auch, Granada zu erobern und den Mauren zu entreißen, ein Umstand, welcher wieder vorteilhaft auf die großen Entdeckungen zurückwirkte.

So bildeten sich die drei Länder England, Frankreich und Spanien zu konsolidierten Mächten aus. Fragt man nun, in welches Verhältnis dieselben zur päpstlichen Gewalt traten, so kann man darauf nicht geradezu antworten, daß ihr Emporkommen dem Papste sehr gefährlich war. Allerdings war die Entstehung selbständiger Mächte ein Verlust für den, welcher die Universalherrschaft anstrebte; aber ein unbedingter Verlust für den Papst war deshalb nicht damit verknüpft, weil diese Könige sich an das Papsttum anschlossen. Frankreich erhielt sich zwar noch bei den Vorrechten der pragmatischen Sanktion, aber in Spanien war das geistliche Prinzip mit den Prinzipien der weltlichen Regierung derart verschmolzen, daß sie nicht voneinander getrennt werden konnten. Die geistlichen Ritterorden wurden mit dem Willen des Papstes mit der Krone vereinigt und von den Päpsten wurden den Königen unaufhörlich geistige Einkünfte, namentlich die Zehnten überlassen, so daß das Königtum nicht imstande war, Opposition gegen das Papsttum zu machen.

3. Ein drittes Moment, welches das neue Jahrhundert in Bewegung setzte und noch heutzutage fortwirkt, ist der Gegensatz der europäischen Mächte in ihren auswärtigen Angelegenheiten. Hiebei kam es in folgender Weise zu einer Bildung von gewissermaßen zwei Parteien.

Das am meisten von allen dezentralisierte Land war ohne Zweifel Italien. Die Territorien in Deutschland waren zwar noch kleiner als die italienischen, allein erstere erkannten doch noch den Kaiser über sich an und hatten noch eine gewisse Ehrfurcht vor ihm; auch das jedoch war in Italien nicht mehr der Fall, und die dortigen Staaten waren, obgleich nach innen hochentwickelt, doch nach außen sehr schwach. Es bildete sich nun daselbst ein kleines Staatensystem in sich aus, dessen Hauptpunkte Neapel, Florenz (unter der mediceischen Herrschaft eine Zentralstätte der Kultur), Mailand (unter den Sforzas), Venedig und der Papst waren. Diese waren immer einander entgegengesetzt und gaben dadurch Veranlassung, daß andere große Mächte in ihre Zwistigkeiten eingriffen. Frankreich behauptete, von seiten des Hauses Anjou Ansprüche an Neapel zu haben, und es gelang auch, dieselben durchzusetzen. Allein dem opponierte sich der König von Spanien, Ferdinand der Katholische; er nahm Neapel ein, so daß sich die Franzosen bloß in Oberitalien festsetzen konnten, wo sie ebenfalls ein Erbrecht zu haben behaupteten. Der Erfolg war, daß die Spanier die Oberhand behielten, was nicht geschehen wäre, wenn nicht eine andere große europäische Kombination eingetreten wäre.

Karl der Kühne, Herzog von Burgund, war besiegt und getötet worden durch eine Verbindung Ludwigs XI. und der Schweizer. Burgund selbst ging nun zwar an Frankreich über, nicht aber die niederländischen Herrschaften Flandern, Brabant, Holland usw., welche eigene Provinzen bildeten und nach Karls des Kühnen Tode an seine Tochter Maria fielen. Diese war mit Maximilian I. von Österreich vermählt, der in Österreich selbst zwar eine sehr geringe Figur spielte, aber es dahin brachte, daß er von den deutschen Fürsten zum Könige gewählt wurde. Er erlangte dadurch, daß er sich mit der niederländischen Erbin vermählte, eine ganz andere Weltstellung, als seine Vorfahren gehabt hatten. Sein Sohn Philipp vermählte sich mit der Erbin von Spanien, Johanna. Dieser Philipp wurde also König von Spanien, und Spanien, der mächtigste Bestandteil dieser großen Vereinigung, überflügelte dadurch die französische Macht in einem Grade, daß es in den italienischen Kriegen endlich die Oberhand erhielt. Im Verlauf dieser Kämpfe geschah es, daß der ritterliche König Franz I. von Frankreich in die Hände Karls V. von Spanien fiel und endlich auf Italien Verzicht leisten mußte, obgleich er immerhin noch einen starken Anhang in Italien behielt.

