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Anekdoten von Fürstlichen Personen

1. Bei einer feierlichen Audienz, welche die Kaiserin Elisabeth einigen Großen des Reichs und auch einigen Fremden ertheilte, entschlüpfte ihr, wider Willen, ein unartikulirter Ton, der, in einem schneidenden Ton, nicht allein mit der Etikette des Hofes, sondern auch mit jeder, auf Bildung Anspruch machenden Gesellschaft in Widerspruch stand.

Sie war sichtbar verlegen, als ein Offizier der Marine, der nicht weit von ihrem Thronsessel stand, plötzlich vor ihr niederkniete und um Gnade über eine unwillkürliche Verletzung des Anstandes demüthigst bat.

Die Kaiserin gewann dadurch wieder ihre Fassung und sagte mit mildem Tone: »Stehen Sie auf, ein Unglück ist kein Vergehen.«

Als die Audienz geendet war und die Kaiserin sich allein befand, befahl sie, den Marineoffizier zu ihr zu bescheiden.

Vorgelassen, empfing sie ihn sehr herablassend, erkundigte sich nach seinen Familien- und Vermögensumständen, nach dem Range, den er in der Marine bekleidete, und setzte hinzu:

» Ein Mann, der einen ungünstigen Wind so gut zu benutzen versteht, verdient – Admiral zu sein. – Ich ernenne Sie dazu

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2. Als Heinrich IV. einstens unerwartet die schöne Gabriele in ihrer Wohnung überraschen wollte, war gerade der Herzog von Bellegarde bei ihr. Zum Glück verrieth sich der König durch seinen Schritt, und der Herzog flüchtete behende unter das Bett, um nicht gesehen zu werden. Gegen alles Erwarten wußte dies der König; es werden Erfrischungen aufgetragen, und lachend warf er immer ein Stück Confekt nach dem andern unter das Bett, und sagte: » Jeder will leben

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3. Georg Herweg, während seines Aufenthalts in Berlin, war dem Könige, der den Wunsch geäußert hatte, ihn zu sehen, durch den Leibarzt des Königs, Schönlein, vorgestellt worden. Die geistreiche Auffassung der Verhältnisse und besonders die überlegene Handhabung des Augenblicks durch Kraft und Geschick des Wortes, des ernsten, wie des scherzenden, hat sich auch hier wieder bei unserm Könige bewährt. »Ich habe,« redete er ihn an, »in diesem Jahre schon einen Besuch von einem meiner Gegner gehabt, von Herrn Thiers. Dem Ihrigen gebe ich den Vorzug. Ich habe mein Amt und Beruf als König zu erfüllen, Sie den Ihrigen; ich werde dem meinen getreu bleiben und wünsche, daß Sie auch bei dem Ihrigen beharren. Mir ist Gesinnungslosigkeit durchaus zuwider. Ich achte eine gesinnungsvolle Opposition. Sie werden jetzt einen Theil meiner Staaten besuchen, in dem Sie die tüchtigste und wackerste Gesinnung treffen werden.« Die Unterredung wendete sich von der ernsten Seite auch auf die zwanglos scherzende. Der König äußerte über die Gedichte Herweghs: »Ihre Dichtungen zeigen den wahren Dichter an; sie sind sehr schön, obgleich sie auch manche bittere Pille, insbesondere auch für mich enthalten. Aber ich darf Ihnen die Versicherung geben, daß diese Pillen doch nicht so bitter schmecken, als die, welche mir hier Schönlein zuweilen giebt.« Der Arzt ging auf den Scherz ein und sprach: »Und dennoch nehme ich lange nicht so viel Teufelsdreck dazu, als hier der junge Dichter.« Der Letztere soll in seinen Antworten etwas befangen, aber dennoch ganz freimüthig gewesen sein.

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4. »Fünfzig Jahre sind dahin,« sagte Abderahmen III., »seitdem ich Kalif bin; Reichthum, Freude, Ehre, Alles habe ich genossen und erschöpft. Die Könige, meine Nebenbuhler, achteten, fürchteten und beneideten mich. Was ein Mensch wünschen kann, hat mir der Himmel gewährt. In diesem langen Raume der Glückseligkeit habe ich die Tage gezählt, wo ich mich wahrhaft glücklich gefühlt. Es waren ihrer vierzehn. – Sterbliche lernt daraus die Größe der Welt und das Leben beurtheilen.«

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5. Ein Offizier, der kein Vermögen hatte und doch eine Mutter und eine Schwester unterstützte, legte sich auf die Schriftstellerei, um mit derselben etwas zu verdienen. Er schrieb gut und meistens humoristische Aufsätze, bei denen es nicht an Belehrung fehlte. Der König des Landes hatte in den Zeitschriften viele derselben gelesen, und sie hatten seinen Beifall gefunden. Bei einer Revue des Regiments sprach er den Offizier und sagte: »Sie treiben Schriftstellerei und haben recht artige Sachen geliefert, aber nichts Bedeutendes, Großes, ein Werk, ein ganzes Werk.« Der Offizier verbeugte sich und versetzte: »Wenn Ew. Majestät so gnädig wären und mir erlaubten, Höchstderoselben ein Werk zu widmen, so würde ich alles aufbieten, ein würdiges zu verfassen.« – Der König gab die Erlaubniß zu der erbetenen Widmung, und als etwa sechs Monate vergangen waren, erhielt er auch einen zierlich gebundenen Band von einem Werke des talentvollen Offiziers, welches jeder Anforderung entsprach. – Der König ließ nun seinerseits auch einen Bücherband verfertigen, und statt der schriftstellerischen Inhalts erhielt er 1000 Fl. in Banknoten. Als der Offizier dieses ausgezeichnete Werk des Königs erhielt, ermangelte er nicht, sich auf das Ehrerbietigste und Freudenreichste zu bedanken, und verfertigte einen zweiten Band zu dem ersten, den er gleichfalls dem König widmete. – Bei der nächsten Revue wandte sich der König zu dem Offizier und sagte: »Wie hat Ihnen mein Werkchen gefallen?« – »O, Ew. Majestät,« versetzte dieser, »dasselbe übertrifft jedes andere, es ist ganz vortrefflich und läßt nur zu wünschen übrig – die Fortsetzung.« Der König lächelte – und in etwa 4 Wochen darauf erhielt der Offizier wieder einen Band mit 1500 Fl.; aber zu Ende des Einbandes stand geschrieben: »Zweiter und letzter Band.« –