Dieser Gegensatz der auswärtigen Angelegenheiten bewirkte, daß sich Europa überhaupt in zwei Parteien schied, von denen die eine die spanische war, die andere die französische. Der Antagonismus der beiden Vormächte ließ übrigens den andern Staaten allezeit eine gewisse Freiheit, indem beide so stark waren, daß weder Spanien zuließ, daß ein Land von Frankreich verschlungen würde, noch umgekehrt. Auch dem Papsttum war dies Verhältnis nicht durchaus schädlich. Erst in diesem Konflikte der weltlichen Gewalten haben die Päpste ihren Kirchenstaat wirklich erobert (besonders unter Julius II.); seine geistliche Autorität aber wurde dem Papste allerdings einigermaßen dadurch geschmälert, daß er fortan immer entweder auf die eine oder auf die andere Seite sich schlagen mußte und aufhörte, als Friedensstifter über dem Abendland zu walten. Das hierarchische Prinzip bestand indessen noch; die Päpste hatten sich mit der Kultur vereinigt, litten aber nicht die geringste Abweichung vom kirchlichen Dogma, wie dies unter andern Savonarola erfuhr, der im Jahre 1498 den Feuertod erlitt. –

Wenn man nach alledem fragt, von welcher Seite in dieser Lage der Dinge eine universale Veränderung ausgehen konnte, so ist die Antwort hierauf: von der geistlichen allein; denn von seiten des Staates vermochte man dem Papsttum nicht gut beizukommen, dazu war es noch zu mächtig. Dagegen regte sich gerade im Angesicht der Verweltlichung des Papsttums und seiner Tendenzen in den tieferen Geistern Europas eine Opposition, die schon oft versucht, jedoch bisher noch immer niedergeschlagen worden war (Arnold von Brescia, die Albigenser, die Waldenser, Wiklef, die Hussiten, Savonarola). Namentlich in Deutschland, wo ein tieferer mystischer Begriff von Religion sich geltend gemacht hatte, zeigte sich jetzt eine Abweichung in den gelehrten Schulen, indem die Dominikaner, welche übrigens strenge am Papsttum hielten, den Forderungen der neu aufkommenden Gelehrsamkeit nicht genügten. Daß irgendwo sonst eine Opposition hätte zum Leben kommen sollen, daran wäre damals gar nicht zu denken gewesen. In Spanien war es unmöglich, denn der König war eben durch die Kirche zu stark; in England war der König zu politisch dazu; der König von Frankreich war nach außen zu eng mit dem Papste verbündet und durfte es nicht wagen, seine Kräfte gegen ihn zu gebrauchen. Einzig in Deutschland konnte das geschehen.