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Der König von Hannover.

6. Der Schauspieler Doring, der bekanntlich durch ein glänzendes, lebenslängliches Engagement sich in Hannover gebunden hat, ist dadurch verhindert, den Anerbietungen Berlins, das ihn auch gern besitzen möchte, Gehör zu geben. – Doring, der in der großen preußischen Residenz einen viel reichern Wirkungskreis sich eröffnen sieht, hat mancherlei Mittel versucht, um seinen hannöverschen Contrakt zu lösen, – doch umsonst. – Endlich nahm er selbst Audienz beim König.

»Warum wollen Sie fort von Hannover?« – fragte Ernst August mit bekanntem englischen Accent. Doring suchte mit den verblümtesten Reden die Motiven zu schildern, welche einem Künstler die Stellung in Berlin wünschenswerth machen. – »Ich möchte auch lieber König in England, als in Hannover sein,« antwortete der Monarch, »muß doch hier bleiben. Und Sie bleibt auch hier!«

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7. Der Großfürst Michael besuchte, in Begleitung vieler mit Orden geschmückter Herren, die St. Petersburger Sternwarte. Astronom Struve empfing den hohen Gast, benahm sich aber verlegen. Ein Hofherr äußerte dem Großfürsten seine Verwunderung darüber.

»Kein Wunder,« entgegnete der Großfürst; »Struve überrascht es, so viele Sterne am unrechten Platze zu sehen.«

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Schreiben des Kaisers von China an Victoria.

8. Bekanntlich hat der chinesische Kaiser, nachdem er mit England Frieden geschlossen und mehrere Millionen Thaler geblecht hat, von der Universität Oxford honoriz causa den Doctortitel erhalten. – Seine himmlische Majestät hat nun, um sich zu revangiren, ein höchstartiges Brieflein auf Seide geschrieben, durch den Gesandten Fi-fo-fu nach Londen an Victoria geschickt, welches also lautete:

Ich selbst, Alleinherrscher des himmlischen Reiches, Kaiser aller Chinesen auf dieser Erde, Schatten Gottes u. s. w. u. s. w. habe mit einem gnädigen Auge auf das von Deinem Schreiben mir geschickten Eselsfelle hernieder geblickt und daraus ersehen, daß Du mit Deinen röthlich – haarigen Kindern zur geziemenden Ehrfurcht und dem Versprechen der Besserung zurück gekehrt bist. Damit der Erdkreis sich überzeuge, daß ich voll Erbarmen bin, habe ich Frieden gemacht; Ihr könnt ruhig fort leben, wofern Deine Ausgelassenheit gegen mich für immer ein Ende nimmt. Ich werde mein Wort gewiß halten.

Ich habe befohlen, Deine Kinder nicht mehr rothborstige Barbaren zu nennen und ihnen keinen Schrecken einzujagen; sie sollen kommen und Handel treiben, damit sie Thee trinken und ihr unglückliches Dasein fristen. Wenn sie ferner nicht mehr freveln und meine Städte durch ihre verbrecherische Unklugheit mit großen Kugeln zerstören, so soll ihnen gestattet sein, unter guter Bewachung in die Mitte des Reiches einen Blick zu thun und von Weitem den Schatten meiner Weisheit zu bewundern. Es ist noch nicht zu spät, wenn sie ernstlich bereuen, so können sie nützliche Lehren bekommen und Kenntnisse sammeln. – Ich habe Fi-fo-fu befohlen, Dich zum Geschwisterkind des großen Bären und zur Schwester des Saturn zu ernennen; gleichfalls den Knopf zur Auszeichnung mit der Schleife, einen Kamm der Ehre und einen Tabacksbeutel zur Aufmunterung zu überreichen – Möge es Dir nie an Thee fehlen und Deine Füße immer kleiner werden! Meine Gnade ist sehr groß! –

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Pasquill.

9. Eines Morgens fand man am Palaste des Kaisers Joseph II. angeheftet:

Ein Freund der Waffen,
Ein Feind der Pfaffen,
Ein Erzkalmäuser
Ist unser Kaiser.

Joseph ließ darunter setzen:

Das Erste ist wahr,
Das Andre ist klar,
Das Dritte ist nöthig;
Dem Entdecker sind hundert Dukaten erbötig.

Zwei Tage darauf kam folgende Antwort:

Wir sind unser vier,
Ich, Dinte, Feder und Papier.
Keiner wird den andern verrathen;
Dem Kaiser bleiben seine Dukaten.

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Andere Zeiten, andere Sitten.

10. Franz I., König von Frankreich, hatte eine Zusammenkunft mit dem Papste Leo X. Der König, erstaunt über den prachtvollen Aufzug des Papstes, äußerte, den biblischen Nachrichten zufolge, gingen die Seelenhirten arm und einfach einher. – »Sehr wahr,« antwortete der Papst, »das war aber zu jener Zeit, als die Könige noch die Schafe hüteten

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Wer ist geprellt?

11. Der Herzog von Orleans kehrte auf einer seiner letzten Reisen in einem unbedeutenden Gasthause in einer kleinen Stadt, in einem der östlichen Departements Frankreichs, ein, um eine Fleischbrühe zu nehmen. Der Wirth, der ohne Mühe den Rang seines improvisirten Gastes erfahren hatte, wollte aus der Anwesenheit des Herzogs Vortheil ziehen, und forderte als Preis der Fleischbrühe 500 Franken. Der Prinz begnügte sich, die Bemerkung zu machen, daß er den Preis ein wenig hoch finde und ließ den Mair der Gemeinde bitten, zu ihm zu kommen. Dieser beeilte sich, der Einladung nachzukommen, und der Herzog sprach zu ihm: Ich freue mich, Herr Maire, daß ein sehr unverhoffter Umstand mich in den Stand gesetzt, den Bedürftigen Ihrer Gemeinde zu Hülfe zu kommen. Hier sind 1000 Franken, die ich Ihnen für sie einhändige, und ich begehre von Ihnen nur den einzigen Dienst, meine Fleischbrühe zu bezahlen.« Der Maire bezahlte die Fleischbrühe mit 5 Franken, und die Armen zogen Vortheil aus der Habgier ihres unfreundlichen Mitbürgers.

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Unerschrockenheit.

12. Nach Erlassung des Dekrets, welches befahl, daß in den Seehäfen alle englischen Waaren und sämmtliche Kolonialartikel, deren man habhaft werden könne, verbrannt werden sollten, kam Napoleon auf einem Spazierritt, in der Umgegend von Fontainebleau, vor dem Pfarrhause eines kleinen Dorfes vorbei, wo er nicht nur ganz deutlich das laute Geräusch einer gerade in Bewegung gesetzten Kaffeemühle hört, sondern auch starken Geruch von gebranntem Kaffee bemerkt. O! o! ruft Napoleon lachend aus, hier entdecke ich einen, der im Begriff ist, mein Dekret zu übertreten. Ich wette, es ist der Pfarrer. Und von Neugierde getrieben, steigt er vom Pferde und ritt in den Pfarrhof. Es war wirklich der Pfarrer selbst, der, sobald er Napoleon erblickte, den er kannte, seine Mühle stehen läßt, sich erhebt und den Kaiser begrüßt. Was Teufel macht Ihr denn da, Herr Abt? fragte der Kaiser lachend. – Wahrlich, Sire, antwortete der gute Pfarrer, ohne in Bestürzung zu gerathen, Ew. Majestät sieht es ja, ich mache es wie Sie, ich verbrenne die Colonialwaare.

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Der pfiffige Gastwirth.

13. Unter der Regierung des letzt verstorbenen Königs von Württemberg war der Wirth eines berühmten Gasthofs als jovialer, lustiger Mann allgemein bekannt.

Abends sammelten sich mehrere gute Freunde, welche sich bei einem Glase Wein an seinen witzig lustigen Einfällen ergötzten.

Unter diese Gesellschaft schlich sich auch ein Judas der geheimen Polizei ein. Alle Gäste und der Wirth selbst hielten ihn für das, was er war: nämlich für einen geheimen Polizei-Spion.

Als dieser einst früher als gewöhnlich fort ging, äußerten die anderen Gäste alle, sie möchten sich nur von der Schlechtigkeit dieses Menschen überzeugen. Der joviale Wirth sagte: Laßt es nur gut sein bis morgen, und wenn der Kerl wieder da ist, so fang einer von Euch ein gleichgültiges Gespräch von unserem König an, dann gebt aber genau auf jedes Wort Acht, was ich sage, damit Ihr es nöthigen Falls beeidigen könnt. Einer fixire den Spion, wie er die Ohren spitzen wird.