In Deutschland war, wie bereits oben berührt wurde, die Dezentralisation in bezug auf die Ausbildung der inneren Staatenverhältnisse vielleicht nicht geringer als in Italien; aber die Idee des Reiches wurde festgehalten, von ihr ging noch immer alle politische Gewalt aus,Als die Hohenzollern Brandenburg bekamen, gab es ihnen der Kaiser. man konnte den Kaiser noch immer nicht entbehren. An Maximilian hatte das Reich einen höchst geistvollen, beweglichen und unternehmenden Fürsten; sein Haus war das vornehmste, er machte Ansprüche fast auf alle Länder der Welt; es gibt wenige Menschen, bei denen soviel Phantasie und Wunderlichkeit sich mit soviel Energie und Talent vereinigt. Maximilian hatte den Gedanken, in Deutschland eine bessere Ordnung zu machen; da aber traten einander zwei Prinzipien entgegen. Der Kaiser hatte Vorrechte, die er sich nicht wollte nehmen lassen, er war der oberste Richter; aber das Hofgericht, das er einrichtete, zeigte sich käuflich, es hing ganz von ihm ab. Die Stände verlangten daher ein andres Gericht, und zwar ein ständisches, wohin jeder Reichsstand seinen Assessor schicken sollte. Darauf wollte sich indes der Kaiser nicht einlassen, und nur mit äußerster Mühe geschah es, daß Maximilian, der in den italienischen Händeln notwendig Geld brauchte und hiezu die Bewilligung der Reichsstände nötig hatte, 1495 dem reichsständischen Begehren nachgab. Damit waren aber die Fürsten noch nicht zufrieden; sie verlangten vielmehr, daß der Kaiser auch ein ständisches Regiment einrichten sollte. Auch dies kam mit vieler Mühe zustande; allein die Fürsten konnten sich nicht recht miteinander verstehen, und Maximilian sprengte das Reichsregiment wieder. Es konnte also in Deutschland keine rechte Gesamtordnung zustande kommen, wie sie in den übrigen Ländern gegründet worden war; sondern es bestand hier fortwährend ein starker Zwiespalt zwischen dem Kaiser und den Reichsfürsten. Unter diesen Umständen glaubte Maximilian, nur durch Hilfe des Papstes zu größerer Bedeutung gelangen zu können, und vereinigte sich deshalb auf das engste mit Rom. Die Stände zeigten dazu keine Neigung. Überhaupt herrschte in Deutschland damals ein großer Widerwille gegen den Papst, der noch halb Herr im Reiche war und unter der Form des Ablasses eine Art Auflage eingeführt hatte, welche großenteils zu weltlichen Zwecken in Rom benutzt wurde. Die Opposition gegen den Kaiser richtet sich demnach auch gegen den Papst.

In dem ständischen Interesse gegen Kaiser und Papst lag also ein Moment, in welchem eine Neuerung Wurzel fassen konnte. Es führt das in die innersten Verhältnisse von Deutschland, und eine Menge von kleinen Interessen und Streitigkeiten kam hinzu, um eine Entwicklung, wie sie nachher erfolgte, möglich zu machen. Die erste dieser Streitigkeiten entspann sich zwischen dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen und dem Erzbischof von Magdeburg, welcher das Recht hatte, in den kursächsischen Ländern den Ablaß predigen zu lassen. Der Kurfürst empfand es mit Mißvergnügen, daß das Geld seiner Untertanen nach Magdeburg wanderte. Und in diesen Moment nun trifft die Entstehung derjenigen Opposition in Europa gegen den Papst, welche sich behauptet hat. Es war wohl die merkwürdigste und vielleicht tollste Koinzidenz der weltlichen Interessen des Papstes und seiner geistlichen Ansprüche, daß er den Ablaß zu einer geistlichen Auflage machte. Offenbar war diese Verwendung geistlicher Gaben zu weltlichen Zwecken ein großer Mißbrauch; einzelne Fürsten hoben die päpstlichen Exekutoren auf und nahmen ihnen das gesammelte Geld ab.

Der Kaiser und seine Partei assoziierten sich nichtsdestoweniger mit den Bestrebungen des Papstes. Da setzte sich Luther, ein Predigermönch aus dem Augustinerorden, dem Ablaßmißbrauch entgegen. Die Hauptsache bei ihm war der vollkommen geistliche Impuls. In ihm vereinigten sich die merkwürdigsten Eigenschaften: die Hartnäckigkeit des thüringischen Bauern, der Tiefsinn des germanischen Mystikers, die Kapazität eines großen Professors, eine Festigkeit ohnegleichen und eine Klugheit, wie sie vielleicht in Deutschland nicht wieder vorkam. Dieser unbedeutende Mönch, Professor an der kleinsten Universität der Welt, Untertan eines der kleinsten Fürsten von Deutschland, wagte es, begünstigt von seinem Fürsten, sich dem Kaiser und Papst entgegenzusetzen. Dies erregte das größte Aufsehen, denn sein Angriff traf das Herz des Papsttums. Doch hätte man die Sache noch beschwichtigen können, wenn man es zu Rom klüger angefangen hätte. Das geschah aber nicht. Luther ward in den Bann getan und später von Kaiser und Reich in die Reichsacht erklärt.