Den anderen Tag kam er richtig wieder in die Gesellschaft und Einer sagte: Mag man schimpfen über unsern König so viel man will, das kann man ihm doch nicht absprechen, daß er ein gerechter und weiser Regent ist. Nun nahm der Wirth das Wort und sagte mit ernstem prophetischen Tone: » Gebt Acht und denkt an mich, unser König ist am längsten König gewesen.« Nun fing er ein gleichgültiges Gespräch an. Dem Spion brannte der Sitz, bis er seine giftige Denunciation an den rechten Mann bringen konnte. Er entfernte sich daher schnell. Als er fort war, lachten sie Alle, und der Wirth sagte: Bis morgen bin ich sicher arretirt. Den anderen Tag Nachmittag kam ein Unteroffizier und zwei Mann Wache, welche ihn als Arrestant zum Könige abführten. Alles lief auf der Gasse zusammen, weil Niemand begreifen konnte, wie ein so rechtlicher Bürger wie ein gemeiner Verbrecher behandelt werden könne. Als er vor den König kam, fragte ihn dieser ganz erzürnt: Ob er wisse, warum er ihn habe abholen lassen? »Nein, Ew. Majestät, und dies ist es, was ich gern wissen mochte. Ich bin keines Verbrechens bewußt, welches eine so harte Behandlung verdient hätte. Der König fragte weiter, ob er sich nicht erinnere, daß er gestern Nachts, ohngefähr 6 Uhr, gegen einen großen Herrn anzügliche Reden geführt hätte? »Nein, Ew. Majestät, dies wäre der größte Schaden für meine Wirthschaft; denn ich lebe ja gerade von großen Herren, die bei mir logiren. Da schimpfe ich lieber über die Bäuerlein, die oft kaum sechs Kreuzer bei mir verzehren.« Ob er nicht namentlich gegen des Königs eigene hohe Person dergleichen Reden ausgestoßen habe, war die weitere inquisitorische Frage. »O, Ew Majestät, Sie werden mich noch nie als Rebellen gefunden haben, und werden mich auch nie als solchen finden. Ich sehe, hier muß ein großer Irrthum vorwalten; ich bitte also nur um die allerhöchste Gnade, mir die Ausdrücke zu sagen, der ich mich bei diesem Gespräch soll bedient haben. Ich bin ein lustiger Kerl, spreche gern viel unter guten Freunden, aber immer mit Bedacht, und nur ich bin der Ausleger meiner Worte. Nun kam eine Frage, welche der Knickfang für den armen Wirth sein sollte. Ob er nicht ganz mit Bedacht zu seinen Freunden gesagt habe: Gebt Achtung, denkt an mich! unser König ist am längsten König gewesen. Der Wirth hüpfte vor Freuden in die Höhe und sagte ganz heiter: »Ja, Ew. Majestät, dies habe ich mit gutem Bedacht wörtlich gesagt; ich bin ein noch nicht bejahrter Mann und kannte Ew. Majestät schon als Grafen von Mömpelgard. Wie schnell hatten Sie den Herzoghut auf dem Kopfe, wie geschwind vertauschten Sie diesen mit dem Churfürstenmantel. Der Schritt vom Churfürsten bis zum Königsthrone war ja, so zu sagen, nur ein Hahnensprung. Wenn Sie also so fort avanciren, so werden Sie in Bälde deutscher Kaiser sein, dann sind Sie am längsten König gewesen

Der König drehte sich lächelnd herum und sagte: Du Schufft! Dein Kopf hat Dir geholfen. Du kannst gehen.

Mit langgedehntem Gesichte sagte aber der Wirth: »Ja, Ew. Majestät, ich fordere nun von dem gerechten Könige Satisfaction, »Sie haben meine Ehre gekränkt, mich wie einen Vagabonden durch die Straßen führen lassen; wenn ich nun allein, wie ein begossener Hund, durch die Straßen zottle, so macht es lange nicht das Aufsehen, und wer mich sieht, glaubt blos, ich sei begnadigt worden.«

Die einzige Satisfaction, welche mir Ew. Majestät können angedeihen lassen, besteht darin, daß Sie mich in einem Hofwagen nach Hause führen lassen; denn nur dadurch sehen die Menschen, daß ich nicht blos begnadigt, sondern in Ihren Augen gerechtfertiget, ja sogar geehrt bin.

Der König drehte sich lächelnd um, schellte, und befahl dem eintretenden Hofbedienten, sogleich einen Hofwagen anspannen, und den Wirth nach Hause führen zu lassen. Im Triumpf fuhr der pfiffige Wirth durch die Hauptstraßen, lehnte sich mit halbem Leib rechts und links zu dem Kutschenschlag heraus, und sagte zu der Menge: »Seht ihr, Leute, was wir für einen gerechten und weisen König haben!«

Alles lachte. Der Hofkutscher bekam ein prächtiges Trinkgeld, der Spion eine wohlverdiente Tracht Prügel. –

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Der Kaiser von China in Wien.

14. Vom Grafen A. de la Garde bringt der Pariser Globe ein Histörchen, in welchem der Kaiser von China eine Rolle spielt.

Der Graf de Witt – erzählt der Graf de la Garde – kam eines Morgens laut lachend zu mir.

»Was stimmt Sie so lustig, lieber General?« fragte ich.

»Ein Histörchen, das mir so eben Uwaroff erzählt, auf Ehre, eine possierliche Geschichte. Aber obgleich er sie aus Kaiser Alexanders eigenem Munde hat, so scheint sie doch kaum glaublich zu sein. Was sagen Sie dazu? Hören Sie! Ein junger Marienoffizier, der Graf R...ode protegirt, ist durch einen wunderlichen Zufall nie nach St. Petersburg gekommen und hat den Kaiser nie mit Augen gesehen. Mit wichtigen Depeschen nach Wien abgefertigt, trifft er hier ein. Alexander geht, wie sie wissen, gern zu Fuß und allein in der Stadt spazieren, gerade wie in seiner Residenz. Heute früh kommt Se. Majestät im schlichten Uniformüberrock aus dem Palais, und begegnet einem Offizier seiner Marine, der, gestiefelt und gespornt, hin und her lavirt und nicht recht zu wissen scheint, wo er Anker werfen soll. Alexander sieht den Seemann und fragt:

»Suchen Sie jemand?«

»»Ei freilich,«« antwortete der Russe; »»ich komme als Courier mit Depeschen an den Kaiser Alexander. Da hat man mich zur Burg gewiesen. Aber da ich eben erst ankomme und niemand kenne, so bin ich in Verlegenheit, wie ich zu ihm gelange.««

Dem Kaiser gefällt das offene, freimütige Wesen des Marineoffiziers und sein Incognito macht ihm Spaß.

»Sie treffen den Kaiser jetzt nicht,« sagte er; »denn er ging so eben aus. In zwei Stunden ist er zurück; Sie können sich darauf verlassen.«

Die Unterhaltung ist abgeknüpft und geht auf cordialem Fuß fort. Der Czaar, den der Seemann für einen russischen Offizier hält, erkundigt sich nach des jungen Mannes Familie, seinen Verhältnissen, Aussichten und Hoffnungen; er erfährt, daß derselbe sehr jung zur Marine kam, und nie bei Hofe war. Nach halbstündigem Spaziergange und angenehmer Unterhaltung, macht Alexander plötzlich eine Wendung und sagt:

»Jetzt geben Sie mir Ihre Depeschen; denn ich bin der Kaiser selbst.«

»» Sie, der Kaiser Alexander? Machen Sie keinen schlechten Witz?««

»Verlassen Sie sich darauf, ich bin der Kaiser von Rußland.«

»»Wahrhaftig? Nun, da könnt' ich eben so gut behaupten, daß ich der Kaiser von China wäre.««

»Sie der chinesische Kaiser? Ei, warum denn nicht?«

»»Nun, ich bin der Kaiser von China, so sind Sie der Kaiser von Rußland.«

Alexander lacht und findet den Sohn des Neptun und sein Quiproquo immer spaßiger. Die gegenseitigen Neckereien sind im besten Zuge, als der König von Preußen, gleichfalls zu Fuße, auf einem Spaziergange sichtbar wird.

»Sprechen Sie deutsch?« fragt Alexander.

»»Kein Wort!«« antwortete der Seemann.

Der Kaiser eilt Friedrich Wilhelm entgegen, sagt ihm lachend einige Worte deutsch, dreht sich um und ruft dem Seeoffizier zu:

»Das trifft ja sehr gut; Sie können hier den König von Preußen kennen lernen. – Sire, ein Offizier meiner Marine, den ich mir die Ehre gebe, Ew. Majestät vorzustellen.«

»»Immer besser!«« lacht der Seemann, »»Sie der König von Preußen, Sie der Kaiser von Rußland, ich der Kaiser von China, drei Monarchen, die sich sehen lassen können! Warum nicht? Sagt doch mein Kapitain auch immer, daß er, nächst Gott, an Bord der Höchste ist. Na, wie stehen die preußischen Angelegenheiten? Wie geht's in Berlin? Auf Ehre, Ihr Vorfahr, der große Fritz, war wahrhaftig ein großer Held, wie Ihr Ahnherr Peter der Erste, reformatorischen Andenkens,«« sagte er mit einer Verbeugung vor Alexander. »»Aber wie tapfer auch Beide waren, so hätten sie es doch meinem Großvater schwerlich nachgethan; denn er sprengte sich in der Schlacht bei Tschesne mit Mann und Maus in die Luft, weil er sich den Türken nicht ergeben wollte.««

Obgleich dies nun eine kecke Behauptung war, so sprach er sie doch in einer Weise aus, welche die beiden Herrscher lachen machte. Alle drei kamen gerade vor einer Schenke vorüber, und der Marineoffizier lud beide treuherzig ein, das Gespräch beim Glase Wein fortzusetzen. Der Moment verlockte die Monarchen und sie traten ein.

»Auf Ihr Wohlsein, Bruder!« sagte der König von Preußen zu Alexander.

»Es fehlt weiter nichts, als das Geschütz unserer Hauptstadt, um den Toast vollständig zu machen.«

»»Da kann geholfen werden!«« rief der Seemann, griff in die Tasche, zog ein Pistol, feuerte es ab und setzte hinzu: »»Ist's auch nur ein Geschütz vom kleinsten Kaliber, so will ich doch sehen, ob der Schuß nicht so herzlich gemeint, wie jeder andere.««

Der Schuß machte Aufsehen, die Monarchen sprangen auf, konnten dem Offizier aber wegen der letzten Bemerkung nicht böse sein. Als sie gehen wollten, ließ es sich der Russe durchaus nicht nehmen, die Zeche zu bezahlen. Als sie auf der Bastion ankamen, wurden die Monarchen mit dem gebührenden Respekt empfangen. Der Herzog von ** kam Alexander entgegen, redete ihn Majestät an, und der Offizier, der unter demselben in Odessa gedient hatte, merkte jetzt, wem er vor sich habe. Alexander ließ sich die Depeschen einhändigen und entließ den Courier, der in peinlichster Verlegenheit stand, mit einem feinen spöttischen Lächeln. Am nämlichen Tage erhielt er aber eine Einladung zur Tafel beim Kaiser.

War unser geniale Seemann der neckende oder der geneckte Theil? Ich weiß es nicht; aber es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß er sich durch zwanzigjährigen Dienst zur See nicht so gut, wie durch dieses Zusammentreffen, empfohlen haben würde. Gewiß hat er mehr davon, als sein Großvater, der sich in die Luft sprengte.

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Der General Bonaparte und der Herr v. Cobentzl.