Damit aber, daß sowohl die geistliche als die weltliche Gewalt sich gegen ihn erklärten, war die ungeheure Aufregung, welche Luther in Deutschland hervorgerufen hatte, nicht gedämpft; weder die geistliche noch die weltliche Gewalt war geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen. Alle Verhältnisse waren unbestimmt; Kaiser Karl V. mußte vor seiner Abreise ein ständisches Regiment im Reich einsetzen, in welchem Leute von Luthers Meinung saßen. Die Regentschaft konnte aber auch ihre Ideen von Wiederherstellung der Reichsordnung, allgemeiner Zolleinigung usw. nicht durchsetzen. Da entbrannte die Empörung der Bauern. Diese hatte ihren Grund darin, daß durch die Versuche zu stärkerer Zusammenfassung des Reiches auch die Auflagen stärker wurden, und geistliche und weltliche Fürsten die Bauern bedrückten. Mystische Ideen waren schon längst in diesen Kreisen verbreitet, und so war es kein Wunder, wenn die Flamme der Empörung bei diesem Anlasse hoch emporloderte. Der Bauernaufruhr schloß die äußersten Konsequenzen in sich und drohte, alles in Deutschland Bestehende umzustürzen. Man stürmte nicht bloß mehr die Bilder, sondern Thomas Münzer, der Anführer der Bauern, wollte alle Fürsten umbringen und eine ganz neue Welt einrichten. Drei Vierteile von Deutschland waren bereits vom Bauernaufruhr ergriffen. Was Luthers Verhältnis zu dem Bauernaufstande betrifft, so muß man ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er schon vom ersten Anfang an mit dieser Sache nichts zu tun haben wollte, sondern durch die radikale Bewegung in die äußerste Gefahr geriet, getötet zu werden, weil er, obgleich noch in der Reichsacht, sich nach Wittenberg begab, wo der Tumult ebenfalls ausgebrochen war, und acht Tage lang gegen dieses Unwesen predigte. Hätte Luther sich diesen Bewegungen hingegeben, so wären er und seine Lehre verloren gewesen.

Die neu aufgetretene Lehre wurde durch ein großes Talent, nämlich das Melanchthons, auch dogmatisch fixiert; sie erschien dem Volke im Lichte der Rettung, da man einsah, daß nicht alles wieder in den vorigen Zustand zurückgeführt werden könne, und insbesondere die Wiederherstellung der kirchlichen Autorität in ihrem vollen Umfange unmöglich sei. Das Reich, welches jetzt den abwesenden Kaiser repräsentierte, wußte anfangs in dieser Verlegenheit keinen Rat; später aber billigte es, daß die Abweichung in der Religion in einzelnen Ländern eingeführt wurde, so daß die Sache eine legale Bedeutung bekam. Darauf wurde nun in den Jahren 1529 und 1530 reformiert, d. h. vieles abgestellt, was früher bestanden hatte, und der protestantische Geist fing an, sich besonders im Norden Deutschlands auszubreiten. –

Wohin ging nun die Tendenz Luthers? Sie umfaßte hauptsächlich zwei Punkte: Erstens sie trat der Lehre entgegen, auf welcher die katholische Hierarchie beruht, daß nämlich die Entwicklung der göttlichen Ideen unmittelbar in der Entscheidung der Päpste und in der Festsetzung der Konzilien liege. Hiegegen behauptete Luther, die Hierarchie sei von der heiligen Urkunde abgefallen. Zweitens Luther wollte alles bestehen lassen, was mit der Bibel vereinbar ist, setzte sich nicht einmal der Tradition unbedingt entgegen; geschweige denn, daß er eine neue Religion hätte aufstellen wollen, die er kraft des eignen Verstandes sich aus der göttlichen Urkunde selbst zusammengesetzt hätte. Luthers Wesen war überhaupt seiner Natur nach reformierend;Es fiel Luther nicht ein, eine Kirche von vornherein zu gründen; dieser Unterstellung widersetzte er sich immer. Er sagte auch, er möchte wohl eine Kirche aus allen Gläubigen zusammensetzen, er finde aber keine Christen. So blieb er dabei, daß die Kirche ein von oben hereinwirkendes religiöses Institut sei. er war weit entfernt, dem republikanischen Prinzip in der Kirche Geltung zu verschaffen; er wollte nicht die Bibel realisieren, sondern nur den Widerspruch gegen die Bibel vernichten.

Er und Melanchthon bildeten zusammen eine neue Doktrin, welche so ziemlich an den Katholizismus sich anschloß. Der Moment, in welchem der Katholizismus und Protestantismus koinzidierten, war die Abfassung der Augsburgischen Konfession, in welcher sich die beiden Parteien so nahe kamen wie niemals später wieder; nur in bezug auf die Eucharistie war man verschiedner Meinung. Ja, Papst Clemens VII. war im Jahre 1532 sogar sehr geneigt, die Augsburgische Konfession anzunehmen; er legte sie den römischen Theologen vor, welche erklärten, einiges darin sei richtig, andres sei zu vereinbaren, wieder andres stünde zwar im Widerspruch mit der katholischen Doktrin, aber es lasse sich darüber reden. In dieser ursprünglichen Aufstellung lag also nicht die absolute Notwendigkeit eines Zwistes. Ich will nun gerade nicht behaupten, daß die Forderungen der Protestanten vollkommen gewesen wären; allein die Sache selbst, nämlich die Aufstellung eines entgegengesetzten Dogmas und einer entgegengesetzten, tief christlichen religiösen Überzeugung war höchst notwendig, und sie wurde auch so gemäßigt und vernünftig vorgetragen, daß von dieser Zeit an nichts so plausibel und dem Katholizismus so nahestehend war wie die Augsburgische Konfession. Luthers Lehre war also, in Kürze resümiert: Erstens ein Widerspruch gegen das hierarchische System; zweitens ein Widerspruch gegen alle in den letzten Jahrhunderten entwickelten Formen und Dienste, welche nach Luthers Meinung der Heiligen Schrift widersprachen.

Es war ein ungeheures Ereignis, daß diese Lehre nicht allein aufgestellt wurde, sondern auch mit dem Prinzip der Staaten in Deutschland gleich in ihrem Entstehen sich so verschmolzen hat, daß eine Trennung nicht mehr möglich war. Sie setzte sich gleich anfangs den Mönchsgelübden entgegen; die kleineren Klöster wurden eingezogen, und die deutschen Territorialfürsten erhielten eine gewisse Kraft, indem sie sich mit der neuen Lehre vereinigten.

Eine Ausartung der lutherischen Lehre, der weltlichen Gewalt feindlich, war die Wiedertäuferei. Dieser aber opponierte sich Luther auf das kräftigste, und infolgedessen beruhte gewissermaßen der Staat auf ihm; denn bisher war noch kein Gelehrter erschienen, der den Begriff der Obrigkeit so scharf und so frei von jedem geistlichen Beisatz aufgefaßt hat wie Luther. Dadurch gab er für die weltliche Entwicklung eine neue Grundlage.

Den ersten großen Kampf hatte die neue Lehre zu bestehen mit dem größten und geistvollsten Fürsten der damaligen Zeit, nämlich mit Kaiser Karl V., der übrigens auch den Gedanken hatte, von seiten des Staates aus zu reformieren und mit Hilfe der Protestanten das Kaisertum zu restaurieren; aber weil der Protestantismus das ständische Prinzip repräsentierte, so geriet Karl mit den Fürsten Deutschlands in Streit, und es kam zum Kampfe zwischen beiden, in welchem er zuletzt beinahe gefangengenommen worden wäre. Der Gedanke des Kaisers ging auf die Herstellung eines universalen kirchlichen Kaisertums, allein dazu war er nicht stark genug. Die neue Lehre, welche diesem Plane abhold war, hatte bereits zu tiefe Wurzeln gefaßt und eine zu starke Repräsentation, namentlich in Norddeutschland gefunden, als daß Karl der Bewegung hätte Meister werden können.