15. Beide konnten sich über den zu bewerkstelligenden Frieden zwischen Frankreich und Oesterreich, nach dem italienischen Feldzuge von 1797, nicht einigen. Bonaparte unterzeichnete nach seinem Willen und übergab daher kühn sein Ultimatum dem von österreichischer Seite beauftragten Herrn von Cobentzl. Es enthielt Venedig für Oesterreich, der Adigo und Mantua für die cisalpinische Republik, der Rhein und Mainz, so wie die Ionischen Inseln für Frankreich – Diese Conferenz fand bei dem Herrn von Cobentzl in Udine statt. Man saß an einem langen, viereckigen Tische; die vier österreichischen Bevollmächtigten hatten an der einen Seite Platz genommen, Bonaparte allein an der andern. Herr v. Cobentzl macht große Ansprüche an die österreichische Monarchie, und behauptete, wenn sein Herr und Kaiser die Schlüssel von Mainz übergebe, müsse er die von Mantua dafür empfangen; er könne nicht anders handeln, ohne sich zu entehren; Frankreich hätte übrigens nie einen schönern Vertrag geschlossen und wünschte gewiß keinen vorteilhafteren, er wolle vor allen Dingen den Frieden, und er werde das Benehmen des Unterhändlers zu richten wissen, der seinem eigenen militärischen Ehrgeize den Vortheil und die Ruhe des Landes opfere. Bonaparte blieb ruhig und gelassen während dieser beleidigenden Anrede, und ließ Herrn v. Cobentzl aussprechen; dann ging er auf ein Tischchen zu, auf dem ein Theeservice von Porzellan stand, ein Geschenk der großen Katharina an Herrn v. Cobentzl, welches hier als ein Prachtwerk ausgestellt war, nahm es, zerschmetterte es, indem er es zu Boden warf und sagte dazu: »Der Krieg ist erklärt, erinnern Sie sich aber daran, daß ich, ehe drei Monate vergehen, Ihre Monarchie zerschmettert haben werde, wie dieses Porzellan.«

Diese Handlung und diese Worte erfüllten die österreichischen Bevollmächtigten mit dem höchsten Staunen. Er grüßte sie, ging, bestieg auf der Stelle seinen Wagen und befahl einem Offizier, dem Erzherzog Carl zu verkünden, daß die Feindseligkeiten binnen 24 Stunden wieder ihren Anfang nehmen würden. – Herr v. Cobentzl sandte voll Schrecken sogleich das Ultimatum unterzeichnet nach Possoniere. Eine von den Bedingungen des Vertrages enthielt die Freilassung des Herrn von Lafayette, der seit 5 Jahren in Ollmütz heldenmütig seine Gefangenschaft ertrug und bald darauf freigelassen ward.

Fürst Leopold von Dessau und der Candidat.

16. Fürst Leopold von Dessau, gewöhnlich der alte Dessauer genannt, ist als einer der trefflichsten Feldherrn, die je gelebt haben, bekannt. Angenehm wird es also jedem Leser sein, auf welche originelle Weise er einst einen Theologen prüfte. Wir lassen hier den Geprüften selbst sprechen, aus dessen Tagebuche wir diese Mittheilung entlehnen.

Seit 2 Jahren hatte ich Halle nicht gesehen. Ich wußte, daß viele meiner Freunde dort waren und reiste hin. Ich traf eine Gesellschaft, in der ich sehr willkommen war, als kurz nach mir auch ein junger Jurist in das Zimmer trat. »Woher so spät?« fragte Jemand.

»Ich habe meinen Vetter begleitet, den ehemaligen Feldprediger des hiesigen Regiments; er ist Oberprediger und Inspektor im Magdeburgischen geworden.«

In meinem Herzen stieg der Wunsch auf: Könntest du diesen Posten erhalten! Einem meiner Freunde, dem Professor H. entdeckte ich meinen Wunsch, er billigte ihn und verschaffte mir Empfehlungsbriefe an den berühmten alten Dessauer, und so ritt ich nach Dessau, wo sich der Fürst Leopold eben aufhielt.

Rein und nett gekleidet, ging ich nach dem Schlosse und ließ mich bei dem Fürsten melden. Nach kurzem Warten öffnete mir ein Diener die Thür, die zum Zimmer des Fürsten führte Ich hatte ihn in Halle oft gesehen. Er war das schöne Bild des Kriegsgottes; seine herrliche Figur, sein von Pulverdampf und Sonnenhitze gebräuntes Gesicht, sein Schnurrbart, sein glühendes Auge, seine ganze Haltung, besonders wenn er vor den Grenadieren, seinen Lieblingen, stand, rissen Jeden zu einer hohen Achtung hin. Auch bei mir war das jetzt der Fall um so mehr, da ich etwas bei ihm zu suchen hatte. Traf ich ihn auch im Negligé, so hatte ich doch Mühe, mich zu sammeln. Meine Geistesgegenwart, womit Mutter Natur mich ausgestattet hatte, machte mir diese leichter, als es manchen Andern geworden wäre. Ich machte eine leise Verbeugung und nahm eine möglichst gerade Stellung. »Was will Er, mein Sohn?« fragte der Fürst, indem er die Spitzen seines Schnurrbarts drehte.

»Mich unterthänigst melden, um Feldprediger bei Ew. Durchlaucht Regiment zu werden.«

Der Fürst sah mich von oben bis unten an. »Feldprediger? Was Teufel! mit zehn Zoll zwei Strich Feldprediger? Dazu können wir Leute gebrauchen, die Gott auf den Knieen danken müssen, wenn sie bei der Cantonrevision mit anderthalb Zoll versteigert werden. In Ihm, mein Sohn, steckt ein Feldwebel, wie ihn die Potsdammer Garde nicht aufzuweisen hat.«

»Hätte ich das vor sechs Jahren gewußt, so würde ich es mir zur größten Ehre angerechnet haben, in Ew. Durchlaucht Regiment zu dienen «

»Freilich, nun hat Er studirt. – Ja, mein Feldprediger ist abgefahren. War ein tüchtiger Kerl! Scheute Keinen; war ihm einerlei, ob er mir oder dem Profoß den Kopf wusch. Und so ist's recht, so will's der König und Gott. Kein Heucheln, kein Fuchsschwänzen, drauf los, und wenn der Teufel und seine Großmutter sich in den Weg stellt. Also – Er will Feldprediger werden?«

»Ich bitte Ew. Durchlaucht um diesen Posten und um Gnade, diese Empfehlungsschreiben anzunehmen.« Ich reichte die Briefe hin.