Dadurch, daß Karl V. Indien beherrschte und dessen Gold und Silber ihm zu Diensten war, vermochte er zwar vieles, allein er hatte auch einen mächtigen Widersacher an dem König Franz I. von Frankreich und dessen Nachfolger Heinrich II. Diese wollten nicht, daß der Kaiser Herr in Deutschland werde. Ebensowenig wollte das der Papst, denn dem graute vor einer Kombination der kaiserlichen und kirchlichen Idee; ja der eifrige Papst Paul III., der das Konzilium von Trient vereinigte, war dafür, daß die Protestanten vom Kaiser Karl nicht unterdrückt würden; ebenso Papst Julius III. Alle diese Elemente wirkten zusammen, um dem Protestantismus einen festeren Halt zu geben. Karl V. mußte aus Deutschland weichen und sein Bruder Ferdinand bequemte sich dazu, mit den protestantischen Ständen einen Religionsfrieden zu schließen (1555). Dieser hatte den Sinn, daß nunmehr der Protestantismus, wie er war, als Glied des Deutschen Reiches aufgenommen wurde, und die protestantischen Fürsten mit denselben Rechten in das Reich eintraten wie die katholischen.

So kam es, daß gegen Ende des 16. Jahrhunderts ungefähr neun Zehnteile von Deutschland protestantisch waren, und der Protestantismus selbst in Bayern und Österreich Eingang fand. In Österreich war Maximilian II., einer der größten neueren deutschen Kaiser, ein Mann von scharfem Verstand und großer Milde, im Herzen protestantisch gesinnt, und die österreichischen Erblande waren total protestantisch. Selbst in den Gebieten der geistlichen Fürsten waren bei weitem die meisten dem lutherischen Bekenntnis zugetan. Der Adel hielt aber noch fest am Katholizismus, denn er war im Besitz der Kapitel und Stifter. –

Nun ergriff das protestantische Element auch die übrigen Länder. Dänemark und Schweden wurden vollkommen protestantisch; das deutsche Ordensland Preußen war merkwürdigerweise eines der ersten, welche zur neuen Lehre übertraten, auch in Polen und Ungarn gewann das Luthertum Boden. Mittlerweile war noch eine zweite Form des Protestantismus emporgekommen, nämlich der Kalvinismus, welcher von der Tradition viel mehr abweicht, als das Luthertum, und auch mehr republikanische Prinzipien in sich aufnahm, da in Genf sein Hauptsitz war; er hatte die Absicht, ein den ersten Jahrhunderten unserer Ära entsprechendes Christentum zu gründen. Diese französische Form des Protestantismus breitete sich insbesondere in den Niederlanden, in England und Frankreich aus.

In England wuchs die neue Lehre ganz zusammen mit der Idee des Royalismus und des Staates. Der Kalvinismus trat dann als ein Moment des Dogmas ein, und gab dem in England bereits durchgegangenen kirchlichen Schisma einen gewissen Halt. In Schottland drang der Kalvinismus mit seinen republikanischen Sympathien am meisten vor, und auch in Frankreich bildeten die Hugenotten bald eine mächtige Partei. Wäre der Protestantismus in diesem letzteren Lande Herr geworden, so hätte er die Welt beherrscht. Deswegen sind die Kämpfe, welche Katharina von Medici und ihr Anhang mit den Häuptern der Hugenotten zu bestehen hatte, von so hohem Interesse. Überdies war der Protestantismus um jene Zeit auch in Italien und Spanien vielfach verbreitet, so daß nunmehr die Frage aufgeworfen werden kann, ob es für Europa wünschenswert gewesen, wenn der Protestantismus vollkommen Herr geworden wäre. Ich möchte diese Frage nicht unbedingt bejahen. Für Deutschland wäre es allerdings das beste gewesen, wenn eine einzige Religion alle deutschen Staaten umfaßt hätte und die Einheit des Reiches erhalten worden wäre, wohin die Tendenz ging. Das Merkwürdige im 16. Jahrhundert war, daß die Protestanten die Hierarchie nicht abschaffen wollten, sondern dieselbe in der Form von weltlichen Wahlfürstentümern bestehen zu lassen beabsichtigten, nur unter Entziehung der geistlichen Befugnisse. Diese Art der Säkularisation hätte die Einheit des Reiches aufrechterhalten, wenn der Protestantismus, wie in England, so auch in Deutschland, vollständig durchdrungen wäre. Dadurch wäre der Dreißigjährige Krieg und unendliches Blutvergießen vermieden worden.


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