»Höre Er, damit bleibe Er mir vom Halse. Habe in meinem Leben nichts von Empfehlungsschreiben gehalten; denn gewöhnlich kommen nur solche, mit denen nicht viel los ist, auf Empfehlungen angeritten. Stecke er seine Briefe nur ruhig ein.«

Ich that's.

»Höre Er, lieber Mann, ich habe so meine eigne Art, den Leuten auf die Zähne zu fühlen, und ich habe mich noch nie betrogen; ich habe es Rekruten aus den Augen gelesen, ob sie brav wurden, oder ob sie, wenn das Handgeld verjubelt war, durch die Lappen gingen. Ich will's mit Ihm auch so machen.« Er stellte sich bei diesen Worten in eine Positur, bei der mein Herz mehr als gewöhnlich klopfte.

»Mein Regiment,« sagte der Fürst, »wird Er kennen. Er hat ja in Halle studirt.«

Ich versicherte dies.

»Nun, ich bin beinahe fünfzig Jahre dessen Chef, ich kenne es ganz. Es ist ein herrliches Regiment, alle übrigen können bei ihm in die Schule gehen. Vor ungefähr vierzig Jahren machte ich mit ihm das erste Probestück beim Sturm auf Namur, da lernte ich meine Leute kennen; bei Bonn, Lüttich hat das Regiment gefochten, wie der Erzengel Michael mit seiner Garde. Ich weiß gewiß, die Kerls stürmten die Hölle und nähmen den Teufel aus seinem Corps de Garde gefangen, wenn ich sie anführte. So weit ist Alles gut. Aber kaum führt der Teufel Frieden in's Land, so fährt er auch gleich den Kerls in die Köpfe. Sie sind wie besessen, und wenn ich sie Tage lang in gepflügtem Acker herumhetze, daß ihnen die Seele im Leibe pfeift, es hilft nichts; der leidige Frieden macht sie gleich übermüthig; sie laufen aus einer Kneipe in die andere, werden liederlich, verkaufen das Hemd vom Leibe, und da mag ich prügeln lassen, daß die Rippen knacken, mag sie auf dem Esel reiten lassen und den Galgen dabei bauen, es hilft nichts. Und er getrauet sich, bei einem solchen Regimente Feldprediger zu werden?«

»Was Ew. Durchlaucht von Höchstdero Regiment sagen, paßt gewiß auch auf jedes andere.«

»Nein, keins hat sich so brav gehalten, das wissen die Kerls, keins ist aber auch so liederlich im Frieden.«

Der Fürst schwieg einige Augenblicke; dann fuhr er fort: »Er glaubt nicht, was so ein Feldprediger, der gut Leder zum Maul hat, ausrichten kann. Da bei Dinges – bei Hochstädt hatte ich den linken Flügel zu kommandiren. Mein Regiment war das erste. Unsere Kavallerie ging gleich zum Teufel; aber meine Kerls standen wie die Eichen, immer avancirt und immer avancirt, und dabei gefeuert, als sollte Gott im Himmel das Donnern von ihnen lernen. Der beste Sieg war errungen, mein Regiment erfocht ihn. weil mein Feldprediger vorher wacker gesprochen. Getraut er sich auch so was auf seine Hörner zu nehmen.«

»Beruf und Posten würden mir heilig sein. Gott würde meinen Worten Nachdruck verleihen.«

»Doch das ist nicht die Hauptsache. Der Frieden, der leidige Frieden, wenn die Kerls nichts zu thun haben, wenn sie dann aus purem Uebermuth von einem dummen Streich auf den andern fallen, da liegt der Fuchs im Loche, da der Has' im Pfeffer.«

»Ich würde es an Ermahnungen und Warnungen nicht fehlen lassen; und besonders selbst ein gutes Beispiel geben, was ich denn auch bei den Herren Offizieren voraussetze.«

»Nun, von den letztern schreibt Lukas nichts. Ist so, so! – Hör' er Mal, Er gefällt mir, ich will mit Ihm eine Probe machen. Lege Er seinen Stock und Deckel dort auf den Stuhl.«

Ich that's.

»Denke Er einmal, ich wär' einer von den liederlichen Siebenbrüdern, so Einer, der alle Tage blau und voll wie ein Dudelsack ist, ein Schmutzfinke, ein Raisonneur, einer, vor dem der Feldwebel das Buch zu macht, so einer, dem alle Tage der Rock auf dem Leibe ausgeklopft wird; denke Er sich den Fall, mein Hauptmann schicke mich zu Ihm, daß er mir den Kopf zurechtsetzen und den Teufel austreiben sollte, wie würde Er das anfangen? was würde Er mir sagen?«

Ich will dreist alle Redner, von Demosthenes und Cicero an bis auf unsere Zeit, fragen, ob nicht der Auftrag einer solchen Casualrede den Kühnsten muthlos gemacht und den Entschlossensten um die Gegenwart des Geistes gebracht haben würde? Gott weiß, woher mir der Muth wurde, woher ich die Geistesgegenwart bekam, den Fürsten zu vergessen und einen Taugenichts in ihm zu erblicken. Mit festem, ernstem Anstande trat ich vor den Fürsten, der in diesem Augenblicke eine demüthigere Stellung annahm, eine Stellung, die ihm, ohne selbst das Negligé in Anschlag zu bringen, ganz das Aussehen eines aus der Hauptwache entlassenen Arrestanten gab. Mit fester Stimme fing ich an:

»Gott! segne mein Werk an diesem Verirrten. Oeffne ihm die Augen, daß er den Abgrund sehe, dem er freventlich entgegentaumelt. Erwecke ihn, auf daß er umkehre von dem Wege, der zur Verdammniß führt. Amen! – Weßhalb Ihr hier vor mir steht? diese Frage beantwortet Euer eignes Gewissen, und wehe über Euch, wenn Ihr auf diese ernste, warnende Stimme nicht hört! Ihr habt bisher das Glück gehabt, in den Reihen der Vertheidiger Eures Königs zu stehen; Ihr seid Soldat, des Herrn Ruf führte Euch zu den Waffen, Ihr schwuret mit einem heiligen, feierlichen Eid, Eurem König zu folgen, es gehe zum Leben oder zum Tode; Ihr schwuret, Eure Fahnen, die Heiligthümer Eures Regiments, nie zu verlassen, sondern ihnen Ehre zu machen. Wie schlecht habt Ihr diese letzte Pflicht erfüllt! Wie wenig Ehre Ihr Euren Fahnen machtet, das will ich Euch gar nicht fragen. Euer ganzer Anstand, der scheue Blick, mit dem Ihr wie ein ertappter Dieb vor mir steht, die ganze Veranlassung, die Euch zu mir führt, beantwortet sie zu Eurer Schande. Ihr tragt Eures Königs Rock, Euer König und Euer Vaterland bewaffnen Euch, sie erwarten von Euch frommen, treuen Dienst, sie erwarten Schutz von Euch, sie erwarten, daß Ihr Ihnen Ehre macht. Gerechte Forderungen, denen sich ein frommer Krieger nie entzieht. Ihr aber treibt Euch in allen Saufgelagen umher, Ihr verkauft das Hemd vom Leibe, und was ist Euch näher, als dies? Ihr würdet Eure Kameraden, Eure Vorgesetzten, Euer Gewehr, Euer Vaterland verkaufen, Eure Seele und Seligkeit, Euer Gewissen und Eure Ehre schlüget Ihr los, um für den Kaufschilling Euch zu berauschen! Statt mit Euern Kameraden friedlich und einig zu leben, fangt Ihr im unseligen Rausche mit Ihnen Händel an. Statt ein Beispiel des Gehorsams und der Ordnung zu geben, statt Euern Obern zu gehorchen, seid Ihr ungehorsam und bahnt durch Euer heilloses Beispiel Euern jüngern Brüdern den Weg zu einem gleichen Lasterleben. Nichts half an Euch, alle Warnungen waren in den Wind geredet, Arrest besserte Euch so wenig, wie der Stock des Korporals, wie der blutige Rücken, wie die Geißel Eurer Kameraden. Ihr sankt immer tiefer, denn Ihr, Trunkenbold, fühlt es nicht mehr, wenn Eure Mitmenschen mit Fingern auf Euch wiesen, oder wenn ein weiser Hauptmann Euch seinen Untergebenen als ein warnendes Beispiel zeigte, wie weit der Trunk den Menschen erniedrigen kann. Wohin soll das führen? Wie soll es mit Euch enden? Wollt Ihr noch vollends Euern Thaten die Krone aufsetzen, wollt Ihr als Meineidiger durchgehen? Eure Fahne verlassen? Als Landstreicher Euer Brod betteln, oder auf Frankreichs Galeeren rudern? Oder wollt Ihr als Selbstmörder durch Strick, Gift oder Kugel endigen, und den Teufel den Triumpf ober Euch noch leichter machen, als er schon ist? Oder wollt Ihr den Zeitpunkt erwarten, in welchem mein Beruf mich zu Euch in das Gefängniß führt, wo ich, vielleicht ach! vergebens, die letzte Stunde vor Eurer Hinrichtung, Euch aus Satans Klauen zu retten, bemüht bin?«

Ich hatte diese letzten Worte mit mehr als gewöhnlichem Feuer gesprochen; ich machte eine kleine Pause, mein Blick fiel auf einen seitwärts hängenden Spiegel; aber, man male sich meinen Schrecken! Eine Thür war geöffnet, ohne daß wir das Geringste gemerkt hatten; zwei Damen, eine ältere und eine jüngere, standen mit der Miene des höchsten Staunens in der Thür; ich wußte meiner Verlegenheit keinen Rath; die Damen hatten meinen ganzen Vortrag gehört. Beide traten jetzt näher.

»Aber, mein Gott, Leopold! was bedeutet dies?« fragte die Aeltere, die Gemahlin des Fürsten, bald ihren Gatten, bald mich ansehend.

Nichts von Bedeutung, liebe Louise! Ich habe unsern neuen Feldprediger Probe machen lassen,« antwortete der Fürst; »er hat seine Sachen herrlich gemacht«

In einigen Tagen war das Geschäft abgemacht. Ich war Feldprediger bei einem der schönsten Regimenter, und mein Verhältniß zu dem herrlichen Fürsten war das angenehmste.

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